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Montag, 24. Januar 2022

Die beste Ausstellung 2021

„Man fragt sich, ob die Geschichte nicht im Begriff ist, 

eine geistreiche Synthese von zwei nietzscheanischen Begriffen zu schmieden, 

nämlich die des guten Europäers und die des letzten Menschen. 

Das könnte den letzten Europäer ergeben. 

Wir alle kämpfen darum, nicht zu einem solchen zu werden.“

Walter Benjamin (Zitat aus der Ausstellung)

 

Als ich kürzlich etwas über die (meiner Meinung nach) schlechteste Ausstellung 2021 geschrieben habe, wurde ich aufgefordert mal (und doch besser) über die beste Ausstellung des vergangenen Jahres zu schreiben. Es gibt da für mich sogar mehrere Anwärter, aber ich habe mich für "Die letzten Europäer. Jüdische Perspektiven auf die Krise einer Idee" entschieden. Warum? Weil es ein Beispiel für eine eminent politische Ausstellung ist, die zur Debatte um zeitgenössische Verhältnisse beiträgt. Und die zeigt, wie so etwas mit bescheidenen Mitteln möglich ist.

Ein weiterer Grund für meine Wahl ist, daß sie derzeit in Wien zu sehen ist, am Volkskundemuseum, und zwar bis 18.April. Entstanden ist die Ausstellung am Jüdischen Musuem Hohenems, kuratiert von Michaela Feuerstein-Prasser und Felicitas Heimann-Jelinek.

Die Ausstellung hat zwei Anliegen. Einmal geht es um das - weniger denn je - geeinte Europa, in dem Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit immer mehr zunehmen und damit die Idee einer die Katastrophengeschichte des 20.Jahrhunderts überwindene Gemeinsamkeit bedrohen. Sowie zweitens die Beiträge jüdische Bürger, die maßgebliche ideelle, kulturelle und rechtliche Grundlagen dieser Eingung auf der Grundlage universellen Geltung der Menschenrechte entwickelten.

So bescheiden medial und räumlich die Ausstellung daherkommt (ich wiederhole mich), so sehr dreht sie sich um aktuelle, dringende und in öffentlicher Debatte überfällig auszutragende Themen. Sie ist reich an Information und läßt die Geschichte der Idee der friedlichen, antagonistische Nationalinteressen überwindende europäischen Kooperation sehr gut nachvollziehen.

Ein Konflikt wie der hochaktuelle um die Ukraine, der sich bei der Planung der Ausstellung noch nicht angebahnt hatte, ist ein Beispiel dafür, was da alles auf dem Spiel steht, in und für Europa. Der Katastrophen-, der Erfolgsgeschichte Europas aber auch der Gefährdung der Idee eines friedlichen und geeinten Staatenbundes - dem ist die Ausstellung gewidmet.


Beide Fotos stammen aus der Fassung der Ausstellung, wie sie im Jüdischen Museum Hohenems gezeigt wurde. Fotos:G.F. 2021


Samstag, 8. Januar 2022

Eine Kritik am neuen Volkskundemuseum Graz. Eine "Verschlimmbesserung". Elsbeth Wallnöfer


Vorbemerkung

Elsbeth Wallnöfer hat eine Kritik des Grazer Volkskundemuseums zur Veröffentlichung im Blog angeboten. Ihre Kritik bezieht sich auf eine Neuaufstellung der Dauerausstellung, die als Teil der einer vom Universalmuseum Joanneum ausgerichteten Landesausstellung (2021, teilweise 2022) konzipiert wurde und die aus insgesamt vier Teilen bestand: einem Pavillon, der an mehreren Orten aufgestellt wurde, einer Ausstellung im Kunsthaus, einer im Museum für Geschichte und eine im Volkskundemuseum. Nur dort bleibt die Landesausstellung als Dauerausstellung bestehen.

Die drei Teile der Ausstellung die am Universalmuseum gezeigt werden haben ein übergeordnetes Prinzip: die Ausstellung im Museum für Geschichte hat es unter dem Motto „Was war“ mit der Vergangenheit zu tun, das Kunsthaus beschäftigt sich mit dem „Was sein wird“ und schließlich hatte es das Volkskundemuseum mit der Gegenwart zu tun, mit „Wie es ist“.


Die drei Ausstellungsteile bildeten aber keinen narrativen Bogen und die drei Zeitdimensionen wurden auch nicht genutzt um Differenzerfahrung zwischen den Zeiten zu ermöglichen. Denn es gab keinen erkennbaren Versuch, einen Zusammenhang zwischen den drei Teilen zu stiften, um damit übergreifend Geschichtserfahrung zu ermöglichen.

 

Doch um was für eine Ausstellung handelte es sich denn? Die Steiermark Schau, wie sie hieß, gehörte zweifellos dem Typ Landesaustellung an, wie er in Österreich in vielen Bundesländern jährlich ausgerichtet wird. Diesmal stand aber nicht wie bei diesen Ausstellungen üblich, ein bestimmtes Thema im Mittelpunkt (wie z.B. „Die Römer“, „Wallfahrt“ oder „Peter Rosegger“), sondern das Land selbst. Sozusagen ein Wirtshaus zum Wirtshaus, eine Landes-Landesausstellung. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um das ganze Land – in topografischer wie zeitlicher Hinsicht. Das ist etwas Neues und wird auch als etwas Neues beworben.


Auftraggeber ist die Politik, das von der ÖVP geführte Kulturressort und die Marketingtexte auf der Webseite der Ausstellung ähneln zum Verwechseln politisch-programmatischen Statements. (https://www.steiermarkschau.at/steiermark-schau)

Von den drei Ausstellungsteilen dient sich ausgerechnet die auf Dauer berechnete im Volkskundemuseum am stärksten einer „Leistungsbilanz“ der Steiermark an. Man darf hier keine nennenswerte Relativierung oder Kritik erwarten. „Das Land“ wird als wohlverwaltet, stabil, weitestgehend konfliktfrei dargestellt. In keiner der bisherigen österreichischen Landesausstellung hat sich ein Land derart selbst zum Thema gemacht und eine überwiegend bejahende und bestätigende Haltung vermittelt. 


Es wären auch die beiden anderen Teile der Ausstellung einer näheren Untersuchung wert, vor allem, die, die sich mit der Vergangenheit beschäftigt, aber vielleicht schreibt ja jemand mal auch dazu etwas.

 

Einer Analyse wert wäre auch der terminologische Wandel. Von der Landesausstellung zu Steiermark-Schau. Wikipedia kennt das deutsche Wort "Schau" gar nicht, nur seine englische Form, show, und da eher als Fernseh- und Medienereignis, dem eher Unterhaltungscharakter als Informationsabsicht zugeschrieben wird.


Ich habe Elsbeth Wallnöfers Text an anderer Stelle um einige Anmerkungen ergänzt und mir dabei mehrere Texte und ein Objekt vorgenommen, die Aufschluss über die Ausstellung geben. Dieser Post findet sich hier.


Elsbeth Wallnöfer, geboren in Südtirol, ist Volkskundlerin und Philosophin und lebt in Wien. Sie beschäftigt sich seit Jahren mit der Tracht. Unermüdlich kritisiert sie den unreflektierten Umgang mit Althergebrachtem. Ihre Kommentare erscheinen u.a. in den Tageszeitungen STANDARD, KURIER und FALTER. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter „Märzveigerl & Suppenbrunzer. 555 Begriffe aus dem echten Österreich“ (Verlag Anton Pustet 2014) sowie „Geraubte Tradition. Wie die Nazis unsere Kultur verfälschten“ (Sankt-Ulrich-Verlag 2011). Bei Haymon erschien ihr Buch „Heimat. Ein Vorschlag zur Güte“, in dem sie den Begriff „Heimat“ durchleuchtet und neu denkt. 2020 folgte das Werk „Tracht macht Politik“. (Hamon Verlag).


Hier nun der Text von Elsbeth Wallnöfer. Mit der Anmerkung, die für alle Gastbeiträge im Blog gilt. Die Meinung der Autorin muß nicht mit der des „Redakteurs“ (des Verantwortlichen des Blogs) ident sein.


Elsbeth Wallnöfer


Wiedereröffnung des Volkskundemuseum Graz, Johanneum.. Von der Verschlimmbesserung einer Neuaufstellung


Überschattet von der Covid-Krise, erfolgte, unbemerkt von der Öffentlichkeit, die Eröffnung der neuen Schausammlung des Volkskundemuseum Graz. Die Chance anlässlich des österreichischen Museumstages zwischen den Lockdowns das Volkskundemuseum zu besuchen, stimmte daher hoffnungsfroh.


Ein Volkskundemuseum im 21. Jahrhundert neu zu gestalten, Erzählung und Objekte von bisherigen wissenschaftshistorischen Mängeln der Vergangenheit zu lösen, diese in die Gegenwart zu überführen, sie mit zeitgemäßen Mitteln der Darstellung zu erzählen, sind in der Tat eine Herausforderung. Leider ist dies nicht nur nicht gelungen, es ist auch noch gehörig schiefgegangen. Wir haben es hier also mit einer umgangssprachlich benamsten Verschlimmbesserung zu tun.


Bei bestem Willen und aufrichtiger Bereitschaft auch nur ein geringes Maß Versöhnung zwischen alter Aufstellung und neuer Präsentation zu finden, es will nicht gelingen. Zu groß sind die Wirrungen, die Irritationen, die Orientierungslosigkeit, die beträchtlichen Textbausteine, die unzählbare Summe der Objekte, Tafeln und Plakate, die gefühlt hunderttausend Schilder, die hauptsächlich Verwirrung stiften, denn Orientierung geben. Versuche, sich die Schausammlung über den Weg einer chronologischen Ordnung zu erschließen, versagen ob mangelnder Orientierungshilfe. 


Obwohl der Anspruch Volkskunde/Kulturgeschichte mit zeitgemäßen Begriffen zu erzählen und die Regionalgeschichte aus einer wirtschaftshistorischen Perspektive darzustellen spürbar wird, verzweifelt man am gestalterischen Wust und der Vielfalt von Begriffen, Objekten, Definitionen, Tafeln. Das grafische (naiv-dekorativ-kitschige) Orientierungssystem tut sein Übriges. Die Raumtexte befinden sich auf dreibeinigen zusammengeklappten Glühweintischen, die derart dominant sind, dass sie eigene Museumsobjekte zu sein vorgeben und die wie zufällig von der Raumpflegerin hingestellt wirken, scheinen sich im Verlauf des Rundganges gefühlt zu vermehren, derart aufdringlich sind sie. 


Richtungsweisende Applikationen des Orientierungssystems, die auf das Generalthema „Wie es ist“ (leider ohne Fragezeichen) hinweisen wollen, irritieren mehr, als sie der Aufklärung dienen. Eigentlich hätte ich gewarnt sein sollen, denn das Trauerspiel kündigt sich bereits im Entrée an. Man glaubt in eine Seminartagung sämtlicher österreichischer Regionalbanken hineingeplatzt zu sein. Name und Lageplan des Museums muss man hinter Werbebannern und einem wenig geschmackvollen, lieblos hingestellten Tisch, auf dem sich zahlreiche Folder befinden, erst suchen. Der Weg zum Frontdesk will wie in einem Kaufhaus gesucht werden. Gefunden, bringt die anschließende Empfehlung des Personals auf den Beginn des Rundganges Orientierung, die nicht lange währt.

 

Die Schwierigkeiten der Neuaufstellung einer Sammlung, die großen Anteil bei der Ausbildung der kulturpolitisch lancierten Identität hatte, ist in der Tat kein leichtes Unterfangen. Bisherige sakrale Aufladung, die wesentlicher Bestandteil regionaler Kulturpolitik ist, gilt es zu brechen, ohne ganz auf sie zu verzichten; Ist sie doch auch Teil der kulturhistorischen Selbstbeschreibung.  


Für Graz ist daher auch der Umgang mit dem „legendären“ Trachtensaal ein wichtiges, symbolisches Kriterium bei der Erneuerung der Schausammlung. Der Versuch ist allerdings gehörig fehlgeschlagen. Den Saal einfach zu belassen, wie er war, wäre angesichts der diffusen, nervösen Intervention besser gewesen. Nunmehr ist es nicht mehr möglich, zwischen den einzelnen Glasvitrinen durchzugehen, Figurinen und Details an ihrer Kleidung zu betrachten. Sie sind nämlich von einem mit Begriffen bedruckten Banner abgeschirmt, so als wären die Besucher*innen  Demonstrant*innen, die es fernzuhalten gilt. Wo früher zur näheren Betrachtung durchflanieren möglich war, stehen jetzt die braunen, zusammengeklappten Raumtexte-Glühweintische. Die in den Gründungsjahren des Museums aufgestellten Objektbeschriftungen in Frakturschrift innerhalb der Vitrinen behielt man bei, warum eigentlich?


Beleuchtet werden die Figuren unverändert wie eh und je, immer noch. In diesem Saal gipfelt das Desaster, das Volkskundemuseum neu zu erzählen und zu gestalten, zeigt sich deutlicher als in den anderen Räumen, dass die Dissonanz zwischen Ausstellungsarchitektur und Kuratorenschaft großen Anteil gehabt haben muss, möglicherweise gar eine pfiffige Neuerzählung verhinderte. Die Dominanz der Ausstellungsarchitektur ist nicht nur ästhetisch fragwürdig, sie ist auch erzählerisch wie betrachterisch kontraproduktiv. Ein mit beliebig und allerlei Begriffen bedrucktes Absperrband verunmöglicht Betrachtung, wo sie wesentliche Deutung überhaupt erst ermöglichte. Die Betrachterin jedenfalls fühlt sich ausgegrenzt, ein bissl so, als hätte man sich verirrt, einen Saal betreten, der sich gerade in Umbau befindet.

 

Neu ist also die fast schon chaotische Irritation. Weniger Textfragmente, Texttafeln und Textdeko wäre von Vorteil gewesen. Mit einer ausgefeilten Beleuchtung und Umstellung der Figurinen wäre ganz sicher eine effektvollere Erzählung erreicht worden. 

Ein wenig deprimiert und wie auf der Flucht, findet man vom Trachtensaal zurück auf den Parcours der Sammlung und frägt sich hilfesuchend, ob man sich im Augenblick in einer Sonderausstellung oder der ständigen Repräsentation befindet.

 

Die Hoffnung, ein neues, mit den Mitteln und im Kontext der Zeit präsentiertes Volkskundemuseum eröffnet zu bekommen, ist spätestens an dieser Stelle perdu. Graz ist Beispiel, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Es zeigt anschaulich, dass vorher manchmal das bessere Nachher ist. Dabei scheint es keine Hexenkunst zu sein, einen Wandel herbeizuführen. Dazu hätte genügt, Maß am Tiroler Volkskunstmuseum zu nehmen. Dieses stand vor räumlich-baulichen und strukturell ähnlich komplexen Herausforderungen. Alle Künste und Tricks der Ausstellungsarchitektur (Licht, Ausstattung, Orientierung, Präsentation der Objekte) harmonieren dort mit einer quellenkundlich zeitgemäßen Erzählung. In Innsbruck verlässt man das Museum schlauer als beim Betreten des Hauses, in Graz sucht man unter Drehschwindel den Ausgang, erleichtert wieder draußen zu sein sucht man den Weg in die Neue Galerie, wo es verlässlich feine Ausstellungen hat.

 


 

 

Dienstag, 4. Januar 2022

Das Kunsthaus in Zürich im Sperrfeuer der Kritik

 Im Dezember hat das Kunsthaus Zürich und die Stiftung Bührle auf die öffentliche Kritik reagiert. In einer Pressekonferenz, nach der die Heftigkeit der Debatte sich noch steigerte. Denn was dort gesagt wurde, wurde ziemlich einhellig (in den Schweizer Leitmedien) kritisiert. Der Präsidenten der Sammlung Emil Bührle Alexander Jolles äußerte sich dort nämlich so (zitiert aus der Zeitschrift Tacheles vom 17.12.2021):

«Ja, die Schweiz hat Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen, jüdische und andere, wie wir das in Europa heute überall sehen, in Zeiten des Wohlstandes und des Friedens. Aber Verfolgung, jüdische Verfolgung, staatlich orchestrierte Verfolgung gab es in der Schweiz nicht. Juden in der Schweiz in den Kriegsjahren mussten nicht um ihr Leben bangen, sie mussten nicht um ihr Eigentum, um ihr Hab und Gut bangen, es gab hier keine staatliche Verfolgung und daher ist die Situation anders und soll auch in den Einzelfällen berücksichtigt werden. Klar, wenn jemand kein anständiger Marktwert erhalten hat, klar, wenn jemand übers Ohr gehauen wurde oder unfair und unrichtig behandelt worden ist, dann muss man das heute berücksichtigen und muss es werten. Aber es ist nicht so, dass jedes Rechtsgeschäft, das ein jüdischer Emigrant in der Schweiz und in den USA und in anderen nicht besetzten Gebieten getätigt hat, dass jedes dieser Rechtsgeschäfte verdächtig ist und primär einmal als verfolgungsbedingt erzwungen betrachtet werden kann, sondern wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, es gab einen ordentlichen Handel. Millionen von Leuten haben im Krieg gelitten haben ihr Leben verloren, haben ihr Hab und Gut verloren, aber Millionen haben weitergelebt und in einem ordentlichen normalen Handel weitergelebt, in der Schweiz und anderswo. Das muss auch berücksichtigt werden.»

Tacheles war daraufhin Jolles Antisemitismus vor und die Künstlerin Miriam Cahn kündigte an, ihre Werke - immerhin an die vierzig -, aus dem Kunsthaus abzuziehen. Auch sie nimmt das Wort Antisemitismus in den Mund.

Aus der Dokumentation zu Bührle, seiner Biografie, seiner Sammlung. Foto: GF 2021

Kaum hatte sich Debatte angesichts der Feiertage abgekühlt, und konnte sich die NZZ mit der (m.M. eher nicht so interessanten Frage) nach der Person Bührles beschäftigen (also eher ausweichen), zündete der Direktor Christoph Becker des Kunsthauses den nächsten Feuerwerkskörper. Er habe sich unter anderem während der Planungen namentlich des Dokumentationsraumes zur Bührle-Sammlung mit Ronald S.Lauder beraten. Also mit dem Präsidenten des Jüdischen Weltkongresses. Der ließ umgehend dementieren. So ein Gespräch habe es nicht gegeben. Die Pressestelle des Kunsthauses beharrte weiter auf der Sichtweise des Direktors. Der Tagesanzeiger ließ Becker daraufhin ausrichten, er möge seinen Platz der designierten Nachfolgerin möglichst sofort überlassen.

Die Zeitung fasst die jüngsten Ereignisse als "kommunikatives Desaster" zusammen. Das ist es auch, aber es ist auch ein Beharren auf historisch und ethisch unhaltbaren Positionen. Tacheles resümiert so: "Primär allerdings geht’s darum, wie eine Stadt mit einem belasteten Erbe, mit Nazi-Geschichte im öffentlichen Raum umgeht und sich dieser nicht stellt."

Dienstag, 28. Dezember 2021

Schweizer Museumspolitik für Anfänger. Das gute Land, die bösen Waffen, das viele Geld, die schöne Kunst

Eben wurde eine vom Architekten David Chipperfield geplante Erweiterung des Kunsthauses in Zürich eröffnet. Gezeigt wird dort neben anderen privaten Sammlungen und Beständen des Museums die sogenannte Sammlung Bührle. Bührle war ein "erfolgreicher" Industrieller, der es mit Waffenhandel zu großem Reichtum brachte - und mit seiner Kunstsammlung zu Ansehen. 

So würdigt man einen großen Sohn, ungeachtet des Umstandes, daß seine Geschäfte extrem fragwürdig waren (vor allem die Belieferung des Dritten Reichs), er politisch-ideologisch am äußersten rechten Rand angesiedelt war und großen persönlichen und in Hinsicht auf den öffentlichen Status des Museums fragwürdigen Einfluß auf das Kunsthaus, seine Baupolitik und die Museums- Sammlung nahm.

Die eigene Sammlung mehrte er auch aus arisierten Beständen und aus sogenanntem Fluchtgut, d.h., Objekten, die jüdischen Eigentümern abgepresst wurden im Tauch z.B. für Ausreisemöglichkeiten. Dieser Bestand an Raubgut gilt als - noch von Bührle selbst - restituiert, wobei Bührle einige Bilder zurückkaufte.


Es gab schon mal Ärger mit der Bührle-Sammlung, die als Stiftung unabhängig ist und Teile der Sammlung nun an das Kunsthaus ausgeliehen hat. Nun aber eskaliert der Zoff. Es wird bestritten, daß die Restitutionsforschung ausreichend gewesen sei, es werden Vorwürfe erhoben, daß die Stiftung historische Forschung behindert habe und es werden Fragen gestellt, warum jemandem mit der Biografie eines Bührle die auch aus Steuergeldern finanzierte Ehre eines Museumsbaues erwiesen wird.

Der Streit wird sowohl vom Kunsthaus selbst als auch von der Stiftung durchaus offensiv geführt. Die Restitutionsforschung sei abgeschlossen, es gibt keinen Grund zu Nachforschungen und wenn die Kritik anhalte, werde man sich überlegen, die Sammlung abzuziehen.

Im im Inneren von großer Geste geprägten Bau wird die Sammlung gewissermaßen übercodiert präsentiert: auf jedem, wirklich jedem Bilderrahmen, ist ein Schildchen befestigt "Sammlung Bührle". Die Texte, die man via Code abrufen kann, würdigen Bührle als umsichtig und kunsthistorisch kenntnisreich agierenden Sammler (vor allem französisch-impressionistischer Kunst, die offenbar der Goldstandard einer bestimmten Sammlerklientel ist). Erstaunlicherweise nutzt man das technische Potential überhaupt nicht für sachliche Information zu den Werken. Allerdings gibt es detaillierte Auskunft zur Provenienz, wie Kritiker bemängeln das aber lückenhaft.

Unter dem Druck der öffentlichen Debatte hat das Kunsthaus einen Informationsraum eingerichtet. Texte und Fotografien dokumentieren den Lebensweg Bühles durchaus umfangreich, allerdings wird er als humanistisch orientierter Sammler stilisiert, der verantwortungsvoll und zum Vorteil des Museums und der Stadt wie des Landes agiert habe. Bühles Motiv für den Umgang mit seiner Sammlung, nämlich dadurch Zugang zur "besseren Gesellschaft" zu erhalten, geht in gewisser Weise hier auf. Mag ein Waffengeschäft auch etwas anrüchiges sein, Lebenslauf und Kunstbeflissenheit sollen uns die Sublimierung der politisch-historischen Bedingungen erlauben.

Das scheint aber nicht ganz zu funktionieren. Die jüngste Pressekonferenz der Stiftung ließ selbst die der Stiftung und dem Museum gewogene und konservative Neue Zürcher Zeitung nach Fassung ringen und die Wochenzeitung schrieb als Reaktion unter anderem zusammenfassend: "Das grösste Kunstmuseum der neutralen Schweiz – es würde ohne Krieg und Vertreibung nicht existieren. 

Aufsehen erregten vor allem die Äußerungen des Stiftungspräsidenten und Anwalts Alexander Jolles. Die Wochenzeitung fasste das so zusammen: "In stupender Offenheit, mit geschichtsrevisionistischen und – wie auch das jüdische Wochenmagazin «Tachles» findet – antisemitischen Untertönen fegte er alle Vorwürfe bezüglich der ungeklärten Provenienzen vom Tisch. Raubkunst, Fluchtgut oder NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust: Das seien bloss von Historikern in die Welt gesetzte Begriffe. Mit juristischen Fakten hätten sie nichts zu tun. Wer als Jüdin oder Jude vor deutscher Verfolgung in die Schweiz fliehen konnte, habe hier ungestört Handel treiben, seinen Geschäften nachgehen können. Täter und Opfer, die gebe es heute nicht mehr: Denn Opfer stünden ihnen – Jolles meinte wohl das Kunsthaus und die Bührle-Stiftung – heute keine mehr gegenüber, sondern US-amerikanische Trusts oder «sehr entfernte Verwandte". 

Jetzt ist die Politik am Zug, vor allem die Stadt und der Kanton. Und man fragt sich: Wie wird sie angesichts der Zwickmühle, in der sie steckt, reagieren?

P.S.: So unterschiedlich beide Museumsprojekte sind, eines haben Zürcher Kunsthaus und Humboldt-Forum gemeinsam. Sie werden von einer Debatte eingeholt und permanent in Frage gestellt, in der etwas ganz Grundsätzliches sichtbar wird - und irgendwann auch entschieden werden muss. Soll und darf man Museen als Sublimation-Agenturen betreiben, die die gewaltförmigen Grundlagen ihrer Existenz verschleiern?

Man wird sehen.

Donnerstag, 4. November 2021

Dienstag, 26. Oktober 2021

„Museum am Ende der Zeit“. Österreichischer Museumstag 2021

 Am Österreichischen Museumstag, Graz, 2021, wurde der Initiative „museumsdenken“  ein ganzer Tag eingeräumt, um eine Grundsatzdiskussion zu beginnen: welchen Herausforderungen müssen sich Museen stellen angesichts mindestens dreier, miteinander verknüpfter Krisen. Corona-Pandemie, Klimakrise und Erosion des Demokratischen fordern Museen. Antworten lassen sich nicht mehr aus der Museumspraxis und deren partieller Transformation gewinnen, sondern aus der Reflexion der gesellschaftlichen Rolle von Museen.

Acht Expertinnen und Experten diskutierten in zwei Gruppen und es gab Zeit für Teilnehmerinnen, selbst Antworten in Gesprächsrunden zu suchen.

Seit wenigen Tagen ist dieser Tag auf VIMEO online verfügbar: https://vimeo.com/637042992


Sonntag, 12. September 2021

Heeresgeschichtliches Museum Wien. Eine Publikation dokumentiert die Kritik

Elena Messner und Peter Pirker bemühen sich seit über eineinhalb Jahren um eine sachliche und gründliche Kritik des Heeresgeschichtlichen Museums. Inzwischen haben mehrere Kommissionen und ein Rechnungshof die Kritik am Museum vertieft und erweitert. Messner und Pirker selbst haben zwei Veranstaltungen organisiert, bei denen eine Vielzahl von Expertinnen diese Kritik ebenfalls vertieft haben.

Nun haben die beiden ein Buch veröffentlicht, das auf über 300 dichten Seiten umfassend so gut wie alle Aspekte der Debatte und der Kritik von 41 AutorInnen sammelt: Elena Messner, Peter Pirker (Hg.): Kriege gehören ins Museum. Aber wie? Atelier Verlag. Wien 2021

Woran es inzwischen keinen Zweifel gibt, ist die Unreformierbarkeit des Museums. Es braucht eine von Grund auf neue Konzeption. Aber es ist noch immer fraglich, ob das zuständige Landesverteidigungsministerium dazu Willens und in der Lage ist.

Das Buch bietet alle nur erdenklichen Argumente für einen Neubeginn eines Museums, von dem allerdings nicht einmal seine grundsätzliche Aufgabe feststeht und diskutiert ist. 

Montag, 6. September 2021

Politisches Statement (Texte im Museum 1016)

Ein bislang einzigartiges Sammlerstücke in meinem Archiv der Museumstexte: Ein politisches Statement an einem österreichischen Museum. Universalmuseum Joanneum

Donnerstag, 15. Juli 2021

The return of the political to the museum

 

The return of the political to the museum

by Gottfried Fliedl

 

1

Years ago, during a museum conference, I was involved in a break-time conversation on the subject of museums and politics. The conversation was lively but hardly controversial and resulted in an agreement that no one objected to: politics should not be done with the museum, but of course it is political.

Like the participants in the discussion, we have a sense of the need for distinction. And museums rarely understand their work as political.  What was strictly rejected in the conversation among the museum people was political action; especially political action that was partisan, particularistic, guided by ideology, and presumably also the entanglement in the everyday life of politics. This seemed to imply an unconditional taboo. But what is supposed to be political about the museum remained open. So is the museum's path to political action blocked anyway?

 

2

On October 4, 2020, the exhibition "The Last Europeans - Jewish Perspectives on the Crises of an Idea. The Brunner Family. An Estate," curated by Michaela Feurstein-Prasser, Felicitas Heimann-Jelinek, and Hannes Sulzenbacher, opened. The occasion for the exhibition was an estate of the Brunner family given to the museum on permanent loan. This family came from Hohenems and, after moving to Trieste, rose to become one of the leading families there.  The books, photographs, letters, and much more left behind literally pile up throughout the floors of the house as testimony to a family history in which European history is reflected.

In the basement of the museum, reserved for special exhibitions, the European history of the 20th and our century is told both as a history of catastrophe and as an attempt to let a peaceful Europe emerge from the chain of traumatic events. All the way up to the contemporary European Union, which is currently attracting both the sharpest criticism and doubts, as well as hope for a further, stable and peaceful coexistence of the states.

But how stable is this foundation? This is the central question raised by the exhibition. Anti-democratic currents in the midst of the European Union, reawakening nationalism, the invention of "illiberal democracy," the recent development of the capitalist economy with its devastating consequential costs, the enormous social tensions within the states, the ecological threat, and now the so-called Corona crisis (which hit the museum and forced the postponement and temporary closure of the exhibition) threaten the peace project and the political idea of a common Europe.

For the exhibition organizers, another problem was at the center of attention: the defensive attitude towards migrations and the anti-human policy of rigorous isolation, which once achieved disregards legal and ethical standards. The importance of the issue for those in charge was evident in the digitally transmitted opening, which I followed on a screen.

It consisted of several speeches whose themes overlapped and mutually reinforced each other surprisingly well and together formed a statement that deeply impressed me and was decidedly political.

Without transition or commentary, shaky footage, obviously taken with a cell phone, appeared on the screen in the midst of the broadcast of the opening, the kind of footage one is familiar with, especially from social media. The footage, which was not immediately identifiable and had to be from a refugee camp, was as horrific as I had ever seen it before. It was footage from the Greek refugee camp Moria. At the time there was extensive reporting with many photos and videos - about the devastating conditions in the overcrowded camp, about the desperate protests of the refugees against their situation.

But the video of Ronny Kokert was more shocking than anything I had seen from the camp until then. At first, the abrupt playback seemed to me like a technical glitch, like a wrong feed of a wrong film.

 

But this moment of shock, in the midst of cultivated academic discourse that always inevitably goes hand in hand with distance, with order and conceptual frame, exploded these forms of dressing up. It was an intrusion of the real that tore one - at least me - out of the position of the "spectator" and confronted one with the immediate present. Yes, it was an intervention, one that left no room for keeping the events at bay as historically and politically classifiable. The clip showed: this is about naked life.

 

3

A political intervention is understood as an intervention in a conflict in the interest of its resolution by someone who was previously uninvolved. Should a museum be allowed to intervene in a conflict? Is it in a position to contribute to its resolution? Is it uninvolved or should it pretend to be uninvolved? Is it not itself in the midst of conflict - just as it is directly affected by the Corona crisis in many cases, and as does it not simply represent something in the relevant exhibitions with Corona relics from which it can pretend to be untouched?

The exhibition "The Last Europeans" answers to this: We are involved. We, the museum, we the museum staff, the curators, we, the Austrian population, all those who live here. We draw attention to problems, we inform about historical backgrounds, we warn about possible developments.

From this moment on, the museum is, of course, no longer uninvolved, no longer neutral - on the contrary, it takes an explicitly political stance, which is also clearly declared and reflected. It even situates itself where the museum does not seem to belong at all - in a domestic political conflict. As is well known Austrian government policy is strictly against immigration; it instrumentalizes xenophobia, and it pursues a rejectionist asylum policy. However, the exhibition does not exist to polemicize against government policy and the parties that formulate this policy, but it is about the much-vaunted European project. It is about comprehensive factual and orientational knowledge, about the reasons why this project has come into being, who has formulated its foundations, by which ideas it is supported. And these are the conditions that are necessary to make reflective knowledge possible. Such an attitude makes the museum a "nervous catch-all organ of contemporary inner and outer life." The art historian Aby Warburg said this about the memorial and social functions of images.

The museum is not content with just showing. The exhibition is accompanied by many events, by lectures, by a European Diary, by a specially created website. In short, it creates a public sphere, it enables and facilitates discussions.

 

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Why shouldn't a museum be allowed to do this? To do something that the theater, literature, film, etc. are allowed to do as a matter of course, indeed what we virtually expect from these cultural institutions if we don't even criticize their lack of critical engagement.

It is not so much the fear of contact with the political that prevents the museum from addressing the questions of the present; it is its structurally baked-in culturalist neutralization that is at work here.

From Walter Benjamin (In his "Theses on the Philosophy of History") comes the oft-quoted phrase: "It is never a document of culture without at the same time being one of barbarism." The museum spares us barbarism through aestheticization. Benjamin's sentence is often quoted, but the second part is often forgotten: "And just as it is not free from barbarism, neither is the process of transmission in which it has passed from one to the other."

Certainly, the museum has changed in recent years, it is now becoming more possible to tell not only stories of triumph but also those of trauma. This has been emphatically the case since the 1980s, and I suspect that it also has to do with the founding of many Jewish museums in that decade. More and more, those excluded from the museum are claiming their museum representation, and the call for diversity in the museum is becoming unmistakable. With the looted art and restitution debates, first on those of the Nazi era and more recently on those of colonial Europe, the innocence of museums as neutral custodians if not saviors of cultural heritage is melting away. In any case, the cultural capital of the institution, acquired over a long period of time and thought to be eternal, is eroding under the constraint that museums are not systemically relevant in the Corona crisis.

Museums are learning to adjust reflexively to the institutional conditions of their work and are losing their fear of taking up controversial and topical issues. They are increasingly acting politically.

In view of the many deep crises, it hardly seems possible any more to imagine the museum as a neutral place that keeps its distance from everything. A repoliticization seems inevitable, an acting and intervening, as the Jewish Museum Hohenems has just shown with its exhibition.

 

5

When museums act politically, they are inevitably drawn into controversies. If one gets involved in debates about anti-Semitism or Israel's policy toward the Palestinians, then the museum is no longer as "neutral" as many would like it to be.

But (also) museums can only deal with conflicts in the medium of conflict. They create a public sphere, not to eliminate it by pacifying it, but to enable the confrontation of different points of view in the first place. According to Simon Sheik, "It is not in the production of rational consensus in the public sphere" that the significance of democratic institutions like the museum is to be found, "but in defusing the potential for hostility that exists in human societies by enabling the transformation of antagonism into "agonism."" Agonism, by this is meant a civil culture of democratic dispute, for which stages, platforms are needed that offer material, incentives, and frameworks for this purpose - in other words, precisely what the institution of the museum can offer, if one is willing to expose oneself to potential contradiction. 

Precisely when a museum is a discursive public sphere and forms it, it does not simply engage in (everyday) politics itself, but it is political. The extent to which the museum realizes its potential depends on how far it sees itself as a democratic institution. The extent of engagement, the choice of exhibition themes, and the methods of mediation are entirely at the disposal of the museum's management, curators, educational staff, or even participatory audience groups. They have a great deal of leeway, and this is used impressively at the Hohenems Museum, but they can also invoke the civilizing role of the museum, which has carried it along like a founding mission for two hundred years now. It is a place of self-interpretation and self-understanding for society. And as such, it is needed more than ever. 

 

From: Alte Freiheiten von Ems/Old Liberties Of Hohenems. Hohenems, 5.Juli 2021.. 5.Jg., Nr.3, S.2/3

 

Samstag, 5. Juni 2021

Die Sache mit der "Quote"

Zeitungsmeldung: „Das Museum Altes Land hat im Schnitt 22.000 Besucher pro Jahr. Das sei ‚die beste Besucherquote eines Museums im gesamten Stader Landkreis’, gab Museumsleiter Dieter-Theodor Bohlmann auf der jüngsten Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft, Tourismus und Kultur bekannt.“ Besseres scheint man über ein Museum nicht sagen zu können, als es habe eine gute oder gar die beste Besucherquote. 

Nun bedeutet das Wort Quote aber nichts anderes als einen (prozentualen) Anteil an einer Gesamtmenge oder -anzahl. Das macht also in Bezug auf Museen gar keinen Sinn. Denn was wäre denn die Gesamtmenge an der eine Quote gemessen werden könnte? Alle Menschen einer Stadt als potentielle Besucher, alle einer Region, eines Staates...? 

„Sinn“ macht das Zählen von Besuchern vor allem im Vergleich der Museen untereinander. Jährlich veröffentlichte Statistiken werden gerne als Ranking gelesen, so wenig sinnvoll der Vergleich von Museen unterschiedlicher Größe, Sammlung oder Zahl an Ausstellungen auch ist. „Sinn“ macht das statistische Erfassen des Publikums auch im Vergleich mit anderen Ereignissen; so erfreut sich der von Museen mit Fußballspielen einer gewissen Beliebtheit. Museen überträfen, wenn man alles zusammenzählt, die Besuchszahlen der Fußballligen. 

Da geht es um die Legitimation der Institution, um die Unterstützung einer Argumentation, daß die Bildungsinstitution durchaus so attraktiv sein kann für ein großes Publikum wie ein Sportevent. Ganz besonders attraktiv ist die Quote aber als Wertmaßstab. Je größer die Zahl der Ausstellungsbesucher desto „bedeutender“, „besser“ ist die Ausstellung - so lautet die sehr schlichte Gleichung. Da es so etwas wie Ausstellungskritik kaum, Museumskritik so gut wie gar nicht gibt, füllt die „Quote“ die Leerstelle, die das Fehlen einer an Kriterien orientierten Kritik hätte. 

Es scheint mit abnehmender Bedeutung der herkömmlichen Bildungsaufgaben und der zunehmenden Bedeutung von Museen als touristischer Attraktoren und Freizeiteinrichtung, schwieriger zu werden, das Museum im herkömmlichen Sinn als Vermittler von Wissen und Bildung zu rechtfertigen und seine Sinnhaftigkeit zu begründen. In zunehmender Ökonomisierung des kulturellen Feldes, wird auch das Museum zudem mehr und mehr unter Beobachtung gestellt, ob es „rentabel“ ist. Das mißt man an einer anderen Quote, dem „Eigendeckungsgrad“. Das heißt, an jenen Einnahmen aus Eintrittsgeldern, Zuwendungen von Sponsoren, gewinnen aus dem Merchandising u.a., die gegengerechnet werden mit der aus Steuern bestrittenen Finanzierung durch die sogenannte öffentliche Hand. 

Quoten stützen statistisch den Schein gesellschaftlicher Unverzichtbarkeit und es überrascht nicht, daß während der Coronakrise die Debatte um die Größenordnung des Publikumszuspruchs aufkochte. Die Lockdowns wurden den Museen mit der begleitenden Bescheinigung sie seien eben wenig „systemrelevant“ verordnet. Nun war durch diese Diskussion zu entdecken, daß gerade die am besten finanzierten und großen Museumsinstitutionen, die die meisten „Drittmittel“ einwarben, am schnellsten Probleme mit der Finanzierung ihrer Ausstellungen und des, wie man so sagt, laufenden Betriebs, bekamen. Denn der zur Finanzierung großer Ausstellungen, der berüchtigten Blockbuster, nötige Bedarf wird überproportional von Touristen bestritten. 

Plötzlich bekam der Glanz der großen Zahl unschöne Flecken. Die hätten die jährlich als Erfolgsgeschichte verkündeten Zahlenkonvolute, die suggerierten, die Museen zögen immer mehr Besucher an, schon früher bekommen können. Und zwar aus einem nie wirklich beachteten Grund: Das Zustandekommen der Zahlen unterliegt keiner Kontrolle, methodische Fragwürdigkeiten – wie das Verwechseln von Besucherzahlen mit Besuchszahlen - und massive Manipulationen, wie das mehrfache Zählen von Besuchern, die in ein- und demselben Haus mehrere Ausstellungen oder Veranstaltungen besuchen -, verfälschen die Statistiken erheblich. Auch hier gilt das Bonmot Trau keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast. 

Die allerwichtigste Funktion der „Quote“ ist aber, die demokratische Qualität des Museums per se zu untermauern. Hohe Zahlen, die bei einzelnen (österreichischen) Museen die Millionengrenze übersteigen können, bei Ausstellungen in die Hunderttausender (was nicht sechsstellig ist, ist inzwischen nicht mehr erwähnenswert), sollen belegen, daß das Museum „jedermann“ („öffentlich“ heißt es in der ICOM-Definition) zugänglich ist. Spätestens um 1900 wird diese Zugänglichkeit als Nachweis dafür ins Treffen geführt, daß das Museum die „demokratischeste aller Bildungsinstitutionen ist“ (Gustav Pauli) und zwar deshalb, weil sie „jedermann“ offen stünde. 

Empirisch ist das längst widerlegt. Im Schnitt kommen etwa 50% einer Bevölkerung (eines Landes, einer Stadt usw.) nie in „ihre“ Museen. Das hat zwei Gründe: der soziale Status, altmodischer gesagt, die Klassenzugehörigkeit einerseits und die damit determinierten Bildungschancen andrerseits schließen Menschen vom Gebrauch und Genuß dieser Institution aus. Museen wirken sozial distinktiv und kulturell hegemonial. 

Die Quote verschleiert das. 

Obwohl es seit langem sehr differenzierte Untersuchungen zur Zusammensetzung, zur Herkunft, zu den Motiven des Publikums gibt, „verschluckt“ die Quote gerade dieses entscheidende strukturelle Merkmal von Museen und Museumspolitik. Davon „sprechen“ die veröffentlichten Zahlen einfach nicht und inzwischen werden umfassende Untersuchungen gemacht, wo auf Erhebungen der sozialen Bedingungen des Museumsbesuchs – oder seiner Vermeidung – einfach verzichtet wird. Mal sehen, ob die Debatten, die die Corona-Krise ausgelöst hat, etwas am Umgang mit der „Quote“ andern oder gar dazu führen, was Museumsleiter:innen ja vereinzelt schon vorgeschlagen haben, auf die Erhebung und Veröffentlichung zu verzichten.

Mittwoch, 30. Dezember 2020

Das Frauenmuseum in Hittisau ist für den Europäischen Museumspreis nominiert


Das Frauenmuseum in Hittisau ist für den Europäischen Museumspreis nominiert. Allein schon diese Nominierung ist eine Auszeichnung. Das Museum besteht nun schon mehrere Jahrzehnte und es hat auch den Österreichischen Museumspreis bekommen. Aber.

Aber: seine finanzielle Basis ist noch immer unzureichend. Trotz der vielen wunderbaren Ausstellungen, trotz der Einzigartigkeit des Museums in Österreich, trotz seines Rufs über Vorarlberg und über Österreich hinaus, trotz der einzigartigen und vorbildlichen Organisationsstruktur, trotz der Arbeit mit vielen Communities, trotz der klugen Partizipation, die ihren Namen verdient - trotz allem lebt das Museum noch immer vor allem mit ehrenamtlicher und zu gering bezahlter Arbeit.

Ein Frauenproblem? Nein. Ein Problem, das Männer mit Frauen haben? Schon eher. Das Männermuseum (eins wie kaum ein zweites, boys tos) in Frastanz bekommt mehr Landesgelder als alle Zuwendungen, die das Frauenmuseum insgesamt bekommt.

Das darf man ja mal sagen und noch einmal und noch einmal. Obwohl es das Frauenmuseum nicht verdient mit einem derart fragwürdigen Museum (das eigentlich keines ist, sondern eine Sammlung ohne Erzählung, ohne Botschaft, ohne Bildungsidee) verglichen zu werden.

Was man für das Museum tun kann? Nun, sobald das wieder möglich ist, hingehen und ansehen. Die durch Corona unterbrochenen Ausstellung "Geburtskultur. Vom Gebären und Geborenwerden" ist eine der besten Ausstellungen, die ich im Frauenmuseum gesehen habe. Sie zeigt sehr viele Aspekte ihres Themas auf, sie kümmert sich um Frauen- und Männersichtweisen, sie zieht weite kulturhistorische Kreise und vor allem: sie kümmert sich, basierend auf einer sorgfältigen partizipatorischen Vorbereitung, um die Gegenwart, um Anliegen und Fragen, die heute im Land Vorarlberg virulent sind. Sie schafft Öffentlichkeit in einem Bereich, der viele Frauen beschäftigt und der öffentliche Debatte nötig hat.

Die Ausstellung soll bis Ende Oktober laufen. Also: nicht versäumen! 


Dienstag, 15. Dezember 2020

Das Humboldt-Forum in Berlin wird eröffnet - mit alten und neuen Hypotheken



In diesen Tagen wird eines der weltweit größtem Museen eröffnet, das sogenannte Humboldt-Forum in Berlin. Verzögerungen bei der Planung und der Coronavirus haben dazu geführt, daß es vorerst eine Eröffnung nur kleiner Teile und das nur im Internet wird. 

Die Hypotheken sind die alten und ungelösten geblieben: der Wiederaufbau eines Herrschaftssitzes, die späte Idee der Nutzung als Museum, das Auflaufen des Konzepts eines Museums der Kulturen auf der Kolonialismusfrage, die Problematik der teilrekonstruierten Architektur, die Auslöschung eines Stücks Zeitgeschichte mit Abbruch des Palastes der Republik, die mühsam angebahnte, möglicherweise kaum realisierbare Synergie zwischen unterschiedlichen Museen.

Und jetzt kommt noch hinzu, daß für die sogenannten Beninbronzen offizielle Rückgabeforderungen bekannt geworden sind, also für einen Sammlungsbestand, der eindeutig aus einem brutalen Raubzug stammt und der in der Ausstellung im Humboldt-Forum hätte gezeigt werden sollen.

Samstag, 29. August 2020

Healing America. Demokratische Geschichtskultur in US-Museen

  

Museum of American History. Historische Dauerausstellung. Eingangsbereich. Der Text lautet: 

More than just waging a war of independence, American revolutionaries took a great leap of faith and established a new government based on the sovereignty of the people. It was truly a radical idea that entrusted the power of the nation not in a monarchy but in its citizens. Each generation since continues to question how to form „amore perfect union“ around this radical ideas.


 

Gottfried Fliedl

 

Healing America. Demokratische Geschichtskultur in US-Museen

 

1

Die Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten in New York am 25. Mai 2020 löste Demonstrationen nicht nur in New York und den USA sondern weltweit aus. Zweifellos war der Totschlag durch einen Polizisten rassistisch motiviert. Aber viele Kommentatoren wiesen auf ein viel grundsätzlicheres Problem hin: auf einen Widerspruch, der seit der Deklaration der Unabhängigkeitserklärung und der Verabschiedung der Verfassung von 1776 als eine Art von Geburtsfehler der Vereinigten Staaten die Geschichte der Nation begleitet. Die dort niedergelegten universalen Rechte wurden von Anbeginn an grossen gesellschaftlichen Gruppen verweigert. Frauen, der indigenen Bevölkerung und den Black Americans.

Das große Versprechen auf Gleichheit - hier zitiert in der ältesten deutschen Übersetzung -, ist bis heute uneingelöst: „Wir halten diese Wahrheit für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit.“[1]

 

Anlässlich von Ereignissen wie der Tötung von George Floyd bricht dieser Grundwiderspruch immer wieder auf, aber nicht nur als einzelner Vorfall, sondern als Aufbrechen eines Problems, das die Gesellschaft als Ganzes geprägt hat. Indizien dafür sind die fortgesetzten und umfassenden Diskriminierungen, die etwa das Sozialsystem, das Gesundheitswesen, den Zugang zu Ämtern und Positionen betrifft, generell die Gefährdung durch Armut, Arbeitslosigkeit u.v.a.m. Die Harvard-Historikerin Jill Lepore hat die USA als „eine in Widersprüchen geborene Nation“ charakterisiert.[2]

 

Als ich 2019 Gelegenheit hatte, einige der exquisitesten Geschichtsmuseen in New York und Washington zu besuchen, war ich überrascht, daß dieser Widerspruch dort das zentrale Thema ist und in allen diesen Museen offen benannt, ausführlich erläutert, kritisch beleuchtet wird und den Angelpunkt der Erzählungen und Deutungen bildet.

 

Kaum hat man beispielsweise die Kernausstellung des National Museum of American History in Washington betreten, wird dieser Widerspruch im Kontext des nation building knapp, klar und unmissverständlich thematisiert. Wer war ausgeschlossen? Wer hatte das Wahlrecht? Wer zählte überhaupt als Grundlage des Wahlverfahrens zur Bevölkerung und wer nicht? Who are the counted?  - allesamt Fragen, die von der Feststellung begleitet werden: And America has never stopped debating… Es wird sofort klar, daß das Problem nicht als historisches im Sinn eines abgeschlossenen, überwundenen Ereignisses vorgestellt wird, sondern als eines, das der permanenten Diskussion bedarf, also auch im Museum.

 

Wer sind überhaupt jene, die sich in der Unabhängigkeitserklärung - dort mit den kalligraphisch vom übrigen Text abgehoben ersten Wörtern - als We the people? zum politischen Subjekt machen? Was bedeutet Citizenship eigentlich und worin bestehen die Rechte und Pflichten als amerikanischer Bürger? Wer ist überhaupt Amerikaner? Wie wird man das? Und was bedeutet es, Amerikaner zu sein - in rechtlicher aber vor allem in sozialer und politischer Hinsicht? Wer ist truely american (das waren am Anfang nahezu nur white persons) und was bedeutet das heute?

Die Frage nach dem together zieht die Frage nach den unterschiedlichen Formen von Integration nach sich. 


How did we become us? Die Frage nach der kollektiven Identität durchzieht mit vielen Fragen die gesamte Dauerausstellung des Museum of American History


Zum Beispiel: In einer Vitrine der Dauerausstellung des National Museum of American History steht eine Miniaturausgabe der Freiheitsstatue. Vor ihr sind einige Objekte mit Texterläuterungen platziert, die die Formen der Integration im Kontrast zum durch die Statue verbürgten Freiheitsversprechen visualisieren. Einige waren immer schon hier (die indigene Bevölkerung), einige wurden gezwungen (Sklaven), einige kamen freiwillig (die Kolonisatoren), einige blieben einfach. Fragen und Antworten soll man selber finden. Mit dieser anspruchsvollen Aufforderung: Discover How Diverse People Built A Nation Together.

 

Selbstverständlich sind das Fragen, die nicht bloß die USA bewegen. Es sind Fragen die etwa auch in Europa zum Repertoire der umkämpften politischen Fragen gehören, brennende Frage, die die Immigration aufwirft aber auch die Bedrohung von Nationalstaaten durch regionale Autonomiebestrebungen (Katalonien, Schottland). Im neugegründeten Australischen Nationalmuseum gehörte der Satz What does it mean to be an Australien? zum Mission Statement. Der große Unterschied ist, daß die USA ein unbestrittenes Fundament ihrer staatlichen Identität haben- die erwähnten Gründungstexte, die die Norm aber auch die Herausforderung für alle offenen Fragen bilden. Was die US-Geschichtsmuseen, die ich besuchen konnte, betreiben, ist Dingpolitik ganz im Sinne Bruno Latours.[3] Die res publica,die Sache, die alle angeht, sind strittige Angelegen­heiten, um derentwillen und um die herum man sich versammelt. Aber eben nicht nur in einer museal befriedeten Weise, sondern indem das Museum selbst zum Ort des Streits, des Dissenses werden darf, mindestens zu einem, an dem die Grundlage des Gemeinsamen als Entzweiung anerkannt wird. Identität ist nicht einfach zu haben, sie entwickelt sich als ein Prozess, in dem anerkannt werden muß, daß er es immer mit Spaltungen zu tun hat. Das macht ja Demokratie so schwierig, daß in ihr kein fester Ort auszumachen ist, keine res publica, die wie eine Sache auf Dauer unverändert im Zentrum stehen kann, keine Person, die auf Dauer das Gemeinsame repräsentieren darf.

 

Allen hier erwähnten Museen ist die Erinnerung an die Verfassung und an die Unabhängigkeitserklärung gemeinsam, und das in aller Ambivalenz: es ist ebenso die Erinnerung an die Geburtsstunde der Nation, aber mehr noch daran, daß die Demokratie, die noch vor dem Staat USA da war, unvollendet ist. In den Museen gibt es immer beides: die Erinnerung an die demokratische Grundlage des Staates und die Erinnerung an das zwiespältige Erbe, das die Nation spaltet, indem es die niedergelegten Rechte großen Teilen der Bevölkerung vorenthält.  Dabei wird immer wieder nachdrücklich klar gemacht, daß es sich nicht um historische Fragen im Sinne einer abgeschlossenen Vergangenheit handelt, sondern um Fragen, die unter sich permanent verändernden Bedingungen - etwa den demografischen Verschiebungen[4] -, immer neu gestellt werden müssen.

 

2

Die Dekonstruktion der US-Geschichte beginnt schon, ehe man die Dauerausstellungen des National Museum of American History betreten hat, und das ausgerechnet bei der herausragendsten Persönlichkeit: Da sitzt er, George Washington, überlebensgroß, gipsern-weiß, als ein antiker Heros und weist mit dem Finger zum Himmel, der aber nicht mehr von Göttern bewohnt sondern vom Licht der Aufklärung - hier in Gestalt sehr profaner Neonleuchten - erhellt wird. Das Pathos der Skulptur wird mit einer Reihe von Texten vom idealischen Sockel geholt: Im Museum ist er nicht mehr nationaler Heros, sondern ein „fallible man rather than the marble hero“ und die Erläuterung der Geschichte des Denkmals entzaubert zusätzlich den gewaltigen Gestus von Werk und Person, etwa indem man ihm einen anderen, modernen hero entgegenstellt: Nicht mehr und nicht weniger als Martin Luther King!


Vor dem Eingang zur Dauerausstellung: Ein heroisch-antikisierender George Washington - den die erläuternden Texte vom Sockel holen. 

1832 wurde das Monument in Auftrag gegeben, 1840 fertiggestellt und zunächst in der Rotunde des Kapitols aufgestellt. Kurz nach 1900 kam es in den Besitz des Smithsonian Institute. Man darf annehmen, daß die eher ungewöhnliche Ikonografie nicht mehr passend für die Repräsentation von Demokratie erschien. Da hält in der Dekoration des Stuhls, auf dem Washington sitzt, Herkules für das amerikanische Volk her und Columbus trifft als „Neue Welt“ personifiziert einige „Indianer“ und der Lichtgott Apollo personifiziert die Aufklärung. 


Später in der Ausstellung begegnen wir noch einmal Washington, und zwar der Geschichte seiner Rezeption, den Bemühungen, seinen Ruf aufrecht zu erhalten und immer wieder neu zu definieren. Aber auch das ist Arbeit am Mythos. Denn was da in Literatur, Biografik und schulischer Pädagogik aufgewendet wurde, um den Ruf des unbefleckten Heros zu zementieren, macht die Konstruktion eines Bildes transparent, dem das Museum ganz und gar nicht mehr folgen will.

 

Doch allen Zweifeln wie zum Trotz lesen wir hinter dem Washington-Monument die in riesigen Lettern verkündeten Zeilen: „The nation we build togehther“.

 

Ein anderer nationaler Heros, der vergleichbar monumental in einem anderen Museum präsent ist, wurde zu der Zeit meiner Museumsbesuche ebenfalls zum Objekt der kritischen Infragestellung – Theodore Roosevelt (1858-1919), der vor dem Haupteingang des National Museum of Natural History in New York sitzt.

 

American Museum of Natural History. "Knowledge", "The ultimate predator" und Roosevelt. Dieses Miteinander verschiedener Konzepte von Bildung und (Re)Präsentation wird bald ihren historischen Heros verlieren.

Die derzeit am Sockel der Figurengruppe angebrachte relativierende Kommentierung. - "You can learn more" ist ein in Museen ständig präsenter Imperativ.

Daß er seit 1940 hoch zu Ross sitzend von einem „Neger“ und einem „Indianer“, beide zu Fuß und halbnackt, begleitet wird, nimmt das Museum und vermutlich auch dessen Community und die Öffentlichkeit inzwischen nicht mehr so ohne weiteres hin. Auch hier bieten Texte wie bei Washingtons Monument Relativierung an: The „...statue itself communicates a racial hierarchy that the Museum and members of the public have long found disturbing.“ Wiewohl man zuletzt noch die Bewertung dem Betrachter zuschob und neutralisierte: „Today some see the statue as a heroic group; others, as a symbol of racial hierarchy.“  Diese Neutralität wird inzwischen nicht mehr aufrechterhalten. Inzwischen ist auf Grund der am Beginn dieses Textes erwähnten rassistischen Vorfällen und den daraus erneuerten Aktivitäten der Black Lives Matter[5] im Museum der Entschluss gefallen, das Denkmal zu entfernen. Jedenfalls hat das Museum das beantragt. 

 

Das ist mehrfach bemerkenswert, denn Roosevelts Vater war Mitgründer des Museums und Theodore war ein Pionier der Naturschutzbewegung und großer Förderer des Museums, dem die gewaltige Eingangshalle mit ihn rühmenden Fresken gewidmet ist. Die an den Wänden applizierten politisch-programmatischen Parolen stammenden von ihm. Eine weitere Halle im Untergeschoß dokumentiert seine früh einsetzende Naturforschung und seine Initiativen zum Naturschutz.

In einer eigenen Ausstellung Adressing the Statue und der zugehörigen Webseite[6] war schon zuvor vom Museum eine Debatte eröffnet worden, die alle nur wünschenswerten Information zur Geschichte und Kunstgeschichte der Statue bot. Dort findet man kontroverse Statements aus dem Haus und von Wissenschaftern sowie Denkmalpflegern aus verschiedensten Disziplinen und vor allem auch aus der Community. Das ergab ein sehr dichtes Netzwerk von Diskurs und Information. Umfassende, differenzierte und oft erstaunlich tiefreichende Information gehört zum Standard der großen US-Museen. Dort und über Newsletter beteiligen sie sich auch an aktuellen politischen Debatten. Das Smithsonian benötigte kaum drei Tage, um zusammen mit dem Verweis auf vertiefende Information in seinen Museen und Sammlungen, auf die Ermordung von George Floyd zu reagieren und Rassismus in den USA zu thematisieren und klar zu verurteilen. Eingeleitet wurde das mit einem unmißverständlichen und klaren Statement des Sekretärs, wie hier der Direktor genannt wird, des Instituts.

 

3

Die spektakulärste Visualisierung des „Geburtsfehlers der Nation“ findet sich im National Museum oft African American History and Culture in Washington (2016 eröffnet). Zum historischen Teil des Museums muß man mit einem Lift mehrere Stockwerke tief unter die Erde fahren und steht dann unvermittelt vor einem vielfigurigen, großen denkmalhaften Environment, das namentlich bekannten Sklaven gewidmet ist, die lebensgroß und in realistischer Ästhetik dargestellt werden. Die Würdigung bislang „geschichtsloser“ Menschen in einer sonst bedeutenden und singulären Persönlichkeiten vorbehaltenen Pathosform, geht einher mit der Kritik an dem unter ihnen stehenden, neben Washington zweiten bedeutenden Founding Fahther, Thomas Jefferson. Hinterlegt ist das Ensemble mit einem Zitat aus der Unabhängigkeitserklärung, die die Überschrift trägt The Founding of America. Aber am Sockel des Denkmals lesen wir - wie ein Echo auf diese Überschrift - The Paradox of Liberty. 

 

Der Auftakt zur historischen Ausstellung des National Museum of African American

Zwischen den Figuren sind Ziegel zu halbhohen Mauern aufgestapelt, die die Namen der hunderte von Sklaven tragen, die Jefferson besaß. Viele der Gründerväter der Vereinigten Staaten hatten Sklaven, George Washington, zusammen mit seiner Frau etwa dreihundert. Dennoch waren sie es, die die Sätze zur Gleichheit aller Bürger formulierten und als Grundgesetze der jungen Nation deklarierten.

Die Text-Erläuterung zur Jefferson-Statue kommt sofort auf den Grundwiderspruch zu sprechen: „Thomas Jefferson helped to create a new nation based on individual freedom and self-government. Yet over the course of the life, Jefferson himself owned 609 slaves. Their labor and service provided him personal liberty and wealth. Like Jefferson, 12 of the first 18 American presidents owned slaves. The declaration (of independence GF) did not extend „Life, Liberty, ant the pursuit of Happiness“ to all Americans, undermining the ideal that „all men are created equal“.

 

Eine "echte" Sklavenhütte, eine "Denkmal"-Figur einer Sklavin

Von diesem buchstäblich fundamentalen Auftakt in den unterirdischen Geschossen geht man auf einer durch mehrere Geschosse reichenden Rampe in Richtung Gegenwart, aber diese Aufwärtsbewegung lässt sich nicht als Fortschritts- oder gar Erlösungsbewegung deuten. Man flaniert an einer dichten Erzählung staatlichen Versagens, großer Verbrechen, der Unterwerfung und Ausgrenzung, der Diskriminierung aber auch der Anpassung, des Widerstands und des Kampfes um Anerkennung vorbei - bis zur Bürgerrechtsbewegung und den auf die Strasse getragenen Konflikten in jüngster Zeit. 

 

Der oberirdische Teil des Museums informiert umfassend über die afroamerikanische Kultur, bildende Kunst, Film, Tanz, Fernsehen, Theater, Sport - vor allem aber Musik. An unzähligen Stationen begegnet man in dieser riesigen Abteilung allen nur denkbaren musikalischen Ausdrucksformen und vielen berühmten Persönlichkeiten. Ich habe noch nie eine Ausstellung ein Publikum in so aufgeräumter Stimmung erlebt wie in der riesigen Abteilung des Universums „schwarzer Musik“. 



Hier ist ein eigener Abschnitt der Rolle der Black people in der Armee des 2.Weltkrieges gewidmet, einer der am wenigsten überzeugenden Ausstellungen des Museums. Es dominiert eine Militärtisch-Patriotische Sicht, die Hervorkehren heldenmütigen Verhaltens. Die Botschaft ist die, daß die Teilhabe am Zweiten Weltkrieg ein doppeltes Versprechen der Verwirklichung der Demokratie war. Eines „abroad“ im Kampf gegen den Faschismus und der Wiederherstellung eines freien Europa und eines „at home“ als Herstellung der Gleichberechtigung.





In der die Eröffnung des Museums begleitenden medialen Rezeption und in den Äusserungen zum mission statement des Hauses dominierte die Museumsgründung als Akt der Anerkennung der black people und sie wurde auch von den so Adressierten genau so gesehen. Es überwog breiteste Zustimmung. Das Museum hatte von Anfang etwa doppelt so viele Besucher, wie der Planung zugrundegelegt wurde.


Der Bau des National Museum of American African, Architekt: David Adjaye



Anerkennung wird nicht nur in der Ausstellung vermittelt, sie wird auch durch die Architektur und symbolische Situierung im Stadtraum bewirkt. Der monumentale Bau ist Teil der langen doppelten Reihe staatlicher Museen beidseits der Mall - ein Hybrid aus Straße und Park, der an einem Ende vom Kapitol und an der andren Seite vom Lincoln-Memorial begrenzt wird. Der Blick aus dem Museum fällt auf den „Nabel“ der gewaltigen Anlage, auf das nahegelegene Washington-Monument. Zusammen mit vielen weiteren Denkmälern, das berühmteste ist das Vietnam Veterans Memorial, bilden die Museen der 1846 gegründeten Smithsonian Institution[7] den zentralen lieu de mémoire der amerikanischen Nation. Sie sind integraler Teil der politischen Repräsentation und des nationalen Gedächtnisses. Hier sind wir im symbolischen und politischen Zentrum der Nation. Die Mall ist zudem ein öffentlicher Raum sui generis, Ort von Versammlungen, der staatlichen Repräsentation, von Aufmärschen und Demonstrationen.[8]

Die Mail bildet das Rückgrat der Planstadt Washington, die mit der Errichtung der Nation als Hauptstadt geplant und entwickelt wird. Stadtplan, Mail und Bauten wie das Kapitol bilden die Geburt der Nation gewissermaßen in Stein ab. Daß hier Museen der „ausgeschlossenen“ Gruppen angesiedelt sind, sozusagen im politischen Herzen der Nation, gibt der musealen Repräsentanz selbstredend ein besonders Gewicht. Für diese Gruppen existierten anderswo in den USA bereits Museen und Ausstellungen, aber erst als Nationalmuseen an der Mall in Washington erhalten sie ihr ganzes Gewicht.


Inzwischen scheint auch ein Museum of Latino American History eine beschlossene Sache zu sein, seit das 1994 initiierte Projekt im Senat beschlossen wurde.[9] Einige Monate zuvor war ein weiteres Museum beschlossen worden, ein Woman’s History Museum,[10] das ausdrücklich als Neubau, möglichst nahe an der Mall realisiert werden soll. Damit wären alle Gruppen, deren verfassungsmäßigen Rechte als nicht voll abgegolten angesehen werden, an der Mall repräsentiert. 

 

4

Die symbolische Verdichtung von Architektur, Stadtplan und politisch-kultureller Botschaft gilt auch für das Museum, das der zweiten großen immer noch entgegen des Verfassungsversprechens diskriminierten Gruppe gewidmet ist, der indigenen Bevölkerung. Das National Museum oft the American Indian (2004 eröffnet) ist das der First Nations. Ein mehrgeschossiger Monumentalbau, enthält schon in der Gestaltung des Außenraums eine Botschaft, nämlich daß wir hier mit einer naturnahen Kultur konfrontiert werden. Die „Landschaft“ um das Museum aus Bepflanzung, einzelnen skulpturalen Objekten und Wasserläufen signalisieren ein auf den ersten Blick ahistorisches Verständnis der indigenen Kultur. 

 


Das National Museum of the American Indian wurde von Indianische Planern errichtet, wie die Architekten Douglas Cardinal von den kanadischen Blackfoot und Johnpaul Jones von den Cherokee.


Im Inneren empfängt uns eine gewaltige Rotunde mit Galerien und einer mächtigen, gestuften Kuppel unter der die Objekte und textliche Leitmotive den Eindruck einer sehr alten und naturverbundenen Kultur verstärken. Wir werden zuallererst mit dem Reichtum an z.T. zeitgenössichen Artefakten konfrontiert, die als Ausdrucks- und Überlebensfähigkeit der indianischen Kultur präsentiert werden. Der Besucher wird aus der Perspektive eines indianischen Wir angesprochen - das Museum spricht nicht über indigene Stämme sondern diese sprechen direkt zu uns. Kurz zuvor hatte ich im Naturhistorischen Museum die einschlägige Abteilung gesehen, wo die „Indianer“ mithilfe akkurater Modelle noch wie Spielzeug als Miniaturvolk in Vitrinen präsentiert werden -. in unmittelbarer Nachbarschaft zur Abteilung die die Evolution des Menschen aus dem Affenreich erzählt. 

 

Sofort nach dem Eingangsbereich findet man sich im Erdgeschoss der Rotunde im Beginn des Ausstellungsrundganges

Im Washingtoner Museum treten uns die indigenen Stämme dagegen selbst mit großem Selbstbewußtsein entgegen. Unter der Überschrift Nation to Nation wird etwa über die lange Kette der Verhandlungen berichtet, in der sich die Nation USA und die indianischen Nationen gegenübersaßen. So als ob „Nation“ in beiden Fällen dasselbe meinte aber auch so als ob es eine (indigene) Nation, eben die die Native Nations innerhalb des Staates USA gäbe. Vielleicht  beruht dieses Selbstbewußtsein auf der mehrtausendjährige Existenz indianischer Stämme auf dem Kontinent, das auch durch die Kolonisierung nicht erschüttert werden konnte und das im „Fisrst“ vor „Nations“ ostentativ ausgedrückt wird.

 


Auch hier gibt es eine große Abteilung, die die Geschichte der Eroberung, der Vertreibung, der Vernichtung und der erzwungenen Assimilation erzählt. Die Politik der 1940er bis 1960er Jahre wurde tatsächlich unter dem Begriff der Termination betrieben und sollte das „Indianerproblem“ ein für alle mal lösen. Wieder überrascht, wie detailliert und ohne jede beschönigende Relativierung im Museum darüber berichtet wird. Hier habe ich z.B. zum ersten Mal von trails of tears gehört, zu denen Stämme gezwungen wurden und die nicht auf deren bloße Vertreibung aus ihnen zugesagten Reservaten abzielten, sondern auf Vernichtung. Die Märsche unterschieden sich von dem, was man aus der NS-Zeit unter dem Namen „Todesmärsche“ kennt, in nahezu nichts.



Eine Eigentümlichkeit, die ich nur in diesem Museum gesehen habe, ist der Versuch kontrastierende Standpunkte gegenüberzustellen, in Form von Texten aber, nur vereinzelt auch in Form von Bilder.

 

5

Becoming american, als Frage auch der persönlichen Haltung und geforderten Identifikation mit dem Staat, ist dort das Schlüsselthema, wo Einbürgerung viele Jahrzehnte lang stattfand. Ellis Island, eine kleine, Manhattan vorgelagerte Insel, war zwischen 1892 und 1954 der Ort der kontrollierten Einwanderung, den etwa 12 Millionen Einwanderer bis zur Schließung der Station passieren mussten. Nach Auflassung dieses Tors zum „gelobten Land“ wurden die Gebäude 1990 zu einem Museum umgewandelt. Hier wird nicht nur der gesamte Prozess der Kontrolle und Verwaltung der Einwanderer beschrieben. Da hier ja auch über das Recht Staatsbürger zu werden entschieden wurde, wird die gesamte Geschichte der Immigration weit über das 20. Jahrhundert hinaus thematisiert - überraschend bereits mit Christoph Columbus beginnend. 



Frage und Antwort. Hier wird unter anderem das zivile Ritual der Einbürgerung gezeigt, das im Kern auf einem Eid auf die Verfassung und der feierlichen Loslösung vom Herkunftsland besteht.

Das bedeutet, daß Immigration als Kolonialisierung aufgefasst und erzählt wird, und das gilt auch für die Binnenimmigration, das heißt die Geschichte der Besiedlung des riesigen Landes, für das man ja Einwanderer massenhaft benötigte - nur etwa 2% der vor New York ankommenden Passagiere wurden während der Zeit der Masseneinwanderung zurückgewiesen. An detailreicher und unmissverständlichen Kritik an den katastrophischen Begleiterscheinungen, namentlich der Vertreibung und Vernichtung der indianischen Stämme, fehlt es hier nicht. Wir lernen, daß die Existenz der USA auf einer gigantischen gewaltförmigen Landnahme beruht, die die alte Bevölkerung nahezu auslöschte.


Auch dieses Museum, das sich fast ausschließlich auf Texte, Fotos, Environments und Toninstallationen stützt und so gut wie keine authentischen Musealien zeigt, schreibt also eine Geschichte von Ein- und Ausgrenzung, von Vertreibung und Verfolgung. Die Geschichte der Integration von Millionen die bis etwa 1929 ohne Einschränkungen ermöglicht wurde, wird dagegen nicht als Erfolgsbilanz dagegen aufgerechnet, sondern nüchtern und faktenbasiert dargestellt. 

 



Das Museum kommt nahezu ohne Objekte aus. Im Untergeschoß dominieren Environments aus Requisiten, Texte und Toninstallationen. in den oberen Geschossen Fotografien, die den gesamten komplizierten Prozess der Überprüfung der Einwanderer schildern aber auch die folgende, überwiegend zivilgesellschaftliche Obsorge für Quartier und Arbeit.[11]

 

6

Allen hier erwähnten Museen ist also die Erinnerung an den „Geburtsfehler“ gemein, an den Zwiespalt von Verfassungsversprechen und Realpolitik. Verfassung und Unabhängigkeitserklärung sind allgegenwärtig, ihr Geist indes in den Museen immer in aller Ambivalenz: diese Texte bezeugen die Geburtsstunde von Demokratie, aber auch den Zwiespalt in einem Erbe, das bis heute Nation spaltet, indem es die niedergelegten Rechte großen Teilen der Bevölkerung vorenthält.



Es schien mir naheliegend, den Ort aufzusuchen, an dem der „heilige Gral“ der Nation verwahrt wird, die - in Sichtweite der großen Museen gelegenen - National Archives.[12] Dort, in der neoklassizistischen, fast sakralen „Rotunda“, gibt es keine Relativierung oder Kritik, hier huldigt man der säkularen Religion „Demokratie“ vor den originalen, unikalen und handschriftlichen Texten. Unabhängigkeitserklärung, Verfassung und Bill of Rights liegen - technisch enorm aufwändig geschützt und gesichert - vor einem altarähnlichen Aufbau, an der lange, bis auf die Straße reichende Reihen von Besuchern, vorbeiziehen. Diese Texte sind das unbestrittene Fundament der amerikanischen Demokratie und die öffentliche Präsentation der Originale einzigartig. Einigermaßen Vergleichbares kenne ich nur aus Israel, dem Shrine of the Book, das mit den ausgestellten Qumran-Rollen die archäologische Fundierung der israelischen Staatsideologie stützt und dem schweizerischen Bundesbriefmuseum in Schwyz,[13] wo ein aus dem 13.Jahrhundert stammendes Dokument mit anderen, späteren, ausgestellt wird. Ein Dokument, dessen historische Validität umstritten ist und das erst im späten 19.Jahrhundert und ziemlich willkürlich zum Gründungsdokument der Schweiz gepusht wurde.[14]

 

Die kalligraphisch hervorgehobenen drei ersten Wörter der Unabhängigkeitserklärung enthalten das ganze Pathos und die ganze Radikalität der Selbstermächtigung der Bürgerschaft

Daß diese Gründungstexte-Texte der Vereinigten Staaten für bestimmte Gruppen gelten und ihnen Rechte verschafft, die anderen vorenthalten werden, das macht die latente Krise aus, deren derzeitiges Aufbrechen mit Sorge betrachtet wird. Die Performance des Präsidenten, die Wucht der Corona-Krise in den USA, der schroffe Gegensatz der beiden großen Parteien, die vielberedete Spaltung der Gesellschaft, materiell, ideologisch, das alles und vieles andere mehr summiert sich auf beängstigende Weise. Angesicht dieser Situation ist die Frage naheliegend, welchen Effekt die hier als diskursiv und demokratisch geschilderte museale Geschichtskultur denn in der gesellschaftlich-politischen Praxis hat. Es gibt aber generell kein Maß für die Wirkung von Museen und als touristischer Besucher entzieht sich mir auch die ganze Palette der über Ausstellungen hinausgehenden Bemühungen - Vermittlungsprogramme, digitale Information usw., vollkommen der Kenntnis und Beurteilung. Was sich mir ebenfalls entzieht, ist das Ausmaß des Einflusses Privater, die über Zuwendungen an Museen in Form von Geld oder Sammlungen - die National Gallery in Washington ist ohne die Familie Mellon nicht denkbar -, Einfluß haben. Aber welchen genau? 

 

Über vielen Abteilungen der Museen findet man die Namen der Stifter und Stifterinnen, von Bill Gates abwärts. Doch ob sie überhaupt und in welchem Ausmaß Einfluß nehmen, das läßt sich mit dem bloßen Augenschein eines durchschnittlichen Museumsbesuches, wie ich ihn mir geleistet habe, einfach nicht beurteilen. Man kann so viel sagen, daß Museen sehr empfindlich auf Kritik an ihrer gut versteckten sozialen und materiellen Verfasstheit reagieren. Hans Haackes Recherche zum Immobilienbesitz der Shapolsky et al. Manhattan Real Estate Holdings, A Real Time Social System, as of May 1, 1971, das zur Absage seiner Personale am Guggenheim Museum führte, mag damals großes Aufsehen erregt haben, aber inzwischen ist die Kritik am Einfluß privater Personen und Familien auf die Museen in den USA systemisch geworden. Ausgelöst von der Opioid-Krise die wesentlich von Firmen der Familie Sackler wie Purdue Pharma verursacht wurde, mobilisierten Künstlerinnen wie Nan Goldin in Museen wie dem Metropolitan Museum in New York den Widerstand, der dazu geführt hat, daß an so manchen Institutionen die weit gestreute „mäzenatische“ Tätigkeit der Familie Sackler hinterfragt und eingestellt wurde.

 

Und noch eine Beobachtung gehört hierher: während die durch die Verfassung in die Welt gesetzten Konflikte, namentlich ethnischen, eine so wichtige Rolle spielen - die sozialen tun es nicht. Über Einkommens- und Arbeitsverhältnisse, über Arm und Reich, über Besteuerung und Sozialfürsorge und vieles andere mehr, erfährt man sehr wenig. Die zweite Leerstelle ist ebenso bemerkenswert. Die Außenpolitik kommt kaum vor, die Entwicklung der USA zur interventionistischen Welt- und Wirtschaftsmacht ließ sich in keinem der von mir besuchten Museen bzw. Ausstellungen nachvollziehen.

 

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Auffallend ist, wie oft das Wort healing vorkommt. Können Museen heilen? Gar eine ganzes Land, wie es im Zusammenhang mit dem 9/11-Museum in New York versprochen wurde? Dieses Museum ist einem grossen Trauma gewidmet, der Verletzung der Integrität der gesamten Nation. 

Der ganze Komplex, das unterirdische, über den Resten der Grundmauern der Zwillingstürme des World Trade Center errichtete Museum, der umgebende Hain, Trabantendenkmäler, die beiden Gedenk-Brunnen, dies alles ist auf die Wiederherstellung der nationalen Integrität gerichtet. Beachtlich ist der Anteil zivilgesellschaftlicher Initiativen, die diesem Ziel diverse Denkmäler rund ums Museum gewidmet haben. Hier findet, über dem zerstörten Fundament des World Trade Center buchstäblich eine Neufundierung statt, in Form eines Hybrids aus Museum, Memorial, Reliquienkammer, Infocenter, Grabstätte und Denkmal.[15] 



Das Museum erstreckt sich in unterirdischen Räumen, die bis auf die Fundamente der beiden zerstörten Gebäude des World Trade Center hinabreichen. Man wird mit der zyklopischen Mauer konfrontiert, die das Fundament vom Hudson River abschottet und man hat die Möglichkeit, das erhaltene Fundament abzuschreiten über denen die gewaltige Kubatur des Zwillingsgebäudes architektonisch angedeutet wird. Die meisten Ausstellungsstücke sind Relikte der Katastrophe, vom Feuerwehrauto bis zum verlorenen Schuh, vom verbogenen Stahlträger der Gebäude bis zum Personalausweis. 


Das gesamte Ensemble spricht von einem Opfer, aus dem sich die Gemeinschaft wieder erheben kann und erhoben hat. Eine Heilung? Die Täter werden inszenatorisch marginalisiert, nur die Tötung Osama bin Ladens wird ausführlich in der Absicht einer musealen Beglaubigung vorgeführt. Hinter das Verdikt eines verabscheungswürdigen und verbrecherischen Terrorismus wird nicht gegangen. Kein weltpolitischer Kontext, keine Erörterung von Motiven.


Hinter dieser Wand befindet sich ein Raum, in dem die nicht identifizierbaren Überreste der beim Einsturz der Türme Getöteten aufbewahrt werden. Die Farbnuancen der Kacheln bilden das Blau des Himmels am Tag des Anschlags ab. Die Inschrift wurde pedantisch philologisch wegen ihres ganz anderen historischen Kontextes kritisiert, sie enthält aber die zentrale Botschaft des Museums (aller Museen?): Niemand wird je aus dem Gattungs- und Nationalgedächtnis gelöscht werden.

 

Eine der zivilgesellschaftlichen Initiativen und zugleich ein kaum überbiegbares Symbol für den Wunsch nach "Healing"

Heilung war auch ein Wort, das anlässlich der Eröffnung des National Museum of African American History and Culture fiel. Es kam z.B. von einer Kuratorin des Museums, aber auch BesucherInnen verknüpften immer wieder die Existenz des Museums mit einer nun erreichten umfassenden Anerkennung der schwarzen Bevölkerung der USA.

 

Der Terminus Heilung widerspricht dem politischen Diskurs, den die hier genannten Museen führen. Heilung zielt auf eine Wiederherstellung eines früher einmal als ganzheitlich vorgestellten Zustandes. Der Diskurs aber ist ein im Grunde unabschließbarer Prozess. Aber ob Heilung oder Diskurs - was erwarten sich die Museen selbst? Alle erwähnten Museen halten eine Dialektik von Versprechen und Verfehlen in Gang. Alle berufen sich auf die Verfassung, führen aber auch deren Widersprüchlichkeit vor, in der Praxis nie restlos verwirklicht zu sein. Es wird eine Kritik vorgetragen, wie ich sie in dieser Schärfe und Konsequenz von keinem europäischen Museum kenne. Doch wie lässt sich das mit der „staatstragenden“ Rolle nationaler Museen vereinbaren? Wie läßt sich die unbestechliche Darstellung von Geschichte mit all ihren Katastrophen und Traumata mit der Vorstellung des „Healing“ verbinden? 

 

Nun so, dass es immer eine Perspektive gibt, die in der Vollendung des Projekts der Nation liegt. Es ist die Idee einer USA, in der der Verfassungspatriotismus beschworen, aber nicht wirklich gelebt wird, aber wo versprochen und angeregt wird, alles dafür zu tun, dass das dereinst der Fall sein wird. 

 

In einem Museumstext zum Widerspruch von Sklaverei und Verankerung von Freiheitsrechten in der Verfassung heißt es: „The paradox of the American Revolution - the fight for liberty in an era of widespread slavery- is embedded in the foundation of the United States. The tension between slavery and freedom - who belongs and who is excluded - resonates through the nation s history and spurs the American people to wrestle constantly with building „a more perfect Union“. An anderer Stelle wird das als American Experiencebezeichnet, als „…this paradox (is) embedded in national institutions (…) still vital today.“

 

Building a more perfect Union, das ist ein Leitmotiv in den Geschichtsmuseen. Was immer an Opfern gefordert wurde, welche kollektiven Verletzungen stattgefunden haben, letztlich kommt alles einer Perfektibilität des Ganzen zugute. Die Erzählungen der Museen laufen zentralperspetivisch auf die Idee der Vervollkommnung hinaus und damit auf eine künftige Lösung der Probleme. Man darf das nicht als bloß rhetorisch auffassen und die Verschiebung der (Er)Lösungen in eine unbestimmte Zukunft hinein nicht als bloße Ideologie. Die Spannung zwischen dem Versprechen der Unabhängigkeitserklärung und der langen Geschichte der Diskriminierungen wird immer wieder versöhnt durch eine Botschaft der permanenten Wandelbarkeit und mit der Einladung, sich an diesem Wandel aktiv zu beteiligen. 

 

Auch darüber reden und informieren die Museen und bieten der Diskussion selbst Platz. Das geht bis zur ausführlichen Erläuterung des Rechtes auf Widerstands und auf Demonstrationsfreiheit. Während hierzulande etwa angesichts der Coronakrise und rechtsradikaler Demonstrationen dieses Recht als allgemein gültig bestritten und beschnitten wird. Über den Appell hinaus, sich an Wahlen zu beteiligen werden auch die „Abstimmung auf der Straße“, die Demonstration, ausdrücklich als berechtigte und nötige Artikulation des Politischen Willens einbezogen. Die militante Auseinandersetzung wird nicht als Gefährdung der Demokratie eingestuft, sondern als erklärbare Reaktion auf die Defizite der Politik. Eine ganze Abteilung - sie war die einzige, die ich ausgesprochen manipulativ fand, nämlich den Akt der Wahl per se als vollendete und wirkungsvolle politische Beteiligung verklärend, beschäftigte sich mit der Bedeutung der Wahl und der Ausübung des Wahlrechtes, gerade für die Stärkung der Minderheiten.

 

AMERICA CAN BE CHANGED. IT WILL BE CHANGED, lesen wir in riesien Blockbuchstaben über der Biografie der Mary McLeod Bethune, die eine einflussreiche Streiterin für die Rechte der „Negroes“ war, und der Boxlegende Muhammad Ali ist in derselben Plakatschrift die Headline MAKING A WAY OUT OF NO WAY zugeordnet und seine Biografie mit In a Tradition of Activism charakterisiert. Nachdem man einen langen Weg durch die Dauerausstellung des Museum of African American History und Culture gegangen ist und schonungslos mit der Geschichte der Sklaverei, der Rassendiskriminierung, der Bürgerrechtsbewegung konfrontiert war, steht man am Schluß unter einem in gewaltigen Lettern ein personalisiertes Zitat an die Wand geschriebenen: I, TOO, AM AMERICAN. Im National Museum of American History ist der Slogan A Nation We Build Together mehrfach zu finden. Der Slogan enthält einerseits den Appell der Beteiligung aller am Gelingen einer Nationwerdung, womit gleichzeitig das noch Unvollendete dieses nation building eingestanden wird. Selbst Donald Trumps berühmt-berüchtigtes Make America Great Again, ist vom Eingeständnis infiziert, daß Amerika derzeit nicht groß oder nicht groß genug ist.


Der Ausgang aus dem historischen Rundgang des National Museum of African American

 

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Was die Museen, die ich besucht habe, von europäischen signifikant unterscheidet, ist, daß sie Geschichte nicht als von der Gegenwart getrennte Erzählung über Vergangenes verstehen, nicht als Repräsentation zurückliegender Ereignisse, sondern immer gegenwartsbezogen auf die Vervollkommnung des gesellschaftlichen Ganzen gerichtet sind. Sie sind produktiv, nicht repräsentativ: Es wird ein Diskurs geführt über eine unvollendete politische Agenda. Daher ist das Verhältnis von Erzählung und Museum einerseits und Politik und Gesellschaft andrerseits anders miteinander verwoben als in europäischen Museen. In den Ausstellungen werden Fragen aufgeworfen, die in eine Diskussion münden, die ihrerseits auf ein America in the making zielt. 

 

Museen sollen etwas beitragen zur Vervollkommnung der Demokratie, zur „Heilung“ jener Widersprüche, die in der Gründung der Vereinigten Staaten und in deren Gründungsdokumenten angelegt sind. Es geht nicht nur um allgemeine Information, Wissensvermittlung und eine vage Absicht zur politischen Bildung, sondern letztlich um in Handlungsanweisungen umsetzbare Diskurse. Die Museen situieren sich nicht außerhalb und nachträglich in Relation zu etwas Vergangenem, sie situieren sich in einem zeitlichen und historischen, jedenfalls unabgeschlossenen Kontinuum und verstehen sich als Agentur der gesellschaftlichen Debatte und Willensbildung. 


Was Museen grundsätzlich so fragwürdig macht, ist ihre strukturelle Befriedung. Sie sind "Unschuldskomödien". Die liegt im Wandel des Leitmediums begründet, dem sogenannten authentisch-originalen Ding, den es auf dem Weg vom Gegenstand zum Exponat durchmacht und durch den es "sein eigenes Nichtsein" hinter sich herzieht (Joachim Ritter) und "seine Seele verliert" (wie es unlängst der Kurator Hannes Sulzenbacher anlässlich einer Ausstellungseröffnung formuliert hat). Und es liegt an der Verschleierung jener Prozesse mit denen in Museen Bedeutungen und Erzählungen so generiert werden, sodaß sie als Wahrheitsgeschichten erscheinen und meist auch so affirmiert werden. US-Amerikanische Museen entkommen diesem strukturellen Dilemma nicht (das wäre erst um den Preis der Auflösung dieses europäisch-aufklärerischen Konstrukts „Museum“ zu haben), aber sie gehen einen anderen, offensiveren, politischeren Weg, sich gesellschaftlich zu positionieren.

 

In der Frage Who is an American? steckt nicht nur die nach individueller Eignung sich zu integrieren und aufgenommen zu werden und die Bereitschaft, sich mit einem Staat zu identifizieren. Hier geht es um eine permanente Bestimmung dessen, was die USA sind und was sie sein sollen. Wie diese Fragen formuliert und textlich aufbereitet und visuell kommentiert werden verrät, daß die Adressaten immer schon als Staatsbürger angesprochen und aufgerufen werden, die ermutigt werden, sich als politische Subjekte zu begreifen und zu beteiligen. Das knüpft, ob bewußt oder nicht sei offen gelassen, an das Konzept des Museums der Französischen Revolution an, das als zivilisierendes Ritual (Sabine Offe) als Medium des politischen Umbruchs gedacht war und als Instanz einer durch Diskurs fundierten gesellschaftlichen Verständigung über die res publica. Als solches sind die Gründungen in Paris und den Provinzen 1793ff. einerseits überragend in ihrem Einfluß auf die folgende europäische - und dann rasch globale - Entwicklung. Aber andrerseits so gut wie vergessen was ihren politischen Kern betrifft: Ort agonaler Öffentlichkeit zu sein, in der das Gesellschaftliche erstritten wird und aufs immer Neue erstritten werden muß.

 

Das Museum so wie ich es in den USA kennengelernt habe, ist ein Ort, in dem Konfliktgeschichten nicht bloß erzählt werden sondern als Material für öffentliche Debatten aufbereitet werden, die ihrerseits kontrovers geführt werden müssen. Das was ich gesehen habe, kommt der Idee des „agonalen Museums“ nahe: Der Vorstellung, daß Museen Orte sind, an denen Öffentlichkeit aktiv vom Museum aus gestaltet und kontroverse Diskussionen initiiert werden können und auch sollen, die ihrerseits in die Öffentlichkeit zurückwirken.

 


 

Graz/Luzern im Oktober 2020



[1] We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by the Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.“ Der deutsche und der oringinale englische Wortlaut zit. nach  Wikipedia. https://de.wikipedia.org/wiki/Unabhängigkeitserklärung_der_Vereinigten_Staaten

[2] Jill Lepore: Diese Wahrheiten. Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika. New York 2019, dt. München 2020

[3] Bruno Latour: Von der Realpolitik zur Ding­politik oder Wie man Dinge öffentlich macht. Berlin 2005

[4] Diese Verschiebungen sind von größter Bedeutung, weil sie sich auf das Wahlverhalten auswirken und die Tendenz einer schrumpfenden weissen Bevölkerungsanteils große Ängste auslöst.

[5] Black Lives Matter ist eine 2013 entstandene Menschenrechtsbewegung, die sich gegen Gewalt gegen people of color einsetzt.

[7] Der größte Museumskomplex der Welt geht auf die Stiftung seines Vermögens des 1829 verstorbenen Chemikers und Mineralogen und in England lebenden Robert Smithson zurück, der als Auflage die Widmung zugunsten „der Vermehrung und Verbreitung von Wissen“ festlegte. Die Beratungen des Kongresses über die sinnvollste Art der Erfüllung dieses Wunsches dauerte viele Jahre und mündete in die zukunftsweisende Entscheidung, Museen und Forschungsinstitute miteinander zu vereinen. 

Das sogenannte Institution Building, wegen des an europäischen Vorbildern orientierten Stils ach The Castle genannt, der erste Bau der mit den gestifteten Mitteln errichtet wurde, ist das älteste Bauwerk an der Mall.

Heute beherbergt es ein Informationszentrum, eine Ausstellung zur Geschichte der Institution und eine Ausstellung, die, in einer Art Wunderkammer-Präsentation, die einzelnen Museen des Smithsonian vorstellt - und das Grabmal des Stifters (der selbst amerikanischen Boden nie betreten hat), dessen sterbliche Überreste 1904 in die USA überführt wurden.

[8] Die National Mall, wie sie offiziell heißt, gehört als „Prachtstraße“ zur frühesten Phase der Stadtentwicklung der Hauptstadt der USA und wird nach und nach zu der heute fast 5 Kilometer und 500 breiten Anlage, an der sich repräsentative Gebäude ind Institutionen für Politik und Kultur aneinanderreihen.

[9] Im Juli 2020. Webseite der Friends oft he National Museum oft he American Latino: https://americanlatinomuseum.org/victory-hr2420-passed/

[10] https://wamu.org/story/20/02/12/the-next-smithsonian-might-be-a-womens-history-museum/

[11] Die Gestaltung Ausstellungen der hier erörterten Museen ist durchweg konventioenll. Die Orientierung an Diskursen und Fragestellungen bringt es mit sich, daß die Texte eine eminente Rolle übernehmen. Die sind allerdings meist vorzüglich knapp, klar und instruktiv. Das gilt vor allem für die Videoclips des Museums of American History, die einerseits abstrakt, andrerseits unglaublich effizient gestaltet präzise informieren. Bedeutungen werden eher selten über Objekte und Objektarrangements generiert und an eine szenografische Unterstützung von Erzählungen erinnere ich mich so gut wie gar nicht. Was in europäischen Museen schon länger üblich zu werden beginnt, ist, das Dilemma des Ausstellens an der Nahtstelle von Wissenschaft und Kunst angesiedelt zu sein, dadurch zu lösen, daß man Kunst und Künstler direkt einbezieht, habe ich kaum vorgefunden. Mit einer signifikanten Ausnahme. Im Holocaust-Museum unterbrechen mehrere Räume mit abstrakter Kunst hochkarätiger US-Künstler den historischen Parcours. Es sind Räume, die offenbar als kontemplative Unterbrechungen gedacht sind.

Auffallend ist die Neigung zu einer Art Abbildrealismus, der nun wiederum an europäischen Museen so schwer denkbar ist. Monumentale Skulpturen, die eigentlich dem Genre Denkmal zuzuordnen wären (also etwas anderes behaupten, als Figurinen) und daher einem europäischen Museumsbesucher schon deshalb auffallen müssen, gehören zum Repertoire der Ausstellungsgestaltung.

Zum vermeintlich authentischen Objekt hat man eine, wie mir schien, noch ziemlich ungebrochenes Verhältnis. Wenn es eine Sklavenhütte zu zeigen gibt, dann muß es schon eine „echte“ sein und eine Baracke im Holocaust-Museum kommt dann auch „wirklich“ aus einem Konzentrationslager, mag dann die nackte Struktur solcher Bauten, noch dazu im musealen Kontext umgebender Objekte, merkwürdig sprachlos wirken. Im 9/11 Museum genügt dann ein Ziegelstein, um zu beweisen, daß Osama bin Laden an einem bestimmten Ort von einem US-Kommando getötet wurde.

[12] Die Bedeutung dieses Ortes ist mir vor Jahren durch einen Film bewußt geworden, „National Treasure“ (USA 2004. Dt. als Der Schatz der Tempelritter), der in einer in einen Abenteuerfilm verpackten großen Parabel zwei Arten von Schätzen kontrastiert. Ein in historischen Zeiten zusammengetragener, den die Founding Fathers so gut versteckt haben, daß er als verschollen gilt, und der Verfassungstext, auf dessen Rückseite sich eine Karte verbirgt, die den Weg zum Schatz weist. In der Verfolgungsjagd nach dem Schatz entpuppt sich dann der Text, der aus dem national Archive entwendet wird, als doppeldeutig. Der materielle Schatz, der mithilfe der Karte schließlich tatsächlich gefunden wird, wird nachrangig, als eigentlicher Schatz, entpuppen sich Text und Geist der Verfassung, als res publica, als wahrer National Treasure.

Als Nabel des Films kann man jene Szene sehen, in der der historisch versierte Schatzjäger seinem technisch versierten Freund jene Zeilen aus der Unabhängigkeitserklärung vorliest, die von der Rettung der Demokratie angesichts ihrer drohenden Zerstörung spricht: “But when a long train of abuses and usurpations, pursuing invariably the same Object evinces a design to reduce them under absolute Despotism, it is their right (this means: the people’s right, the right of everyone. GF), it is their duty, to throw off such Government, and to provide new Guards for their future security.”

Das ist der wahre Schatz der USA, ihre Verfassung. Die zusammengetragenen materiellen Güter können am Ende des Films, so kostbar sie sein mögen, an die Museen der Welt verteilt werden.

Ausführlich dazu: Gottfried Fliedl: A question raised by the French Revolution answered by Hollywood: Does Democracy need museums?. In: Blog Musologien; https://museologien.blogspot.com/2013/02/a-question-raised-by-french-revolution.html

[13] Das Museum wird als Akt geistiger Landesverteidigung angesichts der drohenden politischen Entwicklung vor allem in Deutschland 1936 gegründet. 

[14] Das Gemeinsame der drei Museen sehe ich darin, daß es sich bei diesen common objects um Texte, um Schrift (nicht um dreidimensionale Dinge) handelt, daß man gewissermaßen das Ding, das sammeltlesen können soll. Sie alle sind so etwas wie nationale Bundesladen (Beat Wyss).

[15] Ausführlich zu diesem Museum: Gottfried Fliedl: Die USA haben ein Nationalmuseum. Das 9/11 Memorial Museum, in Museologien (Blog) https://museologien.blogspot.com/2014/05/die-usa-haben-ein-nationalmuseum-das.html