Freitag, 27. Dezember 2019
Mittwoch, 25. Dezember 2019
Dienstag, 24. Dezember 2019
Sonntag, 22. Dezember 2019
Donnerstag, 19. Dezember 2019
Montag, 16. Dezember 2019
Donnerstag, 12. Dezember 2019
Kultur/Barbarei (Sokratische Fragen 48)
"Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein."
Dieser Satz aus den Geschichtsphilosophischen Thesen Walter Benjamins scheint auch ohne seinen komplexen Kontext unmittelbar verständlich.
Was würde es für das Museum bedeuten ihn in seiner Alltagspraxis vollkommen ernst zu nehmen?
Dieser Satz aus den Geschichtsphilosophischen Thesen Walter Benjamins scheint auch ohne seinen komplexen Kontext unmittelbar verständlich.
Was würde es für das Museum bedeuten ihn in seiner Alltagspraxis vollkommen ernst zu nehmen?
Das Museum als Beinhaus
Freitag, 29. November 2019
Dresdner Juwelenraub. Unschätzbare Werte. Geglückte Ausbeutung
Am 25.November wurden aus dem Grünen Gewölbe in Dresden Kunstwerke gestohlen. Inzwischen weiss man, welche und wie viele. Ueber den Wert liess man sich in Zahlen nur unklar aus. Denn was meinte man mit den veröffentlichten zahlen? Den Versicherungswert? Den Verkaufswert im Falle einer Veräusserung? Da ist es schon besser von "unschätzbar" zu reden.
Um so sicherer schienen in ersten Reaktionen die Journalisten zum symbolischen Wert, der da eben verloren gegangen war. Andreas Platthaus sah in der Frankfurter Allgemeinen das "Sieges- und Heimatgefühl" der Sachsen "zerstört". Das Siegesgefühl? Das Heimatgefühl? Zerstört? Ja, denn: "Es gibt anderswo auf der Welt größere Diamanten als in Dresden, aber die Besonderheit etwa der sogenannten Brillantgarnitur als bedeutendste der drei liegt darin, dass hier ein Generationenprojekt zu besichtigen war: August der Starke kaufte den Großteil der Diamanten, sein Sohn August III. ergänzte weitere höchst bedeutende Steine, darunter den legendären 'Dresdner Grünen', und sein Urenkel Friedrich August III. schließlich ließ aus Juwelen seiner beiden Vorfahren die jetzige Brillantgarnitur anfertigen - als 'Brücke zwischen den Fürstengenerationen', wie Dirk Syndram, der Direktor des Grünen Gewölbes, das Schmuckensemble charakterisiert hat." Ja dann! Wenn daran bis jetzt die sächsische Identität hing!
Aber es geht auch ins andere Extrem, und das scheint mir interessanter, weil hier Abschied von einer genuin bürgerlichen Affirmation kultureller Tradition genommen wird: "Wer von uns hat sich je dafür interessiert, welchen Manschettenknopf August der Starke, zu welchem Fingerring trug?" Fragt sich und uns Arno Widmann in der Berliner Zeitung und spottet über die Anbetung der Tradition. "Wer von uns interessiert sich für die Veränderungen in der Kunst der Diamantenschleiferei in den vergangenen dreihundert Jahren?" Und: "Ganz sicher haben die Sachsen weniger hart an diesen Gegenständen gearbeitet, als sie vielmehr geschröpft wurden, damit die Majestäten sie erwerben konnten. Das gehört auch zur Wahrheit des Grünen Gewölbes: Hier zeigte der Herrscher, was er sich alles leisten konnte. Es ist ein Dokument rundum geglückter - verwenden wir das alte Wort - Ausbeutung. Deren Opfer zu sein, gehört ganz sicher zur sächsischen Identität."
Wenn der Regierungschef des Landes sagt, "Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen", dann meint er das natürlich etwas anders.
Um so sicherer schienen in ersten Reaktionen die Journalisten zum symbolischen Wert, der da eben verloren gegangen war. Andreas Platthaus sah in der Frankfurter Allgemeinen das "Sieges- und Heimatgefühl" der Sachsen "zerstört". Das Siegesgefühl? Das Heimatgefühl? Zerstört? Ja, denn: "Es gibt anderswo auf der Welt größere Diamanten als in Dresden, aber die Besonderheit etwa der sogenannten Brillantgarnitur als bedeutendste der drei liegt darin, dass hier ein Generationenprojekt zu besichtigen war: August der Starke kaufte den Großteil der Diamanten, sein Sohn August III. ergänzte weitere höchst bedeutende Steine, darunter den legendären 'Dresdner Grünen', und sein Urenkel Friedrich August III. schließlich ließ aus Juwelen seiner beiden Vorfahren die jetzige Brillantgarnitur anfertigen - als 'Brücke zwischen den Fürstengenerationen', wie Dirk Syndram, der Direktor des Grünen Gewölbes, das Schmuckensemble charakterisiert hat." Ja dann! Wenn daran bis jetzt die sächsische Identität hing!
Aber es geht auch ins andere Extrem, und das scheint mir interessanter, weil hier Abschied von einer genuin bürgerlichen Affirmation kultureller Tradition genommen wird: "Wer von uns hat sich je dafür interessiert, welchen Manschettenknopf August der Starke, zu welchem Fingerring trug?" Fragt sich und uns Arno Widmann in der Berliner Zeitung und spottet über die Anbetung der Tradition. "Wer von uns interessiert sich für die Veränderungen in der Kunst der Diamantenschleiferei in den vergangenen dreihundert Jahren?" Und: "Ganz sicher haben die Sachsen weniger hart an diesen Gegenständen gearbeitet, als sie vielmehr geschröpft wurden, damit die Majestäten sie erwerben konnten. Das gehört auch zur Wahrheit des Grünen Gewölbes: Hier zeigte der Herrscher, was er sich alles leisten konnte. Es ist ein Dokument rundum geglückter - verwenden wir das alte Wort - Ausbeutung. Deren Opfer zu sein, gehört ganz sicher zur sächsischen Identität."
Wenn der Regierungschef des Landes sagt, "Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen", dann meint er das natürlich etwas anders.
Sonntag, 24. November 2019
Berührungsverbot (Sokratische Frage 47)
Ein Gemeinplatz, namentlich unter VermittlerInnen lautet: nur durch das Berühren verstünde man das, was an Gegenständen im Museum ausgestellt wird. Dieser Imperativ ist, durchaus implizit aggressiv gegen ein Strukturmerkmal des Museums gerichtet. Gegen das Berührungsverbot (das vordergründig im Namen der unbschädigten Erhaltung der Objekte errichtet wurde).
Ist es nicht gerade umgekehrt: Gibt es nicht gerade nur unter der Bedingung des Nicht-Berührens ein Verstehen? Braucht nicht jegliche Aufklärung reflexive Distanz?
Samstag, 23. November 2019
Dienstag, 19. November 2019
Montag, 18. November 2019
Das Museum lesen
Um schlechtes Gewissen in einer unschöpferischen Zeit unschöpferisch zu beruhigen, ist Geld die gegebene Sache; man baut ein Museum. New York liebt Museen, denn Museum ist Kultur, und bereits vorhandene Kultur zu bewahren, zu kaufen und zu sammeln ist leichter und einfacher, als Kultur zu schaffen. Und da die Zeit schneller geht, altert sie schneller. Das Museum überhöht die Vergangenheit, reinigt, und wer ein Museum für den gestrigen Tag baut, lebt mit der Hoffnung, diesen Tag gleich für Jahre zu Verwaltern; wäre ich ein Mörder, ich baute meinem Opfer am nächsten Tag ein Museum, Fotografien, vergilbte Bilder seiner Eltern, sein Vaterhaus, einen Schulaufsatz in einer schönen Vitrine, zwei oder drei seiner Kleidungsstücke, auch unter Glas, alles unter Glas, sein letztes Auto, sein Portefeuille, seine Armbanduhr, seinen ausgestopften Hund, sein Hobby, seinen Rasierapparat, seinen Kamm, sein Bett (nicht zu vergessen), seine Versicherungspolice, seinen Fernsehapparat, die Schuhe, die er zuletzt trug, ein gemaltes Bild seines Lieblingsrestaurants, sein Lieblingsessen (Foto), seine Zigarettenmarke, das Messer, mit dem ich ihn umbrachte, die Nekrologe in den Zeitungen, in denen er, ha!, gewürdigt wird...
Das Museum ist der Ersatz für den einstigen Glauben, man könne sich für die Ewigkeit möblieren.
Den Broadway hinausschlendernd entdecke ich das Heimatmuseum. Der Kurator - er sitzt selber an der Kasse - streitet sich mit den Besuchern; die Quintessenz seines Museums heißt Bevölkerungsexplosion und Selbstvernichtung der Menschheit; die beiden miserablen Wachsmuseen lassen befürchten, die Figuren möchten sich leblos zu bewegen beginnen, dann: die Peinlichkeit des Versuchs, lebendig zu wirken; das Museum der City of New York stellt das alte Modell eines Staubsaugers aus, einen Toaster aus den zwanziger Jahren, die älteste New Yorker Zitronenpresse und die jüngste, einen Büchsenöffner von 1935 und einen Büchsenöffner von 1967, ein Foto Marilyn Monroes - alles wird gleichsam in die Vergangenheit zurückgepfiffen und in Ehrwürde versetzt; ein Museum für Kinder gibt es schon, denn wer war einst nicht Kind; das Polizeimuseum mit Konterfei der ersten Polizistin New Yorks, Brüste wie Euter und Schultern wie einer, der täglich ein Klavier in das neunte Stockwerk tragen muß, Daumenschrauben an der Vagina Dentata, Muse der Polizei. (Wer sich für Handschellen interessiert: Handschellen sind eine Wissenschaft. Handschellen wurden von genialen Mechanikern fast überall gleichzeitig erfunden; so in Deutschland die Clejuso-Handschellen, die Kayser-Handschellen, die Hamburg P-8-Handschellen, in England die Darby-Handschellen, in Frankreich die La Massenotte-Handschellen.) Netze für Selbstmörder, die von einem Wolkenkratzer - vermutlich auf der Flucht vor der Polizei - zu springen versuchen; Dolche, Hämmer, Messer, Feilen - ehrwürdige Mordwaffen. Ein freundlicher Mann will mir Auskunft geben, ich bin der einzige Besucher zur Zeit, und ich weise ihn ab; meine Phantasie Kasse ich mir im Museum nicht Miesmachern. Das Geldmuseum an der Sixth Avenue ist die hilflose Huldigung an eine Zeit, da man ein knopfähnliches Eisenstück für einen Schweinekopf eintauschte, nein, Geld ist das einzige in dieser Stadt, das museal nicht zu bewältigen und auch nicht Zerfall und Tod anheimgegeben ist.
Absicht des Museums besteht immer darin, zu bewältigen und vergessen zu lassen, was noch nicht bewältigt oder nicht vergessen wurde. Das Museum ist die Lahmlegung der Trauer, denn Trauer ist das Schlimmste, und das Museum hebt die peinliche Spannung zwischen Leben und Vergehen auf.
Jürg Federspiel
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