Samstag, 13. August 2016
Donnerstag, 11. August 2016
Das Wort zum Tag
„Die museale Landschaft ist viel zu eintönig nicht zuletzt deshalb, weil der Mut und die Bereitschaft fehlen, jede Ausstellung als einmaliges Experiment zu verstehen.“
Daniel Tyradellis
Daniel Tyradellis
Dienstag, 9. August 2016
Vortrag zum "Haus der Geschichte" bei der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Ein zweites Mal "nein" zum Projekt
Wie kann man Geschichte ausstellen?
I Ein österreichisches historisches Museum? Warum nicht!
Ich stehe dem Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich sehr skeptisch gegenüber, und ich denke, diese Skepsis ist mit vielen Argumenten unterlegt. Das bedeutet aber nicht, daß ich ein österreichisches Geschichtsmuseum für sinnlos und überflüssig halte. Wäre ein solcher Ort nicht wünschenswert? Einer, an dem Prozesse gesellschaftlicher Selbstdeutung und Orientierung stattfinden könnten, an dem uns in der Erfahrung der Differenz der drei Zeithorizonte Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft neue Orientierungsmöglichkeiten eröffnet würden und das alles mit den genuin musealen Mitteln, also im Rückgriff auf dokumentarisch wie identitätsbedeutsame Gegenstände?
Meine Vorstellungen von einem solchen Museum unterschieden sich in so gut wie allen zentralen Merkmalen vom Konzept des Hauses der Geschichte Österreich. Statt einer paternalistischen Gründung und ideologisch fragwürdigen geschichtspolitischen Intervention, würde das Museum aus der Mitte der Zivilgesellschaft entspringen und von ihr getragen werden. Statt überdiskreter Planung in Hinterzimmern der Macht, gäbe es eine klar deklarierte Autorschaft, statt demokratische Offenheit bloß deklamatorisch zu beschwören, würden Partizipation und transparente Planung von Anfang gepflegt.
Statt allein auf die gewiss unverzichtbare fachliche Kompetenz der akademischen Geschichtswissenschaften zu setzen, müsste man sich gewärtig sein, daß es um die Geschichtskultur und politische Kultur allgemein geht und dementsprechend eine ungemein breitere Fachkompetenz wünschenswert wäre, wenn es um die Arbeit an musealer Repräsentation geht. Und ist es denkbar, da heute das Wort Partizipation in aller Munde ist, wo es um Museen und Ausstellungen geht, sich allein auf Experten zu stützen und nicht auch andere Gruppen einzubeziehen?
Methodisch hieße das, von den weitgehend umhinterfragten Prämissen der Historikerausstellung Abstand zu nehmen, also von der Praxis, auf Schriftquellen gestützte Texte zu generieren, denen Objekte alibihaft und illustrativ zugeordnet werden. Im Museum wie ich es mir erträume, müßte man die hohe Kunst der visuell vorgetragenen Argumentation beherrschen - diese seltene Fähigkeit zwischen fachlicher, ästhetischer und museologischer Kompetenz, die nicht einfach deren Quersumme bildet, sondern etwas Anderes, schwer zu Fassendes.
Statt auf so etwas wie kollektive hegemoniale Identität hinzuarbeiten, auf eine - wenngleich nicht offen deklarierte - identitätspolitische Zielsetzung, müsste ein anderes Geschichtsmuseum der Republik auf ein offenes, flexibles Konzept des Projizierens und Verhandelnds von konkurrierenden Identitäten setzen. Die Betreiber eines solchen Museums wüßten, daß Identität auch im Museum, so verführerisch die Institution dafür geeignet erscheint, nicht festzustellen oder festzuhalten ist.
Statt des weitgehend bekannten und voraussehbaren, chronologisch vorgetragenen Kanons von Tatsachen und Ereignissen setzte mein Museum auf eine rabiate Zuspitzung all jener Gegenwartsfragen, die uns beschäftigen und uns beunruhigen. Diese Zuspitzung käme nicht aus dem Museum, sie ist längst in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit derart brisant geworden, daß mir nicht einleuchten will, daß eine Art von neohistorisierender Panoramatik genügen soll, um dem etwas entgegenzusetzen. Eine historisierende Rückschau auf das was und wie es einmal gewesen ist, scheint mir angesichts der Gegenwartsprobleme vollkommen ungenügend.
Der Rückbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates, die Erosion demokratischer Institutionen und Regeln, die Entfesselung destruktiver neoliberaler Ökonomie, ja die Kassierung des Politischen überhaupt, das Anwachsen rechtsextremer Bewegungen, das alles braucht kein Museum als Unschuldskomödie, das uns die gefahrlose Besichtigung unserer politischen Elendslandschaften erlauben soll.
II Das überschätzte Museum
Eine einfachen Frage: Worin besteht der erwünschte Effekt, den das Haus der Geschichte Österreich haben soll? Was wird von ihm erwartet, was soll es leisten?
Ich meine damit nicht Absichten, sondern Effekte, die deklariert werden und deren Eintreten oder Ausbleiben auch kontrolliert werden kann.
In meiner Einladung zur Veranstaltung ist die Rede vom „für unser Land so bedeutenden Projekt“. Sicher, ein historisches Museum wäre etwas Neues in der österreichischen Museumslandschaft. Als Argument taugt das allein aber wenig. Der Hinweis, anderswo gäbe es so etwas, also müße es das endlich auch hier geben, ist weder zwingend noch sachlich richtig. Große nationale Geschichtsmuseen sind in Europa seltener als man glaubt. Ich wüßte weder in London oder Paris oder Rom, einen Ort, wo ich hingehen könnte, um über die Geschichte des Landes umfassend und aktuell informiert zu werden.
Aber worin liegt die Bedeutung der aktuellen Wiener Museumsgründung genau?
Soll das Nationalbewusstsein gestärkt werden? Immerhin war im Entwurf zur Abänderung des Bundesmuseumsgesetzes von nicht weniger die Rede als einer "Stätte der geistig-kulturellen Identität Österreichs“. Geht es allgemein um Sachwissen zur Geschichte Österreichs? Soll das Museum das Geschichtsbewusstsein der breiten Bevölkerung verbessern? Sollen aktuelle gesellschaftliche Probleme im Licht historischer Entwicklungen zur Diskussion gestellt werden? Soll es eine Visitenkarte für Wien-Touristen sein? Ein Informationspool für an Geschichte Interessierter? Ein Medium der Popularisierung der Zeitgeschichtsforschung?
Dieses Ziel ist unklar und Historiker wie Gerhard Botz haben gefordert, im Konzept für das Museum muß das identitätspolitischen Ziel offengelegt werden. Die Antwort darauf ist von den Moderatoren des Projekts nicht zu bekommen.
Stattdessen wird über Inhalte gesprochen, über Periodisierung, über die Tauglichkeit oder z.B. über die Untauglichkeit der Hofburgarchitektur, über den Zeitplan, aber nicht über den gesellschaftspolitischen Sinn des Projektes, den es jetzt, in diesen Tagen, in den kommenden Jahren hat und haben soll.
Da gibt es aber eine zweite Frage: Wieso erwartet man, daß dieses oder jenes Ziel mit den Mitteln des Museums, mit den Mitteln einer Ausstellung tatsächlich erreicht werden kann?
Es scheint so, als wäre das Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich Nutznießer einer diskreten Anerkennung der Institution als solcher - aber unter Aussparung aller seiner strukturellen Widersprüche. Das Museum erscheint als eine Art von black box, die man auf der einen Seite mit guten Absichten, programmatischen Deklarationen und vollmundigen Versprechungen füttert um auf der anderen Seite frisches Geschichtsbewusstsein herauszubekommen.
Ich zitiere die wesentliche Passage des sogenannte Mission Statement des vorliegenden Konzepts: „Das ‚Haus der Geschichte Österreich‘ (…) vermittelt die Geschichte Österreichs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts (…) einem möglichst breiten Publikum in ihrem europäischen und internationalen Kontext und ermöglicht eine historische Auseinandersetzung. Das Haus der Geschichte Österreich wird ein aktives und offenes Diskussionsforum für historische Fragestellungen und Themen der Gegenwart sein.“
Als solches wird es, so der Leiter des Beirates, Oliver Rathkolb, zu „ausgeprägtem kritischen Geschichtsbewusstsein“ beitragen und zu „positivem Demokratiebewußtsein“. Wie Oliver Rathkolb ist auch Johanna Rachinger als Leiterin der Nationalbibliothek, der das Haus der Geschichte eingegliedert wird, in zentraler verantwortlicher Position. Ihr geht es um eine „kritische Erinnerungskultur“, um die „offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte“ und die „Vermittlung eines wissenschaftlich fundierten Geschichtsbildes“. Nicht daß man solchen Zielen nicht gerne zustimmen wollte, aber warum wird die Frage ausgeklammert, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln alle diese und andere hehre Ziele denn erreicht werden können?
Noch nie ist ein Museum allein wegen eines schriftlichen Konzepts gelungen. Sondern immer erst in seiner organisatorischen und museografischen Realisierung. Dazu findet sich kaum etwas im Konzept und ein Mitglied des Beirates hat mir glaubhaft versichert, daß ein bereits verfasster museologischer Teil komplett aus dem Konzept wieder herausgenommen wurde. Warum? Ist er misslungen?
Das Museum ist ein höchst komplexes aus vielen Medien zusammengesetztes hybrides aber auch plastisches Medium mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Gestaltbarkeit auf allen Ebenen. Aber sein Status zwischen Wissenschaft, Kunst, Ästhetik und Didaktik ist unklar und auch die Autorschaft oszilliert zwischen den Rollen des Wissenschafters und Künstlers, zwischen wissenschaftlicher und sehr spezifischer ästhetischer Kompetenz. Haben die gerade die Historiker und Historikerinnen?
Interessant ist, daß zum ersten Mal, der Ruf nach Museologen erhoben wird. Aber Museologie ist weder ein Beruf noch eine Wissenschaft, eher ein Feld von Forschungen und Diskursen der unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen deren Gemeinsamkeit ist, sich mit dem "Museum als Schlüsselphänomen der Moderne" (Sharon MacDonald), zu beschäftigen.
Alle meine Fragen lassen sich in einer bündeln: Kann die wissenschaftliche und künstlerische Repräsentationen der Vergangenheit, wie sie Museen und Ausstellungen zu leisten beanspruchen, ganzen Gesellschaften oder zumindest Gruppen von ihnen Identität, Selbstwert, Erinnerungsfähigkeit oder Reflexionswissen vermitteln?
III Zwischen dem Gewissheitsanspruch der Geschichtsdidaktik und dem Generalverdacht der Undarstellbarkeit der Geschichte
Die Antwort auf die Frage der Repräsentierbarkeit von Geschichte vermeint man in einer Methodik oder Didaktik des Museums zu finden, in der besonderen Art und Weise des Zeigens und Zu-Sehen-Gebens, des Arrangieren von Objekten, des räumlichen Inszenierens, des Kommentierens durch Texte oder weitere Objekte. Wohl wegen meiner museologischen und ausstellungspraktischen Erfahrung hat man mich gebeten, über die Darstellbarkeit von Geschichte zu sprechen.
Allerdings ist das Thema derart komplex und es gibt theoretisch wie praktisch derart viele Antworten auf diese Frage. Es ist nicht möglich hier auch nur annähernd die diversen Optionen darzustellen und an Beispielen zu illustrieren. Deshalb habe ich mich entschieden, eine sehr enge Auswahl zu treffen. In ihr liegt der Schwerpunkt auf der Formierung des Publikums, auf der Herstellung von Öffentlichkeiten, und nicht auf Objekten, Medien und Inszenierung.
Der Grund für die Auswahl liegt darin, daß ich damit, statt mich allgemein zu halten, jenen Formen von Vermittlung Aufmerksamkeit schenke, die in unserem Fall, also bei einem historischen - und wie immer auch - „nationalen“ Museum mir wünschbar scheinen. Meine Beispiele illustrieren also nicht nur eine bestimmte Form der Geschichtsvermittlung, sondern ich habe sie auch als Anregung gewählt, für ein Haus der Geschichte Österreich an derartige Praktiken zu denken und sich an ihnen zu messen.
Als Kriterien der Auswahl dienten mir zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist die Frage, wie Ausstellungen mit dem zivilisierend-rituellen, dem vergesellschaftungs- und öffentlichkeitsbildenenden Potential umgehen, das meiner Überzeugung nach den Kern des europäischen Aufklärungsprojektes Museum ausmacht. Den anderen Aspekt borge ich mir von Heidemarie Uhl. Sie hat in ihrem Beitrag in der Tagungsdokumentation zum Haus der Geschichte Österreich die Undarstellbarkeit der Geschichte als unvermeidliche Grundbedingung moderner Geschichtsdarstellung angeführt. Ausstellungen machen hieße, ich zitiere sie, die „Gemachtheit und Kontingenz der Geschichtserzählung“ anzuerkennen und erkennbar zu machen. Dem stimme ich zu und aus dieser Einsicht heraus sind ja auch viele faszinierende Projekte entstanden.
Die ehemalige Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien
Wenn ich beide Aspekte zusammenfüge, fällt mir als erstes die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien ein, die bis 2011 bestanden hat und die auf Anordnung der damals bestellten neuen Leiterin abgebrochen wurde.
Die damalige Chefkuratorin des Museums, Felicitas Heimann-Jelinek und der Architekt Martin Kohlbauer konzipierten in einem salonartigen Raum des Palais Eskeles eine aus Hologrammen bestehende Platzstruktur.
Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Raum sieht er sich umgeben von Bildern. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Objekte auf, Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder wendet.
Die Kuratorin schrieb dazu: „Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“
Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.
Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der Mitte des Gevierts gerückte Block – der ganz allgemein die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert - trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt ebenfalls keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. 05_Hologramme von Synagogen
Die Hologrammbilder vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.
Die voids des Jüdischen Museums Berlin
Noch radikaler hat sich der Architekt Daniel Libeskind bei seiner Architektur des Jüdischen Museum Berlin jeder Repräsentation verweigert. Hier gibt es Räume, die von Spuren, Bedeutungen, von Objekten vollkommen frei sein sollen. Er entwickelte die Architektur nicht für ein Ensemble von mit Objekten bespielbarer Ausstellungsräume, was, soweit ich sehe, in der Geschichte der Museumsarchitektur insofern einzigartig ist, als damit die Last der Repräsentation von der Sammlung und Ausstellung auf die Architektur übertragen wird. Im Grunde macht sie eine Ausstellung und Objekte entbehrlich, allerdings um den Preis extremer Abstraktion. Hier gibt es keine Vermittlung zwischen Dingen und Besuchern, keine Erzählung, sondern einen evokativen Raum, in dem sich Erinnern einstellen kann - oder auch nicht.
Libeskind schuf mehrere durch die Geschosse führenden, schachtartigen Räume, sogenannte voids. Es gab aber auch mitten im Museum einen voided void, also, wenn das überhaupt denkbar ist, so etwas wie eine geleerte Leere. Dieser voided void ist nicht betretbar aber man kann in ihn hineinsehen.
Die voids wurden z.T. zur Installation von Kunstwerken genutzt aber auch, und das war die Intention des Architekten, als Räume der Kontemplation, der Erinnerung und des Eingedenkens.
Es geht auch beim Jüdischen Museum in Berlin um ein Sich-Sammeln, wie im Grunde bei jedem Museum, um eine Sammeln von Personen um Objekte zum Zweck der Selbstdeutung. Wo aber Objekte fehlen, wie hier, kann im geglückten Fall, liebendes Eingedenken freigesetzt werden, wie in unvordenklichen Zeiten, da Bild und Text das Erinnern noch nicht stützten, eine Erinnerungspraxis, deren mythologischen Agentinnen, die Musen, die sich des Gesangs und Tanzes als Medium bedienten, der modernen institutionellen Erinnerungsform des Museums ihren Namen geliehen haben.
Ein Viertel Stadt. Jüdisches Museum Hohenems
Methodisch und strategisch ungleich pragmatischer ist da das Jüdische Museum im Vorarlbergischen Hohenems gewesen, das meiner Beobachtung nach derzeit interessanteste Museum Österreichs. Es hat mit der Projektreihe Ein Viertel Stadt eine sehr inspirierende Form der Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte entwickelt. Im Teilprojekt „Belichtete Häuser“, wurden nach intensiven Recherchen zur Hausgeschichte einige Schlüsselobjekte der Gemeinde sozusagen bespielt, an mehreren sommerlichen Abenden, mit Projektionen von Texten, Bildern, Dokumenten usw. zur Haus- und Familiengeschichte.
Angesichts teils spekulativer Überlegungen zu Abriss und Bautätigkeit inmitten des ehemaligen Jüdischen Viertels, gab das Projekt gewissermaßen dem Stadtteil und seinen Bewohnern vergessene oder verdrängte Geschichte zurück. Es war eine Konfrontation mit verschütteter Erinnerung, sicherte Spuren der vernichteten jüdischen Gemeinde und stellte Fragen nach dem sinnvollen Umgang mit dem Viertel.
Greifbarstes Ergebnis war die Beendigung der Nutzung der baulich erhaltenen barocken Synagoge als Feuerwehrdepot und deren Umwidmung zum Versammlungsraum, den das Museum aber auch die Stadt nutzen. Bis heute wirkt diese Ausstellung ganz praktisch in Politik, Stadtplanung und öffentlich-kommunalen Debatten nach.
Statt auf Besucher zu warten, stellt das Museum hier von sich aus ein Stück Öffentlichkeit aktiv her, in diesem Fall auch außerhalb seiner Mauern, und bildet damit einen Raum für demokratische Debatten und auf sie aufbauende Entscheidungsgrundlagen. Dabei war und ist ein Umstand hier ganz besonders wichtig. Das Hohenemser Jüdische Museum ist aus einer noch dazu höchst kontroversen zivilgesellschaftlichen Debatte entstanden und hat bis heute diese Verankerung in einer inzwischen buchstäblich weltweit existierenden Community vertieft.
Democracy. Group Material. New York
1988-89 organisierte die New Yorker Künstlergruppe Group Material auf Einladung der Dia Art Fundation unter dem Titel Democracy eine mehrteilige Veranstaltung darunter eine multithematische Ausstellung. Hier wird das Ausstellen direkt und explizit zum sozialen und diskursiven Raum und zur Öffentlichkeit, die sich ihrer fundamental politischen Rolle bewußt ist.
Es gab vier nichtöffentliche ExpertInnen-Diskussionen, vier Ausstellungen und vier öffentliche Foren, sogenannte town meetings. Die Ausstellungen genügten sich nicht selbst, sondern bildeten für die Debatten Informationsmöglichkeiten und Kontexte zu den vier Hauptthemen Education, Politics and Election, Cultural Partizipation und AIDS and Democracy. Die town meetings fanden in den Ausstellungsräumlichkeiten statt. Das heißt, der Stoff der Ausstellung war unmittelbar auch Stoff der Debatten.
Bemerkenswert scheint mir hier einerseits die Vermischung der Formgelegenheiten, Ausstellung, künstlerische Installation, soziale Intervention, Vermittlung, politischer Intervention. Dann vor allem aber der Umstand, daß hier durchaus in der Tradition des Museums selbst und seiner Genese im Kontext von bürgerlicher Aufklärung und Revolution, ein dezidiert politischer Begriff von Öffentlichkeit ins Spiel gebracht wird. Vergessen wir nicht, daß einer der ältesten Erprobungsräume liberaler Öffentlichkeit die Kunstausstellungen der Königlichen Akademie in Paris war. Museen waren von Anfang Orte der Konstituierung von Gesellschaftlichkeit im Medium diskursiver Öffentlichkeit. Democracy von Group Material zielt direkt ins Herz der politischen Öffentlichkeit, indem Demokratie in demokratischer Form und inhaltlich zum Thema gemacht wird. Democracy zeigt uns, wie man selbstreflexiv an Demokratie arbeiten kann.
Flamme eternelle. Musée d’Art moderne de la Ville de Paris
Heute würde man das Projekt von Group Material vielleicht mit dem in der Theorie des Kuratierens modischen Begriff der contact zone bezeichnen. Damit sind gesellschaftliche Räume gemeint, keineswegs nur museale, in denen AkteurInnen mit unterschiedlichen Positionen und Anliegen aufeinandertreffen und diese miteinander und alltäglich austauschen und sich mit ihnen konfrontieren. Ans Museum richtet sich das wie ein Appell, unterschiedliche Wissensformenen zu verhandeln. Weder werden existierende Machtverhältnisse damit aus der Welt geschafft, noch jene idealtypische Gleichheit aller hergestellt, die im habermasschen Modell bürgerlicher liberaler Öffentlichkeit idealtypisch behauptet wird. Stattdessen ist eine „unebene Reziprozität“ (James Clifford) zwischen Teilnehmerinnen bzw. Gruppen zu erwarten, also auch konfliktträchtiges Aufeinanderprallen von Interessen. Der Idee der contact zone liegt ein radikal-partizipatives Verständnis zugrunde, daß ein Ort unterschiedliche Öffentlichkeiten integrieren kann. Das kann eben auch ein Museum sein, oder eine Ausstellung, an dem Menschen aus freien Stücken und in frei gewählter Form der Kooperation und des Diskurses zusammenkommen.
Als ich vor Jahren unerwartet beim Besuch des Palais de Tokyo in Paris in die Installation flamme eternelle von Thomas Hirschhorn geraten bin, war ich unversehens Teil einer Versammlung um eine Art Lagerfeuer, Hestia, Grillplatz, Ewiges Licht, denn die flamme eternelle loderte tatsächlich und es hatte sich grade ein Cellospieler und im Zuhören versunkene Menschen um sie wie in einem feierlichen Moment unbestimmter Ritualität versammelt.
Während es beim Projekt von Group Material um einen politisch-didaktischen Impuls geht, bei Belichteten Häusern um eine relativ klar umrissene Debatte um Geschichte und Gestalt einer Stadt, bleibt bei einem künstlerisch-politischen Projekt wie flamme eternelle der Inhalt offen. Denn Partizipation macht nur so weit Sinn, als Kuratoren ihre Deutungsmacht, ihre Macht der Auswahl und Ordnung zugunsten anderer aufgeben. Im Grunde ist Partizipation niemals vollständig zu erreichen, denn entweder es bleibt immer ein Rest auktorialer Macht bei einem Kurator oder bei Veranstaltern oder es geht über diesen Punkt hinaus bis zu einer Selbstermächtigung einer Gruppe, die aber dann selbst die Autorschaft übernimmt. Flamme eternelle ist so ein Ort, der sehr weit der Selbstbestimmung seiner Nutzergemeinschaft überlassen wurde. Hier war zwar der Künstler, Thomas Hirschhorn täglich anwesend und in seiner Biografie wird flamme eternelle wie ein Werk angeführt, aber das ist hier ein Rahmen, eine Gelegenheit, ein Ort, der genutzt werden kann, ohne Barriere eines Eintrittsgeldes in der Zeit von 12 Uhr Mittag bis Mitternacht, täglich und der damit auch die museale Institution transformiert, in den er implementiert ist.
Partizipation ist insofern aporetisch, als sie, ernst genommen und konsequent realisiert, sich selbst abschafft. Ich denke, das war das Dilemma, das ich instinktiv bei mehrmaligen Besuch der Ausstellung im Pariser Museum spürte. Im Alltag fühlten sich die Räume nach wenig mehr an als Freizeiträume mit sehr begrenztem Unterhaltungswert. Aber möglicherweise war ja auch das durch das Konzept gedeckt. Und was da alles stattgefunden haben mag, das konnte sich mir als Zufalls-Zuschauer nicht erschließen. Denn es gab Auftritte von über zweihundert Experten, was flamme eternelle auch zu einer Art welcome center für Intellektuelle machte und die Frage aufwirft, ob ein ausdrücklicher Wunsch Hirschhorns in Erfüllung gegangen sein kann, ein nicht exklusives Publikum anzulocken.
63 Jahre danach. Graz 2010ff.
Im Jahr 2008 beauftragte der Steirische Landtag und die Landesregierung Jochen Gerz - ich zitiere - „ ein Gedenkzeichen zum Machtmissbrauch in der NS-Zeit zu entwickeln“. Ein Teil des Projektes war eine 2008 enthüllte und erinnernde Inschrift im Grazer Burgtor. Der zweite, ab 2010 in Graz und einigen steirischen Gemeinden präsente Teil, mit dem Titel 63 Jahre danach, war das Ergebnis eines sorgfältig konzipierten und komplexen Prozesses, in den steirische Politiker und die Bevölkerung einbezogen worden waren.
Am Beginn stand die Bildung einer interdisziplinären Forschungsgruppe aus steirischen Historikern, Kunsthistorikern, Soziologen, Germanisten, die sich auf die Suche nach Fotografien machten, die den Nationalsozialismus in der Steiermark dokumentierten. 96 der ausgewählten Fotografien wurden in der Kleinen Zeitung veröffentlicht und dort kommentiert. Dann wurde die Leserschaft aufgefordert, eine weitere Auswahl zu treffen, in der die Zahl der Fotodokumente auf die Hälfte, 48, reduziert wurde.
Diese Fotos werden nun den Landtagsabgeordneten mit der Bitte um einen persönlichen Text zu jeweils einem Foto vorgelegt. Deren Texte wurden wiederum in der Zeitung publiziert. Daraus wählt wiederum die Leserschaft 24 Beiträge aus und die 24 Plätze in Graz und in steirischen Gemeinden, an denen Texte und Bilder gezeigt werden.
Was komplizierter als eine Dogenwahl klingt, ermöglichte eine einzigartige Verschränkung noch dazu normalerweise gegeneinender abgeschotteter Öffentlichkeiten. „63 Jahre danach“ verschränkt Politik, Medien und Gesellschaft in eine einzige großen Interaktion und es entstehen mehrmals innerhalb des Entstehungsprozesses Räume autonomer Autorschaft. Selbst die Zeitung zieht sich, etwa ein ganzes Jahr lang, auf sachliche Berichterstattung und Dokumentation zurück und wird, zumindest auf Zeit, selbst zum Medium für von ihr nicht kontrollierbarer oder formierbarer Teilöffentlichkeiten. Politiker treten aus ihrer repräsentativen Rolle heraus und artikulieren sich auch als Privatpersonen, die mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen über die Zeitdifferenz von dreiundsechzig Jahren hinweg direkt und indirekt über die aktuelle Bedeutung und Brisanz der subjektiven wie kollektiven Erinnerungen räsonieren. Sie werden damit wiederum zu einem Teil jener Zivilgesellschaft, die in der Leserschaft der Zeitung repräsentiert ist.
Zu den vielen außergewöhnlichen Qualitäten gehörte zum Beispiel auch die Aufmerksamkeit für die Dialektik von Stadt und Land - auf deren brisante gesellschaftspolitische Bedeutung uns eben die Bundespräsidentenwahl noch einmal nachdrücklich hingewiesen hat. Es gab ja Projektstationen in Graz und in einer Handvoll von Gemeinden, wobei es sich zeigte, daß sich einige Gemeinden der Aufstellung verweigerten.
Eine andre Besonderheit: Die Arbeitsgruppe, die eingesetzt wurde, um mit der Auswahl der Fotografien den ersten Schritt ins Projekt hinein zu machen, war interdisziplinär. Obwohl es ein zeitgeschichtliches Projekt war, überließ man es nicht allein der akademischen Geschichtswissenschaft. Ich könnte mir vorstellen, daß man diesen Kreis noch bunter hätte machen können.
Last but not least war auch das Landesmuseum involviert, und zwar als organisatorischer Rahmen, als Instanz der Realisierung in engster Kooperation mit Jochen Gerz. Das Museum trat aber nicht als Mitautor auf, wenngleich Werner Fenz, damals Leiter des dem Joanneum eingegliederten Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, Initiator war, griff nirgends inhaltlich in den Prozess ein und war auch kein räumlicher Gastgeber. Es gab eben keine Museumsausstellung, sondern, wenn man dem überhaupt einen Namen geben will, Interventionen oder Installationen im öffentlichen Raum, die dann jahrelang gezeigt wurden.
IV Nein
Museen sind Orte der Selbstdarstellung und Selbstauslegung von Gesellschaften und Gemeinschaften. In Museen sammeln sich Menschen um Gesammeltes und konstituieren sich dadurch als Publikum. Es geht ums Sammeln und ums Sich-Sammeln. Über Gegenstände und ihre Ausstellung und Ordnung deuten Menschen ihre Herkunft und Zukunft vor allem aber den Grund und den Zweck ihrer Zusammengehörigkeit.
Als Versammlung um eine Sammlung bilden die Beteiligten ein zivilisierendes Ritual, in dem sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischt, in der der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten geprüft und abgewogen wird.
Insofern bildet und bietet das Museum einen Raum liberaler bürgerlicher Öffentlichkeit, mit der das Museum genealogisch verbunden ist und durch das es selbst politisch und demokratisch wird, sofern es aus dem Diskurs niemanden ausschließt und sich die Beteiligten in wechselseitiger Anerkennung begegnen können.
Öffentlich ist das Museum aber vor allem als vom Staat im Interesse der Gesellschaft eingerichtete, in ihrem Namen treuhänderisch verwaltete und aus Steuermitteln unterhaltene Institution, die, neben vielen anderen, einem Gesellschaftsziel dient. Seit den frühen republikanischen Verfassungen wird dieses Ziel mit allgemeiner und sozialer Wohlfahrt beschrieben.
Eine dritte öffentliche Funktion von Museen besteht in der symbolischen Vergemeinschaftung. Zum ersten Mal an den Museen greifbar, die in der Französischen Revolution gegründet wurden, ist das Museum ein sozialer Ort, nicht weniger als einer der Teilhabe der Bürger am Gründungsakt einer Nation. Sie konstituieren die neue Gesellschaft und reziprok werden sie, die Bürger durch diese Teilhabe zu Staatsbürgern.
Diese Form der Teilhabe steht ab nun, auch als verbrieftes demokratisches Recht, etwa in der Form des Rechtes auf Bildung in der Französischen Verfassung von 1793, jedermann zu und verleiht dem Ritual, mit dem sich Menschen im Museum zum Publikum zusammenfinden, eine bislang nicht denkbare und im Sammelwesen der frühen Neuzeit auch nicht angelegte politische und soziale Bedeutung.
Das Museumsritual ist unter den Bedingungen einer demokratisch verfassten Gesellschaft überdeterminiert. Denn die Frage nach dem Grund der Gesellschaft, nach ihrem Zusammenhalt, zielt einerseits auf eine Antwort die definitiv gültig sein soll. Andrerseits darf der Platz der Macht nie und schon gar nicht auf Dauer besetzt werden. In der Demokratie darf und kann es kein Objekt geben, das den Platz der Macht auf Dauer besetzt. Der geregelte und kontinuierliche Wechsel der Macht ist ein essentielles Strukturmerkmal von Demokratien.
Dazu gehört aber auch die Ahnung, dass es unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint und zusammenhält. Wie immer man es nennen will, Patrimoine, Erbe, Heritage, I beni culturali, dieses Objekt das wir und das Museum vermeintlich besitzen, es entzieht sich uns ständig.
Ein Museum, das dieser Problemlage standhält, muß genau jene Eigenschaften besitzen, die auch angesichts der schwierigen Frage der Darstellbarkeit bzw. Undarstellbarkeit von Geschichte nötig sind. Angesichts der Unmöglichkeit, Identität festzustellen und festzuschreiben, etwa in einer großen nationalen Erzählung, bedarf es einer Reflexivität, die sich nicht nur auf Inhalte richtet, sondern auf das Verfahren.
Anders gesagt, ein Museum, das das Eigenschaftswort demokratisch zu Recht beanspruchen kann, bedarf einer doppelten Reflexivität. Es muß einerseits der Konstruktivität und Kontingenz des Vermittelten jederzeit gewärtig sein und andrerseits der Mechanismen der visuellen Repräsentation im Feld des Politischen. So fällt die Entscheidung, ob und wie weitgehend ein Museum demokratisch ist oder nicht.
Und wenn das Museum, genealogisch und strukturell ein Ort der gesellschaftlichen Selbstauslegung und -deutung ist, dann muß es sich selbst als Ort des Konflikts und des „polarisierenden Umdenkens“ (Jürgen Habermas) ausbilden, dann fungiert es als „agonistische Arena“, wo Demokratie immer wieder neu hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden soll.
Davon ist das vorliegende Konzept nicht nur weit entfernt, es hat im Gegenteil Züge einer paternalistischen, geschichtspolitischen und hegemonialen Intervention, durch die die abgestandene Luft großkoalitionärer Politik weht und in dem keine Funken geschichtstheoretischer, ästhetischer und museologischer Innovation zünden.
Ich habe deshalb keinen Grund, meine Meinung, die ich auf der Tagung im Oktober vorgestellt habe, zu ändern. Damals habe ich gesagt: Ein Museum kann nicht nur von Demokratie sprechen, wie es im Konzept für ein Haus der Geschichte in der Neuen Burg der Fall ist, es muss auch selbst unter demokratischen Bedingungen entstehen und arbeiten.
Deshalb auch heute noch einmal: Ein klares Nein zu diesem Projekt.
Gottfried Fliedl
im August 2016
I Ein österreichisches historisches Museum? Warum nicht!
Ich stehe dem Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich sehr skeptisch gegenüber, und ich denke, diese Skepsis ist mit vielen Argumenten unterlegt. Das bedeutet aber nicht, daß ich ein österreichisches Geschichtsmuseum für sinnlos und überflüssig halte. Wäre ein solcher Ort nicht wünschenswert? Einer, an dem Prozesse gesellschaftlicher Selbstdeutung und Orientierung stattfinden könnten, an dem uns in der Erfahrung der Differenz der drei Zeithorizonte Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft neue Orientierungsmöglichkeiten eröffnet würden und das alles mit den genuin musealen Mitteln, also im Rückgriff auf dokumentarisch wie identitätsbedeutsame Gegenstände?
Meine Vorstellungen von einem solchen Museum unterschieden sich in so gut wie allen zentralen Merkmalen vom Konzept des Hauses der Geschichte Österreich. Statt einer paternalistischen Gründung und ideologisch fragwürdigen geschichtspolitischen Intervention, würde das Museum aus der Mitte der Zivilgesellschaft entspringen und von ihr getragen werden. Statt überdiskreter Planung in Hinterzimmern der Macht, gäbe es eine klar deklarierte Autorschaft, statt demokratische Offenheit bloß deklamatorisch zu beschwören, würden Partizipation und transparente Planung von Anfang gepflegt.
Statt allein auf die gewiss unverzichtbare fachliche Kompetenz der akademischen Geschichtswissenschaften zu setzen, müsste man sich gewärtig sein, daß es um die Geschichtskultur und politische Kultur allgemein geht und dementsprechend eine ungemein breitere Fachkompetenz wünschenswert wäre, wenn es um die Arbeit an musealer Repräsentation geht. Und ist es denkbar, da heute das Wort Partizipation in aller Munde ist, wo es um Museen und Ausstellungen geht, sich allein auf Experten zu stützen und nicht auch andere Gruppen einzubeziehen?
Methodisch hieße das, von den weitgehend umhinterfragten Prämissen der Historikerausstellung Abstand zu nehmen, also von der Praxis, auf Schriftquellen gestützte Texte zu generieren, denen Objekte alibihaft und illustrativ zugeordnet werden. Im Museum wie ich es mir erträume, müßte man die hohe Kunst der visuell vorgetragenen Argumentation beherrschen - diese seltene Fähigkeit zwischen fachlicher, ästhetischer und museologischer Kompetenz, die nicht einfach deren Quersumme bildet, sondern etwas Anderes, schwer zu Fassendes.
Statt auf so etwas wie kollektive hegemoniale Identität hinzuarbeiten, auf eine - wenngleich nicht offen deklarierte - identitätspolitische Zielsetzung, müsste ein anderes Geschichtsmuseum der Republik auf ein offenes, flexibles Konzept des Projizierens und Verhandelnds von konkurrierenden Identitäten setzen. Die Betreiber eines solchen Museums wüßten, daß Identität auch im Museum, so verführerisch die Institution dafür geeignet erscheint, nicht festzustellen oder festzuhalten ist.
Statt des weitgehend bekannten und voraussehbaren, chronologisch vorgetragenen Kanons von Tatsachen und Ereignissen setzte mein Museum auf eine rabiate Zuspitzung all jener Gegenwartsfragen, die uns beschäftigen und uns beunruhigen. Diese Zuspitzung käme nicht aus dem Museum, sie ist längst in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit derart brisant geworden, daß mir nicht einleuchten will, daß eine Art von neohistorisierender Panoramatik genügen soll, um dem etwas entgegenzusetzen. Eine historisierende Rückschau auf das was und wie es einmal gewesen ist, scheint mir angesichts der Gegenwartsprobleme vollkommen ungenügend.
Der Rückbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates, die Erosion demokratischer Institutionen und Regeln, die Entfesselung destruktiver neoliberaler Ökonomie, ja die Kassierung des Politischen überhaupt, das Anwachsen rechtsextremer Bewegungen, das alles braucht kein Museum als Unschuldskomödie, das uns die gefahrlose Besichtigung unserer politischen Elendslandschaften erlauben soll.
II Das überschätzte Museum
Eine einfachen Frage: Worin besteht der erwünschte Effekt, den das Haus der Geschichte Österreich haben soll? Was wird von ihm erwartet, was soll es leisten?
Ich meine damit nicht Absichten, sondern Effekte, die deklariert werden und deren Eintreten oder Ausbleiben auch kontrolliert werden kann.
In meiner Einladung zur Veranstaltung ist die Rede vom „für unser Land so bedeutenden Projekt“. Sicher, ein historisches Museum wäre etwas Neues in der österreichischen Museumslandschaft. Als Argument taugt das allein aber wenig. Der Hinweis, anderswo gäbe es so etwas, also müße es das endlich auch hier geben, ist weder zwingend noch sachlich richtig. Große nationale Geschichtsmuseen sind in Europa seltener als man glaubt. Ich wüßte weder in London oder Paris oder Rom, einen Ort, wo ich hingehen könnte, um über die Geschichte des Landes umfassend und aktuell informiert zu werden.
Aber worin liegt die Bedeutung der aktuellen Wiener Museumsgründung genau?
Soll das Nationalbewusstsein gestärkt werden? Immerhin war im Entwurf zur Abänderung des Bundesmuseumsgesetzes von nicht weniger die Rede als einer "Stätte der geistig-kulturellen Identität Österreichs“. Geht es allgemein um Sachwissen zur Geschichte Österreichs? Soll das Museum das Geschichtsbewusstsein der breiten Bevölkerung verbessern? Sollen aktuelle gesellschaftliche Probleme im Licht historischer Entwicklungen zur Diskussion gestellt werden? Soll es eine Visitenkarte für Wien-Touristen sein? Ein Informationspool für an Geschichte Interessierter? Ein Medium der Popularisierung der Zeitgeschichtsforschung?
Dieses Ziel ist unklar und Historiker wie Gerhard Botz haben gefordert, im Konzept für das Museum muß das identitätspolitischen Ziel offengelegt werden. Die Antwort darauf ist von den Moderatoren des Projekts nicht zu bekommen.
Stattdessen wird über Inhalte gesprochen, über Periodisierung, über die Tauglichkeit oder z.B. über die Untauglichkeit der Hofburgarchitektur, über den Zeitplan, aber nicht über den gesellschaftspolitischen Sinn des Projektes, den es jetzt, in diesen Tagen, in den kommenden Jahren hat und haben soll.
Da gibt es aber eine zweite Frage: Wieso erwartet man, daß dieses oder jenes Ziel mit den Mitteln des Museums, mit den Mitteln einer Ausstellung tatsächlich erreicht werden kann?
Es scheint so, als wäre das Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich Nutznießer einer diskreten Anerkennung der Institution als solcher - aber unter Aussparung aller seiner strukturellen Widersprüche. Das Museum erscheint als eine Art von black box, die man auf der einen Seite mit guten Absichten, programmatischen Deklarationen und vollmundigen Versprechungen füttert um auf der anderen Seite frisches Geschichtsbewusstsein herauszubekommen.
Ich zitiere die wesentliche Passage des sogenannte Mission Statement des vorliegenden Konzepts: „Das ‚Haus der Geschichte Österreich‘ (…) vermittelt die Geschichte Österreichs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts (…) einem möglichst breiten Publikum in ihrem europäischen und internationalen Kontext und ermöglicht eine historische Auseinandersetzung. Das Haus der Geschichte Österreich wird ein aktives und offenes Diskussionsforum für historische Fragestellungen und Themen der Gegenwart sein.“
Als solches wird es, so der Leiter des Beirates, Oliver Rathkolb, zu „ausgeprägtem kritischen Geschichtsbewusstsein“ beitragen und zu „positivem Demokratiebewußtsein“. Wie Oliver Rathkolb ist auch Johanna Rachinger als Leiterin der Nationalbibliothek, der das Haus der Geschichte eingegliedert wird, in zentraler verantwortlicher Position. Ihr geht es um eine „kritische Erinnerungskultur“, um die „offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte“ und die „Vermittlung eines wissenschaftlich fundierten Geschichtsbildes“. Nicht daß man solchen Zielen nicht gerne zustimmen wollte, aber warum wird die Frage ausgeklammert, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln alle diese und andere hehre Ziele denn erreicht werden können?
Noch nie ist ein Museum allein wegen eines schriftlichen Konzepts gelungen. Sondern immer erst in seiner organisatorischen und museografischen Realisierung. Dazu findet sich kaum etwas im Konzept und ein Mitglied des Beirates hat mir glaubhaft versichert, daß ein bereits verfasster museologischer Teil komplett aus dem Konzept wieder herausgenommen wurde. Warum? Ist er misslungen?
Das Museum ist ein höchst komplexes aus vielen Medien zusammengesetztes hybrides aber auch plastisches Medium mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Gestaltbarkeit auf allen Ebenen. Aber sein Status zwischen Wissenschaft, Kunst, Ästhetik und Didaktik ist unklar und auch die Autorschaft oszilliert zwischen den Rollen des Wissenschafters und Künstlers, zwischen wissenschaftlicher und sehr spezifischer ästhetischer Kompetenz. Haben die gerade die Historiker und Historikerinnen?
Interessant ist, daß zum ersten Mal, der Ruf nach Museologen erhoben wird. Aber Museologie ist weder ein Beruf noch eine Wissenschaft, eher ein Feld von Forschungen und Diskursen der unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen deren Gemeinsamkeit ist, sich mit dem "Museum als Schlüsselphänomen der Moderne" (Sharon MacDonald), zu beschäftigen.
Alle meine Fragen lassen sich in einer bündeln: Kann die wissenschaftliche und künstlerische Repräsentationen der Vergangenheit, wie sie Museen und Ausstellungen zu leisten beanspruchen, ganzen Gesellschaften oder zumindest Gruppen von ihnen Identität, Selbstwert, Erinnerungsfähigkeit oder Reflexionswissen vermitteln?
III Zwischen dem Gewissheitsanspruch der Geschichtsdidaktik und dem Generalverdacht der Undarstellbarkeit der Geschichte
Die Antwort auf die Frage der Repräsentierbarkeit von Geschichte vermeint man in einer Methodik oder Didaktik des Museums zu finden, in der besonderen Art und Weise des Zeigens und Zu-Sehen-Gebens, des Arrangieren von Objekten, des räumlichen Inszenierens, des Kommentierens durch Texte oder weitere Objekte. Wohl wegen meiner museologischen und ausstellungspraktischen Erfahrung hat man mich gebeten, über die Darstellbarkeit von Geschichte zu sprechen.
Allerdings ist das Thema derart komplex und es gibt theoretisch wie praktisch derart viele Antworten auf diese Frage. Es ist nicht möglich hier auch nur annähernd die diversen Optionen darzustellen und an Beispielen zu illustrieren. Deshalb habe ich mich entschieden, eine sehr enge Auswahl zu treffen. In ihr liegt der Schwerpunkt auf der Formierung des Publikums, auf der Herstellung von Öffentlichkeiten, und nicht auf Objekten, Medien und Inszenierung.
Der Grund für die Auswahl liegt darin, daß ich damit, statt mich allgemein zu halten, jenen Formen von Vermittlung Aufmerksamkeit schenke, die in unserem Fall, also bei einem historischen - und wie immer auch - „nationalen“ Museum mir wünschbar scheinen. Meine Beispiele illustrieren also nicht nur eine bestimmte Form der Geschichtsvermittlung, sondern ich habe sie auch als Anregung gewählt, für ein Haus der Geschichte Österreich an derartige Praktiken zu denken und sich an ihnen zu messen.
Als Kriterien der Auswahl dienten mir zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist die Frage, wie Ausstellungen mit dem zivilisierend-rituellen, dem vergesellschaftungs- und öffentlichkeitsbildenenden Potential umgehen, das meiner Überzeugung nach den Kern des europäischen Aufklärungsprojektes Museum ausmacht. Den anderen Aspekt borge ich mir von Heidemarie Uhl. Sie hat in ihrem Beitrag in der Tagungsdokumentation zum Haus der Geschichte Österreich die Undarstellbarkeit der Geschichte als unvermeidliche Grundbedingung moderner Geschichtsdarstellung angeführt. Ausstellungen machen hieße, ich zitiere sie, die „Gemachtheit und Kontingenz der Geschichtserzählung“ anzuerkennen und erkennbar zu machen. Dem stimme ich zu und aus dieser Einsicht heraus sind ja auch viele faszinierende Projekte entstanden.
Die ehemalige Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien
Wenn ich beide Aspekte zusammenfüge, fällt mir als erstes die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien ein, die bis 2011 bestanden hat und die auf Anordnung der damals bestellten neuen Leiterin abgebrochen wurde.
Die damalige Chefkuratorin des Museums, Felicitas Heimann-Jelinek und der Architekt Martin Kohlbauer konzipierten in einem salonartigen Raum des Palais Eskeles eine aus Hologrammen bestehende Platzstruktur.
Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Raum sieht er sich umgeben von Bildern. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Objekte auf, Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder wendet.
Die Kuratorin schrieb dazu: „Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“
Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.
Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der Mitte des Gevierts gerückte Block – der ganz allgemein die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert - trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt ebenfalls keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. 05_Hologramme von Synagogen
Die Hologrammbilder vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.
Die voids des Jüdischen Museums Berlin
Noch radikaler hat sich der Architekt Daniel Libeskind bei seiner Architektur des Jüdischen Museum Berlin jeder Repräsentation verweigert. Hier gibt es Räume, die von Spuren, Bedeutungen, von Objekten vollkommen frei sein sollen. Er entwickelte die Architektur nicht für ein Ensemble von mit Objekten bespielbarer Ausstellungsräume, was, soweit ich sehe, in der Geschichte der Museumsarchitektur insofern einzigartig ist, als damit die Last der Repräsentation von der Sammlung und Ausstellung auf die Architektur übertragen wird. Im Grunde macht sie eine Ausstellung und Objekte entbehrlich, allerdings um den Preis extremer Abstraktion. Hier gibt es keine Vermittlung zwischen Dingen und Besuchern, keine Erzählung, sondern einen evokativen Raum, in dem sich Erinnern einstellen kann - oder auch nicht.
Libeskind schuf mehrere durch die Geschosse führenden, schachtartigen Räume, sogenannte voids. Es gab aber auch mitten im Museum einen voided void, also, wenn das überhaupt denkbar ist, so etwas wie eine geleerte Leere. Dieser voided void ist nicht betretbar aber man kann in ihn hineinsehen.
Die voids wurden z.T. zur Installation von Kunstwerken genutzt aber auch, und das war die Intention des Architekten, als Räume der Kontemplation, der Erinnerung und des Eingedenkens.
Es geht auch beim Jüdischen Museum in Berlin um ein Sich-Sammeln, wie im Grunde bei jedem Museum, um eine Sammeln von Personen um Objekte zum Zweck der Selbstdeutung. Wo aber Objekte fehlen, wie hier, kann im geglückten Fall, liebendes Eingedenken freigesetzt werden, wie in unvordenklichen Zeiten, da Bild und Text das Erinnern noch nicht stützten, eine Erinnerungspraxis, deren mythologischen Agentinnen, die Musen, die sich des Gesangs und Tanzes als Medium bedienten, der modernen institutionellen Erinnerungsform des Museums ihren Namen geliehen haben.
Ein Viertel Stadt. Jüdisches Museum Hohenems
Methodisch und strategisch ungleich pragmatischer ist da das Jüdische Museum im Vorarlbergischen Hohenems gewesen, das meiner Beobachtung nach derzeit interessanteste Museum Österreichs. Es hat mit der Projektreihe Ein Viertel Stadt eine sehr inspirierende Form der Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte entwickelt. Im Teilprojekt „Belichtete Häuser“, wurden nach intensiven Recherchen zur Hausgeschichte einige Schlüsselobjekte der Gemeinde sozusagen bespielt, an mehreren sommerlichen Abenden, mit Projektionen von Texten, Bildern, Dokumenten usw. zur Haus- und Familiengeschichte.
Angesichts teils spekulativer Überlegungen zu Abriss und Bautätigkeit inmitten des ehemaligen Jüdischen Viertels, gab das Projekt gewissermaßen dem Stadtteil und seinen Bewohnern vergessene oder verdrängte Geschichte zurück. Es war eine Konfrontation mit verschütteter Erinnerung, sicherte Spuren der vernichteten jüdischen Gemeinde und stellte Fragen nach dem sinnvollen Umgang mit dem Viertel.
Greifbarstes Ergebnis war die Beendigung der Nutzung der baulich erhaltenen barocken Synagoge als Feuerwehrdepot und deren Umwidmung zum Versammlungsraum, den das Museum aber auch die Stadt nutzen. Bis heute wirkt diese Ausstellung ganz praktisch in Politik, Stadtplanung und öffentlich-kommunalen Debatten nach.
Statt auf Besucher zu warten, stellt das Museum hier von sich aus ein Stück Öffentlichkeit aktiv her, in diesem Fall auch außerhalb seiner Mauern, und bildet damit einen Raum für demokratische Debatten und auf sie aufbauende Entscheidungsgrundlagen. Dabei war und ist ein Umstand hier ganz besonders wichtig. Das Hohenemser Jüdische Museum ist aus einer noch dazu höchst kontroversen zivilgesellschaftlichen Debatte entstanden und hat bis heute diese Verankerung in einer inzwischen buchstäblich weltweit existierenden Community vertieft.
Democracy. Group Material. New York
1988-89 organisierte die New Yorker Künstlergruppe Group Material auf Einladung der Dia Art Fundation unter dem Titel Democracy eine mehrteilige Veranstaltung darunter eine multithematische Ausstellung. Hier wird das Ausstellen direkt und explizit zum sozialen und diskursiven Raum und zur Öffentlichkeit, die sich ihrer fundamental politischen Rolle bewußt ist.
Es gab vier nichtöffentliche ExpertInnen-Diskussionen, vier Ausstellungen und vier öffentliche Foren, sogenannte town meetings. Die Ausstellungen genügten sich nicht selbst, sondern bildeten für die Debatten Informationsmöglichkeiten und Kontexte zu den vier Hauptthemen Education, Politics and Election, Cultural Partizipation und AIDS and Democracy. Die town meetings fanden in den Ausstellungsräumlichkeiten statt. Das heißt, der Stoff der Ausstellung war unmittelbar auch Stoff der Debatten.
Bemerkenswert scheint mir hier einerseits die Vermischung der Formgelegenheiten, Ausstellung, künstlerische Installation, soziale Intervention, Vermittlung, politischer Intervention. Dann vor allem aber der Umstand, daß hier durchaus in der Tradition des Museums selbst und seiner Genese im Kontext von bürgerlicher Aufklärung und Revolution, ein dezidiert politischer Begriff von Öffentlichkeit ins Spiel gebracht wird. Vergessen wir nicht, daß einer der ältesten Erprobungsräume liberaler Öffentlichkeit die Kunstausstellungen der Königlichen Akademie in Paris war. Museen waren von Anfang Orte der Konstituierung von Gesellschaftlichkeit im Medium diskursiver Öffentlichkeit. Democracy von Group Material zielt direkt ins Herz der politischen Öffentlichkeit, indem Demokratie in demokratischer Form und inhaltlich zum Thema gemacht wird. Democracy zeigt uns, wie man selbstreflexiv an Demokratie arbeiten kann.
Flamme eternelle. Musée d’Art moderne de la Ville de Paris
Heute würde man das Projekt von Group Material vielleicht mit dem in der Theorie des Kuratierens modischen Begriff der contact zone bezeichnen. Damit sind gesellschaftliche Räume gemeint, keineswegs nur museale, in denen AkteurInnen mit unterschiedlichen Positionen und Anliegen aufeinandertreffen und diese miteinander und alltäglich austauschen und sich mit ihnen konfrontieren. Ans Museum richtet sich das wie ein Appell, unterschiedliche Wissensformenen zu verhandeln. Weder werden existierende Machtverhältnisse damit aus der Welt geschafft, noch jene idealtypische Gleichheit aller hergestellt, die im habermasschen Modell bürgerlicher liberaler Öffentlichkeit idealtypisch behauptet wird. Stattdessen ist eine „unebene Reziprozität“ (James Clifford) zwischen Teilnehmerinnen bzw. Gruppen zu erwarten, also auch konfliktträchtiges Aufeinanderprallen von Interessen. Der Idee der contact zone liegt ein radikal-partizipatives Verständnis zugrunde, daß ein Ort unterschiedliche Öffentlichkeiten integrieren kann. Das kann eben auch ein Museum sein, oder eine Ausstellung, an dem Menschen aus freien Stücken und in frei gewählter Form der Kooperation und des Diskurses zusammenkommen.
Als ich vor Jahren unerwartet beim Besuch des Palais de Tokyo in Paris in die Installation flamme eternelle von Thomas Hirschhorn geraten bin, war ich unversehens Teil einer Versammlung um eine Art Lagerfeuer, Hestia, Grillplatz, Ewiges Licht, denn die flamme eternelle loderte tatsächlich und es hatte sich grade ein Cellospieler und im Zuhören versunkene Menschen um sie wie in einem feierlichen Moment unbestimmter Ritualität versammelt.
Während es beim Projekt von Group Material um einen politisch-didaktischen Impuls geht, bei Belichteten Häusern um eine relativ klar umrissene Debatte um Geschichte und Gestalt einer Stadt, bleibt bei einem künstlerisch-politischen Projekt wie flamme eternelle der Inhalt offen. Denn Partizipation macht nur so weit Sinn, als Kuratoren ihre Deutungsmacht, ihre Macht der Auswahl und Ordnung zugunsten anderer aufgeben. Im Grunde ist Partizipation niemals vollständig zu erreichen, denn entweder es bleibt immer ein Rest auktorialer Macht bei einem Kurator oder bei Veranstaltern oder es geht über diesen Punkt hinaus bis zu einer Selbstermächtigung einer Gruppe, die aber dann selbst die Autorschaft übernimmt. Flamme eternelle ist so ein Ort, der sehr weit der Selbstbestimmung seiner Nutzergemeinschaft überlassen wurde. Hier war zwar der Künstler, Thomas Hirschhorn täglich anwesend und in seiner Biografie wird flamme eternelle wie ein Werk angeführt, aber das ist hier ein Rahmen, eine Gelegenheit, ein Ort, der genutzt werden kann, ohne Barriere eines Eintrittsgeldes in der Zeit von 12 Uhr Mittag bis Mitternacht, täglich und der damit auch die museale Institution transformiert, in den er implementiert ist.
Partizipation ist insofern aporetisch, als sie, ernst genommen und konsequent realisiert, sich selbst abschafft. Ich denke, das war das Dilemma, das ich instinktiv bei mehrmaligen Besuch der Ausstellung im Pariser Museum spürte. Im Alltag fühlten sich die Räume nach wenig mehr an als Freizeiträume mit sehr begrenztem Unterhaltungswert. Aber möglicherweise war ja auch das durch das Konzept gedeckt. Und was da alles stattgefunden haben mag, das konnte sich mir als Zufalls-Zuschauer nicht erschließen. Denn es gab Auftritte von über zweihundert Experten, was flamme eternelle auch zu einer Art welcome center für Intellektuelle machte und die Frage aufwirft, ob ein ausdrücklicher Wunsch Hirschhorns in Erfüllung gegangen sein kann, ein nicht exklusives Publikum anzulocken.
63 Jahre danach. Graz 2010ff.
Im Jahr 2008 beauftragte der Steirische Landtag und die Landesregierung Jochen Gerz - ich zitiere - „ ein Gedenkzeichen zum Machtmissbrauch in der NS-Zeit zu entwickeln“. Ein Teil des Projektes war eine 2008 enthüllte und erinnernde Inschrift im Grazer Burgtor. Der zweite, ab 2010 in Graz und einigen steirischen Gemeinden präsente Teil, mit dem Titel 63 Jahre danach, war das Ergebnis eines sorgfältig konzipierten und komplexen Prozesses, in den steirische Politiker und die Bevölkerung einbezogen worden waren.
Am Beginn stand die Bildung einer interdisziplinären Forschungsgruppe aus steirischen Historikern, Kunsthistorikern, Soziologen, Germanisten, die sich auf die Suche nach Fotografien machten, die den Nationalsozialismus in der Steiermark dokumentierten. 96 der ausgewählten Fotografien wurden in der Kleinen Zeitung veröffentlicht und dort kommentiert. Dann wurde die Leserschaft aufgefordert, eine weitere Auswahl zu treffen, in der die Zahl der Fotodokumente auf die Hälfte, 48, reduziert wurde.
Diese Fotos werden nun den Landtagsabgeordneten mit der Bitte um einen persönlichen Text zu jeweils einem Foto vorgelegt. Deren Texte wurden wiederum in der Zeitung publiziert. Daraus wählt wiederum die Leserschaft 24 Beiträge aus und die 24 Plätze in Graz und in steirischen Gemeinden, an denen Texte und Bilder gezeigt werden.
Was komplizierter als eine Dogenwahl klingt, ermöglichte eine einzigartige Verschränkung noch dazu normalerweise gegeneinender abgeschotteter Öffentlichkeiten. „63 Jahre danach“ verschränkt Politik, Medien und Gesellschaft in eine einzige großen Interaktion und es entstehen mehrmals innerhalb des Entstehungsprozesses Räume autonomer Autorschaft. Selbst die Zeitung zieht sich, etwa ein ganzes Jahr lang, auf sachliche Berichterstattung und Dokumentation zurück und wird, zumindest auf Zeit, selbst zum Medium für von ihr nicht kontrollierbarer oder formierbarer Teilöffentlichkeiten. Politiker treten aus ihrer repräsentativen Rolle heraus und artikulieren sich auch als Privatpersonen, die mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen über die Zeitdifferenz von dreiundsechzig Jahren hinweg direkt und indirekt über die aktuelle Bedeutung und Brisanz der subjektiven wie kollektiven Erinnerungen räsonieren. Sie werden damit wiederum zu einem Teil jener Zivilgesellschaft, die in der Leserschaft der Zeitung repräsentiert ist.
Zu den vielen außergewöhnlichen Qualitäten gehörte zum Beispiel auch die Aufmerksamkeit für die Dialektik von Stadt und Land - auf deren brisante gesellschaftspolitische Bedeutung uns eben die Bundespräsidentenwahl noch einmal nachdrücklich hingewiesen hat. Es gab ja Projektstationen in Graz und in einer Handvoll von Gemeinden, wobei es sich zeigte, daß sich einige Gemeinden der Aufstellung verweigerten.
Eine andre Besonderheit: Die Arbeitsgruppe, die eingesetzt wurde, um mit der Auswahl der Fotografien den ersten Schritt ins Projekt hinein zu machen, war interdisziplinär. Obwohl es ein zeitgeschichtliches Projekt war, überließ man es nicht allein der akademischen Geschichtswissenschaft. Ich könnte mir vorstellen, daß man diesen Kreis noch bunter hätte machen können.
Last but not least war auch das Landesmuseum involviert, und zwar als organisatorischer Rahmen, als Instanz der Realisierung in engster Kooperation mit Jochen Gerz. Das Museum trat aber nicht als Mitautor auf, wenngleich Werner Fenz, damals Leiter des dem Joanneum eingegliederten Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, Initiator war, griff nirgends inhaltlich in den Prozess ein und war auch kein räumlicher Gastgeber. Es gab eben keine Museumsausstellung, sondern, wenn man dem überhaupt einen Namen geben will, Interventionen oder Installationen im öffentlichen Raum, die dann jahrelang gezeigt wurden.
IV Nein
Museen sind Orte der Selbstdarstellung und Selbstauslegung von Gesellschaften und Gemeinschaften. In Museen sammeln sich Menschen um Gesammeltes und konstituieren sich dadurch als Publikum. Es geht ums Sammeln und ums Sich-Sammeln. Über Gegenstände und ihre Ausstellung und Ordnung deuten Menschen ihre Herkunft und Zukunft vor allem aber den Grund und den Zweck ihrer Zusammengehörigkeit.
Als Versammlung um eine Sammlung bilden die Beteiligten ein zivilisierendes Ritual, in dem sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischt, in der der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten geprüft und abgewogen wird.
Insofern bildet und bietet das Museum einen Raum liberaler bürgerlicher Öffentlichkeit, mit der das Museum genealogisch verbunden ist und durch das es selbst politisch und demokratisch wird, sofern es aus dem Diskurs niemanden ausschließt und sich die Beteiligten in wechselseitiger Anerkennung begegnen können.
Öffentlich ist das Museum aber vor allem als vom Staat im Interesse der Gesellschaft eingerichtete, in ihrem Namen treuhänderisch verwaltete und aus Steuermitteln unterhaltene Institution, die, neben vielen anderen, einem Gesellschaftsziel dient. Seit den frühen republikanischen Verfassungen wird dieses Ziel mit allgemeiner und sozialer Wohlfahrt beschrieben.
Eine dritte öffentliche Funktion von Museen besteht in der symbolischen Vergemeinschaftung. Zum ersten Mal an den Museen greifbar, die in der Französischen Revolution gegründet wurden, ist das Museum ein sozialer Ort, nicht weniger als einer der Teilhabe der Bürger am Gründungsakt einer Nation. Sie konstituieren die neue Gesellschaft und reziprok werden sie, die Bürger durch diese Teilhabe zu Staatsbürgern.
Diese Form der Teilhabe steht ab nun, auch als verbrieftes demokratisches Recht, etwa in der Form des Rechtes auf Bildung in der Französischen Verfassung von 1793, jedermann zu und verleiht dem Ritual, mit dem sich Menschen im Museum zum Publikum zusammenfinden, eine bislang nicht denkbare und im Sammelwesen der frühen Neuzeit auch nicht angelegte politische und soziale Bedeutung.
Das Museumsritual ist unter den Bedingungen einer demokratisch verfassten Gesellschaft überdeterminiert. Denn die Frage nach dem Grund der Gesellschaft, nach ihrem Zusammenhalt, zielt einerseits auf eine Antwort die definitiv gültig sein soll. Andrerseits darf der Platz der Macht nie und schon gar nicht auf Dauer besetzt werden. In der Demokratie darf und kann es kein Objekt geben, das den Platz der Macht auf Dauer besetzt. Der geregelte und kontinuierliche Wechsel der Macht ist ein essentielles Strukturmerkmal von Demokratien.
Dazu gehört aber auch die Ahnung, dass es unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint und zusammenhält. Wie immer man es nennen will, Patrimoine, Erbe, Heritage, I beni culturali, dieses Objekt das wir und das Museum vermeintlich besitzen, es entzieht sich uns ständig.
Ein Museum, das dieser Problemlage standhält, muß genau jene Eigenschaften besitzen, die auch angesichts der schwierigen Frage der Darstellbarkeit bzw. Undarstellbarkeit von Geschichte nötig sind. Angesichts der Unmöglichkeit, Identität festzustellen und festzuschreiben, etwa in einer großen nationalen Erzählung, bedarf es einer Reflexivität, die sich nicht nur auf Inhalte richtet, sondern auf das Verfahren.
Anders gesagt, ein Museum, das das Eigenschaftswort demokratisch zu Recht beanspruchen kann, bedarf einer doppelten Reflexivität. Es muß einerseits der Konstruktivität und Kontingenz des Vermittelten jederzeit gewärtig sein und andrerseits der Mechanismen der visuellen Repräsentation im Feld des Politischen. So fällt die Entscheidung, ob und wie weitgehend ein Museum demokratisch ist oder nicht.
Und wenn das Museum, genealogisch und strukturell ein Ort der gesellschaftlichen Selbstauslegung und -deutung ist, dann muß es sich selbst als Ort des Konflikts und des „polarisierenden Umdenkens“ (Jürgen Habermas) ausbilden, dann fungiert es als „agonistische Arena“, wo Demokratie immer wieder neu hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden soll.
Davon ist das vorliegende Konzept nicht nur weit entfernt, es hat im Gegenteil Züge einer paternalistischen, geschichtspolitischen und hegemonialen Intervention, durch die die abgestandene Luft großkoalitionärer Politik weht und in dem keine Funken geschichtstheoretischer, ästhetischer und museologischer Innovation zünden.
Ich habe deshalb keinen Grund, meine Meinung, die ich auf der Tagung im Oktober vorgestellt habe, zu ändern. Damals habe ich gesagt: Ein Museum kann nicht nur von Demokratie sprechen, wie es im Konzept für ein Haus der Geschichte in der Neuen Burg der Fall ist, es muss auch selbst unter demokratischen Bedingungen entstehen und arbeiten.
Deshalb auch heute noch einmal: Ein klares Nein zu diesem Projekt.
Gottfried Fliedl
im August 2016
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Montag, 8. August 2016
Der "Fall Husslein", die Strukturreform der Bundesmuseen und die Notwendigkeit die Probleme zu historisieren
Die "großen" medialen Reaktionen auf Museumsereignisse betreffen entweder Blockbusterausstellungen oder Personalia. Beides trägt nichts zur Kritik des Zustandes der Bundesmuseen bei und wird auch nichts bei einer von Minster Drozda angekündigten (in seiner Reichweite unklaren) "Reform" der Museen beitragen.
Auf Facebook ist inzwischen eine im Umfang bescheide Debatte darüber entbrannt, wer denn nun in der Geschichte des Kunsthistorischen Museums als erster Reformen begonnen hat. Wilfried Seipel, Hermann Fillitz oder Friederike Klauner.
Damit wird aus der Personaldebatte eine über Qualitäten der Museumsleitung und -arbeit und eine über die Entwicklung des Flaggschiffs der Bundesmuseen.
Gut.
Der Anlass ist ein Interview, das Thomas Miessgang in DIE ZEIT mit Hermann Fillitz geführt hat (hier der Link), der seinerzeit, nicht unumstritten, zugleich das Kunsthistorische Institut der Universität und das Kunsthistorische Museum geleitet hat.
An Fillitz' Tätigkeit am Museum erinnere ich mich überhaupt nicht, seltsam, aber ziemlich gut an Friederike Klauner, die wie er, auf einem Museumverständnis als wissenschaftlicher Anstalt behartte und recht offen gegen jede Popularisierung polemisierte. Was im Widerspruch steht zu dem, was sie, ich zitiere Almuth Spiegelrs Artikel über sie aus 2009, in die Gänge gebracht hat: "Sie richtete die Sekundärgalerie ein, eröffnete in Schloss Ambras Porträtgalerie, Kunstkammer und Rüstkammer, in Schönbrunn die Wagenburg, in der Neuen Burg das Ephesus Museum. Außerdem forcierte sie Kinderführungen und richtete das erste Café-Restaurant im KHM ein."
Ich denke, Seipel ist nicht schlecht charakterisiert in der genannten Facebook-Diskussion, wo ihn Matthias Dusini gegen seine Kritiker verteidigt: "...er hat als erster erkannt, was für ein kulturindustrielles Potential in den Museen steckt. Und er hat der Politik klargemacht, dass die Museen einen ähnlichen Rang besitzen sollten wie die großen Theater."
Nur, welche Kriterien haben wir denn, die uns erlaubt diese Genealogie der Direktionen und ihrer Verdienste angemessen zu beurteilen - bis zu Sabine Haag?
Aufgefallen ist mir in jüngerer Zeit, daß zur Verteidigung angegriffener Leitungspersonen oft behauptet wird, die jeweilige Institution habe sich bis dahin in verstaubten, muffligen, altmodischen Zustand befunden und sei nun sozusagen "erweckt" worden. Modernisierung wird so erklärt und fetischisiert. Einerseits stimmt das nicht mal vordergründig, aber ein Argument versteckt sich in einer solchen Argumentation: die Abwertung der wissenschaftlichen Arbeit und Qualifikation. Die Albertina z.B. hatte vor dem jetzigen Direktor hervorragende wissens- und forschungsbasierte Ausstellungen und Publikationen gemacht, die sich nichjt immer nur an Experten richteten. In dieser Hinsicht gibt es, da muß man Herrmann Fillitz recht geben, Rückschritte. Auch bei Berufungen spielt die wissenschaftliche Qualifikation nicht die zentrale Rolle - und schon gar nicht die museologische Kompetenz.
Lohnen würde es sich wohl, diese Genealogie bzw. Museumsgeschichte erst einmal zu vervollständigen und möglicherweise mit nicht mehr zu beginnen als einer "dichten Beschreibung" dessen, was in den jeweiligen Direktionszeiten denn so entwickelt und verwirklicht wurde.
Die Kriterien wären verallgemeinerbar und man könnte sie auf die Bundesmuseen anwenden und in einer Strukturreforms-Debatte sehr gut brauchen.
Es lohnte sich sehr, die Geschichte der Entwicklung der staatlichen Museen bis in die erste Republik (mindestens) auszudehnen, bis zu jenem - gescheiterten - und sehr ambitionierten Versuch Hans Tietzes, des Kunsthistorikers und für die Museen zuständigen Beamten, die Sammlungen der Monarchie zu "Republikanisieren". Er war Ministerialreferent für Museen und Denkmalpflege des Unterrichtsministerium, wo er bis 1925 in Konzepten - Die Zukunft der Wiener Museen, Wien 1923 - und Zeitungsartikeln die Reform anbahnte. Er scheiterte an der konservativen Politik und wohl auch am Widerstand der Museen.
Hier liegt ein Versäumis vor, an dessen Folgen sich schon Generationen abgearbeitet haben - ohne möglicherweise über die Quelle so mancher strukturellen Eigentümlichkeit der Museen des Bundes Bescheid zu wissen.
Wenn Hermann Fillitz in dem Interview eine umfassende Strukturreform fordert, hat er wohl recht. Bloß gibt es nicht das kleinste Anzeichen dafür, daß die Beteiligten zu jenen tiefgreifenden Umbrüchen fähig werden, wie man sie von der sehr zentralsierten Politik und Verwaltung Frankreichs her kennt. Und kaum ein Minister wird sich auf eine umfassende Reform einlassen, die schlafende Hunde weckt - gar nicht zu reden von den Leichen im Keller der Versäumnisse...
Auf Facebook ist inzwischen eine im Umfang bescheide Debatte darüber entbrannt, wer denn nun in der Geschichte des Kunsthistorischen Museums als erster Reformen begonnen hat. Wilfried Seipel, Hermann Fillitz oder Friederike Klauner.
Damit wird aus der Personaldebatte eine über Qualitäten der Museumsleitung und -arbeit und eine über die Entwicklung des Flaggschiffs der Bundesmuseen.
Gut.
Der Anlass ist ein Interview, das Thomas Miessgang in DIE ZEIT mit Hermann Fillitz geführt hat (hier der Link), der seinerzeit, nicht unumstritten, zugleich das Kunsthistorische Institut der Universität und das Kunsthistorische Museum geleitet hat.
An Fillitz' Tätigkeit am Museum erinnere ich mich überhaupt nicht, seltsam, aber ziemlich gut an Friederike Klauner, die wie er, auf einem Museumverständnis als wissenschaftlicher Anstalt behartte und recht offen gegen jede Popularisierung polemisierte. Was im Widerspruch steht zu dem, was sie, ich zitiere Almuth Spiegelrs Artikel über sie aus 2009, in die Gänge gebracht hat: "Sie richtete die Sekundärgalerie ein, eröffnete in Schloss Ambras Porträtgalerie, Kunstkammer und Rüstkammer, in Schönbrunn die Wagenburg, in der Neuen Burg das Ephesus Museum. Außerdem forcierte sie Kinderführungen und richtete das erste Café-Restaurant im KHM ein."
Ich denke, Seipel ist nicht schlecht charakterisiert in der genannten Facebook-Diskussion, wo ihn Matthias Dusini gegen seine Kritiker verteidigt: "...er hat als erster erkannt, was für ein kulturindustrielles Potential in den Museen steckt. Und er hat der Politik klargemacht, dass die Museen einen ähnlichen Rang besitzen sollten wie die großen Theater."
Nur, welche Kriterien haben wir denn, die uns erlaubt diese Genealogie der Direktionen und ihrer Verdienste angemessen zu beurteilen - bis zu Sabine Haag?
Aufgefallen ist mir in jüngerer Zeit, daß zur Verteidigung angegriffener Leitungspersonen oft behauptet wird, die jeweilige Institution habe sich bis dahin in verstaubten, muffligen, altmodischen Zustand befunden und sei nun sozusagen "erweckt" worden. Modernisierung wird so erklärt und fetischisiert. Einerseits stimmt das nicht mal vordergründig, aber ein Argument versteckt sich in einer solchen Argumentation: die Abwertung der wissenschaftlichen Arbeit und Qualifikation. Die Albertina z.B. hatte vor dem jetzigen Direktor hervorragende wissens- und forschungsbasierte Ausstellungen und Publikationen gemacht, die sich nichjt immer nur an Experten richteten. In dieser Hinsicht gibt es, da muß man Herrmann Fillitz recht geben, Rückschritte. Auch bei Berufungen spielt die wissenschaftliche Qualifikation nicht die zentrale Rolle - und schon gar nicht die museologische Kompetenz.
Lohnen würde es sich wohl, diese Genealogie bzw. Museumsgeschichte erst einmal zu vervollständigen und möglicherweise mit nicht mehr zu beginnen als einer "dichten Beschreibung" dessen, was in den jeweiligen Direktionszeiten denn so entwickelt und verwirklicht wurde.
Die Kriterien wären verallgemeinerbar und man könnte sie auf die Bundesmuseen anwenden und in einer Strukturreforms-Debatte sehr gut brauchen.
Es lohnte sich sehr, die Geschichte der Entwicklung der staatlichen Museen bis in die erste Republik (mindestens) auszudehnen, bis zu jenem - gescheiterten - und sehr ambitionierten Versuch Hans Tietzes, des Kunsthistorikers und für die Museen zuständigen Beamten, die Sammlungen der Monarchie zu "Republikanisieren". Er war Ministerialreferent für Museen und Denkmalpflege des Unterrichtsministerium, wo er bis 1925 in Konzepten - Die Zukunft der Wiener Museen, Wien 1923 - und Zeitungsartikeln die Reform anbahnte. Er scheiterte an der konservativen Politik und wohl auch am Widerstand der Museen.
Hier liegt ein Versäumis vor, an dessen Folgen sich schon Generationen abgearbeitet haben - ohne möglicherweise über die Quelle so mancher strukturellen Eigentümlichkeit der Museen des Bundes Bescheid zu wissen.
Wenn Hermann Fillitz in dem Interview eine umfassende Strukturreform fordert, hat er wohl recht. Bloß gibt es nicht das kleinste Anzeichen dafür, daß die Beteiligten zu jenen tiefgreifenden Umbrüchen fähig werden, wie man sie von der sehr zentralsierten Politik und Verwaltung Frankreichs her kennt. Und kaum ein Minister wird sich auf eine umfassende Reform einlassen, die schlafende Hunde weckt - gar nicht zu reden von den Leichen im Keller der Versäumnisse...
Mittwoch, 3. August 2016
Trophäe
Dienstag, 2. August 2016
Das Wort zum Tag
„Any museum, any museum at all, makes me sad. […] Museums are a locus of dislocated fragments […].“
James A. Boon: Why Museums Make Me Sad, in: Ivan Karp/Steven D. Lavine (Hrsg.),Exhibiting Cultures. The Poetics and Politics of Museums Display,
Montag, 1. August 2016
Der Präparator
Blick ins Goldene Zeitalter
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