Im August habe ich auf eine Studie hingewiesen, in der den Museen Ratschläge erteilt werden. Schlechte und auch nicht besonders sachkundige. Eine, die zusammen mit einem Krisenbefund auch gleich die 'Rettung' der Museen diagnostizieren will. Nur beschleicht einen der Verdacht, daß die Rettung die Museen eher in die falsche Richtung schickt.
Präziser, besser in den Kontext einbezogen hatt nun Martin Fritz diese Studie kommentiert.
Martin Fritz: Aus der Mottenkiste: A.T. Kearney berät Museen, in Causeries du lundi, 06.09.10. Unbedingt lesenswert!
Samstag, 18. September 2010
Freitag, 17. September 2010
Alberto Burri in Citta di Castello
Alberto Burri, 1915 bis 1995. Geboren in Citta die Castello. Ausgebildeter Arzt und als solcher im 2. Weltkrieg in Militärdienst. 1944 in Afrika gefangengenommen wird er in Texas interniert und beginnt dort Kunst zu machen. Nach Kriegsende und Rückkehr nach Italien - und zwar nach Rom - beschäftigt er sich nur noch mit Kunst, unter dem Eindruck des Krieges und seiner Tätigkeit als Arzt macht er Materialbilder. 1947 hat er seine erste Einzelausstellung. In den 50er-Jahren wird er unter anderem durch eine Teilnahme an einer Gruppen- Ausstellung im Guggenheim-Museum New York international bekannt. Er nimmt mehrfach an der Biennale di Venezia und der documenta in Kassel teil. In den 80er-Jahren verwandelt er die Erdbebenruinen der Stadt Gibellina als Protest und Erinnerung an das Im-Stichlassen der Bevölkerung durch die Politik in ein 'Monument' um: die Stadtruine wird mit Beton versigelt, in der das Netz der Strassen und Gassen aber begehbar eingegraben wird. 1981 wird von der Stiftung Burri im Palazzo Albizzi in Citta di Castello mit 32 Werken ein Museum eröffnet, 1990 erfolgt die Eröffnung des Museums in den ex seccatoi del tabacco. 1995 stirbt Burri in Nizza.
Alberto Burri wurde 1915 in Citta di Castello geboren. Seine Karriere machte er in anderen italienischen Städten. Dann stellte ihm eine Tabakfabrik seiner Heimatstadt eine der riesigen Hallen zur Verfügung, die zum Trocknen von Tabak verwendet wurden. In dieser Halle arbeitete Burri und entwarf Werke und Zyklen für genau diesen Ort.
Es wurde eine Stiftung gegründet die zunächst den in der Altstadt gelegenen Palazzo Albizzi zum Museum für Burris Arbeit machten. Der Palast wurde entsprechend der Philosophie des white cube vollkommen purifiziert. Bis auf die originalen Tür- und Fensterlaibungen aus grauem Stein und der weißgefärbelten Holzdecken gibt es nichts mehr, das an die Zeit der Entstehung des Palastes erinnert. So entsteht so etwas wie die Quintessenz eines Renaissance-Palazzo, Säule, Treppe, Eingang…Über einem annähernd quadratischen Grundriß erheben sich zwei für die Ausstellungen genutzten Geschosse. Kein Raum ist so groß und so geschnitten wie der andere, keiner ist exakt rechtwinkelig.
Die Beschriftung ist einzigartig reduziert und besteht immer nur aus Werktitel und Entstehungsjahr, weisse Schrift auf schwarzem Plastik-Prägeband, das passt genau auf die einheitliche Rahmung aus schmalen Holzleisten.
Die Möblierung besteht aus einem einzigen Typ von Sitz aus naturbelassenem Holz.
Die mächtigen Tabakhallen liegen etwas vor der Altstadt, aber im Wohngebiet. Sie sind außen schwarz gestrichen. Es gibt einen winzigen Empfangsbereich, mit Kassa, einigen Büchern und den beiden einzigen Sesseln des ganzen Museums.
Die Hallen, jede von ihnen in der Größe einer kleineren Bettelsordenskirchen, also hohe Räume ohne jede Wandgliederung (bis auf einen Raum) mit offenem hölzernen oder eisernen Dachstuhl. Außer der Beleuchtung gibt es keinerlei Installationen. Eingänge, möglicherweise die originalen, gibt es an den Längswänden, ganz an deren Ende, so daß hier ein Quergang durch die Hallen möglich ist, aber auch ein mäandernder Weg, wie ihn das einzige 'Leitsystem', auf den rohen Betonfußboden mit seinen Gebrauchsspuren, vorschlägt, gerade und rechtwinkelige schwarze Pfeile. Einige Türen, früher zur Manipalution notwendig, sind geöffnet, lassen Tageslicht ein und öffnen Ausblicke.
In jeder der Hallen gibt es einen oder in manchen zwei Werkzyklen. Alle Hallen sind ausschließlich in weiß oder schwarz ausgemalt.
Abgesehen von den Hallen für neue Kunst in Schaffhausen - einer aufgelassenen Textilfabrik -, habe ich noch keine so eindrucksvolle als Kunstraum genutzte Industrieanlagen gesehen. Das liegt freilich nicht nur an der Dimension und Ästhetik der Hallen, sondern an dem ganz und gar eigentümlichen Werk Alberto Burris.
Ich betrete solche Räume und lerne ein solches für mich ganz neues Werk als neugieriger Laie. Ich bin kein Eingeborener der Kunstmoderne, der sich in solchen Biotopen kennerisch bewegt. Hätte ich nicht in einem der Hotels, in denen ich genächtigt hatte, ein Kunstbuch über Burri gefunden, ich wäre wohl kaum nach Citta di Castello gekommen.
Die Notizen zu italienischen Museen, die ich in den letzten Tagen gemacht habe, waren nicht mehr als eben Notizen, Anmerkungen, vielleicht anschaulich genug, daß jeder selbst ein Gefühl entwickeln konnte, ob es ihn einmal interessieren könnte oder auch nicht.
Die beiden Alberto Burri gewidmeten Museen möchte ich entschieden in die Liste der Museen aufnehmen, deren Besuch ich empfehle. Es sind zwei ganz besondere Kunstorte - mit dem Extrabonus einer ansprechenden italienischen Kleinstadt.
Mittwoch, 15. September 2010
Das genügt! (Texte im Museum 114)
Alberto Burri scheint Zeit seines Lebens seine Bilder in ein- derselben Form gerahmt zu haben (mit gerinfügigen Abweichungen, die der Materialität der Bilder geschuldet waren) - und beschriftet. Schmale Prägeetiketten, die auf die Vorderseite oder manchmal auch auf die obere Innenseite des aus schmalen unbehandelten Leisten gefertigten Rahmens passten. Und mehr war nie drin: Titel und Datierung. Palazzo Albizzi, Citta di Castello |
Museo Civico Diocesano Norcia
Immer wenn ich mir bei einem Museumsbesuch denke, wie sehr doch die immergleichen Muster, Strukturen, Settings das Museum eintönig, langweilig machen, stolpere ich im nächsten Museum in die heftigste Widerlegung dieser fixen Idee. Museen haben zwar eine Reihe von strukturellen Gemeinsamkeiten und es kann Steretotype geben, die es sehr langweilig machen können. Aber vielleicht ist es ja so wie in der Musik: über einem einfachen Thema kann die Zahl der Variationen unendlich sein, da gibt es nicht nur den musikalischen Spaß oder das musikalische Opfer, sondern auch die große Oper oder die - Katzenmusik.
Das dachte ich, als ich das Museo civico e diocesano in Norcia betrat.
Ein wirklich scheußlicher Gipskopf, der Vespasian sein sollte, aber vielleicht aus einem Geschäft für Friseurbedarf entliehen war, ein Holzpferd, sehr abgeschabt, aber immerhin orginalgroß, ein auf einer Staffelei für einen lokalen Maler werbendes, ziemlich buntes Gemälde, ein verwitterter Stein, an dem es nichts zu erkennen gab, was durch einen langen erläuternden Text, der daneben auf einer Art Notenständer stand, kompensiert werden sollte, wo alles das erläutert wurde, was es nicht (mehr) zu sehen gab, eine Kutsche, mit einer großen Texttafel in ihrem Inneren "Kutsche", in einem Raum daneben ein Grab mit Skelett und Grabbeigaben, relativ unklaren Authentizitätsgrades, eine Nische mit einer unproportionalen kleinen Statue, der ästhetisches Mißgeschick sich später im Museum aufklärte: es war eine aus einem männlichen Torso und einem weiblichen Kopf zusammengesetzte Skulptur, die irgendeine hochgradige Verwandte des gipsernen Vespasian darstellte.
Also "Katzenmusik"?
Nicht ganz.
Zur Linken gab es eine Glastür, die zur Museumskassa führte, zum Empfangsraum, in dem mich drei Frauen freundlich mit einer Eintrittskarte und einer Geste "hier lang" ausstatteten. Hinter ihnen gabs eine Tür, die zu einer archäologischen Sammlung führte. Von einer umfangreichen Bild-Text-Tafel lächelte mir ein greiser, weißhaariger Herr im roten Hemd entgegen, der Sammler Evelino Massenzi, der in einem langen Text in einer eleganten, salbungsvollen Suada gewürdigt wurde (ach, so hätt ich gern mal einen Text über mich, so altmodisch und wunderlich…!).
Die etruskischen und römischen Reste, die Herr Massenzio zusammengelesen hatte, sagten mir nicht so wahnsinnig viel. Ein Satyr samt Mänade nagelte mein Interesse wegen des mild-erotischen Sujets kurz fest, aber es sah ein wenig so aus, als wolle der Satyr der Mänade grade in den Hintern treten, entweder eine sehr freie Interpretation des Mythos oder ein ästhetisches Mißgeschick eines in der umbrischen Provinz gescheiterten Vasenmalers…
Nach vier Räumen war es zu Ende, ich drehte um und fragte die drei Damen "das wars"? Aus einem Munde seufzten sie "No" und es folgte eine weitere dieser "hier gehts lang"-Gesten. Für den bedrohlichen Aufstieg über eine mehr oder weniger senkrecht nach oben führende Treppe, suchte ich mir Aufschub, um das Pferderätsel zu klären. Da es insgesamt drei Kutschen gab (aber nur ein Pferd) interpretierte ich alles gutwillig als ein im entstehen begriffenes Kutschen- oder gar Verkehrsmuseum. Außerdem stand hinter dem Pferd ein unübersehbar großes Schild, das versprach, jederzeit Tiere und Menschen, also auch mich, in Originalgröße nachbilden zu können. Angesichts des Zustandes des Pferdes verfehlte diese Werbeeinschaltung ihren Eindruck auf mich und ich stattete der Grabkammer einen Besuch ab.
Mit großer Akkuratesse und vielen Farbfotos und langen Texten wurde hier die Frage erörtert, "wie baue ich mir ein Ahnengrab?". Um es gleich zu verraten, es geht ungefähr so wie bei einem Zierteich für den Garten. Steine, Folien, Styropor, Gips, Farbe usw. Skelett rein, Grabbeigaben rein und fertig ist das Ahnegrab.
Das Museum gibt einen Blick frei, auf seine Techniken des Fakens, meint es aber leider nur ernst und nicht auch ein bisschen ironisch oder auch nur selbstreflexiv. Anderso beginnt man zu ahnen, daß das mit dem Ausgraben der Toten und Ausstellen in Museen nicht der Weisheit allerletzter Schluss sein kann. Hier - und beileibe nicht nur hier - herrscht noch ungebrochener Optimismus in punkto musealer Lazarisation.
Jetzt muß ich noch sagen, wo denn das Museum untergebracht war. Nun, Norcia hat im Zentrum einen 'Palazzo', den ich aber als solchen nicht unbedingt bezeichnen würde. Die mächtigen geböschten Sockel, die wehrhaften Ecktürme, die kleinen Fenster des Erdgeschosses, verraten einem, daß die Familien, die sich beim Stadtregieren (= Beherrschen) die Klinke in die Hand gaben, lange Grund gehabt mussten, die militante Antwort der Stadt auf ihre Herrschaft zu fürchten.
Welche Familie grade an der Reihe war, darauf hatten die Bewohner Norcias keinen Einfluss und ob diese Familie nun kluge Reformen betrieb oder sich bloß bereichern oder ihre Macht ausbauen wollte, das war Zufall im Spiel Mächtigerer. Die einzige Abwechslung, die den Norciern geboten wurde, war daß sie ab und an mal auch zum Kirchenstaat gehörten, relativ logisch, wenn man beansprucht, Geburtsort des Hl. Benedikt zu sein.
Schon beim ersten Besuch Norcias hatte mich beigeistert, daß das, was zum Repertoire einer italienischen Kleinstadt gehörte, Piazza, Palazzo Communale, Dom und noch ein paar Adelspaläste, Loggien etc. zwar hier auch vorhanden war, aber in einer eigentümlich leicht geschrumpften, etwas liliputanerhaften Form. Der sogenannte Palast sah für mich immer schon eine wenig aus, wie eine aus einem Ausschneidebogen gebastelete Burg, die man irrtümlich in eine Stadtmitte versetzt hatte.
Wie auch immer. So ein Gebäude hat hohe Räume, also auch mächtige Treppen.
Jetzt blieb mir nur noch der Aufstieg in den ersten Stock. Dort wars zu Ende mit "Katzenmusik". Unvermittelt stand ich in einer archäologischen Ausstellung, viele Räume groß, Norcia gewidmet, aus dem Anlaß irgendeines Vespasian-Jubiläums (ja, der aus Gips, unten im Hof). Sehr detailliert und eher von Fachmann zu Fachmann konzipiert, wurden hier auf offenbar rezentem Forschungsstand durchaus spannende Fragen abgehandelt: die Entwicklung einer Region und einer Stadt, ihrer Verkehrswege, ihrer Wirtschaft, ihrer politischen Verfassung, ihrer sozialen Entwicklung. Meist eher karge Objekte wurden mit langen Raumtexten zusammenfassend gedeutet und die Detailgenauigkeit war dabei das Entscheidende.
Ich mag es, wenn einem genau erklärt wird, warum eine ganze Stadt entvölkert wird, die man eben in einem eigenen 'Entwicklungsplan' wieder wirtschaftlich beleben wollte, nur weil diese Stadt eine falsche politische Loyalität wählte. Dabei spielte die Schafzucht und die Wanderwege der Herden eine große Rolle, Wege, die man noch heute im Straßennetz um Norcia erkennen kann. Und ich habe begriffen, wie dicht zu römischer Zeit das Straßennetz in diesem grade nicht sehr wegsamen Gelände schon war, wie groß die Anstrengungen waren, ein sicheres und die zentralen Punkte optimal verknüpfendes Wegenetz zu errichten. Und so nebenbei: daß sich hohe Beamte 'schon damals' (in Fels gehauen, also 'auf ewig') Denkmäler für ihre straßenbauverwalterische Tätigkeit in Rom errichten ließen.
Nicht schlecht.
Dieser ganze Teil ist eine bis 2011 laufende Sonderausstellung.
Die Dauerausstellung des 1. Stockwerks wird mit christlicher Kunst bestritten. Und die war offenbar wieder Gegenstand des Sammeleifers von Herrn Massenzio. Wer so eifrig für sein Vaterland, seine Heimatstadt sammelt, der wird auch entsprechend gewürdigt. Den Text habe ich schon erwähnt. Aber nicht, daß an mindestens vier Stellen, mitten in der Sammlung und ausstellungstechnisch von ihr nicht unterschieden, die Werke über seine Sammlung (viele und neue) präsentiert wurden, vor christlicher Kunst, auf roter Seide, in einer langen, alten Pultvitrine zum Beispiel.
Ehe man zu den Verzückungen und Extasen des 16. und 17. Jahrhunderts vordringt, die es millionenfach gegeben haben muß und in den Museen immer noch gibt, und die einem den Katholizismus so richtig symphatisch macht, ist man mit einigen zwar schwer derangierten aber eindrucksvollen Plastiken und Gemälden des 12. und 13. Jahrhunderts konfrontiert. Hier habe ich verstanden, warum es Sinn machen konnte, wie in vielen anderen Orten und Ländern auch, den 'Kunstbesitz' im 19. Jahrhundert nach und nach zu säkularisieren und in urbanen Museen zu zentralisieren. Sehr lange waren diese Objekte schon in entlegensten winzigen Kapellen oder Kirchen verfallen. - Aber jetzt rede ich ja schon wie ein Museumskurator oder Denkmalschützer….
Das dachte ich, als ich das Museo civico e diocesano in Norcia betrat.
Ein wirklich scheußlicher Gipskopf, der Vespasian sein sollte, aber vielleicht aus einem Geschäft für Friseurbedarf entliehen war, ein Holzpferd, sehr abgeschabt, aber immerhin orginalgroß, ein auf einer Staffelei für einen lokalen Maler werbendes, ziemlich buntes Gemälde, ein verwitterter Stein, an dem es nichts zu erkennen gab, was durch einen langen erläuternden Text, der daneben auf einer Art Notenständer stand, kompensiert werden sollte, wo alles das erläutert wurde, was es nicht (mehr) zu sehen gab, eine Kutsche, mit einer großen Texttafel in ihrem Inneren "Kutsche", in einem Raum daneben ein Grab mit Skelett und Grabbeigaben, relativ unklaren Authentizitätsgrades, eine Nische mit einer unproportionalen kleinen Statue, der ästhetisches Mißgeschick sich später im Museum aufklärte: es war eine aus einem männlichen Torso und einem weiblichen Kopf zusammengesetzte Skulptur, die irgendeine hochgradige Verwandte des gipsernen Vespasian darstellte.
Also "Katzenmusik"?
Nicht ganz.
Zur Linken gab es eine Glastür, die zur Museumskassa führte, zum Empfangsraum, in dem mich drei Frauen freundlich mit einer Eintrittskarte und einer Geste "hier lang" ausstatteten. Hinter ihnen gabs eine Tür, die zu einer archäologischen Sammlung führte. Von einer umfangreichen Bild-Text-Tafel lächelte mir ein greiser, weißhaariger Herr im roten Hemd entgegen, der Sammler Evelino Massenzi, der in einem langen Text in einer eleganten, salbungsvollen Suada gewürdigt wurde (ach, so hätt ich gern mal einen Text über mich, so altmodisch und wunderlich…!).
Die etruskischen und römischen Reste, die Herr Massenzio zusammengelesen hatte, sagten mir nicht so wahnsinnig viel. Ein Satyr samt Mänade nagelte mein Interesse wegen des mild-erotischen Sujets kurz fest, aber es sah ein wenig so aus, als wolle der Satyr der Mänade grade in den Hintern treten, entweder eine sehr freie Interpretation des Mythos oder ein ästhetisches Mißgeschick eines in der umbrischen Provinz gescheiterten Vasenmalers…
Nach vier Räumen war es zu Ende, ich drehte um und fragte die drei Damen "das wars"? Aus einem Munde seufzten sie "No" und es folgte eine weitere dieser "hier gehts lang"-Gesten. Für den bedrohlichen Aufstieg über eine mehr oder weniger senkrecht nach oben führende Treppe, suchte ich mir Aufschub, um das Pferderätsel zu klären. Da es insgesamt drei Kutschen gab (aber nur ein Pferd) interpretierte ich alles gutwillig als ein im entstehen begriffenes Kutschen- oder gar Verkehrsmuseum. Außerdem stand hinter dem Pferd ein unübersehbar großes Schild, das versprach, jederzeit Tiere und Menschen, also auch mich, in Originalgröße nachbilden zu können. Angesichts des Zustandes des Pferdes verfehlte diese Werbeeinschaltung ihren Eindruck auf mich und ich stattete der Grabkammer einen Besuch ab.
Mit großer Akkuratesse und vielen Farbfotos und langen Texten wurde hier die Frage erörtert, "wie baue ich mir ein Ahnengrab?". Um es gleich zu verraten, es geht ungefähr so wie bei einem Zierteich für den Garten. Steine, Folien, Styropor, Gips, Farbe usw. Skelett rein, Grabbeigaben rein und fertig ist das Ahnegrab.
Das Museum gibt einen Blick frei, auf seine Techniken des Fakens, meint es aber leider nur ernst und nicht auch ein bisschen ironisch oder auch nur selbstreflexiv. Anderso beginnt man zu ahnen, daß das mit dem Ausgraben der Toten und Ausstellen in Museen nicht der Weisheit allerletzter Schluss sein kann. Hier - und beileibe nicht nur hier - herrscht noch ungebrochener Optimismus in punkto musealer Lazarisation.
Jetzt muß ich noch sagen, wo denn das Museum untergebracht war. Nun, Norcia hat im Zentrum einen 'Palazzo', den ich aber als solchen nicht unbedingt bezeichnen würde. Die mächtigen geböschten Sockel, die wehrhaften Ecktürme, die kleinen Fenster des Erdgeschosses, verraten einem, daß die Familien, die sich beim Stadtregieren (= Beherrschen) die Klinke in die Hand gaben, lange Grund gehabt mussten, die militante Antwort der Stadt auf ihre Herrschaft zu fürchten.
Welche Familie grade an der Reihe war, darauf hatten die Bewohner Norcias keinen Einfluss und ob diese Familie nun kluge Reformen betrieb oder sich bloß bereichern oder ihre Macht ausbauen wollte, das war Zufall im Spiel Mächtigerer. Die einzige Abwechslung, die den Norciern geboten wurde, war daß sie ab und an mal auch zum Kirchenstaat gehörten, relativ logisch, wenn man beansprucht, Geburtsort des Hl. Benedikt zu sein.
Schon beim ersten Besuch Norcias hatte mich beigeistert, daß das, was zum Repertoire einer italienischen Kleinstadt gehörte, Piazza, Palazzo Communale, Dom und noch ein paar Adelspaläste, Loggien etc. zwar hier auch vorhanden war, aber in einer eigentümlich leicht geschrumpften, etwas liliputanerhaften Form. Der sogenannte Palast sah für mich immer schon eine wenig aus, wie eine aus einem Ausschneidebogen gebastelete Burg, die man irrtümlich in eine Stadtmitte versetzt hatte.
Wie auch immer. So ein Gebäude hat hohe Räume, also auch mächtige Treppen.
Jetzt blieb mir nur noch der Aufstieg in den ersten Stock. Dort wars zu Ende mit "Katzenmusik". Unvermittelt stand ich in einer archäologischen Ausstellung, viele Räume groß, Norcia gewidmet, aus dem Anlaß irgendeines Vespasian-Jubiläums (ja, der aus Gips, unten im Hof). Sehr detailliert und eher von Fachmann zu Fachmann konzipiert, wurden hier auf offenbar rezentem Forschungsstand durchaus spannende Fragen abgehandelt: die Entwicklung einer Region und einer Stadt, ihrer Verkehrswege, ihrer Wirtschaft, ihrer politischen Verfassung, ihrer sozialen Entwicklung. Meist eher karge Objekte wurden mit langen Raumtexten zusammenfassend gedeutet und die Detailgenauigkeit war dabei das Entscheidende.
Ich mag es, wenn einem genau erklärt wird, warum eine ganze Stadt entvölkert wird, die man eben in einem eigenen 'Entwicklungsplan' wieder wirtschaftlich beleben wollte, nur weil diese Stadt eine falsche politische Loyalität wählte. Dabei spielte die Schafzucht und die Wanderwege der Herden eine große Rolle, Wege, die man noch heute im Straßennetz um Norcia erkennen kann. Und ich habe begriffen, wie dicht zu römischer Zeit das Straßennetz in diesem grade nicht sehr wegsamen Gelände schon war, wie groß die Anstrengungen waren, ein sicheres und die zentralen Punkte optimal verknüpfendes Wegenetz zu errichten. Und so nebenbei: daß sich hohe Beamte 'schon damals' (in Fels gehauen, also 'auf ewig') Denkmäler für ihre straßenbauverwalterische Tätigkeit in Rom errichten ließen.
Nicht schlecht.
Dieser ganze Teil ist eine bis 2011 laufende Sonderausstellung.
Die Dauerausstellung des 1. Stockwerks wird mit christlicher Kunst bestritten. Und die war offenbar wieder Gegenstand des Sammeleifers von Herrn Massenzio. Wer so eifrig für sein Vaterland, seine Heimatstadt sammelt, der wird auch entsprechend gewürdigt. Den Text habe ich schon erwähnt. Aber nicht, daß an mindestens vier Stellen, mitten in der Sammlung und ausstellungstechnisch von ihr nicht unterschieden, die Werke über seine Sammlung (viele und neue) präsentiert wurden, vor christlicher Kunst, auf roter Seide, in einer langen, alten Pultvitrine zum Beispiel.
Ehe man zu den Verzückungen und Extasen des 16. und 17. Jahrhunderts vordringt, die es millionenfach gegeben haben muß und in den Museen immer noch gibt, und die einem den Katholizismus so richtig symphatisch macht, ist man mit einigen zwar schwer derangierten aber eindrucksvollen Plastiken und Gemälden des 12. und 13. Jahrhunderts konfrontiert. Hier habe ich verstanden, warum es Sinn machen konnte, wie in vielen anderen Orten und Ländern auch, den 'Kunstbesitz' im 19. Jahrhundert nach und nach zu säkularisieren und in urbanen Museen zu zentralisieren. Sehr lange waren diese Objekte schon in entlegensten winzigen Kapellen oder Kirchen verfallen. - Aber jetzt rede ich ja schon wie ein Museumskurator oder Denkmalschützer….
Dienstag, 14. September 2010
Noch eine Schlossdebatte - Paris
Nur etwas mehr ein Jahrzent Wirklichkeit: Louvre und Tuilerien sind ein einziger Gebäudekomplex |
Der Brand der Tuilerien 1871 |
Ein «Comité national pour la reconstruction des Tuileries» fordert und betreibt die 'originalgetreue' Wiedererrichtung. Die Parallelen zur Berliner Schlossdebatte liegen in der Vorstellung der Rekonstruktion, der vorgeschlagenen musealen Nutzung und eines - natürlich nicht so offen deklarierten - politisch-restaurativen Motivs.
Der große Unterschied zur Berlin ist die eigentümliche Geschichte dieses Baus. Das Schloß wurde als selbständiger Bau dem Louvre gegenüber errichtet. Seit Ludwig XIV. wurden immer wieder Pläne verfolgt, die beiden Gebäude zu einer einzigen, riesigen Anlage zu verbinden. Das geschah z.B. mit der ursprünglich fast 500 Meter langen Grand Galerie. Erst unter Napoleon III. gelang, was hochbarocken Vorstellungen entsprach. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts gelang der Zusammenschluss der inzwischen immer wieder umgebauten Tuilerien mit dem Louvre, der inzwischen ja teilweise bereits Museum war. Die beiden langen Flügel, die den nach einer Seite hin offenen Ehrenhof bilden, in dem heute die gläserne Pyramide das Zentrum bildet, sind ursprünglich die verbindenden Bauten
Das Paradoxe der Situation ist aber die, daß in der Pariser Commune 1871 die Tuilerien durch Brandstiftung so schwer beschädigt wurden, daß man sich einige Jahre später entschloss, den ruinösen Bau abzubrechen. Wenn man heute also den 'Generalplan' des Grand Louvre ins Treffen führt, bezieht man sich auf einen nur wenig mehr als zehn Jahre dauernden Zeitraum, in dem Louvre und Tuilerien tatsächlich einen einzigen Gebäudekomplex bildeten.
Der zweite eklatante Widerspruch der Idee einer Rekonstruktion ist, und das ist auch der zweite große Unterschied zu Berlin, daß ihre Realisierung (deren technisch-handwerkliche Machbarkeit stark bezweifelt wird) eine Zerstörung bedeutete. Denn die mit Napoleons Triumphbogen einsetzende städtebauliche Regulierung würde ihre Funktion einbüssen. Die Blick- und Straßenachse, die bis zum Grand Louvre Mitterands und Peis Grundlage der Neuordnung und -bauten war, wäre vom Louvre wieder abgeschnitten. Sie hatte sich zwar geometrisch auf die Tuilerien bezogen (die sich ganz exakt achsial auf den Louvre ausgerichtet haben), aber längst haben Pei und andere, etwa der Architekt der Grand Arche in La Defense, die Situation neu und in Rückriff auf die Lage beiderBauten interpretiert.
Zitzmann referiert ausführlich die Zerstörung der Tuilerien durch die Commune, erwähnt aber nicht, daß der Louvre gleichzeitig ebenfalls Zielscheibe des Vandalismus war. Da aber auch diese Revolution in ihrer Haltung zum kulturellen Erbe gespalten war, konnte es dem Eingreifen einer Hand voll von Personen gelingen, diesen Bildersturm abzuwenden. (Die betreffenden Militär- und Zivilpersonen haben im Louvre eine Gedenktafel).
Und noch etwas macht die Pariser 'Schlossdebatte' so anders: die Rolle der Tuilerien in der Französischen Revolution. Als es 1792 zur Erstürmung kam, die sich aus dem aussichtslosen Widerstand der Leibwache des Königs entwickelte, wurde die Königsfamilie festgesetzt und Anklage erhoben. Dies war der Beginn der definitiven Abschaffung der Monarchie und das Datum des Sturms auf die Tuilerien wurde ein Jahr später zum Gründungsfest der Republik, ein Tag, an dem auch das Museum im Louvre eröffnet wurde.
Eine Rekonstruktion der Tuilerien hätte also reichere und virulentere symbolische und politische Bedeutung als die des Berliner Schlosses. Der große Ton, den das "Comite" lanciert wird aber wohl nicht dazu führen, daß man ein Schloß wiedererrichtet, dessen Ästhetik und Funktion immer schon problematisch war: «Wider jeden Defaitismus" zitiert es Marc Zitzmann, "wird der französische Genius hier die Gelegenheit finden, sich in einer grossen Causa auszudrücken und die ruhmvollen Kompetenzen zahlreicher Berufsstände aufglänzen zu lassen.»
Wie im Berliner Fall möchte man sagen: hoffentlich nicht.
Montag, 13. September 2010
Spurenlese
Das eine Beispiel stammt aus dem Museum Allerheiligen in Schaffhausen,
das andere aus dem Rosgartenmuseum in Konstanz.
Beidemale werden die Objekte wie alle anderen Objekte gezeigt, ohne eine besondere Akzentuierung. Dabei scheinen sie mir mehrfach übercodiert. Zunächst mal als Dokumente demokratischer Bekenntnisse und Hoffnungen - dazu gibt es in einschlägigen Musenn in der Regel nicht so viel zu sehen. Dann aber durch den Umstand, daß in beiden Fällen dieses Bekenntnis, verheimlicht, versteckt wurde (übrigens zweimal 'auf dem Dach....').
Es sind Zeugnisse der Unterdrückung und der unterdrückten Hoffnungen.
Aber in beiden Fällen ist es auch Flaschenpost (die eine noch dazu in Blei gehüllt, unzerstörbar sollte sie sein)), eine Botschaft an die Zukunft, an künftige Generationen, die Hoffnung, die sich aktuell nicht verwirklichen läßt, dereinst einzulösen.
Museen sind Spezialisten für solche Botschaften - sie nehmen nur diese Aufgabe selten an oder übersehen sie. Das Uneingelöste individuellen Lebens und kollektiver Wünsche geistert entweder weiter unerlöst in den Museumsräumen - oder man gibt ihnen einen entschiedeneren Platz - im buchstäblichen wie metaphorischen Sinn - als das hier geschieht.
An der Dialektik von bloßem Aufbewahren einerseits und Weitergeben einer Botschaft, einer Hoffnung, eines Begehrens entscheidet sich die soziale Sinnhaftigkeit des Museums.
Anschauung / Geschichtserfahrung / Heimat
Für den Schulunterricht bestimmtes Relief Kärntens. Handwerksmuseum Baldramsdorf |
Auf der Glasplatte der Vitrine liegt ein Artikel zum Geoplasten P. Oberlercher |
Text von Utz Jeggle: Subjektive Heimat - objektive Musealität. Zum Verhältnis von subjektiver Erlebnisfähigkeit und objektiven Ereignissen, Heimat im Museum, Koblenz 1984, S.11ff.
Freitag, 10. September 2010
"Museum" (Texte im Museum 110)
Fundsache - "Scarpa femminile..."
Museo Civico Montefalco
Eine signifikante Eigentümlichkeit italienischer Museen ist ihre Beziehung zum Ort und zur Geschichte. Der Bruch, der Musealisierung strukturell immer auszeichnet, ist hier abgeschwächt weil Kunstwerke oder kulturelle Artefakte sehr häufig 'in situ' gezeigt werden können, nicht selten sogar in einer seit ihrem Entstehen unveränderten Zusammenhang.
Auch wenn jede Musealisierung eine Zäsur bedeutet (der Moment, wo das Wort 'Museum' über der Pforte angebracht, Eintrittsgeld erhoben, eine Beleuchtung und Beschriftung installiert wird und vieles andere mehr.
So können auch kleine italienische Museen, die bei uns Dorf-, Stadt- oder Heimatmuseen genannt werden (nicht, daß es nicht auch Vergleichbares gäbe), auf eine derartige typologische Bezeichnung verzichten, weil ihre geschichtliche Tiefendimension und der kulturelle Raum, den sie repräsentieren, einen so ungleich weiteren Horizont hat.
Wer eins dieser Museen betritt, sieht sich unversehens ins 13. Jahrhundert (mit einem Altarbild), ins spätrömische Zeit (mit einer Kleinplastik) oder in die etruskische Epoche versetzt (mit einem Urnengefäß). Solche Museen sind auch nicht immer frei von lokaler Begrenztheit, um nicht zu sagen Beschränktheit, vom typischen Lokalpatriotismus, von unreflektiertem Sammeleifer. Aber in der Regel verbietet sich angesichts des riesigen kulturellen Feldes, aus dem die meisten schöpfen, jede Borniertheit.
Ein besonders sympathisches Beispiel eines solchen Museums findet sich in Montefalco. Diese kleine umbrische Stadt, etwa 20 Kilometer von Foligno entfernt auf einem Hügel gelegen, von dem man weite Ausblicke hat, lockt mit einem besonderen Rotwein Touristen an. (Dessen Variante, ein moussierender süßer Sagrantino passito ist eine ziemlich wüste Droge).
Die werden dann gut organisiert ins Museum umgeleitet. Da ist zunächst die Kirche San Francesco, die offenbar nicht mehr als solche fungiert, denn es gibt keinen Hochaltar. Da die Ausstattung der Kirche San Francesco nirgends einheitlich wirkt, sondern wie ein Puzzle aus vielen Teilen, kann man sie wie Werke in einer Galerie betrachten und so sind sie auch beschriftet. Das verleiht dem Ensemble ein wenig den Charakter einer Kunstgalerie, auch deswegen, weil Kappellen und Fresken(reste) durch den Erhaltungszustand zufällig wie jeweils gegeneinander abgrenzbare Einzelwerke wahrgenommen werden können. Mehrere Maler waren hier am Werk, Benozzo Gozzoli hat das "Das Leben des heiligen Franziskus" (1452) dargestellt, und es gibt Gemälde von Perugino so wie von Malern, die ein Reiseführer berühmt und umbrisch nennt, Tiberio d’Assisi und Niccolò Alunno.
Dann gibt es ein Lapidarium, mit der wir einige Jahrhunderte tiefer in die Vergangenheit und auch tiefer unter die Kirche steigen - eine Sammlung mit bescheidenen Werken und einer umso expressiveren Zeigemaschinerie. Ein kleine Pinakothek in einem oberen Geschoss zeigt Gemälde von eher lokalem Interesse.
Schließlich gibt es noch eine Abteilung, die man am ehesten als so etwas wie ein Stadtmuseum identifizieren könnte. Aber es sind offenbar zufällig überlieferte Objekte, die hier keinerlei erzählerische oder dokumentierende Funktion haben. Es geht hier nicht darum, einen Sinn für die Geschichte der Stadt zu entwickeln.
Es ist ein Sachensucher, wahrscheinlich eher ein Sachenfinder-Museum. Ein winziges Glas aus Murano, ein Frauenschuh aus dem 18. Jahrhundert, kein Paar, ein einzelner Schuh, ein Blasinstrument, ein Wams, eine Art Trompete, Spieße. Nichts durfte weggeworfen werden. Auch nicht das, was von den Wein erzeugenden Mönchen blieb, Pressen, Fässer, das kann man dann zuunterst im Museum besichtigen.
Das Museo Chiesa, wie es sich auch nennt, ist in sehr gutem Zustand, wohl gepflegt, nicht nur die Region, auch die EU haben hier investiert, gleich drei freundliche Damen nehmen einen in Empfang, helfen einem bei der Orientierung, erkennen sogar meinen vom Gebrauch abgeschabten ICOM-Ausweis.
Um die Kassa gibt es einen umfangreichen Shop mit vielen Führern und Kunstbüchern, Sitzgelegenheit. Ein Stockwerk tiefer gibt’s ein Cafe, geräumig, mit etwas Grün nach hinten raus, und Tischchen zur Gasse und einer Leseecke, für die Kunstzeitschriften versprochen werden. Die gabs dann nicht, sondern Bücher über Trüffel, Olivenöl, Restaurants, Wein, Bruschetta und dann noch den aktuellen IKEA-Katalog...
Auch wenn jede Musealisierung eine Zäsur bedeutet (der Moment, wo das Wort 'Museum' über der Pforte angebracht, Eintrittsgeld erhoben, eine Beleuchtung und Beschriftung installiert wird und vieles andere mehr.
So können auch kleine italienische Museen, die bei uns Dorf-, Stadt- oder Heimatmuseen genannt werden (nicht, daß es nicht auch Vergleichbares gäbe), auf eine derartige typologische Bezeichnung verzichten, weil ihre geschichtliche Tiefendimension und der kulturelle Raum, den sie repräsentieren, einen so ungleich weiteren Horizont hat.
Wer eins dieser Museen betritt, sieht sich unversehens ins 13. Jahrhundert (mit einem Altarbild), ins spätrömische Zeit (mit einer Kleinplastik) oder in die etruskische Epoche versetzt (mit einem Urnengefäß). Solche Museen sind auch nicht immer frei von lokaler Begrenztheit, um nicht zu sagen Beschränktheit, vom typischen Lokalpatriotismus, von unreflektiertem Sammeleifer. Aber in der Regel verbietet sich angesichts des riesigen kulturellen Feldes, aus dem die meisten schöpfen, jede Borniertheit.
Ein besonders sympathisches Beispiel eines solchen Museums findet sich in Montefalco. Diese kleine umbrische Stadt, etwa 20 Kilometer von Foligno entfernt auf einem Hügel gelegen, von dem man weite Ausblicke hat, lockt mit einem besonderen Rotwein Touristen an. (Dessen Variante, ein moussierender süßer Sagrantino passito ist eine ziemlich wüste Droge).
Die werden dann gut organisiert ins Museum umgeleitet. Da ist zunächst die Kirche San Francesco, die offenbar nicht mehr als solche fungiert, denn es gibt keinen Hochaltar. Da die Ausstattung der Kirche San Francesco nirgends einheitlich wirkt, sondern wie ein Puzzle aus vielen Teilen, kann man sie wie Werke in einer Galerie betrachten und so sind sie auch beschriftet. Das verleiht dem Ensemble ein wenig den Charakter einer Kunstgalerie, auch deswegen, weil Kappellen und Fresken(reste) durch den Erhaltungszustand zufällig wie jeweils gegeneinander abgrenzbare Einzelwerke wahrgenommen werden können. Mehrere Maler waren hier am Werk, Benozzo Gozzoli hat das "Das Leben des heiligen Franziskus" (1452) dargestellt, und es gibt Gemälde von Perugino so wie von Malern, die ein Reiseführer berühmt und umbrisch nennt, Tiberio d’Assisi und Niccolò Alunno.
Dann gibt es ein Lapidarium, mit der wir einige Jahrhunderte tiefer in die Vergangenheit und auch tiefer unter die Kirche steigen - eine Sammlung mit bescheidenen Werken und einer umso expressiveren Zeigemaschinerie. Ein kleine Pinakothek in einem oberen Geschoss zeigt Gemälde von eher lokalem Interesse.
Schließlich gibt es noch eine Abteilung, die man am ehesten als so etwas wie ein Stadtmuseum identifizieren könnte. Aber es sind offenbar zufällig überlieferte Objekte, die hier keinerlei erzählerische oder dokumentierende Funktion haben. Es geht hier nicht darum, einen Sinn für die Geschichte der Stadt zu entwickeln.
Es ist ein Sachensucher, wahrscheinlich eher ein Sachenfinder-Museum. Ein winziges Glas aus Murano, ein Frauenschuh aus dem 18. Jahrhundert, kein Paar, ein einzelner Schuh, ein Blasinstrument, ein Wams, eine Art Trompete, Spieße. Nichts durfte weggeworfen werden. Auch nicht das, was von den Wein erzeugenden Mönchen blieb, Pressen, Fässer, das kann man dann zuunterst im Museum besichtigen.
Das Museo Chiesa, wie es sich auch nennt, ist in sehr gutem Zustand, wohl gepflegt, nicht nur die Region, auch die EU haben hier investiert, gleich drei freundliche Damen nehmen einen in Empfang, helfen einem bei der Orientierung, erkennen sogar meinen vom Gebrauch abgeschabten ICOM-Ausweis.
Um die Kassa gibt es einen umfangreichen Shop mit vielen Führern und Kunstbüchern, Sitzgelegenheit. Ein Stockwerk tiefer gibt’s ein Cafe, geräumig, mit etwas Grün nach hinten raus, und Tischchen zur Gasse und einer Leseecke, für die Kunstzeitschriften versprochen werden. Die gabs dann nicht, sondern Bücher über Trüffel, Olivenöl, Restaurants, Wein, Bruschetta und dann noch den aktuellen IKEA-Katalog...
Donnerstag, 9. September 2010
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