Sonntag, 24. Juli 2016
Dienstag, 19. Juli 2016
Wer will das noch wissen, das mit den Museumsbesuchern?
Da ich grade wieder mal Zahlen aus der Besucherforschung brauchen könnte, aber die gesuchten nicht finde, suche ich Hilfe im eben erschienenen "Handbuch Museum" (siehe hier). Immerhin erfahre ich im Beitrag von Bernd Lindner, "Soziodemographie des Museumspublikums" (Seite 323ff. im Handbuch), warum ich nicht fündig werde. Eine Besucherforschung, die Aufschluß über das aktuelle Museumspublikum der Bundesrepublik Deutschland geben könnte, gibt es nicht. Weil keine einschlägigen umfassenden Untersuchungen gemacht werden.
Lindner referiert ältere Daten zur BRD und DDR und das, was es zur Zeit nach der sogenannten Wiedervereinigung an Untersuchungsmaterial gibt. Das erlaubt - in sehr engen Grenzen - gewisse Rückschlüsse im Vergleich der beiden Staaten, Informationen über quantitative Veränderungen über längere Zeiträume hinweg und solche über das aktuelle "Wachstum" der Museumsbesuche (analog zum Museumswachstum und dem Boom an Ausstellungen - man schätzt, daß in Deutschland etwa 30.000 Museumsausstellungen pro Jahr stattfinden).
Allerdings konzentriert sich Lindner auf die soziale Zusammensetzung des Publikums, also berufliche Herkunft und Ausbildungsstand sowie regionale Herkunft (Land, Stadt, Großstadt...), die Geschlechterverteilung, beschäftigt sich aber nicht mit Motiven und kaum mit Milieus und ausdrücklich nicht mit Evaluationen.
Trotz vieler Zahlen und einiger Statistikgraphiken bleibt sein Bericht eigentümlich vage. Hier zeigt sich einmal mehr, daß der Rückzug auf Fakten und der Verzicht auf gewichtende und wertende Schlußfolgerungen nur scheinbar zu Objektivität führt. Das nach Museumstypen zwar stark variierende aber dominante Vorherrschen von Personen mit hoher Schul- und Universitätsbildung beim Museumsbesuch wird zwar abgebildet, bleibt aber gänzlich unkommentiert. Ob nun die wachsende Zahl an Museumsbesuchen Verschiebungen in der sozialen Zusammensetzung des Publikums gebracht hat, bleibt offen.
So bleibt letztlich auch unklar, wozu Besucherforschung überhaupt gemacht werden soll. Was will man denn wissen, und wozu? Geht es nur noch um Grundlagen für sozialtechnolgische Adaptionen, Marketingstrategien, Tourismusmaßnahmen, Hiule bei der Ausstellungsplanung?
Kein einziges Mal fällt das Wort "Nichtbesucher". Es gibt keine Angaben zu jenem Bevölkerungsanteil, der nie in ein Museum geht. Und der ist bekanntlich exorbitant hoch, liegt im nationalen Schnitt bei etwa 50% und bei einzelnen (großstädtischen Museen) bei 80% der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Umstände nicht zu benennen scheint mir gerade bei einem Handbuchartikel mit dem Anspruch auf Basisinformation unverzeihbar. Alle Folgefragen, die sich aus dieser Tatsache ergeben, bleiben unerörtert.
Was die - von Lindner - genannten "Nestoren" der deutschen Besucherforschung, Klein und Treinen, seinerzeit an auf ihre empirischen Untersuchungen aufbauenden Schlußfolgerungen aufgebaut haben, hier wird das nicht mehr referiert. Alles was etwa Heiner Treinen zum "Museum als Massenmedium" oder "kulturellen Vermittlungsort" einmal zu sagen hatte, das findet sich hier nicht mehr wieder.
Soll man diesen klaren Rückschritt als Zwang zur verknappten Darstellung eines Handbuchbeitrags entschuldigen? Oder sich fragen, ob das "Vernachläßigen" älterer - unaktuell gewordener? - Forschungsfragen und -ergebnisse sich nicht komplementär verhält zum erstaunlichen Desinteresse am Museumsbesucher? Haben die bei Medien, Politikern und Museen gleichermaßen beliebten Statistikschlachten mit den Zahlen der Museumsbesuche komplett jede Frage nach der sozialen Zusammensetzung ersetzt?
Trotz (oder gerade wegen?) des Redens über "Inklusion", "Museum für alle" oder "Partizipation", niemand wirft mehr die "soziale Frage" auf, wen Museen erreichen und wen nicht. Niemand will dort mehr eine offene Frage orten, niemand, so scheints, will sich mit der mühseligen Frage nach der sozialen Bedeutung und Funktion von Museen beschäftigen. Kein Wunder, daß das Wort "Hegemonie" im Index des "Handbuch Museum" nicht vorkommt.
Lindner referiert ältere Daten zur BRD und DDR und das, was es zur Zeit nach der sogenannten Wiedervereinigung an Untersuchungsmaterial gibt. Das erlaubt - in sehr engen Grenzen - gewisse Rückschlüsse im Vergleich der beiden Staaten, Informationen über quantitative Veränderungen über längere Zeiträume hinweg und solche über das aktuelle "Wachstum" der Museumsbesuche (analog zum Museumswachstum und dem Boom an Ausstellungen - man schätzt, daß in Deutschland etwa 30.000 Museumsausstellungen pro Jahr stattfinden).
Allerdings konzentriert sich Lindner auf die soziale Zusammensetzung des Publikums, also berufliche Herkunft und Ausbildungsstand sowie regionale Herkunft (Land, Stadt, Großstadt...), die Geschlechterverteilung, beschäftigt sich aber nicht mit Motiven und kaum mit Milieus und ausdrücklich nicht mit Evaluationen.
Trotz vieler Zahlen und einiger Statistikgraphiken bleibt sein Bericht eigentümlich vage. Hier zeigt sich einmal mehr, daß der Rückzug auf Fakten und der Verzicht auf gewichtende und wertende Schlußfolgerungen nur scheinbar zu Objektivität führt. Das nach Museumstypen zwar stark variierende aber dominante Vorherrschen von Personen mit hoher Schul- und Universitätsbildung beim Museumsbesuch wird zwar abgebildet, bleibt aber gänzlich unkommentiert. Ob nun die wachsende Zahl an Museumsbesuchen Verschiebungen in der sozialen Zusammensetzung des Publikums gebracht hat, bleibt offen.
So bleibt letztlich auch unklar, wozu Besucherforschung überhaupt gemacht werden soll. Was will man denn wissen, und wozu? Geht es nur noch um Grundlagen für sozialtechnolgische Adaptionen, Marketingstrategien, Tourismusmaßnahmen, Hiule bei der Ausstellungsplanung?
Kein einziges Mal fällt das Wort "Nichtbesucher". Es gibt keine Angaben zu jenem Bevölkerungsanteil, der nie in ein Museum geht. Und der ist bekanntlich exorbitant hoch, liegt im nationalen Schnitt bei etwa 50% und bei einzelnen (großstädtischen Museen) bei 80% der ortsansässigen Bevölkerung. Diese Umstände nicht zu benennen scheint mir gerade bei einem Handbuchartikel mit dem Anspruch auf Basisinformation unverzeihbar. Alle Folgefragen, die sich aus dieser Tatsache ergeben, bleiben unerörtert.
Was die - von Lindner - genannten "Nestoren" der deutschen Besucherforschung, Klein und Treinen, seinerzeit an auf ihre empirischen Untersuchungen aufbauenden Schlußfolgerungen aufgebaut haben, hier wird das nicht mehr referiert. Alles was etwa Heiner Treinen zum "Museum als Massenmedium" oder "kulturellen Vermittlungsort" einmal zu sagen hatte, das findet sich hier nicht mehr wieder.
Soll man diesen klaren Rückschritt als Zwang zur verknappten Darstellung eines Handbuchbeitrags entschuldigen? Oder sich fragen, ob das "Vernachläßigen" älterer - unaktuell gewordener? - Forschungsfragen und -ergebnisse sich nicht komplementär verhält zum erstaunlichen Desinteresse am Museumsbesucher? Haben die bei Medien, Politikern und Museen gleichermaßen beliebten Statistikschlachten mit den Zahlen der Museumsbesuche komplett jede Frage nach der sozialen Zusammensetzung ersetzt?
Trotz (oder gerade wegen?) des Redens über "Inklusion", "Museum für alle" oder "Partizipation", niemand wirft mehr die "soziale Frage" auf, wen Museen erreichen und wen nicht. Niemand will dort mehr eine offene Frage orten, niemand, so scheints, will sich mit der mühseligen Frage nach der sozialen Bedeutung und Funktion von Museen beschäftigen. Kein Wunder, daß das Wort "Hegemonie" im Index des "Handbuch Museum" nicht vorkommt.
Montag, 18. Juli 2016
Das Wort zum Tag
"Doch Ausstellungen werden nicht vermittelt, sie sind Vermittlung. Eine Ausstellung, die auf eine gesonderte Vermittlungsebene angewiesen ist, ist keine Ausstellung."
Daniel Tyradellis
Daniel Tyradellis
Sonntag, 17. Juli 2016
Frau Husslein inspiriert mich
Nicht daß ich jetzt auch noch was zu Frau Husslein sagen will! Das Wesentliche ist gesagt. Eine tolle Direktorin! Hat die Besucherzahlen erhöht! Ist durchsetzungsfähig! Feiert gerne Kindergeburtstag im Museum. Mit dem Enkerl.
Egal. Mich hat das inspiriert einen neuen Abschnitt zum meinem Ratgeber "Wie richtet man ein Museum zugrunde" hinzuzufügen. Hier der Link (zu einem der meistgelesenen und meistkommentierten Posts dieses Blogs)
http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Wie+man+ein+Museum+zugrunderichtet
Egal. Mich hat das inspiriert einen neuen Abschnitt zum meinem Ratgeber "Wie richtet man ein Museum zugrunde" hinzuzufügen. Hier der Link (zu einem der meistgelesenen und meistkommentierten Posts dieses Blogs)
http://museologien.blogspot.co.at/search?q=Wie+man+ein+Museum+zugrunderichtet
Ein "Handbuch Museum"
1
Markus Walz ist Professor für Theoretische und Historische
Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Nun hat er im Metzler Verlag (Stuttgart 2016) ein "Handbuch Museum" herausgegeben. Der Untertitel lautet: "Geschichte - Aufgaben - Perspektiven".
An die 60 Autorinnen und Autoren haben zu dem etwas über 400 Seiten starken Buch beigetragen.
Knapp gehaltene einzelne Beiträge sind in Kapitel zusammengefasst, eingangs zum Begriff Museum, zur Institutionengeschichte (dazu habe ich einen Abschnitt beigesteuert, "Das Museum im 19.Jahrhundert"), zur Typologie und zu "museumsverwandten" Institutionen.
Dann werden sechs "Kernaufgaben" des Museums erläutert: Sammeln, Dokumentieren, Forschen, Bewahren, Ausstellen, Vermitteln.
Es folgen die Abschnitte Museum und Gesellschaft, Ökonomie des Museums, Museumswesen und Wissenschaft. Es gibt ein Personen- und ein Sachregister. Literaturangaben finden sich bei den einzelnen Texten.
2
Was der Titel nicht verrät ist, daß das Buch nahezu exklusiv auf Deutschland eingegrenzt ist, nicht einmal auf den deutschsprachigen Raum. Selbstverständlich gibt es immer wieder Querverweise zu Museumsdebatten in anderen Ländern und zu museologischer Forschung in Europa oder den USA, dennoch ist diese Einschränkung problematisch angesichts der Globalität der Phänomene und Diskurse, die die öffentliche Wahrnehmung des Museums und die museologischen Diskussionen stark prägen. Für viele Fragen scheint es mir einfach nicht möglich, sich der Globalität des Phänomens "Museums" und der Museumsdiskurse zu entziehen.
Schwer nachzuvollziehen ist das etwa bei der Darstellung der Museumsgeschichte, wo auch mir Disziplin auferlegt war und schon allein auf Grund des vorgegebenen Umfangs kaum eine Einbettung der deutschen und österreichischen Entwicklung in die allgemeine Entwicklung möglich war. Dennoch fehlen spezifische deutsche Entwicklungen: Über die Gründung und Rolle Jüdischer Museen seit den 80er-Jahren etwa und die mit ihnen einhergehenden theoretischen Debatten wird weder im historischen noch im typologischen Teil informiert.
Mit der Entscheidung, den Band "Handbuch Museum" und nicht etwa "Handbuch Museologie" zu nennen, entledigt man sich zwar der Verpflichtung zur Würdigung des rezenten Diskussionsstandes und des wohl kaum noch lösbaren Anspruchs, die Komplexität des Wissensstandes auch nur einigermaßen abzubilden. Warum aber bei genannter "nationaler" Eingrenzung wesentliche deutsche Autorinnen und Autoren (ich nenne stellvertretend für viele Walter Grasskamp, Anke te Heesen, Gottfried Korff, Rosmarie Beier-de Haan, Angela Janelli, Sabine Offe, Alexis Joachimides, Heiner Treinen, Daniel Tyradellis - ich verzichte darauf, schweizer und österreichische Namen anzuführen) die in den letzten Jahren museologische Schlüsseltexte publiziert haben, nicht aufscheinen (oder nicht erreichbar waren), ist nicht verständlich.
Zudem war die Geburt des Bandes langwierig. Es sind viele Autorinnen abgesprungen oder wollten oder konnten die Vorgaben nicht erfüllen. So ist an vielen Stellen der Herausgeber eingesprungen oder fühlte sich berechtigt, sich als Experte selbst einzubringen. Etwa zwanzig Beiträge stammen von ihm.
3
Jede systematische Erfassung eines Wissensbereichs scheitert an immanenten Widersprüchen. Die mehrdimensionale Architektur des "Museumswissens" läßt sich nicht linear in Kapitel und Unterkapitel aufspalten, schon gar nicht ohne Redundanz und Überschneidung. Dennoch ist das Wissensfeld im Handbuch leidlich abgebildet, wennglich manches überraschend eingeordnet wird: Künstlermuseen etwa werden unter "Begriff Museum" eingereiht. Das Museum als Organisation, Betrieb und Berufsfeld kann man sich, nicht lückenlos, aus diversen Kapiteln zusammensetzen, wer etwas über den Schlüsselberuf Kurator wissen will, muß auf detektivische Suche gehen und manchmal geht es zu wie in Borges Chinesischer Enzyklopädie, etwa im Kapitel X "Kernaufgabe Ausstellen", wo man die Museumsaufsicht findet, die Studiensammlung, die Narration aber auch das "Rezeptionsverhalten der Ausstellungsgäste".
Daß das junge und wichtige Thema der Provenienzforschung unter Dokumentieren zu finden ist, ist ja einigermaßen plausibel aber eher ein Indiz für einen in vielen Kapiteln vorherrschenden überwiegend pragmatischen Zugriff auf einen Sachverhalt, der eher als positivitisch erfassbares Thema denn als diskutable Problemlage begriffen wird.
4
Daß mehrere Dutzend Verfasserinnen und Verfasser kaum eine einzige konsistente methodische Linie verfolgen und kaum auf einen Museumsbegriff zu verpflichten sind, läßt sich nachvollziehen. Die in diesem Band herrschende Variabilität - oder auch schon mal das Fehlen eines nachvollziehbaren Museumsbegriffs - wird es kaum leicht machen, das Buch zu nutzen.
An wen wendet es sich überhaupt? Für eine rasche, leicht lesbare Orientierung ist es zu umfangreich und elaboriert, für museologisch Versierte an sehr vielen Stellen interessant dort, wo luzide Argumentation mit weiterführender Literatur verknüpft ist und für den Museumspraktiker (der eher ohnehin theorieasketisch ist) wird es für ganz konkrete Problemlösungen möglicherweise zu kursorisch sein.
5
Beim Schmökern quer durchs Buch sind mir - vielleicht ungerecht selektiv aufmerksam -, zwei Tendenzen aufgefallen: der Hang zur positivistischen Austrocknung der Phänomene auf Fakten einerseits und Sehnsucht nach definitorisch essentialistischer Fixierung.
Über ersteres stolperte ich bei der "Begriffsgeschichte" deshalb, weil sich der Herausgeber in einem seiner Beiträge auf einen Text von mir bezieht, in dem ich über die Herkunft und Durchsetzung des Wortes "Museum" nachdenke. Mein Interesse an dem Thema wurde durch den kurzen Streit um die Benennung des Königlichen Museum in Berlin (Altes Museum, eröffnet 1830) geweckt. Dort entschied man sich bei der Wahl zwischen zwei etymologischen Interpretationen des Wortes "Museum" für die in der Antike unbekannte Anwendung auf die Praxis des Sammelns und Ausstellens. Markus Walz macht daraus die Entscheidung Friedrich Schleiermachers die Institution "mangels Alternative" als Museum zu benennen. Kurz darauf wird in seinem Text das Wort Museion mit Musenheiligtum übersetzt und lakonisch mitgeteilt: "Museion ist ferner der Eigenname eines um 280 v. Chr. gegründeten, mit einer Forschungsanstalt verbundenen Heiligtums in Alexandria."
Das ist nicht nur sachlich irritierend, weil dem unbefangenen Leser nicht klar werden muß, daß hier von der berühmten alexandrinischen Bibliothek die Rede ist und die moderne Bezeichnung "Forschungsanstalt" alle Unklarheiten verschleiert, worin nun genau die Aufgaben dieses "Museion" bestand. Das, genau diese Unbestimmtheit, war aber die Bedingung, die es erlaubte, das Wort mit neuzeitlichen Ansprüchen aufzufüllen. Walz entkleidet hier die Nachzeichnung einer Wortbedeutungsgeschichte aller kulturellen Konnotationen und teilt nackte "Tatsachen" mit, die bloß aneinandergereiht aber keinen Sinn machen, nichts aufschließen. Und so kann man auch nicht verstehen, daß die Skrupel, die man in Berlin bei der Namensgebung für eine neue Institution hatte, die noch herrschende Unsicherheit spiegelt, wie dem Neuen ein angemessener Begriff verliehen werden könnte.
Ist das, die Reduktion auf Daten und Ereignisse, ein wenig verständlich als Möglichkeit möglichst viel auf engstem Raum mitzuteilen, ist das andere, die essentialistische Definition, kaum dem Zwang zur knappen Schilderung geschuldet. Da landet man dann bei partiell tautologischen, partiell sinnfreien "Definitionen", wie der "Van-Mensch-Definition" (als die sie der Herausgeber - zustimmend - vorstellt): "A museum is a permanent museological institution which preserves collections of corporal documents and generates knowledge about these corporal documents for the public benefit."
Abgesehen davon, daß die Definition zirkulär den zu erläuternden Begriff (Museum) zur Erläuterung heranzieht (museological) und anderen Haarigkeiten (was am Museum ist eigentlich permanent? Was ist public benefit? usw.), kann sich der Autor dieser Definition nicht vorstellen, daß man das Schwergewicht der Funktion von Museen in einer sozialen Praxis sieht, was mit einem Schlag aus den Zielen Mittel machte? In dieser Definition erscheint das Wissen über die Dokumente als das Essentielle. Es sind aber doch eher die mit Hilfe von "Dokumenten" sinnstiftenden Arrangements, Kommunikations- und Deutungsangebote, um die es geht? Und die weisen auch immer über das "Wissen von den Dingen hinaus".
Anders gesagt, solche Definitionen geben sich pseudogewiss und hindern einen deswegen daran, das Denken zu wechseln.
6
Museologie ist für mich kaum Wissenschaft, eher ein Wissen vom Museum, aber eines, das sich sich in den Jahrzehnten, in denen ich aus diesem Wissen für mich einen Beruf gemacht habe, unvorhersehbar entwickelt und differenziert hat. Auf der einen Seite gibt es das die Praxis anleitende Wissen. Das ist so alt wie das zur Wissensgewinnung und -speicherung betriebene Sammeln, und "Ratgeber", wie man Sammlungen anlegt, pflegt und vermittelt, sind vermutlich das älteste "museologische" Genre. Auf der anderen Seite gibt es die Neugier, das Museum als "Schlüsselphänomen der Moderne" (Sharon Macdonald) von nur allen erdenklichen Seiten zu untersuchen. Philosophie, Kunstgeschichte, Soziologie, Cultural Studies, Historische Anthropolgie und so weiter - für alle diese Disziplinen ist das Museum zum Gegenstand der Forschung geworden. Dieser Diskurs, der sich selbst nicht immer als museologisch versteht, wäre durchaus anschlussfähig an die Praxis, wenn die Praktiker sich ihm gegenüber nicht komplett abschotten würden. Dazwischen gibt es, in vielen Abstufungen, ein Wissen, das theoretisch fundiert, praktisch handhabbar und auch lehrbar sein will. Diesem Modus von "Museologie" ordne ich das "Handbuch Museum" zu.
7
Was fehlt? Ich stöbere im Index und finde z.B. Schwellenangst, Schautrieb, Relikt, Privatisierung, Raubgut, Ikonoklasmus, Überwachung, Immersion, Bildungselite nicht. Es gibt aber Postmuseum, Rotenburg an der Wümme, Sockel und kuratorische Triade. Na gut.
Aura gibt es, aber Benjamins dialektisches Gegenstück Spur fehlt. Daß Gottfrieds Korff Anmutungsqualität noch nicht zu lexikalischen Ehren kommt, ist nicht so überraschend, aber daß Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung fehlen darf schon. Auch Blick und Blickregime sucht man vegeblich. Kolonialismus gibt es, nicht aber Ethnozentrismus und Rassismus.
Trotz ihrer modernen Konjunktur hat man die Kunst- und Wunderkammer verabschiedet. Darüber ließe sich reden. Nur, wenn das Stichwort fehlt, wird man über Gründe dafür nicht im Handbuch fündig werden. Das Nationalmuseum fehlt, das ist schon sehr überraschend. Es gibt Restitution aber ohne Arisierung. Kunstraub hat es laut Register nur unter Napoleon gegeben. Kein gender und kein Frauenmuseum. Kein Ikonoklasmus, kein iconic turn, kein audience development. Eigentum ja, Besitz nein. Compliance(regeln), die grade an einem österreichischen Museum eine Direktorin bedrängen, fehlen, aber gut, die übergeordnete Museumsethik ist ein Thema. Weiterbildung, Erwachsenenbildung: Fehlanzeige. Mitbestimmung, ein Unthema, das auf die Tagesordnung gehörte, fehlt im Index. Es gibt das Unikat aber Bild, Gegenstand, Ding fehlen? Iconic turn? Nie gehört. Cultural studies? Nein. Gedächtnis schon, Erinnerung nein. Erbe - nein, aber Patrimoine.
Eine Bildungselite existiert nicht. Hegemonie ebenfalls nicht. Die New Museology, Liebkind vieler Museologen in den letzten Jahrzehnten, immer wieder wie ein Untoter zur Wiederauferstehung beschworen: im Index findet sie sich nicht. Öffentlichkeit fehlt. Und das geht ja nun ganz und gar nicht.
Im Personenregister habe ich bloß nach Autoren gesucht, die wichtige Beiträge zum Verständnis des Museums verfasst haben. Daniel Tyradellis "Müde Museen" mag zu rezent erschienen sein, als daß sein Name schon hätte berücksichtigt werden können, aber mit Donald Preziosi fehlt der aktuell brillanteste Museologe, ein Schicksal, das auch Sharon Macdonald teilt. Mit Alma S. Wittlin fehlt die wichtigste Museumshistorikerin. Hans Belting hat hochinteressante Aufsätze publiziert, fehlt aber ebenso wie Beat Wyss. Wenn die Kunst- und Wunderkammer fehlt, fehlt auch Julius von Schlosser. Darf z.B. Hans von Aufseß fehlen - und das Germanische Nationalmuseum gleich dazu?
Aber genug der Beckmesserei.
8
Das Land der museologischen Handbücher ist zweifellos England. Da konnte schon mal Sharon Macdonald einen Art Leitfaden zu den diversen monumentalen Editionen verfassen, eine Art von Ratgeber für den Hilfesuchenden, der sich abertausenden Seiten von Text gegenübersieht (sehr witzig geschrieben und sehr lesenswert). Deutschsprachige Versuche, das Feld Museologie und Museum zu ordnen sind noch überschaubar. Mir fällt vor allem Anke te Heesens "Theorien des Museums" ein, das sich, völlig konträr zum fast schon parodistisch strengen Inhaltsverzeichnis, eher als Sammlung von Wissens- und Lesefrüchten ihrer Zeit an der Universität Tübingen denn als Übersicht vermittelnde Darstellung erweist, wenn auch im Detail oft brillant, anregend und aufschlussreich ist.
Das von ARGE Schnittpunkt (Wien) herausgegebene "Handbuch Ausstellungstheorie- und praxis" gibt sich schon im Titel als thematisch eingeschränkt zu erkennen. Aber die Mischung aus Essays und einem umfangreichen Glossar ist originell und bietet reichlich Stoff und Anregungen und ist näher dran an den jüngsten Entwicklungen als das eben erschienene "Handbuch Museum". Gegenüber te Heesens Publikation hat das Handbuch den Vorzug der größeren Systematik und Vollständigkeit, gegenüber dem Handbuch von ARGE Schnittpunkt die Übersichtlichkeit und ebenfalls die größere Vollständigkeit.
Einstweilen muß man sie halt alle nutzen, das ist auch bei den ungleich umfangreicheren und detaillierteren englischen Readern nicht anders. Unbefriedigend bleibt das allemal. Ein "Handbuch" - sei es des Museums, sei es der Museologie -, ist nun mal, selbst für ein Autorenkollektiv, eine nicht lösbare Aufgabe. Vielleicht liegt ein Effekt und Verdienst des "Handbuchs" darin, daß es Problembewußtsein schafft, ein Bewußtsein für die Vielgestaltigkeit des Museums als hybrider Praxis und Gegenstand theoretischer Erörterung.
9
Das Bild auf dem Buchcover zeigt eine Frau, die frontal vor einer Museumswand mit drei gerahmten weißen Leinwänden steht, auf Distanz gehalten von einer niedrigen Absperrung. Stiefel, Schottenrock, Jacke und Schal machen den Eindruck einer vorm Schlechtwetter in den Schutzraum Museum Geflohenen, ihr rotes Barrett wollen wir nicht gleich symbolisch deuten, weder in Richtung Märchen noch Politik, wenngleich die drei "leeren Bilder", die sie offenbar betrachtet, den Willen des Buchgestalters verrät zu verrätseln.
Das Cover ist näher an einer Schlüsselfrage des Museums, als so mancher Text. Wo diese Eindeutigkeit und Sachlichkeit versprechen (müssen oder wollen), erweist sich das Museum immer wieder, auch in seinen einzelnen strukturellen Aspekten, als rätselhaft, bizarr, sich entziehend, immer neue Fragen aufwerfend. Jeder Versuch des Einholens dieser offenen Komplexität in ein festgeknüpftes Netz von Begriffen und Aussagen scheitert. Insofern ist das Buchcover als visuelle offene Botschaft vielversprechend.
In einer Hinsicht aber nur versprechend: Gerade mal dreizehn Abbildung hat das Buch - inklusive Grafiken. Mir hat es noch nie eingeleuchtet, warum derart viele einschlägige Publikationen ohne oder fast ohne bildliche Information auskommen, warum über einen visuelles Medium sui Generis absolut inadäquat immer und immer wieder nur im Medium Text referiert wird. Da wäre eine kleine museologische Revolution überfällig.
Siehe auch: Wer will das eigentlich noch wissen, das mit den Besuchern?
Markus Walz ist Professor für Theoretische und Historische
Museologie an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Nun hat er im Metzler Verlag (Stuttgart 2016) ein "Handbuch Museum" herausgegeben. Der Untertitel lautet: "Geschichte - Aufgaben - Perspektiven".
An die 60 Autorinnen und Autoren haben zu dem etwas über 400 Seiten starken Buch beigetragen.
Knapp gehaltene einzelne Beiträge sind in Kapitel zusammengefasst, eingangs zum Begriff Museum, zur Institutionengeschichte (dazu habe ich einen Abschnitt beigesteuert, "Das Museum im 19.Jahrhundert"), zur Typologie und zu "museumsverwandten" Institutionen.
Dann werden sechs "Kernaufgaben" des Museums erläutert: Sammeln, Dokumentieren, Forschen, Bewahren, Ausstellen, Vermitteln.
Es folgen die Abschnitte Museum und Gesellschaft, Ökonomie des Museums, Museumswesen und Wissenschaft. Es gibt ein Personen- und ein Sachregister. Literaturangaben finden sich bei den einzelnen Texten.
2
Was der Titel nicht verrät ist, daß das Buch nahezu exklusiv auf Deutschland eingegrenzt ist, nicht einmal auf den deutschsprachigen Raum. Selbstverständlich gibt es immer wieder Querverweise zu Museumsdebatten in anderen Ländern und zu museologischer Forschung in Europa oder den USA, dennoch ist diese Einschränkung problematisch angesichts der Globalität der Phänomene und Diskurse, die die öffentliche Wahrnehmung des Museums und die museologischen Diskussionen stark prägen. Für viele Fragen scheint es mir einfach nicht möglich, sich der Globalität des Phänomens "Museums" und der Museumsdiskurse zu entziehen.
Schwer nachzuvollziehen ist das etwa bei der Darstellung der Museumsgeschichte, wo auch mir Disziplin auferlegt war und schon allein auf Grund des vorgegebenen Umfangs kaum eine Einbettung der deutschen und österreichischen Entwicklung in die allgemeine Entwicklung möglich war. Dennoch fehlen spezifische deutsche Entwicklungen: Über die Gründung und Rolle Jüdischer Museen seit den 80er-Jahren etwa und die mit ihnen einhergehenden theoretischen Debatten wird weder im historischen noch im typologischen Teil informiert.
Mit der Entscheidung, den Band "Handbuch Museum" und nicht etwa "Handbuch Museologie" zu nennen, entledigt man sich zwar der Verpflichtung zur Würdigung des rezenten Diskussionsstandes und des wohl kaum noch lösbaren Anspruchs, die Komplexität des Wissensstandes auch nur einigermaßen abzubilden. Warum aber bei genannter "nationaler" Eingrenzung wesentliche deutsche Autorinnen und Autoren (ich nenne stellvertretend für viele Walter Grasskamp, Anke te Heesen, Gottfried Korff, Rosmarie Beier-de Haan, Angela Janelli, Sabine Offe, Alexis Joachimides, Heiner Treinen, Daniel Tyradellis - ich verzichte darauf, schweizer und österreichische Namen anzuführen) die in den letzten Jahren museologische Schlüsseltexte publiziert haben, nicht aufscheinen (oder nicht erreichbar waren), ist nicht verständlich.
Zudem war die Geburt des Bandes langwierig. Es sind viele Autorinnen abgesprungen oder wollten oder konnten die Vorgaben nicht erfüllen. So ist an vielen Stellen der Herausgeber eingesprungen oder fühlte sich berechtigt, sich als Experte selbst einzubringen. Etwa zwanzig Beiträge stammen von ihm.
3
Jede systematische Erfassung eines Wissensbereichs scheitert an immanenten Widersprüchen. Die mehrdimensionale Architektur des "Museumswissens" läßt sich nicht linear in Kapitel und Unterkapitel aufspalten, schon gar nicht ohne Redundanz und Überschneidung. Dennoch ist das Wissensfeld im Handbuch leidlich abgebildet, wennglich manches überraschend eingeordnet wird: Künstlermuseen etwa werden unter "Begriff Museum" eingereiht. Das Museum als Organisation, Betrieb und Berufsfeld kann man sich, nicht lückenlos, aus diversen Kapiteln zusammensetzen, wer etwas über den Schlüsselberuf Kurator wissen will, muß auf detektivische Suche gehen und manchmal geht es zu wie in Borges Chinesischer Enzyklopädie, etwa im Kapitel X "Kernaufgabe Ausstellen", wo man die Museumsaufsicht findet, die Studiensammlung, die Narration aber auch das "Rezeptionsverhalten der Ausstellungsgäste".
Daß das junge und wichtige Thema der Provenienzforschung unter Dokumentieren zu finden ist, ist ja einigermaßen plausibel aber eher ein Indiz für einen in vielen Kapiteln vorherrschenden überwiegend pragmatischen Zugriff auf einen Sachverhalt, der eher als positivitisch erfassbares Thema denn als diskutable Problemlage begriffen wird.
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Daß mehrere Dutzend Verfasserinnen und Verfasser kaum eine einzige konsistente methodische Linie verfolgen und kaum auf einen Museumsbegriff zu verpflichten sind, läßt sich nachvollziehen. Die in diesem Band herrschende Variabilität - oder auch schon mal das Fehlen eines nachvollziehbaren Museumsbegriffs - wird es kaum leicht machen, das Buch zu nutzen.
An wen wendet es sich überhaupt? Für eine rasche, leicht lesbare Orientierung ist es zu umfangreich und elaboriert, für museologisch Versierte an sehr vielen Stellen interessant dort, wo luzide Argumentation mit weiterführender Literatur verknüpft ist und für den Museumspraktiker (der eher ohnehin theorieasketisch ist) wird es für ganz konkrete Problemlösungen möglicherweise zu kursorisch sein.
5
Beim Schmökern quer durchs Buch sind mir - vielleicht ungerecht selektiv aufmerksam -, zwei Tendenzen aufgefallen: der Hang zur positivistischen Austrocknung der Phänomene auf Fakten einerseits und Sehnsucht nach definitorisch essentialistischer Fixierung.
Über ersteres stolperte ich bei der "Begriffsgeschichte" deshalb, weil sich der Herausgeber in einem seiner Beiträge auf einen Text von mir bezieht, in dem ich über die Herkunft und Durchsetzung des Wortes "Museum" nachdenke. Mein Interesse an dem Thema wurde durch den kurzen Streit um die Benennung des Königlichen Museum in Berlin (Altes Museum, eröffnet 1830) geweckt. Dort entschied man sich bei der Wahl zwischen zwei etymologischen Interpretationen des Wortes "Museum" für die in der Antike unbekannte Anwendung auf die Praxis des Sammelns und Ausstellens. Markus Walz macht daraus die Entscheidung Friedrich Schleiermachers die Institution "mangels Alternative" als Museum zu benennen. Kurz darauf wird in seinem Text das Wort Museion mit Musenheiligtum übersetzt und lakonisch mitgeteilt: "Museion ist ferner der Eigenname eines um 280 v. Chr. gegründeten, mit einer Forschungsanstalt verbundenen Heiligtums in Alexandria."
Das ist nicht nur sachlich irritierend, weil dem unbefangenen Leser nicht klar werden muß, daß hier von der berühmten alexandrinischen Bibliothek die Rede ist und die moderne Bezeichnung "Forschungsanstalt" alle Unklarheiten verschleiert, worin nun genau die Aufgaben dieses "Museion" bestand. Das, genau diese Unbestimmtheit, war aber die Bedingung, die es erlaubte, das Wort mit neuzeitlichen Ansprüchen aufzufüllen. Walz entkleidet hier die Nachzeichnung einer Wortbedeutungsgeschichte aller kulturellen Konnotationen und teilt nackte "Tatsachen" mit, die bloß aneinandergereiht aber keinen Sinn machen, nichts aufschließen. Und so kann man auch nicht verstehen, daß die Skrupel, die man in Berlin bei der Namensgebung für eine neue Institution hatte, die noch herrschende Unsicherheit spiegelt, wie dem Neuen ein angemessener Begriff verliehen werden könnte.
Ist das, die Reduktion auf Daten und Ereignisse, ein wenig verständlich als Möglichkeit möglichst viel auf engstem Raum mitzuteilen, ist das andere, die essentialistische Definition, kaum dem Zwang zur knappen Schilderung geschuldet. Da landet man dann bei partiell tautologischen, partiell sinnfreien "Definitionen", wie der "Van-Mensch-Definition" (als die sie der Herausgeber - zustimmend - vorstellt): "A museum is a permanent museological institution which preserves collections of corporal documents and generates knowledge about these corporal documents for the public benefit."
Abgesehen davon, daß die Definition zirkulär den zu erläuternden Begriff (Museum) zur Erläuterung heranzieht (museological) und anderen Haarigkeiten (was am Museum ist eigentlich permanent? Was ist public benefit? usw.), kann sich der Autor dieser Definition nicht vorstellen, daß man das Schwergewicht der Funktion von Museen in einer sozialen Praxis sieht, was mit einem Schlag aus den Zielen Mittel machte? In dieser Definition erscheint das Wissen über die Dokumente als das Essentielle. Es sind aber doch eher die mit Hilfe von "Dokumenten" sinnstiftenden Arrangements, Kommunikations- und Deutungsangebote, um die es geht? Und die weisen auch immer über das "Wissen von den Dingen hinaus".
Anders gesagt, solche Definitionen geben sich pseudogewiss und hindern einen deswegen daran, das Denken zu wechseln.
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Museologie ist für mich kaum Wissenschaft, eher ein Wissen vom Museum, aber eines, das sich sich in den Jahrzehnten, in denen ich aus diesem Wissen für mich einen Beruf gemacht habe, unvorhersehbar entwickelt und differenziert hat. Auf der einen Seite gibt es das die Praxis anleitende Wissen. Das ist so alt wie das zur Wissensgewinnung und -speicherung betriebene Sammeln, und "Ratgeber", wie man Sammlungen anlegt, pflegt und vermittelt, sind vermutlich das älteste "museologische" Genre. Auf der anderen Seite gibt es die Neugier, das Museum als "Schlüsselphänomen der Moderne" (Sharon Macdonald) von nur allen erdenklichen Seiten zu untersuchen. Philosophie, Kunstgeschichte, Soziologie, Cultural Studies, Historische Anthropolgie und so weiter - für alle diese Disziplinen ist das Museum zum Gegenstand der Forschung geworden. Dieser Diskurs, der sich selbst nicht immer als museologisch versteht, wäre durchaus anschlussfähig an die Praxis, wenn die Praktiker sich ihm gegenüber nicht komplett abschotten würden. Dazwischen gibt es, in vielen Abstufungen, ein Wissen, das theoretisch fundiert, praktisch handhabbar und auch lehrbar sein will. Diesem Modus von "Museologie" ordne ich das "Handbuch Museum" zu.
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Was fehlt? Ich stöbere im Index und finde z.B. Schwellenangst, Schautrieb, Relikt, Privatisierung, Raubgut, Ikonoklasmus, Überwachung, Immersion, Bildungselite nicht. Es gibt aber Postmuseum, Rotenburg an der Wümme, Sockel und kuratorische Triade. Na gut.
Aura gibt es, aber Benjamins dialektisches Gegenstück Spur fehlt. Daß Gottfrieds Korff Anmutungsqualität noch nicht zu lexikalischen Ehren kommt, ist nicht so überraschend, aber daß Wahrnehmung und ästhetische Erfahrung fehlen darf schon. Auch Blick und Blickregime sucht man vegeblich. Kolonialismus gibt es, nicht aber Ethnozentrismus und Rassismus.
Trotz ihrer modernen Konjunktur hat man die Kunst- und Wunderkammer verabschiedet. Darüber ließe sich reden. Nur, wenn das Stichwort fehlt, wird man über Gründe dafür nicht im Handbuch fündig werden. Das Nationalmuseum fehlt, das ist schon sehr überraschend. Es gibt Restitution aber ohne Arisierung. Kunstraub hat es laut Register nur unter Napoleon gegeben. Kein gender und kein Frauenmuseum. Kein Ikonoklasmus, kein iconic turn, kein audience development. Eigentum ja, Besitz nein. Compliance(regeln), die grade an einem österreichischen Museum eine Direktorin bedrängen, fehlen, aber gut, die übergeordnete Museumsethik ist ein Thema. Weiterbildung, Erwachsenenbildung: Fehlanzeige. Mitbestimmung, ein Unthema, das auf die Tagesordnung gehörte, fehlt im Index. Es gibt das Unikat aber Bild, Gegenstand, Ding fehlen? Iconic turn? Nie gehört. Cultural studies? Nein. Gedächtnis schon, Erinnerung nein. Erbe - nein, aber Patrimoine.
Eine Bildungselite existiert nicht. Hegemonie ebenfalls nicht. Die New Museology, Liebkind vieler Museologen in den letzten Jahrzehnten, immer wieder wie ein Untoter zur Wiederauferstehung beschworen: im Index findet sie sich nicht. Öffentlichkeit fehlt. Und das geht ja nun ganz und gar nicht.
Im Personenregister habe ich bloß nach Autoren gesucht, die wichtige Beiträge zum Verständnis des Museums verfasst haben. Daniel Tyradellis "Müde Museen" mag zu rezent erschienen sein, als daß sein Name schon hätte berücksichtigt werden können, aber mit Donald Preziosi fehlt der aktuell brillanteste Museologe, ein Schicksal, das auch Sharon Macdonald teilt. Mit Alma S. Wittlin fehlt die wichtigste Museumshistorikerin. Hans Belting hat hochinteressante Aufsätze publiziert, fehlt aber ebenso wie Beat Wyss. Wenn die Kunst- und Wunderkammer fehlt, fehlt auch Julius von Schlosser. Darf z.B. Hans von Aufseß fehlen - und das Germanische Nationalmuseum gleich dazu?
Aber genug der Beckmesserei.
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Das Land der museologischen Handbücher ist zweifellos England. Da konnte schon mal Sharon Macdonald einen Art Leitfaden zu den diversen monumentalen Editionen verfassen, eine Art von Ratgeber für den Hilfesuchenden, der sich abertausenden Seiten von Text gegenübersieht (sehr witzig geschrieben und sehr lesenswert). Deutschsprachige Versuche, das Feld Museologie und Museum zu ordnen sind noch überschaubar. Mir fällt vor allem Anke te Heesens "Theorien des Museums" ein, das sich, völlig konträr zum fast schon parodistisch strengen Inhaltsverzeichnis, eher als Sammlung von Wissens- und Lesefrüchten ihrer Zeit an der Universität Tübingen denn als Übersicht vermittelnde Darstellung erweist, wenn auch im Detail oft brillant, anregend und aufschlussreich ist.
Das von ARGE Schnittpunkt (Wien) herausgegebene "Handbuch Ausstellungstheorie- und praxis" gibt sich schon im Titel als thematisch eingeschränkt zu erkennen. Aber die Mischung aus Essays und einem umfangreichen Glossar ist originell und bietet reichlich Stoff und Anregungen und ist näher dran an den jüngsten Entwicklungen als das eben erschienene "Handbuch Museum". Gegenüber te Heesens Publikation hat das Handbuch den Vorzug der größeren Systematik und Vollständigkeit, gegenüber dem Handbuch von ARGE Schnittpunkt die Übersichtlichkeit und ebenfalls die größere Vollständigkeit.
Einstweilen muß man sie halt alle nutzen, das ist auch bei den ungleich umfangreicheren und detaillierteren englischen Readern nicht anders. Unbefriedigend bleibt das allemal. Ein "Handbuch" - sei es des Museums, sei es der Museologie -, ist nun mal, selbst für ein Autorenkollektiv, eine nicht lösbare Aufgabe. Vielleicht liegt ein Effekt und Verdienst des "Handbuchs" darin, daß es Problembewußtsein schafft, ein Bewußtsein für die Vielgestaltigkeit des Museums als hybrider Praxis und Gegenstand theoretischer Erörterung.
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Das Bild auf dem Buchcover zeigt eine Frau, die frontal vor einer Museumswand mit drei gerahmten weißen Leinwänden steht, auf Distanz gehalten von einer niedrigen Absperrung. Stiefel, Schottenrock, Jacke und Schal machen den Eindruck einer vorm Schlechtwetter in den Schutzraum Museum Geflohenen, ihr rotes Barrett wollen wir nicht gleich symbolisch deuten, weder in Richtung Märchen noch Politik, wenngleich die drei "leeren Bilder", die sie offenbar betrachtet, den Willen des Buchgestalters verrät zu verrätseln.
Das Cover ist näher an einer Schlüsselfrage des Museums, als so mancher Text. Wo diese Eindeutigkeit und Sachlichkeit versprechen (müssen oder wollen), erweist sich das Museum immer wieder, auch in seinen einzelnen strukturellen Aspekten, als rätselhaft, bizarr, sich entziehend, immer neue Fragen aufwerfend. Jeder Versuch des Einholens dieser offenen Komplexität in ein festgeknüpftes Netz von Begriffen und Aussagen scheitert. Insofern ist das Buchcover als visuelle offene Botschaft vielversprechend.
In einer Hinsicht aber nur versprechend: Gerade mal dreizehn Abbildung hat das Buch - inklusive Grafiken. Mir hat es noch nie eingeleuchtet, warum derart viele einschlägige Publikationen ohne oder fast ohne bildliche Information auskommen, warum über einen visuelles Medium sui Generis absolut inadäquat immer und immer wieder nur im Medium Text referiert wird. Da wäre eine kleine museologische Revolution überfällig.
Siehe auch: Wer will das eigentlich noch wissen, das mit den Besuchern?
Donnerstag, 14. Juli 2016
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