Ich habe den Pressetext
(hier), den die für die Museen zuständige Minsterin aussenden ließ, unkommentiert gelassen. Jetzt hole ich zwei Anmerkungen nach.
1) Als ich mich als Kunstgeschichtestudent mit - erste heute würde man sagen 'museologischen' - Fragen auseinanderzusetzen begann, kam ich in Kontakt mit der Museumspädagogik und lernte deren Praxis in vielfältigen Projekten schätzen und die verschiedenen ideologischen Grundanahmen dieser Arbeit kennen.
Ich habe mich auch eine Zeit lang engagiert, z.B. in der Weiterbildung und kam damit zwangsläufig in Kontakt mit der Kultur- und Bildungsbürokratie und mit der Haltung der Museen gegenüber der Museumspädagogik.
Das ist eine Erinnerung an eine fast lückenlose Abwehr und Nichtanerkennung, sowohl von den Museen als auch von den für deren Verwaltung Zuständigen. Gelegentlich schlug einem blanke Missachtung und Zynismus entgegen oder unglaubliche Ahnungs- und Interesselosigkeit.
Diese Situation hat sich grundlegend geändert. Aber ich tue mich schwer, dies allein dem Beharrungsvermögen der MuseumspädagogInnen oder, wie sie sich heute eher nennen, der VermittlerInnen zuzuschreiben.
Der 'turn' kam mit der wachsenden Bedeutung der kuulturellen Einrichtungen für die 'Freizeitgesellschaft', mit den populären Ausstellungen und der ebenso popularisierenden Berichterstattung sowie mit der wachsenden Konkurrenz der diversen Institutionen untereinander. So mancher Direktor mutierte in dieser Zeit vom 'Anti-Pädagogen' zum Freund aller Schulklassen, weil ihm da ein quotenbringendes (Zwangs)Publikum ohne eigenen Aufwand in die Säle gebracht wurde.
Meist kam dabei vom Museum kaum Unterstützung aber man überließ den - damals noch überwiegend privaten - Initiativen ein begrenztes Feld.
Vor diesem Hintergrund könnte man die heutige Situation - triumphalistisch reportiert in der minsteriellen Aussendung -, als Triumph der Kulturvermittlung verstehen.
Kann man?
2) In die Geschichte des Museums ist eine lange Geschichte der Disziplinierung, Kontrolle und sozialen Distinktion eingeschrieben. Schon in der Französischen Revolution, als die ersten modernen, staatlichen und allgemein zugänglichen und gesellschaftlich wirksam sein sollenden Museen gegründet wurden, erkannte man das Potential von Museen als ideologische Apparate, die soziale Distinktion sowohl herstellen als auch verschleiern konnte - entgegen dem Versprechen für jedermann zugänglich und wichtig zu sein.
Im industriell höchstentwickelten Land, in England, wo die sozialen Probleme auch zuerst und massenhaft sichtbar wurden, wurde die Pädagogisierung umfassend und regelrecht ordnungspolitisch verstanden - und das durchaus auch ambivalent. Einerseits öffnete man Museen für breite Bevölkerungsgruppen nicht einfach nur, sondern entwickelte Strategien, diese Gruppen auch erfolgreich anzusprechen, zu gewinnen, zu 'bilden'. Andrerseits lag das Ziel klar in einer sozialen Pazifizierung, wenn nicht in einer 'polizeilichen' Ordnungspolitik, die die 'rude populace' und 'laboring multitude' (John Ruskin) disziplineren sollte.
Heute begegnet man noch immer in England, wie wohl kaum anderswo, systematischen, umfassenden und sehr elaborierten Bemühungen um die Besucher, vor allem um die jungen. Hierzulande wird deshalb England oft als ein Eldorade der musealen Vermittlungskultur angesehen und bewundert, während die Aufmerksamkeit für die fortgesetzt disziplinierende und hegemoniale Seite dieser Museumspolitik kaum gesehen wird.
Auch der ministerielle Text - nicht verwunderlich für eine Image-Aussendung -, ist völlig frei von jeder Überlegung zu Sinn und Unsinn der Kampagne, freien Eintritt zu Museen für Jugendliche zu gewähren. Man kann das aus der Perspektive der Museen und der Coinnosseure der Hochkultur als großartige Entwicklung sehen, man kann sich aber auch fragen, ob das alles nicht auch ein Strategie ist, mit der partikulare kulturelle Interessen und Ausdrucksmöglichkeiten sozusagen universalisiert werden sollen. Vermeer für alle? Indische Sakralkunst für alle? Bemalte Bauernschränke für alle? Wirklich?
Während das Universum der bürgerlichen Kultur am Erodieren ist, wird mit einer solchen Politik an einer ungebrochenen Affirmation festgehalten, ja ihre Ausweitung betrieben. Alle Museen und alles im Museum gilt als bewundernswürdig, Wissen stiftend, sozial und intellektuell wohltuend.
Niemand würde auf die Idee kommen, widerspruchslos eine entsprechende Kampagne für andere Medien zu akzeptieren. Man würde nach Inhalten, Bedeutungen, Wirkungen, Auswahl, Verantwortlichkeit usw. fragen. Nicht so hier. Das Museum ist sakrosankt. Und es soll es offenbar auch bleiben.