Dienstag, 15. Juni 2021
Nur ein Boot. Kolonialer Kulturraub an einem Beispiel (Eine Mikroausstellung)
Samstag, 1. Januar 2011
Das Trennungsmuseum
Eine ästhetisch wie funktionell ansprechende und professionelle Webseite gibt einem nicht nur die nötigen Informationen und eine Vorstellung vom Museum sondern öffnet verschiedene Wege sich zu beteiligen, mit dem Überlassen von 'Trennungsobjekten', dem Schreiben von e-mails, dem Zuschicken von Fotos.
Last but not least kann man sich (alle?) Ausstellungsobjekte anschauen - mit den 'anhängenden' Trennungsgeschichten. Eine Axt etwa diente einem Berliner, die Möbel der Frau, die ihn verlassen hatte, zu Kleinholz zu machen: Als sie die Möbel abholen wollte, hatte ich alles fein säuberlich zu Haufen arrangiert. Sie nahm sie mit und wir trennten uns im Guten.
Gefällt mir sehr, eine schöne Idee, die intelligent mit dem Status von Museumsobjekten umgeht, die ja immer so etwas wie Lebensspuren hinter sich herziehen.
Möglicherweise kommt ja bald ein zweites Museum, mit einer verwandten Idee. Orhan Pamuk, der türkische Nobelpreisträger, arbeitet ja schon länger an einem 'Museum der Unschuld', dessen ihm zugrundeliegende Trennungsgeschichte Thema des gleichnamigen Buchs ist, das Pamuk selbst als 'Katalog' des kommenden Museums bezeichnet.
Wer Pamuks Buch lesen will, der sei gewarnt. Ich habe viele Freunde, die die Lektüre aufgegeben haben. Es gibt da eine Entwicklung einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte über die Trennung zu einem sprachlosen Nebeneinander, das der 'Held' der Geschichte herbeiführt, indem er regelmäßig die Verwandten seiner Geliebten besucht. Tag um Tag, Stunde um Stunde sitzt er vorm Fernseher und sonst passiert nichts. Außer daß er manisch alles aufliest (oder auch klaut) was an Dingen mit seiner Geliebten in Verbindung zu bringen ist. Das geht so an die oder mehr als 200 Seiten, und an der langen Passage des Buchs, wäre ich auch fast gekentert. So etwas quälend Leeres und Langsames hatte ich noch selten gelesen. Aber aus dieser Aufsammlung, die der etwas Irre da zusammenliest, entsteht das 'Museum der Unschuld'.
Das dann 2010, als Istanbul Kulturhauptstadt war, schon hätte eröffnen sollen, aber wegen Querelen um die Subvention noch nicht eröffnet wurde.
Montag, 8. Dezember 2014
Kriterien für ein neuartiges Museumsranking
Spielregeln: Man denke von dem Land aus, in dem man wohnt (Australier nehmen Europa, s.u.) und versuche ein Museum oder mehrere zu den jeweiligen Anforderungen zu finden.
Ein Museum, für das ein befreundetes, an innovativen Museen interessiertes Ehepaar die teure und weite Reise von Australien nach Europa auf sich nimmt.
Ein Museum, in dem sie ein Zwillingspaar (eineiig, twitteraffin, spätpubertär) zwei Stunden lang von ihren iPhones ablenken können.
Ein Museum, das an einem Wochenendtag einer Drei-Generationen-Familie (12-köpfig) Spaß machen würde.
Ein Museum, in das sie selbst gehen würden, selbst dann, wenn freundliches, sommerliches Badewetter herrschte.
Ein Museum, das eine patriotische Lehrerin (man denke etwa an Gabi Teichert in Alexander Kluges "Patriotin") als geschichtsarchäologisches Feld der subversiven Erforschung der Landesgeschichte nutzen könnte.
Ein Museum, das ein Attac-Betriebsausflug mit dem Gefühl verläßt, etwas dazugelernt zu haben.
Ein Museum, dessen Besuch erfreulich verläuft, obwohl es verkehrstechnisch sehr ungünstig liegt, das Wegleitsystem sehr mangelhaft, das Gebäude abweisend, das Personal schlecht gelaunt ist und zu allem Überfluss die Preise überhöht sind.
Ein Museum, von dem sie beschließen, es unbedingt noch in derselben Woche zu besuchen, obwohl sie es mit Rücksichtnahme auf desinteressierte Begleitung nur eine knappe dreiviertel Stunde sehen konnten.
Ein Museum, von dem sie ziemlich sicher sind, daß sie Freunde, die sie hinschicken, ihnen noch Jahre später von ihrem Besuch erzählen werden.
Ein Museum, für dessen Besuch sich der Schriftsteler und Schöpfer des "Museums der Unschuld", Orhan Pamuk, der viel Inspiration aus europäischen Museen für sein Museum gezogen hat, anschließend sehr herzlich bedankt.
Ein Museum, das einen Museologen dazu inspirierten würde, sofort einen gutgelaunten Beitrag für seinen Blog zu schreiben.
Ein Museum, in dem eine Gruppe politisch aktiver Feministinnen nicht wuterfüllt gegen die Wände treten würden.
Ein Museum, das für wenigstens kurze Zeit einer Gruppe älterer Menschen, die einen Ausflug aus ihrem Heim gestattet bekommen haben, ihre kleinen und nicht so kleinen Gebrechen vergessen läßt.
Ein Museum, dessen kostenlosen und geführten Besuch sie als Preis für einen Kochwettbewerb von Bäurinnen ausloben könnten.
Ein Museum, das weder von ICOM Österreich noch vom Österreichischen Museumsbund eine Museumsplakette erhalten würde, dennoch aber viele Besucher erfreut.
Ein Museum, in dem eine Gruppe eines Volkshochschulkurses vergisst, daß sie anschließend eigentlich noch Töpfern wollten.
Ein Museum, das dreieinhalb Stunden so vergnüglich ist wie Stefan Herheims „Xerxes“-Inszenierung an der Grazer Oper.
Ein Museum, das drei befreundete türkische Mittelschülerinnen (17) bei knappem Taschengeld ausnahmsweise einem Discobesuch vorziehen würden.
Ein Museum, durch das eine Gruppe von vierzig männlichen Mitarbeitern des mittleren Managements einer Großbank geführt werden ohne daß es später am Pissoir zu blöden Sprüchen über den Museumsbesuch kommen würde.
Ein Museum, das Durchreisende bei einem insgesamt eindreiviertel Stunden dauernden Aufenthalt in einer Mittelstadt zufällig und weil ihnen nichts besseres einfällt, aufsuchen und darüber den Anschlusszug versäumen.
Wird fortgesetzt
Neue Kriterien werden gerne entgegengenommen
Montag, 22. Februar 2021
Das Mmuseumm in New York (Aus der Serie "Ein Museum")
Das Mmuseumm wurde 2012 gegründet. Es nennt sich gelegentlich das kleinste Museum der Welt. Denn es entstand in einem Lastenaufzug in Manhattan, wenige Quadratmeter groß. Seine Besonderheit liegt aber nicht im winzigen Ausmaß, sondern in der Auswahl der Objekte und im Konzept, wie diese Objekte vermitteln sollen.
Nämlich was und wie?
„For such a small space, Mmuseumm packs in quite a bit. New collections on display include objects from knockoffs of American fast-food brands from Iran; a number of Trump products; and group of “Personal Items of Immigration,” found in the desert at the Arizona-Mexico border. Down the block, in a separate but similarly modest space, is a remarkable-looking stand-alone display: a “Future Aleppo” model made of wood, paper, and other objects by a 14-year-old Syrian named Mohammed Qutaish, who plans to be an architect some day.“
Es können aber auch Kleidungsstücke der Großmutter des Museumsgründers Alex Kalman, ausgestellt sein, oder Objects carried by people of color in the US when they were shot and killed by police, oder Verpackungen von Waren, deren Herstellung Sklavenarbeit benötigt. Und dann all die Dinge, die von Sicherheitsbehörden mal für Bomben gehalten wurden, aber zum Glück keine waren: ein ausgestopftes Spielzeugpferdchen, eine Box mit einem elektrischen Nasenhaartrimmer. In all der Unschuld, die sie im Moment der Kontrolle kurzzeitig verloren. Wir lernen: Es ist der Kontext der Zeiten, die den Dingen ihre Bedeutung verleiht.“
„I mean that several of the object-groups speak directly to current events. But I do not mean that they do so in some kind of material-culture equivalent to the opportunistic “hot take” style so popular in the media of the moment. While the hot take merely capitalizes on and ricochets off the news wihthout adding much of use, these (and some other) object collections in the new Mmuseumm season do something like the opposite: They both deepen and complicate the current moment. They certainly don’t tell us what to think. But they absolutely do tell us that thinking is what we should do.“
Und was ist das für ein Museum und wo findet es sich?
„Man muss die winzige Cortlandt Alley, versteckt hinter dem unteren Broadway, erst einmal finden. Dort, wo in den Fernsehserien typischerweise der Schlägertrupp wartet oder die Leiche liegt, ist ein einladendes Licht. Hell scheint es aus einem Lastenfahrstuhl, dessen Türen an den Wochenenden von 12 bis 18 Uhr offen stehen. Dann sitzt auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine Studentin auf einem Stuhl und liest – die Museumsaufsicht. Von der gegenüberliegenden Straßenseite hat sie das gesamte Objekt im Blick. Genau genommen ist sie die Mmuseumms-Aufsicht, denn dem Museum ist in seiner offiziellen Schreibweise vorn und hinten jeweils noch ein zusätzliches M angeklebt, wie um den Hallraum des kleinen Wortes zu vergrößern.“
„The difficulty with giant, encyclopedia museums such as the Metropolitan Museum of Art is that it’s hard to get in and out without generalized feelings of inadequacy.
You may have seen the blockbuster exhibition you came for, plus the Impressionist wing and a photography show on route. But in the process you missed Arms and Armor and Arts of Africa, Oceana and the Americas.
This isn’t a problem at Alex Kalman’s Mmuseumm on Cortlandt Alley in Tribeca.
Mr. Kalman, 29, has created a full-fledged natural history museum in a space the size of a walk-in closet.
I know what you’re thinking. How great can a museum be that isn’t much larger than one of the stalls in MOMA’s men’s room? Why should.“
Und die Ausstellungen?
„Alex Kalman selbst sagt, man könne auch seine Ausstellungen durchaus als eine Form von Magazinjournalismus betrachten. »Object Journalism« nennt er es. Die wunderlichen Sammlungen, die er ausstellt, würden ihm von Leuten aus aller Welt nahegebracht, weil sich herumgesprochen hat, dass er in seinem Mmuseumm so etwas ausstellt. Oder das Museum stellt sie selbst her: Die Goldmünzen des Islamischen Staates zum Beispiel. Sehen ganz niedlich aus, eigentlich. Man soll mit seinem Handy die Hotline des Museums anrufen, sagt ein Schild, und dann die Objektnummer eingeben. Eine sonore Erklärstimme erklingt dann und erläutert, dass zu den Dingen, die eine politische Körperschaft ausmachen, eine eigene Währung gehöre. Gleichzeitig erinnert die Stimme daran, dass auch Peep-Shows manchmal spezielle Peep-Show-Münzen hätten, der Club Med seine berühmte Club-Med-Perlen und Youtube seine Clicks. Dass es die IS-Münzen möglicherweise nur hier, in New York, wirklich gibt, anders als all die anderen Ausstellungsstücke, ist eine ironische Volte. Das Museum hat sie anhand der Informationen, die den großspurigen Verlautbarungen des IS zu entnehmen waren, einfach mal gegossen; ob sie in seinem Herrschaftsbereich tatsächlich in Umlauf sind, weiß nur, wer lebensmüde genug ist hinzufahren.“
Noch einmal Kalman: „Kalman described Mmuseumm as showcasing “the contemporary vernacular.” Later, he added: “I think that Mmuseumm in one way is a form of journalism—journalism through actual objects.”
Quellen: Deutsche und englische Wikipedia; Peter Richter, Alles vom Kleinsten, Süddeutsche Zeitung Magazin, 6.10.2016 https://sz-magazin.sueddeutsche.de/kunst/alles-vom-kleinsten-82894
Wall Street Journal 31.5.2015. Rob Walker: Object Journalism at Mmuseumm, Design Observer, 5.5.2015 https://designobserver.com/article.php?id=39289 - Die Webseite des Museums ist leider unergiebig, Informationen gibt es nur hinter einer Bezahlschranke.
Dienstag, 20. Mai 2014
Das "Museum der Unschuld" in Istanbul hat den diesjährigen Museum of the Year Award erhalten.
Diesmal trifft es punktgenau ein Museum, das das zentrale Kriterum des Preises, "Innovativität", wunderbar erfüllt.
Hier habe ich einen (ersten und noch vorläufigen) Versuch gemacht, das Museum ein wenig zu beschreiben und hier findet man die "Elf Museumsgebote", die Pamuk im Laufe seiner Arbeit am gleichnamigen Roman und am Museum entwickelt hat.
Montag, 25. Februar 2013
Mikroausstellung "Saliera"
"Schatzfund" im Waldviertel |
Innen- und Bildungsministerien |
Wilfried Seipel nimmt die wiedergefundene Saliera in Empfang |
TV-Werbung für die Kunstkammer. Maximilian Schell |
Die Saliera, ein Salz- oder Pfefferfass, wurde vom italienischen Bildhauer und Goldschmied Benvenuto Cellini (1500-1571) für Franz I. von Frankreich von 1540 bis 1543 anfertigt. Es ist Cellinis einzige erhaltene Goldschmiedearbeit.
Dargestellt sind Neptun, der Gott des Meeres, mit einer Hand ein Schiff als Salzbehälter haltend und von vier pferdeartigen Wesen mit Rossleib und Fischschwänzen getragen, und Tellus, die römische Göttin der Erde. Sie sitzen einander gegenüber, "die Beine anmutsvoll ineinander geschoben" (Cellini). An ihrer Seite befindet sich ein Tempelgebäude, das als Behälter für Pfeffer dient, sowie die Darstellungen von Landtieren und einem von Blüten und Früchten strotzendem Füllhorn. In den acht Nischen des Sockels findet man Darstellungen der Jahreszeiten sowie der Morgenröte, des Tags, der Dämmerung und und der Nacht.
Kardinal Ippolito d’Este von Ferrara hatte bei Cellini das Salzfass in Auftrag gegeben, zog den Auftrag aber zurück. Cellini nahm das Modell mit auf seine Reise nach Frankreich und zeigte es dort Franz I. Er erteilte Cellini den Auftrag zur Ausführung des Salzfasses. Es gelangte später als Geschenk des französischen Königs Karl IX. an Erzherzog Ferdinand II. von Tirol und damit in habsburgischen Besitz. Das Salzfass war Teil der Kunstsammlung von Schloss Ambras und wurde im Zuge der Auflösung dieser Sammlung in das Kunsthistorische Museum in Wien überführt.
Im Mai 2003 wurde die Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum gestohlen. Der Diebstahl wurde durch die Einrüstung des Museums erleichtert. 2006 wurde der Dieb gefasst und die Saleria, die er in einem Waldstück in eine Kiste verpackt vergraben hatte, geborgen. Der Täter, Chef einer Alarmamlagenfirma, wurde zu fast drei Jahren Haft verurteilt und ist inzwischen vorzeitig entlassen. Der damalige Generaldirektor des Museums Wilfried Seipel wurde wegen der mangelhaften Sicherheitsstandards des Museums massiv angegriffen und zum Rücktritt aufgefordert.
»Durch den Diebstahl hat das Kunsthistorische Museum seine Unschuld verloren«, erinnert sich Georg Leithe-Jasper, der frühere Direktor der Kunst- und Schatzkammer des KHM, des eigentlichen Standorts der Saliera. »Die Reaktion meiner Kollegen vom Louvre bis zur Eremitage war erschütternd. Es stimme also doch, sagten sie, das KHM sei ein unseriöses Haus geworden.« (Rainer Himmlefreundpointner: Gelegenheit, Nacht, Diebe.Wie es gelang, die "Saliera" aus dem angeblichen "Bollwerk" zu stehelen. In: DIE ZEIT online, 9.2.2006)
Mit der Eröffnung der sogenannten Kunstkammer im März 2013 rückt die Saliera als eines der kostbarsten Stücke des Museums wiederum ins Zentrum der Aufmerksamkeit.