Montag, 11. November 2019

Kontroverse um eine neue Definition für "Museum" von ICOM

Aktuelle Version der Museumsdefinition
"A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment."

Vorschlag für eine neue Museumsdefinition
"Museums are democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures. Acknowledging and addressing the conflicts and challenges of the present, they hold artefacts and specimens in trust for society, safeguard diverse memories for future generations and guarantee equal rights and equal access to heritage for all people. Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world, aiming to contribute to human dignity and social justice, global equality and planetary wellbeing."

Wencke Maderbacher schreibt dazu auf der ICOM Österreich-Webseite zur Tagung in Kyoto, wo diese Definition vorgestellt wurde:

"In vielen Diskussionen und Paneels wurde darüber diskutiert, dass der Entwurf für die neue Museumsdefinition mehr einem Mission Statement, als nach einer Definition, einer Beschreibung, anmutet. Sollen dann Museen, die nicht polyphon arbeiten, künftig keine Museen mehr sein? Öffnet diese Formulierung der Politik Tür und Tor taktische Wirtschaftsprojekte unter dem Deckmantel der Museumsförderung zu unterstützen? Oder andersherum, werden Museen, die dieser Definition nicht entsprechen, künftig öffentliche Förderungen untersagt? Die Argumente wurden durchaus emotional hervorgebracht und Klischees bedient, um Stimmung zu machen. Wem nützt die alte Version, wem die neue? Ist man rückschrittlich, wenn man gegen die neue Definition stimmt?

Sowohl ICOM Österreich als auch CECA International sprechen sich stark gegen den Vorschlag aus, der aktuell vorliegt. Für CECA ist es unvereinbar, dass die Kulturvermittlung aus der Definition gestrichen wird. Zwar ist man in Österreich und der Schweiz längst vom Begriff der Museumspädagogik (Education) zur Vermittlung gegangen, was man gut ins Englische mit Learning bzw. Cultural Interaction übertragen kann. Education ersatzlos zu streichen ist hingegen ein Zeichen in die falsche Richtung. Denn gerade die Kulturvermittlung war eine der ersten Disziplinen innerhalb der Institution Museum, die sich besonders intensiv für Inklusion und die Mitsprache der Gemeinschaft im Museum eingesetzt hat. Sie nun zu streichen oder für selbstverständlich zu erachten wäre Hohn."

Auch ICOM Deutschland stellt sich gegen die vorgeschlagene Definition. Allerdings läuft eine Petition, die sich für die vorgeschlagene Änderung einsetzt: Hier der Link.

Stellungnahme von ICOM Deutschland zur neuen Museumsdefinition:
Bei der Generalversammlung 2019 von ICOM in Kyoto stand die Neufassung der ICOM-Definition von "Museum" auf der Tagesordnung. Alle Mitglieder von ICOM waren eingeladen, Formulierungsvorschläge online einzureichen; es wurden auch Vorschläge aus Deutschland gemacht. Das Beratungsergebnis des beauftragten ICOM Komitees hat das Executive Board von ICOM passiert und steht nun online zur Verfügung.
Der Vorstand von ICOM Deutschland hat darauf umgehend mit einem Memorandum reagiert, weil nach unserem Eindruck der Beschlussvorschlag zwar zahlreiche Formulierungen im Sinne eines Mission Statements für das 21. Jahrhundert enthält, aber grundlegende, seit Jahrzehnten unveränderte definitorische Elemente gestrichen wurden. Dazu gehört zum Beispiel, dass Museen auf Dauer angelegte Institutionen sein müssen.
Deswegen ist ICOM Deutschland auch einem von ICOM Europe initiierten Antrag beigetreten, den Beschluss über eine Änderung der Museumsdefinition um wenigstens ein Jahr aufzuschieben.


Hier begründet ICOM selbst die Ausarbeitung einer neuen Definition:

Creating a new museum definition – the backbone of ICOM The need of a new museum definition

Over recent decades museums have radically transformed, adjusted and re-invented their principles, policies and practices, to the point where the ICOM museum definition no longer seems to reflect the challenges and manifold visions and responsibilities. We invited members and other interested parties to take part in creating a new, more current definition. New proposals were published here on a continuous basis.

Following the processes of active listening, collecting and collating alternative definitions through its standing committee on Museum Definition, Prospects and Potentials (MDPP), the Executive Board of ICOM, at its 139th session in Paris on 21-22 July 2019 reached the following decision.
The Executive Board selected the below as a new alternative museum definition for a vote to be included in the ICOM Statutes instead of the current museum definition at ICOM’s next Extraordinary General Assembly (EGA), which will take place on 7 September 2019, from 9:30 to 10:30 a.m. at the Kyoto International Conference Center (ICC Kyoto) in Kyoto, Japan:
Museums are democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures. Acknowledging and addressing the conflicts and challenges of the present, they hold artefacts and specimens in trust for society, safeguard diverse memories for future generations and guarantee equal rights and equal access to heritage for all people.
Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world, aiming to contribute to human dignity and social justice, global equality and planetary wellbeing.

Freitag, 1. November 2019

Machtmißbrauch (Sokratische Fragen 46)

55 Prozent der MitarbeiterInnen des deutschsprachigen Theaterbetriebs geben an, an ihrem Arbeitsplatz unmittelbaren Machtmissbrauch erfahren zu haben, meldet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung und sieht das Problem auch darin, dass sich Intendanten als "von der Politik installierte Machthaber im Namen der Kunstfreiheit auf Kosten anderer verwirklichen" dürfen.
Frage: Gibt es vergleichbare Untersuchungen und Zahlen für Museen? Verwirklichen sich nicht auch hier Direktoren, Manager, Kuratoren auf Kosten anderer?

Sonntag, 20. Oktober 2019

Abweichende Meinung. Mal etwas zum "Eklat" Peter Handkes als Symptom des Zustandes der Kulturberichterstattung

Daß sich die Printmedien unter dem Druck der Digitalisierung rasant verändern ist nicht neu und es gibt jede Menge von Analysen dazu. Wenn mir in den letzten Monaten vermehrt aufgefallen ist, wie dünn und ausgelaugt gerade die Kulturberichterstattung daherkommt, die ohnehin ein Stiefkind selbst in den „Qualitätsmedien“ ist, dann bin ich der Entwicklung also ohnehin schon hinterher.
Es gab zwei aufeinanderfolgende, ganz und gar miteinander nicht verbundene Ereignisse, die mich jetzt veranlassen etwa (nur wenig) als Unzuständiger dazu anzumerken. Das eine Ereignis ist die mißratene Regelung der Leitung des Kunsthistorischen Museums, wo es nirgendwo über sehr schlichte Personalisierung hinausging. Und das andere, die Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke, der zahllose Artikel nach sich zog.

Aus zwei Gründen mache ich kleine Anmerkungen: die Entwicklung scheint irreversibel. Zeitungen haben nicht mehr das ökonomische Standing um Journalisten für aufwändiges Recherchieren und Schreiben einzusetzen. Aber es gibt immer noch genug Quellen, wo man sich seriös und genau informieren kann, aber das sind dann entweder spezialisierte Medien oder/und private, zivilgesellschaftliche. Und zweitens sind die LeserInnen offenbar mündiger als man denkt. Als der Standard einige Tage nach dem sogenannten Eklat anläßlich des Besuchs Handkes in Griffen jemanden entsandte, der dort im Kaffeesud auf Spurenlese ging (lesenswert am hier verlinkten Artikel sind die Leserreaktionen), war die Reaktion (abgesehen vom immer in den Leserforen geübten Blödeleien, Schimpfereien und Polemiken) massiv kritisch gegenüber dem Artikel aber auch konstruktiv im schwarmintelligenten Zusammentragen von brauchbarer Information.

Ich gebe diese Infos um einige selbst recherchierte weiter, im Sinne von: je primitiver die Medien, desto intelligenter die Leser....

Von Christoph Deupmann kann man in einem Heft der Zeithistorischen Forschung (Heft 1/2008) sehr viel über den geschichtlichen Kontext von Handkes umstrittenen Äußerungen erfahren, aber auch, wie kompliziert und unauflöslich widersprüchlich Handkes Vermischung von politischer Haltung und ästhetischer Praxis ist. (Link)

Henrik Petersen hat im SPIEGEL sehr ausführlich den Standpunkt der Schwedischen Akademie dargestellt, der der Verleihung des Nobelpreises zugrundeliegt, ohne dessen unakzeptablen politischen Positionen außer Acht zu lassen. (Link)

Der dritte lesenswerte Text stammt von Peter Struck und ist in der FURCHE erschien. (Link)

Bemerkenswert war auch der Beitrag von Sigrid Löfller im FALTER der vergangenen Woche, der ist aber nicht online verfügbar.

Sunday (Entrée 167)


Entrée 166


Kontroverse (Texte im Museum 956)

Als Bill Cosby sexueller Übergriffe beschuldigt wurde, verlangten vIele, daß sein Porträt aus dem national Museum of African American entfernt würde. Hier die auf der Webseite des Museums veröffentlichte Begründung, warum man diesem Verlangen nicht nachkommen werde. - In den USA werden Museen wegen ihrer Texte des öfteren angegriffen, es wird deren Entfernung oder Änderung verlangt. Siehe Anna Landis in ArtNews: Wall Talk: Do We Even Need Museum Wall Labels.

Anatomie einer Objektbeschriftung (Texte im Museum 955)


Please.... (Texte im Museum 954)


Auch eine Museumsdefinition

Täuscht euch nicht, Mitbürger, das Museum ist keine oberflächliche Ansammlung von Luxusgegenständen oder Frivolitäten, die nur der Befriedigung der Neugier dienen sollen. Es muß eine Ehrfurcht bietende Schule werden. Die Lehrer werden ihre jungen Schüler hinführen; der Vater seinen Sohn. Der Jüngling wird beim Anblick der Werke des Genies in sich das Gebiet der Kunst oder Wissenschaft lebendig werden fühlen, zudem ihn die Natur berufen hat. Gesetzgeber, es ist Zeit, die Unwissenheit in ihrem Amoklauf aufzuhalten, bindet ihr die Hände, rettet das Museum, rettet die Werke, die ein Hauch vernichten kann und die die geizige Natur vielleicht nie wieder hervorbringen wird." 

2. Bericht über die Notwendigkeit der Auflösung der Museumskommission. Vorgetragen von (Jacques Louis) David, Abgeordneter des Departements Paris, in der Sitzung vom 27. Nivôse des Jahres II der Französischen Republik (16.1.1794).