Sonntag, 15. März 2020

Die Hinrichtung des Peter Rosegger in einem Nebenzimmer des Grazmuseums am 31. Juli des Jahres Zweitausendundreizehn

Die Pause im Schreiben über Museen, die einzuhalten sinnvoll erscheint angesichts der umfassenden Krise in der die der Museen eingebettet ist (als Kollateralschaden ungewisser Bedeutung), hat mich alte, liegengeiassene Texte wiederentdeckten lassen. Einer ist ein Kommentar zu einer Ausstellungseröffnung im Graz Museum zu einer Peter-Rosegger-Ausstellung die 2013 (sic!) stattgefunden hat. "Im Krug zum grünen Kranz" hiess die. Und im Untertitel "Peter Rosegger in Graz". Warum ich den Text seinerzeit liegen liess, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ich habe mich beim Lesen (und geringfügigen Korrigieren) ganz gut unterhalten. Möge es den LeserInnen ebenso ergehen!

Ich hatte schon so eine Vorahnung, und war aus Erfahrung so klug zu wissen, daß das Grazmuseum bei Ausstellungseröffnungen zu Exzessen neigt. Ich eroberte eine noch freie Stufe des zu den oberen Stockwerken führenden Treppenhauses, eingeklemmt zwischen erwartungsfrohen Gästen. Und es kam, wie es kommen musste, etwa eine dreiviertel Stunde wurde verbraucht bis die Tür zur Einzimmer-Ausstellung endlich geöffnet wurde wie zu einem festlich weihnachtlichen Geheimnis.
Zuvor hatte der Direktor des Hauses hierarchisch die sogenannten Honoratioren begrüßt, auch solche, die nur stellvertrtetend für abwesende und entschuldigte gekommen waren und wenn ich mich nicht irre, gab es auch zwar abwesende, aber im Kommen begriffene Gäste und sogar eine im Kommen begriffene Stellvertreterin einer abwesenden Stellvertreterin eines eigentlich und ursprünglich geladenen Gastes.

Marcel Broodthaers wusste, als er in seiner Wohnung (s)ein "Museum" eröffnete, was die unverzichtbaren Ingredienzen eines Museums sind: eine gedruckte Einladung, ein Direktor, eine Vernissage und ein Schriftzug MUSEUM. Eine Vernissage - hier wird der fraglosen gesellschaftlichen Übereinkunft Tribut gezollt, auf der hegemoniale Politik und Kultur beruhen. Alle können und müssen das Gefühl haben, einbezogen und gewürdigt zu werden im Dienste einer übergeordneten Pflicht: Kultur zu haben. Es geht vermutlich in Graz um jenes Restbürgertum, das schon so viel angerichtet hat und das Wilfried Nagl zum Bürgermeister gemacht hat.
Auch fürs Museum Direkt ist unter einem pragmatischen Gesichtspunkt das Ritual der Vernissage unersetzbar. Die politischen Funktionäre sind Geldgeber und Zustimmer - oder auch nicht.

Ob die angekündigte Stellvertreterin der Stellvertreterin je angekommen ist, entging mir, da ich während der Reden eine Weile durch ein verschiedenfarbiges Schuhwerk einer Dame abgelenkt war, die genau in meinem Blickfeld stand und dann erst recht durch den inhaltlichen Teil der Rede des Herrn Direktors. Der redete Klartext über den Herrn Rosegger und warf Worte wie scharfe Dartpfeile: Antisemit, Deutschnationaler, Antiaufklärer, Rassist, Männerbündler. 

Nun muß man ja sagen, daß das Grazmuseum immer wieder mal Themen aufgreift, die sich zwischen dem soften Grazalltag wie Schmirgelpapier anfühlen. Das ist zwar auch soft und kratzt an niemandem wirklich, aber es ist ohne wenn und aber verdienstvoll, oft ganz zeitnah an Vorgängen in der Stadt und auch nahe an Gruppen und Bewegungen, die einen Ort haben, sich so zu artikulieren. So etwas machen ganz wenige Museen. Und auch eine solche klare Sprache hört man selten, wie die Ausführungen zu Rosegger.

Indes, Rosegger?! - Wer kennt den noch, wer liest den noch, selbst in der Steiermark? Ist der nicht so tot, wie nur jemand tot sein kann? Auch wenn er vielleicht noch in Volksschulen auf dem Lande zwangsgelesen wird und eine kulturbeflissene Redaktion der - na sagen wir - einzigen in der Steiermark relevanten Tageszeitung glaubt, uns noch etwas Heldenweihrauch unter die Nase fächeln zu sollen.

Und wann hat man je ein Jubiläum an einem 170. Geburtstag begangen? Schon richtig, die numerische Zufälligkeit gilt auch für 75 oder 200, aber woher diese Not, ihn jetzt, grade jetzt, auszugraben, um ihn gleich wieder zu bestatten? Und dann kapriziert man sich auch noch drauf, die Ausstellungseröffnung exakt auf den Tag des Geburtstages zu legen, einen 31. Juli, beim vollem Risiko, von einem ferial oder badesaisonal abwesenden Publikum bestraft zu werden.

Off records konnte man Zustimmung zur Vermutung hören, daß Peter Rosegger tatsächlich nur noch eine bessere wächserne Mumie in der Asservatenkammer einiger Politiker und Funktionäre mit Treue zum Ewiggestrigen ist (davon gibts bekanntlich in Graz eine stattliche Fraktion).

Kann ein Museum mit offenem Visier tatsächlich gegen eine kleine, aber einflußreiche Fraktion der Stadtpolitik und des Stadtbürgertums antreten und dann mit den Mitteln einer Ausstellung, die sowohl ihren Gegenstand als die Auseinandersetzung um eine Person historisiert? Denn das findet dann ja dann doch nicht statt, das Analysieren jener über Generationen angestrengte Arbeit am 'Erbe', an seinem 'Lebendighalten', eine Kritik an einer Politik der Restauration all der Werte und Unwerte, die Rosegger (im Verein mit einer veritablen Männerrunde) hegte und pflegte. 

Auch kritische Musealisierung kann zweischneidig oder vielleicht vollend stumpf sein, oder?
Darüber entscheidet dann nicht nur die beachtliche ideologische Klarheit, die überzeugend vertetene eigene Position, sondern die Methodik, in diesem Fall, das Wie und Was der Ausstellung.
Die ist aber einigermaßen überraschend - jedenfalls für mich war sie daß. Als eine Art Intervention, als ein Raum inmitten der jungen Dauerausstellung, ist hier buchstäblich wenig Platz, und in Ermangelung herkömmlicher Objekte gibt es vor allem Text(e), originalen Rosegger zum Lesen, Sehen und Hören. Der Text ist aber wissenschaftlichen Text im Jargon einer Universitätssprache die jene "Politik des Widerspruchs" mit der sie den Humbug, den Rosegger verzapfte, als immanent widersprüchliches Nebeneinander von Haltungen verharmlost und als "Politik der Entschuldung" akademisch relativiert - im Geist jenes tief österreichischen Sowohl-als-auch-oder-und-nicht, das vor Jahrzehnten Robert Menasse so brillant analysiert hat. Und welcher Teufel reitet eine Kuratorin, anzunehmen, daß Museumsbesucher an Oberseminartexten interessiert sind, bzw. deren Hermetik locker aus der Hüfte heraus knacken können?

Schon bei ihrem Vortrag (wie gesagt, es mussten ja 45 Minuten zustandekommen für die Eröffnung) bediente sich die maßgebliche Rosegger-Professorin uns von ihrer steilen Fachlichkeit zu überzeugen. Ein älterer Herr neben mir, der dieselbe Treppenstufe teilte, stöhne und murmelte und ächzte besorgniserregend und hielt trotz alledem mit letzter Kraft ein Tonaufzeichnungsgerät in Richtung der akademischen Schallwelle. Mein Mangel an Kenntnis der steirischen Dialekte hinderte mich daran zu verstehen, ob der Sitznachbar nun eine gekränkter Roseggerianer, ein eben zum Intellektuellenhasser mutierender Landbewohner oder beides war. Fan der Vortragenden war er keiner.

Also liebes Grazmuseum! Alles geht, aber das eigentlich nicht mehr. Akademischen Text im Umfang von 8, 10 oder 12 DIN-A-4-Seiten an die Wand affichieren, auch wenn die Hintergrundfarbe noch so akkurat ausgesucht wurde und die die passende Schriftgröße traumwandlerisch getroffen wurde, das ist zu viel des Schlechten.

Und dann, allerspätestens dann, wenn jemand eine zweispaltige Literaturangabe an die Wand pinnt, eine Novität für mich, dann wäre eigentlich die Alarmstufe dunkelrot erreicht. Oder soll ich an dieser Stelle angekommen, meinen Tintenbleistift mit den Lippen benetzen und in mein aufgeklapptes Moleskinebüchlein fein säuberlich alles abschreiben, um am folgenden Tag gehorsam in die Landesbibliothek eilen, um mich dort in die einschlägige Sekundärliteratur zu vertiefen? Wer denkt sich so etwas aus?

P.S.: Es war nicht die erste und es war nicht die letzte Roseggerausstellung in Graz und wir werden uns in vermutlich rascher Folge weiterer Roseggerausstellungen erfreuen können.






Mittwoch, 11. März 2020

Die Museen und der Coronavirus. Was bedeutet das Verschwinden der Museen?




Der US-Museologe Stephen Weil hat vor vielen Jahren mal die ultimative Museums-Dystopie formuliert - das völlige Verschwinden der Institution. 

In pädagogischer Absicht und um so grundsätzliche Diskussionen auszulösen, verpackte er die Frage nach der Existenzberechtigung des Museums in Parabeln, in denen er die Leser zum Beispiel aufforderte sich parallel existierende Welten vorzustellen. Die eine mit, die andere ohne Museen. Welche unterschiedliche Entwicklung der beiden Planeten würden wir beobachten? In einer anderen Parabel stellte er die Reaktionen der diversen Museumsberufe angesichts eines ziemlich präzise vorhersehbaren Endes der Welt auf die Probe. Schließt man alle Museen, macht man weiter wie bisher, reagiert man auf die Bedrohung?

Ich dachte nicht, daß Weils wunderbare und tiefschürfende Texte je in irgendeine Nähe zur Wirklichkeit geraten könnten. Nur in der Distanz zu realen Verhältnissen schienen sie zu funktionieren. Als ein Probehandeln, das im Denken verblieb und deshalb ganz radikal sein konnte. So waren sie für kontroverse Diskussionen brauchbar. 

Als ich einmal in Anschluß an einen Vortrag, das Publikum fragte, was das plötzliche Verschwinden der Museen bei ihm auslösen würde, herrschte Ratlosigkeit. Das ist eine zu überfordernde Frage. Überfordernd ist vor allem, gerade das Museum als nie in Frage gestellte Institution, auf seine Bedeutung hin zu debattieren. Was bedeutet, es auch von Grund auf in Frage stellen zu können. 

Diese Infragestellung beginnt gerade. Jetzt verschwinden Museen. Viele, nicht alle und auf Zeit, nicht buchstäblich und möglicherweise nur für Wochen. Ein sich schnell ausbreitender Virus scheint das zu erzwingen und möglicherweise werden ja aus Wochen Monate. 

Die ersten Reaktionen beklagen nicht etwa einen Bildungsverlust sondern beschwören eine finanzielle Krise. Die ist bei staatlichen, also steuerfinanzierten Museen, weniger bedrohlich als bei vielen anderen kulturellen Praktiken. Aber bei sehr langer Schließung würde es tatsächlich zum materiellen Crash kommen können.

Noch stellt niemand die Frage nach der Bedeutung der Museen, nach dem Ausmaß des immateriellen Verlustes. Das kann ja noch kommen.


Dienstag, 3. März 2020

Der junge Hitler und wie Stefan Weiss ihn sieht

In der Tageszeitung „Der Standard“ vom 3.3.2020 schreibt der Mitarbeiter der Kulturredaktion Stefan Weiss über die Ausstellung im Haus der Geschichte in St. Pölten „Der junge Hitler“. 
Die Überschrift gibt der neutralen Bezeichnung der Ausstellung eine überdeterminierte Bedeutung: „Hitlers Jugendjahre: Der Wagnerianer mit dem ‚Nicht genügend.‘“
Da werden zwei Dinge zusammengezogen, die weder sachlich noch chronologisch etwas miteinander zu tun haben - eine schlechte Schulnote im Fach Deutsch und ein späterer Opern-Besuch - und deren Beziehung ohne jede Bedeutung ist.
Der Untertitel des Ausstellungsberichtes attestiert der Ausstellung ein Aufklärungspotential, als ob dieses noch nie genutzt worden wäre und zum ersten Mal gelungen sei, es auszuschöpfen: „Die Ausstellung ‚Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators’ im Haus der Geschichte Niederösterreich legt die Wurzeln des NS-Gedankenguts offen.“ 
Dieser Titel legt ja nahe, daß einerseits die Darstellung und Analyse der Jugend Hitlers geeignet sei, das NS-Gedankengut als Ganzes zu erläutern aber zweitens, daß die Person Hitler und der Nationalsozialismus so etwas wie eine Gleichung ohne Rest gewesen seien. Etwa so: Wenn man Hitler erklärt, erklärt man den Nationalsozialismus. 
Das hat schon oft in eine triviale Personalisierung und zu einer sehr schlichten Psychologie geführt, die so gut wie nichts erhellt oder schlimmer noch, mit der Konzentration auf die Person, viele wesentlichen Fragen zum Nationalsozialismus verschleiert. 

Der Autor der Ausstellungsbesprechung stolpert denn auch gleich zu Beginn seines Textes in die Falle der trivialisierenden Personalisierung und scheitert fürchterlich an seiner Exegese einer Fotografie. Dem Text vorgeschaltet ist nämlich ein Foto einer Schulklasse, das sofort ein „gespenstisches Dokument“ sein muss. Denn es zeigt Hitler in seiner Volksschulklasse, in der letzten Reihe, und das „mit verschränkten Armen, starrem Blick und hochgerecktem Kinn in der Mitte der obersten Reihe – Zufall oder nicht: Genau so wird sich Hitler als späterer Diktator häufig inszenieren.“
Es fällt sofort auf und es ist auch vielen Postern aufgefallen, daß viele andere Schüler genau so wie der "zukünftige Diktator" posieren - was möglicherweise einer disziplinierenden Order beim Fotografieren geschuldet ist - und daß der stechende Blick und das hochgereckte Kinn eher Projektionen als objektivierbare Tatsachen sind.
Gespenstisch ist weniger das Klassenfoto als die dieser "Bildanalyse" zugrundeliegende Psychologie, derzufolge der „Diktator“ schon im Kind angelegt und sichtbar gewesen sei.

Einer der Kuratoren der Ausstellung weiß dazu, als ob er persönlich dabeigewesen wäre: "Er hat die Menschen nie auf Augenhöhe angesprochen. Er sah sich immer entweder neben oder über der Gesellschaft.“ 
Das Gegenteil war der Fall. Hitler hat seinen Blick bewusst genutzt und zu Requisiten ausgefeilter Selbstinszenierung gemacht. Albert Speer berichtet z.B.: „Seine Augen waren starr auf die Angetretenen gerichtet, er schien jeden durch seinen Blick verpflichten zu wollen. Als er zu mir kam, hatte ich den Eindruck, daß mich ein Paar weit geöffnete Augen für unermeßbare Zeit in Besitz nahmen." 

Muß ein Ausstellungsrezensent so etwas bemerken? Einen derartigen Widerspruch von historischen Fakten und kuratorialer Interpretation? Muß ein Kulturredakteur nicht vorsichtig werden, wenn - zum wievielten Mal eigentlich - Hitlers „künstlerische Ambitionen“ aufgetischt werden? Sollte man nicht grundsätzlich skeptisch sein, gegenüber einem Ausstellungskonzept, das den Nationalsozialismus aus der Biografie einer einzigen Person heraus zu deuten versucht und noch dazu aus deren Jugendjahren? 

Als „optisch gepolter Mensch“, berichtet Stefan Weiß von der Ausstellung, hätte Hitler früh ein Sensorium für die Ästhetisierung der Politik gehabt und sich (auch das ist schon lange bekannt), von sozialistischen Ritualen inspirieren lassen. Aber was bitte ist ein „optisch gepolter“ Mensch?

Die altbekannte, durch Wiederholung in ihrer Schlichtheit nur noch aufdringlichere entwicklungspsychologische These vom verhinderten oder gescheiterten Künstler, der in die Politik geht, ist sogar eine fettgedruckte Zwischenüberschrift wert: „Vom Maler zum Politiker“. Ja, ja, wie wir wissen hätte uns die Wiener Akademie der Bildenden Künste den Nationalsozialismus erspart, hätte sie Adolf Hitler die Aufnahmeprüfung bestehen lassen...

Das eigentliche Erweckungserlebnis war der Ausstellung zufolge aber nicht die Bildende Kunst, sondern die Oper, genauer gesagt Wagners Opern. Leider läßt uns der Autor der Ausstellungsbesprechung, wie meist bei Rezensionen üblich, über das Spezifische der medialen Vermittlung im Ungewissen. Und das gerade dort, wo es doch ganz interessant hätte sein können zu erfahren, nicht was, sondern w i e es mitgeteilt wird. 
„Mittels Tonaufnahmen und Originalmodellen der damaligen Bühnenbilder lässt die Ausstellung erahnen, welche Wirkung die oft völkisch motivierten Inszenierungen auf Hitler gemacht haben müssen.“
Das hätte mich doch interessiert, wie eine Ausstellung die historische affektive und ideologische Wirkung auf eine bestimmte Person uns heutigen Zusehern vermittelt haben will?
Aber die Ausstellung kann noch mehr. Sie läßt uns an „den künstlerischen Ambitionen“ Hitlers „Größenwahn bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung“ erkennen, was, hier wird Mussolini zitiert, nur in eine Auffassung von Politik als „größte Kunst“ münden konnte weil sie mit "lebendigem Material" arbeite: „dem Menschen.“

Diese Ausstellung muß großartig sein, ich muß sie mir ansehen

Freitag, 28. Februar 2020

Fair oder prekär? Beschäftigungsverhältnisse von Kulturvermittlerinnen

Gastkommentar von Monika Holzer-Kernbichler

Fair oder Prekär lautete der Titel einer breit angelegten Veranstaltung zum Thema „Das Museum und seine Mitarbeiterinnen“, zu der der Österreichische Verband der KulturvermittlerInnen ins Deopt in Wien eingeladen hatte. 160 großteils betroffene - vor allem – Kulturvermittler*innen aus Wiener Museen waren gekommen, um über die zum Teil sehr schlechten Arbeitsbedingungen für Kulturvermittler*innen zu diskutieren, aber vor allem um diese sichtbar zu machen.
Gekommen waren auch Betriebsrät*innen und Vertreter*innen der Gewerkschaft.

Zur Vorgeschichte: Mit dem österreichweiten Konsens zu einem gemeinsamen Berufsbild der Kulturvermittlung, das in Steyr beim Museumstag 2017 von einer großen Mehrheit angenommen und von den Vorsitzen des Verbandes der Österreichischen KulturvermittlerInnen und von ICOM CECA unterschrieben wurde, war ein erster großer Schritt getan. Sämtliche Vermittler*innen in Leitungspositionen sowie Verantwortliche der Bildungsabteilungen der österreichischen Bundes- und Landesmuseen vertreten seitdem geeint diese Definition. Gleichzeitig war klar, dass dies erst ein Zwischenschritt in einem größeren Prozess gewesen war, zumal die Frage der Sicherstellung, dass dieses Berufsbild überall lebbar und umsetzbar bleibt bzw. sein wird, eine bleibende ist. In einer Arbeitsgruppe wurden Erfolgskriterien und Rahmenbedingungen für eine professionelle Kulturvermittlung definiert, zur weiteren Diskussion vorgelegt und in weitere Folge auch beschlossen. Unaufhaltsam drängte sich in diesem ganzen Prozess die fast absurde Frage auf, wie es sein kann, dass sich jene Berufsgruppe, die sich dem für die Politik wichtigsten musealen Kennfaktor – nämlich dem Publikum bzw. der Besucher*innenzahl widmet, die unsichersten und schlechtesten Arbeitsbedingungen am Museum überhaupt hat. Der Ruf nach einem (neuen) Kollektivvertrag für Museen wurde laut, der Österreichische Museumsbund fand sich als weiterer starker Partner. 

Zur Situation der Vermittlungs- und Bildungsarbeit an den österreichischen Museen hat sich seit einem Artikel von Michalea Steinberger am 4.11. 2014 im Standard, besonders in Wien kaum etwas verändert. Während an den Landesmuseen die Vermittler*innen inzwischen weitgehend angestellte und vollwertige Mitarbeiter*innen der Museen geworden sind, klafft an den Bundesmuseen noch immer eine große Lücke. Tagesabhängige Bezahlung, Bezahlung nach Stundensätzen, freie Dienstverträge (die in den Bundesländern allesamt wegen Rechtswidrigkeit in echte Dienstverträge umgewandelt werden mussten), befristete Verträge oder gar fallweise Beschäftigungen sind Realität für ein akademisch hoch ausgebildetes Personal. Viele Arbeitssituationen finden ohne jede arbeitsrechtliche Absicherung statt und führen dazu, dass langjährige Vermittler*innen in ihrer Existenz durch diese Berufswahl extrem benachteiligt sind, selbst wenn sie, wie vielen von ihnen auch an mehreren Museen tätig sind. Sie sind nicht durch Krankengeld oder Karenz abgesichert, haben keinen Urlaubsanspruch, bekommen aufgrund fehlender Beständigkeit schwerer Mietverträge und sind auch nicht kreditwürdig. Als freie Dienstnehmer*innen oder Tagelöhner*innen sind sie auch nicht berechtigt an Betriebsratswahlen teilzunehmen bzw. haben deshalb auch keine gewerkschaftliche Vertretung, zumal sie in einer Scheinselbständigkeit gefangen sind, die sie in ihrer Existenz maximal flexibel herausfordert. Diese zwingt viele auch nach wie vor dazu, sich in der Freizeit auf die Inhalte vorzubereiten oder über die Arbeit auszutauschen, Dinge, die für jede andere Museumsmitarbeiter*in selbstverständlich und unhinterfragt Arbeitszeit sind. Für die Arbeitgeber sind die Vermittler*innen so gut unter den permanenten Druck der Ersetzbarkeit zu setzen, werden dadurch aber auch auf Distanzgehalten - insgesamt eine äußerst fragwürdige Position für einen maßgeblichen „Erfolgsfaktor“ des Museums, der an der Schnittstelle zum Publikum maßgeblich ist.

Als Studentin der Kunstgeschichte nimmt man schlechte Arbeitsbedingungen in Kauf, sieht so manche schlecht bezahlte Stelle (die vielerorts als Volontariat bereits überhaupt zur unbezahlten Stelle mutiert ist) als Sprungbrett und hofft auf bessere Zeiten. Tatsache ist allerdings, dass die Kunstvermittlung tatsächlich zu einem Beruf geworden ist, den viele schon lange – trotz schlechter Bedingungen - als solchen leben. Seit in den späten 80er Jahren und frühen 90er Jahren die engagierte Kunstvermittlung sich in Form von Vereinen von außen an die Institutionen angenähert und erobert hat, wurden es immer mehr, die dieses Feld der Bildung, der aktiven Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur nicht mehr verließen. Die Institutionen erkannten den Mehrwert einer verlässlichen Vermittlungsarbeit, erkannten, dass etwa qualitätsvolle Arbeit mit Schulklassen die Besucher*innenzahlen in von der Politik erfolgsversprechende Höhen treiben kann. Unabhängig von Ausstellungen entstehen seit vielen Jahren vielerorts auch Formate, Veranstaltungen und Programm, das ein breites Publikum in die Häuser führt. Nicht immer sind es die vielzitierten Blockbuster Ausstellungen, die die Häuser füllen. Immer öfter auch Angebote, die ein lokales Publikum ansprechen und an die Häuser bindet, die abseits von Massentourismus auch auf Beständigkeit für die Zukunft bauen. 
Es sind die Abteilungen für Bildung, Publikum und Vermittlung, die diese initiieren, definitiv aber jene vermehrt, denen ein eigenständiges professionelles Arbeiten ermöglicht wird. 
In Zeiten in denen die Kulturvermittlung immer dann ein „Mascherl“ ist, wenn es um die Legitimation der Museen in politischen Diskussionen per se geht, ist es an der höchsten Zeit, dieser auch die notwendigen Rahmenbedingungen zu geben. 
Vieles davon wurde Ende Jänner im Depot diskutiert und verlangt nach weiterer Verfolgung. Das neue Regierungsprogramm das inzwischen publiziert wurde, stimmt viele hoffnungsvoll, zumal dort auf Seite 50 erklärt wird, dass die „Position der Kunstvermittlerinnen und –vermittler in den Kulturbetrieben“ gestärkt werden soll. Erste Gespräche mit Regierungsverantwortlichen sind anberaumt und nächste Schritte sind in Ausarbeitung. Informieren kann man sich darüber auf der Facebookseite des Verbandes der Österreichischen KulturvermittlerInnen.

Webseite des Verbandes der Österreichischen KulturvermittlerInnen.

Der Verband auf Facebook

Gedenkkultur

Anlässlich des „Frauentages“ öffnet das Museum Arbeitswelt Steyr den Stollen der Erinnerung (ehedem von Zwangsarbeitern errichtet) für BesucherInnen. Im Museum der Völker Schwaz gibts Frühstück mit einem Freigetränk für Frauen.

PS.: Wer mir (abgesehen vom Frauenmuseum Hittisau) e i n österreichisches Museum nennen kann, das seiner Ausstellungs-, Sammlung- und Forschungspolitik konsequent auch die Kategorie gender zugrundelegt, dem spendiere ich zum Frauentag einen Gratiskaffee.

Dienstag, 25. Februar 2020

Koloniales Raubgut in Bundesmuseen

Es ist den Neos zu verdanken, daß man nun ziemlich genau Bescheid weiß, was an sogenannter kolonialer Beute in Bundesmuseen vorhanden ist. Der Standard berichtet verdienstvoller Weise ausführlich dazu. (hier der Link). Nun ist die Frage, ob der Rückgabe von NS-Raubgut analoge Verfahren eingerichtet werden.
Nicht ganz unerheblich Scheiben mir die derzeit über 150 Posts zum Standard-Artikel von Olga Kronsteiner. Sie sind mehrheitlich aggressiv und gegen jegliche Rückgabe formuliert und reproduzieren uralte Klischees, wie das von der konservatorischen Leistung europäischer Museen, die damals wie heute allein das sachgerechte Überdauern der Sammlungen garantieren könnten.

Dienstag, 11. Februar 2020

Ein Museum der Migration


Gastkommentar

Regina Wonisch, MUSMIG Kollektiv

Das Kollektiv MUSMIG fordert ein Museum der Migration
Die Themen Migration, Flucht, Vertreibung und globale Mobilität prägten die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts nachhaltig. Sie bestimmen derzeit die Politik und den medialen Diskurs und europaweit. Dennoch sind diese Fragestellungen kaum in den (kultur)historischen Museen präsent. Marginalisierte Narrative wie jene zum Thema Migration finden zwar relativ rasch Eingang in temporäre Ausstellung, doch selten in die musealen Repräsentationen. Hat ein Museum jedoch einmal eine „Migrationsausstellung“ gemacht, ist das Thema gleichsam abgehakt. So betrachtet, schließen „Migrationsausstellungen“ vielfach den Diskurs, anstatt ihn zu öffnen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird vielerorts in der Gründung von Migrationsmuseen gesehen. Das Kollektiv MUSMIG – Museum der Migration hat sich demselben Ziel verschrieben. Doch im Unterschied zu anderen Initiativen versteht es sich vor allem als Ideenwerkstatt. Es braucht die Forderung nach einem Museum der Migration, um einen breiten gesellschaftlichen Diskurs um Nationalismus, Rassismus und Migration immer wieder aufs Neue in Gang zu setzen. Die Auseinandersetzung um ein Museum der Migration kommt aber nicht umhin, die Institution selbst, also die Bedingungen der Herstellung musealer Repräsentationen mitzureflektieren, hat doch das moderne Museum zum Denken in Differenzen und zur Etablierung des Nationalismus maßgeblich beigetragen. Ist der Weg zu einem Museum der Migration von einer lebendigen Auseinandersetzung begleitet, ist er genauso wichtig, wie die Etablierung des Raumes selbst. Dann ist es vielleicht letztlich egal, ob das Museum realisiert wird oder Utopie bleibt. Folgerichtig nimmt das Kollektiv MUSMIG gemeinsam mit dem Archiv der Migration, dem Textfeld Südost und dem Kulturraum 10  eine wirkmächtige Setzung vor und feiert am 21. Februar 2020 in der Galerie die Schöne die Geburt des Museums für Migration, indem es die Debatte um die Historisierung der Migration zum Thema der Ausstellung macht.  

 
Veranstaltungsankündigung
 
Die Geburt des Museums der Migration Temporäre Installation, Lectures, Performance
 Galerie "Die Schöne", Kuffnergasse 7, 1160 Wien, Eintritt frei

Pressegespräch: Freitag, 21. Februar 2020 | 11:00 Uhr 
Ausstellungseröffnung: Freitag, 21. Februar 2020 | 19:00 Uhr
Dauer: Freitag, 21. 02. – Sonntag, 23.02.2020
VeranstalterInnen: Kollektiv MUSMIG
 
Das Kollektiv MUSMIG organisiert eine Ausstellung zu einem grandiosen Exponat: dem Museum der Migration, das sich in Reaktion auf die politische Realität, in der es keinen Platz fand, selbst verwirklichen wird. Die Ausstellungsaktion versteht sich als Geburtskanal, durch den Menschen zusammengeführt werden, um sich ihr eigenes Museum zu bauen. Denn eines steht fest: dieses Museum muss zur Welt kommen. Die Ausstellung greift nicht nur die Frage nach der Funktion und dem Fehlen dieses Museums auf, sie gibt auch einen Rückblick auf die Debatten und Widerstände, die die Idee eines solchen Museums in Österreich begleiteten. Zudem stellt die Aktion die Forderung nach einem Museum der Migration in den Mittelpunkt. Sie ist somit ein Ort des Austausches, an dem Forschung, Vernetzung und Vermittlung stattfinden. Sie ist wissenschaftlicher Aktionismus, interventionistische Kunst, Kampagne und Fest zugleich.

Weitere Informationen hier

Donnerstag, 6. Februar 2020

Das Ende der Zeitzeugenschaft. Ausstellung und Symposion am Jüdischen Museum Hohenems

Im Zuge des Holcaust-Gedenkens während der letzten Wochen hatte eine Frage besondere Prominenz: Das Ende der Zeitzeugenschaft. Das Jüdische Museum Hohenems zeigt derzeit eine hervorragend konzipierte Ausstellung zur Zukunft der Zeitzeugenschaft und veranstaltet vom 16. Bis 28.Marz ein Symposion dazu.

Anmeldung bis 6. März 2020:
Programm und Anmeldeformular (pdf) 


Zwei Veranstaltungen im Rahmen des Symposiums sind einzeln und öffentlich zugänglich:

Do 26. März 2020, 19.30 Uhr, LöwenSaal Hohenems
Eröffnungsabend "es ist alles noch sehr frisch"
Lesung und Reflexion von Doron Rabinovici (Wien)
Eintritt: Euro 8,-/5,-  mehr

Fr 27. März 2020, 19.30 Uhr, LöwenSaal Hohenems
"Redemption Blues"
Filmvorführung und Gespräch mit Regisseur Peter Stastny (Wien/New York)
Eintritt: Euro 8,-/5,-  mehr

Montag, 27. Januar 2020

Das Wiener Heeresgeschichtliche Museum. Eine Tagung, ein Medienbericht, ein Shitstorm

Heute morgen erschien im Standard ein Bericht zur Tagung, die sich mit dem heeresgeschichtlichen Museum auseinandersetzte. Stefan Weiss: Kritik an Heeresgeschichtlichem Museum: Initiative will Neuaufstellung lautete die Überschrift und eine Unterschrift ergänzte: Das Haus soll für Ewiggestrige keine Projektionsfläche mehr bieten, fordert eine Initiative, die aufgrund jüngster Vorwürfe eine Tagung abhielt.

Jetzt, keine 12 Stunden später, gibt es über 500 Postings zu dem Artikel, die überwiegend in einem übereinstimmen: in ihrer aggressiven Haltung gegenüber der Tagung, dem Bericht und der Kritik am Museum generell. Jargon, Wortwahl und Themen der Post lassen auf eine überwiegend ideologisch rechts angesiedelte Leserschaft schließen und bekräftigen den Eindruck vom Heeresgeschichtlichen Museum als einem Identifikationsort rechter Ideologie.

Die Heftigkeit und Massivität der Reaktionen ist erschreckend und läßt es dringlicher denn je erscheinen, daß sich das Museum ändern muß. Dabei sollte auch dessen Auflösung als Militärmuseum kein Tabu sein. Es ist fraglich wozu ein neutrales Land mit einem bescheidenen Heer, das keinerlei militärische Ambitionen hegt, ein so großes einschlägiges Museum benötigt.

Das heißt aber nicht, daß man die Sammlung aufgibt. Stattdessen könnte man ja an eine Auflösung in einem umfassenden Geschichtsmuseum denken, was mehr bedeutete, als eine bloße Zusammenlegung mit dem Haus der Geschichte Österreich. Ein solches Museum könnte einen weitaus größeren zeitlichen und geografischen Rahmen haben, als das derzeitige Geschichtsmuseum in der Hofburg und ein enorm erweitertes Themenspektrum.

Man könnte auch daran denken, das Gebäude des Heeresgeschichtlichen Museums dafür zu nutzen, etwa erweitert um einen Neubau etwa auch in Form eines intervenierenden Zubaues à la Dresdner Militärhistorisches Museum der Bundeswehr. Der Einwand, der auch bei der Ansiedlung des Haus der Geschichte Österreich in der Hofburg erhoben wurde, würde auch hier zutreffen: das Gebäude ist derart mit Geschichte kontaminiert, daß er für ein modernes Museum einer demokratischen Gesellschaft nicht geeignet sei. Das wäre aber gerade eine Chance und Aufgabe eines neuen Museums. Die antidemokratische und gegenrevolutionäre Geschichte die dem Museum als Teil des Arsenals anhaftet, zu konterkarieren. Das Arsenal wurde ja als gewaltige militärische Anlage nach der Revolution 1848 geplant um "jegliche Unfälle bei einem Volksaufstand" (so eine der Ziel-Beschreibungen in den Militärakten) künftig zu verhindern.

Um ein solches in vielerlei Hinsicht ambitionierte Projekt zu verwirklichen, müsste man viele Hindernisse überwinden. Eines davon wäre die Herauslösung der Institution aus dem Landesverteidigungsministerium, die andere, nicht mindere Schwierigkeit, die Museumsplanung aus politisch-ideologischem Lagerdenken herauszuhalten (etwas, was beim Haus der Geschichte Österreich nicht gelungen ist und dessen schwerste Hypothek darstellt). Es müßte das Planungsverfahren neuen, hiezulande nicht gebräuchlichen Prinzipien folgen. Die vorbildlich breite Zusammensetzung der Tagung wäre ein Vorbild, diese Mischung aus fachlicher Expertise und zivilgesellschaftlichem Engagement - und das alles ohne Gängelung der Politik und Administration.

Eine offene, transparente Museumsentwicklung könnte ein Modell für eine neuartige Museumspolitik, und mehr als das für eine demokratische Geschichtskultur sein und dazu beitragen, daß große Teile unserer Geschichte nicht weiter wie geisterndes Untotes und Unaufgearbeitetes mitgeschleppt wird.

Hier der Link zum Standard-Artikel