Vietnam Womens Museum
Samstag, 20. Mai 2017
Mittwoch, 17. Mai 2017
Sokratische Frage Nr.25
Welche Ausstellung ist die bessere?
Eine, die Besucher erregt, aufregt, zu Widerspruch, Kritik bewegt?
Oder eine, zu der es keinerlei Reaktion gibt?
Orhan Pamuks Museum der Unschuld in Istanbul
Gottfried Fliedl Das Museum der Unschuld
1
Die Bekanntheit des Istanbuler Museum der Unschuld verdankt sich sicher
der Prominenz seines Schöpfers, des Schriftstellers und
Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. Aber sein Museum ist weit mehr als ein
weiteres Autorenmuseum, das seine Besonderheit der Kreativität und Phantasie
einer einzelnen Person verdankt. Das Museum
der Unschuld hat als Experiment begonnen, die herkömmlichen Strukturen der
Institution durcheinander wirft. Es ist ein work in progress, Pamuk arbeitet an
ihm ständig weiter, läßt dokumentarische Filme drehen, betreibt eine
Facebook-Seite, hat ein kommentierendes Buch geschrieben, gibt zahllose
Interviews und veröffentlicht und bastelt ständig an einer theoretischen Kommentierung
weiter.
Grundlage des Projektes ist der dem
Museum gleichnamige Roman, eine Liebesgeschichte.
Der aus gutbürgerlichem Haus stammende Kemal lernt bei der Suche nach einem
Geschenk für seine anstehende Verlobung mit Sibil eine Studentin kennen, die
als Verkäuferin arbeitet. Die entstehende leidenschaftliche Beziehung kann
Kemal nicht davon abhalten, die Verlobung mit Sibil zu feiern. Füsün
verschwindet und Kemals leidenschaftliche Sehnsucht treibt ihn durch Istanbul
auf der Suche nach ihr, die etwa ein Jahr dauert. Er trifft sie, die inzwischen
verheiratet ist, von nun an in ihrer Wohnung, um der Wahrung gesellschaftlicher
Konvention willen aber immer nur in Begleitung. Fast acht Jahre lang und bis zu
viermal in der Woche teilt er mit ihr und Verwandten den Alltag.
Ausschnitt aus dem Stadtplan von Istanbul mit all jenen Orten, an denen Kemal auf seiner Suche nach Füsün sie zu sehen glaubte |
Gleich nahe dem Eingang des Museums: Das Tableau mit den aberhunderten Zigarettenstummeln Füsüns |
In dieser Zeit beginnt Kemal die
Unerreichbarkeit seiner Geliebten fetischistisch zu kompensieren. Er sammelt und
stiehlt gelegentlich sogar alles, was mit ihr in Berührung gekommen ist, und
wenn es die – schließlich über viertausend - Stummeln der von ihr gerauchten
Zigaretten sind. Als Besucher des Museums werden wir sie im Eingangsbereich als
Tableau finden - fein säuberlich mit Hand beschriftet.
Die Ehe von Füsun löst sich langsam
auf und die formelle Scheidung ermöglicht Kemal und Füsun an eine
Wiederaufnahme ihrer Beziehung und an Heirat zu denken. Gleich am Beginn ihrer
Hochzeitsreise kommt es zu einem Autounfall, bei dem Füsun stirbt und Kemal
schwer verletzt wird.
Um zu genesen und um zu verarbeiten
reist er und lernt Museen kennen, kleine Museen, das heißt für ihn, Museen
kleiner Leute, die nicht in die große Geschichte und Politik involviert sind
und insofern „unschuldig“. Er entdeckt, daß seine Sammlung das Potential hat,
ein solches „unschuldiges Museum“ zu werden. „Ich begriff nun, dass das wahre
Haus eines echten Sammlers sein eigenes Museum sein musste.“
Und, inzwischen
zwanzig Jahre nach seiner Genesung, beauftragt er einen ihm bekannten
Schriftsteller, Orhan Pamuk, der seinerzeit schon Gast bei der Hochzeit Kemals
mit Sibil gewesen war, die Geschichte der Liebesbeziehung zu Füsun
aufzuzeichnen.
"...das wahre Haus eines echten Sammlers..." |
In den letzten Abschnitten des Romans
wird also einerseits rückblickend erläutert, wie es zu dem Buch gekommen ist
und vorausblickend, daß es als Erzählung Grundlage eines Museums werden wird,
ja sogar wörtlich ein „Katalog“, in dem sogar schon eine Eintrittskarte
abgedruckt ist.
Ursprünglich wollte Pamuk das
Erscheinen des Buchs mit der Eröffnung des Museums zeitlich zusammenfallen
lassen, es war von Anfang an ein
Projekt, das durch verschiedene Lebensumstände zeitlich auseinandergerissen
wurde.
2
Die Spiegelung im Buch - ein Roman entpuppt sich
als museale Erzählung, die in der Realisierung des Museums fortgeführt und
vertieft wird – wird durch das Museum noch komplizierter. Was als Roman Fiktion
ist, aber wie eine dokumentarische Aufzeichnung eines tatsächlich gelebten
Lebens zur Grundlage der Ausstellung wird, wird im Museum durch die
Objektesembles definitiv beglaubigt. Das Museum legt uns mit den ausgestellten konkreten
Dingen nahe, daß hier eine Wahrheitsgeschichte erzählt wird. Im obersten
Stockwerk wird diese „Authentifizierung“ auf die Spitze getrieben, wenn wir das
Bett sehen dürfen, auf dem Kemal lag und dem auf dem neben dem Bett stehenden
Stuhl sitzenden Orhan Pamuk seine Geschichte erzählte.
Pamuk bemerkt, daß sie,
wenn er müde war, die Plätze getauscht haben, ein Fingerzeig für die Ironie,
die im Umgang des Autors mit den Realitätsebenen liegt und in der
Vertauschbarkeit von Kemal und Pamuk, die offenbar viel gemeinsam haben. Man
läßt uns wissen, in der Umgebung würde das Museum „Füsüns Haus“ genannt. Also,
wo sind wir denn hier? Im Roman? Im Museum? Oder in einer dritten Geschichte
irgendwo dazwischen?
Das Bett Kemals, der Ort, wo er Pamuk seine Geschichte erzählte |
Vor allem in einer Art von Kunst- und
Wunderkammer, in einem sorgfältig – von Pamuk selbst - in Vitrinenschränken
inszenierten Ensembles von Objekten, die kleine Geschichten erzählen oder die
Phantasie des Betrachters anregen, selbst welche zu erfinden, die etwas von der
Stadt Istanbul, ihren Bewohnern, ihrem Alltag erzählen. Auch für jemanden der
nur das Museum besucht, ohne den Roman zu kennen, „funktioniert“ das Museum als
komplexe und verschachtelte Erzählapparatur. Bespielt werden die Schaukästen
mit Objekten, die Pamuk im Laufe seines Lebens auf Flohmärkten gefunden, in
Trödelläden gekauft hat.
Jedem Romankapitel ist eine Vitrine gewidmet |
Die Vitrine, in der Füsüns Ohrring gezeigt wird |
3
Museen, die sich wie das Museum der Unschuld im Grenzbereich von
Realität und Fiktion bewegen, gibt es auch anderswo. Das ganz anders konzipierte
Museum of Jurassic Technology in Los Angeles von David Wilson ist zugleich Hommage an
das Museum wie dessen Kritik. So etwas hat Pamuk nicht im Sinn. Ihm geht es um
das Ausloten der musealen Erinnerungsfähigkeit. Das Konzept ist doppelt paradox:
Es geht um eine einzigartige Erinnerung, um die Geschichte eines individuellen
Paares, die aber über das Museum öffentlich geteilt wird. Kemal möchte, daß
seine persönliche und lebendige Erinnerung im technischen Gedächtnis einer
Sammlung bewahrt wird – was allenfalls nur für ihn gelten kann, während Pamuk
vom öffentlichen Museum und von uns Besuchern verlangt, sich in diese
Geschichte einzufühlen, sie zu teilen.
Surrealistisch anmutende Tableaus, Reliquienschrein und Asservatenkammer von Beweisstücken in einem - die Vitrinen des Museums der Unschuld |
Kemals „Museologie“ offenbart in ihrer
obsessiven Eigentümlichkeit ein Strukturmerkmal des Sammelns, nicht des
Musealen. Denn er widmet sich ausschließlich dem biografische und sentimentale
Sammeln, „das jeden Gegenstand mit einer Erinnerung verbindet.“ Jeder Gegenstand soll das liebende
Eingedenken, das jemand mit einem anderen verbindet, ermöglichen. Das gilt hier
aber nur für Kemal und Füsün. Dieses ist als strikt individuell-einzigartiges
aber nicht sozialisierbar weil es nicht teilbar und übertragbar ist. Es ist
nicht „museumsfähig“. Aber Kemals strikt private Dinge
machen auch etwas mit uns insofern sie an unsere Liebe, unseren Schmerz, unsere
Trauer erinnern.
Kemals Vermächtnis |
Pamuk beschreibt die fundamentale
Lebensfeindlichkeit des Museums präzise und bei der Wahl für den Standort des
Museums entscheidet er sich sogar, ein lebendige Dasein zu beenden, um das
Museum einzurichten zu können. Er redet nämlich seiner Tante ein, daß sie ihm
ihr Haus verkaufen also auch nicht weniger als verlassen soll. Es ist das Haus,
in dem Kemal seine jahrelangen Besuche abstattete. Seine Tante wehrt sich:
„Kemal, ich bring es nicht übers Herz! All die Erinnerungen!“. Und Kemal
erwidert: „Aber wir machen doch das Haus gerade zu einem Ort, an dem wir unsere
Erinnerungen ausstellen, Tante Nesibe.“
Füsüns Spuren |
Pamuk
verleugnet die Widersprüche, damit „...dieser Traum, aus dem man sich nicht befreien kann“ nicht zu Ende geht. Doch
weil auch die Trauerarbeitet nie beendet, das über Objekte vermittelte
fetischistische Begehren nie stillgestellt werden wird, kann weder Kemal noch
Pamuk sich daraus befreien.
Pamuk hat das Museum der Unschuld ein „Medium der Feier des individuellen Lebens“ genannt aber im selben Atemzug auch einbekannt, daß es ein „Mausoleum und Monument der individuellen Liebe“ ist.
Pamuk hat das Museum der Unschuld ein „Medium der Feier des individuellen Lebens“ genannt aber im selben Atemzug auch einbekannt, daß es ein „Mausoleum und Monument der individuellen Liebe“ ist.
Ich möchte diese Überlegungen nicht als
Kritik gegen das Museum gewendet wissen. Pamuk öffnet mit dem Museum eine
poetische Wunderkammer, einen Reflexionsraum, in dem wir uns über unsere
Erinnerung und unser Begehren sowie die Weisen, wie wir damit umgehen und das
Vergangene festhalten, klar besinnen können.
An
prominenter Stelle finden wir im Museum der Unschuld einen Text von Samuel
Taylor Coleridge, der auch dem Roman als Motto vorangestellt ist: "Wenn
ein Mensch im Traum das Paradies durchwandert, und man gäbe ihm eine Blume als
Beweis, dass er dort war, und er fände beim Aufwachen diese Blume in seiner
Hand - was dann?"
Ich
wüßte keine bessere Empfehlung an die Besucher, als sich mit diesem Satz in
dieses zauberhafte Museum zu begeben.
Ein Foto Füsüns? Ist das Füsün? Und was sind das dann für Ohrringe? |
Dienstag, 16. Mai 2017
Eröffnung des Weltmuseums. Mit André Heller! Da kommt Freude auf!!
Am 25. Oktober wird das Weltmuseum in Wien wiedereröffnet. Das wurde heute bekanntgegeben. Und: Das Eröffnungsfest wird André Heller gestalten. Eine geschmackssichere Wahl, denn Hellers "Afrika! AFrika!"-Show wurden nicht nur das Festhalten an Klischees, das Transportieren von Stereotypen vorgeworfen, sondern sogar eine bis zu den Völkerschauen zurückreichende neokoloniale Tradition. Außerdem übten beteiligte Künstler und Medien am Umgang der Verantwortlichen mit den Mitwirkenden, finanzielle Ausbeutung inklusive, heftig Kritik. Heller hat sich rasch vom Manager distanziert. Hatte e r denn keinerlei Verantwortung? Die Show ging weiter und wird weitergehen. Darf man hoffen, daß die Museumsleitung von KHM und Weltmuseum bei Heller keine in Baströkchen gekleidete "Afrikaner" bestellt haben?
Wie auch immer, es wird ein Auftakt mit und als "Event". Der Museumskritiker Walter Grasskamp hat unlängst in einer Diskussion die Abkehr der Museen vom Bildungsauftrag als iihrer genuinen gesellschaftlichen Aufgabe konstatiert und das Ausweichen auf völlig museumsfremde Aktionen, Events, Ereignisse, Projekte. Von der Kinderparty über Picknicks im Museumspark bis zur Tanzperformance und so weiter. Da passt natürlich Heller. Grantig und spaßverderbend wie ich nun mal bin, denke ich mir, wie wärs mal mit einer musealen Bildungserfahrung, die Spaß macht? Oder wird das Weltmuseum das dann ohnehin bieten? Ab dem Vierundzwanzigsten?
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