MMag. Dr. Andrea Brait, Assistenzprofessorin am Institut für Zeitgeschichte und am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck, hat freundlicherweise „Erste Eindrücke“ aus dem „Haus der Geschichte Österreich“ zur Veröffentlichung im Blog angeboten. Ich habe das Angebot gerne angenommen, zumal die Artikel in den diversen bekannten Tageszeitungen, die nach der Eröffnung erscheinen sind, kaum mehr als Berichte waren, weitgehend ohne besonders hohen Informationswert und weit entfernt von kritischer Analyse.
Voll – voller – Haus der Geschichte Österreich
Erste Eindrücke
Nach jahrzehntelangen Diskussionen wurde am 10. November 2018 eine neue museale Einrichtung eröffnet. Als Name wurde Haus der Geschichte Österreich gewählt und 2016auch gesetzlich festgelegt, doch bereits vor der Eröffnung der ersten Ausstellung zeigte sich, dass selbst dieser – wie die Zukunft der Einrichtung insgesamt – unsicher ist. Nach wie vor fehlt ein durchgehender politischer und überparteilicher Wille, ein historisches Museum zu gründen, das sich der Geschichte Österreichs (mit „s“!) widmet. Abgesehen von der Frage, was denn „Österreich“ ist und ob „Österreich“ mit nur einem knappen Blick auf die Geschichte vor 1918 verstanden werden kann, gilt es zu klären, welche Trägerschaft einewissenschaftlich unabhängige Arbeit und eine entsprechende Budgetausstattung ermöglichen würde.
Das Haus der Geschichte Österreich behauptet das „erste zeitgeschichtliche Museum der Republik“ zu sein, was in mehrfacher Hinsicht nicht korrekt ist. Erstens gibt es bereits ein Zeitgeschichte Museum in Ebensee, ein Zeitgeschichte MUSEUM in Linz und ein Museum für österreichische Zeitgeschichte im Schloß Scharnstein; zahlreiche weitere Museen in Österreich verfügen über zeitgeschichtliche Sammlungen und stellen Zeitgeschichte aus. Zweitens kann eine Einrichtung, die aufgrund der finanziellen (und in der Folge personellen und räumlichen) Situation kaum in der Lage ist, die zentralen Bereiche der ICOM-Museumsdefinition zu erfüllen, nämlich Objekte zu sammeln, zu bewahren und zu beforschen, schlecht als Museum klassifiziert werden. Die Bezeichnung „Haus“ ist daher für die derzeitige Situation angemessen, doch handelt es sich tatsächlich nur um drei (!) Räume der Geschichte.
Dass es grundsätzlich ein öffentliches Interesse an einer neuen Einrichtung zur Zeitgeschichte gibt, steht außer Zweifel – dies zeigte sich deutlich am Eröffnungswochenende, an demzahlreiche Menschen vor dem Eingang Schlage standen. Wie nachhaltig dieses ist, wird sich erst zeigen – mittlerweile kommt man jedenfalls ohne Wartezeit in die Ausstellung. Dies hat vielleicht auch damit zu tun, dass Besucherinnen und Besucher nun 8 EUR für den Eintritt zahlen müssen (div. Sonderregelungen, Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre haben freien Eintritt). Das ist insofern erstaunlich, da das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Bonn) und das Haus der europäischen Geschichte (Brüssel), die immer wieder als konzeptuelle Vorbilder genannt wurden, gratis besichtigt werden können.
Eröffnet wurde im Haus der Geschichte Österreich keine Dauerausstellung, sondern eineSonderausstellung, die bis 17. Mai 2020 gezeigt werden soll (und die kleinere Wechselausstellung „Nur die Geigen sind geblieben“). In Bezug auf den Titel „Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“ bleibt offen, inwiefern sich dieser auf den Film „Aufbruch ins Ungewisse“ aus dem 2017 bezieht, in dem – in Umkehrung der aktuellen Situation – eine Fluchtgeschichte von Europa nach Afrika erzählt wird. Will die Ausstellung also eine andere Perspektive ermöglichen? Wenn diese Intention vorhanden ist, dann kann es sein, dass der dazu nötige Blick möglicherweise verstellt ist.
Gezeigt werden knapp 2.000 Objekte auf rund 750 Quadratmetern – eine rekordverdächtige Dichte. Dass bei einem Rundgang von wenigen Stunden in einem Museum nicht alle Objekte entdeckt und alle Texte gelesen werden können, ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich, doch wählen die meisten Museen eine Darstellungsform, bei der erkennbar ist, welche Objekte zentral sind. Dies ist im Haus der Geschichte Österreich – vom sogenannten Waldheim-Pferd abgesehen, das aufgrund seiner Größe ins Auge sticht – selten der Fall. Viele interessante und bedeutende Objekte gehen schlichtweg unter, wie beispielsweise:
• Spanischer Reiter als Absperrgitter, um 1933: dieses Objekt ist zusammengefaltet und demnach kaum zu erkennen
• Foto vom 15. März 1933 „Polizei vor dem Parlament“: dieses Bild ist – wie viele andere auch – leider viel zu klein, sodass dessen Bedeutung gar nicht zum Ausdruck kommt
• Pokal des Fußball-Wunderteams für den 8:1-Sieg gegen die Schweiz, mit einem Einschussloch (im Objekttext wird erklärt, dass dieses im Zuge der Kämpfe um den Karl-Marx-Hof 1934 entstand)
• RAVAG-Mikrofon, vermutlich von Schuschnigg am 11.3.1938 verwendet
• Arbeitsversion des Staatsvertrages mit Anmerkungen von Leopold Figl
Es ist den Kuratorinnen und Kuratoren aber zweifelsohne gelungen, viele wichtige Themen anzusprechen, die bislang noch kaum in österreichischen Museen bzw. Ausstellungen thematisiert wurden. Dazu gehören u.a. der Umgang mit der NS-Vergangenheit und Symbole eines gesellschaftlichen Wertewandels (u.a. Regenbogenfahne, mit der eine Wiener Straßenbahn während der Wiener Regenbogenparade 2002 geschmückt war). Irritierend sind jedoch manche Themenzusammenstellungen: Im Ausstellungsbereich „Spielfeld/Špilje1991│2015 – Grenzen schützen“ werden der Slowenienkrieg und die Flüchtlingskrise von 2015 thematisiert – die beiden historischen Ereignisse werden jedoch nicht weiter vertieft und damit auf die Grenzfrage reduziert. Zahlreiche Themen, die für die österreichische Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert wesentlich waren, können außerdem auch nach längerem Suchen nicht gefunden werden. Dies betrifft insbesondere Österreichs Außenpolitik, beispielsweise werden die Rolle Österreichs in der KSZE sowie das KSZE-Folgetreffen in Wien (1986–1989) nicht erwähnt – oder derart dezentral, dass sie die Autorin bislang nicht entdeckt hat.
Zur Bedeutung mancher Exponate für die österreichische Zeitgeschichte lässt sich freilichtrefflich streiten. In den Medien sorgte insbesondere das Kleid des Sängers und Travestiekünstlers Thomas Neuwirth für große Aufregung, der 2014 als Conchita Wurst den 59. Eurovision Song Contest gewann. Die Debatten zeigen, dass ein wesentliches Ziel bereits erreicht ist, das von der Leiterin der Einrichtung, Monika Sommer-Sieghart, immer wieder betont wurde: Das Haus der Geschichte Österreich ist ein Diskussionsforum.
Sehr positiv fällt auf, dass das Museum partizipativ ausgerichtet ist – die Besucherinnen und Besucher sollen sich einbringen. Insbesondere fordert das Museum dazu auf, interessante Filme und Fotos zur Verfügung zu stellen, beispielsweise zu den „Energieferien in den 1970er Jahren“. Damit wird auch die Alltagsgeschichte der Österreicherinnen und Österreicher einbezogen; außerdem werden kuratorische Prozesse sichtbar gemacht. Weniger positiv ist die Reproduktion von Klischees, wie dies bei der Selfie-Station mit Bergkulisse der Fall ist.
Es bleibt also zu bilanzieren, dass es im Haus der Geschichte Österreich viel zu entdecken gibt – mehr als bei einem Besuch erfasst werden kann. Eine Dauerlösung kann und soll diese Präsentationsform nicht sein – das Haus der Geschichte Österreich bemüht sich um andere, vor allem größere Räumlichkeiten und diesbezüglich ist es zu unterstützen. Gleichzeitig wären jedoch eine unabhängige Trägerschaft und deutlich mehr Budget wünschenswert, sodass aus den drei Räumen der Geschichte tatsächlich eines Tages ein Museum werden kann – im Idealfall ein Museum zur Geschichte Österreichs, nicht nur zur Zeitgeschichte.
Zur Person: MMag. Dr. Andrea BRAIT. Assistenzprofessorin am Institut für Zeitgeschichte und am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck; Lektorin am Institut für Geschichte der Universität Wien, an Pädagogischen Hochschulen (Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg, Wien) und am Institut für Geschichte der Stiftung Universität Hildesheim; forscht u.a. zu außerschulischen Lernorten und historischen Museen; Details vgl. https://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/mitarbeiterinnen/mmag.-dr.-andrea-brait.html.de