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Samstag, 22. September 2018

Unerwünschte Affekte. Unerwünschte Diskussion (Sokratische Fragen 35)


Kürzlich wurde ein Gastspiel der Berliner Schaubühne mit Ibsens "Volksfeind" in Großstädten Chinas abgesagt, wegen "bühnentechnischer Probleme". Bei den ersten Ausfführungen in Peking war es zu lautstarken Äußerungen und einer Diskussion im Publikum gekommen.

Frage: Ist so etwas bei einem Museum denkbar? Bei einem Ausstellungsgastspiel etwa?

Und wenn nein, warum nicht?

Zusatzfrage: Wäre es wünschenswert, wenn Museen solche Wirkungen hätten, wo auch immer?

Mittwoch, 11. April 2018

Geschichte für Eilige. Das Nürnberger Stadtmuseum

Ein raum, eine halbe Stunde Stadtgeschichte
"Das Stadtmuseum Fembohaus ist das Stadtmuseum zur Geschichte Nürnbergs. 950 Jahre Stadtgeschichte werden anschaulich dargestellt. Es präsentiert in neuartiger Museumsatmosphäre mit ambitionierten Ausstellungen zu aktuellen Themen der Stadtgeschichte einen umfassenden Blick auf die Stadtgeschichte."

So stellt Wikipedia das Nürnberger Stadtmuseum vor.

Das Museum wurde 1953 gegründet, kurz bevor die Reichskleinodien, die in der Zeit des Nationalsozialismus nach Nürnberg gebracht worden waren, wieder nach Wien zurückgegeben wurden. Das Museum befindet sich im sogenannten Fembohaus, einem Haus eines sehr wohlhabenden Kaufmanns, errichtet im Stil der Spätrenaissance.

Schon als bauliches Dokument stellt das Stadtmuseum ein Problem in der (Re)Präsentation der Stadtgeschichte Nürnbergs dar. Es ist ein Zeugnis der Bau- und Wohnkultur der reichsten und lange Zeit allein herrschenden Schicht. Es wurde zwar im zweiten Weltkrieg schwer beschädigt, konnte aber als in Teilen erhalten und zumindestens teilweise wiederhergestellt werden - als eines jener meist städtebaulich isolierten historischen Bauten inmitten der modernen Bebauung nach 1945, die in der Stadt vorherrscht. Eine Reihe inmitten der modernen Nachkriegsbebauung singulär gewordenen Architekturobjekte behaupten etwas vom einstigen spätmittelalterlichen Glanz der Stadt inmitten ihrer die Geschichte auslöschenden Überbauung über den Kriegsruinen. Sowohl seine sozialhistorische Repräsentativität als auch seine unversehrtes Überdauern vortäuschende Rekonstruktion und Sanierung stellen ein Dilemma dar, dem man im Museum (und in Nürnberg) auch anderswo begegnet.

So beginnt der Rundgang durchs Museum im obersten, vierten Stock (ich komme später zum inzwischen neuesten Ausstellungsraum, der als in sich geschlossene Einheit gesehen werden will, und den man als jetzt als ersten betritt, später zurück), wo man sich vor einem großen Stadtmodell einfindet. Mithilfe eines gesprochenen Textes, an die Wand projizierten Fotos und einem wandernden Spot, der die jeweils angesprochenen Lokalitäten in der Stadt kenntlich macht, wird zunächst die mittelalterliche Geschichte der Stadt andeutungsweise erzählt. Also deren herausgehobene Bedeutung als Kaiserresidenz, Ort von Reichstagen, Stadt des Handels.
Genau diese blühende mittelalterliche Stadt wird ja auch im Modell gezeigt, in den Grenzen der heute noch umfangreich erhaltenen Stadtbefestigung.

Das Schicksal der Jüdischen Bevölkerung wird an den Erläuterungen zum Marktplatz und der Frauenkirche erzählt. An der Stelle des Platzes befanden sich die Häuser der jüdischen Bevölkerung, von denen über 500 in einem Pogrom 1349 getötet wurden. Nur fünfzig Jahre zuvor waren bereits über 600 Juden umgebracht worden. Nun zerstörte man ihre Häuser, an deren Stelle der "Große Markt" angelegt werden konnte und die Synagoge wurde durch die Frauenkirche ersetzt. Erst 1850 konnten durften sich wieder Juden in der Stadt ansiedeln.
Es wurde nun eine dritte, große Synagoge errichtet, die aber noch vor der sogenannten Reichskristallnacht zerstört wurde. Auf dem Stadtmodell sieht man die Synagoge nicht mehr, denn das stammt aus dem Jahr 1939 und zeigt daher eine leere Stelle an dem Ort der kurz zuvor beseitigten Synagoge. So wird ausgerechnet das aus der NS-Zeit stammende, die mittelterliche Stadt wenige Jahre vor ihrer Zerstörung noch intakt zeigende Modell zum Zeugen der antijüdischen Barbarei des NS.

Wer die großflächige Verheerung der Stadt nachvollziehen will, findet einige Räume später ein kleineres, einschlägiges Modell - und dann auch v.a. fotografische Dokumente der verwüsteten Stadt.

Man darf aber nicht glauben, daß die folgenden Ausstellungsteile die Hoffnung auf eine kritische Durchdringung der Stadtgeschichte erfüllen oder auch nur das Versprechen von Wikipedia einlösen wird, in "neuartiger Museumsatmosphäre" (...) "ambitionierte Ausstellungen zu aktuellen Themen" zu bieten.


Wir befinden uns ja in einem sorgfältig restaurierten Patrizierhaus, also in maßstäblich eher "heimeligen" Zimmern und Stuben mit Stuck, Deckenmalerei, Kasettendecken, Kachelöfen, Butzenscheiben-Fenstern, geschnitztem Holz usf. Die Ausstellungsmacher haben sich vom Ambiente zu einer eher altbackenen Gestaltung verführen lassen. Das erlaubt dennoch immer noch überraschende Einsichten, etwa in der knappe Vorstellung mancher Handwerke, wo man schnell begreift, worauf der Erfolg des Nürnberger Handwerks wohl beruht hat. Auf großer Innovativität, eignen Erfindungen, die man sorgsam schützte und einer hoch arbeitsteiligen Herstellung von Waren. Die Informationen zur Sozialstruktur geben eine Ahnung von den Machtverhältnissen in der Stadt und zwischen Stadt und Burg. Aber viele Informationen und Themen haben einen Schwerpunkt bei den reichen Schichten, eine Einseitigkeit, die immer noch viele Museen allein schon auf Grund ihrer langjährigen Sammlungsschwerpunkte pflegen. Aber für eine 2000 eröffnete Ausstellung ist das schon erstaunlich.
So gilt ausgerechnet dem protzigen Bau des allerreichsten Handelsherrn eine umfassende Dokumentation, mit Plänen, Modell und Lebenslauf, in dem aber so viele Fragen, die man gehabt hätte, nicht gestellt werden.

Objekte werden einzeln - z.B. historische Gemälde - oder in Gruppen als kunsthistorische oder auch historische Zeugnisse vorgeführt aber je näher es zur Gegenwart geht, desto weniger ergibt das noch so etwas wie eine anschauliche Erzählung. Fürs 17. Jahrhundert gibt es ein großformatiges Gemälde, das ein aus Anlass des Westfälischen Friedens gehaltenen Mahles entstanden ist, fürs 18.Jahrhundert muß ein bedeutender Landkarten-Verlag herhalten, der allerdings auch hier, im Fembohaus seinen Sitz hatte. Das ist interessant, aber eben nur eine Facette der Stadtgeschichte.

Ausgerechnet die Industrialisierung "entfällt" - bis auf dokumentarische Fotografien, ich glaube nicht einmal die älteste deutsche Eisenbahn wird erwähnt (?) die von Nürnberg nach Fürth führte, damit entfällt auch die moderne sozial-, alltags und politische Geschichte. Und das geht nun doch bei einer Stadt wie Nürnberg gar nicht. Für den NS und die verheerende Zerstörung der Stadt stehen wiederum nur dokumentarische Fotos zu Verfügung.
Wer wirklich etwas über Nürnberg in der NS-Zeit erfahren will, über die Stadt der Reichsparteitage und die Instrumentalisierung der Stadt im NS, der muß das Dokumentationszentrum in den Ruinen des Reichsparteitag-Geländes zu besuchen.

Doch inzwischen hat man einen neuen Ausstellungsabschnitt geschaffen, der aus einem einzigen großen Raum besteht. Ihn betritt man, so wird es einem beim Betreten nahegelegt, über die Sonderausstellungsräume und verläßt ihn dann über einen Lift, mit dem man vors Stadtmodell im vierten Stock kommt. Es ist also einerseits der erste Raum zur Stadtgeschichte, andrerseits gehört er nicht wirklich zur permanenten Ausstellung, denn er bildet so etwas wie ein abstract.


Nur 30 Minuten zum Stadtexperten

Atemlos durch die Geschichte
Vorher/Nachher. Zerstört/Wieder aufgebaut
Dieser Raum ist eher ein Schrein, ein großer Raum voller Dokumente, Repros, Fotos, Büsten, Fakes usw. dicht an dicht und an allen Wänden appliziert und von Gewölben - Fotoreproduktionen mittelalterlicher Architektur -, herabhängend, hüllt einen immersiv mit Stadtgeschichte ein. Hier werde man, versprechen einem Plakate in der Stadt, in einer halben Stunde zum Experten. "Nürnberg auf einen Blick" steht auf anderen Plakaten zu lesen. Und ein Motto hat diese Wunderkammer auch, nämlich "Krone - Macht - Geschichte". Ein Motto, das einen grübeln läßt, ob hier bloß die Macht der Krone gemeint sein könnte, das "kaiserliche" Nürnberg und daher nur "ihre" Geschichte.

Nun, es gibt eine Vitrine im Raum, und in ihr werden der Kronschatz gezeigt, als Replik, die Originale befinden sich ja in der Wiener Schatzkammer. Für Nürnberg (für wen genau eigentlich?) scheint der "Verlust" dieser Zimelien ein fortdauerndes Trauma, mindest eine Kränkung zu sein. Gleich mehrere Objekte beziehen sich auf das Kaisertum, aber insgesamt ist dieses Pasticcio aus Originalgemälden, Fotos, Büsten, Faksimiles - eines vom Heiltum in Wandhöhe -, usw. "ausgewogener" als die Dauerausstellung. Indes, es können die vielen Themen nur angerissen werden, ein bisschen NS hier, ein bisschen sozialdemokratisches Nürnberg dort, ein bisschen mittelalterliche Religiosität.

Die einzige Struktur ist eine lockere Chronologie und neun oder zehn Biografien, alles Männer, überwiegend politisch Mächtige, Kaiser, Bürgermeister - und Künstler, etwa Richard Wagner. Keine Frau. Kein Durchschnittsbürger.

Mit einem Audioguide dürfte das dann wirklich auf in einer halben Stunde zu schaffen sein. Also für ausländische Touristengruppen, die es eilig haben, weil sie noch Lebkuchen kaufen und Rostbratwürste essen gehen müssen. Für südkoreanische Touristen, die selbst für Wien nur vier Stunden haben, könnte das für Nürnberg genügen.

Stadtmuseen scheinen ein Problem zu haben. Es hat in den letzten jähren mehrere Veranstaltungen gegeben, in denen sie sich versammelt haben, um sich ihre Wunden zu zeigen. Eine dieser Veranstaltungen habe ich moderiert, aber mir ist auch da nicht so recht klar geworden, was das Problem ist gerade dieser Museen ist. In der Konkurrenz mit urbanem Kulturangebot und größeren, namhafteren Museen, namentlich den klassischen und moderne Kunstmuseen, scheinen sich Geschichtsmuseen als häßliche Entlein der Museumslandschaft zu sehen. Das ist vielleicht (auch) eine Frage des Selbstbewusstseins. Das andere Problem könnte sein, daß die Stadtmuseen kein rechtes Verhältnis zu "ihrer" Stadt finden. Wie auch, wenn die Gegenwart einer Stadt überhaupt nicht vorkommt, wie etwa im Nürnberger Museum. Auf die Schnelle fällt mir überhaupt nur ein einziges Museum ein, in dem Gegenwart ausdrücklich und ausführlich stattfindet. Das ist das Amsterdamer Stadtmuseum. Da habe ich gelernt, daß das berühmte Tiki-Taka des FC Barcelona bei Ajax Amsterdam erfunden und von Spielertrainern, die nach Spanien gegangen sind, als extrem beweglicher, schneller, athletischer Fußball exportiert wurden. Cool. Das war aber nicht alles. Dort traten mir Bewohner und Bewohnerinnen Amsterdams entgegen, über die ich etwas erfahren konnte und damit über deren Alltag und somit weiter über die Stadt als heutigen Lebensraum.

Womit sich alle diese Museen sehr schwer tun, ist die sinnvolle Verknüpfung von Gegenwart und Vergangenheit. Dazu kommt die finanzielle und politische Abhängigkeit, die es schwer macht, sich mit konflikthaltigen Gegenwartsfragen zu beschäftigen.

Das erste, was zu tün wäre, wäre das "Historische" an diesen Museen, die Differenzerfahrung, in der Einsichten über Ursachen, Wirkungen, Lösungen zu forcieren. Ein Beispiel. Im Nürnberger Stadtmuseum Stadtmuseum stößt man auf eine ökologische Krise: die Waldgebiete schrumpften und damit die extrem wichtigen Holzvorräte. Da erfindet ein Nürnberger eine Methode der rationellen gewinnung von Baumsamen und Methoden der rationellen Aufforstung. Diese wird erfolgreich lange geheim gehalten und sichert Nürnberg einen weiteren "Standortvorteil". Das erinnert doch an etwas?! Da könnte man doch Anknüpfen, oder? Aber ein solcher Faden bleibt lose liegen.

Das gilt erst recht über alle Machtfragen. Wie ein Museum mit Machtverhältnissen umgeht, für die kann man die Frage in jedem Museum wie einen Lackmustest anwenden. Da setzt es meist ganz aus und wer eine historische Ausstellung "evaluieren" will (nicht nur in Stadtmuseen), der soll sich die Frage der Macht an Hand der gezeigten Dokumente und "Erzählungen" und Deutungen stellen. Da gabs doch einen Handwerkeraufstand, der die göttliche Nürnberger Gesellschaftsordnung für einen Herzschlag aussetzen ließ? Aber in all der feierlichen Vorführung patrizischer Kultur hats dafür keinen Platz im Museum.
Und Gegenwart? Die, in der ich mich als Tourist bewege. Die gibt es im Nürnberger Stadtmuseum nicht.





Freitag, 9. Juni 2017

Seitensprünge (1:Babys ins Museum)

In einer Diskussionsveranstaltung in Linz hat jüngst Walter Grasskamp von einem Schwinden des Bildungsauftrages des Museums gesprochen und seiner Ersetzung durch "museumsferne" Veranstaltungen. "Museumsfern" ist meine Formulierung - Walter Grasskamp hat sehr sorgfältig und vorsichtig bewertete Veranstaltungen aufgelistet, von denen er meint, sie gehörten nicht zu den Museumsaufgaben. Ich stimme ihm zu und beginne mit einer Sammlung, die unter den "Museumsferne-Verdacht" fallen...



Baby-Eltern-Treff inklusive Kunsterlebnis! Das 21er Haus bietet Ausstellungsführungen für frischgebackene Eltern an, die ganz auf Ihre Bedürfnisse mit Baby (0 bis 1 Jahr) abgestimmt sind. In ruhiger und entspannter Atmosphäre widmen wir uns den performativen Skulpturen des Künstlers Erwin Wurm.
Wickeltisch und Fläschchenwärmer stehen zur Verfügung. Besuch mit Kinderwagen möglich, Tragehilfe empfohlen.

Freitag, 2. September 2016

Das Wort zum Tag

"Niemals zuvor in der Geschichte wurde mit Kunstwerken so viel gemacht wie heute. Um sie herum ist eine enorme Geschäftigkeit entstanden, mit der seltsamen Erwartung, dass jedes Kunstwerk jedem Menschen zu jedem Zeitpunkt etwas zu geben habe."

Wolfgang Ullrich

Dienstag, 19. Juli 2016

Ein wirklich modernes Museum (Texte im Museum 561)


Wer will das noch wissen, das mit den Museumsbesuchern?

Da ich grade wieder mal Zahlen aus der Besucherforschung brauchen könnte, aber die gesuchten nicht finde, suche ich Hilfe im eben erschienenen "Handbuch Museum" (siehe hier). Immerhin erfahre ich im Beitrag von Bernd Lindner, "Soziodemographie des Museumspublikums" (Seite 323ff. im Handbuch), warum ich nicht fündig werde. Eine Besucherforschung, die Aufschluß über das aktuelle Museumspublikum der Bundesrepublik Deutschland geben könnte, gibt es nicht. Weil keine einschlägigen umfassenden Untersuchungen gemacht werden.

Lindner referiert ältere Daten zur BRD und DDR und das, was es zur Zeit nach der sogenannten Wiedervereinigung an Untersuchungsmaterial gibt. Das erlaubt - in sehr engen Grenzen - gewisse Rückschlüsse im Vergleich der beiden Staaten, Informationen über quantitative Veränderungen über längere Zeiträume hinweg und solche über das aktuelle "Wachstum" der Museumsbesuche (analog zum Museumswachstum und dem Boom an Ausstellungen - man schätzt, daß in Deutschland etwa 30.000 Museumsausstellungen pro Jahr stattfinden).

Allerdings konzentriert sich Lindner auf die soziale Zusammensetzung des Publikums, also berufliche Herkunft und Ausbildungsstand sowie regionale Herkunft (Land, Stadt, Großstadt...), die Geschlechterverteilung, beschäftigt sich aber nicht mit Motiven und kaum mit Milieus und ausdrücklich nicht mit Evaluationen.

Trotz vieler Zahlen und einiger Statistikgraphiken bleibt sein Bericht eigentümlich vage. Hier zeigt sich einmal mehr, daß der Rückzug auf Fakten und der Verzicht auf gewichtende und wertende Schlußfolgerungen nur scheinbar zu Objektivität führt. Das nach Museumstypen zwar stark variierende aber dominante Vorherrschen von Personen mit  hoher Schul- und Universitätsbildung beim Museumsbesuch wird zwar abgebildet, bleibt aber gänzlich unkommentiert. Ob nun die wachsende Zahl an Museumsbesuchen Verschiebungen in der sozialen Zusammensetzung des Publikums gebracht hat, bleibt offen.

So bleibt letztlich auch unklar, wozu Besucherforschung überhaupt gemacht werden soll. Was will man denn wissen, und wozu? Geht es nur noch um Grundlagen für sozialtechnolgische Adaptionen, Marketingstrategien, Tourismusmaßnahmen, Hiule bei der Ausstellungsplanung?

Kein einziges Mal fällt das Wort "Nichtbesucher". Es gibt keine Angaben zu jenem Bevölkerungsanteil, der nie in ein Museum geht. Und der ist bekanntlich exorbitant hoch, liegt im nationalen Schnitt bei etwa 50% und bei einzelnen (großstädtischen Museen) bei 80% der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Umstände nicht zu benennen scheint mir  gerade bei einem Handbuchartikel mit dem Anspruch auf Basisinformation unverzeihbar. Alle Folgefragen, die sich aus dieser Tatsache ergeben, bleiben unerörtert.

Was die - von Lindner - genannten "Nestoren" der deutschen Besucherforschung, Klein und Treinen, seinerzeit an auf ihre empirischen Untersuchungen aufbauenden Schlußfolgerungen aufgebaut haben, hier wird das nicht mehr referiert. Alles was etwa Heiner Treinen zum "Museum als Massenmedium" oder "kulturellen Vermittlungsort" einmal zu sagen hatte, das findet sich hier nicht mehr wieder.

Soll man diesen klaren Rückschritt als Zwang zur verknappten Darstellung eines Handbuchbeitrags entschuldigen? Oder sich fragen, ob das "Vernachläßigen" älterer - unaktuell gewordener? - Forschungsfragen und -ergebnisse sich nicht komplementär verhält zum erstaunlichen Desinteresse am Museumsbesucher? Haben die bei Medien, Politikern und Museen gleichermaßen beliebten Statistikschlachten mit den Zahlen der Museumsbesuche komplett jede Frage nach der sozialen Zusammensetzung ersetzt?

Trotz (oder gerade wegen?) des Redens über "Inklusion", "Museum für alle" oder "Partizipation", niemand wirft mehr die "soziale Frage" auf, wen Museen erreichen und wen nicht. Niemand will dort mehr eine offene Frage orten, niemand, so scheints, will sich mit der mühseligen Frage nach der sozialen Bedeutung und Funktion von Museen beschäftigen. Kein Wunder, daß das Wort "Hegemonie" im Index des "Handbuch Museum" nicht vorkommt.

Montag, 23. Februar 2015

Was gut gemeint ist, ist nicht immer gut: Freier Eintritt in Museen

"Der Eintritt soll in alle Museen der Stadt Graz frei sein!", fordert Kulturstadträtin Lisa Rücker in der lokalen Zeitung „Meine Woche“. Hintergrund ist der schon länger schwelende Streit, wie das Kunsthaus „bespielt“ werden soll, welche Ausstellungspolitik und -programmatik dort sinnvoll ist. Vom Zaun gebrochen hatte die Debatte der Grazer Bürgermeister und die Grüne Stadträtin versuchte die in Form einer vierteiligen Diskussionsveranstaltung im Kunsthaus in Bahnen zu lenken. Ohne dass eine Wirkung der Debatte auf das Programm des Kunsthauses erkennbar gewesen wäre (umgebaut wird sehr wohl und das Haus städtebaulich „geöffnet“), verlangten nun die Leiter des Joanneums (zu dem das Kunsthaus gehört), freien Eintritt, und zwar nur im Kunsthaus (und nicht in anderen Häusern des Joanneums). Zahlen solle die Stadt. Nun wissen auch die Leiter des Joanneums, daß die Stadt den freien Eintritt nicht kompensieren kann. So viel Geld hat sie nicht. Also kann man das als Schachzug sehen, Frau Rückers Ambitionen abzublocken. Und die muss nun reagieren.
Wer kann schon vernünftigerweise gegen einen sogenannten „niederschwelligen“ Zugang sein? Niemand. Aber, so sagt Rücker, dann klarerweise für alle Grazer Häuser, also alle Sammlungen des Joanneum und auch für das Stadtmuseum. Da müssten dann aber Stadt und Land zahlen. Und nicht gerade wenig, ich schätze, einen Millionenbetrag. Das scheint politisch noch weniger durchsetzbar. Damit ist Rücker aus dem Schneider, sie kann sagen, ich will ja, das ist vernünftig, geht aber nicht oder man lässt mich nicht. Ein übliches Spiel.

Jetzt mal von der Politik weg und zur Sache. Warum soll hier nicht gehen, was in London (das Beispiel bringt Rücker) geht. Na ja, ein tollkühner Vergleich. Eine Stadt mit vielen Millionen Bewohnern und Besuchern und riesigen, opulenten Museen dort und hier eine Mittelstadt mit 300.000 Besuchern und einem Museum, das nur dem Namen nach „universal“ ist.

Aber Rücker läßt sich erfreulicherweise auf Differenzierteres ein: „Es gibt im Bereich der Bildung einfach mehr Aspekte, als nur für den Arbeitsmarkt fit gemacht zu werden.“ Also ist es mit einem kostenlosen Zugang zu Kunst und Kultur, so Rücker, nicht getan: „Ein Gratis-Eintritt (den es für unter 18-Jährige gibt, Anm. GF) alleine ist noch lange nicht die Garantie, dass viele Menschen am Museum generell interessiert sind. Es braucht mehr: Es braucht bereits in der Schule entsprechende Ansätze und es muss in den Häusern selbst auf die Menschen zugegangen werden. Diejenigen, die einmal hingehen, sollen auch gerne wiederkommen.“

Einschlägige Forderungen nach „Niederschwelligkeit“ sind nicht neu, aber dabei wird ein ziemlich schwieriges Strukturmerkmal übersehen, über das man auch nicht so gerne redet. In Museen gehen überwiegend Menschen mit höchster und hoher (Schul)Bildung, ihnen würde der Gratiszugang in erster Linie zugutekommen und sich in (etwas) erhöhten Besuchszahlen niederschlagen. Die, die nie ins Museum gehen, durchschnittlich etwa 50% einer Bevölkerung, werden aber kaum durch den Preis abgehalten. Sie kommen nicht ins Museum, weil das, was es ist, was es repräsentiert, was es zeigt und erzählt, kaum bis nichts mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun hat. Es ist die große Gruppe derer, die auch wirtschaftlich und sozial vom Rest der Gesellschaft abgehängt oder in gewisser Weise von der Politik und der öffentlichen Aufmerksamkeit auch schon „aufgegeben“ wurden (diese 50% dürften in etwa deckungsgleich sein, mit denen, die zu keiner Wahl mehr gehen. Das heißt da steckt auch noch ein veritables politisches Problem drin).

Zuallererst also ist der Gratiseintritt (warum konsequenterweise nicht auch für Theater, Oper usw.?) eine versteckte Subvention für die nicht nur Gebildeten sondern auch wohlhabenderen Gruppen (zusätzlich zur Subvention, die ihnen jetzt schon gewährt wird, weil kein, nahezu kein Museum sich selbst erhalten kann und gefördert werden muß).

Was aber wichtiger ist, ist die Blindheit gegenüber dem soziokulturellen Phänomen der hegemonialen Funktion von Bildungseinrichtungen, auch des Museums. Ausgeschlossen werden Menschen nämlich, wie gesagt, zwar auch über den (Eintritts)Preis, aber vor allem dadurch, daß sie nie an jener bürgerlichen  Bildung partizipiert haben und auch nicht partizipieren wollten, die der Institution, ihren Paradigmen und Werten, ihren Riten und Normen zugrundeliegen. Museen halten aber trotzdem oder gerade deswegen an Werten fest, die nur vermeintlich für alle verbindlich sein sollen.

In der Forderung nach „Niederschnelligkeit“ scheint ein Verständnis für sozial indizierte Ungleichheit im kulturellen Feld aufzuleben. Aber indem man das Problem nicht einmal halb analysiert und versteht, erreicht man eher das Gegenteil dessen, was man vorgibt zu tun: man vertieft die Kluft zwischen Gebildeten und davon Ausgeschlossenen. Und: indem man die herrschenden kulturellen Werte "leichter zugänglich" macht, verstärkt man auch derenb Wirkung. Anders gesagt: Der Gratiseintritt ist selber eine hegemoniale Strategie.

Rücker zeigt für die Widersprüchlichkeit der Forderung nach Gratiseintritt Sensibilität, wenn Sie die Schulen in die Pflicht nimmt. Schon richtig, in Familie und Schule werden Chancen generiert und gewissermaßen verteilt. Die Schulen scheinen mir aber überfordert mit dem extrem anspruchsvollen Programm (das es sein müsste), über sehr spezialisierte Massnahmen etwas zu kompensieren, was sie selbst insgesamt als Institution erzeugen. Gerade in Österreich sind Schulen mächtige gesellschaftspolitische Werkzeuge, mit denen soziale Ungleichheit aufrechterhalten wird, und die Gesellschaft wenig Durchlässig macht zwischen den sozialen Gruppen. Wieso also soll gerade die Schule für etwas die Lösung bereitstellen (wollen), wenn es, wie der heftige Widerstand gegen eine Reform der Schulen zeigt, geradezu erwünscht ist, daß die Schulen ihre negative sozialisierende Funktion weiter beibehalten sollen?

Also bleiben die Museen übrig, die Rücker diesbezüglich auch in die Pflicht nehmen will. Es geht ja wirklich nicht nur um die FRage, ob sich (mehr) Menschen für das Museum interessieren, sondern umgekehrt darum, ob und wie sich Museen für Menschen interessieren. Im Prinzip gilt für sie dasselbe, wie für die Schulen. Sie müssten eine gesellschaftspolitische Kehrtwende machen, und sich Themen zuwenden, mit der sie Brücken schlagen zu Gruppen, die völlig abseits des kulturellen Mainstreams stehen. Das werden die Museen nicht tun. Und sie werden es nicht können. Denn dazu müsste man auch neuartige Formen der Vermittlung entwickeln (unter der Prämisse, dass Museen immer selbst Vermittlung sind. Ich meine also nicht nur die spezialisierte- inzwischen verberuflichte berufliche - Vermittlertätigkeit). Es ginge darum Partizipation im weitesten Sinn zu ermöglichen, inklusive Projekte zu entwickeln, die riskant, schwierig, anspruchsvoll zu managen sein würden und mit denen außerdem das bisherige Selbstverständnis des Museums und seiner Aufgaben weit überschritten würde.

Hoffnungslos? Na ja, ich denke - sehr provisorisch und jenseits politischer Machbarkeit und Durchsetzbarkeit, von der ich mich als Blogger ohnehin kilometerweit entfernt sehe -, an Folgendes: statt Geld in freien Eintritt zu investieren, sollte man dieses Geld plus Teile der jeweiligen Museumsbudgets (die den Museen gewissermaßen enteignet werden müssten, aber nicht im staatlichen Sparinteresse, sondern im Interesse der Vertiefung der gesellschaftlichen Bedeutung der Institution) in die Hand nehmen und Projekte (international) ausschreiben. Mit einem Rahmenprogramm, das grob gesagt das Ziel verfolgt, die schwammig und verunklärend „bildungsfernen“ Gruppen ganz gezielt anzusprechen und einzubeziehen. Das aber weder um den „Besucherumsatz“ zu erhöhen ,also die „Quoten“, noch um scheinparzipative Geschäftigkeit zu produzieren. Sondern um ernsthaft neue Formen und Inhalte kultureller Arbeit zu entwickeln, in denen die besonderen Qualitäten, die das Museum von anderen Orten und Plätzen unterscheidet (Oper, Theater, Film usw.) erhalten bleiben und genutzt werden. Selbstredend dürfte ein solches Unternehmen weder direkt von der (lokalen) Politik gesteuert werden, noch aus den jeweiligen Häusern heraus. Sondern z.B. von einem internationalen Beirat mit transdisziplinärer und sehr hoher Kompetenz.


Ist bloß so eine Idee. Wenn jemand eine bessere hat - her damit!
 

Samstag, 31. Januar 2015

Erschreckt die Kleinen nicht!

In der HGM-Ausstellung zum Ersten Weltkrieg sind viele Waffen zu sehen. Es wird aber kaum gezeigt, was diese Waffen anrichten. Ist das pädagogisch sinnvoll?

Es ist immer eine Gratwanderung. Ein Heeresgeschichtliches Museum ist kein Streichelzoo. Wir haben uns aber sehr genau überlegt, ob wir die Waffenwirkung, also etwa verstümmelte Kriegsopfer, zeigen sollen. Wir lernten dabei aus der Erfahrung englischer Kollegen, dass dieses „Effekthaschende“ sehr kontraproduktiv sein kann. Sie stellten etwa den Stellungskrieg an der Somme nach. Für einige Besucher war das beklemmend und bedrückend, für kleine Kinder aber total verstörend, sie weinten. Und Teenager hatten eine Riesenhetz.

DIE PRESSE interviewt den Direktor des Heeresgeschichjtlichen Museums Wien, Christian M. Ortner (13.09.2014)