Die Süddeutsche Zeitung reserviert heute, am 3.1., eine ganze Seite für - wie es im Untertitel heißt -, „Ideen für das Museum der Zukunft“. Ich lese nicht nur den Text, ich überlege, was thematisiert wird und was nicht und wie diese Seite ausgemacht wird.
Da ist zunächst einmal die Überschrift, „Portikus und Punktbelastung“. Das ist mal unverständlich und schrumpelt im elendslangen Untertitel auf ein Bündel von durcheinendergewürfelten Aspekten: „Museen sollen Mensch und Kunst zusammenbringen. Das Stadtmarketing setzt auf spektakuläre Fassade und teure Gastronomie. Dabei braucht die Kunst etwas ganz anderes“.
Damit noch nicht genug. Es gibt am Kopf der Seite noch eine Überschrift: „Welche Orte braucht die Kunst? Hier einige ganz besondere Museumsbauten - und Ideen für das Museum der Zukunft“.
Es geht also um DIE Kunst und IHREN ORT, um das MUSEUM und das MUSEUM DER ZUKUNFT, um DEN MENSCHEN aber auch ums STADTMARKETING, die MuseumsARCHITEKTUR, also auch den PORTIKUS, als ein typologisches Element von Museumsarchitektur (Aber was ist mit „Punktbelastung“ gemeint?)
So viel Überschrift, die so viele Fragen aufwirft für ganze vier Spalten Text, die bloß ein Drittel der Höhe Seite einnehmen. Eine Glosse, kaum mehr. Die restlichen Drittel der Seite gehören oben einer Zeichnung vom Portikus des Kasselerer Fridericianums und unten Miniporträts von wenigen Zeilen von sechs Museen, jeweils begleitet von einer Zeichnung.
„Museen sollen Menschen und Kunst zusammenbringen“. Der Teil des Überschriftendschungels enthält bereits mehr unaufgeklärte Fragen, als der kurz geratene Artikel beantworten kann. „Menschen“? Alle? Welche? Alle sollen? Ohne Unterschied? Warum? Kunst? Die Kunst oder welche? Alle Kunst für alle Menschen? Sind Museen per Definitionen nun Kunstmuseen oder kommt’s darauf nicht an? Das ist jetzt etwas haarspalterisch argumentiert, denn ist ja offensichtlich, daß dieAutorinnen des Artikels, Catrin Lorch und Laura Weissmüller, Kunstmuseen im Auge haben. Aber die notorische Gleichsetzung von Museum und Kunst/Kunstmuseum nervt.
Der Text beginnt mit einem kurzen Abschnitt zum Fridericianum in Kassel (deswegen die Grafik mit dessen Portikus), das Landgraf Friedrich II. „Als ein Zeichen … für Aufklärung und betont städtische Öffentlichkeit“ errichten ließ „als erstes Museum überhaupt auf dem europäischen Kontinent“.
Das Fridericianum gehört zu einer Reihe deutscher Fürstensammlungen, die eine für sie gebaute Architektur erhielten, wobei die reichen Quellen zur praktischen Nutzung des Museums wenig hergeben, als es im frühbürgerlichen Sinn als öffentlich zu bezeichnen. Die Nutzung unterlag diversen, sozial einschränkenden Regelungen. Diese Museen hatten indes nicht nur mehr fürstliche Repräsentation zum Zweck, sondern schon ein - vom Fürsten definiertes -Staatswohl. Das ist das Fortschrittliche an ihnen. Erst so an die zwanzig Jahre später entstand das, was wir bis heute „Museum“ nennen: die von der öffentlichen Hand getragene, steuerfinanzierte, dem Anspruch nach allen (in Realität bis heute eher wenigen) zugängliche Bildungseinrichtung mit „indirektem Staatznutzen“ (Hermann Lübbe).
Insofern ist die Bezeichnung als „erstes Museum“ irreführend, der Zusatz vom „ersten Museum überhaupt auf dem Kontinent“ schlicht unsinnig, weil die Institution Museum in Europa entsteht und von dort aus, 1810ff. rasch auf alle Kontinente, z.T. als ein Effekt von Kolonialisierung, „exportiert“wird.
Noch im selben Aufsatz lenken die Autorinnen die Aufmerksamkeit der Leser auf die Architektur des Fridericianum, genauer gesagt auf den Portikus, der die antike Tempelfassade zitiert, mit Giebel, Säulen, Treppe. Diese Typologie mache das Fridericianum „zum Vorbild schlechthin für Museen in der westlichen Welt“. Allerdings gehört dieser architektonische Topos auch zum fürstlichen Schlossbau. Eine Überlegung, warum ausgerechnet der antike Sakralbau zum Vorbild der frühen Museumsarchitektur wird, folgt hier nicht. Ich beckmessere jetzt kein zweites Mal und vertiefe mich daher nicht in die etwas komplexere Geschichte der sich entwickelnden Museumsarchitektur, und die diversen architektonischen Lösungen, die für diese Zeit entwickelt wurden, sondern mache mit den Autorinnen den Kopfsprung in den zweiten Absatz mit, der vom Tempel (als bauliches Zitat) zur Metapher des Kunsttempels überleitet. Halsbrecherisch.
Denn: „Die Kulturwelt“ hat „den Kunsttempeln den Kampf angesagt, gelten sie doch als zu elitär“. Ist das so? Hat sich der „Tempel“ nicht wie von selbst im von Museen selbst vorangetrieben Konsumationen Selbstverständnis aufgelöst. Bedurfte es da noch der Kritik? Die Kritik gibt es, ja - aber es gibt auch das Festhalten an einem elitistischen Selbstverständnis von Museen und ihre Verteidiger. Als elitär und als faktisch abweisend erweise sich sowohl die Architektur als auch, etwas überraschend, die hochpreisige Gastronomie in den Museen, „die seit einigen Jahren zum festen Bestandteil jedes neu eröffneten Museum gehört“. Der Elitismus der Museen gründet aber wohl kaum in abweisender Architektur oder hohen Konsumationskosten. Sondern in der sozialen Zugehörigkeit von Menschen. Sie entscheidet über den formalen Bildungsgrad und der wiederum über die Nutzung oder eben Nichtnutzung hoch-kultureller Einrichtungen wie sie auch Museen nun mal sind.
Das Verschweigen dieses Umstandes ist ein „interessiertes Schweigen“ (Pierre Bourdieu) und eines, das nicht nur verschweigt, daß materielle Bedingungen über den Genuss und Bildungswerte in Museen entscheiden, sondern daß diese Werte selbst (der Kanon der Kunstwerke, der Kanon der wertbesetzten kulturellen Güter…) sich elitistischer Wahl verdanken, aber als allgemeine gültig und verbindlich gelten. Deshalb läßt sich ganz in diesem Sinne von den Autorinnen in ihrem Text sagen: „MENSCH und KUNST“ sollen zusammengebracht werden.
Warum? „Wem muß das Museum dienen?“ fragen uns die Autorinnen. Die Antwort ist ein Ausweichen auf eine ganz spezielle, wenn auch wirklich nicht unwichtige Frage. An Gehrys Museum in Bilbao wird das Scheitern einer vom Stadtmarketing gesteuerten Entwicklung dargestellt. Es sei zur Gentrifizierung gekommen und es seien keine neuen Jobs entstanden. Und was wenn das Stadtmarketing solches gar nie im Sinn gehabt hätte. Wenn die Gentrifierung auch anderswo durch Museumsbauten vorangetrieben worden wäre, etwa in London mit der Tate Modern, die dann unter den sechs vorbildlichen Museen genannt wird? Das Stadtmarketing ist ja nicht die Ursache einer Entwicklung sondern ein Werkszeug und Symptom städtebaulicher Entwicklung, die von - in der Regel - anonymen Investoren gesteuert und getrieben wird.
Hier wird schon wieder das Thema gewechselt. Was denn nun mit dem Publikum ist, oder wohin denn die durch Gentrifizierung vertriebenen Menschen gehen, ist weniger interessant, als die Sorge um die Kunst, die in den „gebauten Spektakeln“ schlecht untergebracht sind. „Wie viel Schutz die Kunst braucht“ fragen sich und uns die Autorinnen, „Wie viel Licht?“ oder „welche Grundrisse?“ „Wäre nicht viel mehr die technische Ausstattung in Zeiten von Installations- und Medienkunst wichtig? Die CO2-Bilanz oder eine hauseigene Cloud?“ Und das senkt die zitierte „Schwellenangst“, das macht die Zukunft des Museums aus?
Was macht denn nun ein Museum aus, das auf seine Zukunft weist? Dazu gibt es sechs Beispiele, die „ nicht als Kunst-Kulissen geplant“ wurden und wo die „Räume“ ihre „Wirkung im Wechselspiel mit der Kunst - und ihrer Zeit - entfalten.“
Am Kunstmuseum in São Paulo sind es nicht die Ausstellungsräume, die interessieren, sondern der Platz unter dem Museum, wo Märkte, Konzerte, Demonstrationen stattfinden. An der Tate Modern interessiert allein die gigantische Halle, für die jährlich ein Werk konzipiert wird. Ist das nicht gerade der Spektakel, den die Autorinnen kritisieren? Die zum Museum umgebaute Brauerei Wiels in Brüssel überzeugt durch den „Charme der unprätentiösen Ausstellungsräume“, wo, leider bloß als Behauptung und nicht weiter erläutert gerühmt wird. dort „dürfe“ sich „eines der spannendsten Programme der zeitgenössischen Kunst überhaupt“ entfalten. Das zu beurteilen (mit welchen Argumenten?) ist den „Eingeborenen der Bildungselite“ (noch einmal Pierre Bourdieu) vorbehalten. Der Louvre Lens hat wiederum eine zentrale Eigenschaft, die die Autorinnen doch eben kritisiert hatten: „Etwas Spektakuläres“ habe die stützendes Halle. Doch die eigentliche Qualität liegt in der Galerie der Zeit, einer Sammlung von zweihundert Objekten aus 5000 Jahren, der „vergleichendes Sehen“ ermögliche, das „die Kunst der Stunde“ sei.
Ist das vergleichende Sehen eine allen gegebene optische Ausstattung oder nicht doch eine höchst ungleich verteilte kulturell vermittelte Begabung? Das eben eröffnete, zugängliche Depot des Boymans-Museums in Rotterdam hat viel Aufmerksamkeit in den Medien auf sich gezogen. Aber etwas anderes als ein zugängliches Depot ist es eben nicht - mit der Möglichkeit, Techniken der Konservierung, Deponierung und auch Restaurierung kennenzulernen. Warum nicht? Aber welchen anderen Zugang zur Sammlung bietet so ein Schaudepot? (Als das es nicht neu ist). Angesichts fehlender Deutung und Kontextualisierung bietet sich als Veredelung des Ortes der schlichten Aufbewahrung die Metapher des Schatzes an. Nein, mehr als das, der „Schätze der Welt“, vom „Bruegel-Gemälde über Keramik aus Asien bis zum Alu-Rennrad“. Muß sich diese Metaphorik vom Museum als Schatzhaus - noch dazu „der Welt“ -, nicht langsam auflösen unter dem Druck postkolonialen Debatten, wo die Praktiken der „Schatzbildung“ mehr und mehr fragwürdig werden?
Beim letzten genannten Museum, dem New Yorker Guggenheim, wird noch einmal das „Spektakuläre“, das uns doch weiter oben als Fehlentwicklung verleidet werden sollte, gerühmt und selbst das im Argumentationsgang der Autorinnen eigentlich als verheerend einzustufende Urteil der Künstler, der „aufregende Bau“ stehle „der Kunst die Schau“, wird erwähnt. „Allerdings“ - 2011 hat Maurizio Cattelan alle seine Skulpturen unter die Kuppel gehängt. Als frei schwebendes Mobile.
Ja dann!