Samstag, 21. November 2020

Mit James Bond im Museum

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bietet ihren Kulturfabriken Lesern Überbrückungshilfe in Zeiten der Coronakrise an - eine Serie unter dem Titel „Meine liebste Ausstellung“. Der redaktionelle Begleittext zur lesenswerten Serie ist ein einziges Playdoyer für die Erfahrung des originalen Kunstwerkes im Museum. Mit James Bind als Kronzeugen.


Wer Bond sagt, denkt zu allererst an Verfolgungsjagden und Gekuschel in Hotelbetten, an raffiniertes Waffenzubehör und Martinis in den berühmtesten Bars der Welt. Eine der schönsten Szenen aller James-Bond-Filme allerdings spielt im Museum, in „Skyfall“ – vor einem Original in Londons National Gallery: dem Gemälde „The Fighting Temeraire“ von William Turner, auf dem das alte Holzschiff von einem modernen Dampfschlepper zum Abwracken bugsiert wird. Q und Bond sitzen davor, und Q sagt zu dem noch etwas derangierten und eben erst wieder in Dienst gestellten Agenten: „Welche Melancholie! Ein großes altes Schlachtschiff, auf dem Weg zur Verschrottung. Die Unvermeidbarkeit der Zeit, finden Sie nicht? Was sehen Sie, Bond?“ Er: „Ein Schiff. Und noch ein Schiff.“ Obwohl der nach Bonds Meinung zu junge Quartiermeister computeraffin ist, hätte die Szene vor einem digital eingespielten Bild nicht die Hälfte ihrer Wirkung entfaltet. Trotz großem Einsatz hat bislang keine digitale Präsentation von Museumsbeständen verfangen. Kunstwerke müssen in ihrer körperlichen Präsenz gefühlt werden, denn ja: Gemälde etwa bilden mit ihrer organischen Leinwand und dem Holzrahmen einen physischen Gegen- und Widerstand aus. Wir müssen vor ihnen stehen, ihre Abmessungen wahrnehmen und vor allem mit den Augen über ihre Oberflächen wandern und auf den Farbreliefs eine Berg- und Talfahrt vollführen. All diese unmittelbaren Reize können uns nur Originale verschaffen, und so ersehnen wir die Wiedereröffnung der Museen herbei.

Montag, 2. November 2020

Wie man intelligent Fragen stellt (Texte im Museum 973)

Aus der Ausstellung "Geburtskultur" des Frauenmuseum Hittisau. Foto GF 2020

 

"Geburtskultur". Das Frauenmuseum in Hittisau feiert sein 20-jähriges Jubiläum

Das Frauenmuseum Hittisau nimmt sich unter dem Titel „Geburtskultur“ derzeit eines Themas an, dessen Bedeutung mit einem einzigen Satz in der Ausstellung deutlich wird und der sinngemäß lautet: wir alle haben zwei Dinge gemeinsam - daß wir sterblich sind und daß wir geboren worden sind.

In mehreren Abschnitten nimmt sich die Ausstellung dieser Universalität des Themas an, kulturgeschichtliche, soziologische, künstlerische, medizinische und andere Diskurse um Gebären und Geborenwerden werden geführt, mit sorgfältig verfassten und klug hinsichtlich ihres Informationsgehaltes gestaffelten Texten und mit sehr vielen Objekten. Beeindruckend sind die einerseits sehr knappen andrerseits ein Thema in seiner Fülle absteckenden Einführungstexte aber auch der enorme Gestaltungstreichtum der diversen Textsorten.



Es gibt zwei Qualitäten, die die Ausstellungen des Frauenmuseums immer auszeichnen: die Verschränkung mit aktuellen Fragen und Problemen - nie agiert man nur in der historischen Perspektive allein - und das Ausmaß der Beteiligung Betroffener und Kompetenter.

Die Aktualität der Ausstellung wird einem wiederum an nur zwei Fakten sofort klar: es gibt in ganz Vorarlberg nur noch eine einzige Hebamme und von den einst existierenden Geburtshäusern existiert keines mehr. Ein Gespräch mit einer jungen Frau, die mit ihren drei noch sehr kleinen Töchtern gerade die Ausstellung zu besichtigen beginnt und mit der Ich und meine Begleiterin ins Gespräch kommen, macht klar, welche Transformation in der „Geburtskultur“ stattgefunden hat und welche Wünsche jemand hat, der sich eine andere, vielfältigere, auf Bedürfnisse und Wünsche von Frauen und Eltern eingehende Kultur wünscht.


Und: Ausstellung wie diese werden sorgfältig vorbereitet, unter Beteiligung aller, die Expertinnen sind, ein Wort, das hier nicht bloß institutionelle Expertise meint, sondern alle einschließt, die aus ihrer Betroffenheit heraus agieren und sich engagieren wollen und die Erfahrungen beisteuern können.

Wie schon seit Gründung des Museums korrespondiert diese Inklusion mit der Organisationsstruktur des Museums. Es gibt zwar formell eine Leitung, aber die gesamte Arbeit des Museums wird gemeinsam getragen, von einer Gruppe von Frauen, die sich aus unterschiedlichsten Lebenssituationen heraus engagieren.


Jetzt, wo das Museum seinen 20. Geburtstag feiert, feiert man auch sich selbst, diese große Anzahl von Mitarbeiterinnen, die seit Beginn an der Entwicklung und der Arbeit des Museums beteiligt waren und sind.

Was oft theoretisch gefordert wird, aber praktisch kaum realisiert wird, hier gehört es zur Philosophie und Praxis des Museums: Inklusion, Beteiligung, flache organisatorische Hierarchie, Wahrnehmung von Problemen, gesellschaftliches Engagement.

Das Frauenmuseum in Hittisau ist innerhalb der österreichischen Museumslandschaft ein einzigartiger Ort. Und den Besuch der Ausstellung, das dürfte schon klar geworden sein, kann ich nur herzlich und nachdrücklich empfehlen. (Sobald das Coronaregime sich wieder gelockert hat).


 


Sonntag, 1. November 2020