Das Kunsthistorische Museum wirbt am Weihnachtsmarkt vor seinem Haus. Foto GF Dezember 2018 |
Montag, 17. Dezember 2018
Bloß nicht! Spitzmaus Mummy in a Coffin
Diese Ausstellung unterbietet alles, was ich bislang im Wiener Kunsthistorischen Museum gesehen habe.
Ich würde auch gerne mal mit Freundin im KHM machen was ich will und möglicherweise würde auch mir irgendetwas einfallen. Aber ich käme nicht in die New York Times oder Die Zeit.
Und außerdem hätte ich nicht Prada hinter mir, den Koproduzenten der Ausstellung.
Filmemacher Wes Anderson hat mit Gefährtin „zwei Jahre“ im Museum gearbeitet, verrät der einführende Text und ich frage mich, wer inzwischen seine Filme gedreht hat. Die Information, daß hier erstmals alle Sammlungen kooperiert hätten ist ein doppelter Offenbarungseid, weil man sich fragt, ob denn die Synergien zwischen ihnen bisher bloß im Finanziellen gesucht worden sind und zweitens, warum man einen externen Kurator benötigte um diese Idee zu haben: in acht in einen Saal verschachtelte Zimmerchen Objekte so zu ordnen: grüne, aus Holz gemachte, Behältnisse, Kinderporträts uam. Das wars dann schon.
Mit Wunderkammer, wie viele Kritiker schrieben, hat das so viel zu tun wie Tipp-Kick mit FC Barcelona, mit intelligenter Befragung der Museumsordnung der Dinge nichts, mit einer Verschränkung der Sammlungen in Hinblick auf ihre Geschichte nichts, auch nichts in Hinblick auf neue Sinnstiftungen durch Zusammenführung sonst getrennter Objektbestände, mit Erhellung von Bedeutung einzelner Objekte durch überraschende Kontexte nichts, mit einer kritischen Befragung der herrschenden Ordnungen in den permanenten Sammlungen nichts.
Das ganze ist eine Übung zur Frage, wieviel Infantilisierung ein Publikum gerade noch verträgt. Dafür darf man dann aber Objekte von Frau Malouf käuflich erwerben. So um die 250.- Euro das Stück. Schön daß das KHM jetzt auch Kunstmarkt ist und Prada kulturellen Mehrwert verschafft.
Ich überlasse Thomas Mießgang das wort, der zur Ausstellung unter anderem schrieb: „Das garantiert in jedem Fall hohe Quoten im Rahmen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit und lässt sich oft auch in Blockbuster ummünzen. Die Museumsleiter erhoffen sich vom wilden Denken der Künstlerkuratoren schockartige Kollisionen, faszinierende Brüche und abgründige Perspektiven, die den Muff von hundert Jahren, der sich bei der Depotware angesammelt hat, mit frischem Wind wegblasen. Wenn aber wie bei Spitzmaus Mummy nur Rares für Bares ohne sonderlichen Erkenntniswert zu sehen ist und Festspiele der Zufälligkeit veranstaltet werden, dann möchte man als Museumsbesucher die Romanfigur Bartleby von Herman Melville zitieren: "I would prefer not to."
Ich würde auch gerne mal mit Freundin im KHM machen was ich will und möglicherweise würde auch mir irgendetwas einfallen. Aber ich käme nicht in die New York Times oder Die Zeit.
Und außerdem hätte ich nicht Prada hinter mir, den Koproduzenten der Ausstellung.
Filmemacher Wes Anderson hat mit Gefährtin „zwei Jahre“ im Museum gearbeitet, verrät der einführende Text und ich frage mich, wer inzwischen seine Filme gedreht hat. Die Information, daß hier erstmals alle Sammlungen kooperiert hätten ist ein doppelter Offenbarungseid, weil man sich fragt, ob denn die Synergien zwischen ihnen bisher bloß im Finanziellen gesucht worden sind und zweitens, warum man einen externen Kurator benötigte um diese Idee zu haben: in acht in einen Saal verschachtelte Zimmerchen Objekte so zu ordnen: grüne, aus Holz gemachte, Behältnisse, Kinderporträts uam. Das wars dann schon.
Mit Wunderkammer, wie viele Kritiker schrieben, hat das so viel zu tun wie Tipp-Kick mit FC Barcelona, mit intelligenter Befragung der Museumsordnung der Dinge nichts, mit einer Verschränkung der Sammlungen in Hinblick auf ihre Geschichte nichts, auch nichts in Hinblick auf neue Sinnstiftungen durch Zusammenführung sonst getrennter Objektbestände, mit Erhellung von Bedeutung einzelner Objekte durch überraschende Kontexte nichts, mit einer kritischen Befragung der herrschenden Ordnungen in den permanenten Sammlungen nichts.
Das ganze ist eine Übung zur Frage, wieviel Infantilisierung ein Publikum gerade noch verträgt. Dafür darf man dann aber Objekte von Frau Malouf käuflich erwerben. So um die 250.- Euro das Stück. Schön daß das KHM jetzt auch Kunstmarkt ist und Prada kulturellen Mehrwert verschafft.
Ich überlasse Thomas Mießgang das wort, der zur Ausstellung unter anderem schrieb: „Das garantiert in jedem Fall hohe Quoten im Rahmen einer Ökonomie der Aufmerksamkeit und lässt sich oft auch in Blockbuster ummünzen. Die Museumsleiter erhoffen sich vom wilden Denken der Künstlerkuratoren schockartige Kollisionen, faszinierende Brüche und abgründige Perspektiven, die den Muff von hundert Jahren, der sich bei der Depotware angesammelt hat, mit frischem Wind wegblasen. Wenn aber wie bei Spitzmaus Mummy nur Rares für Bares ohne sonderlichen Erkenntniswert zu sehen ist und Festspiele der Zufälligkeit veranstaltet werden, dann möchte man als Museumsbesucher die Romanfigur Bartleby von Herman Melville zitieren: "I would prefer not to."
Ein rechter Fuß (Objet trouvé)
Originalbeschriftung:
Rechter Fuß einer Statue. Römisch, 1. - 2. Jh.n.Chr.
Rechter Fuß einer Statue. Römisch, 1. - 2. Jh.n.Chr.
Aus Carnuntum (Petronell-Carn7ntum, Niederösterreich)
Bronze. Hohlguss mit Bleiverguss
Inv.Nr. VI 2200
Der Fuß einer Togastatue ist mit dem Schuh der Senatoren (calceus senatoris) bekleidet.
Foto GF
Foto GF
Mittwoch, 12. Dezember 2018
"Römer oder so". Eine der besten Ausstellungen dieser Jahre nur noch bis 6.Jänner zu sehen!
"Römer oder so" im Vorarlbergergmuseum gehört zum Besten, Klügsten und Witzigsten was ich in den letzten Jahren an Ausstellungen gesehen habe. Kuratiert haben die Ausstellung der Hausarchäologe Gerhard Grabherr und die externe Kuratorin Lisa Noggler-Gürtler.
Vordergründig geht es ein römisches Gräberfeld, um Archäologie als Wissenschaft, um Techniken, Funde und Ergebnisse archäologischer Recherche.
Allerdings hatten die lokalen römischen Ausgrabungen für Bregenz und Vorarlberg schon seit dem 19.jahrhundert eine besondere Rolle. Als Teil der Landesgeschichtsschreibung ging es immer auch um jenes "Land" dessen Identität unter anderem in der Geschichte römischer Besiedlung gesucht wurde und dann mit der Gründung des Landesmuseums einen institutionellen Träger der Geschichtskultur Vorarlbergs fand.
Der Witz der Ausstellung ist, wie sie - ohne Fingerzeig und Belehrung -, zeigt, daß die Suche nach "den" Römern nicht wirklich Eindeutiges ergibt. Wer immer zu jener Zeit da lebte, arbeitete, starb und begraben wurde (und damit, zusammen mit der Bestattung zur - unfreiwilligen - Quelle der Geschichts(er)kenntnis wurde), wer der "eigentlich" war, das kann niemnad sagen. Das "die" Römer gibt es ebensowenig wie "wir" Vorarlberger (Österreicher, Telfser, Lavanttaler, Weinviertler, Europäer...).
Interpunktiert von klugen und unterhaltsamen Zeichentrickfilmen zeigt uns also das ausgebreitete Material nicht nur viel über Leben, Bestatten, Ernährn, Hausen oder Kleiden zur "Römerzeit" und viel von der Archäologie als Arbeit des buchstäblichen Ent- und Aufdeckens von Vergangenheit, sondern vor allem das: Identität ist nichts Eindeutiges, Feststellbares, Sicheres.
Ein zusätzlicher Effekt dieser Haltung ist, daß damit - ohne es ausdrücklich zu thematisieren - auch Museen und Ausstellung und natürlich erst recht das veranstaltende Museum in ihrer Rolle als identitätsstiftende Institutionen relativiert werden. Diese reflexive museologische Funktion, die die Austellung wie gesagt nicht extra und ostentativ vor sich her trägt, macht "Römer oder so" zu einer der anspruchsvollsten Ausstellungen, die ich in einem Österreichischen Museum je gesehen habe.
Die Ausstellung korrespondiert damit seit sie 2013 eröffnet wurde die ein gewissem Maß dieser skeptisch-vorsichtigen Haltung, die auch die historische Hauptausstellung auszeichnet, die mehr ein making of Vorarlbergs ist denn ein "so ist es gewesen".
Und noch etwas: Die Ausstellung funktioniert für alle Generationen, ganz ohne Anbiederung oder "Sonderbehandlung" für Kinder und Jugendliche.
Jetzt erfahre ich grade daß sie nur noch bis 6.Jänner 2019 zu sehen ist. Ich gebe zu, ich finde es schade, obwohl sie doch so lange lief, und ich auch unzählige Mal drinnen war. Der Trost ist, das Team bastelt schon an einer anderen Ausstellung.
Also schüre ich mal Versäumnisängsdte und sage: hingehen! So etwas sieht man nicht so oft.
Eintrittskarte Haus der Geschichte Österreich (Entré 152)
Dienstag, 11. Dezember 2018
Essl, Batliner. Eine Sammlung „unter Verdacht“, die andere nicht
Olga Kronsteiner pisackt das Sammlerehepaar Essl schon seit langem hingebungsvoll. (link). Jetzt fordert sie im Standard Provenienzforschung für jene Sammlungsbestände ein, die in Bundesbesitz übergegangen sind. Gut. Soll man machen. Aber dann bitte auch und endlich eine Provenienzoffenlegung und -forschung für die Sammlung Batliner.
Montag, 10. Dezember 2018
Dienstag, 4. Dezember 2018
Montag, 3. Dezember 2018
Das Cellular Jail Museum und Memorial auf den Andamenen-Inseln (Ein Museum)
„Ein Museum“ ist eine Sammlung, die die weltweite Vielfalt von Museen sichtbar machen soll, eine Vielfalt hinsichtlich der Themen, der Methode, der Anlässe und der Ziele. Es ist auch eine Sammlung ungewöhnlicher Museen an oft ungewöhnlichen Orten. Wer alle diese hier gesammelten Museen „besuchen will“, sucht im Verzeichnis der Stichworte (ganz 7nter auf der Seite) „Ein Museum“ und macht dann eine Museumsweltreise...
Die Andamanen-Inseln sind dieser Tage mit einem kaum für glaubhaft gehaltenen Ereignis in die Schlagzeilen geraten. Ein junger US-Amerikaner versuchte in missionarischer Absicht zu einem kaum je kontaktierten Inselvolk vorzudringen und wurde von ihm als Eindringling mit Pfeilschüssen getötet.
Die Andamanen-Inseln gehören heute zu Indien, zuvor waren sie Britische Kronkolonie, also Teil des Kolonialreichs. Die Briten nutzten die entlegenen Inseln als Ort der Verbannung von Strafgefangenen und politischen Häftlingen. Als die Briten nämlich den Indischen Aufstand von 1857 niederschlugen, wurden für die dabei gemachten Gefangenen die Andamanen zum Verbannungsort. Seit 1858 wurden hierher alle Langzeit-Sträflinge, auch politischer Gefangene, der Briten aus Indien in die Verbannung verbracht.
Ende des 19.Jahrhunderts wurde in der Nähe bei Port Blair, der größten Siedlung der Inselgruppe, ein riesiges Gefängnis errichtet, das Cellular Jail. Erst 1937 wurde das Gefängnis als Verbannungsort politischer Gefangener aufgelassen, blieb aber weiter Gefängnis.
1979 wurde das Zellengefängnis zu einem „National Memorial“ Indiens erklärt und in ein Museum zu Ehren der dort von den Briten inhaftierten Kämpfer für die Befreiung Indiens von der britischen Kolonialherrschaft umgewandelt. Bei Wikipedia liest man dazu: „After Independence in 1947, many of the erstwhile Political Prisoners visited the islands. Their association-“Ex-Andaman Political Prisoner’s Fraternity Circle” took up issue with the Government of India, who accepting this proposal agreed to preserve it as National Memorial without making any substantial charge. The Memorial was dedicated to the nation by the then Prime Minister of India on 11th February 1979.„
Auf der Webseite der Regierung der Andamanen liest man: „Cellular Jail, located at Port Blair, stood mute witness to the tortures meted out to the freedom fighters, who were incarcerated in this jail. The jail, completed in the year 1906 acquired the name ‘Cellular’ because it is entirely made up of individual cells for the solitary confinement. It originally was a seven prolonged, puce-coloured building with central-tower acting as its fulcrum and a massive structure comprising honeycomb like corridors. The building was subsequently damaged and presently three out of the seven prongs are intact. The Jail, now a place of pilgrimage for all freedom loving people, has been declared a National Memorial. The jail museum here draws your memories back to those years of freedom struggle.
The Cellular Jail Memorial and Museum at the Andaman Islands
The Andaman Islands have hit the headlines these days with an event that was hardly believed to be credible. A young US-American tried with missionary intention to penetrate to a hardly ever contacted island people and was killed by him as an intruder with arrow shots.
Today the Andaman Islands belong to India, before they were British Crown Colony, part of the colonial empire. The British used the remote islands as a place of exile for prisoners and political prisoners. When the British suppressed the Indian Uprising of 1857, the Andaman Islands became the place of exile for the prisoners. Since 1858, all long-term convicts, including political prisoners, of the British from India were brought here into exile.
At the end of the 19th century a huge prison, the Cellular Jail, was built near Port Blair, the largest settlement of the archipelago. It was not until 1937 that the prison was abandoned as a place of exile for political prisoners, but it remained a prison.
In 1979 the cell prison was declared a "National Memorial" of India and transformed into a museum in honour of the fighters for the liberation of India from British colonial rule imprisoned there by the British. Wikipedia reads: "After Independence in 1947, many of the erstwhile Political Prisoners visited the islands. Their association-"Ex-Andaman Political Prisoner's Fraternity Circle" took up issue with the Government of India, who accepting this proposal agreed to preserve it as National Memorial without making any substantial charge. The Memorial was dedicated to the nation by the then Prime Minister of India on 11th February 1979."
On the Andaman government's website you can read: "Cellular Jail, located at Port Blair, stood mute witness to the tortures meted out to the freedom fighters, who were incarcerated in this jail. The jail, completed in the year 1906 acquired the name 'Cellular' because it is entirely made up of individual cells for the solitary confinement. It originally was a seven prolonged, puce-coloured building with central-tower acting as its fulcrum and a massive structure comprising honeycomb like corridors. The building was subsequently damaged and presently three out of the seven prongs are intact. The Jail, now a place of pilgrimage for all freedom loving people, has been declared a National Memorial. The jail museum here draws your memories back to those years of freedom struggle.
Donnerstag, 22. November 2018
Andrea Brait: Erste Eindrücke vom Haus der Geschichte Österreich
MMag. Dr. Andrea Brait, Assistenzprofessorin am Institut für Zeitgeschichte und am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck, hat freundlicherweise „Erste Eindrücke“ aus dem „Haus der Geschichte Österreich“ zur Veröffentlichung im Blog angeboten. Ich habe das Angebot gerne angenommen, zumal die Artikel in den diversen bekannten Tageszeitungen, die nach der Eröffnung erscheinen sind, kaum mehr als Berichte waren, weitgehend ohne besonders hohen Informationswert und weit entfernt von kritischer Analyse.
Voll – voller – Haus der Geschichte Österreich
Erste Eindrücke
Nach jahrzehntelangen Diskussionen wurde am 10. November 2018 eine neue museale Einrichtung eröffnet. Als Name wurde Haus der Geschichte Österreich gewählt und 2016auch gesetzlich festgelegt, doch bereits vor der Eröffnung der ersten Ausstellung zeigte sich, dass selbst dieser – wie die Zukunft der Einrichtung insgesamt – unsicher ist. Nach wie vor fehlt ein durchgehender politischer und überparteilicher Wille, ein historisches Museum zu gründen, das sich der Geschichte Österreichs (mit „s“!) widmet. Abgesehen von der Frage, was denn „Österreich“ ist und ob „Österreich“ mit nur einem knappen Blick auf die Geschichte vor 1918 verstanden werden kann, gilt es zu klären, welche Trägerschaft einewissenschaftlich unabhängige Arbeit und eine entsprechende Budgetausstattung ermöglichen würde.
Das Haus der Geschichte Österreich behauptet das „erste zeitgeschichtliche Museum der Republik“ zu sein, was in mehrfacher Hinsicht nicht korrekt ist. Erstens gibt es bereits ein Zeitgeschichte Museum in Ebensee, ein Zeitgeschichte MUSEUM in Linz und ein Museum für österreichische Zeitgeschichte im Schloß Scharnstein; zahlreiche weitere Museen in Österreich verfügen über zeitgeschichtliche Sammlungen und stellen Zeitgeschichte aus. Zweitens kann eine Einrichtung, die aufgrund der finanziellen (und in der Folge personellen und räumlichen) Situation kaum in der Lage ist, die zentralen Bereiche der ICOM-Museumsdefinition zu erfüllen, nämlich Objekte zu sammeln, zu bewahren und zu beforschen, schlecht als Museum klassifiziert werden. Die Bezeichnung „Haus“ ist daher für die derzeitige Situation angemessen, doch handelt es sich tatsächlich nur um drei (!) Räume der Geschichte.
Dass es grundsätzlich ein öffentliches Interesse an einer neuen Einrichtung zur Zeitgeschichte gibt, steht außer Zweifel – dies zeigte sich deutlich am Eröffnungswochenende, an demzahlreiche Menschen vor dem Eingang Schlage standen. Wie nachhaltig dieses ist, wird sich erst zeigen – mittlerweile kommt man jedenfalls ohne Wartezeit in die Ausstellung. Dies hat vielleicht auch damit zu tun, dass Besucherinnen und Besucher nun 8 EUR für den Eintritt zahlen müssen (div. Sonderregelungen, Kinder und Jugendliche bis 19 Jahre haben freien Eintritt). Das ist insofern erstaunlich, da das Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Bonn) und das Haus der europäischen Geschichte (Brüssel), die immer wieder als konzeptuelle Vorbilder genannt wurden, gratis besichtigt werden können.
Eröffnet wurde im Haus der Geschichte Österreich keine Dauerausstellung, sondern eineSonderausstellung, die bis 17. Mai 2020 gezeigt werden soll (und die kleinere Wechselausstellung „Nur die Geigen sind geblieben“). In Bezug auf den Titel „Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918“ bleibt offen, inwiefern sich dieser auf den Film „Aufbruch ins Ungewisse“ aus dem 2017 bezieht, in dem – in Umkehrung der aktuellen Situation – eine Fluchtgeschichte von Europa nach Afrika erzählt wird. Will die Ausstellung also eine andere Perspektive ermöglichen? Wenn diese Intention vorhanden ist, dann kann es sein, dass der dazu nötige Blick möglicherweise verstellt ist.
Gezeigt werden knapp 2.000 Objekte auf rund 750 Quadratmetern – eine rekordverdächtige Dichte. Dass bei einem Rundgang von wenigen Stunden in einem Museum nicht alle Objekte entdeckt und alle Texte gelesen werden können, ist grundsätzlich nicht ungewöhnlich, doch wählen die meisten Museen eine Darstellungsform, bei der erkennbar ist, welche Objekte zentral sind. Dies ist im Haus der Geschichte Österreich – vom sogenannten Waldheim-Pferd abgesehen, das aufgrund seiner Größe ins Auge sticht – selten der Fall. Viele interessante und bedeutende Objekte gehen schlichtweg unter, wie beispielsweise:
• Spanischer Reiter als Absperrgitter, um 1933: dieses Objekt ist zusammengefaltet und demnach kaum zu erkennen
• Foto vom 15. März 1933 „Polizei vor dem Parlament“: dieses Bild ist – wie viele andere auch – leider viel zu klein, sodass dessen Bedeutung gar nicht zum Ausdruck kommt
• Pokal des Fußball-Wunderteams für den 8:1-Sieg gegen die Schweiz, mit einem Einschussloch (im Objekttext wird erklärt, dass dieses im Zuge der Kämpfe um den Karl-Marx-Hof 1934 entstand)
• RAVAG-Mikrofon, vermutlich von Schuschnigg am 11.3.1938 verwendet
• Arbeitsversion des Staatsvertrages mit Anmerkungen von Leopold Figl
Es ist den Kuratorinnen und Kuratoren aber zweifelsohne gelungen, viele wichtige Themen anzusprechen, die bislang noch kaum in österreichischen Museen bzw. Ausstellungen thematisiert wurden. Dazu gehören u.a. der Umgang mit der NS-Vergangenheit und Symbole eines gesellschaftlichen Wertewandels (u.a. Regenbogenfahne, mit der eine Wiener Straßenbahn während der Wiener Regenbogenparade 2002 geschmückt war). Irritierend sind jedoch manche Themenzusammenstellungen: Im Ausstellungsbereich „Spielfeld/Špilje1991│2015 – Grenzen schützen“ werden der Slowenienkrieg und die Flüchtlingskrise von 2015 thematisiert – die beiden historischen Ereignisse werden jedoch nicht weiter vertieft und damit auf die Grenzfrage reduziert. Zahlreiche Themen, die für die österreichische Zeitgeschichte im 20. Jahrhundert wesentlich waren, können außerdem auch nach längerem Suchen nicht gefunden werden. Dies betrifft insbesondere Österreichs Außenpolitik, beispielsweise werden die Rolle Österreichs in der KSZE sowie das KSZE-Folgetreffen in Wien (1986–1989) nicht erwähnt – oder derart dezentral, dass sie die Autorin bislang nicht entdeckt hat.
Zur Bedeutung mancher Exponate für die österreichische Zeitgeschichte lässt sich freilichtrefflich streiten. In den Medien sorgte insbesondere das Kleid des Sängers und Travestiekünstlers Thomas Neuwirth für große Aufregung, der 2014 als Conchita Wurst den 59. Eurovision Song Contest gewann. Die Debatten zeigen, dass ein wesentliches Ziel bereits erreicht ist, das von der Leiterin der Einrichtung, Monika Sommer-Sieghart, immer wieder betont wurde: Das Haus der Geschichte Österreich ist ein Diskussionsforum.
Sehr positiv fällt auf, dass das Museum partizipativ ausgerichtet ist – die Besucherinnen und Besucher sollen sich einbringen. Insbesondere fordert das Museum dazu auf, interessante Filme und Fotos zur Verfügung zu stellen, beispielsweise zu den „Energieferien in den 1970er Jahren“. Damit wird auch die Alltagsgeschichte der Österreicherinnen und Österreicher einbezogen; außerdem werden kuratorische Prozesse sichtbar gemacht. Weniger positiv ist die Reproduktion von Klischees, wie dies bei der Selfie-Station mit Bergkulisse der Fall ist.
Es bleibt also zu bilanzieren, dass es im Haus der Geschichte Österreich viel zu entdecken gibt – mehr als bei einem Besuch erfasst werden kann. Eine Dauerlösung kann und soll diese Präsentationsform nicht sein – das Haus der Geschichte Österreich bemüht sich um andere, vor allem größere Räumlichkeiten und diesbezüglich ist es zu unterstützen. Gleichzeitig wären jedoch eine unabhängige Trägerschaft und deutlich mehr Budget wünschenswert, sodass aus den drei Räumen der Geschichte tatsächlich eines Tages ein Museum werden kann – im Idealfall ein Museum zur Geschichte Österreichs, nicht nur zur Zeitgeschichte.
Zur Person: MMag. Dr. Andrea BRAIT. Assistenzprofessorin am Institut für Zeitgeschichte und am Institut für Fachdidaktik der Universität Innsbruck; Lektorin am Institut für Geschichte der Universität Wien, an Pädagogischen Hochschulen (Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol, Vorarlberg, Wien) und am Institut für Geschichte der Stiftung Universität Hildesheim; forscht u.a. zu außerschulischen Lernorten und historischen Museen; Details vgl. https://www.uibk.ac.at/zeitgeschichte/mitarbeiterinnen/mmag.-dr.-andrea-brait.html.de
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