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Dienstag, 15. Juni 2021

Nur ein Boot. Kolonialer Kulturraub an einem Beispiel (Eine Mikroausstellung)

Für "Nur ein Boot" greife ich ich auf eine schon lange nicht mehr verwendete Darstellungsform zurück, die (zweidimensionale) Ausstellung. Texte, Zitate und Abbildungen werden in "Vitrinen" gezeigt und erzählen dem "Besucher" eine Geschichte. Diesmal von einem Boot, das bis vor kurzem, wenn man das so sagen mag, "in aller Unschuld" im Humboldt-Forum in Berlin zu sehen war und - nun weniger unschuldig - zu sehen ist. Denn nun hat sich Götz Aly dieses Objekts angenommen und die Geschichte des Bootes in einem Buch rekonstruiert. Diese Geschichte ist die militanter Kolonisierung, verschleierter Überlieferungsgeschichte, verweigerter Recherche. Auf einen eigenen Kommentar wird in der "Mikroausstellung" verzichtet. 




Nur ein Boot 

Vitrine 1 „Ausgestorben“ 

 „In meiner Kindheit bin auch ich regelmäßig in Dahlem gewesen. An Winterwochenenden machte mein Vater mit meinem knapp zwei Jahre älteren Bruder und mir Touren durch die West-Berliner Museen. Von allen Ausstellungsstücken, ob im Musikinstrumenten-Museum, dem Museum für Vor- und Frühgeschichte oder im Museum für Verkehr und Technik, sind mir die ozeanischen Boote im Ethnologischen Museum am besten in Erinnerung geblieben. Weil sie nicht hinter Glas versteckt sind, sondern zum Anfassen, Klettern und Spielen einladen. (…)“ 

Ich war „seit ungefähr 30 Jahren nicht mehr im Ethnologischen Museum. Die Boote stehen aber noch genau so da, wie ich es aus meiner Kindheit in Erinnerung habe: auf einem Teppichpodest mit schrägem Boden, als würden sie eine Welle hinabsurfen. (…) Im Humboldt-Forum sollen die Boote ganz anders präsentiert werden, in den Mittelpunkt der Ausstellung soll das Meer rücken – als geschäftiger Verkehrsweg, identitätsstiftender Kommunikationsweg und überlebenswichtiger Nahrungslieferant. In Dahlem sind die Boote vor allen Dingen: Boote. Lediglich kleine Schilder erklären in leicht angestaubter Museumssprache, was das Auge sieht. Zum Beispiel das Fischerboot zum Bonito-Angeln aus Samoa, um 1870 gebaut und „mit Brotfruchtbaumharz kalfatert“. 

Über das Segelboot aus Luf, Para-Mikronesien, erfährt man, dass es Anfang dieses Jahrhunderts – gemeint ist das Jahr 1904 – nach Berlin überführt wurde. Es ist das letzte seiner Art, „die Bevölkerung von Luf ist um 1940 ausgestorben“. (5) 

 „Für die Südsee kann man generell sagen, dass sehr viele Objekte auf gewaltsame Weise beschafft wurden. Daneben war der unredliche Tausch gegen Glasperlen und miserablen Tabak der Sorte »Niggerhead« gang und gäbe. Es handelt sich um systematisches Absaugen, Abgrasen und Ausrauben. Die Kolonie Deutsch-Neuguinea bestand von 1884 bis 1914. Spätestens um 1900 war auf diesen Inseln kaum mehr etwas zu holen. Berlin schickte dann seine Ethnologen auf die Kriegsschiffe mit der Aufforderung: Holt die Reste, bevor es zu spät ist! Die Museumsleiter betrachteten die »untergehenden Kulturen der Naturvölker« bald selber als ein abgeschlossenes Sammlungsgebiet. Ihnen war klar, dass die Ureinwohner der Inseln die Konfrontation mit dem Kolonialismus nicht überleben würden.“ (9) 




Vitrine 2  „Ahoi, liebes Luf-Boot!“ 

 „In der Nacht vom 28. Mai 2018 fuhr ein Schwertransport über den Potsdamer Platz. Auf der Ladefläche, verpackt in einer 20 Meter langen Kiste, ein einmaliges Wunderwerk der Menschheitsgeschichte: das reich verzierte Auslegerboot von der Insel Luf im heutigen Papua-Neuguinea. Generationen von Schulkindern haben es im Ethnologischen Museum in Dahlem bewundert. Nun war es auf dem Weg ins Humboldt-Forum, wo es ebenfalls eine der Hauptattraktionen sein wird. Mit 16 Metern ist das Boot so riesig, dass es nur durch ein frei gehaltenes Loch in der Fassade ins Stadtschloss passte. "Ahoi, liebes Luf-Boot!", grüßte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) auf ihrem Blog.“ (2) 

 „Im Humboldt-Forum sollen die Südseeboote des Ethnologischen Museums Dahlem einmal einen prominenten Platz einnehmen. Dort sollten sie auf die Bedeutung des Meeres verweisen, sagte die Kuratorin der Südsee-Sammlung, Dorothea Deterts, im DLF. (Deutschlandfunk) Es gehe um das Meer als Identitätsstifter, Verkehrs- und Kommunikationsweg.“ (4) 

Vitrine 3 „Reise“ „Die Reise des Südseebootes aus dem Ethnologischen Museum (gemeint ist die Übersiedlung des Bootes ins Humboldt-Forum; GF) begann auf der Insel Luf in Papua-Neuguinea. Aus einem Baumstamm und vielen Planken ließ der Häuptling Labenan den Rumpf des Bootes bauen. Offiziell kam es jedoch nie zum Einsatz, bis Max Thiel, ein Geschäftsführer der deutschen Handelsgesellschaft Hernsheim & Co das Boot 1903 erwarb und es zu einer Niederlassung der Firma auf der Insel Matupi transportieren ließ. Noch im selben Jahr wurde es vom Museum für Völkerkunde in Berlin angekauft und zunächst nach Hamburg verschifft. Von hier kam es dann im Februar 1904 ins Museum für Völkerkunde in die heutige Stresemannstraße in Berlin. (…) 

1970 wurde unser Luf-Boot schließlich aus dem Dornröschenschlaf geweckt und kam in die Dauerausstellung des Ethnologischen Museums, in der es bis 2017 verweilte. Dann schloss das Museum in Dahlem seine Pforten und die Vorbereitungen für den großen Umzug in das Humboldt Forum in Berlin-Mitte begannen.“ (3) 




Vitrine 4 „Erworben“ 

„Der Historiker Götz Aly erzählt in seinem (eben) erschienen Buch "Das Prachtboot" die erschreckende Geschichte eines der spektakulärsten Objekte, das im Humboldt-Forum gezeigt werden wird: des "Luf-Boots", das, so Aly, 1903 in der damaligen Kolonie Deutsch-Guinea geraubt wurde.“ (2) 

„Das Luf-Boot, zeigt Alys ebenso schmissig geschriebene wie umfassend recherchierte Studie, ist keineswegs auf faire und gerechte Weise vom Deutschen Reich erworben worden, wie es die Staatlichen Museen suggerieren. Vielmehr gelangte es am Ende eines jahrzehntelangen Prozesses der Ausrottung und Verdrängung der Ureinwohner Ozeaniens ohne nachweisbare Bezahlung in den Besitz eines „weithin bekannten Kunsträubers und Kulturschänders“ (Aly). Das Prachtboot der Südsee-Sammlung im Humboldt Forum ist, anders gesagt, ein Stück koloniales Raubgut.“ (7)

„Ellmenreich: Wie sind die nach Berlin gekommen ins Ethnologische Museum? Deterts: Auch ganz unterschiedlich. Die meisten wurden angekauft. Ein Boot, das größte unserer Boote, von der Insel Luf. Das ist eine Insel, die heute zum Staat Papua-Neuguinea zählt. Das ist angekauft worden und 1899 wurde es auf Luf gesehen in einem Bootshaus, konnte dort aber, weil es nur noch wenige Männer vor Ort gab, nicht mehr fortbewegt, geschweige denn gesegelt werden, und ist dann von einer deutschen Handelsgesellschaft, Hernsheim & Co, angekauft worden, dem Ethnologischen Museum in Berlin angeboten worden und dann 1904 nach Berlin gekommen.“ (4) 

„Der Hamburger Unternehmer Eduard Hernsheim, einer der größten Player im Pazifik, hörte von einem angeblichen Überfall auf seine Handelsstation auf Luf. Untertänigst bat er Bismarck deshalb um "häufigeren Besuch" deutscher Kriegsschiffe. Bismarcks Strafexpedition erreichte die Insel an Weihnachten. Obwohl die rund 400 Bewohner keine Gegenwehr leisteten, töteten die Soldaten etwa die Hälfte von ihnen und brannten alle Häuser und Schiffe nieder. 20 Jahre später besuchte der damalige Direktor von Hernsheim & Co, Max Thiel, die Insel. Die überlebenden Lufiten hatten ein neues Bootshaus und ein neues, großes Boot gebaut. Für Hernsheim war der Handel mit geplünderten "Kuriositäten" von den Inseln ein wichtiger Geschäftszweig neben den Plantagen. Er wusste, dass Luschan, inzwischen Leiter der Ozeanien-Abteilung im Berliner Völkerkundemuseum, außer Schädeln nichts so liebte wie Schiffe. Er schaffte das Boot von der Insel und verkaufte es ihm für 6000 Mark.“ (2)


 

Vitrine 5 „Gesammelt“ 

 „Über eine weitere von den Marinesoldaten des Kanonenboots Möwe exekutierte Strafexpedition berichtete der Südseereisende Wilda, den Dr. Schnee zur Teilnahme eingeladen hatte. Diesmal zielte die »Züchtigung« auf die »verhältnismäßig sehr wohlhabende« Bevölkerung von Buka, der nördlichsten Insel der Salomonen-Gruppe. Wie üblich sicherten sich die deutschen Herren »die ethnographisch wertvollen Sachen«, bevor sie alle erreichbaren Hütten in Flammen aufgehen ließen. In diesem Fall wurde die Aneignung musealer Herrlichkeiten dokumentiert und als strafweise »Fortnahme des Besitzes« umschrieben. Dr. Schnee kümmerte sich persönlich darum, dass zwar die Kanus wie üblich zerschlagen oder angezündet, aber »die guten Fischernetze aus Brotfruchtfaser sorgfältig« verpackt und nach Berlin verfrachtet wurden.“ (1) 

„Die Museumsleute kauften im großen Stil bei skrupellosen Plünderern ein. Sie wirkten an den "Völkerschauen" mit. Sie hatten teils Karrieren wie Franz Emil Hellwig, der sich als "Wildschweinjäger, Fabrikbesitzer, Hausierer, Uhrmacher" versucht hatte, bevor er - aus der Südsee zurückgekehrt - Kurator im Hamburger Völkerkundemuseum wurde. Schon damals mokierten sich Wissenschaftler über den "methodisch unfertigen Zustand der Ethnologie" und die "sinnlose Anhäufung von Gegenständen, besonders ... aus unseren Kolonien“. Und dann ist da noch die Vorarbeit, die Ethnologen und Anthropologen für die Rassenlehre leisteten: Überschwänglich dankte der Freiburger Anatom Eugen Fischer etwa für die "Liebenswürdigkeit", dass ihm, gleich nach der Hinrichtung ihrer Besitzer, zwei "Papuaköpfe" in "Formol" geschickt wurden. Bernhard Meyer vom Ethnographischen Museum in Dresden bettelte um "Menschenschädel" und "ganze Skelette", auch "aus Gräbern“.“ (2) 

„Georg Thilenius, Direktor des Hamburger Völkerkundemuseums, (gab) den Teilnehmern der Südsee-Expedition von 1908 den Auftrag, bestimmte Gebiete „leerzuforschen“.“ (7) 

„Von November 1902 bis Januar 1903 war (Franz Emil) Hellwig als Sammler ethnographischer Gegenstände im Auftrag der Firma Hernsheim an Bord der Gazelle. U. a. zusammen mit dem Regierungsarzt Otto Dempwolff und dem Kaufmann Heinrich Rudolph Wahlen besuchte er verschiedene Inseln. Auf der Insel Luf (1° 31' 60" S, 145° 4' 6" O) nahe den Admiralitäts-Inseln blieb er alleine zurück, um Sitten und Sprache der Einheimischen zu studieren. Im Jahre 1904 begab er sich wieder nach Deutschland. Die auf diese Expedition gesammelten Gegenstände wurden von Max Thiel, Direktor von Hernsheim an Georg Thilenius, den Direktor des Völkerkundemuseums Hamburg für 20000 M verkauft. Aus den Erlösen seiner privaten Sammlertätigkeit konnte Hellwig 1907 in Halle ein Kolonialwarengeschäft erwerben. In den Jahren 1908 bis 1910 nahm er an der Hamburger Südsee-Expedition, die im ersten Jahr von Friedrich Fülleborn geleitet wurde, als Sammler und Photograph teil. Nach Ende der Expedition wurde Hellwig am Völkerkundemuseum in Hamburg beschäftigt.“ (6) 

 „Aly: Um ihr Gewissen zu beruhigen, behaupteten die vielfach räuberisch vorgehenden Sammler gern, sie würden die Zeugnisse untergehender Kulturen retten. Diese Form der Rechtfertigung hält sich bis heute. Aber die sogenannten Retter gehörten selbst zu den europäischen Stoßtruppen kultureller Verwüstung.“ (8) 

 Vitrine 6 "Weltweit einmalig“ 

„Aly: Das Reiseboot ist wunderschön und ein höchst wichtiges, ja strahlendes Weltkulturerbe. Aber warum existiert von diesem Bootstyp nur noch ein einziges Exemplar auf der Welt? Die Antwort darauf führt in ein düsteres Kapitel deutscher Kolonialgeschichte.“ (8) 

„Weltweit einmalig“ (Stiftung Preussischer Kulturbesitz. „Wie man sich das »Kaufen« der Agenten Hernsheims beziehungsweise die fließenden Übergänge zwischen Abpressen, Übervorteilen, Betrügen und Rauben vorstellen muss, schilderte Richard Parkinson 1904 in einem Brief an das Berliner Völkerkundemuseum: »Die Firma Hernsheim & Co. hat [die Inseln] Maty [Wuvulu] und Durour [Aua] rattenkahl absammeln lassen; es ist ein ethnographischer Raubzug, wie ich ihn noch nicht gesehen [habe].« Allerdings hatte Parkinson knapp vier Jahre zuvor selbst von Luschan gefordert, »einen ständigen Agenten« für die Südsee zu ernennen, der dort möglichst viele »größere wertvolle Sammlungen« erwerben solle, bevor überhaupt nichts mehr zu haben sei: »Es ist erstaunlich, wie schnell jetzt alle Sachen verschwinden, auch das Allergewöhnlichste wird allmählich zu einer Seltenheit.«“ (1) 

„Im Sommer 1882 erfuhr Eduard Hernsheim, der gerade in Deutschland weilte, dass seine Station auf einer Nachbarinsel von Luf von Eingeborenen niedergebrannt und eines seiner Schiffe zerstört worden war. Daraufhin erwirkte er beim Reichskanzler Bismarck eine militärische Strafaktion, die vom 26. Dezember 1882 bis zum 5. Januar 1883 durch das Kanonenboot „Hyäne“ und die Korvette „Carola“ vollzogen wurde. In diesen elf Tagen zerstörten die Mannschaften der beiden deutschen Schiffe sechs Dörfer, zahlreiche Hausgeräte und Pflanzungen und mehr als fünfzig „Kanoes“, darunter zahlreiche Exemplare von der Größe und Qualität des Luf-Boots. Die Bevölkerung, deren Lebensgrundlage vernichtet war, sollte sich von diesem Schlag nicht mehr erholen. Hatten vor der Aktion bis zu vierhundert Menschen auf Luf gelebt, so waren es wenige Monate später nur noch etwa sechzig.“ (7) 




Vitrine 7 „Mahnmal des Schreckens“ 

 „In den 1880er Jahren unterwarf die deutsche Kaiserliche Kriegsmarine einen Teil von Neuguinea und umliegender Inseln, den hinfort so bezeichneten Bismarck-Archipel.“ (1) „Mit (Götz) Alys Buch ist das "liebe Luf-Boot" nun ein ebenso unmögliches Exponat geworden. Die Leute, die es nach Berlin brachten, sind verantwortlich für den Untergang eines Volks und seiner Kultur.“ (2) „In einer ersten Reaktion erklärte eine Sprecherin der SPK gegenüber der SZ, man werde das Boot weiterhin zeigen - nur jetzt als "Mahnmal der Schrecken der deutschen Kolonialzeit". 

Auf die Herkunft des Boots und die Strafexpedition, in deren Zuge etwa die Hälfte der Bewohner getötet wurde, soll in der Ausstellung eingegangen werden.“ (2) 

„Das heutige Papua-Neuguinea ist eines der ärmsten Länder der Welt.“ (8) 

Vitrine 8 „Auktionsbewertung 160 000 bis 200 000 Euro“ 

„Einzelne Stücke aus Hellwigs Raubgut werden bis heute gehandelt. So konnte man 2014 die Ankündigung »Museale Neuguinea-Figur unterm Hammer« lesen. Das hochvornehme Wiener Auktionshaus Dorotheum, 1938 bis 1944 führend an der Versteigerung des Eigentums entrechteter, geflohener und ermordeter Juden beteiligt, veranstaltete die Auktion, zu der mit folgendem Text eingeladen wurde: »Spitzen-Objekt der Dorotheum-Auktion ›Stammeskunst / Tribal Art‹ vom 24. März 2014 ist eine sehr seltene, alte Aufsatz-Figur einer ›Heiligen Flöte‹ der Biwat ( ... ) von vorgelagerten Inseln im Nordosten Neuguineas. Gesammelt im Jahr 1904 von dem deutschen Abenteurer und Kaufmann Franz Emil Hellwig. ( ... )“ 



Vitrine 9 „Nur ein Boot“ 

„Die originalen Eingangsbücher und Inventare enthalten wesentlich deutlichere und zahlreichere Hinweise auf das Sammeln wertvoller Ethnographica mit Hilfe von Kanonenbooten und im Kontext ungezählter sogenannter Strafexpeditionen. Genau deshalb weigern sich die meisten Direktoren ethnologischer Museen bis heute, die großen handgeschriebenen ursprünglichen Verzeichnisse, also die dokumentarischen Grundlagen ihrer Bestände, der interessierten Öffentlichkeit in digitaler Form zugänglich zu machen.“ 

 „Aly: Ich habe die Inventare des Berliner Ethnologischen Museums zur Südsee durchgelesen, insgesamt sieben handgeschriebene Folianten. Das geht sehr schnell. Vieles wiederholt sich. Dabei fällt auf, dass in der öffentlich zugänglichen Datenbank der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die längst nicht alle Stücke enthält, eine »Strafexpedition« zur »Expedition« verniedlicht wird, da wird ein Max Braun als Sammler geführt und nicht mitgeteilt, dass er Unterzahlmeister des Kanonenboots »Möwe« war, der Sammler Jakob Weisser diente in ähnlicher Funktion auf dem Kanonenboot »Hyäne«, da wird ein Auktionshaus in London, das regelmäßig koloniales Raubgut unter den Hammer brachte, zur »Sammlerin Webster«.“ (8) 

 „Aly selbst schlägt vor, der Republik Papua-Neuguinea, auf deren Territorium die Insel Luf liegt, das Auslegerboot zunächst rechtsgültig zu übereignen. Über eine Rückführung könne man später immer noch reden.“ (7) 

 „Aly: Angemessen erklärt führt dieses zum Museumsobjekt gemachte Boot mitten hinein in die deutsche Kolonialpolitik, zu den Bestrafungsbefehlen des Reichskanzlers Otto von Bismarck und zur grausamen Behandlung der Menschen in den deutschen »Schutzgebieten«. Außerdem ist dieses Boot das letzte Zeugnis einer großen Kultur. Es kann 50 Menschen tragen, gegen Wind kreuzen, ist hochseetüchtig. Es gibt eine Vorstellung davon, mit welchen Fahrzeugen die entlegensten Südseeinseln vor vielen 1000 Jahren besiedelt wurden – zu einer Zeit, als man im heutigen Deutschland noch in Höhlen hauste.“ (8) 

 „Zunächst sollten wir uns – konkret die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – als Treuhänder und Bewahrer dieser Kulturschätze verstehen. Ich bin unbedingt dafür, dass sie öffentlich gezeigt werden. Ich plädiere aber auch dafür, in den Museen endlich damit zu beginnen, die kolonialen Gewaltgeschichten zu erzählen. Der Betrachter soll mit dem Zwiespalt zwischen jahrtausendealter Hochkultur und moderner Brutalkultur konfrontiert werden. Wie der Staat Papua-Neuguinea auf die Dauer reagiert, das werden wir sehen, aber ich bin dafür, dass wir diesen Staat rückwirkend als Treugeber betrachten und uns nicht als Eigentümer sehen. Wie es dann weitergeht, das ist eine Aufgabe für die nächste Generation. Es sollte nichts übereilt geschehen.“ (9) 

Literatur 

(1) Götz Aly: Das Prachtboot. Frankfurt/M. 2021 Leseprobe daraus in: Perlentaucher 11.5.2021 https://www.perlentaucher.de/vorgeblaettert/goetz-aly-das-prachtboot-leseprobe.html 

(2)Jörg Häntzschel: Raubkunst:"Mahnmal der Schrecken". Das Luf-Boot soll auch weiterhin im Humboldt-Forum gezeigt werden, erklären die Verantwortlichen in ersten Reaktionen auf das neue Buch von Götz Aly. In: Süddeutsche Zeitung, 10. Mai 2021 https://www.sueddeutsche.de/kultur/humboldt-forum-restitutionsdebatte-raubkunst-kolonialismus-goetz-aly-1.5290781 (2) Jörg Häntzschel: Koloniale Raubkunst: Das neue Buch von Götz Aly: Unmögliches Exponat. In: Süddeutsche Zeitung 10. Mai 2021 https://www.sueddeutsche.de/kultur/luf-boot-humboldt-forum-goetz-aly-1.5289074 

(3) Von der Insel Luf ins Humboldt Forum: Die Geschichte eines Südseebootes. Blog Staatliche Museen zu Berlin. Stiftung Preussischer Kulturbesitz, 25.Mai 2018 

(4) Südseeboote in BerlinTeil der Identität der Kulturen im Pazifik. Dorothea Deterts im Gespräch mit Maja Ellmenreich: Im Humboldt-Forum sollen die Südseeboote des Ethnologischen Museums Dahlem einmal einen prominenten Platz einnehmen. Deutschlandfunk 13.8.2015 https://www.deutschlandfunk.de/suedseeboote-in-berlin-teil-der-identitaet-der-kulturen-im.691.de.html?dram:article_id=328255 

(5) Lars Spannagel: Museen Dahlem Ein letzter Besuch vor dem Umzug ins Humboldt-Forum, in: Der Tagesspiegel 2.1.2016 https://www.tagesspiegel.de/kultur/museen-dahlem-ein-letzter-besuch-vor-dem-umzug-ins-humboldt-forum/12781932.html 

(6) Franz Emil Hellwig; Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Emil_Hellwig 

(7) Andreas Kilb: Pazifizierung im Schutzgebiet Kein fairer Erwerb: Der Historiker Götz Aly führt den Nachweis, dass ein ethnologisches Vorzeigestück des Humboldt-Forums koloniales Raubgut ist. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.6.2021 https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2021-05-08/118d3dc17f5203176d36b866db6b36f5/?GEPC=s2&fbclid=IwAR3fH3SitprFBKeo6UJE09a8XoPQDw6dje-u8RWpPZVyEUh0_G_Extt373U 

(8) »Die Deutschen zerstörten ein Paradies – und behaupten bis heute das Gegenteil« Ein Segelboot von der Südseeinsel Luf soll ein Highlight der Ausstellung im Berliner Stadtschloss werden. Der Historiker Götz Aly sagt: Das Exponat steht für ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte. Ein Interview von Felix Bohr und Ulrike Knöfel in: Der Spiegel 8.5.2021 https://www.spiegel.de/kultur/deutscher-kolonialismus-in-der-suedsee-historiker-goetz-aly-ueber-die-zerstoerung-eines-paradieses-a-a4e4c3b8-b142-4b88-a5dd-749a1a9465fa 

(9) »Schuld und Sühne sind keine historischen Kategorien«. Ein geraubtes Boot aus der Südsee und seine Folgen: Ein Gespräch mit dem Historiker Götz Aly über das Erbe des deutschen Kolonialismus. Ijoma Mangold im Gespräch mit Götz Aly, in: Die Zeit, 11.5.2021 https://epaper.zeit.de/article/6c5134ed9e7a2946129495850675efc8ea48e6bc252cd6cef0bcadc033c827ab?fbclid=IwAR1y-9k7dng85KUHiHv2RgIeafO6yJiYVQKluMUAZOjfK14pjoGZ_eIetRQ

Sonntag, 20. Dezember 2020

Die Debatte um das Humboldt-Forum in Berlin. Eine "Presserundschau"

Kürzlich wurde das sogenannte Humboldt-Forum im rekonstruierten Berliner Schloß eröffnet - virtuell angesichts der Corona-Krise. Hier sind eine Anzahl von Pressereaktionen verlinkt. Da das gesamte Projekt seit Beginn ehr skeptisch bis kritisch und ablehnend beurteilt wurde, überraschen die vielen erneut skeptischen und ablehnenden eiträge nicht. Neu an der Debatte sind zwei Aspekte: daß Nigeria nun bezüglich der Beninbronzen offizielle Rückgabeforderungen stellt. Das betrifft eine für das Konzept des Humboldt-Forums wichtige Objektgruppe aber stellt generell den Umgang von Politik und Wissenschaft mit der Kolonialfrage und Restitution infrage.

Die erst kürzlich voll ausgebrochene Antisemitismusdebatte, die von einem Bundestagsbeschluß gegen bestimmte Formen des Antisemitismus ausgelöst wurde, wird in mehreren Kommentaren mit der seit der Me-Too-Bewegung aufgeflammten Rassismusdiskussion und der Kolonialismusdebatte verknüpft. Zwei Texte dazu finden sich am Ende meiner Liste mit Links.


Paul Starzmann: Raubkunst-Streit überschattet Eröffnung des Humboldt-Forums. Nigeria will Benin-Bronzen zurück. In: Tagesspiegel, 11.12.2020

https://www.tagesspiegel.de/politik/nigeria-will-benin-bronzen-zurueck-raubkunst-streit-ueberschattet-eroeffnung-des-humboldt-forums/26707296.html


Bernhard Schulz: „Eine andauernde Grausamkeit, die mit jeder Museumsöffnung aufgefrischt wird“. Den Raub der Benin-Bronzen 1897 durch britische Truppen schildert Dan Hicks in seinem Buch "The Brutish Museums". Hunderte Bronzen kamen auch nach Berlin. In: Der Tagesspiegel, 11.12.2020

https://www.tagesspiegel.de/wissen/streit-um-rueckgabe-der-benin-bronzen-eine-andauernde-grausamkeit-die-mit-jeder-museumsoeffnung-aufgefrischt-wird/26708928.html


Susanne Messmer: Cremekasten mit Tiefgang. Am kommenden Dienstag eröffnet endlich das Humboldt Forum in der Berliner Schlossattrappe – wenn auch nur digital. Es wird besser, als viele denken. In: taz, 13.12.2020

https://taz.de/Humboldt-Forum-eroeffnet-bald/!5734302/


Susanne Memarnia: Blamage mit Ansage. Kurz vor der Eröffnung des Humboldt Forums fordert Nigeria ein Prunkstück der Ausstellung, die Benin-Bronzen, zurück. In: taz, 13.12.2020 

https://taz.de/Raubkunst-im-Humboldt-Forum/!5733565/


Bert Rebhandl: Leeren der Geschichte. Der ehemalige Palast der Republik musste einer Neukonstruktion des Hohenzollern-Schlosses weichen. Die Frage bleibt: Warum? In: Der Standard, 14.12.2020

https://www.derstandard.at/story/2000122460978/humbold-forum-berlin-eroeffnet-die-leeren-der-geschichte


Nikolaus Bernau: Zusammengedrängte Pracht. Frankfurter Rundschau. 16.12.2020

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/zusammengedraengte-pracht-90133486.html


Ralf Schönball: Ins Schloss hinein darf noch niemand, aber Anfassen ist ab Donnerstag erlaubt. Der Tagesspiegel, 16.12.2020

https://www.tagesspiegel.de/berlin/das-humboldt-forum-ist-eroeffnet-ins-schloss-hinein-darf-noch-niemand-aber-anfassen-ist-ab-donnerstag-erlaubt/26726164.html


Harry Nutt: Humboldt-Forum zur Wiedervorlage. Frankfurter Rundschau. 15.12.2020

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/humboldt-forum-zur-wiedervorlage-90132444.html


Bénédicte Savoy: Eine Art von Verschleppung. In: FAZ, 15.12.2020

https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2020-12-15/8972870739fdc72429dec20bb3ca7a09/?GEPC=s2&fbclid=IwAR2TIYagBgelbIgpfLR8h224FcZRgCkISP6HAActUs_qkZGUGNuMRCjlIUM


Ulrike Wagener: Dauerbaustelle Raubkunst. In: Neues Deutschland, 16.12.2020

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1145904.humboldt-forum-dauerbaustelle-raubkunst.html?fbclid=IwAR1srLh7fK0erMOBRUzWG8g6qFTXiUIKSUR5fLqrkJ-EnKF3NKm051SdTH4


Kolja Reichert: Ein imperiales Museum, das keines sein will, in: DIE ZEIT, 17.12.2020

https://www.zeit.de/kultur/kunst/2020-12/humboldt-forum-virtuelle-eroeffnung-berliner-stadtschloss-museum-kulturpolitik?fbclid=IwAR0riy5WthJNoJ108rXqr3ZYKhtPEuuB5vBrlVcxtUhlQiLw0eqM2bwmcq4&utm_referrer=https%3A%2F%2Fl.facebook.com


Susanne Messmer: Kritik? Egal? Bei der digitalen Eröffnung des Humboldt Forums im Stadtschloss ging man der Kontroverse aus dem Weg. Die wieder aufgeflammte Kritik war kein Thema. In: taz, 17.12.2020

https://taz.de/Humboldt-Forum-in-Berlin-eroeffnet/!5733910/


Nikolaus Bernau: Ein Schloß ist kein Schloß ist kein Schloß. In: Cicero. Magazin für politische Kultur. 17.12.2020

https://www.cicero.de/kultur/humboldt-forum-eroeffnung-berliner-schloss?fbclid=IwAR3rLYjy4b8ihl8cO9EU32LjrKhP5dJuK34Cf3Yl6IGXRuyUcgdlLweT-Ws


Sonja Zehri: Öffnung zur Welt, in: Süddeutsche Zeitung, 18.12.2020 (Zum "Plädoyer der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ und dem Zusammenhang mit der Kolonialismus-Debatte) https://www.sueddeutsche.de/meinung/geschichtsdebatte-oeffnung-zur-welt-1.5151521?fbclid=IwAR3TZIVDPPohkMnwT_8Fb1UnWhEOdgO-mFrQSDNXApcFfXSJW8XIY8xqKWk


Stefan Hebel: Existenzrecht Differenz, in: Frankfurter Rundschau, 18.12.2020 (Ebenfalls zum Zusammenhang von Antisemitismus- und Kolonialismus-Debatte).

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/existenzrecht-differenz-90145703.html

Dienstag, 15. Dezember 2020

Das Humboldt-Forum in Berlin wird eröffnet - mit alten und neuen Hypotheken



In diesen Tagen wird eines der weltweit größtem Museen eröffnet, das sogenannte Humboldt-Forum in Berlin. Verzögerungen bei der Planung und der Coronavirus haben dazu geführt, daß es vorerst eine Eröffnung nur kleiner Teile und das nur im Internet wird. 

Die Hypotheken sind die alten und ungelösten geblieben: der Wiederaufbau eines Herrschaftssitzes, die späte Idee der Nutzung als Museum, das Auflaufen des Konzepts eines Museums der Kulturen auf der Kolonialismusfrage, die Problematik der teilrekonstruierten Architektur, die Auslöschung eines Stücks Zeitgeschichte mit Abbruch des Palastes der Republik, die mühsam angebahnte, möglicherweise kaum realisierbare Synergie zwischen unterschiedlichen Museen.

Und jetzt kommt noch hinzu, daß für die sogenannten Beninbronzen offizielle Rückgabeforderungen bekannt geworden sind, also für einen Sammlungsbestand, der eindeutig aus einem brutalen Raubzug stammt und der in der Ausstellung im Humboldt-Forum hätte gezeigt werden sollen.

Mittwoch, 3. Juni 2020

Kreuz und Inschrift. Das Großprojekt „Humboldt-Forum“ beschädigt sich laufend selbst



Das Humboldt-Forum in Berlin dürfte so schnell nicht in ruhiges Fahrwasser gelangen, als ein von Debatten zukünftig unbehelligtes Projekt. Das vorletzte Unglück, das ihm ohne jedes eigene Verschulden zustieß, wurde durch die Corona-Krise ausgelöst. Die - ohnehin schmalspurige und provisorische - Eröffnung musste verschoben werden. Die bislang letzte Krise ist hingegen gewissermaßen hausgemacht und man kann sich über die Wahl des Zeitpunkts zu dem sie ausgelöst wurde nur wundern. Daß das ursprünglich die riesige Kuppel krönende Kreuz wieder errichtet werden würde, war schon länger klar und wurde seinerzeit auch schon heftig kritisiert, als eine private Spende der Gattung des Versandhauskönigs Otto die Anbindung finanziell möglich machte. Und jetzt kam noch eine Inschrift hinzu, die, ebenfalls „original“, als rekonstruktionswürdig eingestuft wurde. Und die an Eindeutigkeit kaum etwas zu wünschen übrig läßt. Die von König Wilhelm Friedrich IV. persönlich aus Bibelstellen montierte Inschrift lautet: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“

Die semantischen Spitzfindigkeiten, mit denen der symbolische Akt mit nahezu schon fast aufklärerisch-religionskritischen Zwischentönen versehen wegerklärt wird (etwa von Christoph Johannes Markschies, evangelischer Theologe und Professor für antikes Christentum der Humboldt-Universität Berlin in der Berliner Zeitung vom 27.5.2020 im Gespräch mit Nikolaus Bernau), mögen historisch gut gestützt sein, aber es ist nun mal ein symbolischer Akt der jetzt gesetzt wird und als solcher in veränderetem Umfeld und auch anders als nur strikt historisch zu deuten ist. Oder soll man Markschies folgen und es verdienstvoll finden, wie „ehrlich“ rekonstruiert wurde: „Die Inschrift ist so antijüdisch wie das gesamte Christentum in Preußen zu der Zeit antijüdisch war – man hat auf die Tatsache, dass Jesus Jude war, theologisch keine Rücksicht genommen. Das ist nicht schön, aber das ist so. Für mich gehört es auch zur Ehrlichkeit dieser Rekonstruktion, dass man das Problematische der christlichen Theologiegeschichte zeigt.“

Ebenso sophisticated ist der zweite Versuch der Entschärfung von Kreuz und Inschrift, der museologische, der einfach Bau und Dekor zum Ausstellungsobjekt erklärt. Das mag bei manchen zeitgenössischen Museumsbauten angehen, die mit einem autonomen Kunstanspruch auch als Werk rezipiert werden sollen, genau so wie die Werke, die in ihm gezeigt werden (wie es sich etwa Hans Hollein von seinem Museum am Abteiberg in Mönchengladbach gewünscht hat), aber selbst da lassen sich sich Werk und Wirkung nicht als starre Gleichung ausgeben, sondern der Bau steht immer auch in einem freien Spiel der sich stets wandelnden jeweils zeitgenössischen Deutungen.

Vorschläge, doch durch erläuternde Texte die fatalen Botschaften zu relativieren oder wenigstens zu entschärfen gleicht der Verzweiflungstat eine Nestroyschen Zerrissenen, der mit einer Hand ungeschehen macht, was die andre angerichtet hat. Genauso verfahren sind die Appelle des Humboldt-Forums an uns Bürger und Besucher, man möge doch mit den Widersprüchen - die es doch selbst gestiftet hat - umgehen lernen.

Nein, diesmal ist nicht zu sehen, wie die Geste der doppelten Geisterbeschwörung von Christen- und Preussentum so gedeutet werden kann, daß das mit der offiziellen aufklärerischen und antikolonialen Intention des Projekts irgendwie zusammenpasst. Dabei fallen angesichts der christlichen Symbolik die monarchischen fast unter den Tisch wie die Tageszeitung (Susanne Messer am 28.5.2020) bemerkte: „Bei der originalgetreuen Rekonstruktion sind keine monarchischen Symbole wie Adler, Wappen und Kronen ausgelassen.“ Das Monarchische, die Vermengung von politischer Macht mit christlichem Glauben und der Kirche verkörpert jedoch der ganze Bau und kontaminiert das gesamte Vorhaben hier ein museales Zentrum der globalen kulturellen Aussöhnung zu verwirklichen. Sollen gegen diese Hypothek auch didaktische Texte aufgeboten werden?



Die Argumente, auf die sich viele Befürworter stützen, argumentieren mit dem wieder Sichtbar machen von Geschichte gerade durch die Rekonstruktion, mit der Wiederherstellung von Authentizität. Es soll materiell wiederhergestellt werden, was einmal an diesem Ort stand. Was da an Widersprüchlichkeit zutage trete, gehöre nun einmal zu dieser Geschichte. Doch das Argument ist fatal irreführend und täuscht über die Kehrseite der jüngeren Geschichte des Schlosses hinweg. Mit der Entscheidung zum (teilrekonstruierten) Wiederaufbau hat man auch die Entscheidung zum Verschwinden von Geschichte getroffen. Die Rekonstruktion sollte ja auch etwas vergessen machen: den Palast der Republik und die Geschichte der DDR, nicht nur an diesem Ort, sowie die Teilung Berlins. Insofern war die Rekonstruktion des Schlosses schon lange vor der Errichtung des Kreuzes über der ominösen Inschrift hoch problematisch. Wieso soll sich die „Berliner Republik“ ausgerechnet in diesem preussischen Monumentalbau aktuell Wiedererkennen sollen? Mit der Ausstellung „Preussen - Versuch einer Bilanz“ (1981) schien - ungewöhnlich erfolgreich für eine historische Ausstellung - ein befreiender Schlussstrich unter die Geschichte Preussens gezogen. Das wird jetzt gerade ausgelöscht.
Der Historiker Jürgen Zimmer (zitiert aus einer Sammlung von Reaktionen zu Kreuz und Inschrift im Magazin des Humboldt-Forums vom 25.5.2020):  „Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist auch eine Auslöschung, bestimmter Aspekte der Geschichte Berlins, der Geschichte Deutschlands: der Zweite Weltkriege mit seinen Zerstörungen, die deutschen Teilung und nicht zuletzt die DDR. Der Wiederaufbau versucht dagegen die identitätsstiftende Bezugnahme auf Preußen, auf die Monarchie, auf die Zeit vor den vor allem von Berlin/Deutschland ausgegangenen Verwüstungen zweier Weltkriege und dem Holocaust. Das Kreuz steht in diesem Kontext auch für das Gottesgnadentum der Hohenzollern, also für eine undemokratische Ausrichtung, für einen universellen Herrschaftsanspruch. Die christliche Fundierung ist Herrschaftslegitimation und gewinnt ihrerseits daraus normative Prägekraft für die Gesellschaft.“

Der „Geburtsfehler“ (Andreas Kilb) des Projekts liegt in der Vermischung zweier Entscheidungen. Die eine lag darin, auf private Initiative hin eine Teilrekonstruktion des Berliner Schlosses als letztlich staatlich-repräsentatives Bauvorhaben voranzubringen, die andere darin, nachträglich auf der Suche nach einer Funktion eine museale Nutzung durch die Stiftung Preussischer Kulturbesitz vorzusehen. Und dabei ausgerechnet die ethnologischen Sammlungen von Dahlem ins Zentrum zu holen, als neuen Gravitationspunkt der vielfältigen Sammlungen, die dort schon seit 1830 auf der Museumsinsel versammelt sind. Das war schon fragwürdig genug und umstritten, aber erst als die lange verleugnete koloniale Geschichte der ethnologischen Sammlungen durch einen mediengerecht plakativ geschrieben Text zum hitzig hochgekochten Medienhype wurde, platzte die Idee einer humanen Geistesstätte definitiv. Wo viele Kulturen gleichberechtigt und anerkannt versammelt sein sollten und damit dem Eurozentrismus (der in der Idee des Museum selbst steckt) ein neues Modell entgegengesetzt werden sollte, ausgerechnet dort wird nun wie eine gezielt gesetzten Pointe nachträglich alles mit einem verheerenden Vorzeichen versehen.


Kein Wunder, daß jetzt in den Medien ein Sturm der Entrüstung losbricht und es herbe Kritik und Polemik nur so hagelt. Das Kreuz „vergiftet die ohnehin ideologisch aufgeladene Atmosphäre um das Weltkulturenmuseum des Bundes erst recht. In Zukunft werden es die Postkolonialen noch leichter haben, das Forum als Beutekammer europäischer Räuberstaaten zu brandmarken. Sie müssen sich nur vor den Eingang stellen und nach oben zeigen. Auf das Kreuz Christi, das zur Knute des Königs entstellt ist.“ (Andreas Kilo in der FAZ vom 29.5.2020). Ähnlich entgeistert schreibt in Monopol vom 26.5.2020) Saskia Trebing, die auf die Parallele der Wiederrichtung der mit NS-Geschichte kontaminierten Garnisonskirche in Potsdam verweist: „Beim Humboldt Forum ist eine Situation entstanden, in der man das postkoloniale Konzept inzwischen angestrengt irgendwo zwischen anderslautenden Umständen und Symboliken suchen muss. So als könne man im Nachhinein einfach auf Panels und Workshops wegdiskutieren, dass der Großteil der Entscheider weiß und männlich ist, die Exponate aus aller Welt hinter einer rekonstruierten preußischen Schlossfassade einziehen und nun ein prominentes Kreuz auf einem Museum die Silhouette Berlins prägen wird.“
Und Susanne Messner stellt dem Projekt fast schon einen Totenschein aus, wenn sie in Tageszeitung vom 28.5.2020 schreibt: „Das Humboldt Forum ist seit Jahren eine der Institutionen in dieser Stadt, die – um es euphemistisch auszudrücken – kritischer beäugt wird als jede andere. Schon lang weisen kritische Stimmen mit penetranter Hartnäckigkeit darauf hin, dass das Humboldt Forum den Grundwiderspruch, auf dem es baut, nie wird lösen können.“  Nikolaus Bernau in der Berliner Zeitung vom 28.5.2020: „Welche Botschaft geht von einer aus, die das „Heil“ der Welt nur jenen verspricht, die an Jesus Christus glauben? Eine religiöse und kulturelle Anmaßung Europas, der Millionen Menschen und viele Kulturen zum Opfer gefallen sind.“

Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung vom 22.5.2020: "Jetzt schon kann man sagen, dass jene symbolisch bedeutsamen Bauteile besonders sorgfältig rekonstruiert wurden, die, um eine königliche Formulierung zu variieren, den Ludergeruch der Reaktion verströmen. Der Einwand, da werde halt ein Bau-, ja ein Kunstwerk historisch getreu rekonstruiert, trifft nicht. Er verschleiert vielmehr, wie viele Einzelentscheidungen falsch und ohne große öffentliche Diskussion gefällt worden sind.“
Lutz Herden in Der Freitag vom 2.6.2020: „Unter dem Kreuz können sich die Schloss- und Schirmherren nun heimisch fühlen. Sie müssen nicht länger bestreiten, worauf es ihnen ankam. Immerhin wird auf das Zeichen eines in Deutschland stets auch staatskirchlichen Christentums zurückgegriffen, das willig segnete, was es zu segnen galt: brutale Kolonialpolitik, die Ausrottung eines Volkes in Südwestafrika, Aggression und Verbrechen im Ersten Weltkrieg, Zivilisationsbruch und Massenmord des NS-Regimes (Stichwort: „Deutsche Christen“). So unerschütterlich und stolz, wie nun Kreuz und Schloss vereint ihre Botschaft aussenden, sieht das mitnichten nach Abbitte aus. Im Gegenteil.“

Wie das Humboldt-Forum je seinen „Geburtsfehler“ überwinden werden kann, bleibt ungewiss. "Es steht zu befürchten, das Humboldt-Forum hat bereits einen Ruf verloren, bevor es sich überhaupt einen verschaffen kann.“  (Lutz Herden, wie oben zitiert). Vielleicht erledigt sich alles durch Gewöhnung und Ermüdung und eine innovative und ambitionierte Arbeit des Forums wird die langsam alt werdenden und in Vergessenheit geratenden Debatten allmählich überlagern. Mag sein. Jetzt ist erst einmal das Kind tief im Brunnen und die „Kreuzeserrichtung“ das so ziemlich Falscheste zum ziemlich falschesten Zeitpunkt.

Da ist aber noch eine andere offene Frage. Möglich wurde sie durch eine Spende von einer Million Euro aus dem Jahr 2015 durch Inga Maren Otto, die Witwe des Versandhausgründers. Daß das Schloß überhaupt wiedermachtet werden konnte, verdankt sich auch privater Initiative. Daß so zentrale kulturpolitische Entscheidungen nicht vom Staat kommen, sondern von Privaten, kann man nicht als wohltätiges Mäzenatentum schönreden. Da findet ein Paradigmenwechsel statt. Staatliche Kulturpolitik setzt in mehr oder weniger demokratischen Verfahren steuerfinanzierte Projekte um, die im Prinzip allen zugutekommen. Gerade das Museum wird von der Idee der Wohlfahrt aller Bürger getragen und adressiert sich daher folgerichtig seit dem späten 18.Jahrhundert an das Gesamt seiner Bürger. Die wiederum tragen durch ihre Steuerleistung die Institution, die ihnen als öffentlicher Raum im emphatisch politischen Sinn zur Verfügung steht - als einer der Orte, der sich bildenden res publica.

Hier, in Berlin (und an vielen anderen Orten, ich könnte aktuelle Fälle aus Österreich beisteuern, von der Gründung der Albertina Modern bis zu Heidi Hortens Privatmuseum) geht aber die Entscheidungsgewalt über vom Repräsentanten der Öffentlichkeit hin zum privaten Spender (der womöglich auch noch Steuererleichterungen lukriert). Politik und Verwaltung nicken nur noch ab, was Einzelnen in ihrem privaten Interesse opportun erscheint. Dieser Einzelne und nicht mehr die Repräsentanten des Demos bestimmt dann über gesellschaftliche Prioritäten.

Das mag am einzelnen Beispiel nicht so dramatisch erscheinen, aber gerade die Berliner Museen haben ihre Geschichte als nationalstaatliche Repräsentationsorte, die sich in der Konkurrenz zu anderen europäischen Metropolen etablierten und bewähren sollten. Das kumuliert um 1900, ist bis heute nicht zu Ende gekommen. Daß Helmut Kohl zum Deutschen Historischen Museum anläßlich eines Besuchs beim französischen Staatspräsidenten Mitterand, der grade an seinem Grand Louvre bastelte, inspiriert sein soll, ist mehr als nur eine urban legend. (Vgl. dazu Ein Schloß, ein Präsident, eine Kanzlerin. Museumspolitik im Großmaßstab. Link am Ende des Textes)

Museen sind nun mal, gerade wenn es um solche Dimensionen geht wie in Berlin, und um einen ‚Firmennamen‘ "Preussischer Kulturbesitz“, ideologische Staatsapparate, die hegemonial und integrativ zugleich wirken können. Wenn der Staat diese ambivalente Funktion kultureller Großinstitutionen Privaten überläßt und deren Intentionen und Idiosynkratien, deren ideologischen und materiellen Interessen, dann verzichtet er auf seine eigene Verantwortung und Möglichkeiten der Steuerung. Dieser Paradigmenwechsel gibt zu schwer denken.

Nachtrag vom 4.6.2020: Wie die Süddeutsche Zeitung entdeckt hat, gibt es eine weitere Inschrift, keine historische, also keine rekonstrierte. Sie wurde von der Stifterin des Kreuzes gewünscht und sie bekam sie. "Eine Würdigung ihres verstorbenen Mannes: "Im Gedenken an meinen Mann Werner A. Otto 1909 - 2011. Inga Maren Otto". Was für eine Pointe...

Zwei weitere, ältere Texte zum Humboldt-Forum

Das "Humboldtforum" im Berliner Schloss als "Kolonialzoo" und "permanenter Kirchentag"
https://museologien.blogspot.com/2010/06/das-humboldtforum-im-berliner-schloss.html

Ein Schloß, ein Präsident, eine Kanzlerin. Museumspolitik im Großmaßstab.
https://museologien.blogspot.com/2018/04/ein-schlo-ein-prasident-eine-kanzlerin.html








Freitag, 7. Juni 2019

Leerstand. Das Humboldt-Forum wird vielleicht in einem leeren Schloß eröffnet werden

Und das bei der Wohnungsnot in Berlin - Ein leeres Schloß mit hunderten leeren Zimmern
Als ich vor vielen Jahren zum letzten Mal in Berlin war, befand sich an der Stelle, an der das Schloß wiedererrichtet werden sollte, noch ein riesiger Rasen. Menschen lagen in der Sonne, Fahrradfahrer querten gemächlich das Brachland.
Wunderbar dachte ich - eine Stadt mit einer Leerstelle in der Mitte. Was könnte hier nicht alles performativ entstehen! Statt einer definitiven Bebauung eine performatives Stadtzentrum, mit wechselnden Akteuren, wechselnden Themen, wechselnden Medien.
Klar war da schon, so bleibt es nicht. Und so wurde geradezu fatalistisch der Bau hochgezogen, obwohl man noch keine Idee für eine Nutzung hatte aber eine Art riesiger Kulisse, bisschen historisch-rekonstruktiv, bisschen modern-monumental.
Das Nachdenken über das, was in dem Schloß eigentlich stattfinden sollte, brachte viel Ratlosigkeit, viele einander abwechselnde und sich kannibalisierende Ideen und Konzepte und schließlich einen heißen öffentlichen Konflikt um den Umgang mit ethnologischem Raubgut, der bis heute anhält.

Jetzt soll alles eröffnet werden. Und siehe da - ich bekomme vielleicht meine leere Mitte wieder. Zeitungen berichten, daß die Eröffnungsausstellung wegen technischer Probleme und daraus resultierenden Absagen wichtiger Leihgaben nicht stattfinden wird. Das wird zwar dementiert, aber es könnte so kommen, daß man ein leeres Haus eröffnen muß - und vielleicht, in der Not auch will.
Was für eine Chance! Ich würde sofort in den leeren Räumen Sofas, Fauteuils, Hängematten, Teppiche, Polsterlandschaften zum Liegen installieren und tausend Diskussionsblumen blühen lassen, sagen wir mal hundert Tage lang in zehn Räumen zehn Debatten (auch vor dem Haus, klar, in der Stadt, warum nicht...).
Wird es nicht geben, klar. Ich spinne bloß ein bisschen.
Dabei sind Museen "schon immer" (auch) "leere Mitten" gewesen. Orte des Sich-Sammelns eng verwoben mit dem (Ver)Sammeln (der Dinge) und die Museumsarchitektur hat immer wieder, von Schinkel bis Hollein, von Semper bis Sterling, von Soane bis Piano solche Räume bereitgestellt. Von Sammlungsobjekten fast oder ganz leergehaltene empfangende überdeterminiert ausgestattete meist runde, überkuppelte Architekturen. Gedacht für jenes seltsame "Ding", um das sich Gemeinschaften, Gesellschaften, Besucher zusammen-finden (B. Latour) und mit dem und an dem sie sich auseinandersetzen, als Öffentlichkeit.
Wird es nicht geben. Ich weiß. Stattdessen irgendetwas gegen die Peinlichkeit der Leere. Und gegen die Peinlichkeit der immer noch anhaltenden Konzeptlosigkeit, von der die Berliner Zeitungen von gestern und heute (und nicht zum erstenmal und nicht zum letzten Mal) übel gelaunt sprechen.

PS.: Wenige Tage nach den Meldungen wurde die Verschiebung der Eröffnung auf 2020 bekanntgegeben. Begründung: Die Klimaanlage wird nicht fertig.

Dienstag, 16. August 2016

Auch ein Museum des Konflikts?

"Es geht mir um die soziale Kraft von Kultur", erklärt Außenminister Frank-Walter Steinmeier sehr sozialdemokratisch im SZ-Interview seine Vorstellungen von auswärtiger Kultupolitik. Und vor allem sollte sie sich nicht auf den Export deutschen Kulturguts beschränken, sondern im Austausch funktionieren: "Hören Sie britische Nachrichten, die BBC, und deutsche Sender: Die Welt spielt bei uns nur dann eine Rolle, wenn irgendwo gemordet, gefoltert oder getötet wird. Wir haben einen sehr deutschen Blick auf die Welt, der sich nicht leicht irritieren lässt. Es sei denn, es gibt gewaltsame Zuspitzungen. Es wäre ein Riesenfortschritt, wenn das Humboldt-Forum dazu beitragen könnte, unsere Neugier auf die Welt jenseits von Konflikten steigern zu helfen."