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Dienstag, 30. September 2014

Das Musée Jay-Cognac in Paris und eine Frage von Bertold Brecht

Wird man in 120 Jahren die Sammlungen aserbaidschanischer Oligarchen, liechtensteinischer Steuerberater oder hongkonger Tycoone in städtischen oder staatlichen Museen besichtigen und bestaunen, wie man das heute in Museen mit Sammlungen von Stahlbaronen, Kurfürsten oder Großbürgern tun kann? Gut möglich. Und wird die wunderbare museale Transformation auch das Gedächtnis an diese Personen so verwandeln, daß nur ein ehrendes Gedenken an ihr kulturelles Engagement übrigbleibt, die schiere humane Geste ihr Erbe an die Nachwelt? Wahrscheinlich. Um diesen erwünschten sozialen Sublimierungsprozess geht es ja in erster Linie dabei, oder?

Das kleine Musée Jay-Cognac in Paris ist so eine Sublimations- und Transformationsmaschine. Wenngleich das Ausmaß der wirtschaftlichen Tätigkeit, aus deren Erträgen kaum kriminell oder korrupt gewesen sein dürfte und außerdem vergleichsweise bescheiden. Eine Ehepaar, das grade mal ein Grosskaufhaus (Samaritaine) besitzt, aber keine Kinder hat und nicht vererben wird, sammelt barocke Kunst. Zwischen 1900 und 1925. Beziehungsweise läßt Sammeln, weil es die einschlägige Kompetenz nicht hat und auch nicht erwerben will.

Immerhin führt dieses Sammeln-Lassen im überschaubaren und - wiederum - bescheidenen Ausmaß dazu, daß sich in der Sammlung von Gemälden und Plastiken zusammenfinden, die auch heute noch als qualitätvoll eingeschätzt werden und für Besucher als interessante Kunstwerke gelten. Gemälde gibt es da etwa von Fragonard, Boucher, Robert, Corot, Canaletto, Tiepolo usw. und sogar eins von Rembrandt und Plastiken, Büsten, Möbeln und Geschirre, zusammengestellt so wie sie möglicherweise das Wohnambiente des Paares gebildet haben mögen, die nicht nur „Barock“ sammelten, sondern es ganz gerne „barock“ um sich haben wollten - es gibt auch einen authentischen und voll eingerichteten barocken Salon, heute nur noch Schaustück, vor dem Betreten mit Kordeln geschützt. Kurzum, man bewegt sich sowohl in einem Museum, aber in einem, dessen period style auch ein Dokument der Wohnkultur des begüterten Paares ist.

Das Testat der erbenlosen Kaufhausbesitzer hat die Stadt Paris 1928 angenommen, die Sammlung zusammengehalten und, nachdem man es 1990 übersiedelte, in einem beachtlichen Renaissancebau, dem Hôtel Donon von circa 1575 ausgestellt. Eine andere Rezpetion, als die der kunstkennerschaftlichen, des ästhetischen Flanierend, ist kaum möglich. Die Räume sind als ein Stück Testamentskultur auf ihrem Überlieferungsdatum festgefroren, kaum etwas durchbricht die historisierende Atmosphäre mit der Dokumentation der Geschichte der Sammlung.

Mit meiner Frage, die ich mir auch vor den Schätzen des Dresdners Kurfürsten stelle oder den Zimelien der sogenannten Kunstkammer im Wiener Kunsthistorischen Museum (ich könnte hier mehr Orte aufzählen), bin ich auch im Musée Jay-Cognac allein. Die lautet sinngemäß wie die Bertold Brechts: Hatten die nicht auch einen Koch dabei?

Montag, 8. September 2014

Überaltert bis zur Morbidität: Das Musée Carnavalet in Paris

Das Museum - eine stehengebliebene Uhr...

Das Musée Carnavalet, das Pariser Stadtmuseum, könnte man sich gut als Schauplatz für Vladimir Nabokovs unheimliche Erzählung "Ein Museumsbesuch" vorstellen. Es wären nur einige Handgriffe eines Filmarchitekten, eines geschickten Kulissenmachers nötig, eines Szenografen nötig, um seine ohnehin starke Atmosphäre von Verlassenheit, Verstaubtheit und Überholtheit zuzuspitzen und ihm eine Färbung Bedrohlichkeit oder Melancholie zu verleihen.

Ich stellte mir Nabokovs seltsam geisterhaftes Museum immer als eines jener "aufgegebenen" Museen vor, wie es sie ja in Wirklichkeit noch immer und nicht selten gibt und für das das Carnavalet ein Beispiel ist. Unter "aufgegeben" verstehe ich ein Museum, das von den Verantwortlichen aufgegeben, das heißt, nicht mehr ausreichend gepflegt, nicht mehr genügend betreut wird, das uns den Eindruck vermittelt, es würde sich niemand mehr um es kümmern. Dem Besucher begegnen veraltete Anschläge, ein lädiertes Leitsystem, Staub, Dämmrigkeit, lustlose Mitarbeiter, ungepflegte Räume, veraltete Installationen, halbblinde Vitrinen.
Im Carnavalet trifft man gleich zu beginn, im Treppenhaus, auf eine abgeschabte Gipsstatue, sehr zweifelhafter ästhetischer und dokumentarischer Qualität, dann auf aus einem Gebäude gerettete vergoldete Wandtäfelungen, ein sonderbar scheußliches Nashorn auf einem undatierbaren Gemälde, eine Wachsbüste unsicherer Zuschreibung, Vitrinen ohne Beleuchtungen, einen Raum ganz ohne Licht, unzählige handgeschriebene Zettelchen, die die Abwesenheit von Gemälden oder Plastiken rechtfertigen. Orientierung sucht man im weitläufigen Gebäude vergeblich, es sei denn man kann Evakuierungspläne lesen, die aushängen.



Ich kenne das Museum schon lange. Es war nie anders. Inzwischen ist es noch abgenutzter, noch vernachlässigter, noch morbider denn je. An der Kassa ein Schild, die englischsprachige Museums-Broschüre sei leider vergriffen, man möge sie sich im Internet runterladen. Wäre ganz praktisch, so ein Museumsleitfaden, denn im Museum werden einem nur Objektbeschriftungen geboten. Da die Chronologie überhaupt die Ordnung, die das Museum hat, manchmal unklar ist, hat man auch keine Chance, sich aus den Aberhunderten von Objekten so etwas wie eine Erzählung zusammenzubasteln.

Das Carnavalet ist ein Stadtmuseum und als solches würde man ein historisches Museum erwarten. Aber wie bei vielen anderen Stadtmuseen auch, stützt es sich überwiegend auf Kunstwerke, Gemälde, Plastiken, Stiche, Pläne, Modelle, die in erster Linie als vereinzelte und um ihrer Ästhetik willen ausgestellt sind. Sinnhafte, visuelle Stützung von historischen Zusammenhängen, Ereignissen, Strukturen, gibt es nicht. Nirgendwo ist durch sinnhafte Zusammenstellung so etwas wie eine Information zu erkennen, es sei denn, die Zusammenstellung eines Bettes und eines Stadtmodelles verweisen auf einen Architekten, der seine Pläne noch einmal überschläft. Die Gemälde, die Raum um Raum füllen und große Zeitabschnitte vollkommen dominieren, sind von oft unterirdischer ästhetischer und fragwürdiger oder nicht erkennbarer dokumentarischer Qualität. Wie man in einer Stadt der bedeutendsten Kunstmuseen eine solch inferiore Auswahl treffen kann, ist rätselhaft. 


 
Nirgendwo habe ich eine solche Diskrepanz von Ort und Museum erlebt. Paris, eine Stadt wie keine, die Hauptstadt des XIX.Jahrhunderts. Nichts davon hier. Stadtplanung, Stadterweiterung, Haussmann? Die Stadt der Literatur, der Grand Opera, der sozialen Gegensätze und Revolutionen? Nichts oder herzlich wenig. Weltausstellungen? Nahezu nichts. Aufklärung, Geschichte der Wissenschaft, das Theater. Nichts. Das XX. Jahrhundert findet nur in Genre- und Porträtmalerei statt, und auch das nur bis etwa zu seiner Mitte. Dann ist Schluss. 1871, Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, die Besetzung von Paris. Nichts. Nichts zu den großen Konflikten des 19.Jahrhunderts, nichts zur Affaire Dreyfuss, nichts zum Pariser Judentum. Nichts zur Entwicklung der Presse, der Erfindung der Fotografie (übrigens: es findet sich kaum ein Foto unter den ausgestellten Objekten), des Kinos. Absolut nichts. Nur zufällig oder wenn man sich schon sehr gut auskennt, findet man interessante Objekte, wie etwa die Porträts der Protagonisten der Großen Revolution, Dokumente zur Commune, interessante Stadtveduten - doch das alles geht unter im großen Sammelsurium.
Ein Museum von so umfassender Ignoranz muß man erst einmal zusammenbringen. Und man hat in Paris keine Alternative, bis auf Splitter der Stadtgeschichte in diversen Spezialmuseen ist das
d a s Museum über die Stadt.

Immerhin ist das Museum ein guter Arbeitgeber. In jeder Ecke eine Aufsichtsperson, die hier einen besonders trostlosen Job machen in einem so freudlosen und auch architektonisch ungepflegten, sichtlich dahinsiechendem Haus.




Mir ist der Gedanke durch den Kopf gegangen, vielleicht verfolgt der Museumsstab die Taktik, seinen zurückhaltend finanzierenden Träger, die Stadtverwaltung, durch fortschreitendes Vernachlässigen sozusagen zur Revision zu nötigen. So wie Immobilienbesitzer durch Verfall Verwaltung oder Denkmalpflege zwingen einem Abriss zuzustimmen. Wenns so ist, dann war das nicht erfolgreich, das Museum hat schon vor 25 Jahren so vor sich hin gedöst. Ein neues Stadtmuseum würde tatsächlich einem Abriss des Museums nahekommen.
Und ein Café, in dem man sich von den mannigfachen Schrecken des Hauses etwas erholen könnte, gibt's nicht. Das auch noch!

Dienstag, 15. Juli 2014

Im Louvre, neulich

Eine halbe Stunde Wartezeit zeigt eine Tafel am Ende der Menschenschlange an. Die hat sich schon um eine Wegbiegung herum in der unterirdischen Erschließung des Louvre gebildet, in den Gängen, die direkt von der Metro ins Zentrum des Museums führen. Oberirdisch wird es sich nicht weniger stauen, die meisten Besucher kommen ja durch das Nadelöhr des Tores in der Glaspyramide. Die Sicherheitskontrolle und dann die schmale Rolltreppe sorgen dort schnell für Stau und lange Warteschlangen.


Die riesige Halle unter der Pyranide, mit ihrer problematischen Akustik und einem bei Sonnenschein auch nicht grade angenehmen Klima, scheint fast voll zu sein. Es ist ziemlich laut und man muß aufpassen, niemanden umzurennen oder umgerannt zu werden. Es ist Samstag, aber vor zwei Tagen war ebenso viel los. Auffallend viele Jugendliche sind unterwegs, viele in Gruppen oder Schulklassen. Die Gastronomie agiert am Rand ihrer Kapazität. Freie Plätze gibt es nur in den teureren Lokalen.
Auf dem Weg zu den Ausstellungen schwimmt man mit in Menschentrauben. Für den Zu- und Abgang der Grand Galerie gibt's eine Einbahnregelung.
Es gibt kaum eine Sammlung, in der nicht rege Betriebsamkeit herrscht. Nur die letzte der neu eingerichteten ist fast leer - die islamische.
Man hat sie in einen der noch ungenutzten Höfe installiert, unter einem frei schwingenden Zeltdach, mit rundumlaufend verglasten Wänden. Die Museografie bedient sich hier relativ alter, freundlicher gesagt bewährter Methoden. Gedimmtes Licht, dunkle Möbel, die Objekte als Preziosen präsentiert, die Kostbarkeiten sehr dicht zusammengerückt. Auch im noch dunkleren Untergeschoss ist das so. Schatzbildung signalisiert das, Kostbarkeit, Wert, Ewigkeit. wie so oft.
Es gibt zwar externe Information, auf riesigen Bildschirmen, mit Sitzmöbeln, die vielleicht extra für nur kurzes Verweilen gedacht sind, aber die Information, die man hier bekommt ist sehr allgemein. Es sind zeitlich limitierte Text- Bild-Infos, kurze Clips, von denen die Macher wohl annehmen, daß sie der Aufmerksamkeitsspanne durchschnittlicher Besucher entsprechen. Man kann die Dauer der Infos nicht beeinflussen, was man in der vorbestimmten Zeit nicht erfasst, rutscht weg. Jeder Bezug zur Gegenwart fehlt und kann bei dieser Ausstellungsgestaltung erst gar nicht entstehen. Alles wird unterm Prinzip Kunst respektive Kostbarkeit präsentiert. Oberflächlich bleibt einem nur Staunen oder - Langeweile. 
Ich wüsste nicht, wie ich hier vor Ort zu einer vertiefenden Auseinandersetzung kommen könnte. Alles ist fein säuberlich chronologisch geordnet, vorgeschaltete Texttafeln erläutern in sehr groben Zügen Epochencharakteristika. Aber um etwas tiefer zu erfassen, müsste ich selbst vorbereitend einigen Aufwand treiben oder mich mit einem Katalog wappnen. 



Wo einem die Kultur nicht ganz so unvertraut ist, wie die islamische, gibt es wenigstens die Illusion einer verstehenden Nähe. Die allerneueste Abteilung, die des Kunstgewerbes des (französischen) 17. und 18. Jahrhunderts, bedient sich ansatzweise ebenfalls einer alten und bewährten Methode, der der Epochenräume. So frisch gefärbelt, restauriert und geputzt, ohne jede Spur von Gebrauch und Leben, wirkt das aber auch ziemlich steril, fast tot, trotz des Funkelns von Gold, Perlmutt und edlen Steinen. Zwei Jahrhunderte gabs da also nur Luxus, nur Tabaksdosen, Himmelbetten, Wandteppiche und Porzellan aus Sevres, putzige Globen, wissenschaftliche Instrumente für den königlichen Zeitvertreib. Selbst Ludwig VXI. und Marie Antoinette bleiben mit ihrem kostbaren Spielzeug völlig unbehelligt von Politik und Revolution. Die findet hier erst gar nicht statt.

In der teilweise sehr spröd designten ägyptischen Abteilung geht's ziemlich rege zu. Wie schnell manche Leute die Säle durchqueren! Ich setze mich an ein Fenster. neben mir baut sich ein Mädchen auf, mit den Händen an der Hosennaht, rückt nach Anweisungen vermutlich ihrer für mich nicht sichtbaren Eltern hin und her, bis sie die gewünschte fotogene Position hat. Dann baut sich eine kleine Gruppe vor einem aufrecht in einer Vitrine stehenden Sarkophag auf. Geblödel, Nachahmung einer Mumie. Feixen, Augenverdrehen. Bisschen lustig tot sein. Viele Fotos.


Gibt es schon eine Untersuchung zur Veränderung des Museumsbesuchs durch das Handy? Mir ist noch nie so sehr wie hier aufgefallen, wie viel mit dem Handy fotografiert wird. Oder eher nur geknipst. Manchmal nur so im Vorbeigehen. Oder im Multitasking, in der einen Hand den Audioguide am Ohr, mit der andern das Bild geknipst. Etwa die Hälfte dieser Knipserei aus der Hand gilt Räumen und Objekten, eine andere Hälfte den Verwandten, Freunden, der Familie, die vor einem Objekt fotografiert wird. Für medienaffinen Nachwuchs ist gesorgt. Im Mona-Lisa-Raum begegnet mir ein Zwillingskinderwagen, mit einem Buben, der auf sein Tablet fixiert ist und einem Mädchen mit Smartphone. Ich nehme nicht an, daß sie in kunsthistorischer Lektüre vertieft sind und die Gemälde würdigen sie keines Blickes - könnten sie aus ihrer transportbedingten Froschperspektive auch kaum. 
Vor der Mona Lisa die übliche geballte Menge, aber anders als noch vor Jahren mit Dutzenden über die Köpfe hochragenden Händen mit allen Typen von Aufzeichnungsgeräten. Vielleicht liegt der Sinn dieses Aufzeichnens immer noch in dem, was schlichtere Medien früher leisteten, wie etwa die Kunstpostkarte, nämlich zu Hause sich der Begegnung mit dem Original und dessen tatsächlichem Vorhandensein zu versichern. Nippen an Identitätsbedeutsamkeit, an der eigenen, an der des Objekts.


Ich habe mich bei meinem Louvre-Besuch gefragt, ob das Sehen im Museum durch den Vervielfältigung des Mediengebrauchs noch flüchtiger geworden ist, als er seit dreißig oder mehr Jahren ohnehin beschrieben wird, etwa unter dem Stichwort "cultural window shopping". Aber um das zu beobachten, bin ich zu müde. Das Klima im Museum ist anstrengend. Manchmal ist es stickig und schwül, manchmal einfach nur zu warm, in den Sälen mit den zahllosen Corots erzeugt eine überdimensionierte Klimaanlage Gruftkälte, es ist dort kaum auszuhalten. Ausgerechnet jetzt, wo ich Lust auf Langsamkeit hätte.
Das Museum ist als Ganzes sichtbar gestresst. Was nicht in neuerer Zeit restauriert, umgebaut oder, wie die Islamische Abteilung, ganz neu errichtet wurde, blättert, korrodiert, verschmutzt, wirkt ungepflegt. Das WC, das ich benutze - es gibt eindeutig zu wenige inzwischen - ist in einem desaströsen Zustand. Auch hier: Warteschlangen. 
An allen Ecken und Enden wird vor Taschendieben gewarnt. Auch der Orientierungsplan, der in vielen Sprachen ausgegeben wird, bietet ganz ausführliche Verhaltensregeln an, wie man sich vor Diebstahl schützen kann. Links und rechts der Mona Lisa hängen schon lange keine Bilder mehr, dafür aber jetzt und unübersehbar, mit dem begehrten Bild ein Triptychon bildend, zwei Diebs-Warntafeln. Ein kleiner unabsichtlicher Gag - die Mona Lisa ist ja auch schon mal geklaut worden.

Knapp 10 Millionen Besucher hat der Louvre derzeit. Er ist das meistbesuchte Museum der Welt. Obwohl es riesig ist, hat man den Eindruck, bei einer Zunahme der Besucherfrequenz würde selbst dieses Museum an Grenzen stoßen. Trotz der vorbildlich dichten orientierenden Beschilderung und des Folders mit dem Museumsplan fällt die Orientierung manchmal schwer. Verirren ist zwar auch nicht schlecht, ohne Verirren hätte ich die Corots im zweiten Stock nicht entdeckt, aber mit zunehmender Müdigkeit sinkt die Lust lange Korridore und Ebenen mit weiteren Hundertschaften von Objekten zu durchqueren, nur um eine bestimmte Objektgruppe oder Sammlung zu erreichen.
Angesichts solcher und anderer Museumszustände würde in letzter Zeit öfter die Sehnsucht nach "Rückbesinnung" laut, eine Sehnsucht nach elitistischer Versenkung und Einsamkeit im Dialog mit den Bildern, ungestört von "den Massen". Also nach aus der Romantik stammender Versenkung als Modus der Bildnisbegegnung. Klingt ein wenig wie die bei Entstehung des öffentlichen Museums laut werdenden Stimmen, nicht jeden Pöbel zuzulassen, in die heiligen Hallen.
Das wird es in einem solchen Museum nicht geben, und es ist auch nicht wünschbar. Zustände wie die im Louvre sind das Ergebnis einer Entwicklung, wie sie wesentlich vom Louvre selbst angestoßen würde. Das Recht auf Bildung für alle, also auch das Recht Museen besuchen zu können, damals völlig neu, kippt unter den Bedingungen des organisierten Massentourismus in einen Zustand, der irreversibel erscheint.
Man kann sich nur selbst dazu verhalten, Inseln der Aufmerksamkeit schaffen, der Konzentration, was aber in einer solchen Betriebsamkeit und angesichts der Fülle und Qualität der Sammmlungen in einem "Weltmuseum" wie dem Louvre wirklich schwer ist. Ja, Der gute Rat von Valery und Adorno, sich ein, zwei Bilder zu suchen, und sie so ernst zu nehmen wie irgend möglich - das soll mir mal einer vormachen, in der Grand Galerie zum Beispiel. 
Auch der Louvre wird weiter wachsen, nicht nur mit "Filialen" expandieren, wie nach Lens oder Abu Dhabi, sondern auch in Paris, vielleicht gibt es noch museal nicht genutzte Räume oder Höfe, vielleicht kann man noch tiefer unter die Erde gehen, aber die derzeitige politische und wirtschaftliche Situation läßt es als nicht wahrscheinlich aussehen, daß es in naher Zukunft eine Überbietung von Mitterands Grand Louvre geben könnte. der Stress wird bleiben.


Dienstag, 13. Mai 2014

Das global-neoliberale Megaprojekt: Der Louvre Abu Dhabi


In der Neuen Zürcher Zeitung vom 7. Mai 2014 berichtet Marc Zitzmann über den Louvre Abu Dhabi. Anlass ist eine Ausstellung im Louvre, in der jene 160 Werke gezeigt werden, die als (zeitlich begrenzte) Leihgaben dem arabischen Museum, das im Dezember des kommenden Jahres eröffnet werden soll, zur Verfügung gestellt werden. Der Louvre unterstützt die Entstehung des Museums aber auch mit Beratung beim Sammlungsaufbau. Und schließlich wurde die Marke "Louvre" bis 2037 gegen viel Geld an das Museum in Abu Dhabi verliehen. Marc Zitzmann: "Im Gegenzug bezahlt das Emirat 164 Millionen Euro für die «Aufbauhilfe» bis 2026, 190 Millionen Euro für die Dauer- und 195 Millionen Euro für die Wechselausstellungen sowie 400 Millionen Euro für die Nutzung des Namens «Louvre»."
Weiters wurden der Louvre und neun andere staatliche Kulturinstitutionen wie das Musée d'Orsay, das Centre Pompidou und die Nationalbibliothek, das Museum in Versailles dazu verpflichtet, "über zehn Jahre hinweg jährlich 300, dann 250 und endlich 200 Werke (darunter ein Drittel aus dem Louvre) für eine völlig unübliche Leihdauer von zwölf Monaten nach Abu Dhabi zu schicken, um die noch im Aufbau befindliche Sammlung aufzustocken. Bei diesen Leihgaben wird es sich um Spitzenwerke handeln, die fast alle aus den Museumssälen des Louvre oder des Musée d'Orsay geholt werden müssen – etwa Leonardo da Vincis Belle Ferronnière oder Manets Fifre" (...) "Zusätzlich müssen die Franzosen jährlich vier ebenfalls mit eigenen Sammlungsstücken bestückte Wechselausstellungen ausrichten, über fünfzehn Jahre hinweg". (Zitzmann) Die Kuratoren des Louvre waren gegen diese Kooperation. Im Zentrum der Bedenken stand beim Bekanntwerden der Pläne auch das konservatorische Risiko, das von der "Reisetätigkeit" hochkarätiger Museumsobjekte nun mal ausgeht.
Unter Nutzung des klangvollen Namens des berühmtesten und größten Museums der Welt scheint der Ehrgeiz des Emirates auf ein Universalmuseum zu zielen, aber möglicherweise und auf lange Zeit doch nur in einem konturlosen Sammelsurium zu münden. Denn selbst ein so reiches Land wie die Vereinigten Arabischen Emirate hat heute keine Möglichkeit mehr, eine große und - nach welchen Kriterien auch immer - konsistente Sammlung zusammenkaufen zu können. Vorerst gibt es ein Mobile von Calder, ein ottomanischer Fußboden, Fotografien von Roger Fenton,ein altpersisches Goldarmband, Möbel von Josef Hoffmann, Mogul-Malerei, ein Koran aus dem 14.Jahrhundert, ein Mondrian-Gemälde von 1922 usw. Der Ankaufsetat ist hoch, aber Preise für museumsreife Spitzenwerke sind das auch.


Man fragt sich sowieso, warum ein arabisches Museum im sammlungspolitischen und kunstideologischen Korsett des westlichen Wertekanons entstehen soll und mit dem Anspruch der Universalität gerade deswegen zum Scheitern verurteilt ist. Eine "Abbildung" dieses Kanons leistet weltweit kein Museum und selbst annähernd repräsentativ zu sammeln ist heute nicht mehr möglich.
Mit dem Museum soll der Völkerverbindung und dem Kampf gegen Intoleranz gedient sein. Jedenfalls bewirbt der Bauherr das Museum so - ein Museumskonzept und -team gibt es noch nicht. Marc Zitzmann fragt sich zurecht, ob nicht viel dringender etwas zur "Verbesserung der Rechtslage von Arbeitsmigranten", getan werden sollte, "deren Ausbeutung NGO wie Human Rights Watch regelmässig anprangern (auch auf der Baustelle des Louvre Abu Dhabi!)". Über die verheerende Situation der Arbeitsmigranten dort und in anderen arabischen Ölstaaten weiß man schon sehr lange Bescheid, einer breiteren Öffentlichkeit wurde das erst bewusst, als man die vorbereitenden Bauarbeiten für die Fußball-WM in Katar kritisierte. Jüngst gab es mehrere Proteste im New Yorker Guggenheim-Museum (ein Guggenheimmuseum und andere Museen werden dem "Universalmuseum" benachbart auf der Saadiyat-Insel in Abu Dhabi errichtet), vergleichbare Proteste scheint es in Frankreich nicht zu geben.  
Möglicherweise hat zum Deal zwischen Frankreich und dem Emirat auch gehört, daß ein französischer Architekt das Museum plant. Jean Nouvel lässt eine schalenförmige und perforierte Überkuppelung von 180 Metern Durchmesser über einer Art dörflicher, von Meer umgebener Struktur schweben, über einem Pasticcio aus Kubaturen, Wegen, Wasseradern, Plätzen. Man wird sehen, wie das Gebäude, einmal realisiert, wirkt. Die Entwurfszeichnungen versprechen viel und Ungewöhnliches, ein Museum, wie es noch keines gegeben hat. Es ist vor allem das flirrende Lichtspiel, das mit der durchlöcherten Kuppel erzeugt wird, das besticht. Nicht ausgeschlossen, daß sich ein französischer Architekt von einem Museumsentwurf und Architekten inspirieren ließ, wo er beides finden konnte - die megalomane Kuppel über einer nahezu urbanen Struktur und das perforierte Gewölbe, das ein einzigartiges Lichtspiel in Szene setzt. Ich meine Etienne Louis Boullées Entwurf für ein Museum von 1783 und seinen Newton-Kenotaph, in dessen dunklen Höhlenleib das Tageslicht den Sternenhimmel zeichnet. Wo aber Boulées (zu seiner Zeit technisch nicht realisierbaren) Phantasien düster und erdnah wirken, ist Nouvelles Entwurf ganz hell, trotz der Größe leicht, fast schwebend.


 Soll man also sagen, der Museumsentwurf, die Architektur sei "gelungen"? Dann müsste man alle die Aspekte ausblenden, die Marc Zitzmann aufzählt und die er abschließend ohne wenn und aber als skandalös bezeichnet. Ausblenden müsste man zum Beispiel auch die Platzierung des feenhaft anmutenden Gebäudekomplexes auf der sogenannten Saadiyat-Insel, der "geplanten luxuriösen Wohn- und Tourismusstadt für Spitzenverdiener" (Zitzmann). Vor allem aber eine historisch-ideologische Frage: wie kommt es, daß ausgerechnet der Louvre in eine politisch autokratisches Land (konstitutionelle Monarchie ist die offiziöse, ziemlich schiefe Bezeichnung) geht, der Louvre, der ja nicht nur für eine glanzvolle und enorme Sammlung steht, sondern auch für Aufklärung und bürgerliche Revolution.
Als Francois Mitterand die Erweiterung zum "Grand Louvre" mit großem Publikum feierte, da fand das am 200. Jahrestag der Französischen Revolution statt, eingedenk des Louvre als eines Ortes nationaler Identifizierung und staatsbürgerlicher Selbstermächtigung. Darin gründete auch das Konzept des Museums, die gesamte (westliche) Kunst repräsentieren zu dürfen, nämlich als befreite und aufgeklärte Nation, die so lange das Recht habe, sich Kulturgüter anderer Länder anzueignen, so lange diese nicht ebenfalls im Stand der Freiheit existierten. Aus dieser Maxime entsprang auch die doppelte Museumspolitik der Revolutionszeit. Einerseits plünderte man systematisch Sammlungen der politisch-militärisch eroberten Länder, andrerseits sorgte man mit, u.a. aus dem Louvre gespeisten Sammlungen und Leihgaben für zahlreiche Museumsgründungen in den - aus französischer Sicht - befreiten Staaten und Städten und sorgte so für eine Expansion der jungen und modernen Museumsidee in Europa. Nur unter diesen Umständen konnte er werden, was er ist: ein viele Kulturen und Epochen beherbergendes Museum, ein Weltmuseum, das zugleich ein Nationalmuseum Frankreichs ist
So besehen, mag man die Expansion des Louvre - auch in Frankreich selbst -, als Revision des ursprünglichen Konzepts auffassen. Was aber in Lens eine Aufweichung des typisch französischen Zentralismus ist, wird mit der Kooperation mit Abu Dhabi zu einem Rückschritt hinter jene Ideale, aus denen heraus das Museum in den 90er-Jahren des 18.Jahrhunderts entstand. Man geht in ein autoritär, fern der uns vertrauten demokratischen Grundwerte regiertes Land und bedient dessen politisch-ökonomische Elite im Tausch gegen Geld, ohne jeden Anspruch, mit den Bildern aus Frankreich auch irgendetwas von den inhärenten Idealen mit zu transportieren.
Der "Louvre-Export" Abu Dhabi konterkariert nicht nur die Geschichte des Louvre, er beschädigt seine historisch gewachsene Identität an der Wurzel. Das ist ein sehr hoher Preis für ein Sammlesurium-Museum für Neureiche in einem exklusiven Habitat. Und es ist summa summarum das wohl derzeit kaum noch unüberbietbare global-neoliberale Projekt der Museumswelt. 






Samstag, 4. Januar 2014

Die (Museums)Verhältnisse zum Tanzen gebracht

Daniel Firman, Würsa (à 18 000 km de la terre), éléphant naturalisé, 2008 / © Daniel Firman / Vue de l'exposition au Palais de Fontainebleau

Mittwoch, 10. Juli 2013

Was kann Ausstellungskritik - Eine Ausstellung in der Cité de l'Architecture in Paris

So rar wie brauchbare Ausstellungskritiken ist kaum etwas. In der heutigen Neuen Zürcher Zeitung kann man eine Ahnung davon bekommen, was eine Kritik leisten könnte. Marc Zitzmann hatte nicht sehr viel Platz, um eine Schau zu besprechen, die dem Architekten Rudy Ricciotti gewidmet ist, der weit über Frankteich hinaus durch das eben eröffnete Musée des civilisations de l'Europe et de la Méditerranée in Marseille bekannt wurde. Die Ausstellung widmet ihm eine Institution, die zwar eine mehrschichtige ehrwürdige Tradition hat, in ihrer jetzigen komplexen institutionellen Struktur aber selbst noch recht jung ist: Die Cité de l'architecture & du patrimoine in Paris. Deren politische Instrumentalisierung ist der Ausgangspunkt für die Kritik an der dem Autor misslungen erscheinden Ausstellung. Zwar kann er die verschiedenen Aspekte, aus denen sich die Kritik zusammensetzt, nur knapp anreißen, aber die Engführung von politischen, institutionellen, expositorischen, konzeptuellen und personellen läßt in Umrissen ahnen, worauf es ankommt. Nur in der Wahrnehmung gesellschaftlicher und politischer Ansprüche, der Schaffung einer institutionell angemessenen Struktur und einer konzeptuell und gestalterisch klaren Umsetzung von Zielen und programmatischen Überlegungen kann man Ausstellungskritik beschreiben. Da beschämt Zitzmann die Cité und den Ausstellungskurator, indem er das fehlende Konzept gleichsam in Stichworten nachliefert und die Qualitäten des Architekten gleich an dessen aktuellem Hauptwerk, dem Museum in Marseille, wiederum nur sehr knapp, erläutert.
Hier der Link http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/kunst_architektur/rudy-ricciotti-ein-igel-mit-beton-stacheln-1.18113693


Freitag, 12. April 2013

Unerwünschte Nebenwirkungen

"Inklusion" gehört zu den museologischen Modewörtern, mit denen der Anspruch auf Einschluß bislang nicht beachteter Gruppen ins Museum bezeichnet wird.
Unerwartete Effekte hatte eine über den Eintrittspreis regulierte Liberalsisierung des Zutritts beim Louvre, die Personen bis zum 26. Lebensjahr freien Eintritt gewährt.
Seither machen Jugendliche (Zeitung 1), Jugendbanden (Zeitung 2) oder Roma-Banden (Zeitung 3) die Schauräume unsicher. Immerhin ist dieses Problem so virulent, daß das Aufsichtspersonal einen Tag lang gestreikt hat.
Man darf gespannt sein, wie der Louvre die Grenzziehung und -überwachung an seiner inneren sozialen Demarkationslinie zwischen Bildungsbeflissenen und "bildungsfernen Schichten" bewerkstelligen wird.
Jetzt wurde erst mal die Polizei geholt.