Dienstag, 28. Dezember 2021

Schweizer Museumspolitik für Anfänger. Das gute Land, die bösen Waffen, das viele Geld, die schöne Kunst

Eben wurde eine vom Architekten David Chipperfield geplante Erweiterung des Kunsthauses in Zürich eröffnet. Gezeigt wird dort neben anderen privaten Sammlungen und Beständen des Museums die sogenannte Sammlung Bührle. Bührle war ein "erfolgreicher" Industrieller, der es mit Waffenhandel zu großem Reichtum brachte - und mit seiner Kunstsammlung zu Ansehen. 

So würdigt man einen großen Sohn, ungeachtet des Umstandes, daß seine Geschäfte extrem fragwürdig waren (vor allem die Belieferung des Dritten Reichs), er politisch-ideologisch am äußersten rechten Rand angesiedelt war und großen persönlichen und in Hinsicht auf den öffentlichen Status des Museums fragwürdigen Einfluß auf das Kunsthaus, seine Baupolitik und die Museums- Sammlung nahm.

Die eigene Sammlung mehrte er auch aus arisierten Beständen und aus sogenanntem Fluchtgut, d.h., Objekten, die jüdischen Eigentümern abgepresst wurden im Tauch z.B. für Ausreisemöglichkeiten. Dieser Bestand an Raubgut gilt als - noch von Bührle selbst - restituiert, wobei Bührle einige Bilder zurückkaufte.


Es gab schon mal Ärger mit der Bührle-Sammlung, die als Stiftung unabhängig ist und Teile der Sammlung nun an das Kunsthaus ausgeliehen hat. Nun aber eskaliert der Zoff. Es wird bestritten, daß die Restitutionsforschung ausreichend gewesen sei, es werden Vorwürfe erhoben, daß die Stiftung historische Forschung behindert habe und es werden Fragen gestellt, warum jemandem mit der Biografie eines Bührle die auch aus Steuergeldern finanzierte Ehre eines Museumsbaues erwiesen wird.

Der Streit wird sowohl vom Kunsthaus selbst als auch von der Stiftung durchaus offensiv geführt. Die Restitutionsforschung sei abgeschlossen, es gibt keinen Grund zu Nachforschungen und wenn die Kritik anhalte, werde man sich überlegen, die Sammlung abzuziehen.

Im im Inneren von großer Geste geprägten Bau wird die Sammlung gewissermaßen übercodiert präsentiert: auf jedem, wirklich jedem Bilderrahmen, ist ein Schildchen befestigt "Sammlung Bührle". Die Texte, die man via Code abrufen kann, würdigen Bührle als umsichtig und kunsthistorisch kenntnisreich agierenden Sammler (vor allem französisch-impressionistischer Kunst, die offenbar der Goldstandard einer bestimmten Sammlerklientel ist). Erstaunlicherweise nutzt man das technische Potential überhaupt nicht für sachliche Information zu den Werken. Allerdings gibt es detaillierte Auskunft zur Provenienz, wie Kritiker bemängeln das aber lückenhaft.

Unter dem Druck der öffentlichen Debatte hat das Kunsthaus einen Informationsraum eingerichtet. Texte und Fotografien dokumentieren den Lebensweg Bühles durchaus umfangreich, allerdings wird er als humanistisch orientierter Sammler stilisiert, der verantwortungsvoll und zum Vorteil des Museums und der Stadt wie des Landes agiert habe. Bühles Motiv für den Umgang mit seiner Sammlung, nämlich dadurch Zugang zur "besseren Gesellschaft" zu erhalten, geht in gewisser Weise hier auf. Mag ein Waffengeschäft auch etwas anrüchiges sein, Lebenslauf und Kunstbeflissenheit sollen uns die Sublimierung der politisch-historischen Bedingungen erlauben.

Das scheint aber nicht ganz zu funktionieren. Die jüngste Pressekonferenz der Stiftung ließ selbst die der Stiftung und dem Museum gewogene und konservative Neue Zürcher Zeitung nach Fassung ringen und die Wochenzeitung schrieb als Reaktion unter anderem zusammenfassend: "Das grösste Kunstmuseum der neutralen Schweiz – es würde ohne Krieg und Vertreibung nicht existieren. 

Aufsehen erregten vor allem die Äußerungen des Stiftungspräsidenten und Anwalts Alexander Jolles. Die Wochenzeitung fasste das so zusammen: "In stupender Offenheit, mit geschichtsrevisionistischen und – wie auch das jüdische Wochenmagazin «Tachles» findet – antisemitischen Untertönen fegte er alle Vorwürfe bezüglich der ungeklärten Provenienzen vom Tisch. Raubkunst, Fluchtgut oder NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust: Das seien bloss von Historikern in die Welt gesetzte Begriffe. Mit juristischen Fakten hätten sie nichts zu tun. Wer als Jüdin oder Jude vor deutscher Verfolgung in die Schweiz fliehen konnte, habe hier ungestört Handel treiben, seinen Geschäften nachgehen können. Täter und Opfer, die gebe es heute nicht mehr: Denn Opfer stünden ihnen – Jolles meinte wohl das Kunsthaus und die Bührle-Stiftung – heute keine mehr gegenüber, sondern US-amerikanische Trusts oder «sehr entfernte Verwandte". 

Jetzt ist die Politik am Zug, vor allem die Stadt und der Kanton. Und man fragt sich: Wie wird sie angesichts der Zwickmühle, in der sie steckt, reagieren?

P.S.: So unterschiedlich beide Museumsprojekte sind, eines haben Zürcher Kunsthaus und Humboldt-Forum gemeinsam. Sie werden von einer Debatte eingeholt und permanent in Frage gestellt, in der etwas ganz Grundsätzliches sichtbar wird - und irgendwann auch entschieden werden muss. Soll und darf man Museen als Sublimation-Agenturen betreiben, die die gewaltförmigen Grundlagen ihrer Existenz verschleiern?

Man wird sehen.

Tut sich was? (Sokratische Frage 71)

Gibt es so etwas wie „Entwicklung“, was Museen betrifft.

Sicher.

Nur: worin besteht die? Und entwickelt sich etwas zum Besseren?

Montag, 27. Dezember 2021

Museale (Selbst)Infantilisierung. Hansifüttern am Schlossberg

 Hansifüttern am Schlossberg💕 Wie viele und zutrauliche Eichhörnchen es am Schlossberg in den 1950ern gab, sieht man in dieser wunderschönen Bilderserie von einem Winterspaziergang in den späten 1950ern. Vielleicht ist euch bereits bekannt, dass die Grazer Eichhörnchen der Grünräume und Parks seit jeher alle Hansi genannt und auch so gerufen werden.

Das verdanken wir dem GrazMuseum…



Womit uns Museen wirklich glücklich machen






















Seit letztem Sommer zeigen wir in Schloss Karlsruhe wieder ein absolutes Highlight: den neu präsentierten Thronsaal! Der imposante Thron wurde nach historischem Vorbild in Szene gesetzt und vermittelt beim Besuch den Eindruck einer Audienz mit den Großherzögen von Baden. Dafür wurden Thron und Baldachin aufwendig restauriert. Sogar Wandverkleidung und Boden sind dem Zustand von 1855 nachempfunden, um einen authentischen Einblick in die Vergangenheit zu schaffen.

Dienstag, 23. November 2021

Bauersfrau, auf dem Kopf einen Korb tragend oder Liegt die Zukunft des Museums in seiner Digitalisierung

 

Meret Oppenheim: Bauersfrau, einen Korb auf dem Kopf tragend

Informationstext zum Digitalisierungsprojekt

Die Helvetia-Versicherung wirbt im Kunstmuseum Bern für ihr Digitalisierungsprojekt, hier der "Handschuh" von Meret Oppenheim
Alle Fotos Gottfried Fliedl 2021


Montag, 22. November 2021

Erstes Deutsches Kloßpressmuseum (Ein Museum)

Erstes Deutsche Kloßpressenmuseum: Anhand von zahlreichen authentischen Exponaten wie Holzpressen und alten Rezepten erhält man einen kulturhistorischen Crashkurs zum Nationalgericht der Thüringer, den Thüringer Klößen. Auf Wunsch können Gruppen ab 8 Personen einen Kloßkochkurs buchen. 

Ort: Großbreitenbach (Thüringen)



Sonntag, 21. November 2021

Corona und die Folgen: Panikkonsumismus

 

Das Arbeiten mit Versäumnisangst findet sich im Kultur- und Museumsbereich bislang nur in Form von dringender Verlautbarung von Ausstellungen, die man keinesfalls versäumen sollte, weil man so etwas nie wieder sehen werde. Neu ist die Anwendung dieses Prinzips auf den Museumskonsum, resp. den Shop. Kaufen Sie, so lange sie noch können und dürfen. 

"Gruß aus Wien" (Texte im Museum 1031)

 

"Vivian Suter". Ausstellung Kunstmuseum Luzern. Hirsche 1972

Was ist Restitution und was ein Restitutionsfall (Texte im Museum 1030)

 

Kunstmuseum Luzern. 2021. Foto: GF

Partizipation Restitutionsforschung... (Texte im Museum 1029)

 

Hodlers Holzfäller. Die Schweizer Erfolgsserie Kunstmuseum Luzern 2021. Foto: GF

Im Dschungel (Im Museum sitzen)

 

Ausstellung "Vivian Guter" Kunstmuseum Luzern. Foto: GF 2021

Ein Museum denkt über sich nach (Texte im Museum 1028)

 

Kunstmuseum Luzern 2021 Foto: GF

Samstag, 20. November 2021

Soziomuseologie. Veranstaltung

Sociomuseology – Museen machen Gesellschaftspolitik!

Dienstag, 30 November, 10:30-12:00 Uhr MEZ via ZOOM


Was ist Sociomuseology? Was sind ihre Möglichkeiten? Wo und wie hat sich diese museologische Richtung entwickelt? Würzburger Studierende diskutieren mit Prof. Dr. Mario Moutinho und Moana Souto MA (Universidade Lusófona de Humanidades e Tecnologias, Lissabon), um zu verstehen, wie Museen Gesellschaftspolitik machen und eine Plattform für Aktivismus und Protest bieten. Daneben wird Ole Joerss aus dem Museu da Maré in Brasilien berichten. Alle Teilnehmenden sind eingeladen, sich über die gesellschaftspolitische Wirkkraft von Museen auszutauschen. Diese Online-Veranstaltung findet am Dienstag, 30. November 2021, in deutscher und englischer Sprache im Rahmen der Reihe „Making Museums Matter“ statt und wird von der Professur für Museologie der Universität Würzburg gestaltet.

Gäste: Prof. Dr. Mario Moutinho, Moana Soto MA (Universidade Lusófona de Humanidades e Tecnologias, Lissabon), Ole Joerss (Museu da Maré in Brasilien) Team: Simon Bosch, Guido Fackler, Violetta Grümpel, Maria Magdalena Neu, Johanna Rieger, Jana Sierig, Luisa Wesch

Anmeldung unter:

https://uni-wuerzburg.zoom.us/meeting/register/tJMkcuyvrDkuGdORSMZWAad2drprLdh4vRMM


Sociomuseology – Museums make public policies!

Tuesday, 30 November, 10.30 – 12.00 MET via ZOOM

What is Sociomuseology? What are the possibilities of these practices? Where and how did this school of thought develop? Join the conversation between Prof. Dr. Mario Moutinho with Moana Souto MA (Universidade Lusófona de Humanidades e Tecnologias, Lisbon) and students of Würzburg to explore how we can engage in the development of public policies, activism and protest in the field of museums. Ole Joerss will be reporting from the Museu da Maré in Brazil. All participants are invited to discuss the topic and reflect on the role of museums in the process of creating public policies. This online event will take place in German and English on Tuesday, 30 November 2021, organised as part of the „Making Museums Matter“ series by the Professorship of Museology at the University of Würzburg.

Guests: Prof. Dr. Mario Moutinho, Moana Souto MA (Universidade Lusófona de Humanidades e Tecnologias, Lissabon), Ole Joerss (Museu da Maré in Brasilien)

Team: Simon Bosch, Guido Fackler, Violetta Grümpel, Maria Magdalena Neu, Johanna Rieger, Jana Sierig, LuisaWesch

Registration under:

https://uni-wuerzburg.zoom.us/meeting/register/tJMkcuyvrDkuGdORSMZWAad2drprLdh4vRMM