Samstag, 11. Oktober 2014
Das Haus der Natur stellt sich zum ersten Mal seiner Vergangenheit. Manche Frage bleibt offen.
Das Haus der Natur in Salzburg stellt
sich nun zum ersten Mal seiner Geschichte. Neunzig Jahre nach seiner Gründung durch Paul Eduard Tratz
wird dessen Direktionszeit als "Ära"
in Form einer Ausstellung gewürdigt.
Aber man muß nicht befürchten, daß dieser eher affirmative
Begriff „Ära“ für eine neuerliche Würdigung
von Tratz steht, die dessen vielfältigen
Aktivitäten während der NS-Zeit und als
SS-Funktionär im
"Ahnenerbe" zudeckt.
Die Ausstellung „Das Haus der Natur 1924-1976 - Die Ära Tratz“[1]
(bis 30.Juni 2015), die nicht mehr als einen großen Raum und den vorgelagerten Gang beansprucht, listet
wesentliche Aktivitäten
von Tratz auf, wie sie in jüngeren
Forschungen umfassend dokumentiert wurden.[2] Nun
kann sich niemand mehr auf Un- oder Halbwissen zurückziehen. Die Beschlagnahmungen, die Raubzüge, die rassenideologischen
Forschungen, die Plünderungen
selbst katholischer Institutionen und das direkt in der Stadt Salzburg, die
Vernetzung mit einschlägigen
Institutionen und Personen, Trat schreckliche Schriften, das ist jetzt
umfassend dokumentiert. Mit Zitaten, Publikationen, Dokumenten, Fotografien und
Filmen, vieles davon noch nie veröffentlicht.
Viele zusammenfassende (merkwürdig
altbacken designte) Texte (auch in Englisch) verknüpfen alles zu einer ausführlichen chronologischen Darstellung.
Daß die Ausstellung vor allem dokumentiert und sich weitgehend
jeden moralisierenden Kommentars enthält,
sehe ich positiv.[3]
Auf die Dokumentation aufbauend kann man gut seine eigenen Schlüsse ziehen und sich seine Meinung
bilden. Allerdings endet die Dokumentation dort, wo es um die Verbindung zur
Zeit nach Tratz langer Direktion und um die Gegenwart geht. Es gibt im Moment
keinen Katalog oder eine Publikation der Arbeit der Expertenkommission (die
offenbar vorgesehen ist).[4]
Warum der von der US-Besatzungsmacht eingesetzte Nachkriegsdirektor mehr oder
weniger weggelobt wurde, um wiederum Tratz Platz zu machen, dessen
Entnazifizierungsverfahren für
ihn sehr günstig
"gestaltet" wurde, wirft die Frage nach den Motiven und den Förderern und Seilschaften auf.
So bleibt auch die Entscheidung, als Tratz Nachfolger Eberhard Stüber, dessen „Schüler“,
einzusetzen, im Dunkeln. Dessen Direktion, soll, wie man off records hören konnte, ausdrücklich und als Bedingung für das Zustandekommen des
Forschungsprojekts zur Geschichte des Hauses ausgespart werden.
Stüber hielt aber immer am Erbe von Tratz fest, er machte
selbst noch fragwürdige
ethnologische Feldforschung und ich erinnere mich gut an die Dermoplastiken und
die Fotografien, die ihn mit seinen "Forschungsobjeketen" zeigten.
Niemand nahm daran Anstoß,
auch nicht an den rassenkundlichen Figurinen aus der Direktionszeit von Tratz,
die u.a. den "östlichen"
und "westlichen Typ" darstellen sollten.
Stüber wusste genau, was diese Objekte bedeuteten und wie wenig
harmlos sie waren. Als der Europarat eine große Tagung im Haus der Natur abhielt, führte Direktor Stüber
durch das Haus, vermied es aber jene Räume
zu zeigen, in denen einschlägige
Objekte zu sehen waren.
Die Direktion Stüber, in der Ausstellung wie in dem zitierten begleitenden
Aufsatz[5]
also einfach „ausgespart“, gehörte aber unbedingt ebenfalls untersucht. Und zwar deshalb,
weil eine der Schlüsselfragen,
die nach der Entwicklung des Hauses der Natur, nach Kontinuitäten und Diskontinuitäten von museologischen und
naturkundlichen Paradigmen und Ideologien, offen ist. Auch nach der
Ausstellung.
Dennoch meine ich, daß die Ausstellung ohne wenn und
aber verdienstvoll ist. Sie wird dem Museum bei einer Neuorientierung guttun
und sie bietet der öffentlichen
Meinung endlich umfassend Information, die es abgesehen von Roberts Hoffmanns
Aufsatz nur bruchstückhaft
gegeben hat. (Bis heute gehören
die Posts zum Haus der Natur in meinem Blog zu den meistgelesenen, ich nehme
an, weil sie zu den wenigen Quellen zur Direktion Tratz überhaupt zählen.)[6]
Die Ausstellung gliedert die Geschichte
des Hauses der Natur in drei Teile: Da wäre die aus gleichsam laienhaften und bescheidnen Anfängen (Vogelkunde;
vogelkundliche Forschungsstation) ein regional bedeutsames, pädagogisch engagiertes
Naturmuseum entstanden, eine gleichsam "unschuldige"
volksbildnerische Einrichtung, die auf Grund der Beziehung von Tratz zu
Wissenschaft und Politik sich anschickte überregionale Resonanz zu bekommen.
Dann kommt die Zeit, in der das Museum
Teil des SS-Ahnenerbes wird und sich Tratz nun "schuldig" macht, wie
vielfach belegt wird. Die Ausstellung thematisiert diesen Bruch, aber als rätselhaft und nicht erklärbar.
Die dritte Phase wäre dann die der Erneuerung, der
Reform und schließlich der
ökologischen
Neuorientierung. Wir sollen annehmen, daß mit diesem dritten Teil der Geschichte die Kontaminierung
mit der Politik und Ideologie des Nationalsozialismus vorüber gewesen sei und ein neuer
Abschnitt, der der „Entschuldung“ angebrochen sei.
Das passt nun aber gar nicht zu den
Tatsachen. Zunächst tritt
ja Maximilian Piperek,[7]
NSDAP-Mitglied, die Direktion an, von dem mir aus der knappen Darstellung
seiner Biografie und seiner Vorhaben nicht klar geworden ist, ob er sich bloß um eine Modifikation
Tratzscher Ideologeme bemüht
hat oder ob das ein wirklicher Bruch mit der Vergangenheit war. Die beträchtlichen Aggressionen gegen
ihn und die Vehemenz, mit der man Tratz wieder zurückwünschte
und dann ja auch tatsächlich
zurückholte, sind erklärungsbedürftig. Ist es nicht erstaunlich, daß jemand, der im erzkatholischen Salzburg katholische
Institutionen plündern ließ, um sein Museum anzureichern,
solche Sympathien haben konnte? Was an ihm war so wichtig, was vertrat er, was
war erwünscht, daß er dort weitermachen könnte, wo er aufgehört hatte? Die Ausstellung erwähnt, daß sich Tratz nach 1945 von nichts distanzierte, keine seiner
Publikationen verschwieg.
Im eben erschienenen Aufsatz im neuen
museum betonen die Autoren Norbert Winding (als Direktor des Hauses der
Natur und Mitarbeiter bereits unter Eberhard Stüber) und Robert Lindner (Leiter Sammlungen und Wissenschaft
und Leiter des Forschungsprojekts) sowie Robert Hoffmann[8]
die Einzigartigkeit des Konzeptes des Hauses der Natur und seiner Abhängigkeit von einer Person, die „ohne Zweifel“ ausschlaggebend für die Wiederbestellung von
Tratz (ab 1.Juni 1949 ist er wieder Leiter des Hauses der Natur) gewesen sei.
Zugleich werden aber die vehementen Forderungen nach Rückkehr durch „seine
früheren Mitarbeiter“ und von Mitgliedern des von
der Besatzungsmacht aufgelösten
Trägervereins erwähnt.[9]
Die Autoren halten es für „nachvollziehbar“, daß Stadt und Land „aus
pragmatischen Gründen“ Tratz zurückholten. Mit solchen
Formulierungen vermeidet man jede Beschäftigung
mit der politisch-ideologischen Situation in Land und Stadt Salzburg nach 1945
und braucht sich daher auch nicht mit dem zähen und langen Nachleben von Seilschaften und dem Widerstand
gegen Aufklärung zu beschäftigen, der bis heute noch zu
spüren ist. Wenn die
Salzburger Grünen kürzlich haben ausrichten lassen,
daß ihr Antrag, Tratz die
Ehrenbürgerschaft
abzuerkennen, „versandet“ sei, dann darf man sie fragen,
was sie seit 2009 unternommen haben, um ihrem Antrag zum Erfolg zu verhelfen,[10]
erst recht jetzt, wo sie an der Landesregierung beteiligt sind.[11]
Gegen die Bewertung des bislang letzten
Abschnitts der Museumsgeschichte als vollzogener Bruch mit Tratz und seiner
Ideologie spricht die Entwicklung des Hauses unter dessen Eberhard Stüber, der ein, wie man so sagt,
Schüler von Tratz war. Er
war ebenso wenig wie Tratz nach 1945 jemand, der sich der Vergangenheit des
Museums und dem ihm zugrundeliegenden Naturverständnis distanzierte. Die unter ihm angebahnten ökologischen Projekte und
Diskurse, die man als Indizien für
den grundlegenden Wandel anführt,
müssen nicht unbedingt als
solche gelten. Man kann dies als Mitvollziehen eines wissenschaftlichen und
gesellschaftspolitischen Paradigmenwechsels verstehen, es war aber auch, und vielleicht
das oft in erster Linie, eine willkommene neue Legitimation einer Institution,
die generell unter Legitimationsdruck geraten war. Das galt und gilt für Naturmuseum, die ihre
taxonomische und archivierende Arbeit allein nicht mehr als Legitimation
ausreichend einstuften. Was man kurzerhand als Modernisierung einschätzt oder propagiert, entpuppt
sich bei genauerem Hinsehen als ökologische
Wende in der Auffassung von Natur. Die aber beginnt lange vor dem
Nationalsozialismus, und damit auch mit ihren rassistischen und inhumanen
Implikationen, eine Bewegung, die gerade in Österreich auch nach 1945 sehr prominent war. Ich erinnere
nur an Konrad Lorenz und den Konflikt, der um seine Verhaltensforschung
ausbrach. Diese ökologische
Naturauffassung kennt sehr unterschiedliche Spielarten, und einige davon gehören zum Kernbestand der Grünen Bewegung und Partei.
Bernhard Lötsch etwa, der
direkt aus dieser Bewegung heraus zum Museumsleiter des Wiener
Naturhistorischen Museums gemacht wurde, vertrat eine ideologisch-politische,
um es freundlich zu formulieren, sehr konservative Position. Er, wie Stüber ein außerordentlich engagierter
Naturschützer, wehrte sich
vehement gegen die Auflösung
des sogenannten Rassensaales, der weder wissenschaftlich noch ausstellungsdidaktisch
haltbar war und unter seiner Direktion wurden z.B. einschlägige (etwa zeitgleich zu den
Salzburger Abformungen entstandene) rassenpolitische Präparate aus der NS-Zeit in der Eingangshalle als Eyecatcher
zur Werbung für
Blutspenden (sic) eingesetzt.
Diese Geschichte einzubeziehen scheint
das Forschungs- und Ausstellungsteam nicht beabsichtigt zu haben. Hätte man das getan, wäre die 'Dreiteilung' der
Geschichte des Hauses der Natur so nicht haltbar, wie sie in der jetzigen
Ausstellung vorgenommen wird. Es wäre
dann z.B. der scheinbar so rätselhafte
Übergang vom naturkundlich
engagierten Pädagogen
Tratz zum Vernichtungstexte abfassenden Funktionär eines berüchtigten
Forschungsinstituts weniger unverständlich
gewesen.
Dies zu leisten steht also ebenso noch
aus, wie endlich die Direktionszeit und Biografie von Eberhard Stüber aufzuarbeiten, nicht allein
um der Aufhellung persönlicher
Haltungen und Handlungen willen, sondern zur Aufklärung jener Kontinuitätsgeschichte
der Ökologie- und
Naturschutzbewegung, die (bis heute) den Rahmen des Hauses der Natur bildet.
Dann könnte man noch einen dritten Aspekt thematisieren, der
bislang noch kaum wo gewürdigt
wurde: die museologisch-didaktische „Philosophie“ von Tratz, also seine eminent
pädagogische Bemühung um Verständlichmachen und
Veranschaulichen. Seine unzähligen
ungemein liebevoll gebauten didaktischen Apparaturen, akkurat beschriftet,
beweglich, bunt, möglichst
klar, einfach, kind- und erwachsenengerecht - dieses enorme Repertoire an „Didaktik“ verschwindet langsam aus dem Haus, sicher auch, weil es
durch modernere Medien überholt
wirkt. Klar, diese eminent didaktische Haltung gehört zur ökologischen
Vermittlungsarbeit, bei der die Grenzen zur politisch-ideologischen
Doktrinierung während der
Jahre des NS nicht zu ziehen sind. Noch heute kann man in den Restbeständen der Tratzschen
Veranschaulichungs-Maschinchen Objekte oder Schautafeln entdecken, die
unmissverständlich sein
schreckliches Menschen- und Naturbild verraten. Diese Didaktik läßt sich nicht isolieren und als
Museumspädagogik an sich
studieren oder bewundern. Dennoch hätte
ich es für sinnvoll
gehalten, diese große
Besonderheit des von Tratz geprägten Hauses der Natur im
Kontext der Erneuerungsbewegungen und Museumsdidaktik seit 1900 zu untersuchen und
zu bewerten. Ich bin auch nicht dafür,
alle Tratschen „Überlebsel“, die das Haus zeigte und z.T.
noch zeigt, einfach verschwinden zu lassen. Behutsam in eine neue Ausstellung
integriert und kontextualisiert könnte
man ihnen ein längeres Überleben ruhig gönnen.
Daß man die Tratz-Büste
aus dem Foyer und dem Museum schon vor Jahren im Zuge eines Umbauus des Foyer
entfernt hat, ist richtig. Das Museum darf nicht unterm Zeichen einer solchen
Person stehen. Ich bin aber nicht für
eine "Entschuldung" durch Entfernen oder Entsorgen. Dadurch wird man
seine unerwünschte
Geschichte nicht los, eher im Gegenteil. Unter der Bedingung der Aufarbeitung,
die mit der Ausstellung nun nachdrücklich
eingesetzt hat, könnte so
manches bleiben oder wieder gezeigt werden, wenn es in einem neuen Kontext und
unter Klärung der
historischen Bedingungen vielleicht ganz neue Erkenntnisse ermöglicht.
Das gilt namentlich für die Tibet-Dioramen, die aus
der Ahnenerbe-Forschung stammen und zu den Attraktionen des Hauses gehören. Sie werden seit Tratzens
Zeit gezeigt. In der Ausstellung wird ihre Herkunft und ihr Zustandekommen
dokumentiert, im Museum nicht. Ganz im Gegenteil. Anlässlich eines Besuchs des Dalai Lama im Museum während der Direktion Stüber wurden den Dioramen zwei
Textafeln vorgeschaltet, die aus dem Ensemble eine "Tibet-Schau" mit
einer komplett irreführenden
Jahreszahl machen. Der unbedarfte Besucher meint nun, daß diese Schau in jüngster
Zeit aus Anlass des Besuches des religiösen
Oberhauptes der Tibeter entstanden ist und daß dieser, so scheinen es die Fotos zu belegen, der
Ausstellung außerdem
Nobilität und Authentizität zuerkannt hat. Also im Akt
einer Art von Imprimatur von "höchster
Seite". Das kann so nicht bleiben und ich wundere mich, warum das
eigentlich immer noch so gezeigt wird, wo es doch erst recht zeitgleich mit der
Ausstellung extrem fragwürdig
wird. Man hätte nur
eineiige Texte der Ausstellung doppelt ausdrucken müssen und hätte
eine provisorische Kommentierung der Tibet-Dioramen zur Hand gehabt. Gerade
hier muß die Ausstellung
und die umfassende Recherche zur Geschichte des Hauses praktisch werden. Die
Funktion und Ideologie der Tibet-Expedition gehören benannt, die Eckdaten präzisiert, das Zustandekommen der Dioramen einschließlich der Information, daß die Figuren nach
rassenkindlich „behandelten“ Tibetern entstanden sind, die
man vor Ort vermessen und denen man Masken abgenommen hat.
Das wird aber nicht reichen. Die
Dioramen vermitteln das Bild eines archaischen und ursprünglichen Tibet. Lhasa liegt da wie zur Zeit Sven Hedins oder
Heinrich Harrers. Tibet ist heute eine Region Chinas, was zwar in einem Text
angedeutet wird, aber für
Besucher, die Lhasa schon mal für
Salzburg halten,[12]
doch viel zu verschlüsselt
und versteckt. Also müsste
man - mindestens - etwas zum heutigen Tibet sagen, zur Differenz der Bilder,
die man vor Augen hat, zur Gegenwart und der heutigen Lebenswirklichkeit der
Tibeter.
Mit der Ausstellung hat das Museum einen
großen und verdienstvollen
Schritt getan. Sie wird lange gezeigt und wird vermutlich im Land und in der
Stadt das Bewusstsein für
das Haus verändern. Die
Dokumentation, die man zeigt, ist umfangreich, behandelt sehr viele Aspekte,
weit mehr, als bisher bekannt waren und bezeugt mit z.T. grotesken Fotos - Männer in Loden rauben Tierpräparate… - die Ungeheuerlichkeiten, die zur NS-Zeit rund ums Haus
der Natur passierten und mit dem Namen Tratz ab nun definitiv verknüpft sein werden.
Manches bleibt, wie ich gezeigt habe, offen,
halb stecken. Immerhin hat man mit der Restitution von Objekten begonnen, die
im Laufe des Jahres 1914 auch abgeschlossen werden sollte. Man wird sehen, wie
sich das Museum weiter entwickelt und ob und wie die Aufarbeitung der
Geschichte des Hauses weitergeführt
werden und in seine Praxis hineinwirken wird.
[1] Norbert Winding, Robert Lindner,
Robert Hoffmann: Geschichtsaufarbeitung
als Ausstellung: Das Haus der Natur 1924-1976 - Die Ära Tratz, in: neues museum, Oktober 2014, 14.Jg.,
Nr.4, S.62-67
[2] Robert Hoffmann: Ein Museum für Himmler. Eduard Paul Trat und die Integration des
Salzburger „Hauses der Natur“ in das „Ahnenerbe“ der SS, in: Zeitgeschichte, 35.Jg., Mai/Juni 2008,
S.154-175
[3] Das Museum schreibt sich die
Initiative zur Aufarbeitung selbst zu und rühmt
sie als Pioniertat im Feld der Naturmuseen. Allerdings listet ein
Ausstellungstext - lückenhaft - diverse Presseartikel und
wissenschaftliche Beiträge auf, die seit den 80er-Jahren die
Geschichte des Hauses der Natur nach und nach aufhellten. Möglicherweise war letztlich der Auftrag des LH-Stellvertreters
und Aufsichtsratsvorsitzenden des Hauses der Natur, Buchleitner,
ausschlaggebend dafür, daß eine Art Historikerkommission zustandekam. Deren Arbeit
liegt der jetzigen Ausstellung zugrunde.
[4] Die Arbeitsgruppe setzte sich aus dem
Zeithistoriker Robert Hoffmann zusammen, Susanne Köstering, einer Potsdamer Museologin, die auf Naturmuseen
spezialisiert ist. Die Kuratorin des Naturhistorischen Museums Maria
Teschler-Nicola, Anthropologin und des Zoologen Alfred Goldschmied.
[5] wie Anm.1
[6] Den gemeinsam mit Sabine
Schleiermacher verfassten Essay „Blutgebundene Abhängigkeit“ habe ich 2010 im Blog noch einmal veröffentlicht. Er erschien im Standard 1992 und war die erste
Beschäftigung mit der NS-Geschichte des
Hauses der Natur für eine breitere Öffentlichkeit. Der Artikel blieb ohne jede messbare
Reaktion. Hier der Link: http://museologien.blogspot.co.at/2010/04/blutgebundene-abhangigkeit-das-haus-der.html
Ebenfalls
2010 habe ich eine Art Kurzgeschichte des Museums zur Zeit der Tratzschen
Direktion im Blog verfasst, Das Haus der Natur als Institut des SS-Ahnenerbes.
Link: http://museologien.blogspot.co.at/2010/01/das-haus-der-natur-in-salzburg-als.html
2013
kam dann ein weiterer Post hinzu, Selbstverordneter Gedächtnisschwund, dessen Anlass die „informationslose“ Webseite war, wo man nahezu nichts über die Rolle von Tratz und die des Museums in der NS-Zeit
erfuhr. Darauf reagierte das Museum allerdings rasch und rüstete die Webseite mit einschlägigen Informationen nach. Link: http://museologien.blogspot.co.at/2010/01/das-haus-der-natur-in-salzburg-als.html
[7] Piperek war Gymnasiallehrer mit
naturkundlicher und philosophischer Ausbildung. 1945 von der amerikanischen
Besatzungsmacht eingesetzt.
[8] wie Anm.1
[9] wie Anm.1, S.66
[11] Gerald Lehner berichtet über die inzwischen zweite Umbenennung einer
Forschungsstation am Großglockner. Nachdem der Name Tratz vorübergehend durch eine neutrale Bezeichnung ersetzt worden
war, wurde die 1989 gegründete und vom jetzigen Direktor des
Hauses der Natur, Norbert Winding eingerichtete Station kürzlich in Eberhard Stüber
Forschungsstation umbenannt. Lehnet: „Im
Fall der Tratz-Haus der Natur-Stüber-Forschungsstation in den Hohen
Tauern spart nun die Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreterin und
Naturschutz-Referentin Astrid Rössler nicht mit Lob für Akteure. Die oberste Grüne
spricht wörtlich von einer „Pioniertat ökologischer Grundlagenforschung“ und einer „visionären
Entscheidung“, als vor genau 25 Jahren die
Tratz-Forschungsstation im Nationalpark Hohe Tauern gegründet wurde. In der entsprechenden Aussendung der Salzburger
Landeskorrespondenz vom 19. September 2014 fehlt jeder Hinweis auf die langen
Debatten um die Station, die Vergangenheit des Naturkundemuseums „Haus der Natur“ und des SS-Naturforschers Tratz.“ Gerald Lehner: Neuer Personenkult, alte
Geschichtslosigkeit. 20.September 2014 (Blog) http://hausdernatur.wordpress.com/
[12] Ein sicher schon mehr als
volksschulpflichtiges Kind identifiziert den Potala als Salzburg und beharrt,
als die Eltern rat- und ergebnislos in dem erläuternden
Text lesen, ahnend, daß da was nicht stimmen kann, in Berufung
auf die Autorität eines Onkels: das ist Salzburg. Er
hats gesagt. Die Kleinfamilie zog ratlos ab, die Eltern blieben - aus eigener
Ahnungslosigkeit oder pädagogischer Großmut? - stumm.
Mittwoch, 8. Oktober 2014
Dienstag, 7. Oktober 2014
Montag, 6. Oktober 2014
Wer? Du? Sicher nicht! Angewandte Exklusion (Texte im Museum 496)
In einer Diskussionsreihe zur Bedeutung und Funktion des Grazer Kunsthauses - aus Anlaß politischer Infragestellung - spielte die Frage des Ausschlusses eine erstaunlich große Rolle. Und zwar nahezu ausschließlich als Frage, wie man mehr, vor allem wie man Nicht-Besucher, Besucher die dem Kunsthaus und der Modenen Kunst ablehenend gegenüber eingestellt sind, in das Kunsthaus bekommt.
Wie sehr das Museum selbst ein Ort der Distinktion ist, kam dabei nicht zur Sprache.
Hier nun der Einführungstext zu Person und Arbeit von Katharina Grosse, von der eine große Installation derzeit im Kunsthaus gezeigt wird.
Wie so oft und in vielen Kunstmuseen und -hallen wird Kunst als schon vorgängig legitimiert gezeigt behandelt. Es / Man spricht zu uns mit der Autorität der Institution und der Autorität des anonymen Kurators (Kuratorin), deren Wahl und Deutung Fraglosigkeit impliziert. Alle Angaben im Text sind Tatsachenmitteilungen und nicht etwa fragile Zuschreibungen, die sich erst im Wechselspiel von Zeigen und Gezeigt-Werden, von Werk und Betrachter herstellen - oder auch nicht.
Die Sprache zeigt Muskeln und gebärdet sich kraftvoll, "mächtige Vorstöße", "ausufernd" oder "maßlos" stehen neben nüchternen technischen Angaben: "Spritzpistole".
Mit der Wendung "das Bild wird begreifbar" wird nicht nur Verstehbarkeit suggeriert, sondern auch deren Eintreten beim Besuch prognostiziert. Wer dieses Ziel verfehlt, und ratlos bleibt, ist ebenso ausgeschlossen, wie der, der grübelt, was denn eine "metaphysische Erkenntnis des Gesamten" sei oder der zweifelt, woher denn hier plötzlich die Natur hinzukommt, mit der - und der Kunst - er verwachsen soll. Was ja nun nicht der Modus von Erkenntnis und "begreifen" ist.
Der Text exkludiert alle, die nicht in diese Feier des Werks einstimmen wollen und alle jene, die nicht zur kleine Elite der "Eingeborenen des Kunstbetriebs" (frei nach Bourdieu formuliert) gehören, also zu jenen, an die ein solcher Text eigentlich adressiert ist - an der Besuchermehrheit vorbei.
Sonntag, 5. Oktober 2014
Im "Neuen Museum" läßt der Museumsbund Österreich über die Zukunft der Museen nachdenken
Die Zeitschrift des Museumsbundes Österreich „neues museum“ hat sich unter neuer Leitung des Verbandes und neuer Redaktion zum Besseren entwickelt. Es gibt klarere Schwerpunktsetzungen, eine klarere Gliederung des Hefts, mehr Essays zu Grundsatzfragen und ein übersichtlicheres Layout. Zum 25-jährigen Jubiläum des Verbandes leistet man sich einen Schwerpunkt „Das Museum in 25 Jahren“ mit sechs Essays.
Angela Janelli, Kuratorin am Historischen Museum Frankfurt wünscht sich eine Zukunft mit mehr „wilden Museen“. Damit sind (in Anlehnung an Levi Strauss’ Terminus vom wilden Denken) Museen gemeint, die vielfältig sind, deren „Design gesprengt“ wird, „so wie Löwenzahn den Aspahlt“ sprengt, die eher Produktionsorte denn Schauhäuser sind, die daher viele Formen der Beteiligung ihres Publikums kennen dessen Erfahrungen und Geschichten gleichwertig neben dem kuratorischen Wissen steht. Kurzum, wilde Museen sind solche, wo mehrere Formen von Wissen nebeneinander stehen, in friedlicher Koexistenz. Die wilden Museen grenzen sich von den domestizierten ab (die sie vielleicht ablösen werden?). Dies sind die „schönen, solide recherchierten“, die mit Shop und Café, die, die sich weltweit gleichen, „gleich schön, gleich angenehm, gleich vorhersehbar“.
Janellis Zukunftstraum, der mir rundum symphatisch ist, weil ich das Riskante und Experimentelle am Museum sehr vermisse, hat viele Zugeständnisse an alte Museumsvorstellungen und manchen Kompromiss im Repertoire, während Daniel Tyradellis Traum noch wilder gerät und er aus diesem dementsprechend „schweißgebadet“ aufwacht. Kein Wunder, gleich zu Beginn werden die Vertreter des alten Museums pensioniert oder entlassen um einem Museum Platz zu machen, das „Menschen zum Denken anregt oder gar nötigt“. Im wilden Träumen wird bei Tyradellis (Kurator, Philosoph) mit der Dingfixierung, Begriffen wie Aura und Echtheit, den kanonischen Hierachisierungen, der „betäubenden“ Szenografie und vielem anderen abgerechnet um sich dem „Hauptinhalt jedes Museums“ zuwenden zu können, „den Beziehungen“, den Dinge in einem experimentellen Denken im Raum herstellen können, untereinander und mit den Besuchern.
Heftige Kritik an liebgewonnenen und unhinterfragten Topoi der Museumspraxis und der Museologie gibt es auch im Beitrag von Markus Walz (Museologe), der als Stanislav Lem der Museologie erfolgreich eine Science Fiction Story aus diversen zeitgenössischen und zeitgeistigen Trends extrapoliert. Der Witz dieser Zukunftsvision ist der, daß sie wie eine hochrealistische Beschreibung der Zukunft des Museums daherkommt, bei dem einem gleichzeitig das Grausen und das Lachen kommen kann. Die Zuspitzung der ökonomischen Rationalisierung, die organisatorische Effizienz, die Verfeinerung und Extensivierung des Quotenwahns, die exzessive Privatisierung - die chinesische IBC Bank übernimmt Guggenheim - und vieles andere mehr werden so glaubhaft geschildert, wie es sich für gute Science Fiction gehört. Und in guter Tradition utopischer Literatur ist sie eine Form, in der Kritik am Alten geleistet werden kann, hier an manchen Heiligen Kühen der Museologie.
Ganz und gar auf dem Boden der sogenannten Tatsachen steht der ehemalige Direktor der Museums Association des United Kingdom, Mark Taylor. Zukunft ist hier konkret, geplant, vom englischen Museumsbund vorauschauend bewirtschaftet und gebündelt in einem Projekt Museums Change Lives. Ganz im Ernst!? Das Museum verändert das Leben. Aller?!
So etwas lese ich völlig gespalten. Einmal mit Bewunderung für die gedankliche und logistische Rationalität, mit der der große und einflussreiche Verband so etwas vorbereitet, lanciert und, daran besteht kein Zweifel, umsetzen wird. Programmatisches, zielorientiertes Handeln ist etwas, was ich von den deutschsprachigen Verbänden so sicher nicht kenne. Aber.
Ich lese es nicht nur mit gewisser Bewunderung, sondern zugleich mit Staunen und einiger Bestürzung, wenn etwa an manchen Stellen die nackte Sozialtechnologie und kulturelle Hegemonisierung blank liegt: Museums „can help disaffected people and those from marginalised sections of the community gain a sense of citizenship and belonging to society and broaden horizons, which can otherwise seem narrow and uninviting.“
Solche tief in die Lebenswelt eingreifenden Museumsphantasien hat in England seit dem Beginn des 19.Jahrhunderts Tradition, vor allem als „Erziehung der Arbeiterklasse“. Jetzt scheint das als eine Reaktion auf postmoderne Ohnmacht gegenüber den ökonomischen und politischen Verhältnissen wiederzukehren. Als "classism", als paternalistisches Kalmierungsprogramm, als eine Strategie, Identifikation mit dem Staat vermeintlich gewaltfrei herstellen zu können - ausgerechnet übers Museum und nicht über Politik und demokratische Teilhabe.
Ich habe zu dem „Jubiläumsheft“ eine skeptische Einschätzung beigetragen, daß aus dem Museum selbst Einsicht, Kritik und Revision der eingeschliffenen Praktiken kommen könnte. Sie stellen der Tendenz zu Ökonomisierung und Privatisierung entgegen, was man Öl ins Feuer gießen nennen könnte. Stattdessen: Marketing, Eventisierung, Instrumentalisierung des Publikums statt Beteiligung oder gar, Gott behüte, Demokratisierung der Organisation.
Ich denke wirklich nicht, daß sich am hegemonialen, patrimonialen Zuschnitt des Museums etwas ändern wird. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß sich die Museen überhaupt nur annähernd der gesellschaftspolitischen Probleme bewußt sind und bewußt sein wollen, die auch zu ihren Rahmenbedingungen gehören.
Meine eigene Utopie geht diametral in die Gegenrichtung dieses Mainstreams. Statt der konsensuellen Abfeier der kanonisierten Kulturgüter sollte eine Radikalisierung der diskursiven Öffentlichkeit im Museum treten. Das nenne ich „agonistisches Museum“. Das Museum gedacht als einen Ort der zivilen, respektvollen Austragung eines Streits der Interessen, die in diesem Modell nicht verschleiert, geleugnet oder ideologisch weggezaubert würden. Mein Traum ist das Museum als zivilgesellschaftlicher Raum, wo ein Diskurs im Rückgriff auf Objekte als Medien ästhetischer und historischer Erfahrung in einem kollektiven Erfahrungsprozess ihren Platz haben. Wie gesagt: ein Traum. Nicht für die nächsten 25 oder 50 Jahre, ja, das kann ich mir selber auch sagen, wie unrealistisch das ist.
Ein Beitrag fällt aus der Sammlung von Texten zur Zukunft des Museums heraus. Andrea Bina, Leiterin des Linzer Stadtmuseums, beschäftigt sich nicht mit der Zukunft der Museen. Sie stellt „ihr“ Haus vor, und das leider unter Verwendung ziemlich vieler, zu vieler guter (und abgegriffenner, verschlissenen) Vorhaben. So ein Artikel kann mich nicht mal von Graz aus nach Linz locken. Warum lernen Museumsleute nicht endlich, daß ein Publikum ganz anders angesprochen werden muß als in schülerhafter Bravheit oder, so würde es Angela Janelli sagen, „Domestiziertheit“?
Der Aufsatz gehörte in den Abschnitt „Schauplätze“ des neuen museum, der traditionellerweise der Selbstdarstellung von Museen vorbehalten ist.
Dieser Teil der Museumszeitschrift hat mich selten interessiert. Es ist der vorhersehbarste Teil. Selbstverständlich wollen sich Museen und Museumsleiter ins Schaufenster stellen und selbstverständlich werden sie nur ihre Schokoladenseite zeigen. Aber aus diesen Beiträgen lernt man nichts. Diese „Werbeeinschaltungen“ kommen klarerweise meist ohne jede Relativierung, geschweige denn Kritik aus und spiegeln eine Schwäche beider österreichischen Museumsverbände, des Museumsbundes und ICOM. Beide sind als Interessenvertretung vom Bedürfnis der Selbstbehauptung und -darstellung ihrer Mitglieder betroffen, von einer beruflich-fachlichen Innensicht, die als Beharren, Verteidigen und Feiern des Ist-Zustands kein Potential der Veränderung bietet und auch meist scharf abgegrenzt ist nach allem was „Aussen“ ist, was "nicht zu uns" gehört und was herausfordern könnte. Eins der größten Defizite der Zeitschrift ist die Vernachläßigung der internationalen Entwicklung, des Vergleichs, der Konfrontation. Ich gebe zu, daß das den Produktions- und Redaktionsaufwand vergrößern würde. Aber warum gibt es nicht so etwas wie "Auslandskorrespondenten" oder "Gastauftritte"? Kolleginnen und Kollegen, die regelmäßig über die Entwicklung von den hot spots der Museumsentwicklung berichten.
Um so erfreulicher ist, daß das neue museum schon seit eineigen Heften Luft hereinlässt ins abgeschottete Reich der Funktionärskaste, neue Themen lanciert, interessante Autoren und neue Formate sucht. So heterogen die hier kurz vorgestellten Beiträge sind, die Qualität des Schwerpunkts liegt genau darin, daß hier sehr unterschiedliche Erfahrungen und Auffassungen nebeneinander stehen. Ihren Thesen, Widersprüchen, Reibungsflächen nachzuspüren könnte ein ganzes museologisches Seminar füllen, Ausgangspunkt vieler Debatten über das Museum sein, über seinen Istzustand und seine wünschenswerte Entwicklung.
Ich wünsche mir von der Leitung des Museumsbundes, nicht nachzulassen im Fördern dieser offenen und kritischen Haltung. Nichts brauchen die Museen mehr!
Angela Janelli, Kuratorin am Historischen Museum Frankfurt wünscht sich eine Zukunft mit mehr „wilden Museen“. Damit sind (in Anlehnung an Levi Strauss’ Terminus vom wilden Denken) Museen gemeint, die vielfältig sind, deren „Design gesprengt“ wird, „so wie Löwenzahn den Aspahlt“ sprengt, die eher Produktionsorte denn Schauhäuser sind, die daher viele Formen der Beteiligung ihres Publikums kennen dessen Erfahrungen und Geschichten gleichwertig neben dem kuratorischen Wissen steht. Kurzum, wilde Museen sind solche, wo mehrere Formen von Wissen nebeneinander stehen, in friedlicher Koexistenz. Die wilden Museen grenzen sich von den domestizierten ab (die sie vielleicht ablösen werden?). Dies sind die „schönen, solide recherchierten“, die mit Shop und Café, die, die sich weltweit gleichen, „gleich schön, gleich angenehm, gleich vorhersehbar“.
Janellis Zukunftstraum, der mir rundum symphatisch ist, weil ich das Riskante und Experimentelle am Museum sehr vermisse, hat viele Zugeständnisse an alte Museumsvorstellungen und manchen Kompromiss im Repertoire, während Daniel Tyradellis Traum noch wilder gerät und er aus diesem dementsprechend „schweißgebadet“ aufwacht. Kein Wunder, gleich zu Beginn werden die Vertreter des alten Museums pensioniert oder entlassen um einem Museum Platz zu machen, das „Menschen zum Denken anregt oder gar nötigt“. Im wilden Träumen wird bei Tyradellis (Kurator, Philosoph) mit der Dingfixierung, Begriffen wie Aura und Echtheit, den kanonischen Hierachisierungen, der „betäubenden“ Szenografie und vielem anderen abgerechnet um sich dem „Hauptinhalt jedes Museums“ zuwenden zu können, „den Beziehungen“, den Dinge in einem experimentellen Denken im Raum herstellen können, untereinander und mit den Besuchern.
Heftige Kritik an liebgewonnenen und unhinterfragten Topoi der Museumspraxis und der Museologie gibt es auch im Beitrag von Markus Walz (Museologe), der als Stanislav Lem der Museologie erfolgreich eine Science Fiction Story aus diversen zeitgenössischen und zeitgeistigen Trends extrapoliert. Der Witz dieser Zukunftsvision ist der, daß sie wie eine hochrealistische Beschreibung der Zukunft des Museums daherkommt, bei dem einem gleichzeitig das Grausen und das Lachen kommen kann. Die Zuspitzung der ökonomischen Rationalisierung, die organisatorische Effizienz, die Verfeinerung und Extensivierung des Quotenwahns, die exzessive Privatisierung - die chinesische IBC Bank übernimmt Guggenheim - und vieles andere mehr werden so glaubhaft geschildert, wie es sich für gute Science Fiction gehört. Und in guter Tradition utopischer Literatur ist sie eine Form, in der Kritik am Alten geleistet werden kann, hier an manchen Heiligen Kühen der Museologie.
Ganz und gar auf dem Boden der sogenannten Tatsachen steht der ehemalige Direktor der Museums Association des United Kingdom, Mark Taylor. Zukunft ist hier konkret, geplant, vom englischen Museumsbund vorauschauend bewirtschaftet und gebündelt in einem Projekt Museums Change Lives. Ganz im Ernst!? Das Museum verändert das Leben. Aller?!
So etwas lese ich völlig gespalten. Einmal mit Bewunderung für die gedankliche und logistische Rationalität, mit der der große und einflussreiche Verband so etwas vorbereitet, lanciert und, daran besteht kein Zweifel, umsetzen wird. Programmatisches, zielorientiertes Handeln ist etwas, was ich von den deutschsprachigen Verbänden so sicher nicht kenne. Aber.
Ich lese es nicht nur mit gewisser Bewunderung, sondern zugleich mit Staunen und einiger Bestürzung, wenn etwa an manchen Stellen die nackte Sozialtechnologie und kulturelle Hegemonisierung blank liegt: Museums „can help disaffected people and those from marginalised sections of the community gain a sense of citizenship and belonging to society and broaden horizons, which can otherwise seem narrow and uninviting.“
Solche tief in die Lebenswelt eingreifenden Museumsphantasien hat in England seit dem Beginn des 19.Jahrhunderts Tradition, vor allem als „Erziehung der Arbeiterklasse“. Jetzt scheint das als eine Reaktion auf postmoderne Ohnmacht gegenüber den ökonomischen und politischen Verhältnissen wiederzukehren. Als "classism", als paternalistisches Kalmierungsprogramm, als eine Strategie, Identifikation mit dem Staat vermeintlich gewaltfrei herstellen zu können - ausgerechnet übers Museum und nicht über Politik und demokratische Teilhabe.
Ich habe zu dem „Jubiläumsheft“ eine skeptische Einschätzung beigetragen, daß aus dem Museum selbst Einsicht, Kritik und Revision der eingeschliffenen Praktiken kommen könnte. Sie stellen der Tendenz zu Ökonomisierung und Privatisierung entgegen, was man Öl ins Feuer gießen nennen könnte. Stattdessen: Marketing, Eventisierung, Instrumentalisierung des Publikums statt Beteiligung oder gar, Gott behüte, Demokratisierung der Organisation.
Ich denke wirklich nicht, daß sich am hegemonialen, patrimonialen Zuschnitt des Museums etwas ändern wird. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß sich die Museen überhaupt nur annähernd der gesellschaftspolitischen Probleme bewußt sind und bewußt sein wollen, die auch zu ihren Rahmenbedingungen gehören.
Meine eigene Utopie geht diametral in die Gegenrichtung dieses Mainstreams. Statt der konsensuellen Abfeier der kanonisierten Kulturgüter sollte eine Radikalisierung der diskursiven Öffentlichkeit im Museum treten. Das nenne ich „agonistisches Museum“. Das Museum gedacht als einen Ort der zivilen, respektvollen Austragung eines Streits der Interessen, die in diesem Modell nicht verschleiert, geleugnet oder ideologisch weggezaubert würden. Mein Traum ist das Museum als zivilgesellschaftlicher Raum, wo ein Diskurs im Rückgriff auf Objekte als Medien ästhetischer und historischer Erfahrung in einem kollektiven Erfahrungsprozess ihren Platz haben. Wie gesagt: ein Traum. Nicht für die nächsten 25 oder 50 Jahre, ja, das kann ich mir selber auch sagen, wie unrealistisch das ist.
Ein Beitrag fällt aus der Sammlung von Texten zur Zukunft des Museums heraus. Andrea Bina, Leiterin des Linzer Stadtmuseums, beschäftigt sich nicht mit der Zukunft der Museen. Sie stellt „ihr“ Haus vor, und das leider unter Verwendung ziemlich vieler, zu vieler guter (und abgegriffenner, verschlissenen) Vorhaben. So ein Artikel kann mich nicht mal von Graz aus nach Linz locken. Warum lernen Museumsleute nicht endlich, daß ein Publikum ganz anders angesprochen werden muß als in schülerhafter Bravheit oder, so würde es Angela Janelli sagen, „Domestiziertheit“?
Der Aufsatz gehörte in den Abschnitt „Schauplätze“ des neuen museum, der traditionellerweise der Selbstdarstellung von Museen vorbehalten ist.
Dieser Teil der Museumszeitschrift hat mich selten interessiert. Es ist der vorhersehbarste Teil. Selbstverständlich wollen sich Museen und Museumsleiter ins Schaufenster stellen und selbstverständlich werden sie nur ihre Schokoladenseite zeigen. Aber aus diesen Beiträgen lernt man nichts. Diese „Werbeeinschaltungen“ kommen klarerweise meist ohne jede Relativierung, geschweige denn Kritik aus und spiegeln eine Schwäche beider österreichischen Museumsverbände, des Museumsbundes und ICOM. Beide sind als Interessenvertretung vom Bedürfnis der Selbstbehauptung und -darstellung ihrer Mitglieder betroffen, von einer beruflich-fachlichen Innensicht, die als Beharren, Verteidigen und Feiern des Ist-Zustands kein Potential der Veränderung bietet und auch meist scharf abgegrenzt ist nach allem was „Aussen“ ist, was "nicht zu uns" gehört und was herausfordern könnte. Eins der größten Defizite der Zeitschrift ist die Vernachläßigung der internationalen Entwicklung, des Vergleichs, der Konfrontation. Ich gebe zu, daß das den Produktions- und Redaktionsaufwand vergrößern würde. Aber warum gibt es nicht so etwas wie "Auslandskorrespondenten" oder "Gastauftritte"? Kolleginnen und Kollegen, die regelmäßig über die Entwicklung von den hot spots der Museumsentwicklung berichten.
Um so erfreulicher ist, daß das neue museum schon seit eineigen Heften Luft hereinlässt ins abgeschottete Reich der Funktionärskaste, neue Themen lanciert, interessante Autoren und neue Formate sucht. So heterogen die hier kurz vorgestellten Beiträge sind, die Qualität des Schwerpunkts liegt genau darin, daß hier sehr unterschiedliche Erfahrungen und Auffassungen nebeneinander stehen. Ihren Thesen, Widersprüchen, Reibungsflächen nachzuspüren könnte ein ganzes museologisches Seminar füllen, Ausgangspunkt vieler Debatten über das Museum sein, über seinen Istzustand und seine wünschenswerte Entwicklung.
Ich wünsche mir von der Leitung des Museumsbundes, nicht nachzulassen im Fördern dieser offenen und kritischen Haltung. Nichts brauchen die Museen mehr!
Dienstag, 30. September 2014
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