Marcel Broodthaers: Museum – Museum, 1972
Zwei Siebdrucke mit je 16 Goldbarren auf schwarzem Grund, die Goldbarren scheinbar identisch, aber individuell, wie Illustrationen oder Objekte beschriftet. Links mit Namen berühmter Künstler, Mantegna, Bellini ... Duchamp, Magritte usw., unter der untersten Reihe der Goldbarren: IMITATION, KOPIE, COPIE, ORIGINAL. Das Gegenstück rechts mit Butter, Speck, Kanone, Fleisch, Schokolade, Kupfer, Zucker, Blut, Puder, Benzin, Gold, Tabak und wiederum abweichend in der untersten Reihe IMITATION, FALSCH, KOPIE, ORIGINAL.
Beide Blätter sind in Blockbuchstaben ‚übertitelt’ mit MUSEUM.
Die Goldbarren werden uns nicht wie in einer Bank, einem schließfach präsentiert, sondern als Tableau, wie in einer zoologischen oder mineralogischen Sammlung. Sie sind sorgfältig angeordnet und präzis ausgerichtet.
Es geht um Ordnung, die symbolische Ordnung der kulturellen Werte, repräsentiert durch die Namen bedeutender Künstler, also die ‚Ordnung des Museums’. Das ist im Kunstmuseum die Ordnung der Kunstgeschichte, die Chronologie der Stile und Schulen und die Hierachie der großen Namen. Das ist eine Ordnung, die das Museum hervorgebracht hat, die aber auch durch das Museum repräsentiert wurde und wird.
Es geht um eine sichtbare Ordnung, um die ‚Präsentation’ der Goldbarren als eine Art von gezeigter, ausgestellter Sammlung von ‚Werten’. Die Ordnung scheint visuell zwingend, klar, von Gleichwertigkeit und Gleichzeitigkeit bestimmt, auch das ein Strukturmerkmal des Museums, aber die ‚Objektbeschriftungen’ entpuppen die Ordnung als zufällig, ausgewählt, willkürlich. Wir könnten jederzeit die Namen austauschen durch andere – und wer hat hier überhaupt ausgewählt?
Auf dem linken Siebdruck geht es um jene Werte, die das Museum ausmachen, um symbolische, immaterielle, kulturelle Werte. Um ‚bedeutende’ Künstler, um ‚bedeutende’ Kunst, deren ‚museale Sehenswürdigkeit’ außer Zweifel zu stehen scheint.
Rechts geht es um Gebrauchs- und Tauschwerte, um Dinge, die eine praktische Bedeutung haben, Fleisch oder Butter sind Lebensmittel, Benzin ein wichtiger Rohstoff, Blut kann konserviert Leben retten. Genannt wird auch jener Rohstoff, der ein besonders Tauschmittel ist: Gold, das unserem Geldsystem und der Geldwirtschaft, der Real- und der Finanzwirtschaft zugrunde liegt.
Genau diese durch das Gold und die ‚Bildlegenden’ unter den Barren repräsentierten Werte dürfen im Museum keine Rolle spielen, wir dürfen museale Gegenstände weder gebrauchen oder veräußern. Die Dinge haben im Museum keine Funktion mehr, außer der gezeigt zu werden und Bedeutungen zu vermitteln. Sie sind – buchstäblich - unberührbarer Gemeinbesitz. Ein „heiliger Schatz“, wie der französische Museologe DeLoche sagt, ein Schatz, aber ein imaginärer.
Die Metapher des Schatzhauses für das Museum ist uns geläufig, aber es ist nicht nur eine Metapher. Der sakrale und der profane Schatz sind reale Wurzeln des Sammelns und damit des Museums; lange Zeit sind Schätze sowohl symbolische als materielle Werte, bis ein Prozess der Ausdifferenzierung einsetzt und beides voneinander getrennt wird. Man sondert allmählich aus dem Schatz, der immer auch Geldbesitz ist, der jederzeit veräußert werden kann, zur Finanzierung von Kriegen, Bauten, Wahlbestechung usw., Dinge aus, die auf Dauer bewahrt werden. Kostbare Reliquien, Memorabilia. Durch das Tabu, dem Dinge hinsichtlich ihrer Zirkulation unterworfen werden, kann – mit anderen strukturellen Vorkehrungen -, später so etwas wie das Museum entstehen.
Broodthaers dreht diesen Prozess um und spielt darauf an, daß man den ‚Wert’, den ein Museum repräsentiert, jederzeit gewissermaßen zu Gold / zu Geld machen kann. Kurz zuvor hat er sein Museum – darunter müssen wir uns eine lange Serie sehr unterschiedlicher Projekte vorstellen, mit denen er die Idee und die Praktiken des Museum untersuchte, analysierte, paraphrasierte -, zum Verkauf angeboten, wegen Konkurses. Und zwar in Form eines Plakates, eines Art Anschlages, Aufrufes (Musée d’ Art Moderne à vendre – Pour cause de Faillité 1970/71). Dieses Plakat lancierte er auf der Kölner Kunstmesse, wo er sich, nach eigenem Bekunden in der „heutigen gesellschaftlichen Realität“ befand – man darf hinzufügen: im Gegensatz zu der des Museums, „mit ihrem niedrigsten kommerziellen Aspekt“, wo die Kunst denselben Kriterien von Angebot und Nachfrage unterworfen ist wie jede andere Ware.
Vor dem Hintergrund dieser wenig älteren Arbeit, lassen sich die beiden Drucke mit den Goldbarren als Visualisierung der unterschiedlichen Wertsysteme in ihren unterschiedlichen Funktionen, den ‚realen’ und den ‚musealen’ verstehen, Wertsysteme, die Broodthaers gegeneinander ausspielt. Schlägt man sich ganz auf die Seite der materiellen Werte, die wie Broothaers sagt ‚in der Realität herrschen’, dann kann man auch das Museum zu Gold machen.
Dem System von symbolischen und kulturellen Werten, mit den Broodthaers hier spielt, liegen Kriterien zugrunde. Wir halten etwas für wertvoller, wenn es echt ist, wir ziehen ein Original einer Kopie vor usw. Doch spätestens seit der Geste Duchamps – den Broodthaers unter den angeführten Künstlern nennt, als einen seiner Inspiratoren -, mit der er ein industriell und seriell gefertigtes Gebrauchsding, ein Urinoir, in eine Kunstausstellung reklamierte (das war 1917), ist diese Kriteriologie außer Kraft gesetzt. Ab jetzt ist es nicht mehr die Frage, was ist Kunst, sondern wann ist Kunst. Kunst ist eine Setzung, eine Zuschreibung, in einem sozialen, kulturellen und institutionellen System. Wenn ein Urinoir in einer Ausstellung, in einem Museum gezeigt wird, dann ist es Kunst, demonstriert uns Duchamp. Der „Wert“ eines Exponats ist keine seiner Eigenschaften, sondern eine komplexe Zuschreibung, die sich verändern kann oder die widerrufen werden kann.
Die ‚Unterschriften’ unter der untersten Reihe der Goldbarren weist auf dieses System der Unterscheidung hin, irritiert und attackiert das gleichsam Naturgesetzliche von Begriffen wie KOPIE, IMITATION, ORIGINAL. Abermals stiftet dieses System von Begriffen keine Ordnung, sondern richtet eher Verwirrung an, etwa wenn ‚Kopie’ zweimal vorkommt in zwei Schreibweisen, einmal mit „C“, einmal mit „K“, und man darf darüber brüten, ob die Unterscheidung im sprachlichen Zeichen auch eine in Hinblick auf das Bezeichnete nach sich zieht.
Wir können die Begriffe auch direkt auf Broodthaers Siebdrucke anwenden und kommen in eine ähnliche Endlosschleife von Verweisen. Ist ein Siebdruck ein Original? Läßt sich mit dem Begriff der Echtheit auch etwas mit den Goldbarren anfangen, die ja nur Wert haben, wenn sie echt sind? Muß nicht was unter der Chiffre „Museum“ firmiert unbedingt echt sein?
Broodthaers spielt auch damit: er versichert uns dieser Echtheit wie bei Goldbarren üblich mit Punzierungen, aber die sind seine eigenen und machen sie damit – zu Kunst. Noch einmal öffnet er die Dinge und Zeichen der irritierenden Vieldeutigkeit, Echtheit ist ebenfalls keine materielle Eigenschaft von Dingen, sie wird ebenfalls behauptet, bezeugt, bestritten, erzeugt, beglaubigt, so wie es Broodthaers in einer Arbeit von 1971 gemacht hat, wo er zum regelrechten Vertrag griff, als Grundlage für den Verkauf eines Goldbarren zum Doppelten des Tagespreises, eines Barren, der aber gewissermaßen auch ein Kunstwerk war, weil er das Emblem eines Adlers punziert hatte. Mit diesem Verkauf wollte er sein Musé des Aigles ‚retten’ (das dann, wie wir wissen, doch in ‚Konkurs’ gegangen ist). Der Adler war ein Art Logo für Broodthaers Musée d’ Art Moderne dessen bekannteste Manifestation dann die im Düsseldorfer Kunstverein gezeigte Ausstellung „Der Adler vom Oligozän bis heute“ (1972) war. Der Verkauf eines Goldbarren zum doppelten Handelspreis zur Absicherung des – freilich fiktiven – Museumsprojektes, war nur plausibel, wenn durch die Punzierung der Goldbarren als Kunstwerk deklariert war und damit einem anderem Wertsystem zurechenbar als nur dem des in Gold messbaren.
Broodthaers hat also das Museum als Ganzes im Blick, seine Strukturen, seine Ordnungs- und Bedeutungssysteme. Das Museum selbst ist ein Symbolsystem voller gesetzter, konstruierter Bedeutungen, in dem den Dingen Bedeutung verliehen und in dem diese Bedeutungen kommuniziert werden. In ersten seiner vielen Museumsprojekte reduzierte er auch das Museum auf ein kleines Setting der nötigsten Gesten: ein paar Kunstdrucke, eine Einladung, ein paar Verpackungskisten für Kunsttransporte, eine Einladung, eine Vernissage und ein Direktor ( er selbst) genügen um ein Museum zu konstituieren, auch wenn es sich nur um den ansonst privaten Raum der Wohnung Broodthaers handelte.
Aber weder bei diesem Siebdruck noch bei den diversen Aktionen, Projekten, Werken, Interventionen, die eine Serie von – meist fiktiven – Museen bilden, geht die Reflexion, die ausgelöst wird, in irgendeiner fassbaren und abschließenden Erkenntnis auf; die Reflexion selbst ist das eigentliche Objekt, der beständig in Schwebe gehaltene Diskurs über Kunst und die Definitionsmacht, durch die sie entsteht, wie der über das Museum und seine Riten und Praktiken, durch die es sich konstituiert. Broothaers Reflexivität ist, vorausgesetzt man lässt sich überhaupt auf sie ein, immer beunruhigend und verunsichernd und vor allem: sie ist nie stillzustellen.