Donnerstag, 8. Dezember 2011
Dienstag, 6. Dezember 2011
Fundsache "Indianermuseum"
Den Hass erzählen. Eine internationale Tagung zu Museum und Krieg
Ein Bericht von Angelika
Fitz
Erinnert wird, was persönlich berührt, lehrt die Psychologie. Erinnert
wird, was medial präsent ist, weiß die Kulturindustrie. Gedächtniskultur ist
ein boomender Markt und der Krieg nimmt darin immer noch oder vielleicht sogar
wieder eine prominente Rolle ein. Nicht nur in unzähligen fürs Fernsehen
produzierten historischen Dokumentationen wird Geschichte als Abfolge von
Kriegen erzählt, auch in vielen Museen ist das weiterhin der Fall. Unter den
historischen Museen nehmen die spezialisierten „Kriegsmuseen“ –
militärhistorische Museen, Waffenkammern, Gedenkstätten – eine argwöhnisch
beäugte Sonderstellung ein. Sie galten lange als Erinnerungsorte für Veteranen und
ein Blick in die Besucherstatistiken konnte das meistens bestätigen. Müssen
solche Orte nicht in einer Glorifizierung des Krieges und in nationalen
Rhetoriken enden? Nicht mehr zwangsläufig, wie eine Tagung zeigte, die vom Universalmuseum Joanneum in Graz gemeinsam mit
dem internationalen Komitee der militärhistorischen Museen, ICOMAM,
veranstaltet wurde.
Es weht ein frischer Wind durch die Zunft der Militärhistoriker.
Spektakuläre Projekte wie das britische Imperial War Museum und jetzt das
Militärhistorische Museum in Dresden sind nur die sichtbarsten Zeichen einer
museologischen Umorientierung. Die gesellschaftliche und
repräsentationskritische Reflexion des eigenen Tuns und die Suche nach neuen
Zielgruppen gehen dabei Hand in Hand. Die Zeitzeugen der Weltkriege werden
weniger, was sich in den letzten Jahren negativ auf die Besucherzahlen
auswirkte. Ähnlich wie in anderen Museen werden Schulkinder als
unerschöpflicher Markt entdeckt. Aus diesem Trend spricht nicht nur eine
pädagogische Seele, sondern auch eine betriebswirtschaftliche. Mit speziellen
Kinder- und Jugendprogrammen sollen die Lehrer überzeugt werden, mit ihren
Klassen in Scharen für volle Häuser zu sorgen. Aber wie vermittelt ein Museum
den Krieg? Darf ein Kinderprogramm unterhaltsam sein oder gar Spaß machen? Wie
macht man Gewalt und Schrecken nachvollziehbar, ohne die Kinder zu verstören?
Oder sind es eher die Erwachsenen, die Betroffenheit spüren, während sich die
jugendliche „Generation Ego-Shooter“ an der Gewalt im Museum genauso ergötzt
wie in Computerspielen? Mit ihren Waffensammlungen verfügen Militärhistorische
Museen über hochgradig emotionale Objekte. Wie nimmt man mit diesen
Attraktionen am Museumsboom teil, ohne sich an der Verherrlichung von Gewalt zu
beteiligen? Wie erzeugt man Mitgefühl für die Opfer – mit immersiven Strategien
der Überwältigung, mit hautnahem Re-Enactment oder mit reflexiver Distanz? Das
sind nur einige Fragen, die auf der Tagung in Graz unter dem Titel „Gehört der
Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“ diskutiert
wurden.
Militärhistorische Museen haben eine Doppelfunktion als museale
Bildungsinstitutionen und Gedenkstätten, so der Hauptredner Jay Winter, Historiker an der Yale
Universität und ausgewiesener Experte für den Ersten Weltkrieg. Sie seien der
Inbegriff des Museums als „Kathedrale des 21. Jahrhunderts“. Orientierung
könnten sie dann geben, wenn sie Beziehungen zu den Familiengeschichten der
Besucher herstellen. Diese Betonung von individueller Biografie und
Betroffenheit mag auch mit Winters Tätigkeit als Berater von historischen
Fernsehdokumentationen zu tun haben. Darüber hinaus hat er an beeindruckenden
Museumskonzeptionen mitgewirkt, wie dem „Historial de la Grande Guerre“ in
Peronne. Hier liegen Uniformen und Ausrüstungsgegenstände in horizontalen,
bündig in den Boden eingelassenen Vitrinen und erzählen so eindringlich von der
alltäglichen Gegenwart von Tod und Leid auf den Schlachtfeldern. Im Mittelpunkt
stehen nicht die Generäle, sondern die gemeinen Soldaten. Das ist eine Sicht,
die dem Wandel der akademischen Militärgeschichte in den letzten Jahrzehnten
entspricht, so Barton CHacker, Kurator für Armeegeschichte am SmithsonianInstitut
in Washington. Die ersten modernen Militärmuseen im 19. Jahrhundert
standen ganz im Dienst des erstarkenden Nationalstaates und auch im 20.
Jahrhundert dominierten lange die Helden der Nation. Erst ab den 1980er Jahren
gewinnt mit der sogenannten „Neue Militärgeschichte“ der sozialgeschichtliche
Fokus an Einfluss. Der einfache Soldat und die Kriegserfahrungen der
Zivilbevölkerung rücken ins Blickfeld.
In den letzten Jahren hat sich die Kontextualisierung des Krieges in
Museen noch mehr erweitert. Von der institutionalisierten zur persönlichen
Gewalterfahrung lässt sich diese Verschiebung beschreiben. Sie kündigt sich
bereits in der Einladung zur Tagung an, wo die Rede ist vom „pädagogischen
Impuls, Gewalt zu erklären und durch Deutung verarbeitbar bzw. vermeidbar zu
machen“. Pter Armstrong vom „Royal
Armouries“, der königlichen Waffenkammer, in Leeds hat sich stark dieser
pädagogischen Ausrichtung verschrieben. Es scheint ihm unmöglich, seine
Sammlung an glänzenden Waffen den Jugendlichen einfach zu zeigen. Stattdessen
sind die Objekte nur mehr Anlassgeber für Gewalt- und Konfliktprävention.
Gemeinsam mit Schulen organisiert das Museum Seminare zur Einübung in
gewaltfreie Konfliktlösung. Gleichzeitig gibt Armstrong unumwunden zu, dass das
Museum mit diesem Ansatz immer wieder an die Grenzen seiner Möglichkeiten und
Kompetenzen stößt – Museumsvermittler sind keine Jugendarbeiter.
„Man muss staatliche Gewalt und individuelle Gewalt kurzschließen“, sagt
Gorch Pieken, wissenschaftlicher Leiter des MHM in Dresden. „Wir erzählen Hass und
wollen zum Nachdenken darüber anregen, dass es wenig Frieden gibt in der Welt
und verdammt wenig Frieden in uns.“ Dazu passt der Doppelpack, der auf die
Besucher in Dresden am Beginn der Ausstellung wartet: Auf Zitate aus Carls von
Clausewitz strategischem Werk „Vom Kriege“ folgt die raumgreifende Installation
„Love and Hate“ des britischen Künstlers Charles Sandison. Eine solche
Hinwendung zur individuellen Gewaltbereitschaft verspreche zwar Involvierung,
gefährde aber die Wahrnehmung der politischen und wirtschaftlichen Dimension
der Kriege, wie Jay Winter in der Diskussion anmerkt. Und überhaupt halte er es
für unerlässlich, dass nicht über das Universelle des Krieges philosophiert
wird, sondern über konkrete Ausformungen. Krieg ist nicht Krieg. So seien die
beiden Weltkriege, insbesondere der Vernichtungskrieg des
nationalsozialistischen Deutschlands mit keinem anderen Krieg vergleichbar.
Nicht um sonst widme das britische „Imperial War Museum“ in London dem
Holocaust eine eigene Dauerausstellung. Gorch Pieken betont, dass in der
chronologischen Erzählung im Dresdner Altbau ein ganzes Stockwerk der
Kontextualisierung der beiden Weltkriege gewidmet ist. Und es gibt den Neubau
von Daniel Libeskind, der die chronologische Kontinuität der Kriegsgeschichte
im Altbau mit Vehemenz durchschneidet. Die Ausstellungsgestaltung auf der Ebene
des „Dresden-Blicks“ verkörpert paradigmatisch die Hinwendung von einer
nationalen zu einer europäischen Geschichtsschreibung. Materielle Zeugen der
Zerstörung durch die NS-Luftwaffe treten neben die Aussicht auf das
wiederaufgebaute Dresden.
All diese Selbstreflexivität darf nicht darüber hinweg täuschen, dass
militärhistorische Museen Eigentümer und Auftraggeber haben und dass es trotz
Globalisierung noch große Ungleichzeitigkeiten gibt. Das zeigten unter anderem
Vorträge zu Museen in Zypern, der Türkei oder Weißrussland, wo von den
Ausstellungen deutliche Beschwörungen einer nationalen Identität ausgehen. Aber
auch vom MHM in Dresden erwartet die Bundeswehr als Eigentümerin Lernort für
ihre Soldaten zu sein. Welche Botschaft kann ein Museum hier geben? Krieg ist
schlecht oder Krieg ist unvermeidbar? Soll es in böse und gerechte Kriege
unterteilen? „Wir sagen nicht, dass wir ein Pazifismus-Museum sind “, stellt
Gorch Pieken klar und fügt hinzu: „Auschwitz ist von Soldaten befreit worden.“
Sein Museum soll den Soldaten Orientierung geben, indem es deutlich macht, dass
im Krieg Entscheidungen zu treffen sind.
Viele existenzielle und
museologische Fragen konnten auf der ungewöhnlich dichten dreitägigen Konferenz
nur gestreift werden: Wie lassen sich die neuen assymetrischen Kriege verstehen,
in denen sich Söldnertruppen statt nationale Armeen gegenüber stehen? Oder was,
wenn man das Augenmerk nicht mehr darauf legt, wie Kriege ausbrechen, sondern
wie sie beendet werden? Es blieben mehr Fragen als Antworten. Nicht anders
sollte es den Besuchern eines guten Militärmuseums ergehen.
-------------
„Gehört der Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“,
eine Tagung der Museumsakademie des Universalmuseums Joanneum, in Kooperation
mit ICOMAM - International Council of
Museums and Collections of Arms and Military history und dem Landeszeughaus
Graz, Graz 21.-23.09.2011. Es erscheint eine Publikation bei transkript. www.museum-joanneum.at/museumsakademie
Montag, 5. Dezember 2011
Sonntag, 4. Dezember 2011
Das Kriegsmuseum, das dem Krieg zum Opfer fiel
So etwas gibt es auch: ein War Museum, das im Krieg 'untergeht'. Für 2011 war die Eröffnung des War Museum in Tripolis vorgesehen, dessen Bau 2009 begonnen hatte.
Der offizielle Titel war "Museum of Conflict", ein neutrales Cover für ein wohl eher national-patriotisches Museum, das die militärische Geschichte der Unabhängigkeit Lybiens bis zur Gegenwart darstellen sollte.
Der Ehrgeiz des Projekts zeigt sich auch daran, daß man einen Museumsentwurf wählte, der einem Mainstream heutigen Museum-Bauens folgt. In der Wüste sollte ein expressiv-skulpturaler Bau entstehen, der allerdings auch metaphorisch mit der Zelt-'Architektur' der Beduinen arbeitet.
Der Entwurf kam von Metropolitan Workshop, London.
Ghadaffi soll sich noch während des Bürgerkriegs um eine Vorverlegung der Eröffnung bemüht haben, aber die Ereignisse überrollten das Projekt.
Dasselbe Schicksal traf das Museum Islamischer Kunst, das der Gadaffi-Sohn Saif betrieb.
2011 wäre der 100. Jahrestag der Okkupation Lybiens durch italienische Truppen, eines der brutalsten und mörderischesten europäischen Kolonialkriege.
Bemerkenswerterweise berichtet eine lybische Tourismus-Seite ausführlich über das Projekt, den aktuellen Stand der Dinge, den geschichtlichen Hintergrund und den Kontext der aktuellen Gedächtnispolitik.
Zerstörung und Plünderung Ghadaffis Haus |
Aus dem Krieg sind im Land vorerst Gedenkorte für die Toten des Konflikts entstanden, ein Kriegsmuseum braucht niemnd. Allerdings ist eine fragwürdige und kuriose 'Kriegs'-Ausstellung dennoch entstanden, in den Niederlanden, in Breda.
Der Journalist Harald Dornboos war Zeuge der Plünderung von Ghadaffis Haus und er hat Dinge mitgenommen wie Fotos, den Tierausweis einer Katze, Rechnungen einer österreichischen Klinik, ein Poster mit Winnie the Pooh.
Man bezichtigt den Journalisten des Diebstahls und es gibt auch schon Rückgabefordeerungen. Er vertedigt sich, daß es sich um vollkommen wertlose Dinge handelt, die wie tausende andere auch zerstört worden wären. Außerdem würde er die Dinge gern an ein künftiges lybisches Nationalmuseum zurückgeben. (Hier ein ausführlicher Artikel zu der Ausstellung)
Samstag, 3. Dezember 2011
Die unendliche Geschichte der Hamburger Museumspolitik
Als ich mit Sympathie und Solidarität über die drohende Schließung des Altonaer Museums in Hamburg schrieb (ich hatte das Museum wenige Monate zuvor gesehen, als ein schon von politischer Vernachlässigung gezeichnetes Haus), ahnte ich nicht, daß daraus eine unendliche Geschichte werden würde, erweitert um Querelen um nahezu alle Museen für die Hamburg zuständig ist. Das deutsche Feuilleton berichtet nur noch in gequältem aber einheitlichen Ton: so gehts nun wirklich nicht. Den neuesten, wie man so schon sagt: ergebnisoffenen Stand der 'Diskussion' fasste jüngst ein Artikel in taz zusammen. (Hier). Bis auf Weiteres...
In Zeiten einer schleichenden, aber nichts desto weniger garvierenden Museumskrise, ist die Hamburger Politik ein anschauliches Beispiel, was man sich in naher Zukunft an Umgangsformen mit Museen alles noch erwarten darf.
In Zeiten einer schleichenden, aber nichts desto weniger garvierenden Museumskrise, ist die Hamburger Politik ein anschauliches Beispiel, was man sich in naher Zukunft an Umgangsformen mit Museen alles noch erwarten darf.
Freitag, 2. Dezember 2011
Donnerstag, 1. Dezember 2011
Verschwindende Museen - noch eins
Jetzt verschwindet noch ein Museum: das Wiener Opernmuseum.
Es wird mir nicht schrecklich abgehen. Ich habe mich gefragt, wozu es je gut war, es gibt ja ein Theatermuseum in Wien und die Oper braucht kein solches Marketing-Museum.
Jetzt wird es zugemacht.
Nicht aus Einsicht, sondern aus - relativer - Not. Die Deckelung der staatlichen Mittel für die Bundestheater führt zu einer jährlich sich zuspitzenden Budgetsituation. Es muss gespart werden, wo es nur geht.
Auch wenn Museen nicht nur geschlossen werden - grade ist das 21er-Haus wie ein Phoenix aus der Asche des 20er-Hauses wiederstanden -, als Krisensymptom darf man es schon nehmen, wenn Museen (ich habe ja nur von Wien berichtet) zumachen.
Es wird mir nicht schrecklich abgehen. Ich habe mich gefragt, wozu es je gut war, es gibt ja ein Theatermuseum in Wien und die Oper braucht kein solches Marketing-Museum.
Jetzt wird es zugemacht.
Nicht aus Einsicht, sondern aus - relativer - Not. Die Deckelung der staatlichen Mittel für die Bundestheater führt zu einer jährlich sich zuspitzenden Budgetsituation. Es muss gespart werden, wo es nur geht.
Auch wenn Museen nicht nur geschlossen werden - grade ist das 21er-Haus wie ein Phoenix aus der Asche des 20er-Hauses wiederstanden -, als Krisensymptom darf man es schon nehmen, wenn Museen (ich habe ja nur von Wien berichtet) zumachen.
Mittwoch, 30. November 2011
Das Joanneum
Dieser Text wurde 2008 publiziert. Als populärste aller Texte, die ich zum Joanneum geschrieben habe, scheint er mir geeignet, jetzt, zum Jubiläum des Museums, im Blog erneut veröffentlicht zu werden.
Alljährlich am 26. November feiert
das Steiermärkische Landesmuseum Joanneum den Stiftungstag. Kontinuierlich und
seit beinahe 200 Jahren.
Es gibt weltweit sehr wenige
Museen, die ein solches Gedächtnisritual begehen könnten, denn das Joanneum
zählt zu den ältesten Museen überhaupt. Als es 1811 von Erzherzog Johann
gegründet wurde, war die Idee einer öffentlichen Institution, die der Sammlung
von Kulturgütern und Dokumenten, der intellektuellen und ästhetischen
Erfahrung, Bildung und Genuss diente, nicht einmal 20 Jahre alt.
Diese Idee entwickelte sich in der
Aufklärung und wurde erstmals in der Französischen Revolution, im letzten
Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts, verwirklicht. Neu an diesem Modell war
gegenüber allen bis dahin geübten Praktiken des Sammelns, die Vorstellung, dass
der gemeinsame Besitz und Genuss kultureller Überlieferung die Gemeinsamkeit
der Gesellschaft und Nation gleichsam ausdrücken und darstellen konnte. Museen
sollten so etwas wie Medien der Beschreibung, Erzählung und Veranschaulichung
des Gemeinsamen sein.
Während bis dahin Sammlungen, mit
wenigen Ausnahmen, privat waren und einem oft nur sehr beschränkten
Publikumskreis zum Zweck von Bildung, Wissensvermittlung und Erbauung oder
Repräsentation zugänglich waren, gehört der Unterhalt und Betrieb von Museen
von da an zu den ‚wohlfahrtsstaatlichen’ Leistungen im Interesse aller Bürger.
Der Staat finanziert Museen im Interesse aller.
Während wir heute gewohnt sind, den
Besuch von Museen als eine Freizeitbeschäftigung anzusehen, in der
Unterhaltung, Wissenserwerb, Vergnügen oder Bildung miteinander beliebig
gemischt sein können, hatten Museen im 19. Jahrhundert häufig noch sehr
praktische Aufgaben. Kunstgewerbliche Museen waren dazu gedacht, die nationalen
Produktkulturen zu ‚veredeln’ und damit konkurrenzfähig zu halten, in
technische Museen setzte man Hoffnungen auf Sammlung von Erfahrungen und
Wissenstransfer. So zeigte das in der Französischen Revolution (1793) gegründete
Museum im Louvre nicht nur Kunst, sondern am Beginn seiner Entwicklung
regelmäßig gewerblich-technische Ausstellungen.
Bei kaum einem anderen Museum war
diese praktische Funktion so wichtig, wie beim
Joanneum während der Gründungsjahrzenhte. Es bestand zwar aus
Schausammlungen und war für ein breites Publikum geöffnet, zugleich war es aber
eine Lehranstalt mit Lehrkanzeln und kompensierte damit das Fehlen einer
Universität in Graz.
Wichtig waren vor allem die
naturwissenschaftlichen Fächer, also jenes Wissen, das für die Entwicklung von
Gewerbe, Landwirtschaft, Bergbau und Industrie nützlich war. In den Sammlungen
fand man „Medicinalpflanzen“, eine „Holzbibliothek“, ein Chemielabor,
Mineralien, zoologische Präparate, physikalische und astronomische Geräte, aber
auch Objekte von historischem und kunstgeschichtlichem Wert.
Wenn man sich Objekte aus der
frühesten Geschichte der Sammlung ansieht, wird diese nützliche Funktion des
einstigen Museums anschaulich und lebendig, etwa in der wunderbaren Sammlung
von Modellen von Geräten, Werkzeugen und Maschinen der landwirtschaftlichen
Sammlung. 1817 wurde eine Mustersammlung heimischer Fabriks- und
Gewerbeerzeugnisse angelegt.
Dieser praktische, auf die
Entwicklung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steiermark gerichtete
Zweck des Museums, mag uns heute merkwürdig vorkommen, wenn wir als Maßstab die
uns heute gewohnten Vorstellungen vom Museum anlegen.
Aber er war nicht der einzige
Zweck. Einen anderen kann man unter den Begriffen Landeskunde und Landesbeschreibung
beschreiben. Um zu wissen, was ein Land ist, was seine Besonderheiten sind, was
es von anderen unterscheidet und was seine Gemeinsamkeit stiftende
Eigenschaften sind, muss man es zuallererst ‚erkunden’. Archivalien und
Dokumente sollten gesammelt und zur Grundlage einer chronologischen und
statistischen Landeserfassung werden und schließlich einer Landesgeschichte. Die
Initiativen, die Erzherzog Johann dazu setzte, gingen weit über das Museum
hinaus. Er schuf, um es mit einem modernen Wort zu bezeichnen, ein Netzwerk von
Initiativen, Aktivitäten und Institutionen, Vereine, Dokumentationen, die alle
dem Zweck dienten, das Land zu beschreiben und zu ‚erzählen’ und das
öffentliche und wirtschaftliche Leben zu entfalten. 1819 wurde die „Landwirtschafts
Gesellschaft in Steiermark“ gegründet, in den Dreißigerjahren gab es
Industrieausstellungen und 1839 wurde der „Verein zur Ermunterung und
Unterstützung der Industrie und der Gewerbe für Innerösterreich“ gegründet.
Eine Geschichtsschreibung im Sinne
einer die Landesgeschichte in ihrer Dauer und zeitlichen Tiefe großen Erzählung
existierte damals nicht, und deshalb wurde das Sammeln von Quellen veranlasst
und zur Erforschung der Geschichte aufgerufen. „Sind diese Materialien in
gehöriger Vollständigkeit beysammen, so werde unverzüglich an eine Historie
Innerösterreichs, soweit geschichtliche Spuren nur immer hinaufreichen, bis auf
unsere Tage Hand angelegt. Sie soll ebenso kritisch in Rücksicht ihrer Quellen,
als pragmatisch in Rücksicht der großen Wirkungen aus ihren Ursachen, zur
Lehre, Warnung und Nacheiferung seyn.“
Alle diese Maßnahmen, die hier
keineswegs vollständig aufgezählt sind, erschöpfen sich nicht im Erfassen und
Beschreiben. Diese Umfassende ‚Landesbeschreibung’ gab dem Land ein Bewusstsein
seiner selbst, seiner kulturellen, topografischen, historischen Eigenheiten.
Warum ist das so wichtig? Gesellschaften in der Moderne zeichnen sich durch die
Freiwilligkeit ihrer Zusammengehörigkeit aus. Sie sind „Solidargemeinschaften“,
die sich immer wieder ihrer Zusammengehörigkeit versichern müssen. Ein Weg dazu
ist, das Gemeinsame im Kulturellen zu suchen: in einer gemeinsamen Geschichte,
im Besitz kultureller Güter und Werte, in der Pflege von Traditionen.
Landesbeschreibung bedeutet daher
mehr als nur eine auf Grund zusammengetragener Dokumente das Land zu ‚beschreiben’.
Mit und durch die Beschreibung entsteht etwas Neues – ein Wissen von der
Einheit und Besonderheit des Landes, wie es das vorher so nie gegeben haben
konnte. Diese Beschreibung ist ‚Nation Building’ und es interessant, dass zu
dieser Zeit für die Steiermark auch der Begriff Nation auftaucht und für das
Museum ‚Nationalmuseum’, obwohl die Steiermark Teil der Habsburgermonarchie
war.
Bei anderen Landesmuseen der
Monarchie, bei dem früher als dem Joanneum gegründeten Ungarischen und dem
späteren Tschechischen, hatte diese Berufung auf eine eigenständige Nation mit
besonderer kultureller und historischer Identität eine eindeutig
politisch-emanzipatorische Funktion. Diese Museen waren so etwas wie Fabriken
kultureller Identität, auf die ein politisches Selbstbewusstsein aufbauen
konnte und auch aufbauen sollte, bis hin zur Deklaration der politischen
Unabhängigkeit, die beispielsweise in Ungarn 1848 von den Treppen des
Nationalmuseums herab verkündet wurde.
Eine solche nachdrücklich
politische Funktion hatte das Steiermärkische Museum nicht, aber
gesellschaftlich war es in seiner frühen Entwicklung sehr fortschrittlich
dadurch, dass es bürgerliche Interessen vertrat und das Museum als ein dafür
geeignetes Gefäß konzipiert wurde. Wiewohl von einem Mitglied des Kaiserhauses
– aber als Privatperson – initiiert, war das Museum ein Umschlagplatz
bürgerlicher Öffentlichkeit. Erzherzog Johann bewegte die Stände, die
Verantwortung für das Museum zu tragen und es als mächtiges Werkzeug der
kulturellen Bildung und des materiellen Fortschritts zu entwickeln und zu
nutzen.
Wir sind heute gewohnt unter der
Öffentlichkeit von Museen nur noch das Recht zu verstehen, sie – gegen Zahlung
von Eintrittsgeld – betreten und besuchen zu dürfen. Museen funktionieren so,
weil sie zu jenen staatlichen Leistungen und Vorsorgen gehören, die uns, allen
Bürgern, zu unserem Wohl zur Verfügung stehen, wie auch der öffentliche
Verkehr, das Gesundheitswesen oder die Wasserversorgung. Der ‚Wohlfahrtsstaat’
versorgt uns über Museen, so könnte man etwas profan sagen, mit dem
Grundnahrungsmittel Wissen und Bildung.
Öffentlichkeit bedeutet aber zur
Zeit der Gründung des Joanneum etwas Umfassenderes, nämlich aktive Teilhabe der
Bürger an allen ihren Angelegenheiten und aktive Unterstützung dieser Teilhabe
durch das Museum. Bürgerliche Öffentlichkeit organisierte sich in den vielen
Vereinen, die mit dem Joanneum vernetzt waren und in speziellen sozialen
Räumen: etwas wie eine allgemein nutzbare Bibliothek – die im Museum zur
Verfügung stand, einschließlich von Büchern und Zeitschriften, die eigentlich
unter Zensur standen -, war damals ebenso ungewöhnlich wie eine öffentlich
nutzbare Sammlung. Ein weiterer Kristallisationspunkt kultureller Öffentlichkeit
war die Leseanstalt des Museums. Die Bibliothek war auch an Sonn- und
Feiertagen geöffnet, das sogenannte Konversationszimmer von 10 - 21. „In kurzer
Zeit“ berichtet der erste Biograf des Museums, „vereinigten diese Lesezimmer
die gebildetsten Männer aller Stände und die hoffnungsvollsten Jünglinge in
sich...".
Mit heutigen Begriffen müsste man die
dichte Verschränkung von Museum und Öffentlichkeit als Selbstverwaltung und
Partizipation beschreiben, etwas was in der ein oder anderen Form auch bei
anderen Landesmuseen, weniger deutlich entwickelt aber doch, existierte. Diese
Öffentlichkeit mach eindeutig Rückschritte. Bei den meisten Landesmuseen sind
die letzten Reste der Selbstorganisation, etwa durch Trägervereine verschwunden.
Auch beim Joanneum kann man die Rückschritte an öffentlichem Einfluss
verfolgen. Die jüngste Etappe der organisatorischen Entwicklung, die sogenannte
Ausgliederung und Umwandlung in eine GesmbH, schraubte den Einfluss der
Öffentlichkeit auf bloße Beratung in einem Kuratorium zurück.
Heute, einige Jahre nach dieser
Organisationsreform, ist das Joanneum, gemessen an Ausstellungsflächen,
Sammlungsbestand und MitarbeiterInnen eines der größten Museen in Österreich.
Die große Vielfalt seiner Sammlungen erlaubt, ein sehr breites Spektrum von
Themen zu exponieren, aber die Ausstellungen allein geben noch kein Bild vom
Arbeitsfeld des Museums. Zahllose Veranstaltungen, Tagungen, spezielle
Workshops, Führungen, Kinderprogramme, Interventionen, Performances und vieles
andere mehr fügen sich zu einer wahrlich „dichten Packung“ zusammen, mit der
man als nicht leicht erschöpfbarer Besucher gut und gerne das Jahr über die
Zeit verbringen könnte.
Die Chance, sich als
„Universalmuseum Joanneum“ zu etablieren, wie man das vorhat, hat freilich
einen Preis. Nämlich den Aufwand, den inhaltlichen und organisatorischen
Zusammenhang zu wahren. Das Joanneum ist heute vieles aber eben auch vielerlei,
wie ein Blick ins Veranstaltungs- und Ausstellungsprogramm zeigt. Das Museum
konkurriert mit anderen österreichischen Museen um Besucher und um mediale
Aufmerksamkeit, mit manchen Ausstellungen auch international.
Das Museum ist derart groß, dass es
– wie in keinem anderen Bundesland – die regionale „Museumsszene“ dominiert und
eine zentrifugale Kraft entwickelt in dessen Sog in den letzten Jahrzehnten
manche Sammlung und manches Haus eingegliedert wurde. Das architektonisch
spektakuläre Kunsthaus war bekanntlich ursprünglich nicht als teil des Joanneum
geplant.
Unorganisches Wachstum – das könnte
ein Stichwort für die gesamte Entwicklung seit dem späten 19. Jahrhundert sein.
Politische Zufälligkeiten, starke Persönlichkeiten, wissenschaftliche Moden
führten zu sehr unterschiedlichen Gründungen, die heute alle friedlich
koexistieren und kooperieren sollen. Ob das – organisatorisch wie inhaltlich –
noch ein ‚Ganzes’ ist, wird am Haus selbst immer wieder diskutiert, und ob es
noch ein Landesmuseum im herkömmlichen identitären und repräsentativen Sinn
ist, scheint manchmal fraglich und daher das Ersetzen von „Landes-„ durch
Universalmuseum in dieser Hinsicht konsequent.
Das Museum steuert auf das zeitlich
nahe und einzigartige 200-Jahr-Jubiläum mit dem größten Umbruch seiner
Geschichte zu. Ganze Sammlungen wurden schon und werden noch verlegt und
vollkommen neu präsentiert, es wird gebaut, konzipiert, geplant, verändert wie
seit der Gründung 1811 nicht. Mit dem unterirdischen Ausbau zwischen
Raubergasse und Neutorgasse wird nicht einfach nur eine zentrale Erschließung
zweier wichtiger Häuser geschaffen, sondern eine neue städtebauliche
Situierung, die auch symbolisch wirksam sein wird.
„Raubergasse 10“, die älteste und
noch immer privilegierte Adresse, war schon immer ein höchst unspektakulärer
Zugang. Mit dem neuen Entree wird das Museum im architektonischen und sozialen
Gefüge der Stadt aber auch in der ‚Museumslandschaft’ national und
international neu positioniert werden.
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