Donnerstag, 30. August 2012
Vom Ding zum Exponat (Das Museum lesen)
"Die Abfolge: Ding, Abfallprodukt,
Zeichen mit Symbolcharakter wird von der Mehrheit der Gegenstände durchlaufen,
aus denen sich das kulturelle Erbe zusammensetzt. Aber nur von der Mehrheit,
nicht von allen. In einigen Fällen hat man nämlich am Anfang nicht ein
Artefakt, sondern ein Naturobjekt; das gilt für Fossilien, Wälder, Naturparks,
geschützte Arten von Tieren und Pflanzen usw. Zudem gibt es Artefakte, die
schon immer Zeichen mit Symbolcharakter waren: Gemälde, Zeichnungen, Stiche,
Skulpturen, Münzen, liturgische Gegenstände, gedruckte Bücher oder Manuskripte,
Inschriften, Gebäude, Kleider und, im allgemeinen, alle die Artefakte, die
nicht wegen ihres Gebrauchswertes allein hergestellt wurden, sondern gedacht
waren auch als Augenweide und als Verweis auf Unsichtbares. Im Gegensatz zu den
Dingen, die zu Zeichen mit Symbolcharakter geworden sind, wechseln diese
Objekte im Laufe ihrer Geschichte nicht die Kategorie. Aber Zweck und Bedeutung
auch dieser Objekte ändern sich. Ein Dekorelement oder ein religiöses
Kultobjekt haben, einmal im Museum angelangt, einen besonderen Zweck, der von
ihrem ursprünglichen verschieden ist. Um sich davon zu überzeugen, betrachte
man nur ein Bild. Ein Bild hängt nicht in einem Museum, um die Wände zu
schmücken, im Gegenteil, die Wände wurden errichtet, um das Bild ausstellen zu
können. Und ein religiöses Kultobjekt wird in einem Museum weder zu Gebeten
noch zu Spenden anregen; es ist entweder ein historisches Zeugnis früherer
Gläubigkeit oder ein Kunstwerk, an dem man das Material oder die künstlerische
Ausführung oder beides bewundern kann. Genauso bezeugt ein Adelspalast, einmal
zum historischen Bauwerk geworden, nicht mehr den Platz seines Besitzers in der
Adelshierarchie. Vergleicht man ihn aber mit anderen Palästen derselben Epoche,
so zeigt er, wie die Architektur damals Unterschiede des sozialen Status zum
Ausdruck brachte. Somit weckt er Fragen und Reaktionen, die verschieden sind
von denen, die seine ursprüngliche Funktion hervorrief.
Die Bildung des kulturellen Erbes
besteht also in der Umwandlung von gewissen Abfallprodukten in Zeichen mit
Symbolcharakter (analog dazu die Umwandlung von gewissen Naturobjekten) und in
einer Zweck und Bedeutungsänderung von Zeichen mit Symbolcharakter. Die Auswahl
der für das kulturelle Erbe würdig befundenen Objekte hängt ab von ihrer
Fähigkeit, eine neue Sinnstiftung zuzulassen, die hauptsächlich an ihre
Vorgeschichte, ihre Rarität gebunden ist. Sind sie aber einmal zu Zeichen mit
Symbolcharakter geworden, dann wird ihnen ein spezieller Schutz zuteil, der sie
vor zerstörenden Einflüssen von Mensch und Umwelt schützt."
Krzystof
Pomian
Mittwoch, 29. August 2012
Inner meaning (Das Museum lesen 27)
-->
„Art and museum culture is the secular religion
of capitalism.
It provides a space for inner meaning in an otherwise
spiritually empty world.“
Gregory Sholette
Das "globale Museum"
1
Das wäre eine schöne Frage für Günther Jauchs „Wer wird
Millionär“, eine die die letzte Hürde vor der Million sein müsste: In welchem
der folgenden vier Länder gibt es kein Museum? Ist das A) Tibet B) Monaco C)
Tuvalu D) Eritrea.
Wer glaubt, daß Monaco nur aus Casino, Formel I und
Fürstenpaar besteht, irrt, da gibt es ein Museum, ein berühmtes sogar, das
ozeanografische. Alle europäischen Kleinstaaten, also auch alle europäischen
Staaten haben Museen. (Mit dem Kuriosum des kleinsten Staates, in dem sich eins
der weltweit ältesten, bedeutendsten und größten Museen befindet - der
Vatikan).
Tibet hätte bis vor einigen Jahren wohl gestimmt, in der
traditionellen tibetischen Kultur kann man sich keinen Platz für eine solche
Institution vorstellen. Aber diese Kultur ist dabei, durch die von China seiner
autonomen Region verordneten Modernisierung langsam überlagert und verdrängt zu
werden. Dazu gehört nicht nur der Ausbau des Bildungswesens, der Straßenbau,
die technische Meisterleistung einer Bahnlinie nach Lhasa, sondern auch ein
Museum in der Hauptstadt.
Eritrea? Man könnte wohl auf mehr als nur einen jener
afrikanischen Staaten als ‚museumslos’ verfallen, deren politische und
gesellschaftliche Kohärenz so fragil ist, daß man sich eine so sehr auf
langfristige Pflege und Alimentierung angewiesene Institution wie ein Museum
nicht vorstellen kann. Eritrea ist aber auch falsch.
Richtig ist Tuvalu, der viertkleinste Staat der Erde mit der
drittkleinsten Bevölkerung. Tuvalu ist ein Inselstaat im Stillen Ozean mit
grade mal etwas über 10.000 Einwohnern und erst seit 1978 ein souveräner Staat.
Übrigens einer, der von seiner Umwelt, dem Meer und seinem Ansteigen, als
derart bedroht gilt, daß die Einwohner ernsthaft die kollektive Auswanderung
nach Neuseeland und Australien erwogen haben, und, wie ich grade lese, wiederum
erwägen. Da braucht man nicht unbedingt ein Museum (das es hingegen in allen
anderen Insel-Kleinstaaten in den großen Ozeanen gibt).
2
Ich glaube nicht, daß diese Frage in einem Fernsehquiz fair
wäre. Wer soll so etwas wissen, wer hat sich eine solche Frage je gestellt?
Mich hat der Ehrgeiz, das nachzuprüfen auch erst gepackt,
als meine Unterlagen (Reste, Brösel, Abfall aus diversen Recherchen) sich so
verdichteten, daß ich dachte, es sei einfach, die Verbreitung von Museen
weltweit zu evaluieren. Von den 194 derzeit in der UNO vertretenen Staaten der
Welt (und sehr viel mehr Staaten gibt es nicht und das sind dann meist solche
mit einem fraglichen, umstrittenen Status) können wir ja von so viele auf
Anhieb ausschließen, daß der ‚Rest’ doch leicht zu überprüfen sein müsste.
Dachte ich jedenfalls.
Eine viel zu lange dauernde Grippe, während der man zu
intelligenterer Tätigkeit ohnehin kaum fähig ist, habe ich genutzt, um das
Internet heißlaufen zu lassen. Und da zeigten sich dann beträchtliche
Schwierigkeiten, denn an globalen Daten fehlt es oder sie sind, wie bei
Wikipedia, extrem schlampig und unzuverlässig. Wenn man nicht auf
Museumsverbände stößt wie es sie für Afrika (mit bescheidenen Daten) gibt oder
die Pazifischen Inseln, dann muß man jedem Einzelfall nachgehen.
Das Suchen und Recherchieren war übrigens ganz und gar nicht
uninteressant, weil man auf Museen stößt, die interessante Konzepte verfolgen
oder in ungewöhnlichen politischen oder kulturellen Kontexten existieren, fern
von dem, was wir möglichweise als „europäische Norm“ im Kopf haben.
Die Antwort auf die Frage, „gibt es Staaten, die kein Museum
haben?“ hat mich selbst ziemlich verblüfft. Die Antwort lautet: unter den etwa 194
Staaten (die Zahl schwankt ja durch Separation, Anerkennung, Dekolonisierung,
unterschiedliche Beurteilung der Selbständigkeit usw. laufend) konnte ich außer
Tuvalu nur noch ein einziges weiteres Land identifizieren, das kein Museum hat:
Dschibuti. Also ein afrikanisches Land mit einer langen
Kolonialisierungsgeschichte und einer aktuell politisch und ökonomisch
depressiven Situation. Dabei bin ich mir in diesem Fall nicht mal restlos
sicher, denn ich bin dort auf Spuren eines möglichweise aus der französischen
Kolonialzeit stammenden Museum gestoßen, konnte aber nicht verifizieren, ob es
noch existiert.
Die richtige Antwort auf die Quizfrage lautet also „Tuvalu“
und: möglicherweise gibt es nur ein einziges Land weltweit, in dem es kein
Museum gibt (und wenn Tuvalu tatsächlich, wie seine Bewohner befürchten, vom
Meer verschluckt wird, ja dann...).
3
Ja, und? Was wissen wir jetzt? - Ich denke, es ist nicht
trivial, festzustellen daß eine kulturelle Praxis und Institution sich weltweit
verbreitet und durchgesetzt hat, und das offenbar unabhängig von der
politischen, ideologischen, religiösen und sozialen Verfasstheit und des
jeweiligen staatlichen und gesellschaftlichen Status. Von welcher anderen
(einigermaßen vergleichbaren) Institution (Bibliothek, Konzerthäusern und
Orchestern, Theater, Archiv, Oper usw.) kann man das gleichermaßen sagen?
Dabei sieht es ganz so aus, als würde sich das Museum
unterschiedlichsten Konstellationen anpassen können, ohne seine konzeptuelle
Identität aufgeben zu müssen. Das Museum ist ein Modell, ein Schema, mit einer
Reihe von Eigenschaften und Funktionen, die in ihrem Zusammenspiel seine
gesellschaftliche Rolle ausmachen. Dazu gehört die im allgemeinen Interesse
bewahrte Sammlung, die vermittelt (ausgestellt) wird und daher allgemein
zugänglich sein sollte, um jedermann Wissen, Bildung, Erfahrungen zu
ermöglichen, die aber so etwas wie das bewahrenswerte kulturelle Erbe bildet,
das kollektive Identität stiften soll. Dieser funktionelle Kern läßt sich so
gut wie überall ausmachen.
Ich traue mir das Urteil zu, daß das Museum global
ideologisch und medial ziemlich uniform ist und daß es, von Einzelfällen
abgesehen, keine wirklich alternativen regionalen Museumsentwicklungen gibt.
Sicher, es gibt Staaten, wo Museen eine herausgehobene gesellschaftspolitische
Rolle haben. Wie etwa in Südafrika, wo es eine Reihe von innovativen Museen
gibt, die die konfliktreiche Geschichte und Gegenwart des Landes thematisieren.
Oder Israel, dessen zentrale Museen stark am nation building des jungen Staates
beteiligt waren und sind und die für die Gesellschaft zentrale Erinnerung an
die Shoah aufrechthalten.
Daß Museen weltweit ideologisch und konzeptionell einem
Schema folgen, bedeutet ganz und gar nicht, daß es nicht eine gegen unendlich
gehende Variabilität im Einzelfall gibt, die der Architektur, dem Standort, der
Trägerschaft, dem Thema, der Sammlung, dem Vermittlungskonzept, der Einbindung
in eine spezielle Community und vielem anderem geschuldet sein kann.
So wie „Kopfbedeckungen“ eine geradezu unabschließbare
Variabilität hinsichtlich Form, Ästhetik, Symbolik oder Funktion haben (der Zylinder,
der Stahlhelmelm, das Kopftuch, die Tiara, der Strohhut, die Schirmkappe, die
Pelzmütze, der Turban...), obwohl doch der menschliche Kopf innerhalb einer geringen
Bandbreite ein- und dieselbe ‚Grundlage’ für die Applikation einer ‚Bedeckung’
bietet, so scheint es mir auch bei Museen zu sein.
Das Konzept oder Schema ‚Museum’ kann unter spezifischen
Bedingungen höchst unterschiedlich ausformulierbar sein. Architektonisch-städtebauliche,
ästhetische, gesellschaftspolitische, funktionelle oder symbolische Funktionen
variieren und mischen sich in immer neuen und manchmal sehr überraschender
Weise.
Das macht das Museum - und die Beschäftigung - mit ihm
kurzweilig.
4
Wenn ich die Erfahrungen meiner Beschäftigung mit dem Museum
und der Recherche zum „globalen Museum“ als Maßstab nehme, dann lassen sich
zwei Anforderungen an Museen besonders häufig ausmachen: da ist einmal die
Hoffnung, daß das Museum gesellschaftliche Integrität und Identität, wenn schon
nicht herstellen so wenigstens repräsentieren kann (Nationalmuseen gibt es auch
in den allerkleinsten Staaten und postkoloniale Staaten oder etwa Staaten, die
aus dem Zerfall der Sowjetunion und des kommunistischen Regimes hervorgegangen
sind, schreiben Museen eine besondere Rolle zu).
Und da gibt es zweitens die Hoffnung, daß das „kulturelle
Erbe“ im Museum dauerhaft bewahrt und gepflegt werden kann. Beide Aspekte
gehören zum Kern der europäischen Museumsidee der Aufklärung. Aber ist es nicht
fragwürdig, daß ein einziges Konzept, die Vielfalt der rituellen, memorialen,
ästhetischen und sozialen Praktiken, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt
einmal geleistet haben, zu ersetzen beginnt – überall? (mit Unterstützung von
Organisationen wie ICOM).
Es bleibt ein Unbehagen, oder die Frage, warum das ‚Konzept
Museum’ möglicherweise nicht einfach nur stabil sondern möglicherweise auch so starr
erscheint. Wäre es denn nicht wünschenswert, daß es sich in unterschiedlichen
Situationen neu konfigurieren kann? Ist es nicht problematisch, wenn sich ein
kulturelles Muster buchstäblich weltweit alternativlos durchsetzt?
Alternativlos? Ich bin nicht sicher. Wie wir wissen besitzt
das Museum definitorisch eine beachtliche Randunschärfe. Sehr zum Ärger jener Institutionen
und Interessenvertretung, die innerhalb ihrer Organisationslogik (und weniger
um des Museums willen) eine möglichst einfache Definition benötigen. Denn diese
entscheidet ja über Zugehörigkeit oder Ausgeschlossensein (aus der
Organisation).
Gerade ‚an den Rändern’ findet sich aber das Neue,
Innovative, Zukunftweisende, das möglicherweise nicht nur quantitativ
unterschätzt wird, sondern auch durch das Bemühen um definitorische
‚Sauberkeit’ (ICOM) möglicherweise vorschnell exkludiert bleibt.
5
Die „Idee Museum“ hat sich global durchgesetzt? So
statistisch, wie ich das hier vorführe, verfälscht dieser Satz die Tatsachen.
Die Verteilung der Museen weltweit – die einzige Zahl die ich kenne ist an die
15, 20 Jahre alt und da werden 60.000 Museen genannt -, ordnet sich entlang der
politisch-wirtschaftlich dominierenden Staaten und Großregionen: USA, Europa,
Japan, Australien, in jüngerer Zeit in Ostasien - mit der chinesischen
Museumspolitik von 1000 Museums-Gründungen in 10 Jahren. (Ich kenne keine
brauchbare Studie, die diese Ungleichverteilung abbildet).
Diesen Großregionen sind praktisch alle Museen zuzuordnen,
die als weltweit führend, das kulturelle Erbe repräsentierend und schützend
gelten. Dort befinden sich die Museen, die den Museumsdiskurs bestimmen, die
mit der größten medialen Attraktivität und den höchsten Besuchszahlen.
In jeder Hinsicht ist Afrika das Schlußlicht. Nahezu alle
seine einzelnen Staaten bilden in den einschlägigen Wirtschaftsstatistiken die
lange Schlußkolonne. Die große Ausnahme ist das schon früh industrialisierte
und wirtschaftlich prosperierende Südafrika. Die etwa dreihundert Museen, die
es dort gibt, übertreffen die Zahl der Museen im gesamten restlichen Kontinent.
Mein handgestrickter Versuch, mir ein „Bild“ von der
globalen Situation der Museen zu verschaffen, hat mir viele Überraschungen
beschert und den eurozentrierten Blick, den „wir“ haben, gelegentlich kräftig
abgelenkt.
Ich glaube, daß hier ein weites Feld für Forschung und
Recherche brachliegt, etwa für komparatistische Studien, für nationale
Museumspolitiken, für historische Entwicklungen und vieles andere mehr.
Montag, 27. August 2012
Musealisierung als Ausrottung
(...) So hat man vor kurzem die gesamte Wissenschaft und Technik mobilisiert, um die Mumie von Ramses II zu retten, nachdem man sie einige Jahrzehnte im hintersten Winkel eines Museums hat verfaulen lassen. Bei der Vorstellung, nicht retten zu können, was die symbolische Ordnung während 40 Jahrhunderten zu konservieren wußte ‑ allerdings dem Licht und dem Blick entzogen ‑,wird das Abendland plötzlich von Panik ergriffen. Ramses hat für uns heute keine Bedeutung mehr, nur die Mumie ist von unschätzbarem Wert, denn sie ist der Garant für den Sinn der Akkumulation. Unsere gesamte lineare und akkumulative Kultur bricht zusammen, wenn sich die Vergangenheit nicht für alle sichtbar speichern läßt.
Um diesen Zusammenbruch zu verhindern vertreibt man die Pharaonen aus ihrem Grab und die Mumien aus ihrer Stille. Dafür exhumiert man sie und läßt ihnen militärische Ehren zuteil werden. Sie sind gleichzeitig Beute der Wissenschaft und Beute der Würmer. Nur das absolute Geheimnis sichert ihnen diese tausendjährige Macht ‑ die Herrschaft über die Fäulnis, die zugleich die Herrschaft des totalen Tauschzyklus mit dem Tod ist. Wir können unsere Wissenschaft nur noch in den Dienst der Wiederherstellung von Mumien stellen, d.h. eine sichtbare Ordnung restaurieren.
Demgegenüber war die Einbalsamierung eine mythische Arbeit mit dem Ziel, eine verborgene Dimension zu verewigen. Wir benötigen eine sichtbare Vergangenheit, ein sichtbares Kontinuum, einen sichtbaren Ursprungsmythos, der uns über unser Ende beruhigt. Denn im Grunde haben wir nie daran geglaubt. Warum das historische Schauspiel bei der Ankunft der Mumie am Flughafen? Weil Ramses eine große despotische und militärische Figur war? Ganz sicher. Doch vor allem, weil unsere Kultur davon träumt, hinter dieser verstorbenen Macht, die sie sich einzuverleiben sucht, eine Ordnung zu besitzen, die mit ihr nichts zu tun hätte. Sie träumt davon, weil sie diese Macht als/wie ihre eigene Vergangenheit durch Exhumieren ausgerottet hat.
Wir sind von Ramses fasziniert, wie die Christen der Renaissance von den Indianern Amerikas, jenen (menschlichen?) Wesen, die nie etwas vom Worte Christi gehört haben, fasziniert waren. In den Anfängen der Kolonialisierung gab es einen Augenblick der Bestürzung und des Taumels angesichts der Möglichkeit, selbst dem universellen Gesetz des Evangeliums zu entkommen. Nur eines war möglich: entweder man gab die Nicht‑Universalität dieses GESETZES zu, oder aber man rottete die Indianer aus, um alle Beweise dafür zu vernichten. Im Allgemeinen gab man sich damit zufrieden, die Indianer zu bekehren, oder einfacher noch, sie zu entdecken, was ausreichte, um sie allmählich auszurotten.
So wird es ausreichen, Ramses zu exhumieren, um ihn durch Museifizierung auszurotten. Denn Mumien verfaulen nicht an Würmern: Sie sterben, weil man sie aus der verschlafenen Ordnung des Symbolischen ‑ Herr der Fäulnis und des Todes in die Ordnung der Geschichte, der Wissenschaft und des Museums transhumiert, eine Ordnung, die nichts mehr beherrscht, die lediglich das ihr Vorausgegangene weihevoll der Fäulnis und dem Tode überantwortet und anschließend mit Hilfe der Wissenschaft wieder zum Leben erweckt. Nicht wieder gutzumachende Gewalt gegenüber allen Geheimnissen, Gewalt einer Kultur ohne Geheimnis, Haß einer ganzen Zivilisation auf ihre eigenen Grundlagen.
aus: Jean Baudrillard: Ramses oder die jungfräuliche Wiederuaferstehung
Um diesen Zusammenbruch zu verhindern vertreibt man die Pharaonen aus ihrem Grab und die Mumien aus ihrer Stille. Dafür exhumiert man sie und läßt ihnen militärische Ehren zuteil werden. Sie sind gleichzeitig Beute der Wissenschaft und Beute der Würmer. Nur das absolute Geheimnis sichert ihnen diese tausendjährige Macht ‑ die Herrschaft über die Fäulnis, die zugleich die Herrschaft des totalen Tauschzyklus mit dem Tod ist. Wir können unsere Wissenschaft nur noch in den Dienst der Wiederherstellung von Mumien stellen, d.h. eine sichtbare Ordnung restaurieren.
Demgegenüber war die Einbalsamierung eine mythische Arbeit mit dem Ziel, eine verborgene Dimension zu verewigen. Wir benötigen eine sichtbare Vergangenheit, ein sichtbares Kontinuum, einen sichtbaren Ursprungsmythos, der uns über unser Ende beruhigt. Denn im Grunde haben wir nie daran geglaubt. Warum das historische Schauspiel bei der Ankunft der Mumie am Flughafen? Weil Ramses eine große despotische und militärische Figur war? Ganz sicher. Doch vor allem, weil unsere Kultur davon träumt, hinter dieser verstorbenen Macht, die sie sich einzuverleiben sucht, eine Ordnung zu besitzen, die mit ihr nichts zu tun hätte. Sie träumt davon, weil sie diese Macht als/wie ihre eigene Vergangenheit durch Exhumieren ausgerottet hat.
Wir sind von Ramses fasziniert, wie die Christen der Renaissance von den Indianern Amerikas, jenen (menschlichen?) Wesen, die nie etwas vom Worte Christi gehört haben, fasziniert waren. In den Anfängen der Kolonialisierung gab es einen Augenblick der Bestürzung und des Taumels angesichts der Möglichkeit, selbst dem universellen Gesetz des Evangeliums zu entkommen. Nur eines war möglich: entweder man gab die Nicht‑Universalität dieses GESETZES zu, oder aber man rottete die Indianer aus, um alle Beweise dafür zu vernichten. Im Allgemeinen gab man sich damit zufrieden, die Indianer zu bekehren, oder einfacher noch, sie zu entdecken, was ausreichte, um sie allmählich auszurotten.
So wird es ausreichen, Ramses zu exhumieren, um ihn durch Museifizierung auszurotten. Denn Mumien verfaulen nicht an Würmern: Sie sterben, weil man sie aus der verschlafenen Ordnung des Symbolischen ‑ Herr der Fäulnis und des Todes in die Ordnung der Geschichte, der Wissenschaft und des Museums transhumiert, eine Ordnung, die nichts mehr beherrscht, die lediglich das ihr Vorausgegangene weihevoll der Fäulnis und dem Tode überantwortet und anschließend mit Hilfe der Wissenschaft wieder zum Leben erweckt. Nicht wieder gutzumachende Gewalt gegenüber allen Geheimnissen, Gewalt einer Kultur ohne Geheimnis, Haß einer ganzen Zivilisation auf ihre eigenen Grundlagen.
aus: Jean Baudrillard: Ramses oder die jungfräuliche Wiederuaferstehung
Besuchen Sie Ihr Museum! (Museumsphysiognomien)
Das Universalmuseum Joanneum in Graz wirbt derzeit mit großen Plakaten. "Besuchen Sie Ihr Zeughaus!", "Besuchen Sie Ihr Schloss!", "Besuchen Sie Ihr Palais". Gemeint sind die einzelnen Sammlungsstandorte mit ihren Dauerausttellungen, das Schloss Eggenberg und eben das Museum im Palais.
"Ihr Museum" ist im rechtlichen Sinn korrekt, denn die Sammlungsobjekte sind bei einem öffentlichen Museum wie diesem Landesmuseum Gemeingut, sie gehören jedermann. Das allerdings nur abstrakt. Wer ins Depot ginge, um sich dort für einige Monate ein biedermeierliches Aquarell oder einen Römerkopf zur repräsentativen Ausstattung seiner Wohnung abzuholen, würde auf keine Herausgabebereitschaft stoßen.
Umgekehrt kann aber das Museum auch nichts veräußern, von dem, was es treuhänderisch verwahrt, es sei denn mit höchster politischer Erlaubnis in Ausnahmefällen. Ein bisschen Budgetsanierung mit dem Verkauf eines Objekts, das geht (normalerweise) gar nicht.
Es ist aber nicht anzunehmen, daß die Marketingfachleute oder das Designbüro, die das Plakat entworfen haben, mit dem "Ihr" diesen rechtlichen Besitz an Kulturgütern ansprechen wollen, (der den meisten auch gar nicht bewußt sein dürfte) sondern wohl eher performativ eine Identifikation mit dem Museum als Ganzes herzustellen beabsichtigen. Etwa im Sinn, "das Museum ist für Dich da, es ist Deines, also geh doch (wieder) mal hin".
So etwas kann man aber nicht einfach appelativ herstellen, auch nicht mit einem Rufzeichen am Ende des Satzes. Identifikation mit Museen ist etwas, was langsam aufgebaut und sorgfältig gepflegt werden muß und es natürlich alles andere als gleichgültig, wie und was gezeigt wird.
An Museen in England oder Schottland kann man das Resultat einer solch lange gewachsenen Museumskultur studieren: populäre Museen mit bunten Besuchermassen, die sich wie selbstverständlich durch das Museum bewegen als sei es - eben ihrs.
Nun gut, vielleicht ist ja die Plakatserie ein Teil oder der Beginn einessolchen'Audience Development', also ein Stück Bewirtschaftung öffentlicher Aufmerksamkeit für dieses bestimmte Museum.
Nicht unterschätzen sollte man, daß in dem Appell an die Identifikation schon immer auch der Ausschluß steckt. Denn ein großer Teil der Bevölkerung, die hier angesprochen werden soll, geht nicht etwa deswegen nicht ins Museum, weil sie die Inhalte nicht interessieren oder die Objekte oder die Programme. Sie gehen deswegen nicht hin, weil das Museum als für sie bedeutsamer kultureller Ort schlicht und einfach nicht existiert. Niemand hat das so präzise und empirisch wie theoretisch fundiert beschrieben, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu.
Es gibt einen fundamentalen Ausschluß, der über die Produktion und Verteilung von Wissen und Bildung (schon früh, in Familie und Schule) zustandekommt und dazu führt, daß, wie uns Museumssoziologen versichern, für bis zur Hälfte einer Bevölkerung "das Museum nicht existiert". Es ist nicht "Ihrs".
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Texte im Museum
Freitag, 24. August 2012
Mittwoch, 22. August 2012
Ein Museum: eines am Ender Welt
In der südlichsten Stadt Argentiniens, Ushuaiha, findet man das Museo del Fin del Mundo. Ende der 70er-Jahre wurde es gegründet und bietet einen alten Kaufladen, eine Ausstellung über das Gefängnis von Ushuaia, eine über die
Vögel Feuerlands, sowie eine Bibliothek zum Thema Feuerland. Und für den, der an das Ende der Welt (virtuell) reisen möchte, hat es auch eine Internetadresse. Die allerdings nicht über dieses schaurig-schöne 'Titelbild' hinausführt: |
Dienstag, 21. August 2012
Die Schrecken der österreichischen Museums- und Kulturpolitik
Durch Zufall bin ich auf eine Webseite ohne Impressum mit Artikeln ohne Datierung gestoßen, die allerdings den Vorteil haben, alle um Kulturpolitik und Museumspolitik zu krreisen und ziemlich harsch Kritik zu üben. Die Seite heißt "Texte zur Kulturpolitik" und ist hier zu finden.
"Unlängst." So schreibt Marlene Streeruwitz. "Bei einer Ausstellungseröffnung in einem der großen staatlichen Museen in Wien. Die Direktorin sitzt mit ihrem Team in der Mitte des Saals. Auf Goldstühlchen. Auf Zuruf werden Einzelne in diesen Kreis geholt. Aufgenommen. Alle anderen müssen rundum stehen." Von dieser Beobachtung aus dröselt sie soziale Distinktionen, hegemoniale Strukturen und die Grundierung unserer Kulturpolitik seit der austrofaschistischen Antiaufklärung auf.
Monika Mokres Auseinandersetzung mit dem Museumsquartier läßt schon mit dem Titel keinen Spielraum für das, wie es gemeint ist: "Wo rechtskonservative Kulturpolitik passiert." Sie schreibt "die Geschichte eines spektakulären und in all seinen Phasen abgefeierten kulturpolitischen Scheiterns."
Und da ist dann noch Thomas Trenkler, der die Geschichte der Ausgliederung der Bundesmuseen zusammenfasst, unter dem Titel "Mär der Erfolgsgeschichte". Ein Text, der einem wieder in Erinnerung bringt, was da alles warum und wie falsch angegangen wurde. Und ein Autor, der weit und breit keien Indizien dafür findet, welche Erfolgsgeschichte (die sie für ihre Erfinder ist) das sein soll.
Starke Texte, starke Kritik.
"Unlängst." So schreibt Marlene Streeruwitz. "Bei einer Ausstellungseröffnung in einem der großen staatlichen Museen in Wien. Die Direktorin sitzt mit ihrem Team in der Mitte des Saals. Auf Goldstühlchen. Auf Zuruf werden Einzelne in diesen Kreis geholt. Aufgenommen. Alle anderen müssen rundum stehen." Von dieser Beobachtung aus dröselt sie soziale Distinktionen, hegemoniale Strukturen und die Grundierung unserer Kulturpolitik seit der austrofaschistischen Antiaufklärung auf.
Monika Mokres Auseinandersetzung mit dem Museumsquartier läßt schon mit dem Titel keinen Spielraum für das, wie es gemeint ist: "Wo rechtskonservative Kulturpolitik passiert." Sie schreibt "die Geschichte eines spektakulären und in all seinen Phasen abgefeierten kulturpolitischen Scheiterns."
Und da ist dann noch Thomas Trenkler, der die Geschichte der Ausgliederung der Bundesmuseen zusammenfasst, unter dem Titel "Mär der Erfolgsgeschichte". Ein Text, der einem wieder in Erinnerung bringt, was da alles warum und wie falsch angegangen wurde. Und ein Autor, der weit und breit keien Indizien dafür findet, welche Erfolgsgeschichte (die sie für ihre Erfinder ist) das sein soll.
Starke Texte, starke Kritik.
Samstag, 18. August 2012
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