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Samstag, 14. Januar 2017

Museumsstreik in den USA. Was Donald Trump so alles auslöst

Mitte des vorigen Jahres habe ich mit der Zuhörerschaft eines Vortrags ein frivoles Spielchen - in didaktischer Absicht, versteht sich -, getrieben. Ich habe alle ihre geliebten Museen abgewickelt, zugrundegehen lassen, in einer Dystopie, in der Museen inkompatibel und überflüssig werden in einer durchökonomisierten Welt. Die Reaktion war ratlos, das überfordert, sich eine Welt ohne Museen vorzustellen. Was dann? Passiert überhaupt etwas? Geht etwas ab? Wer würde sich zu Wort melden, eine Gegenbewegung anstoßen?

Jetzt blitzt die Idee einer, wenn auch nur zeitlich begrenzten, Schließung aller Museen, nein nicht nur der Museen, der kulturellen Institutionen überhaupt. Künstler haben einen Aufruf erlassen, aus Anlaß der Inauguration von Donald Trump am 20.Jänner. Es sind prominente Namen dabei und der Aufruf hat selbstverständlich große mediale Aufmerksamkeit. Am 8. Jänner berichtete z.B. die New York Times über den"Art Strike". Und darüber, daß er kaum zustandekommen wird. Den viele Institutionen wie Kulturschaffende können der Idee nicht viel abgewinnen. Und manche von ihnen machen was andres draus: offene Häuser, die ihre Diskussion über die politische Situation führen werden. Der Direktor des Bard College: "Inauguration Day is symbolic but let`s not just make it a day of symbolism. What we have to worry about is the next four years."

Die Phantasien, wie man Trump ärgern könnte, treibt weiter Ihre Blüten. Dem "Perlentaucher" entnehme ich heute dies: "Angesichts des Wahlerfolgs von Donald Trump sollten die Amerikaner "ausflippen", meint Mark Greif, Gründer der linken New Yorker Zeitschrift n+1 in der taz. Und er fordert das auch von den Repräsentanten: "Präsident Obama sollte nicht weiter von einem 'reibungslosen Übergang' sprechen, sondern den Übergang zu Trump so holprig wie möglich und so rau wie Sandpapier gestalten. Die Clintons sollten ihre Zusage, an der Inauguration teilzunehmen, zurückziehen. Das Capitol sollte die Bühne für die Inauguration nicht bauen. Der Partyservice sollte kein Essen liefern. Der Oberste Richter sollte nicht auftauchen, um den Amtseid abzunehmen. Keine Bibel sollte bereitgestellt werden. Soll Trump doch auf das schwören, was er gerade zur Hand hat: eine Ausgabe von 'Trump - Die Kunst des Erfolges'." 

Sonntag, 1. Januar 2017

Das Jüdische Museum Hohenems. Ein außergewöhnliches Museum feierte sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum

Der Standard hat in seiner Ausgabe vom 31.12./1.1. - also gerade noch im letzten Moment - meinen schon vor Monaten verfassten Artikel veröffentlicht (im Album), den ich aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums des Hauses verfasst habe. Der Text, den der Standard mit "Im Zeichen der Achtung des Anderen" übertitelte", enthält hier im Blog einige kleiner Korrekturen.


Das Jüdische Museum in Hohenems


Ein kleines „Spezialmuseum“, das bald zwanzigtausend Besucher im Jahr hat, dessen Freundesverein über fünfhundert Mitglieder auf allen Kontinenten zählt, das weit über die Grenzen seines Bundeslandes und Staates hinaus bekannt ist und das eine buchstäblich weltweite Community hat – so ein Museum soll es in Österreich geben? Ja, in der kleinen Vorarlberger Stadt Hohenems - ich spreche vom Jüdischen Museum, das in diesem Jahr sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiert.
Hier geht es aber ausnahmsweise mal nicht um die Statistik der Besuche oder Events, sondern um die Einbettung eines Hauses, seiner Ausstellungen, seines Teams und deren Arbeit in einen vielstimmigen Zusammenhang, in unterschiedlichsten Öffentlichkeiten und um eine höchst lebendige und produktive Beziehung des Museums zu Besuchern, Experten, Unterstützern, Trägern, Förderern, Gästen.
Und so kann der heutige Direktor des Museums, Hanno Loewy mit Recht und Selbstbewußtsein sagen: „Ich kenne keine Institution, die von so vielen Menschen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft aus Überzeugung und mit Emotion, aus Neugier, mit Witz und politischer Wachheit getragen wird.“

Dieses Museum habe ich im Jahr seiner Gründung 1991, kennengelernt, als ein sorgfältig geführtes Haus mit einer klug gestalteten Dauerausstellung, untergebracht in der umsichtig restaurierten Villa Heimann-Rosenthal. Nun war dieses Haus ein Erinnerungsort geworden, der an die einst vom Hohenemser Fürsten protegierte und nun gänzlich verschwundene Jüdische Gemeinde erinnerte.
Der Gründung ging eine jahrelanger, zeitweise heftig geführter Konflikt voraus, in dem der Stellenwert der Geschichte des Judentums in Vorarlberg erörtert wurde, aber auch in welcher Form und mit welchen Schwerpunkten man diese Geschichte in einem Museum darstellen sollte. Dieser vielfach geschichtete Konflikt - ein Generationenkonflikt, ein ideologischer Dissens, einer zwischen „Schulen“ der Historikerzunft -, mündete in eine Museumsgründung, die sich von Anfang an als nicht bloß lebensfähig sondern konzeptuell, architektonisch und museumspolitisch als kraftvoll und innovativ erwies.

Wer das Museum besucht, wird nichts vordergründig Spektakuläres vorfinden. Es gibt keine glanzvolle Judaikasammlung, sondern eine Dauerausstellung die, zusammengesetzt aus Spuren, Überlebseln und Relikten, die von vielen Leerstellen durchsetzte Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenems, die Umständen ihrer gewaltsamen Vertreibung und Vernichtung und die Einzeichnung dieser Geschichte in das Stadtbild und –gedächtnis erzählt.
Was dem zufällig ein- oder zweimal vorbeikommenden Besucher verborgen bleiben wird, sind die vielen Veranstaltungen, die sich in vielen Formaten, an vielerlei Adressatenkreise wenden und in denen ebenso vielfältige Themen diskutiert werden. Das reicht von der Debatte über ein bemerkenswertes einzelnes Objekt aus der derzeit laufenden Sonderausstellung „Übrig“, in der sowohl die vom Museum betriebene genealogische Forschung als auch die dokumentarische Bedeutung von Sammlungsobjekten zur Sprache kommt bis zur großen Diskussion mit an die fünfzig Expertinnen und Experten aus Anlass des Jubiläums. Dort ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die wünschbare Zukunft Jüdischer Museen generell und des Hohenemser Museums im besonderen.
Was unser Einmal-Besucher vielleicht spüren wird, ist, wie sehr das kleine Museum Ort der Vergesellschaftung ist, das heißt einer an dem Menschen zusammenkommen um den Grund und die Weise ihres Zusammenlebens zu ergründen, manchmal vielleicht auch zu erneuern, ihre gemeinsame Geschichte zu deuten, die Beziehung zu ihren sozialen Umwelten zu erforschen, auch zum allgemein Fremden und Anderen. Denn zu den herausragenden Möglichkeiten von Museen gehört die Möglichkeit dem „Anderen“ in einem geschützten Raum und zivilen Rahmen zu begegnen.

Deswegen sind Museen auch geeignet, eine wesentliche demokratische Aufgabe wahrzunehmen, die Sorge um Minderheiten, um die immer wieder von Konflikten bedrohte Beziehung von Mehrheit und Minderheit. Jüdische Museen bleiben auch deswegen unausweichlich an historische und aktuelle Konflikte gebunden. Denn während die ersten Jüdischen Museen von Jüdischen Gemeinden gegründet wurden, zu Ende des 19. Jahrhunderts, als Symptome der Assimilation und des Selbstbewusstseins dieser Gemeinden, sind die jüngeren Gründungen, die seit den 80er-Jahren in den deutschsprachigen Ländern entstanden sind, unausweichlich von der Dialektik von Täterschaft und Opfer, von Schuldbewusstsein und Anerkennung von Schuld geprägt. Und immer mehr auch vom Blick auf die „Anderen“ von heute, auf die komplexen Fragen von Zugehörigkeit und Anerkennung, die Gegenwart von Einwanderung, Flüchtlingsdebatten und Identitätspolitik. Letztlich also die Frage, wer eigentlich den „Demos“ der Demokratie von heute ausmacht. Wer „wir“ sind und wer zu „uns“ gehört und gehören soll.

Deswegen ist es von belang, daß das Museum aus einem Konflikt heraus gegründet wurde: es hat früh die Fähigkeit ausgebildet und sich erhalten, konflikthafte Themen zu bearbeiten, in Debatten, Projekten und Ausstellungen. Die laufende Ausstellung „Übrig“ zum Beispiel, die Objekte aus der Sammlung zeigt, zeigt sie nicht nur als glücklich überlieferte Zeugnisse, sondern auch als Dokumente vielfältiger Konflikte, solcher der Überlieferung, des Gebrauchs, der Geltung, der Deutung.
Anders gesagt, das Museum übt sich in der in der avancierten Museologie nachdrücklich geforderten Kunst der Selbstreflexion. Damit bin ich beim zentralen Punkt meiner anhaltenden Wertschätzung des Jüdischen Museums. Ein Museum das sich entwickelt, das in gewisser Weise „lernt“ – als Organisation, als Wissensraum, als besondere Form von Öffentlichkeit -, hat immer auch einen Blick auf das, was es ist und wie es etwas tut. Es geht verantwortlich damit um, wie es seine Themen wählt und welcher Vermittlung es bedarf. Und vor allem wird es sich immer und immer wieder die Frage stellen, welche Verantwortung es gegenüber seinen Communities und der Gesellschaft als Ganzes hat. Denn das ist der Sinn des Museums als öffentlicher Institution: Es verwaltet und bearbeitet gesellschaftliche Interessen treuhänderisch.

Ich erläutere das an der Projektreihe „Ein Viertel Stadt“. Der Umgang mit dem historischen Stadtkern von Hohenems, dem Jüdischen Viertel, war in den 90er-Jahren vielfach ins Gerede gekommen. Immobilienspekulationen zeichneten sich ab, die Denkmalpflege erwog eine komplette Unterschutzstellung. Es hätte aber auch ganz im Gegenteil zum Verschwinden wichtiger, auch historisch bedeutender Bauten kommen können. Tatsächlich brannte ein wichtiges Objekt unter ungeklärten Umständen ab.
In dieser Situation intervenierte das Museum in den kommunale Debatten, verließ dazu sein Haus und ging in die Stadt um an ausgewählten Fassaden über Projektionen die Geschichte der Häuser und ihrer Nutzer und Bewohner zu erzählen und zu erinnern. Daß das Museum Mitverantwortung für die künftige Entwicklung der Stadt übernahm, war schon bemerkenswert. Daß man dabei aus dem Museum herausging und, gestützt auf sorgfältig vorbereitende Forschung, im Stadtraum selbst aktiv wurde, war erst recht originell - und wirksam. Die Projektreihe Projekts „Ein Viertel Stadt“ holte verschüttete, vergessene, verdrängte Geschichte und Geschichten zurück und verankerte sie neu im Gedächtnis der Stadt und ihrer Bevölkerung.
Die Bedeutung dieses Projekts liegt auch in der aktiven Beziehung des Museums zum Publikum bzw. zu den Stadtbewohnern. Es verhielt sich nicht passiv im Warten auf Besucher, die etwa schöne alte Dinge ansehen wollen, sondern erzeugte eine Gelegenheit und einen Raum, in dem sich Menschen zusammenfinden, sich sammeln, erinnern und debattieren konnten.
Das Museum gab keine Empfehlungen ab, es favorisierte keinen bestimmten Gesichtspunkt, es tat nicht so, als hätte es die eine „richtige“ Lösung. Sondern es stellte einen sozialen Raum zur Verfügung, in dem debattiert werden konnte, um es der Bevölkerung von Hohenems zu ermöglichen „ihre eigenen Angelegenheiten“ zu regeln. Genau das meint ja „Res publica“ – die öffentlichen Angelegenheiten und genau das war und ist der Sinn liberaler Öffentlichkeit. Sie gehört zum Kostbarsten und Grundlegenden, das eine demokratische Gesellschaft besitzt und meiner Meinung nach zum Wichtigsten, was ein Museum dazu leisten kann.
Daß die Synagoge aus einem Feuerwehrhaus zurückverwandelt werden und zu einem der praktischen und symbolischen Zentren des Ortes werden konnte, daß das Zentrum der Kleinstadt mit „Judengasse“ und „Christengasse“ heute wieder Leben zurückgewinnt, dass man in Hohenems öffentlich darüber diskutieren kann, wie denn ein „ortsübliches“ Minarett aussehen könnte, all das wurde durch solches Projekt erst möglich.

Räume zu besitzen, wo ein solcher Austausch von Interessen unter Achtung und Anerkennung des Anderen stattfinden kann, wo Konflikte sichtbar gemacht und unterschiedliche Interessen miteinander konfrontiert werden, ohne daß sie vorschnell harmonisiert werden, daß ist ein Herzstück demokratischer Politik. Die Fähigkeit des Museums, solche Gelegenheiten in den unterschiedlichsten Formen immer wieder herzustellen, daraus sein Programm zu entwickeln, seine Anliegen an eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist es, was ich am Jüdischen Museum Hohenems bewundere. Angesichts der akuten gesellschaftlich-politischen Entwicklung wird es immer wichtiger, solche Orte zu haben und zu fördern.

Aber wie das Hohenemser Museum das macht, dafür gibt es viele Wege. Das reicht von der Aufmerksamkeit für den einzigartigen Jüdischen Friedhof über das außergewöhnliche Nachkommentreffen mit hunderten von Teilnehmern, die sich ihrer Vorfahren erinnern und die das kleine Museum mit seinen diversen fernen Communities buchstäblich auf der Weltkarte verankern, bis zu zur Serie von Sonderausstellungen, die die Dauerausstellung thematisch interpunktieren, vom Betreiben einer informativen Webseite, die eben mehr ist als nur ein übliches Marketingtool bis zur Forschungstätigkeit im Haus und zur jährlichen Europäischen Sommeruniversität für Jüdische Studien.

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Dieses beständige Abarbeiten an einer Aufgabe, im Wissen um die Schwierigkeiten Geschichte vermitteln, weist für mich immer aber auch über den Museumstyp „Jüdisches Museum“ hinaus - auf Qualitäten einer Museumsarbeit, die beispielhaft für andere Museen sein kann und sollte. Diese „doppelte Qualität“ – als jüdisches Museum mit seinen spezifischen Aufgaben und Verpflichtungen einerseits und als innovatives und reflexives Museum andrerseits, das sich seiner öffentlichen Verantwortung stets bewußt ist – das macht Hohenems zum einzigartiges Museum.

Donnerstag, 22. September 2016

Mein ideales Museum

Vorbemerkung: diesen Text habe ich inzwischen in sehr unterschiedlicher Länge und Form in sehr unterschiedlichen Situationen zur Diskussion gestellt. Dort zeigte sich, daß er offenbar gut als Grundlage museologischer Diskussionen funktioniert, sowohl was Grundsatzfragen als auch einzelne Aspekte des Museums funktioniert. Darüber hinaus scheint er dazu geeignet zu sein, andere zu inspirieren, ihr „ideales Museum“ auszudenken. Für Reaktionen auf diesen Text bin ich also sehr offen. 


Mein ideales Museum

Das Museum als Institution des Wohlfahrtsstaates
Das Museum ist eine jener vielen Institutionen, wie etwa Spitäler, Universitäten, Bäder, Schulen, Verkehrsmittel, Energieversorgung usw., die Ziele des Wohlfahrtsstaates verwirklichen. Weil sie von der öffentlichen Hand rechtlich und finanziell getragen werden, nennen wir solche Institutionen öffentlich.
Die Idee des Wohlfahrtsstaates beruht auf einem demokratischem Staatsverständnis, in dem es um das Wohl ausnahmslos aller als „höchstem Gut“ geht. In einem neoliberal entstellten und verengtem Gebrauch von Wohlfahrtsstaat wird darunter bloß noch der Transferleistungen garantierende Sozialstaat verstanden.
In den ersten einschlägigen Verfassungen, denen der USA und Frankreichs des späten 18.Jahrhunderts, wird dieses Wohlergehen noch als Streben nach Glück bzw. Glück als höchstem Gesellschaftsziel definiert.
Mein ideales Museum hat eine klare gesellschaftspolitische Positionierung als eine Institution des Wohlfahrtsstaates mit denen es das allgemeine und grundlegende Ziel teilt, die Verwirklichung der Wohlfahrt aller Bürger.
Wohlfahrt erschöpft sich nicht in Wohlstand, nicht in materieller Sicherheit, sondern in der Zugehörigkeit der über soziale und politische Rechte verfügenden Bürger. Als es zusätzlich zu ökonomischer und politischer auch symbolische Inklusion herstellt, ist mein ideales Museum ein aktiver Moderator sozialer Demokratie.
Bezüglich der allgemeinen Gesellschaftsziele geht das Museum nicht von etwas vorab Festem und Festlegbaren aus, sondern gerade da von umkämpften, umstrittenen Interessen und Deutungen. Deshalb ist es nur denkbar als agonaler, das heißt konfliktfähiger sozialer Raum des Aushandelns.
Insofern ist gerade kein Ort der festgelegten Werte, einer „Leitkultur“ oder einer unumstößlichen Wir-Identität. Im Umlauf befindliche Chiffren für kollektive Identität, wie Nation, Heimat oder Religion werden immer wieder neu befragt und durchgearbeitet.

Das demokratische und politische Museum

Mein ideales Museum ist insofern demokratisch, als es sich bewusst ist, dass es mit dem zentralen Strukturmerkmal von Demokratie kontaminiert ist: In der Demokratie muss der Platz der Macht leer bleiben. Dort darf er nur befristet besetzt werden worüber in periodischen Wahlen entschieden wird.
Im Spannungsverhältnis dazu tendieren Gemeinschaften zur Beseitigung dieser Leerstelle, um die die Gesellschaft zentriert ist. Immer wieder wird versucht werden, den Mangel durch Schaffung leitender Ideen, verbindlicher Werte oder allgemein gültiger Bilder zu beseitigen. Sie sollen einer Gemeinschaft das Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln und Unterscheidungsmerkmale sein, mit denen man sich vom - wie immer konstruierten - „Anderen“ abgrenzen kann.
Demokratie lebt von der Aufrechterhaltung der Leerstelle, sie lebt damit daß das Gemeinsame immer nur vorläufig, zeitlich befristet und unvollkommen symbolisiert werden kann. Und daß das „Wir“ der Gemeinschaft immer neu ausgehandelt werden muß.
„Deutschland wird Deutschland bleiben“, sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor dem Bundestag am 7. September 2016, „mit allem was uns daran lieb und teuer ist.“
Dieser Satz illustriert das Dilemma demokratischer Politik: Einerseits soll Identität behauptet werden - Deutschland soll Deutschland bleiben - andrerseits bleibt offen, was das ist, was uns lieb und teuer ist. Jeder Versuch der Definition führt in eine konfliktreiche Debatte, deren Zeugen oder Teilnehmer wir ja alle sind. Denn wer ist dieses „uns“ und was ist mit dem und denen, die „uns“ nicht „lieb und teuer sind“?
Deshalb beharrt ein Museum, das sich demokratisch versteht, auf der Vorläufigkeit auch seiner Symbolisierungsleistung. Objekte und Sammlungen aber auch die Erzählungen in Ausstellungen werden ja oft als das Unterpfand für Gemeinschaftlichkeit verstanden. Museen scheinen - auf Dauer und durch die Konkretheit der auf Dauer bewahrten Dinge gestützt -  jenes „Ding“, jenes „common object“ zu besitzen, das den Inbegriff von Zusammengehörigkeit bildet.
Deshalb hat das Museum seit dem späten 18.Jahrhundert eine überdeterminierte Bedeutung für die entstehenden Nationalstaaten und spielt auch heute noch als Ort nationaler, regionaler und lokaler Selbstvergewisserung eine große Rolle.
Um Dinge sammeln wir uns in Museen zum Zweck der Selbstdeutung. Dinge werden dort gesammelt, aber sie sammeln auch. Auf den Zusammenhang von Ding im Sinn einerseits von Sache, Gegenstand usw. wie andrerseits von Sich-Sammeln verweist auch die Wortgeschichte und -bedeutung: Das altgermanische Thing als Wort für Versammlung ist identisch mit der englischen Bezeichnung thing für Ding.
Museen haben es in demokratisch verfassten Gesellschaften mit beidem zu tun: mit dem nicht Symbolisierbaren wie mit dem Wunsch, das Gesellschaftliche dennoch zu symbolisieren. Dabei kommen im Museum sowohl imaginäre Objekte ins Spiel, das heißt  Vorstellungsbilder, Images, als auch physisch reale, wie Musealien, Exponaten, Sammlungen.
Aber eine definitive und unwandelbare gemeinsame Sache, so eine „cosa nostra“, die ein festzustellendes „Wir“ verbürgt, so etwas gibt es auch im Museum nicht. Was Objekte im Museum bedeuten, muß immer wieder erzählt werden.
Ein ideales Museum ist sich der Schwierigkeit bewußt, zwischen der Erwartung nach einerseits Eindeutigkeit und andrerseits Offenheit und Vorläufigkeit orientieren zu sollen. Es arbeitet mit dem Wissen, daß so etwas wie „Sinn“ immer nur vorläufig, (ab)gleitend und innerhalb eines nie abschließbaren Diskurses zu haben ist.
Wir-Konstruktionen beruhen immer auf Ausschluss eines - wie auch immer definierten - Anderen. Es geht immer buchstäblich um Diskriminierung, um Unterscheidung. Etwa entlang sozialer, ethnischer, sexueller oder religiöser Kriterien.
Das gilt für das Museum selbst, das heißt für seine Verfassung als Institution und organisation. Es schließt z.B. Menschen mit einem bestimmten sozialen Status und Bildungsniveau aus. Und das in beträchtlichem Umfang.
Das ideale Museum zieht aus seiner Existenz nicht den Kurzschluss auf seine Existenzberechtigung. Sein hohes Prestige verleitet es nicht dazu anzunehmen, daß es gesellschaftlich an sich schon sinnvoll ist.
Es bezieht seine Ziele und Aufgabenstellungen aus seiner sozialen Verantwortung. Indem es seine treuhänderisch wahrgenommene Rolle im Medium bürgerlich-liberaler oder agonistischer Öffentlichkeit wahrnimmt, ist es unvermeidlich gegenwartsbezogen. Alle, die im Museum agieren, erzählen, argumentieren, zu Sehen geben und Sehen tun dies in der Gegenwart und mit gegenwärtigen Fragen, Interessen und Anmutungen.
Die Brücke zur Vergangenheit bildet die Erfahrung von Zeitdifferenz, durch die historische Erfahrung und historisches Bewusstsein erst zustande kommen können.
Das ideale Museum fungiert als nervöses Auffangorgan und nimmt seine Zeitgenossenschaft aktiv wahr. Das ideale Museum behauptet und verteidigt sich als einzigartigen Freiraum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und Wachsamkeit.

Für ein agonistisches Museum

Museen haben es im Grunde immer mit konflikthaltigen Stoffen zu tun. Es gibt nie nur einen Standpunkt des Wissens, der Deutung, der Erzählweise. Museen tendieren mit ihrer dazu, Konflikte zu harmonisieren, zu verleugnen oder zu verdrängen. Sie sind „Unschuldskomödien“.
Sie haben es mit Gewalt, Schuld, Herrschaft oder Hegemonie zu tun, aber auf eine unterdrückte, oft unbewußte und verdrängte Weise. Das gilt aber nicht nur für seine Themen, die es aufgreift. Dies gilt wiederum auch für das Museum als Institution selbst, wo seine Existenz auf Gewalt, geforderte Opfer, militärische oder ökonomische Überlegenheit gründet - ich nenne als einziges veranschaulichende Beispiel das koloniale Erbe der Museen.
Indem sie uns etwas mit eigenen Augen zu sehen geben, was in greifbaren Dingen verbürgt erscheint, billigen wir Museen hohe Glaubwürdigkeit und Evidenz zu und kommen gar nicht auf die Idee, sie selbst und ihre Mechanismen zu hinterfragen. Das „Gemachte“ und die Autorschaft an ihnen tritt häufig hinter die Überzeugungskraft ihrer buchstäblichen „Sachlichkeit“ zurück.
Museen müssen aber fähig gemacht werden, die Verdinglichung zu durchbrechen und Konflikte anzusprechen und auszutragen, Interessen, Ideologien, Machtverhältnisse offenzulegen. Vermittlungs- und Diskursformen müssen geeignet sein, dem Rechnung zu tragen. Dazu muß das Museum in einer Art von Selbstaufklärung erst einmal die Bedingungen seiner eigenen Existenz und Arbeitsweise zu reflektieren.
Und dann kann das ideale Museum ein Ort agonaler, also konfliktfähiger, streitbarer Öffentlichkeit sein.
Liberale bürgerliche Öffentlichkeit ist idealtypisch die Versammlung von Bürgern und Bürgerinnen, die frei und ungezwungen, ohne jemanden auszuschließen und unter Achtung und Anerkennung des Anderen über ihre Angelegenheiten verhandeln und entscheiden. Diese Form von Öffentlichkeit hat die Harmonisierung und damit die Beseitigung des Konflikts zum Ziel.
Agonistische Öffentlichkeit (Chantal Mouffe) dagegen deklariert die Interessen, macht sie kenntlich und lässt sie aufeinandertreffen. Bürgerliche oder liberale Öffentlichkeit wird als einheitlich gedacht, unter Beteiligung aller, also ohne Ausschluss und in wechselseitiger Anerkennung. Agonistische Öffentlichkeit dagegen ist vielfältig und vielgestaltig, kennt viele Formen.
Im Idealfall ist das Museum bereits aus einer Bearbeitung eines gesellschaftlichen Konflikts entstanden. Ich denke etwa an den Typ „Jüdisches Museum“ wie er im deutschsprachigen Raum seit den 1980er-Jahren entstanden ist.
Insofern die Entstehung des Museums mit der Entwicklung bürgerlicher Öffentlichkeit einhergeht, hat das Museum ein Potential Öffentlichkeit herzustellen und zu moderieren. Im idealen Museum nutzen die Beteiligten dieses besondere mediale und kommunikative Potential, um Konflikte zu bearbeiten. Das geht nur im Medium des Konflikts selbst, weil nur so Differenzen, Standpunkte und Interessen sichtbar gemacht und ausgetragen werden können.
So können etwa Konflikte Thema des Museums werden, die aus der Beziehung von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten resultieren, noch dazu wenn diese Minderheiten beanspruchen in den Raum der musealen Repräsentation aufgenommen zu werden. Insofern verhält sich das Museum auch in diesem besonderen Fall ausdrücklich politisch und demokratisch.
Die Qualität demokratischer Politik liegt immer auch in der Sorge um und den Schutz von Minderheiten. Deswegen hat das ideale Museum marginalisierte und deklassierte Gruppen besonders im Auge und bedenkt, dass es selbst nie von einer neutralen, außerhalb des Gesellschaftlichen liegenden Position aus agiert, sondern Teil der Spannungsverhältnisse und Interessenskonflikte ist. Das Museum könnte z.B. den Blick auf die „Anderen“ von heute richten, auf die komplexen Fragen von Zugehörigkeit und Anerkennung, die Gegenwart von Einwanderung, Flüchtlingsdebatten und Identitätspolitik. Letztlich also auf die Frage, wer eigentlich den „Demos“ der Demokratie von heute ausmacht.

Das Museum als sozialer Ort: Distinktion und Hegemonie

Das ideale Museum versteht unter seiner Öffentlichkeit nicht bloß die formelle und statistisch erhebbare Zugänglichkeit. Es misst seine öffentliche Bedeutung nie an der Zahl seiner Besuche und lässt dies auch nicht durch andere (Medien, Politik) zu. Konsequenterweise erhebt und veröffentlicht es keine Besuchsdaten.
Das Museum ist sich bewusst, dass es ein Ort der sozialen Distinktion ist, dass es überproportional gebildete und bereits kulturaffine Personen anzieht, dass ein erheblicher Teil (etwa um die 50% einer Gesamtbevölkerung) vom Museum ausgeschlossen sind und dass ein Großteil einer Bevölkerung am Museum desinteressiert ist und von ihm auch nicht mit speziellen Maßnahmen der Werbung oder Vermittlung erreicht werden kann.
Dem Museum sind Grenzen in der Auflösung dieses Widerspruchs gesetzt. Einerseits wird es sich um Erarbeitung von Methoden bemühen, seine sozial und kulturell distinktive Funktion abzuschwächen, Programme auch für Bevölkerungsgruppen entwickeln, die in den Museumsroutinen eher vergessen und vernachlässigt werden.
Es wird sich aber auch der Frage stellen, ob es wirklich „für alle“ da ist und da sein kann und vor allem, warum es eben nicht für alle da ist.
Das ideale Museum ist sich seiner hegemonialen Funktion bewusst und seiner Rolle als „kultureller Staatsapparat“ - die in dieser Skizze aber bereits auf der organisatorischen Ebene in Form einer egalitären, vom Staat relativ unabhängigen Institution abgeschwächt ist. Der Staat kann sich mit Zwang durchsetzen (Militär, Polizei etc.), er kann dies mit Überzeugung und Überredung tun, etwa im Feld der Kultur. Daraus folgt, daß das Museum sich seiner Rolle als Staatsapparat bewußt ist. Daß es Macht aufrechterhalten hilft, daß es Herrschaft stabilisieren hilft, daß es Loyalität erzeugt. Dass es sich bewusst ist, kulturelle Werte zu etablieren, die von einer Minderheit oder Elite etabliert wurden aber als allgemein und für jedermann gültige, leitende und verbindliche ausgegeben werden.
Anders gesagt: Es setzt Werte, Traditionen oder Kanons nicht als gegeben und naturwüchsig voraus und affirmiert sie z.B. nicht als „Sehenswürdigkeiten“, „must sees“, sondern historisiert die Bedingungen unter denen überhaupt erst etwas kanonisiert, wertvoll und bedeutend wurde.

Das Museum als zivilisierendes Ritual

Das ideale Museum ist sich seines Potentials als zivilisierenden Rituals (Carol Duncan. Sabine Offe) bewusst. Museen sind zivilisierende Rituale insofern, als sich Menschen um Sammlungen zum Zweck der Selbstdeutung, Selbstauslegung sammeln. Es spielt eine Rolle für die Frage, woher wir kommen, wie wir unsere Zukunft entwerfen und wer „wir“ und die Anderen sind.
Es geht in der Auseinandersetzung mit dem Anderen um kollektive wie individuelle Identität, etwa in ethnischer, sozialer oder religiöser Hinsicht, was die Zugehörigkeit zu einem kulturellen Geschlecht betrifft oder auch die Erfahrung von Zeitdifferenz in der Spannung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es geht mit anderen Worten darum, daß Gesellschaften und Gemeinschaften sich damit beschäftigen, was sie waren, was sie sind und was sie künftig sein wollen.
Insofern Museen soziale Räume bilden und öffentliche Debatten ermöglichen und lancieren, setzen sie auch eine Dialektik von Individuum und Gemeinschaft, politischem Bürger (Citoyen) und Gesellschaft in Gang. In dem Maß, in dem der Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten teilhat, konstituiert er sich als Teil der Gesellschaft, die zugleich zu der Sphäre wird, in der er sich als Bürger entfalten kann.
Diese politische Funktion des Museums ist keine willkürlich und nachträglich hinzugefügte, dem Museum bloß äußerliche Funktion, sie gehört museumsgeschichtlich zu den Entstehungsbedingungen als Institution der Moderne zu Ende des 18.Jahrhunderts.
Den Prozess der symbolischen und soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Prinzip für alle Staatsbürger, die sie ja erst durch diese Teilhabe im vollen Sinn werden, würde ich gerne Bildung nennen.

Das Wissen des Museums
Der Bezug zu Wissen und damit zu Wissenserwerb und Lernen werden sehr oft als definitorische Bedingung für Museen angeführt. Gemeint ist damit meist die Berufung auf eine (akademische) Fachlichkeit, die in der Rolle des Kurators repräsentiert ist.
Auf diese unhinterfragte, nicht deklarierte Sachlichkeit verzichtet das ideale Museum. Es öffnet das Wissen in alle Richtungen aus der Erfahrung heraus, daß Wissen immer im Fluß ist, vorläufig, relational ist. Es stellt Wissen in Frage. Es bricht mit der autoritativen Rolle des Kurators die Wissensmacht, die er im Namen einer nur scheinbaren Professionalität vertritt.
Das Museum beruft sich nicht auf die Fachlichkeit eines bestimmten Museumstyps oder einer bestimmten Wissensdisziplin. Es beruft sich auf Themen, Problemlagen, Fragestellungen.
Was dabei an Expertise am Museum selbst nicht bereitgestellt werden kann wird „importiert“, anderswo abgerufen, zugekauft.
Anders gesagt: Inhalt der Museumsarbeit ist nicht das fachliche Wissen der dem jeweiligen Museumstyp analogen Wissensdisziplin - Ethnologie beim Völkerkundemuseum, Kunstgeschichte beim Kunstmuseum usw. - sondern ein transdisziplinäres, nach vielen Seiten hin offenes und nicht abgeschlossenes Wissen.
Wissen wird damit nicht obsolet, es wird nur nicht mehr umhinterfragt hingenommen. Auch das Kuratorenwissen wird nicht obsolet, es wird aber der Platz dieses Wissens und seine Funktion ebenso hinterfragt wie der - möglicherweise falsche - Platz, an dem es im Museum sitzt.
In der Pädagogik gibt es den Begriff des „entdeckenden Lernens“, wo sich die Fragestellungen mit dem Wissenserwerb verschieben können und es wieder zu einer Rückkoppelung zum Wissen kommt. Ganz ähnlich kann man sich das ideale Museum vorstellen, das Wissen gewissermaßen nicht hinter sich hat, als etwas Abgeschlossenes mit Wahrheits- und Gültigkeitsanspruch, das es bloß noch zu vermitteln gilt, sondern immer vor sich und als Prozess, nicht als Resultat.
Daniel Tyradellis folgend sehe ich eine Aufgabe von Museen und Ausstellungen darin, „Hypothesen ins Bild zu setzen, die damit überhaupt erst eine Diskussion über sie erlauben…“.
Dabei ist das Museum immer auch eine geordnete Welt, in der sich Individuum und Gemeinschaft orientieren können. Diese eigentümliche Ganzheitlichkeit und Welthaltigkeit  finden wir in nationalen Museen ebenso wie im kleinsten Heimatmuseum.

Das Museum ist Vermittlung

Ist nicht jede kulturelle Form, Theater, Buch, Film, Tanz, bildende Kunst usw. „Vermittlung“ und daher Bühne, Kino, Galerie, Museum etc. bereits selbst ein Raum der Vermittlung? Personelle wie mediale Vermittlung hat sich unter verschiedenen Begriffen wie Museumspädagogik, Kultur- und Kunstvermittlung verselbständigt, das heißt, sie gibt sich als vom Museum und der Ausstellung unterscheidbar zu erkennen. Vermittlung ist zu einer eigenen Berufsrolle geworden. Sie ist etabliert und erlebt eine Konjunktur bei anhaltender Marginalisierung der Personen wie der Tätigkeit. Fragwürdig ist sie, wo sie z.B. als Marketing, als Mittel zur Erhöhung des „Besucherumsatzes“, als Kompensation schlechter Museumskonzeption und Ausstellungsgestaltung eingesetzt wird. Legitimiert scheint sie z.B. dort, wo sie sich für vom Bildungswesen selbst vernachlässigte Gruppen bemüht.
Allerdings sind Museen selbst Vermittlung, nämlich im Medium Ausstellung.
Weswegen ich die weit verbreitete Definition des Museums über Kernfunktionen wie Sammlen, Bewahren, Forschen, Vermitteln für sehr fragwürdig und missverständlich halte. Alle diese vier Funktionen sind keine Zwecke, sondern Mittel zur Erreichung eines Zwecks - der allerdings meist kaum noch debattiert wird. Und vor allem: sie sind nicht gleichwertig. Ohne Vermittlung sind Sammlen, Bewahren und Forschen im Museum sinnlos.
Das Verständnis von der Ausstellung als dem sich selbst genügenden Vermittlungsmedium des Museums für Beruf und Tätigkeit des Vermittelns herausfordernd. Wenn Museum Vermittlung ist - sind VermittlerInnen denn überflüssig?
Nicht unbedingt. Ob überhaupt, und wenn ja, wie, zu welchem Thema und mit welchen Mitteln zusätzlich zu einer Ausstellung vermittelt werden soll, hängt von den Entscheidungen ab, die im Konzept und mit der Gestaltung der Ausstellung getroffen werden, abhängig also vom bestimmten Thema, dem konkreten Ort und Raum, der konkreten Situation und einem bestimmten Zeitpunkt.
Auch Vermittlung ist kein Wert an sich, sowenig ein Museumsbesuch an sich kein Wert an sich ist, sondern sie ist immer verpflichtet, sich im Einzelfall als notwendig auszuweisen und in Hinblick auf ihre Zwecke zu begründen.

Die Nutzer des Museums
Das ideale Museum kennt seine Klientel weder als Gäste, wie es neuerdings oft zu lesen ist, noch als Betrachter und schon gar nicht als Kunden. Es kennt keine Opposition vom Museum auf der einen, Besuchern auf der anderen Seite. Es setzt voraus, daß Besucher immer durch ihre Rezeption an der Bedeutungsproduktion einer Ausstellung mit beteiligt sind, so wie auch der Leser immer einen Roman mitschreibt oder der Betrachter einem Wort des Kunsthistorikers Wolfgang Kemp folgend, beim Betrachten eines Gemäldes immer „im Bild ist“. Im Ausstellen überschneiden sich voneinander oft nicht unterscheidbar permanent Deutungsabsicht der Ausstellungsmacher und Deutungsvermutung der RezipientInnen.
Das ideale Museum kennt seine Nutzer nicht aus der Abstraktion von Statistiken, und auch nicht als Objekt sozialtechnologischer Instrumentalisierung a la Audiencing, und auch nicht als Umsatzzahl, von der unsinnigerweise noch dazu auf die Qualität der Museumsarbeit oder die Existenzberechtigung eines Museums geschlossen wird.
Das ideale Museum kennt seine Nutzer aus der face-to-face-Kommunikation in den diversen Spielarten der Museumsarbeit, aus partizipatorischen Projekten wie als TeilnehmerInnen jener Formen liberaler oder agonaler Öffentlichkeit, die das Museum - so weit es nur möglich ist - in Kooperation mit der Zivilgesellschaft herstellt.
Das ideale Museum arbeitet mit dem Wissen, daß es selbst ein Ort der sozialen Unterscheidung ist und einen großen Teil der Bevölkerung ausschließt. Die heute mehr denn je diskutierte Bemühung, um Inklusion, also um Einbeziehung marginalisierter Gruppen, um Minderheiten, eint das Ideal von sozialer Gerechtigkeit. Das ideale Museum weiß, daß es an diesen Verhältnissen nur bedingt etwas ändern kann, aber es vergisst auch nie, daß Vermittlung von Wissen und Bildung auch dann kein Selbstzweck ist, wenn sich die Museumsarbeit auf die genannten Gruppen konzentriert. Seinen gesellschaftlichen Auftrag formuliert das Museum nicht dadurch, daß, sondern erst immer wozu es mit bestimmten Gruppen bevorzugt arbeitet.
Dabei ist sich das Museum bewußt, daß es auch in partizipativen Projekten nicht so ohne weiteres seine Autorität loswerden kann. Entweder es behält einen Rest seiner Autorität oder es kommt zur völligen Auflösung seiner Entscheidungskompetenz in der Übertragung seiner Macht an die Teilhabenden.
Das ideale Museum erhebt kein Eintrittsgeld. Einerseits um materielle Barrieren für den Besuch zu beiseitigen und andrerseits um die letzten Spuren von Warenförmigkeit aus der Beziehung Besucher und Museum zu tilgen. Diese materielle Barrierefreiheit macht aber nur Sinn unter den Bedingungen einer nicht-hegemonialen Museumsarbeit.

Der Ort des Museums
„Museums? - Should the rain keep off“ hat der Künstler Chris Burden gesagt, in einer jener abschätzigen Gesten, mit der die künstlerische Avantgarde seit der Mitte des 19.Jahrhunderts das Museum als privilegierten Ort der Kunst in Frage stellte.
Doch wem gilt der Schutz vor Chris Burdens Regen? In erster Linie doch wohl den Objekten, bzw. der scheinbar ebenso unwiderlegbaren Kernfunktion des „Bewahrens“ von materiell wie symbolisch wertgeschätzten Artefakten nahezu jeder Art, die auf im Grunde unbestimmte Dauer aufbewahrt werden.
Die Gleichsetzung von Museum mit Gebäude, die Bürden vornimmt, bezieht sich also vorwiegend auf seine Aufgabe eine - womöglich wachsende - Sammlung zu pflegen, zu schützen und zu konservieren. Sicher, Museumsarchitektur hat eine städtebauliche, ästhetische und symbolische Funktion und gewiss auch eine sehr praktische als Rahmen für die Vermittlungsfunktion des Museums oder als Teil der Vermittlung selbst. Doch kann man sich das Museum auch anders denn als architektonischen Raum, als „Haus“ vorstellen?
Im idealen Museum stehen nicht die gebetsmühlenartig wiederholten Funktionen, Sammeln, Forschen, Zeigen, Vermitteln im Mittelpunkt, sondern die eines sozialen Raumes, in dem Menschen sich ihrer Gemeinsamkeit, Geschichte und Zusammengehörigkeit deutend versichern.
Für beides - für die besondere museale Ritualität, wie für den dabei nötigen Gegenstandsbereich - kann aber doch längst gelten, daß sie den Rahmen Museum als Architektur, Haus, Gebäude nicht mehr bzw. nicht immer und zwingend benötigen.
Dazu ein Beispiel.
Im Jahr 2008 beauftragte der Steirische Landtag und die Landesregierung Jochen Gerz - ich zitiere - „ ein Gedenkzeichen zum Machtmissbrauch in der NS-Zeit zu entwickeln“. Das war die Grundlage für ein 2010 gestartetes Projekt unter dem Titel 63 Jahre danach, an dessen Beginn die Bildung einer interdisziplinären Forschungsgruppe aus steirischen Historikern, Kunsthistorikern, Soziologen und Germanisten stand, die sich auf die Suche nach Fotografien machten, die den Nationalsozialismus in der Steiermark dokumentierten. 96 der ausgewählten Fotografien wurden in der lokal am weitesten verbreiteten Kleinen Zeitung veröffentlicht und dort kommentiert. Dann wurde die Leserschaft aufgefordert, eine weitere Auswahl zu treffen, in der die Zahl der Fotodokumente auf die Hälfte, 48, reduziert wurde.
Diese Fotos werden nun allen Landtagsabgeordneten mit der Bitte um einen persönlichen Text zu jeweils einem Foto vorgelegt. Deren Texte wurden wiederum in der Zeitung publiziert. Daraus wählt wiederum die Leserschaft 24 Beiträge aus und die 24 Plätze in Graz und in steirischen Gemeinden, an denen Texte und Bilder gezeigt werden.
Was komplizierter als eine Dogenwahl klingt, ermöglichte eine einzigartige Verschränkung noch dazu normalerweise gegeneinender abgeschotteter Öffentlichkeiten. „63 Jahre danach“ verschränkte Politik, Medien und Gesellschaft in einer einzigen großen Interaktion und es entstanden mehrmals innerhalb des Entstehungsprozesses Räume autonomer Autorschaft.
Selbst die Zeitung zieht sich, etwa ein ganzes Jahr lang, auf sachliche Berichterstattung und Dokumentation zurück und wird, zumindest auf Zeit, selbst zum Medium für von ihr nicht kontrollierbarer oder formierbarer Teilöffentlichkeiten. Politiker treten aus ihrer repräsentativen Rolle heraus und artikulieren sich auch als Privatpersonen, die mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen über die Zeitdifferenz von dreiundsechzig Jahren hinweg direkt und indirekt über die aktuelle Bedeutung und Brisanz der subjektiven wie kollektiven Erinnerungen räsonieren. Sie werden damit wiederum zu einem Teil jener Zivilgesellschaft, die in der Leserschaft der Zeitung repräsentiert ist.
Eine andre Besonderheit: Die Arbeitsgruppe, die eingesetzt wurde, um mit der Auswahl der Fotografien den ersten Schritt ins Projekt hinein zu machen, war interdisziplinär. Obwohl es ein zeitgeschichtliches Projekt war, überließ man es nicht allein der akademischen Geschichtswissenschaft. Ich könnte mir vorstellen, daß man diesen Kreis noch bunter hätte machen können.
Last but not least war auch das Landesmuseum involviert, und zwar als organisatorischer Rahmen, als Instanz der Realisierung in engster Kooperation mit Jochen Gerz. Das Museum trat aber nicht als Mitautor auf, wenngleich Werner Fenz, damals Leiter des dem Joanneum eingegliederten Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, Initiator war, griff nirgends inhaltlich in den Prozess ein und war auch räumlich kein Gastgeber. Es gab eben keine Museumsausstellung, sondern, wenn man dem überhaupt einen Namen geben will, Interventionen oder Installationen im öffentlichen Raum, die dann jahrelang gezeigt wurden.

Die Medien des Museums
Lange Zeit waren es originale Kunstwerke und historische Dinge, die die Sammlungen und Dauerausstellungen von Museen dominiert haben. Noch in den 1920er-Jahren war etwa die Fotografie als „Hilfsmedium“ höchst umstritten - heute gibt es bezüglich des Einsatzes aller nur erdenklicher Medien allenfalls noch bei Kunstmuseen Bedenken.
Die Privilegierung originaler, authentischer, dokumentarischer historischer Objekte - jede dieser Eigenschaften hat ihre besondere Qualität und Fragwürdigkeit zugleich - spielt noch eine gewisse Rolle, vor allem im Bereich der Kunst, weil unter anderem an diesen Qualitäten der Marktwert aber auch kulturelles und soziales Prestige hängt. Wer sich - kenntnisreich - mit hochkulturell codierten Artefakten beschäftigt, darf sich zu den „Eingeborenen der Bildungselite“ (Pierre Bourdieu) zählen.
Im idealen Museum ist das einzige Kriterium, ob ein Medium geeignet ist einen Sachverhalt angemessen zu vermitteln. Das macht unabhängig von - wenn auch noch so professionellen aber eingeschliffenen und umhinterfragten - Standards und von immer wieder repetierten musealen Stilen und Gewohnheiten.
So zielte die ungewöhnliche Wahl von Hologrammen in der ehemaligen Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien ins Herz der Frage der Repräsentierbarkeit von Geschichte, zumal der gewaltförmig entstellten jüdischen. Dabei erwies sich das Medium Hologramm mehrfach geeignet. Es ermöglichte den Besuchern, sowohl ihre Wahrnehmungssituation zu reflektieren als auch die Unmöglichkeit einer Rekonstruktion von Vergangenheit angesichts entstellter und lückenhafter Überlieferung, zerstörter Objekte und traumatisierte Erinnerung.
Läuft das auf ein Museum ohne Objekt hinaus? Nein, ohne seine spezifische Medialität verlöre das Museum seine Unterscheidbarkeit von anderen Institutionen und Praktiken.
Die Sonderstellung des Museums bleibt durch seinen Bezug auf Dinge im allerweitesten Sinn gewahrt. Als öffentlicher Raum im Zeitalter vielfach gefährdeter Öffentlichkeit kann das Museum im Rückgriff auf sinnhaft angeordnete Gegenstände Probleme bearbeiten, die ansonst nicht bearbeitet werden können.

Organisationsform. Arbeit im Team
Mein ideales Museum hat eine flache organisatorische Hierarchie und eine Leitung im Team. Denkbar ist eine kollektive Leitung ebenso, wie eine gewählte und befristete oder die rotierende Betrauung der Leitung aus dem Museumsteam heraus. Das Museum arbeitet in Projektform und bietet Partizipation nicht bloß seiner Klientel an, sondern praktiziert sie auch nach innen. Es fördert die permanente Weiterbildung aller und bezahlt alle MitarbeiterInnen gleich.
Dieses Modell ist offen für andere als herkömmliche (meist autoritativ-patriarchale) Formen der Leitung. Leitung wird also nicht politisch und nicht in nichtöffentlichem Kabinettsstil bestellt, sondern aus dem Museumsteam heraus. Und das unter Einbeziehung des zivilgesellschaftlichen Resonanzraumes, in dem das Museum existiert.
Mein ideales Museum ist eine lernende Organisation, es hat deswegen diverse Formate und Gefäße zur Reflexion seiner Positionierung und Arbeit aber auch zur Förderung seiner MitarbeiterInnen.
Das Team arbeitet permanent an der Auseinandersetzung mit neuen museologischen Arbeitsweisen und Theorien. Durch selbstreflexive Bezüglichkeit auf die eigene Arbeit, auf die Entwicklung von Museen in der Umwelt der Institution und durch Wahrnehmung des theoretischen Diskurses vermeidet das ideale Museum Erstarrung und Routine.
Es leistet sich ausdrücklich als Luxus Freiräume einer so vollständig wie nur möglich von Zwängen, Normen und Routinen freien Reflexion seiner Rolle und Tätigkeit zu organisieren.
Es integriert Innovation (etwa wie das Berner Museum für Kommunikation, wo es den Auftrag ans Team gibt, bei einer Ausstellung im Jahr „etwas Neues“ zu machen), aber nicht als Selbstzweck, es geht Risiken ein, es erlaubt sich, gelegentlich mit Projekten zu scheitern.
Mein ideales Museum ist sich seiner organisatorischen Verfassung als Expertenorganisation bewusst, das heißt also, der Tatsache, dass die meisten MitarbeiterInnen, vor allem jene mit akademischer Ausbildung und in kuratorialer oder leitender Rolle, doppelt unqualifiziert sind: als akademische Fachwissenschafter bringen sie einerseits keine Organisationskompetenz und Leitungskompetenz mit und sind andrerseits weitgehend unvorbereitet, was die praktischen musealen Tätigkeitsfelder betrifft. Fachwissenschaftlich ausgebildete KuratorInnen haben entweder überhaupt keine museologische Kompetenz oder eine kaum ausreichende. Sie sind auch unvertraut mit den theoretischen museologischen Diskursen.

Trägerschaft und Finanzierung
Mein ideales Museum wird von der (Zivil)Gesellschaft getragen und ist aus ihren Bedürfnissen heraus entstanden. Staatliche Eingriffsmöglichkeiten gibt es nur im Falle von Gesetzeswidrigkeiten oder wirtschaftlicher Fahrlässigkeit. Politik und Administration beschränken sich in diesem Sinn auf die Kontrolle der aus Steuereinnahmen zur Verfügung gestellten Finanzierung und die Einhaltung von Gesetzen.
Die zivilgesellschaftliche Trägerschaft, in welcher Rechtsform auch immer, ist in der Gestaltung des Museums unabhängig und allein der Öffentlichkeit verantwortlich, der sie regelmäßig Rechenschaft gibt.
Zwischen der öffentlichen Hand und dem Museum wird ein transgenerationeller bestandssichernder Vertrag geschlossen, zwischen der zivilgesellschaftlichen Trägerschaft und dem Museum eine periodisch erneuerbare Vereinbarung über die Ziele und Aufgaben.
Finanzielle Unterstützung von privater Seite, seien das Einzelpersonen, Firmen, Konzerne usw., werden selbst bei Uneigennützigkeit (Mäzenatentum), vor allem aber bei Erwartung von symbolischer oder materieller Gegenleistung (Sponsoring) nach strikten ethischen Richtlinien beurteilt.


Graz, im September 2016

Mittwoch, 31. August 2016

"Hat nicht der Mediamarkt mit seiner Frauenabteilung schon mal was in der Richtung versucht?". Gendergerechtigkeit im Spiegel der Intelligenzzeitungs-Postings

Vor einigen Tagen hat die Redakteurin der Tageszeitung DER STANDARD, Tanja Paar, das Buch von Ann Döpfner "Frauen im Technikmuseum" sachkundig rezensiert. Na mehr hat die Zeitung und die Journalistin und die Buchautorin nicht gebraucht. In über 200 (!) Postings alberten Männer rum und machten das - anzunehmen allen unbekannte Buch - verächtlich. "Na das wird die Mädels zu den toten Dampfmaschinen treiben!!!". "In Museen zur Kriegsgeschichte sind Frauen wenig thematisch vertreten. Echt jetzt? Und DARAN sollte 'geforscht' werden? Was sollte daran GEFORSCHT werden an 'Krieg und Gender'?" "Wer verlangt denn dass alle Facetten der Geschichte auf einmal behandelt werden?" "Krieg und Gender - was soll das sein? Soldaten die sich als Frau fühlen an der Isonzo-Front?"  "Es ist nicht Aufgabe eines technischen Museums alle diese Aspekte zu beleuchten. Dafür gibt es eigene Einrichtungen." "Man schaue sich nur mal die heutigen Patentanmeldungen an. Über 90% der Erfindungen gehen auf den Kopf von Männern." "Es gibt auch ausnahmsweise Themen, in denen Frauen eben nicht oder nur 'unterrepräsentiert' vorkommen. Eine Vater-Sohn-Beziehung zum Beispiel. Und was das mit dem technischen Fortschritt zu tun hat, verstehen offensichtlich nur sie alleine." "Anscheinend will man nun auch schon bei Museums-Besuchern eine 50%-Frauenquote." "In einem Technikmuseum steht Technik ... entweder man mag das, oder nicht." "Warum keine Kampagne: Mehr Frauen auf die Südtribüne, mehr Frauen auf den Hirschenkogel, mehr Frauen in die Karthallen ...". "Die Wissenschaft ist geschlechtsagnostisch und das ist gut so." "In der Technik und Wissenschaft möchte ich doch bitte keine Ideologie u.Ä. sondern nur Hard-Facts." "Ganz ehrlich: In einem technischen Museum will ich Technik sehen und nicht mit Gender, Race & Class berieselt werden."

Dienstag, 9. August 2016

Vortrag zum "Haus der Geschichte" bei der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Ein zweites Mal "nein" zum Projekt

Wie kann man Geschichte ausstellen?

I Ein österreichisches historisches Museum? Warum nicht!

Ich stehe dem Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich sehr skeptisch gegenüber, und ich denke, diese Skepsis ist mit vielen Argumenten unterlegt. Das bedeutet aber nicht, daß ich ein österreichisches Geschichtsmuseum für sinnlos und überflüssig halte. Wäre ein solcher Ort nicht wünschenswert? Einer, an dem Prozesse gesellschaftlicher Selbstdeutung und Orientierung stattfinden könnten, an dem uns in der Erfahrung der Differenz der drei Zeithorizonte Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft neue Orientierungsmöglichkeiten eröffnet würden und das alles mit den genuin musealen Mitteln, also im Rückgriff auf dokumentarisch wie identitätsbedeutsame Gegenstände?
Meine Vorstellungen von einem solchen Museum unterschieden sich in so gut wie allen zentralen Merkmalen vom Konzept des Hauses der Geschichte Österreich. Statt einer paternalistischen Gründung und ideologisch fragwürdigen geschichtspolitischen Intervention, würde das Museum aus der Mitte der Zivilgesellschaft entspringen und von ihr getragen werden. Statt überdiskreter Planung in Hinterzimmern der Macht, gäbe es eine klar deklarierte Autorschaft, statt demokratische Offenheit bloß deklamatorisch zu beschwören, würden Partizipation und transparente Planung von Anfang gepflegt.
Statt allein auf die gewiss unverzichtbare fachliche Kompetenz der akademischen Geschichtswissenschaften zu setzen, müsste man sich gewärtig sein, daß es um die Geschichtskultur und politische Kultur allgemein geht und dementsprechend eine ungemein breitere Fachkompetenz wünschenswert wäre, wenn es um die Arbeit an musealer Repräsentation geht. Und ist es denkbar, da heute das Wort Partizipation in aller Munde ist, wo es um Museen und Ausstellungen geht, sich allein auf Experten zu stützen und nicht auch andere Gruppen einzubeziehen?
Methodisch hieße das, von den weitgehend umhinterfragten Prämissen der Historikerausstellung Abstand zu nehmen, also von der Praxis, auf Schriftquellen gestützte Texte zu generieren, denen Objekte alibihaft und illustrativ zugeordnet werden. Im Museum wie ich es mir erträume, müßte man die hohe Kunst der visuell vorgetragenen Argumentation beherrschen - diese seltene Fähigkeit zwischen fachlicher, ästhetischer und museologischer Kompetenz, die nicht einfach deren Quersumme bildet, sondern etwas Anderes, schwer zu Fassendes.
Statt auf so etwas wie kollektive hegemoniale Identität hinzuarbeiten, auf eine - wenngleich nicht offen deklarierte - identitätspolitische Zielsetzung, müsste ein anderes Geschichtsmuseum der Republik auf ein offenes, flexibles Konzept des Projizierens und Verhandelnds von konkurrierenden Identitäten setzen. Die Betreiber eines solchen Museums wüßten, daß Identität auch im Museum, so verführerisch die Institution dafür geeignet erscheint, nicht festzustellen oder festzuhalten ist.
Statt des weitgehend bekannten und voraussehbaren, chronologisch vorgetragenen Kanons von Tatsachen und Ereignissen setzte mein Museum auf eine rabiate Zuspitzung all jener Gegenwartsfragen, die uns beschäftigen und uns beunruhigen. Diese Zuspitzung käme nicht aus dem Museum, sie ist längst in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit derart brisant geworden, daß mir nicht einleuchten will, daß eine Art von neohistorisierender Panoramatik genügen soll, um dem etwas entgegenzusetzen. Eine historisierende Rückschau auf das was und wie es einmal gewesen ist, scheint mir angesichts der Gegenwartsprobleme vollkommen ungenügend.
Der Rückbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates, die Erosion demokratischer Institutionen und Regeln, die Entfesselung destruktiver neoliberaler Ökonomie, ja die Kassierung des Politischen überhaupt, das Anwachsen rechtsextremer Bewegungen, das alles braucht kein Museum als Unschuldskomödie, das uns die gefahrlose Besichtigung unserer politischen Elendslandschaften erlauben soll.

II Das überschätzte Museum

Eine einfachen Frage: Worin besteht der erwünschte Effekt, den das Haus der Geschichte Österreich haben soll? Was wird von ihm erwartet, was soll es leisten?
Ich meine damit nicht Absichten, sondern Effekte, die deklariert werden und deren Eintreten oder Ausbleiben auch kontrolliert werden kann.
In meiner Einladung zur Veranstaltung ist die Rede vom „für unser Land so bedeutenden Projekt“. Sicher, ein historisches Museum wäre etwas Neues in der österreichischen Museumslandschaft. Als Argument taugt das allein aber wenig. Der Hinweis, anderswo gäbe es so etwas, also müße es das endlich auch hier geben, ist weder zwingend noch sachlich richtig. Große nationale Geschichtsmuseen sind in Europa seltener als man glaubt. Ich wüßte weder in London oder Paris oder Rom, einen Ort, wo ich hingehen könnte, um über die Geschichte des Landes umfassend und aktuell informiert zu werden.
Aber worin liegt die Bedeutung der aktuellen Wiener Museumsgründung genau?
Soll das Nationalbewusstsein gestärkt werden? Immerhin war im Entwurf zur Abänderung des Bundesmuseumsgesetzes von nicht weniger die Rede als einer "Stätte der geistig-kulturellen Identität Österreichs“. Geht es allgemein um Sachwissen zur Geschichte Österreichs? Soll das Museum das Geschichtsbewusstsein der breiten Bevölkerung verbessern? Sollen aktuelle gesellschaftliche Probleme im Licht historischer Entwicklungen zur Diskussion gestellt werden? Soll es eine Visitenkarte für Wien-Touristen sein? Ein Informationspool für an Geschichte Interessierter? Ein Medium der Popularisierung der Zeitgeschichtsforschung?
Dieses Ziel ist unklar und Historiker wie Gerhard Botz haben gefordert, im Konzept für das Museum muß das identitätspolitischen Ziel offengelegt werden. Die Antwort darauf ist von den Moderatoren des Projekts nicht zu bekommen.
Stattdessen wird über Inhalte gesprochen, über Periodisierung, über die Tauglichkeit oder z.B. über die Untauglichkeit der Hofburgarchitektur, über den Zeitplan, aber nicht über den gesellschaftspolitischen Sinn des Projektes, den es jetzt, in diesen Tagen, in den kommenden Jahren hat und haben soll.
Da gibt es aber eine zweite Frage: Wieso erwartet man, daß dieses oder jenes Ziel  mit den Mitteln des Museums, mit den Mitteln einer Ausstellung tatsächlich erreicht werden kann?
Es scheint so, als wäre das Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich Nutznießer einer diskreten Anerkennung der Institution als solcher - aber unter Aussparung aller seiner strukturellen Widersprüche. Das Museum erscheint als eine Art von black box, die man auf der einen Seite mit guten Absichten, programmatischen Deklarationen und vollmundigen Versprechungen füttert um auf der anderen Seite frisches Geschichtsbewusstsein herauszubekommen.
Ich zitiere die wesentliche Passage des sogenannte Mission Statement des vorliegenden Konzepts: „Das ‚Haus der Geschichte Österreich‘ (…) vermittelt die Geschichte Österreichs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts (…) einem möglichst breiten Publikum in ihrem europäischen und internationalen Kontext und ermöglicht eine historische Auseinandersetzung. Das Haus der Geschichte Österreich wird ein aktives und offenes Diskussionsforum für historische Fragestellungen und Themen der Gegenwart sein.“
Als solches wird es, so der Leiter des Beirates, Oliver Rathkolb, zu „ausgeprägtem kritischen Geschichtsbewusstsein“ beitragen und zu „positivem Demokratiebewußtsein“. Wie Oliver Rathkolb ist auch Johanna Rachinger als Leiterin der Nationalbibliothek, der das Haus der Geschichte eingegliedert wird, in zentraler verantwortlicher Position. Ihr geht es um eine „kritische Erinnerungskultur“, um die „offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte“ und die „Vermittlung eines wissenschaftlich fundierten Geschichtsbildes“. Nicht daß man solchen Zielen nicht gerne zustimmen wollte, aber warum wird die Frage ausgeklammert, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln alle diese und andere hehre Ziele denn erreicht werden können?
Noch nie ist ein Museum allein wegen eines schriftlichen Konzepts gelungen. Sondern immer erst in seiner organisatorischen und museografischen Realisierung. Dazu findet sich kaum etwas im Konzept und ein Mitglied des Beirates hat mir glaubhaft versichert, daß ein bereits verfasster museologischer Teil komplett aus dem Konzept wieder herausgenommen wurde. Warum? Ist er misslungen?
Das Museum ist ein höchst komplexes aus vielen Medien zusammengesetztes hybrides aber auch plastisches Medium mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Gestaltbarkeit auf allen Ebenen. Aber sein Status zwischen Wissenschaft, Kunst, Ästhetik und Didaktik ist unklar und auch die Autorschaft oszilliert zwischen den Rollen des Wissenschafters und Künstlers, zwischen wissenschaftlicher und sehr spezifischer ästhetischer Kompetenz. Haben die gerade die Historiker und Historikerinnen?
Interessant ist, daß zum ersten Mal, der Ruf nach Museologen erhoben wird. Aber Museologie ist weder ein Beruf noch eine Wissenschaft, eher ein Feld von Forschungen und Diskursen der unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen deren Gemeinsamkeit ist, sich mit dem "Museum als Schlüsselphänomen der Moderne" (Sharon MacDonald), zu beschäftigen.
Alle meine Fragen lassen sich in einer bündeln: Kann die wissenschaftliche und künstlerische Repräsentationen der Vergangenheit, wie sie Museen und Ausstellungen zu leisten beanspruchen, ganzen Gesellschaften oder zumindest Gruppen von ihnen Identität, Selbstwert, Erinnerungsfähigkeit oder Reflexionswissen vermitteln?

III Zwischen dem Gewissheitsanspruch der Geschichtsdidaktik und dem Generalverdacht der Undarstellbarkeit der Geschichte

Die Antwort auf die Frage der Repräsentierbarkeit von Geschichte vermeint man in einer Methodik oder Didaktik des Museums zu finden, in der besonderen Art und Weise des Zeigens und Zu-Sehen-Gebens, des Arrangieren von Objekten, des räumlichen Inszenierens, des Kommentierens durch Texte oder weitere Objekte. Wohl wegen meiner museologischen und ausstellungspraktischen Erfahrung hat man mich gebeten, über die Darstellbarkeit von Geschichte zu sprechen.
Allerdings ist das Thema derart komplex und es gibt theoretisch wie praktisch derart viele Antworten auf diese Frage. Es ist nicht möglich hier auch nur annähernd die diversen Optionen darzustellen und an Beispielen zu illustrieren. Deshalb habe ich mich entschieden, eine sehr enge Auswahl zu treffen. In ihr liegt der Schwerpunkt auf der Formierung des Publikums, auf der Herstellung von Öffentlichkeiten, und nicht auf Objekten, Medien und Inszenierung.
Der Grund für die Auswahl liegt darin, daß ich damit, statt mich allgemein zu halten, jenen Formen von Vermittlung Aufmerksamkeit schenke, die in unserem Fall, also bei einem historischen - und wie immer auch - „nationalen“ Museum mir wünschbar scheinen. Meine Beispiele illustrieren also nicht nur eine bestimmte Form der Geschichtsvermittlung, sondern ich habe sie auch als Anregung gewählt, für ein Haus der Geschichte Österreich an derartige Praktiken zu denken und sich an ihnen zu messen.
Als Kriterien der Auswahl dienten mir zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist die Frage, wie Ausstellungen mit dem zivilisierend-rituellen, dem vergesellschaftungs- und öffentlichkeitsbildenenden Potential umgehen, das meiner Überzeugung nach den Kern des europäischen Aufklärungsprojektes Museum ausmacht. Den anderen Aspekt borge ich mir von Heidemarie Uhl. Sie hat in ihrem Beitrag in der Tagungsdokumentation zum Haus der Geschichte Österreich die Undarstellbarkeit der Geschichte als unvermeidliche Grundbedingung moderner Geschichtsdarstellung angeführt. Ausstellungen machen hieße, ich zitiere sie, die „Gemachtheit und Kontingenz der Geschichtserzählung“ anzuerkennen und erkennbar zu machen. Dem stimme ich zu und aus dieser Einsicht heraus sind ja auch viele faszinierende Projekte entstanden.

Die ehemalige Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien

Wenn ich beide Aspekte zusammenfüge, fällt mir als erstes die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien ein, die bis 2011 bestanden hat und die auf Anordnung der damals bestellten neuen Leiterin abgebrochen wurde.
Die damalige Chefkuratorin des Museums, Felicitas Heimann-Jelinek und der Architekt Martin Kohlbauer konzipierten in einem salonartigen Raum des Palais Eskeles eine aus Hologrammen bestehende Platzstruktur.


Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Raum sieht er sich umgeben von Bildern. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Objekte auf, Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder wendet.
Die Kuratorin schrieb dazu: „Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“


Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.
Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der  Mitte des Gevierts gerückte Block – der ganz allgemein die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert -  trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt ebenfalls keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. 05_Hologramme von Synagogen
Die Hologrammbilder vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.

Die voids des Jüdischen Museums Berlin

Noch radikaler hat sich der Architekt Daniel Libeskind bei seiner Architektur des Jüdischen Museum Berlin jeder Repräsentation verweigert. Hier gibt es Räume, die von Spuren, Bedeutungen, von Objekten vollkommen frei sein sollen. Er entwickelte die Architektur nicht für ein Ensemble von mit Objekten bespielbarer Ausstellungsräume, was, soweit ich sehe, in der Geschichte der Museumsarchitektur insofern einzigartig ist, als damit die Last der Repräsentation von der Sammlung und Ausstellung auf die Architektur übertragen wird. Im Grunde macht sie eine Ausstellung und Objekte entbehrlich, allerdings um den Preis extremer Abstraktion. Hier gibt es keine Vermittlung zwischen Dingen und Besuchern, keine Erzählung, sondern einen evokativen Raum, in dem sich Erinnern einstellen kann - oder auch nicht.



Libeskind schuf mehrere durch die Geschosse führenden, schachtartigen Räume, sogenannte voids. Es gab aber auch mitten im Museum einen voided void, also, wenn das überhaupt denkbar ist, so etwas wie eine geleerte Leere. Dieser voided void ist nicht betretbar aber man kann in ihn hineinsehen.
Die voids wurden z.T. zur Installation von Kunstwerken genutzt aber auch, und das war die Intention des Architekten, als Räume der Kontemplation, der Erinnerung und des Eingedenkens.
Es geht auch beim Jüdischen Museum in Berlin um ein Sich-Sammeln, wie im Grunde bei jedem Museum, um eine Sammeln von Personen um Objekte zum Zweck der Selbstdeutung. Wo aber Objekte fehlen, wie hier, kann im geglückten Fall, liebendes Eingedenken freigesetzt werden, wie in unvordenklichen Zeiten, da Bild und Text das Erinnern noch nicht stützten, eine Erinnerungspraxis, deren mythologischen Agentinnen, die Musen, die sich des Gesangs und Tanzes als Medium bedienten, der modernen institutionellen Erinnerungsform des Museums ihren Namen geliehen haben.

Ein Viertel Stadt. Jüdisches Museum Hohenems

Methodisch und strategisch ungleich pragmatischer ist da das Jüdische Museum im Vorarlbergischen Hohenems gewesen, das meiner Beobachtung nach derzeit interessanteste Museum Österreichs. Es hat mit der Projektreihe Ein Viertel Stadt eine sehr inspirierende Form der Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte entwickelt. Im Teilprojekt „Belichtete Häuser“, wurden nach intensiven Recherchen zur Hausgeschichte einige Schlüsselobjekte der Gemeinde sozusagen bespielt, an mehreren sommerlichen Abenden, mit Projektionen von Texten, Bildern, Dokumenten usw. zur Haus- und Familiengeschichte.


Angesichts teils spekulativer Überlegungen zu Abriss und Bautätigkeit inmitten des ehemaligen Jüdischen Viertels, gab das Projekt gewissermaßen dem Stadtteil und seinen Bewohnern vergessene oder verdrängte Geschichte zurück. Es war eine Konfrontation mit verschütteter Erinnerung, sicherte Spuren der vernichteten jüdischen Gemeinde und stellte Fragen nach dem sinnvollen Umgang mit dem Viertel.


Greifbarstes Ergebnis war die Beendigung der Nutzung der baulich erhaltenen barocken Synagoge als Feuerwehrdepot und deren Umwidmung zum Versammlungsraum, den das Museum aber auch die Stadt nutzen. Bis heute wirkt diese Ausstellung ganz praktisch in Politik, Stadtplanung und öffentlich-kommunalen Debatten nach.
Statt auf Besucher zu warten, stellt das Museum hier von sich aus ein Stück Öffentlichkeit aktiv her, in diesem Fall auch außerhalb seiner Mauern, und bildet damit einen Raum für demokratische Debatten und auf sie aufbauende Entscheidungsgrundlagen. Dabei war und ist ein Umstand hier ganz besonders wichtig. Das Hohenemser Jüdische Museum ist aus einer noch dazu höchst kontroversen zivilgesellschaftlichen Debatte entstanden und hat bis heute diese Verankerung in einer inzwischen buchstäblich weltweit existierenden Community vertieft.

Democracy. Group Material. New York

1988-89 organisierte die New Yorker Künstlergruppe Group Material auf Einladung der Dia Art Fundation unter dem Titel Democracy eine mehrteilige Veranstaltung darunter eine multithematische Ausstellung. Hier wird das Ausstellen direkt und explizit zum sozialen und diskursiven Raum und zur Öffentlichkeit, die sich ihrer fundamental politischen Rolle bewußt ist.
Es gab vier nichtöffentliche ExpertInnen-Diskussionen, vier Ausstellungen und vier öffentliche Foren, sogenannte town meetings. Die Ausstellungen genügten sich nicht selbst, sondern bildeten für die Debatten Informationsmöglichkeiten und Kontexte zu den vier Hauptthemen Education, Politics and Election, Cultural Partizipation und AIDS and Democracy. Die town meetings fanden in den Ausstellungsräumlichkeiten statt. Das heißt, der Stoff der Ausstellung war unmittelbar auch Stoff der Debatten.


Bemerkenswert scheint mir hier einerseits die Vermischung der Formgelegenheiten, Ausstellung, künstlerische Installation, soziale Intervention, Vermittlung, politischer Intervention. Dann vor allem aber der Umstand, daß hier durchaus in der Tradition des Museums selbst und seiner Genese im Kontext von bürgerlicher Aufklärung und Revolution, ein dezidiert politischer Begriff von Öffentlichkeit ins Spiel gebracht wird. Vergessen wir nicht, daß einer der ältesten Erprobungsräume liberaler Öffentlichkeit die Kunstausstellungen der Königlichen Akademie in Paris war. Museen waren von Anfang Orte der Konstituierung von Gesellschaftlichkeit im Medium diskursiver Öffentlichkeit. Democracy von Group Material zielt direkt ins Herz der politischen Öffentlichkeit, indem Demokratie in demokratischer Form und inhaltlich zum Thema gemacht wird. Democracy zeigt uns, wie man selbstreflexiv an Demokratie arbeiten kann.

Flamme eternelle. Musée d’Art moderne de la Ville de Paris

Heute würde man das Projekt von Group Material vielleicht mit dem in der Theorie des Kuratierens modischen Begriff der contact zone bezeichnen. Damit sind gesellschaftliche Räume gemeint, keineswegs nur museale, in denen AkteurInnen mit unterschiedlichen Positionen und Anliegen aufeinandertreffen und diese miteinander und alltäglich austauschen und sich mit ihnen konfrontieren. Ans Museum richtet sich das wie ein Appell, unterschiedliche Wissensformenen zu verhandeln. Weder werden existierende Machtverhältnisse damit aus der Welt geschafft, noch jene idealtypische Gleichheit aller hergestellt, die im habermasschen Modell bürgerlicher liberaler Öffentlichkeit idealtypisch behauptet wird. Stattdessen ist eine „unebene Reziprozität“ (James Clifford) zwischen Teilnehmerinnen bzw. Gruppen zu erwarten, also auch konfliktträchtiges Aufeinanderprallen von Interessen. Der Idee der contact zone liegt ein radikal-partizipatives Verständnis zugrunde, daß ein Ort unterschiedliche Öffentlichkeiten integrieren kann. Das kann eben auch ein Museum sein, oder eine Ausstellung, an dem Menschen aus freien Stücken und in frei gewählter Form der Kooperation und des Diskurses zusammenkommen.


Als ich vor Jahren unerwartet beim Besuch des Palais de Tokyo in Paris in die Installation flamme eternelle von Thomas Hirschhorn geraten bin, war ich unversehens Teil einer Versammlung um eine Art Lagerfeuer, Hestia, Grillplatz, Ewiges Licht, denn die flamme eternelle loderte tatsächlich und es hatte sich grade ein Cellospieler und im Zuhören versunkene Menschen um sie wie in einem feierlichen Moment unbestimmter Ritualität versammelt.
Während es beim Projekt von Group Material um einen politisch-didaktischen Impuls geht, bei Belichteten Häusern um eine relativ klar umrissene Debatte um Geschichte und Gestalt einer Stadt, bleibt bei einem künstlerisch-politischen Projekt wie flamme eternelle der Inhalt offen. Denn Partizipation macht nur so weit Sinn, als Kuratoren ihre Deutungsmacht, ihre Macht der Auswahl und Ordnung zugunsten anderer aufgeben. Im Grunde ist Partizipation niemals vollständig zu erreichen, denn entweder es bleibt immer ein Rest auktorialer Macht bei einem Kurator oder bei Veranstaltern oder es geht über diesen Punkt hinaus bis zu einer Selbstermächtigung einer Gruppe, die aber dann selbst die Autorschaft übernimmt. Flamme eternelle ist so ein Ort, der sehr weit der Selbstbestimmung seiner Nutzergemeinschaft überlassen wurde. Hier war zwar der Künstler, Thomas Hirschhorn täglich anwesend und in seiner Biografie wird flamme eternelle wie ein Werk angeführt, aber das ist hier ein Rahmen, eine Gelegenheit, ein Ort, der genutzt werden kann, ohne Barriere eines Eintrittsgeldes in der Zeit von 12 Uhr Mittag bis Mitternacht, täglich und der damit auch die museale Institution transformiert, in den er implementiert ist.


Partizipation ist insofern aporetisch, als sie, ernst genommen und konsequent realisiert, sich selbst abschafft. Ich denke, das war das Dilemma, das ich instinktiv bei mehrmaligen Besuch der Ausstellung im Pariser Museum spürte. Im Alltag fühlten sich die Räume nach wenig mehr an als Freizeiträume mit sehr begrenztem Unterhaltungswert. Aber möglicherweise war ja auch das durch das Konzept gedeckt. Und was da alles stattgefunden haben mag, das konnte sich mir als Zufalls-Zuschauer nicht erschließen. Denn es gab Auftritte von über zweihundert Experten, was flamme eternelle auch zu einer Art welcome center für Intellektuelle machte und die Frage aufwirft, ob ein ausdrücklicher Wunsch Hirschhorns in Erfüllung gegangen sein kann, ein nicht exklusives Publikum anzulocken.

63 Jahre danach. Graz 2010ff.

Im Jahr 2008 beauftragte der Steirische Landtag und die Landesregierung Jochen Gerz - ich zitiere - „ ein Gedenkzeichen zum Machtmissbrauch in der NS-Zeit zu entwickeln“. Ein Teil des Projektes war eine 2008 enthüllte und erinnernde Inschrift im Grazer Burgtor. Der zweite, ab 2010 in Graz und einigen steirischen Gemeinden präsente Teil, mit dem Titel 63 Jahre danach, war das Ergebnis eines sorgfältig konzipierten und komplexen Prozesses, in den steirische Politiker und die Bevölkerung einbezogen worden waren.
Am Beginn stand die Bildung einer interdisziplinären Forschungsgruppe aus steirischen Historikern, Kunsthistorikern, Soziologen, Germanisten, die sich auf die Suche nach Fotografien machten, die den Nationalsozialismus in der Steiermark dokumentierten. 96 der ausgewählten Fotografien wurden in der Kleinen Zeitung veröffentlicht und dort kommentiert. Dann wurde die Leserschaft aufgefordert, eine weitere Auswahl zu treffen, in der die Zahl der Fotodokumente auf die Hälfte, 48, reduziert wurde.


Diese Fotos werden nun den Landtagsabgeordneten mit der Bitte um einen persönlichen Text zu jeweils einem Foto vorgelegt. Deren Texte wurden wiederum in der Zeitung publiziert. Daraus wählt wiederum die Leserschaft 24 Beiträge aus und die 24 Plätze in Graz und in steirischen Gemeinden, an denen Texte und Bilder gezeigt werden.
Was komplizierter als eine Dogenwahl klingt, ermöglichte eine einzigartige Verschränkung noch dazu normalerweise gegeneinender abgeschotteter Öffentlichkeiten. „63 Jahre danach“ verschränkt Politik, Medien und Gesellschaft in eine einzige großen Interaktion und es entstehen mehrmals innerhalb des Entstehungsprozesses Räume autonomer Autorschaft. Selbst die Zeitung zieht sich, etwa ein ganzes Jahr lang, auf sachliche Berichterstattung und Dokumentation zurück und wird, zumindest auf Zeit, selbst zum Medium für von ihr nicht kontrollierbarer oder formierbarer Teilöffentlichkeiten. Politiker treten aus ihrer repräsentativen Rolle heraus und artikulieren sich auch als Privatpersonen, die mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen über die Zeitdifferenz von dreiundsechzig Jahren hinweg direkt und indirekt über die aktuelle Bedeutung und Brisanz der subjektiven wie kollektiven Erinnerungen räsonieren. Sie werden damit wiederum zu einem Teil jener Zivilgesellschaft, die in der Leserschaft der Zeitung repräsentiert ist.
Zu den vielen außergewöhnlichen Qualitäten gehörte zum Beispiel auch die Aufmerksamkeit für die Dialektik von Stadt und Land - auf deren brisante gesellschaftspolitische Bedeutung uns eben die Bundespräsidentenwahl noch einmal nachdrücklich hingewiesen hat. Es gab ja Projektstationen in Graz und in einer Handvoll von Gemeinden, wobei es sich zeigte, daß sich einige Gemeinden der Aufstellung verweigerten.
Eine andre Besonderheit: Die Arbeitsgruppe, die eingesetzt wurde, um mit der Auswahl der Fotografien den ersten Schritt ins Projekt hinein zu machen, war interdisziplinär. Obwohl es ein zeitgeschichtliches Projekt war, überließ man es nicht allein der akademischen Geschichtswissenschaft. Ich könnte mir vorstellen, daß man diesen Kreis noch bunter hätte machen können.
Last but not least war auch das Landesmuseum involviert, und zwar als organisatorischer Rahmen, als Instanz der Realisierung in engster Kooperation mit Jochen Gerz. Das Museum trat aber nicht als Mitautor auf, wenngleich Werner Fenz, damals Leiter des dem Joanneum eingegliederten Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, Initiator war, griff nirgends inhaltlich in den Prozess ein und war auch kein räumlicher Gastgeber. Es gab eben keine Museumsausstellung, sondern, wenn man dem überhaupt einen Namen geben will, Interventionen oder Installationen im öffentlichen Raum, die dann jahrelang gezeigt wurden.



IV Nein

Museen sind Orte der Selbstdarstellung und Selbstauslegung von Gesellschaften und Gemeinschaften. In Museen sammeln sich Menschen um Gesammeltes und konstituieren sich dadurch als Publikum. Es geht ums Sammeln und ums Sich-Sammeln. Über Gegenstände und ihre Ausstellung und Ordnung deuten Menschen ihre Herkunft und Zukunft vor allem aber den Grund und den Zweck ihrer Zusammengehörigkeit.
Als Versammlung um eine Sammlung bilden die Beteiligten ein zivilisierendes Ritual, in dem sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischt, in der der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten geprüft und abgewogen wird.
Insofern bildet und bietet das Museum einen Raum liberaler bürgerlicher Öffentlichkeit, mit der das Museum genealogisch verbunden ist und durch das es selbst politisch und demokratisch wird, sofern es aus dem Diskurs niemanden ausschließt und sich die Beteiligten in wechselseitiger Anerkennung begegnen können.
Öffentlich ist das Museum aber vor allem als vom Staat im Interesse der Gesellschaft  eingerichtete, in ihrem Namen treuhänderisch verwaltete und aus Steuermitteln unterhaltene Institution, die, neben vielen anderen, einem Gesellschaftsziel dient. Seit den frühen republikanischen Verfassungen wird dieses Ziel mit allgemeiner und sozialer Wohlfahrt beschrieben.
Eine dritte öffentliche Funktion von Museen besteht in der symbolischen Vergemeinschaftung. Zum ersten Mal an den Museen greifbar, die in der Französischen Revolution gegründet wurden, ist das Museum ein sozialer Ort, nicht weniger als einer der Teilhabe der Bürger am Gründungsakt einer Nation. Sie konstituieren die neue Gesellschaft und reziprok werden sie, die Bürger durch diese Teilhabe zu Staatsbürgern.
Diese Form der Teilhabe steht ab nun, auch als verbrieftes demokratisches Recht, etwa in der Form des Rechtes auf Bildung in der Französischen Verfassung von 1793, jedermann zu und verleiht dem Ritual, mit dem sich Menschen im Museum zum Publikum zusammenfinden, eine bislang nicht denkbare und im Sammelwesen der frühen Neuzeit auch nicht angelegte politische und soziale Bedeutung.
Das Museumsritual ist unter den Bedingungen einer demokratisch verfassten Gesellschaft überdeterminiert. Denn die Frage nach dem Grund der Gesellschaft, nach ihrem Zusammenhalt, zielt einerseits auf eine Antwort die definitiv gültig sein soll. Andrerseits darf der Platz der Macht nie und schon gar nicht auf Dauer besetzt werden. In der Demokratie darf und kann es kein Objekt geben, das den Platz der Macht auf Dauer besetzt. Der geregelte und kontinuierliche Wechsel der Macht ist ein essentielles Strukturmerkmal von Demokratien.
Dazu gehört aber auch die Ahnung, dass es unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint und zusammenhält. Wie immer man es nennen will, Patrimoine, Erbe, Heritage, I beni culturali, dieses Objekt das wir und das Museum vermeintlich besitzen, es entzieht sich uns ständig.
Ein Museum, das dieser Problemlage standhält, muß genau jene Eigenschaften besitzen, die auch angesichts der schwierigen Frage der Darstellbarkeit bzw. Undarstellbarkeit von Geschichte nötig sind. Angesichts der Unmöglichkeit, Identität festzustellen und festzuschreiben, etwa in einer großen nationalen Erzählung, bedarf es einer Reflexivität, die sich nicht nur auf Inhalte richtet, sondern auf das Verfahren.
Anders gesagt, ein Museum, das das Eigenschaftswort demokratisch zu Recht beanspruchen kann, bedarf einer doppelten Reflexivität. Es muß einerseits der Konstruktivität und Kontingenz des Vermittelten jederzeit gewärtig sein und andrerseits der Mechanismen der visuellen Repräsentation im Feld des Politischen. So fällt die Entscheidung, ob und wie weitgehend ein Museum demokratisch ist oder nicht.
Und wenn das Museum, genealogisch und strukturell ein Ort der gesellschaftlichen Selbstauslegung und -deutung ist, dann muß es sich selbst als Ort des Konflikts und des „polarisierenden Umdenkens“ (Jürgen Habermas) ausbilden, dann fungiert es als „agonistische Arena“, wo Demokratie immer wieder neu hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden soll.
Davon ist das vorliegende Konzept nicht nur weit entfernt, es hat im Gegenteil Züge einer paternalistischen, geschichtspolitischen und hegemonialen Intervention, durch die die abgestandene Luft großkoalitionärer Politik weht und in dem keine Funken geschichtstheoretischer, ästhetischer und museologischer Innovation zünden.
Ich habe deshalb keinen Grund, meine Meinung, die ich auf der Tagung im Oktober vorgestellt habe, zu ändern. Damals habe ich gesagt: Ein Museum kann nicht nur von Demokratie sprechen, wie es im Konzept für ein Haus der Geschichte in der Neuen Burg der Fall ist, es muss auch selbst unter demokratischen Bedingungen entstehen und arbeiten.
Deshalb auch heute noch einmal: Ein klares Nein zu diesem Projekt.

Gottfried Fliedl
im August 2016