Dienstag, 20. September 2011

Einladend

Dresden. (Altes) Militärmuseum (2010) Foto: GF

Durchschaut (Texte im Museum 232)


Was verlangt die Gesellschaft von Museen?


Diesen Text habe ich für den Reader der heurigen Sommerakademie geschrieben. Einige freundliche Reaktionen veranlassen mich, ihn in den Blog zu stellen. Gottfried Fliedl

Was verlangt die Gesellschaft von Museen?

Qualität ist nicht messbar, sie wird erstritten

Qualitäten eines Museums sind keine objektivierbaren Eigenschaften der Institution und ihrer Praktiken, die man an ein- für allemal festlegbaren Kriterien messen könnte.
Qualität wird in einem sozialen Feld definiert, das die Institution und Organisation ebenso umfasst, wie auch die Besucher und Nutzer, aber auch den sozialen Umraum, also Öffentlichkeit, Politik, Kulturpolitik oder die Geschichtskultur einer Gesellschaft und die typologischen oder medialen Eigenheiten des Museums.
Und das ist mit Sicherheit keine vollständige Aufzählung, denn eine der signifikanten Merkmale des Museums ist, daß es so viele hat. Es ist ein ‚Hybrid’. Es besteht aus den ältesten Medien, Bild und Schrift und es ist imstande, die neueren und neuesten zu integrieren, wie Film, Video oder das Internet. Und dabei spreche ich nur von den Medien, nicht von der Architektur, der Sammlung, der Organisation und so weiter.
Qualität konstituiert sich zwischen erstarrten kulturellen Praktiken, schnell wechselnden Erwartungen, unterschiedlichen Forderungen und immanenten institutionellen Intentionen und Strukturen. Sie setzt sich sowohl aus individuellen Handlungen und Erwartungen zusammen, wie kuratorischen Entscheidungen oder Interessen und Erwartungen von Besuchern, als auch aus gesellschaftlichen Vorstellungen, die sich an das Museum richten.
Versuche eines normierenden Zugriffs auf Qualität, wie sie in den vergangenen Jahren mehr und mehr üblich, in einigen deutschen Ländern angewendet werden, sind von vornherein auf mess- und zählbare Aspekte des Museums begrenzt. Davon gibt es aber wenige, wie Besucherzahlen, Budgetkennziffern oder zum Beispiel Ausstellungsflächen. Dabei hat man es mit allgemeinen Charakteristika von Organisationen zu tun, aber genau nicht mit dem, was das Besondere und Unverwechselbare des Museums ausmacht.
Gerade das was an einem Museum Qualität ist, ist nicht fest und nicht feststellbar, es ist flüssig, gleitend, launisch. Es ist keine Essenz und fügt sich keinen regulierbaren Normen.
Qualität ist keine Eigenschaft von Museen, sondern eine Erwartung an sie, ein ständiger Prozess, in dem Erwartungen und Einlösung der Erwartungen abgeglichen werden. Qualität bedarf nicht des Messens, sondern der Kritik. Und Qualität entsteht durch Kritik, nicht durch Kontrolle.
Prinzipiell sehe ich zwei Möglichkeiten eine Museumskritik zu entwickeln. In Analogie z.B. zur Film- oder Theaterkritik aus dem Spannungsverhältnis heraus, in dem Erwartungen, Interessen, das Medium und seine Geschichte, seine Produktionslogik, seine Ästhetik und seine technischen Bedingungen stehen. Und zweitens aus der Geschichte der Institution heraus, aus der Logik der Entwicklung, die das Museum genommen hat. Zu dieser Geschichte kann ich mich produktiv verhalten, affirmativ oder zurückweisend. Aber was meiner Meinung nach nicht möglich und auch nicht wünschbar ist, ist diese Geschichte zu vergessen und zu ignorieren.
Erst im Messen an früheren Funktionen, Erwartungen, Praktiken und Formen lässt sich jenes Feld abstecken, in dem das Neue definiert und bewertet werden kann. Mit anderen Worten: Man kann mit der Museumstradition brechen, dann muss man aber wissen, womit man bricht. Alles andere wäre Amnesie oder Arroganz.
Qualität kann also jetzt, aktuell bestimmbar werden aus dem heraus was wir uns vom Museum erwarten, was wir vom Museum brauchen, aber auch aus dem, was das Museum einmal war oder was es vielleicht auch in mancher Hinsicht nicht geworden ist aber noch werden könnte.
Qualität ist keine Norm, deren Erreichen kontrolliert werden kann, sondern Qualität ist für mich das Zusammenspiel von Museumsarbeit mit Erwartungen und Forderungen an das Museum, etwas, was umstritten sein kann und um das auch gestritten werden muss.
Das Museum scheint zwar, wie kaum eine andere kulturelle Praktik, dem Streit entzogen, aber es ist ein Ort, an dem sich soziale und ideologische Interessen kreuzen, aber auf eine sehr diskrete, verschwiegene Art und Weise. Diese Interessen und Ideologien sichtbar zu machen, also eine Art Entmythologisierung des Museums zu betreiben, ist nur möglich, wenn im und durch das Museum selbst diese Widersprüche thematisiert und ausgetragen werden.

Qualität ist ein prinzipiell unabschließbarer Diskurs

An zwei aktuellen Beispielen, die mich in jüngster Zeit beschäftigt haben, möchte ich zeigen, dass Maßstäbe für Qualität in einem sozialen Prozess ausgehandelt werden müssen, und daß es in einem solchen Prozess kaum einen Punkt gibt, an dem man sagen könnte, er sei beendet.
Museen können etwa mit Hilfe eines Mission Statement oder eines Statuts ihre Ziele festlegen. Das wird sie aber nicht und sollte sie aber auch nicht davor schützen, gelegentlich diese Ziele zu überprüfen und zu verändern. Oder sie sind so intelligent, und nehmen das Prozesshafte ihrer institutionellen Identität in das Mission Statement selbst auf. So wie es das National Museum of Canberra gemacht hat, in dessen programmatischen Statement man Fragen findet wie diese: „What does it mean to be an Australian?“
Diese direkte Frage nach der Identität, eröffnet ein Spiel der Antworten und weiteren Fragen, aber kaum eine definitorische Festlegung, was denn ein Australier denn nun ‚ist’. Genauso ist es mit der institutionellen Identität des Museums. Sie ist stets im Fluß (auch wenn es gelegentlich vorkommen kann, daß sie erstarrt, versteinert).
Nun zu meinen zwei Beispielen. Vor einigen Monaten beschloss die Regierung der Stadt Hamburg ein Sparpaket mit Kürzungen im Kulturbereich einschließlich der Schließung eines ehemaligen Regional- nun Stadteilmuseums. Das Altonaer Museum sollte einfach geschlossen werden.
Es entstand eine zivilgesellschaftliche Bewegung gegen die politisch verordnete Schließung des Museums. Diese Bürgerinitiative hat weit über 20.000 Unterschriften dem damals neugewählten Senat der Stadt vorgelegt, mit Forderungen nicht nur gegenüber der Politik, sondern auch gegenüber den Museen. Eine der Forderungen lautet, die Politik soll künftig nur nur noch die juridische, nicht aber mehr die fachliche Aufsicht über die historischen Museen der Stadt beanspruchen. Damit wäre das Museum politisch unabhängiger und fachlich autonom, aber die Bürgerbewegung artikuliert ihre Interessen auch gegenüber dem Museum. Sie pocht auf ihr Recht, sich einmischen zu können. Wie ich meine mit dem Recht, dass sie de jure und politisch Träger, Financier und – was die Sammlung betrifft – sogar Besitzer des Museums ist.
Museen haben eine politische, administrative und rechtliche Trägerschaft. Die kann sich verselbständigen und dann werden Museumsziele (wenn überhaupt) nur in nicht-öffentlichen Verfahren ausgehandelt.
Diese weithin gängige Praxis blendet aus, dass Museen in einem sehr umfassenden Sinn auf Öffentlichkeit angewiesen sind und von ihr getragen werden. Politik, Verwaltung und selbst die Museumsleitung steht in einem treuhänderischen Verhältnis zur Gesellschaft, deren Interessen sie wahrnimmt.
Das wird aber kaum noch wo unter den formellen und informellen Vollzügen sichtbar. Politik, Verwaltung und Museum erscheinen in dieser Hinsicht ein geschlossenes System zu bilden, die Gesellschaft, das Publikum, der Besucher scheint nichts anderes zu sein als ein Konsument ohne Rechte und ohne Einfluss.
Die Hamburger Bürgerinitiative, zielte nicht bloß auf die Rettung des Museums im Sinne eines ‚weiter so wie bisher’. Sie forderte die Wiederherstellung von etwas, was so manchem Museumsleiter und Kurator sehr unbehaglich scheinen mag: Mitbestimmung, oder allgemeiner gesagt, Wiederherstellung eines Stücks klassischer liberaler Öffentlichkeit, in der die Beteiligten selbst über die sie betreffenden Angelegenheiten diskutieren und entscheiden.
Die Hamburger Museumsbürger bewegen sich dabei genau in dem Rahmen, der die Idee des Museums der Moderne so faszinierend macht. Sie nutzen das Museum als sozialen und kulturellen Ort der Repräsentation wie der der Selbstauslegung, als Ort der Verhandlung historischer wie aktueller Fragen, als Ort des Wissens und des Entwurfs und der Erprobung von Identitäten.
Nebenbei gesagt, das ist etwas anderes als Partizipation, die immer ein asymetrisches Verhältnis voraussetzt von jemandem der etwas macht und von jemanden, den er daran beteiligt.
Mein zweites Beispiel. Vor etwa 15 Jahren wurde das Jüdische Museum der Stadt Wien geschaffen, eigentlich müsste man sagen wiederbegründet, denn als ältestes Jüdisches Museum, das die Wiener Jüdische Gemeinde Ende des 19. Jahrhunderts gegründet hatte, war in der Zeit des Nationalsozialismus zerstört worden.
Eine vor wenigen Monaten bestellte neue Museumsleitung hat hastig und ohne Diskussion die Dauerausstellung abbrechen lassen, eine Ausstellung die wegen ihrer museologischen und geschichtstheoretischen Raffinesse berühmt war.
Heute ist nicht mehr die Jüdische Gemeinde Träger des Museums, sondern die Stadt Wien, genauer gesagt, deren ausgegliederte Wirtschaftsbetriebe, die Wien-Holding, wenngleich die Jüdische Gemeinde im Aufsichtsrat des Museums vertreten ist und jederzeit eine gewichtige Stimme hat.
Am Abbruch der Dauerausstellung entzündete sich ein Streit, als von namhaften Vertretern europäischer Jüdischer Museen die Professionalität der Leitung massiv in Frage gestellt wurde. Ein äußerst ungewöhnlicher Fall, weil normalerweise innerhalb einer fachlich einander verbundenen Gruppe von Museen nicht derart offen eine Museumsleitung kritisiert wird. Was losbrach war eine Debatte um die einstige, weit überdurchschnittliche Qualität eines Museums, und über die - bis heute - offene Frage einschloss, welche Qualität denn die nachfolgende Dauerausstellung haben würde oder haben sollte.
Der Konflikt drehte sich aber auch um unterschiedliche Vorstellungen von dem was ein Jüdisches Museum am Beginn des 21. Jahrhunderts sein könnte. Die alte Dauerausstellung stellte die Frage nach der durch den Holocaust unwiderruflich beschädigten und prekären Erinnerbarkeit der Geschichte und machte das in einer ingeniösen Installation (unter anderem unter Verwendung großformatiger Hologramme, die die Nicht/Repräsentierbarkeit von Geschichte medial thematisierten) direkt zum Thema. Inzwischen gibt es aber innerhalb der jüdischen Communities auch Strömungen, die die veränderten heutigen Lebensbedingungen stärker berücksichtigt wissen wollen und sich von der Fixierung auf den Holocaust freimachen wollen. Dieser Linie scheint die neue Direktion folgen zu wollen.
Mich interessieren hier im Moment nicht so sehr die sachlichen Fragen, die noch komplexer sind, als ich sie hier darstelle, sondern der Mechanismus der Debatte, des Streits, der Planungen. Denn hier geht es um mehrere Vorstellungen von Qualität, die alle von Interessen und Projektionen, von Erfahrungen und Wissen mehrerer Gruppen abhängig sind. Jede dieser Gruppen hat eine Vorstellung von einer wünschbaren Qualität des Museums, was nichts anderes heißt, von den wünschbaren Eigenschaften, Funktionen, Themen usw. jeweils aus der Perspektive einer bestimmten Sichtweise, Erfahrung und Haltung.
Die Konfrontation der unterschiedlichen Auffassung vollzog sich nicht rational und öffentlich, sondern nur punktuell und indirekt, etwa über die (in diesem Fall sehr parteilichen) Print-Medien oder die nichtöffentlichen Sitzungen des Aufsichts-Gremiums.
Es wäre aber wünschenswert gewesen, dass es eine öffentliche Auseinandersetzung gibt. Diese wurde aber unglücklicherweise gerade vom Museum selbst nicht gewünscht.

Qualitätskontrolle – ein Paradigmenwechsel ohne Reflexion

Vielleicht verstehen sie vor dem Hintergrund der beiden Beispiele, warum ich gegen ein bestimmtes Verständnis von Qualität polemisiere, das in Museumskreisen und bei Politikern so beliebt geworden ist.
Ich meine jene Vorstellung von Qualität, wie sie in Methodik und Praxis von Qualitätskontrolle gepflegt wird. Qualitätskontrolle scheint in Deutschland und in der Schweiz in Mode zu kommen, kaum noch in Österreich. Ich sehe mindestens vier Probleme, zwei methodische und zwei museumspolitische, deren Diskussion höchst wünschenswert wäre.
Zunächst die zwei methodischen Fragen: offensichtlich gibt es höchst unterschiedliche Ebenen, auf denen über Qualität gesprochen werden kann. Ein Museum kann wegen der Qualität von Objekten, z.B. seiner Gemäldesammlung, geschätzt werden; es kann aber auch als lieu de mémoire der Museumsgeschichte als berühmt und bedeutend gelten, wie etwa eine leidlich erhaltene Kunst- und Wunderkammer des 16. Jahrhunderts; oder aber es kann als sozialer Ort für eine Community aktuell sehr wichtig sein, als Ort, an dem eine Auseinandersetzung mit konfliktreichen sozialen oder kulturellen Fragen stattfindet. Das sind drei völlig verschiedene Ebenen und die Zuschreibung von Qualität, wo sich Wertvorstellungen auf vollkommen verschiedene Aspekte beziehen.
Ich sehe nicht, dass und wie dem geschilderten Sachverhalt normative und quantifizierende Verfahren der Qalitätsbestimmung gerecht werden könnten. An dem Museum, an dem ich arbeite, habe ich gelernt, welche Grenzen zum Beispiel das Benchmarking hat. Scheinbar gleiche Klassen von Kennziffern erweisen sich als für den Vergleich meist untauglich, weil sie im Zusammenhang höchst unterschiedlicher Museen sehr Verschiedenes bedeuten können.
Das zweite methodische Problem habe ich bereits genannt, das weitgehende Fehlen museumsspezifischer quantifizierbarer Merkmale an denen das Museum gemessen werden könnte. Welche Erfahrungen Besucher im Museum machen, welche ‚Lerneffekte’ eintreten und auf welcher Ebene, wie nachhaltig durch Ausstellungen Haltungen, Meinungen verändert werden, das alles entzieht sich nicht nur weitgehend jeder Erfassung, sondern jeder Quantifizierung.
Drittens: Kontrolle setzt immer ein Subjekt der Kontrolle voraus, das Absichten verfolgt und ein Objekt, das kontrolliert wird. Das ist eine hierarchische Situation mit ungleicher Machtverteilung. Daher stellen sich die Fragen, wer mit welcher Absicht und zu welchem Zweck eine solche Kontrolle wünscht, wie transparent die Kontrolle vor sich geht, wie durchschaubar Kriterien, Methoden, Ziele sind und wer die – mit welchen Kompetenzen ausgestatteten - handelnden Personen oder Instanzen sind.
Mir scheint es offensichtlich zu sein, dass der Wunsch nach Qualitätskontrolle mit der generellen sozioökonomischen Entwicklung zu tun hat. Es gibt ein kaum hinterfragtes globales Gebot organisatorischer wie ökonomischer Effizienz. „Sparsamkeit“ setzt sich wie ein Naturgesetz in der öffentlichen Verwaltung durch und trifft auch die Museen. Das Museum, an dem ich arbeite, verliert 2011 25% seiner öffentlichen Mittel und im kommenden Jahr soll sein Budget weiter gekürzt werden.
Qualitätskontrolle ist ein Werkzeug eben dieser staatlichen Verwaltung. Sie bewertet (informell) die Museen nach solchen Kennziffern und agiert auf ihrer Grundlage.
Und es ist ein Werkzeug, mit dem Ausschlüsse stattfinden: Museen, die den Kriterien nicht entsprechen, können dann ‚begründet‘ geschlossen werden oder ihre Förderwürdigkeit wird in Frage gestellt. Aktuell wird in den Niederlanden die staatliche Museumsförderung an 17,5% Eigendeckung gekoppelt. Museen, die weniger erwirtschaften, bekommen keine staatliche Förderung mehr.
Deshalb stehen bei Qualitätskontrolle Kriterien im Zentrum, die der beschriebenen staatlichen Lenkungsabsicht zuarbeiten, wie etwa Besucherzahlen, öffentliche Zahlungen, Eigenmittel, Betriebsgröße usw., nie aber etwa die bildungspolitische oder museologische Qualität einer Museumsarbeit.
Es zeigt sich, dass die Methoden der Qualitätskontrolle nicht neutral sind. Was erhoben wird, wird zum Maßstab von Erfolg oder Misserfolg umgedeutet. Zahlen, die allein betriebswirtschaftlich Sinn machen, werden plötzlich zum Maßstab der Güte eines Museums. Was allein Anreiz sein könnte, die Organisation, betriebliche Abläufe, zu kontrollieren und optimieren, wird zum ‚Sinn des Museums’. Staatliche Politik und Verwaltung, Medien, die Öffentlichkeit und dramatischerweise auch die Museen selbst machen nun Quoten und Rentabilität zum Maß aller Dinge.
Hier dreht es sich dann nicht mehr um Methodenfragen. Hier geht es um einen Wandel der gesellschaftlichen Funktion des Museums.

Das Museum als Dienstleistungsbetrieb

Was sich abzeichnet ist ein Verständnis vom Museum als Dienstleistungsbetrieb und vom Besucher als Kunde. Das verkennt die Beziehung zwischen Museum einerseits und Öffentlichkeit und Publikum andrerseits. Das Museum wäre dann nur noch Produzent von Waren, z.B. Katalogen, oder von Leistungen, wie Führungen, die entgeltlich oder gelegentlich kostenlos, in Summe aber kostendeckend, angeboten werden würden.
Das verkennt den Öffentlichkeitscharakter und die Bildungsidee des Museums im Kontext eines wohlfahrtsstaatlichen Gesellschaftsbegriffs fundamental. Der Staat muss sich dann nicht mehr als Garant der Vermittlung von Bildung und Wissen verstehen, sondern allein noch als Wächter und Regulator betrieblicher Rationalität und Sparsamkeit. Man kann beobachten, wie zum Beispiel staatliche finanzielle Mittel nicht mehr als notwendiger Unterhalt in eine gesellschaftlich sinnvolle Aufgabe verstanden werden, also nicht mehr als Förderung, sondern als Subventionen. So als sei ein Museum ein wirtschaftlicher Betrieb mit dem Ziel maximaler Rentabilität und maximalen Profits.
Ich glaube, dass man, auch und gerade in Museen selbst, unterschätzt, welcher Bruch sich da in der Geschichte und im Selbstverständnis des Museums vollzieht. Dies ist ein Paradigmenwechsel, der hinter den Feingriffen der Qualitätskontrolle, der juridischen Nachbesserungen wie (in Österreich) die Vollrechtsfähigkeit u.v.a.m. vollkommen verschwindet.
Was vor sich geht, ist nicht mehr und nicht weniger als das Austauschen eines gesellschaftspolitischen Begriffs vom Museum durch einen betriebswirtschaftlichen.
Wirklich fassungslos bin ich über die Zumutung uns Dienstleistungsorientierung als Orientierung am Kunden zu verkaufen, und das als einen Art Mehrwert oder Fortschritt gegenüber der bisherigen Entwicklung anpreisen zu wollen. Die Dienstleistungsorientierung wird gerechtfertigt und empfohlen als verstärktes Eingehen auf die Interessen der Besucher.
Das gilt auch für die Euphorie, die über das vermeintliche Potential der Verschwisterung des Museums mit den Social Media etwa unter dem abstrusen Slogan Museum 2.0 in jüngerer Zeit ausgebrochen ist.
So als ob das Museum nicht undenkbar wäre ohne die Resonanz einer Öffentlichkeit, die im übrigen weit über das hinausgeht, was wir Publikum nennen. Hier gibt es nicht nur keinen erkennbaren Fortschritt, im Gegenteil - hier geht es um Zerstörung. Und zwar um Zerstörung jener Idee bürgerlicher und demokratischer Öffentlichkeit, die sich nicht im konsumistischen Dabeisein erschöpfte, sondern Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten meinte und die ein zentrales Strukturmerkmal des Museums der Moderne war.
„Kunden“ entgegenzukommen in Form einer Dienstleistung, bedeutet, diese für Quote, Akklamation oder Einnahmen zu instrumentalisieren, sie bloß als passiven Konsumenten eines Angebots zu betrachten. Die Idee des öffentlichen Bildungsmuseums geht aber von der aktiven und produktiven Teilhabe der Bürger an ihren Angelegenheiten aus, auch im Feld der Kultur und auch im und durch das Museum.

Das Museum der Moderne: Das Recht auf Genuß des kulturellen Besitzes

Ich habe mich mehrfach auf etwas berufen, was ich die Museumsidee der Moderne genannt habe und ich hatte vorhin gesagt, die Aktivitäten der Hamburger Museumsbürger bewegten sich im Rahmen dieser Idee und könnten sich mit allem Rechtauf sie berufen. 
Ich möchte diese Idee in der nötigen Kürze skizzieren, nicht ohne noch einmal daran zu erinnern, dass ich diese Idee nicht als Norm behandelt wissen will, an der über aktuelle Entwicklungen bewertend entschieden wird. Sondern ausschließlich als einen Bezugspunkt, an dem ein orientierendes und reflexives Wissen für Gegenwartsfragen sich ausbilden kann.
In der Museumsgeschichtsschreibung wird in aller Regel die Kontinuität einer Entwicklung des Sammelns und Ausstellens von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart betont. Mit manchen anderen Forschern sehe ich allerdings eine entscheidende Zäsur in der Entwicklung zwischen etwa 1770 und 1810. In dieser Zeit entwickelt sich die Vorstellung vom Museum als Ort eines gemeinsamen und vom Staat protegierten und geschützten Besitzes an kulturellen Gütern und vom Museum als der gesamten (staatlichen) Gesellschaft – in welcher Form auch immer – nützlichen Einrichtung. Also die Vorstellung eines Erbes, das man bewahrt, studiert und genießt, an dem man gegenwartsrelevante Erfahrungen generieren kann und dem man zu diesem Zweck einen besonderen architektonischen und sozialen Ort schafft.
Die physiokratisch inspirierte Museumsreform in Florenz unter Großherzog Leopold, die radikale Öffnung der Gemäldegalerie in Wien unter Maria Theresia, die Umgestaltung des Fridericianum in Kassel, oder die Entscheidung des Englischen Parlaments, eine der größten europäischen Privatsammlungen gleichsam zu ‚verstaatlichen’ sind (um nur einige Beispiele zu nennen) Etappen auf dem Weg zu einer neuen Museumsidee.
Mit der Gründung des British Museum 1753 wird die rechtliche Vorstellung des gemeinsamen (staatlichen) Besitzes der Sammlungen ein zentrales Strukturmerkmal des Museums. Komplementär zur rechtlichen Vorstellung des gemeinschaftlichen Besitzes entsteht zu derselben Zeit die soziale vom Museum als Ort kollektiver Identität - vom Patrimoine, in Frankreich, der Beni Culturali, in Italien oder des Heritage in England.
Erst der gemeinschaftliche Besitz (statt des bis dahin usuellen privaten) macht komplementär den Wandel möglich vom Genuss der kulturellen Überlieferung als Privileg hin zum verbrieften Recht für jedermann, also von der privaten Sammlung zum öffentlichen Museum, und das heißt hin zur Idee der kollektiv verbindlichen Bedeutsamkeit des kulturellen Erbes.
Um sich die unvergleichliche kulturelle Dynamik dieser doppelten Idee von materiellem und geistigem Besitz, von Besitz und Identität vor Augen zu führen, bitte ich sie, kurz an das zwar anrüchige aber für unsere Zwecke unschlagbar illustrative Markenzeichen einer italienischen Verbrecherorganisation zu denken: „Cosa Nostra“.

Das Museum der Moderne: Sammeln und Sich-Sammeln

Die Vorstellung eines gemeinschaftlichen Besitzes, eines Gutes, das nicht nur durch die Gemeinschaft zusammengetragen wird, sondern das seinerseits das in gewisser Weise hilft, die Gemeinschaft herzustellen und die Gemeinschaft zu repräsentieren, entsteht in einer besonderen geschichtlichen Situation. Die alten religiösen und politisch-gesellschaftlichen Sinnstiftungen implodierten im Zeitalter der Aufklärung und Revolution und mussten durch neue ersetzt werden. Eine dieser Legitimations- und Sinnstiftungsinstanzen konnte die gemeinsame (nationale) Geschichte sein. Das ehedem einigende Band der Gemeinschaft, der religiöse Glaube und der (wie in Frankreich) an einen König, der Statthalter dieser religiösen Idee ist, musste ersetzt werden. In der Französischen Revolution vollzieht sich diese Transformation nicht langsam sondern wie ein Schock.
Dort wandelt sich das Verhältnis gegenüber der kulturellen Überlieferung besonders rasch – ablesbar an den Debatten des Nationalkonvents und seiner Ausschüsse und den öffentlichen medialen Debatten. Ohne eine erkennbare Zäsur folgt dem Bildersturm, der Zerstörung der Denkmäler, der Annexion und Säkularisierung die Politik des Sammelns, Aufbewahrens, der (Denkmal)Pflege. Man verstaatlicht im Frankreich der Revolution den königlichen Besitz, beschlagnahmt adelige Sammlungen, säkularisiert Kirchen und Klöster. Es entsteht ein riesiger Fundus, aus dem dann die Museumsgründungen der Revolution gespeist werden.
Mit der Gründung mehrerer großer Museen in den Jahren 1793 und 1794, schafft man so etwas wie ein Common Object, eine Sammlung kulturell-geschichtlich bedeutsamer Dinge, um die herum sich die Gemeinschaft bilden und sammeln kann. Das Erbe ist das (Sammlungs)Ding, um das man sich sammelt, buchstäblich und symbolisch. (Kaum ein Museum verzichtet seither auf entsprechende liminale und versammelnde wie empfangende Räume).

Das Museum der Moderne: Sammeln und Sich-Sammeln Die vergesellschaftende Kraft des kulturellen Erbes
Vielleicht halten Sie diesen Hinweis auf die Idee des kulturellen Erbes im Zeitalter der Bürgerlichen Revolution und Aufklärung für blutleere Theorie. Aber folgen sie mir zu einem bestimmten Datum des Jahres 1793 und sehen sie sich mit mir an, was an diesem Tag in Paris geschieht.
Wir schreiben den 10. August 1793, den Jahrestag der Erstürmung der Tuilerien, also jenes Ereignisses, das als definitives Ende des Königtums in Frankreich gilt, der Tag, ab dem Ludwig XVI. Gefangener und Angeklagter war.
An diesem Tag werden drei Ereignisse bewusst geplant und miteinander synchronisiert, die ihn in den Augen der heutigen Geschichtsschreibung zu dem Tag machen, an dem sich die Bevölkerung von Frankreich zur nationalen und demokratischen Gemeinschaft erklärte.
Es ist der Tag eines Festes, einer Urkunde und eines Ortes.
Das Fest ist La fête de l'Unite, das Fest der Einheit. Man muss es sich als eine Art Prozession vorstellen, mit dem Höhepunkt einer Zeremonie, die auf den Trümmern der Bastille stattfand. Die Abgeordneten aller Departements Frankreichs tranken aus einem Pokal Wasser das den Brüsten einer ägyptisierenden Statue der Weisheit entsprang.
Die Urkunde ist die Verfassung, die erste demokratisch-republikanische Frankreichs. Sie wird an diesem Tag feierlich deklariert.
Der Ort ist der Louvre, seit dem Mittelalter Schloss des Königs und baulich-symbolische Insignie seiner absolutistischen Macht. An diesem Tag wird aus dem königlichen Schloss ein öffentliches Museum. Das Museum Française wird eröffnet.
Alle drei Ereignisse zusammen konstituierten die Französische Nation auf der Grundlage eines demokratischen, rechtlichen und symbolischen Aktes.
Wie die anderen Ereignisse war auch die Eröffnung des Museum im Louvre – ich zitiere Andrew McClellan, Historiker der Geschichte des Museums in der Revolutionszeit -, “tied to the birth of a new nation. The investiture of the Louvre with the power of a revolutionary sign radically transformed the ideal museum public. To the extent that the Louvre embodied the Republican principles of Liberty, Equality, and Fraternity, all citizens were encouraged to participate in the experience of communal ownership, and clearly many did.”
Hier ist nicht von Kunsterfahrung die Rede, nicht vom Sammeln und vom Ausstellen, sondern von der sozialisierenden Funktion des Museums. Die aktive und eigenverantwortliche Teilhabe macht die Bürger zu Citoyens, die ihrerseits als politisch aktive die Nation bilden. Dies ist – buchstäblich – ein Zivilisierungsprozess, und zwar einer, der nicht nur aber auch im Museum stattfindet. 
Die Tragweite von Clellans Formulierung und des Anspruchsniveaus, das mit dem Museum im Louvre etabliert wurde, wird einem erst im Rückgriff auf die am Tag der Museumseröffnung deklarierten Verfassung bewusst. Dort wird das Recht auf Bildung für jedermann verankert und die Verpflichtung des Staates dieses Recht durchzusetzen: „Bildung ist das Bedürfnis aller. Die Gesellschaft muss ihre ganze Kraft daran setzen, die Fortschritte der allgemeinen Vernunft zu begünstigen und allen Bürgern Bildung zugänglich zu machen“, heißt es im Artikel 22 der Verfassung.
Diese staatliche Garantie macht den Kern des wohlfahrtsstaatlichen Verständnisses von Politik, also auch von Kulturpolitik und also auch von Museumspolitik aus. Teilhabe aller ist nicht das Ziel, es ist eine der notwendigen Bedingungen der Realisierung des Ziels. Und dies ist, wortwörtlich im Paragraph 1 der Verfassung, „…das allgemeine Glück“.
Alles was unser konventionelles Museumsverständnis ausmacht, die Sorge um das Objekt (das Bewahren), seine Deutung (Erforschung) und sein Zeigen (Ausstellen) oder Vermitteln sind nicht Zweck und Ziel, sondern Mittel. Mittel eines zivilisierenden Rituals, in dem sich Gemeinschaften ihrer selbst vergewissern, ihre Gemeinsamkeit symbolisch festigen oder auch reflektieren, die Frage nach Herkunft und Zukunft stellen.
Aus unserem Verständnis von Wohlfahrts- und Sozialstaat ist das Bewusstsein für die fundamentale Perspektive unseres Gemeinwesens, wie sie in den ersten Verfassungen, der der Vereinigten Staaten und der Frankreichs und den analogen Menschenrechtsdeklarationen niedergelegt wurde, weitgehend abhanden gekommen.
Bildung ist nicht allein Wissenserwerb oder Kunsterfahrung, sondern aktive Teilhabe an den öffentlichen Angelegenheiten, ein  - noch einmal sei’s gesagt -, zivilisierender Prozess über den sich Individuum und Gemeinschaft, Bürger und Staat gleichsam selbst entwerfen. Und Teilhabe ist nicht bloße Zugänglichkeit zu kulturellen Einrichtungen und schon gar nicht der Kundenstatus bei einem Dienstleistungsbetrieb. Teilhabe bedeutet Öffentlichkeit aktiv selbst herzustellen und sich aktiv an den öffentlichen Angelegenheiten zu beteiligen.
Insofern ist die Idee des Museums der Moderne mit der Idee der Demokratie untrennbar verbunden. Aber diesen Gedanken kann ich hier aus Zeitgründen nicht weiter verfolgen.
Wie dürr und erbärmlich nimmt sich da das Reden vom Dienstleistungsbetrieb, vom Museumskunden und seinen Bedürfnissen aus und erst recht das hartnäckige Selbstmissverständnis der Museen selbst und der Museumspolitik, dass sich Öffentlichkeit in der Zugänglichkeit der Museen für ihr Publikum erschöpft.
Was doch weit darüber hinausgehend im Konzept des Museums der Moderne angelegt ist, ist die Selbstbegründung und Selbstreflexion der Gesellschaft als demokratischer, wobei das Museum einer der vielen Orte ist, wo sich jene Sphäre bürgerlicher Öffentlichkeit entfalten kann, in der die ‚gemeinsamen Angelegenheiten‘ frei und ohne Zwang und idealiter auch unter Absehung aller sozialen Schranken ausgehandelt werden können. Öffentlichkeit ist das, worin sich das wohlfahrtsstaatliche Konzept erst realisieren kann und eine unverzichtbare Bedingung demokratischer Vergesellschaftung - auch in der Sphäre der Kultur. Museen sind, wie andere Institutionen auch, kostbarste Gefäße, in denen sich diese Öffentlichkeit herstellt, entwickelt, entfaltet. Diese Öffentlichkeit ist notwendigerweise diskursiv, analytisch und kritisch, denn nur so kann das permanente Aushandeln stattfinden, mit der sich der Bürger mit der Gemeinschaft identifizieren und diese sich – in einem unabschließbaren Prozess - 'bilden' kann.

Das Museum der Moderne: Ein zivilisierendes Ritual

Wenn Carol Duncan und Sabine Offe von der zivilisatorischen Rolle des Museums sprechen, dann ist im Kern dieser soziale Prozess gemeint. Um von diesen Überlegungen zu einer Kritik des Museums zu kommen und zurück zur Frage nach dem „gutem Museum“ sind ein paar Erläuterungen dazu nötig.
„Der Mythos der  Aufklärung“ schreibt Sabine Offe, „beruht auf der Vorstellung der Wissbarkeit, Darstellbarkeit und Gestaltbarkeit der Welt und ihrer  Beherrschbarkeit durch menschliche Vernunft. Der Bildungsort Museum stellte die Hoffnungen und Illusionen aus, die mit der Engführung von abendländischem Zivilisationsprozess und langfristigen Veränderungen menschlicher Verhaltens- und Empfindensstandards einhergingen. Potentiell alle Museen waren gedacht als Orte, an denen das Publikum sich ein Bild machen konnte von der Ordnung der Welt durch die Anschauung von Objekten aus Natur und Kunst und von der Ordnung der Geschichte in Artefakten, deren vergangene Bedeutung richtungweisend schien für Aufgaben der zeitgenössischen Gegenwart und Zukunft.“
Weder ist das Museum ausschließlich retrospektiv und bloß archivalisch gedacht, nicht als ein Ort des behüteten und geschützten Schlafs der Dinge, wie es ein weitverbreitetes kuratorisches Rollenbild nahelegt, noch ist es ausschließlich eine Agentur des Wissens, das pädagogisch Lehren erteilt.
Das Museum ist ein Ort der Selbstbeschreibung und Selbstauslegung in individueller wie gesellschaftlicher Hinsicht. Die Rituale des Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und „Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der Darstellung und Herstellung von Zivilisiertheit.
„Aber“, ich zitiere wiederum Sabine Offe, „dabei bleibt es nicht, darin erschöpft sich die Funktion des Museums nicht. Unbeachtet bleibt hingegen das diesen Ritualen eigene ambivalente Verhältnis zur gelebten Alltagswirklichkeit. Sie haben eine latente Funktion, die in der ‚Zivilisierung’ nicht aufgeht. Als solche stellen sie ein Wunschbild der bürgerlichen Gesellschaft dar, die sich darin nicht, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte oder sich sehen wollte, spiegelt. Aber ‚zivilisierende’ Rituale im Museum schaffen - wie alle Rituale - Gegenbilder, die nicht nur auf gesellschaftliche Werte und Normen, sondern auch auf ganz andere reale gesellschaftliche Erfahrungen verweisen. Sie thematisieren Verborgenes in entstellter Form. Sie bezeugen nicht nur explizit die Wunsch-, sondern auch implizit die Schreckensbilder der Zivilisation. Denn Museen, alle Museen, repräsentieren nicht nur, was zu sehen ist, sondern auch, was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden soll oder verborgen bleibt, eine Geschichte gesellschaftlicher Gewalt.“
Inzwischen gibt es mehr und mehr Museen, die sich dieser dunklen Seite der Geschichte annehmen. Seit etwa den 80er-Jahren, so ist meine Beobachtung, widmen sich in aller Welt Museen kollektiv traumatisierenden Ereignissen oder nutzen Museen um tiefe Konflikte zu bearbeiten. Daß es Museen gibt, die sich mit den Verbrechen der Roten Khmer auseinandersetzen, mit der Apartheid Südafrikas oder den Verbrechen des Nationalsozialismus, ist insofern neu, als Museen bis dahin immer eher triumphale Großerzählungen waren, affirmative Geschichtsschreibung betrieben haben.
Damit ist aber die von Sabine Offe beschriebene Doppeldeutigkeit von Museen nicht wirklich gelöst, sondern arbeitsteilig aufgespalten.   Die meisten Museen nehmen die Kehrseite ihrer Repräsentationspolitik nicht wahr oder nicht genügend. Aber in dem Maß, in dem etwas verdrängt, ausgeblendet bleibt, wirkt es als undurchschaut umso stärker in die Praxis der Institution hinein. Museen neigen immer noch dazu, Kultur und Geschichte triumphalistisch und affirmativ zu feiern, statt analytisch zu durchdringen.
Daraus leite ich die Notwendigkeit ab, daß Museumsarbeit selbstreflexiv werden muß, kritisch gegenüber dem eigenen Tun, den Methoden der Präsentation, Vermittlung, des Sammelns, kurzum dem gesamten Repertoire von Tätigkeiten, die die Institution Museum ausmachen.
Hier öffnet sich dem Museum ein Potential zu einer selbstreflexiven Praxis, mit der es sich und sein Publikum über sich selbst aufklären und das Entstellte, Verborgene und Verdrängte sichtbar, lesbar und besprechbar machen muss.
Museen müssen einen großen Schritt machen, über einen tiefen Schatten springen und ihre manipulative und hegemoniale Funktion hinterfragen. Denn Museen sind auch, wie es Carol Duncan beschrieben hat, „sites that publicly represent beliefs about the order of the world, its past and present, and the individual's place within it. [...] To control a museum means precisely to control the representation of a community and its highest values and truths."

Museen benötigen Reflexivität

Ein Beispiel dazu: Das Herzstück der Dauerausstellung des Jüdischen Museums Wien bildete eine Installation von Hologrammen, die Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens zeigten. Sie waren wie um einen Platz herum angeordnet, und wer diesen Platz betrat, erlebte, wie die Dinge, Straßenansichten, Porträts, Ritualobjekte, Gebäude, Industrieerzeugnisse, vor seinem Blick auftauchten und verschwanden, ein Effekt von Hologrammen, wenn der Betrachter vor ihnen hin- und hergeht, sich bückt oder umwendet.
Die für diesen Teil der Ausstellung verantwortliche Kuratorin, Felicitas Heimann-Jelinek, erläutert die Installation so: „Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“
Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ eines Hologramms verweigert auch eine phantasmatische, an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen ebenso dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.
Damit reflektiert die Installation die durch Gewalt unterbrochene Erinnerung des in der NS-Zeit zerstörten Museums. Das Museum vermittelt uns – mit rein visuellen Mitteln -, daß wir einer Geschichte nicht ohne weiteres habhaft werden können, auch nicht und gerade nicht im Museum.
Die Leistung einer Ausstellung, wie ich sie hier andeutungsweise zeige, liegt nicht allein in ihrer dokumentarischen Aufgabe, nicht allein in der Vermittlung von Wissen, sondern überwiegend in der Problematisierung der musealen Geschichtserfahrung. Das heißt, sie gibt dem Besucher Möglichkeiten der Reflexion in die Hand, die ihm erlauben, nicht bloß Konsument einer Information zu sein, sondern ein Stückchen jener aktiven, selbstverantwortlichen – also letztlich auch gesellschaftlich-politischen – Teilhabe zu realisieren, die ihn zu Citoyen machen.
Gelingt so etwas im Museum, dann ist es nicht bloß Sammlung und Ausstellung, sondern ein Stück arbeitender, produktiver Öffentlichkeit.
Dies ist, wie ich glaube, eine sehr hohe Qualität. Etwas so zu machen ist anspruchsvoll, fordernd, fordernd für Kuartoren und Publikum, verlangt vom Besucher nicht Konsum, sondern sich selbst fordernd zu verhalten, etwas wissen zu wollen, sich nicht mit der Rolle des Zuschauers zu begnügen, sondern sich aktiv zu sich und seiner Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu verhalten. Das zu erreichen ist gewiss nicht nur eine Aufgabe von Museen, die sich mit jüdischer Kultur und Geschichte befassen.

Resume

In den Debatten um Museumsqualität zeichnet sich eine Verengung auf eine nahezu ausschließlich betriebswirtschaftliche Sicht ab, die der Verengung des Museumsbegriffs auf eine Organisation mit eingeforderter ökonomischer Rentabilität und höchst unklaren gesellschaftlichen Zielen zuarbeitet. Die reichen und komplexen Optionen, die eine so einzigartig hybride kulturelle Institution wie das Museum besitzt, werden verkannt und auf das Ideal konsumistischer Bedürfnisbefriedigung zurückgestutzt.
Dem halte ich einen Begriff vom Museum entgegen, der sowohl aus der Geschichte der Institution gewonnen werden kann, als aus den aktuellen gesellschaftlichen Ansprüchen.
Qualität ist in meiner Sichtweise keine ein- für allemal festlegbare und feststellbare Eigenschaft, sondern die Artikulation von Forderungen an das Museum und die Überprüfung ihrer Einlösung.
Über die Qualität von Museen muss diskutiert und gestritten werden, in einem Prozess, der kaum zum Stillstand kommen darf und in einem Diskurs, den nicht allein, aber vornehmlich die Museen aktiv und energisch betreiben müssen.
Qualitätvolle Museen gibt es dort, wo es Museumskritik gibt, in den Museen selbst, innerhalb der Museumsgemeinschaft und den Museumsverbänden und in den Communities, die Museen finanziell und sozial tragen und die der Museen bedürfen.
Gute Museen entstehen nicht durch Kontrolle, sondern durch Kritik.
Qualitätvolle Museen gibt es dort, wo gesellschaftliche Gruppen, dem Museum etwas abverlangen und Museen klug genug sind, darauf zu reagieren.



Die Männer mit dem Goldhelm


Das Kunsthistorische Museum sucht mit Gold nach Gold fürs Gold. Die professionell aufgezogene Suche nach dem zur Realisierung der Neuaufstellung der Kunstkammer ist auch ein Magnet für die medienberichterstattung. Wers nicht nur affirmativ liebt, darf sich mit dem milden Spott von Vitus H. Weh begnügen (hier, im artmagazin), wer etwas Kleingeld trotz Sparzeiten übrig hat, darf spenden (hier).

Fundstück "IKEA-Stonehenge"



Montag, 19. September 2011

Mikroausstellung "The Elgin Marbels Story"

Lord Elgin, und das italienische Dokument, das - nicht unbezweifelbar - die Rechtmäßigkeit von Elgins archäologischem Abenteuer belegen soll (British Museum). Unten: John Cruickshanks 'Kommentar' zum - umstrittenen - Ankauf der Elgin Marbles durch das British Museum. John Bull verhandelt über den Kauf, seine Famile fleht ihn an: wir brauchen Brot!
Die erste und provisorische Ausstellungshalle der sogenannten Elgin Marbles

Elgin Room des British Museum
Die von Lord Duveen gestiftete Galerie, in der seit den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts die nach England gebrachten Teile des Parthenonfrieses gezeigt werden.
Das Cafe des British Museum mit einer Kopie des Parthenonfries
Parthenon-Flügel des Athener Akropolis-Museum

Japan (Entrée 40)


Echt nicht

Aus einem Grund, den ich nicht angeben kann, dachte ich, das mit dem Kunstfälschen ist vorbei (fortschreitende Techniken der Untersuchung, Vernetzung von Informationen, Voranschreiten der Dokumentation und so...). Dabei geistern derzeit diverse, z.T. sehr ausgedehnte und kompliziert verschleierte Kunstfälschereinen auf, wo man denkt: gibts nicht.
Ein Campendonk erweist sich als Fälschung, peinlich für das Sprengel-Museum, doch das Bild gehört zu einem Puzzle einer offenbar lange zurückreichenden, sehr durchdachten Fälschungsserie, das derzeit Kunstmuseen und Medien in Deutschland beschäftigt.
In China enttarnen Studenten einer Kunstuni ein Werk, das um über acht Millionen Euro auktioniert wurde, als Seminararbeit ihrer Universität. (Muß ja nicht schlecht sein, die Ausbildung, wenn schon Seminararbeiten mit Spitzenwerken chinesischer Gegenwartskunst 'verwechselbar' sind).
Erst durch chemische Amalyse konnte der Campendonk als "bis zum Holzwurmloch" (eine Zeitung) gefälscht entlarvt werden.
Was so kränkend an diesen Fällen ist, ist die Aufweichung eines Gründungsmythos des (Kunst)museums. Echtheit und Authentizität des 'Werks'. Gerade in Zeiten schleichender Virtualisierung (Museum 2.0) muß das Distiktionsmerkmal der Museen verteidigt werden: "Wir haben das Original". Das behauptete der ehemalige Direktor in einer Plakatkampagne des Heeresgeschichtlichen Museums. Nur. Die Direktoren lassen nicht nur den Kauf eines frischen Campendonk zu, sie sind auch sonst nicht immer drauf erpicht, es genau wissen zu wollen.
Gekränkt wird auch der Sachverstand und die Methodik der Kunsthistoriker, die über die "Autopsie des Originals" (wie es zu Zeiten meines Studiums hieß), also sozusagen über einen durch Gelehrsamkeit, Einübung und Talent vermittelten Augenschein, über echt und unecht entscheiden woll(t)en.
Wenn überhaupt, scheinen nur naturwissenschaftliche Untersuchungen und Indizien im kriminoplogischen Sinn Gewissheit zu vermitteln. Wenn man es denn überhaupt genau wissen will.
Ich erinnere mich an die kuriose 'Enttarnung' einer Ausstellung des Hamburger Museums für Völkerkunde, bei der sich die Figuren der berühmten Reiterarmee aus dem chinesischen Kaisergrab als Nachbildungen. Der Direktor verteidigte sich damals mit den schönen Worten, er habe erst im Lexikon nachsehen müssen, was das Wort 'authentisch' bedeutet. Das auch als Fußnote zum Stand der Museologie in Deutschland.

Sonntag, 18. September 2011