Zugänglichkeit als Recht und Gemeinbesitz der kulturellen Güter sind zwei strukturelle Merkmale, die das 'wohlfahrtsstaatliche' Modell des Museums als öffentlicher Bildungseinrichtung tragen. Kurios, wenn sich diese öffentliche Verantwortung plötzlich teilt, und miteinander im Clinch liegt, wie jetzt die kommunale und die staatliche - was zwar rechtlich und administrativ einen Sinn macht, aber weit weniger in Hinblick auf die notwendigerweise ungeteilte Idee allgemeiner gesellschaftlicher Verantwortung.
Jetzt streiten die Gemeinde Florenz und der Italienische Staat um den berühmtesten nackten Mann der Kunstgeschichte, der Staat will sich fraglos als Schützer und Besitzer aller bedeutsamen kulturellen Monumente verstehen, die Gemeinde sieht sich als Nachfolgerin der Florentinischen Republik.
Und die sei nun mal Auftraggeber Michelangelos gewesen, der ab 1504 den David schuf.
Worum geht es? Um Geld. Angeblich um 8 Millionen Euro, die jährlich Besuchern des steinernen Mannes abgeknöpft werden (man darf annehmen, allen Besuchern der Accademia, aber wer wird keinen Blick auf den David werfen...?).
Montag, 16. August 2010
Donnerstag, 12. August 2010
Mittwoch, 11. August 2010
Das Museum als Ort der umkämpften und traumtisierenden Erinnerung
Der peruanische Bürgerkrieg kennt nur einen einzigen Erinnerungsort - ein Museum in Ayacucho. Es wurde von Angélica García Mendoza gegründet, die 1983 eine nationale Vereinigung der Familien der Entführten, Verhafteten und Verschwundenen ins Leben rief, die ihrerseits das «Museum der Erinnerung» als privates Museum der Angehörigen gründete, um der Opfer zu gedenken.
Nun soll ein Museum in einer Kaserne, die Zentrums des Terrors und der Folter war, zum Museum werden.
Vielleicht schon in einem Jahr soll ein Museum in Lima eröffnet werden. Eine Kommission unter der Leitung des Schriftstellers Mario Vargas Llosa bereitet einen Ort vor, an dem die überfällige Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg stattfinden soll.
Hier ist nicht private Initiative im Spiel, nicht einmal peruanische, sondern deutsche Entwicklungshilfe, die die von der peruanischen Wahrheitskommission konzipierte Ausstellung «Yuyanapaq» mit1700 Fotos und rund 15000 Zeitzeugenberichten in einem eigens neu gebauten Museum fortgeführt wissen will. Dieser Intervention von außen begegnet die Regierung in Peru mit Skepsis, das Militär mit Ablehnung. Bemerkensert bleibt, wie hier Museen ins Zentrum der Aufarbeitung von Traumata rücken. NZZ 11. August 2010
Nun soll ein Museum in einer Kaserne, die Zentrums des Terrors und der Folter war, zum Museum werden.
Vielleicht schon in einem Jahr soll ein Museum in Lima eröffnet werden. Eine Kommission unter der Leitung des Schriftstellers Mario Vargas Llosa bereitet einen Ort vor, an dem die überfällige Auseinandersetzung mit dem Bürgerkrieg stattfinden soll.
Hier ist nicht private Initiative im Spiel, nicht einmal peruanische, sondern deutsche Entwicklungshilfe, die die von der peruanischen Wahrheitskommission konzipierte Ausstellung «Yuyanapaq» mit1700 Fotos und rund 15000 Zeitzeugenberichten in einem eigens neu gebauten Museum fortgeführt wissen will. Dieser Intervention von außen begegnet die Regierung in Peru mit Skepsis, das Militär mit Ablehnung. Bemerkensert bleibt, wie hier Museen ins Zentrum der Aufarbeitung von Traumata rücken. NZZ 11. August 2010
Ausstellen gegen Globalisierung und Unrechtssysteme
Potisi - im 17. Jahrhundert eine der größten Städte der Welt |
Und noch bemerkenswerter: «Die Welt befindet sich in einer tiefen Strukturkrise. Es ist an der Zeit, herkömmliche Paradigmen zu hinterfragen», sagt der Leiter des Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía, Manuel Borja-Villel. Neun weitere Ausstellungen mit politischem Inhalt sind bereits geplant, die aktuelle, Principio Potosí, über die die NZZ vom 5. August 2010 berichtet, beschäftigt sich mit Ereignissen und Verhältnissen, die das Verhältnis Spaniens zu Lateinamerika thematisieren.
Potosí war eine Abbaugebiet von Silber, das weltweit gehandelt wurde und dessen Förderung acht Millionen Indios das Leben kostete. Etwa 20 Künstler in Dubai, Peking, Moskau und London haben recherchiert und setzen sich in der Ausstellung mit dem Thema Globalisierung auseinander, die, so der Museumsleiter, in Spanien mit der Eroberung Amerikas beginne. Mit Konzeptschauen wie dieser will er erreichen, daß sein Haus nicht als Teil eines etablierten Unrechtssystems fungieren soll.
Sonntag, 8. August 2010
Zugang als Vergünstigung - Zugang als Recht. Der Strukturwandel der Museumsöffentlichkeit. (Was ist ein Museum? 09) (überarbeitet)
Kaiserliche Galerie in der Stallburg, Wien |
Die kaiserliche Gemäldegalerie im Belvedere |
Der Einschätzung von Aufklärung und Französischer Revolution
als Zeit des vollkommen Umbruchs der Museumsidee steht eine andere Sichtweise
entgegen. Sie betont die Kontinuität, und führt namentlich fürstliche Sammlungs-
und Museumsgründungen des späten 17. und des 18.Jahrhunderts als Beispiele an -
als Beispiele einer bereits auf eine breitere Öffentlichkeit berechnete
Sammelpraxis und Ausstellungspolitik.
In den meisten Fällen entzaubert ein etwas genauerer Blick auf die tatsächlichen Möglichkeiten, Sammlungen zu besichtigen oder gar zum Studium zu nutzen, den Anspruch auf ein 'öffentliches Museum'. Die Zahl der Besucher war oft auf wenige begrenzt und oft waren mehr oder weniger ausdrücklich untere soziale Schichten ausgeschlossen.
Wo Regelungen fehlen, bestimmten für die Pflege der Sammlung verantwortliche Personen mehr oder minder willkürlich über die Zulassung von Besuchern und darüber ob dies etwas kostete, ob Trinkgeld verlangt wurde oder ob der Zutritt frei war.
In den meisten Fällen entzaubert ein etwas genauerer Blick auf die tatsächlichen Möglichkeiten, Sammlungen zu besichtigen oder gar zum Studium zu nutzen, den Anspruch auf ein 'öffentliches Museum'. Die Zahl der Besucher war oft auf wenige begrenzt und oft waren mehr oder weniger ausdrücklich untere soziale Schichten ausgeschlossen.
Wo Regelungen fehlen, bestimmten für die Pflege der Sammlung verantwortliche Personen mehr oder minder willkürlich über die Zulassung von Besuchern und darüber ob dies etwas kostete, ob Trinkgeld verlangt wurde oder ob der Zutritt frei war.
Unter diesen Bedingungen läßt sich kaum von einem Aufbruch
zu einer neuen Museumsidee sprechen. So lassen sich zwar für die Düsseldorfer
Gemäldegalerie, einer zu ihrer Zeit berühmtesten Europas, viele prominente
Besucher nennen, denn sie lag sozusagen verkehrsgünstig an diversen Reiserouten
und war ein als guter Tipp in Reiseführern ausgwiesen, aber auch hier gab es
relativ restriktive Bedingungen der Publikumsnutzung.
Sicher, gegenüber der ehedem übercodierten Begegnung mit dem Schatz oder einer Sammlung in einem höfischen Zeremoniell war die Praxis, ein weitgehend anonymes Publikum zuzulassen, ein Entwicklungsschritt. Was damit möglich wurde, war die wissenschaftliche Beschäftigung, die künstlerische Weiterbildung und die touristische Besichtigung - aber das nur für Wenige.
Öffentlich wird in der museumsgeschichtlichen Literatur in der Regel gleichbedeutend mit Zugänglichkeit verwendet. Und das völlig unabhängig davon, welcher Typ von Sammlung aus welcher Epoche beschrieben wird. Aus der Zugänglichkeit allein (in welchem Umfang auch immer) auf das Vorhandensein von Öffentlichkeit zu schließen, ist zwar gängige Forschungspraxis aber grob irreführend. Im Grunde wird das Wort bloß zur Unterscheidung von unzugänglich und zugänglich verwendet und bloß quantifizierend ohne jede Rücksicht auf die Interessen der Besucher, den Modus und die Ziele des Besuchs oder Zwecke, die der Sammlungseigner verfolgte. Manchmal hat man den Eindruck, daß schon zwei Besucher eine Öffentlichkeit bilden sollen.
Unterschlagen wird dabei recht großzügig, daß 'Öffentlichkeit' selbst einem zeitlichen Wandel unterliegt und gerade in der Zeit der Aufklärung und bürgerlichen Revolutionen einem dramatischen Funktions- und Bedeutungswandel unterliegt und daß dies eine Zäsur in der Sammlungsgeschichte sein könnte.
Neuland wird tatsächlich dort betreten, wo sich im letzten Drittel des 18. Jahrhundertsphysiokratische Ideen einer für das Staatswesen nützlichen Funktion von Sammlungen durchzusetzen begannen. Dort wo das der Fall war, traten Sammlungen selten ohne begleitende Wissensräume des praktischen Experimentierens oder des theoretischen Diskurses auf, wie etwa in Kassel, oder in der geradezu modellhaften Museumspolitik, die unter der habsburgischen Herrschaft über die Toskana unter Großherzog Leopold betrieben wurde. Hier war sie wie nirgends sonst in eine umfassende verfassungspolitische, wirtschaftliche und verwaltungstechnische Reform eingebunden.
Sicher, gegenüber der ehedem übercodierten Begegnung mit dem Schatz oder einer Sammlung in einem höfischen Zeremoniell war die Praxis, ein weitgehend anonymes Publikum zuzulassen, ein Entwicklungsschritt. Was damit möglich wurde, war die wissenschaftliche Beschäftigung, die künstlerische Weiterbildung und die touristische Besichtigung - aber das nur für Wenige.
Öffentlich wird in der museumsgeschichtlichen Literatur in der Regel gleichbedeutend mit Zugänglichkeit verwendet. Und das völlig unabhängig davon, welcher Typ von Sammlung aus welcher Epoche beschrieben wird. Aus der Zugänglichkeit allein (in welchem Umfang auch immer) auf das Vorhandensein von Öffentlichkeit zu schließen, ist zwar gängige Forschungspraxis aber grob irreführend. Im Grunde wird das Wort bloß zur Unterscheidung von unzugänglich und zugänglich verwendet und bloß quantifizierend ohne jede Rücksicht auf die Interessen der Besucher, den Modus und die Ziele des Besuchs oder Zwecke, die der Sammlungseigner verfolgte. Manchmal hat man den Eindruck, daß schon zwei Besucher eine Öffentlichkeit bilden sollen.
Unterschlagen wird dabei recht großzügig, daß 'Öffentlichkeit' selbst einem zeitlichen Wandel unterliegt und gerade in der Zeit der Aufklärung und bürgerlichen Revolutionen einem dramatischen Funktions- und Bedeutungswandel unterliegt und daß dies eine Zäsur in der Sammlungsgeschichte sein könnte.
Neuland wird tatsächlich dort betreten, wo sich im letzten Drittel des 18. Jahrhundertsphysiokratische Ideen einer für das Staatswesen nützlichen Funktion von Sammlungen durchzusetzen begannen. Dort wo das der Fall war, traten Sammlungen selten ohne begleitende Wissensräume des praktischen Experimentierens oder des theoretischen Diskurses auf, wie etwa in Kassel, oder in der geradezu modellhaften Museumspolitik, die unter der habsburgischen Herrschaft über die Toskana unter Großherzog Leopold betrieben wurde. Hier war sie wie nirgends sonst in eine umfassende verfassungspolitische, wirtschaftliche und verwaltungstechnische Reform eingebunden.
Auch die habsburgische Museumspolitik in Wien war zu dieser
Zeit sehr fortschrittlich, allerdings vorerst nur in Bezug auf eine einzige
Sammlung - die Gemäldegalerie.
Ihre Transferierung von der Stallburg in das ehemals von Prinzen Eugen erbaute und bewohnte Schloß Belvedere wurde für eine umfassende Reorganisation genutzt. Man darf sich nicht vorstellen, daß eine fürstliche Sammlung damals ein relativ fest umrissener Bestand von Bildern war, ähnlich einer heutigen Museumssammlung. Bilder wurden erworben, weggegeben, verschenkt, verkauft, getauscht oder zu Ausstattungszwecken an verschiedenste Orte gebracht. Das war in Wien auch noch nach der Eröffnung der Galerie in den 70er-Jahren des 18.Jahrhunderts so und das, obwohl man zuvor eine Generalinventur veranlasst hatte, die erstmals den gesamten habsburgischen Gemäldebesitz erhob.
Was an Wien so interessant und nahezu einzigartig ist, ist die Kombination von expliziter und geregelter freier und kostenloser Zugänglichkeit mit einer Hängung der Sammlung nach damals avancierten Erkenntnissen zur Geschichte der Kunst (vor dem Entstehen einer Kunstwissenschaft).
Der für die Disposition der Sammlung verantwortliche Kupferstecher Christian von Mechel schrieb im ersten Katalog der Galerie: "Der Zweck alles Bestrebens ging dahin, dieses schöne durch seine zahlreiche Zimmer=Abtheilungen dazu voellig geschaffene Gebäude so zu benutzen, daß die Einrichtung im Ganzen, sowie in den Teilen lehrreich, und soviel möglich, sichtbare Geschichte der Kunst werden möchte. Eine solche grosse öffentliche, mehr zum Unterricht noch, als nur zum vorübergehenden Vergnügen, bestimmte Sammlung scheint einer reichen Bibliothek zu gleichen, in welcher der Wißbegierige froh ist, Werke aller Arten und aller Zeiten anzutreffen, nicht das Gefällige und Vollkommene allein, sondern abwechselnde Kontraste, durch deren Betrachtung und Vergleichung (den einzigen Weg zur Kenntnis zu gelangen) er Kenner der Kunst werden kann."
Die Bewertung, wie revolutionär dies war, schwankt, auch die, ob man diese Disposition der Gemälde bereits historisierend nenen kann, aber sicher ging es um eine Vermittlung von Erfahrungen und Kenntnissen an eine breite Öffentlichkeit, die über Zusammenfassung nach Schulen und immanenter chronologischer Ordnung und unter anderem über 'technische' Innovationen wie einheitliche Rahmung und Beschriftung der Gemälde erreicht werden sollte.
Zwar wurde diese Ordnung bald verwässert, aber das offenbar Neue daran wurde vielfach studiert und nachgeahmt. Und es entstand eine breite Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Neuordnung. Mit dem Fortschreiten der kunstgeschichtlichen Erkenntnisse wuchsen nämlich die Ansprüche an solche Sammlungen wie die in Wien rasch, die von einer museologischen Debatte avant la lettre begleitet wurden und ihrerseits auf die Neuaufstellungen von Sammlungen oder Neugründungen von Museen Einfluß hatten. So griff man andernorts, z.B. in Berlin, auf Mechels Disposition zurück, aber nicht ohne Weiterentwicklung seiner Prinzipien.
Während man bezüglich der Beurteilung der Nutzung der Sammlungen durch ein Publikum oft auf Quellen zurückgreifen muß, die aus einer affirmativen Perspektive verfasst wurden, ist es in Wien anders. Reiseberichte, die die 'Gefährdung' der Gemälde durch Besucher bemerken und beklagen, belegen, welche Dynamik diese neue Öffentlichkeit gehabt haben muß. Man stellte tatsächlich Wächter an den Eingang und erließ Verbote, z.B. das Mitnehmen von Stöcken. Das sind Indizien für einen anonymen, nicht oder kaum zensierten 'Massen'besuch, auf den man einerseits 'didaktisch' reagierte (Katalog; Beschriftung), andrerseits disziplinierend (Wächter oder Wärter, also Aufsicht, Hausordnungen; später, in anderen kaiserlichen Kabinetten, kamen noch Veränderungen in der Aufstellung der Sammlung selbst hinzu, die Bewachung und Erläuterung durch Personen weitgehend überflüssig machen sollten).
Reaktionen auf den freizügigen und kostenlosen Zugang zur Wiener Sammlung zeigen klar, daß es aber auch um den 'Skandal' ging, daß offenbar bislang ausgeschlossene soziale Schichten von der 'Einladung' tatsächlich Gebrauch machten. "Dieses Verbot (Stöcke mitzunehmen G.F.) ist sehr billig, man sollte vielen naseweisen Herren, wenn es möglich wäre, auch ihre Finger ablegen lassen. Auch die Kinder sind der Galerie gefährlich; weil sie manchmal mit schmutzigen Fingern die vortrefflichsten Stücke betasten. " (Ein zeitgenössicher Reiseführer).
Das hätte wohl keine Folgen gehabt, wenn nicht der Direktor der Galerie, der Maler Heinrich Füger, selbst Anstoß an der unbeschränkten Zugänglichkeit genommen hätte. Und das gleich in Form eines Schreibens an den Kaiser (1813), in dem er glaubte daran erinnern zu müssen, "daß der öffentliche Einlaß eine Vergünstigung seiner Majestät, aber kein unbedingtes Recht ist. (…) Die willkürliche Zulassung der allergeringsten Volksclassen von der Straße wird dadurch vermindert" (durch Verordnungen, die das Aufsichtspersonal durchzusetzen hätte; G.F. ), "für welche Kunst- und wissenschaftliche Sammlungen nicht geeignet sind, und den gebildeten Ständen des Publicums wird der Genuß der Gallerie um so viel angenehmer werden, der nur bei geräuschloser Betrachtung der Kunstwerke stattfinden kann..."
Und weiter: "Das Gegenteil" (Von Anstand und Ordnung die in den Kabinetten herrsche; G.F.) "hat eine langjährige Erfahrung bei ehemals aus den besten und humansten Absichten bestehenden unbedingten freyen Einlasse in die Galerie erwiesen (…) Tagwerker und Kellnerburschen, Wäscher- und Kuchelmenscher mit ihren Galanen sowie die gemeinsten Weiber mit halbnackten Kindern gingen aus und ein. Kindergeschrei und Unreinlichkeiten beleidigten öfter die Sinne der Anwesenden."
Das läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Sehr signifikant ist der Satz ganz am Anfang. Hier geht es um genau jene Demarkationslinie, mit der eine Trennlinie zwischen den neuzeitlichen Sammlungspraktiken einerseits und der modernen Museumsidee andrerseits gezogen werden kann. Ist die Zugänglichkeit eine "Vergünstigung" - die gewährt werden kann oder auch eben nicht -, oder geht es um ein "Recht". De jure war es bezüglich der Gemäldegalerie in Wien kein Recht, de facto offenbar ja.
Die Qualität des Museums der Moderne läßt sich genau an diesem Recht festzumachen (erstmals allgemein als Zugang zu Bildung für jedermann in der Französischen Verfassung von 1793 garantiert). Aber nicht allein daran: erst der gemeinsame (staatliche) Besitz und die Vorstellung eines gemeinsamen kulturellen Gutes (in Frankreich: Patrimoine), eines "common object", zusammen mit dem Recht auf (Museums) Bildung machen den Kern der neuen Museumsidee aus. Und dann ist Öffentlichkeit auch keine Vergünstigung mehr für wenige, sondern eine diskursive Sphäre, in der Bildung und Kritik entstehen und zirkulieren kann, auch für die, die Füger unbedingt ausschließen wollte und die bis heute ausgeschlossen blieben, "die allergeringsten Volksclassen".
Ihre Transferierung von der Stallburg in das ehemals von Prinzen Eugen erbaute und bewohnte Schloß Belvedere wurde für eine umfassende Reorganisation genutzt. Man darf sich nicht vorstellen, daß eine fürstliche Sammlung damals ein relativ fest umrissener Bestand von Bildern war, ähnlich einer heutigen Museumssammlung. Bilder wurden erworben, weggegeben, verschenkt, verkauft, getauscht oder zu Ausstattungszwecken an verschiedenste Orte gebracht. Das war in Wien auch noch nach der Eröffnung der Galerie in den 70er-Jahren des 18.Jahrhunderts so und das, obwohl man zuvor eine Generalinventur veranlasst hatte, die erstmals den gesamten habsburgischen Gemäldebesitz erhob.
Was an Wien so interessant und nahezu einzigartig ist, ist die Kombination von expliziter und geregelter freier und kostenloser Zugänglichkeit mit einer Hängung der Sammlung nach damals avancierten Erkenntnissen zur Geschichte der Kunst (vor dem Entstehen einer Kunstwissenschaft).
Der für die Disposition der Sammlung verantwortliche Kupferstecher Christian von Mechel schrieb im ersten Katalog der Galerie: "Der Zweck alles Bestrebens ging dahin, dieses schöne durch seine zahlreiche Zimmer=Abtheilungen dazu voellig geschaffene Gebäude so zu benutzen, daß die Einrichtung im Ganzen, sowie in den Teilen lehrreich, und soviel möglich, sichtbare Geschichte der Kunst werden möchte. Eine solche grosse öffentliche, mehr zum Unterricht noch, als nur zum vorübergehenden Vergnügen, bestimmte Sammlung scheint einer reichen Bibliothek zu gleichen, in welcher der Wißbegierige froh ist, Werke aller Arten und aller Zeiten anzutreffen, nicht das Gefällige und Vollkommene allein, sondern abwechselnde Kontraste, durch deren Betrachtung und Vergleichung (den einzigen Weg zur Kenntnis zu gelangen) er Kenner der Kunst werden kann."
Die Bewertung, wie revolutionär dies war, schwankt, auch die, ob man diese Disposition der Gemälde bereits historisierend nenen kann, aber sicher ging es um eine Vermittlung von Erfahrungen und Kenntnissen an eine breite Öffentlichkeit, die über Zusammenfassung nach Schulen und immanenter chronologischer Ordnung und unter anderem über 'technische' Innovationen wie einheitliche Rahmung und Beschriftung der Gemälde erreicht werden sollte.
Zwar wurde diese Ordnung bald verwässert, aber das offenbar Neue daran wurde vielfach studiert und nachgeahmt. Und es entstand eine breite Diskussion über die Sinnhaftigkeit der Neuordnung. Mit dem Fortschreiten der kunstgeschichtlichen Erkenntnisse wuchsen nämlich die Ansprüche an solche Sammlungen wie die in Wien rasch, die von einer museologischen Debatte avant la lettre begleitet wurden und ihrerseits auf die Neuaufstellungen von Sammlungen oder Neugründungen von Museen Einfluß hatten. So griff man andernorts, z.B. in Berlin, auf Mechels Disposition zurück, aber nicht ohne Weiterentwicklung seiner Prinzipien.
Während man bezüglich der Beurteilung der Nutzung der Sammlungen durch ein Publikum oft auf Quellen zurückgreifen muß, die aus einer affirmativen Perspektive verfasst wurden, ist es in Wien anders. Reiseberichte, die die 'Gefährdung' der Gemälde durch Besucher bemerken und beklagen, belegen, welche Dynamik diese neue Öffentlichkeit gehabt haben muß. Man stellte tatsächlich Wächter an den Eingang und erließ Verbote, z.B. das Mitnehmen von Stöcken. Das sind Indizien für einen anonymen, nicht oder kaum zensierten 'Massen'besuch, auf den man einerseits 'didaktisch' reagierte (Katalog; Beschriftung), andrerseits disziplinierend (Wächter oder Wärter, also Aufsicht, Hausordnungen; später, in anderen kaiserlichen Kabinetten, kamen noch Veränderungen in der Aufstellung der Sammlung selbst hinzu, die Bewachung und Erläuterung durch Personen weitgehend überflüssig machen sollten).
Reaktionen auf den freizügigen und kostenlosen Zugang zur Wiener Sammlung zeigen klar, daß es aber auch um den 'Skandal' ging, daß offenbar bislang ausgeschlossene soziale Schichten von der 'Einladung' tatsächlich Gebrauch machten. "Dieses Verbot (Stöcke mitzunehmen G.F.) ist sehr billig, man sollte vielen naseweisen Herren, wenn es möglich wäre, auch ihre Finger ablegen lassen. Auch die Kinder sind der Galerie gefährlich; weil sie manchmal mit schmutzigen Fingern die vortrefflichsten Stücke betasten. " (Ein zeitgenössicher Reiseführer).
Das hätte wohl keine Folgen gehabt, wenn nicht der Direktor der Galerie, der Maler Heinrich Füger, selbst Anstoß an der unbeschränkten Zugänglichkeit genommen hätte. Und das gleich in Form eines Schreibens an den Kaiser (1813), in dem er glaubte daran erinnern zu müssen, "daß der öffentliche Einlaß eine Vergünstigung seiner Majestät, aber kein unbedingtes Recht ist. (…) Die willkürliche Zulassung der allergeringsten Volksclassen von der Straße wird dadurch vermindert" (durch Verordnungen, die das Aufsichtspersonal durchzusetzen hätte; G.F. ), "für welche Kunst- und wissenschaftliche Sammlungen nicht geeignet sind, und den gebildeten Ständen des Publicums wird der Genuß der Gallerie um so viel angenehmer werden, der nur bei geräuschloser Betrachtung der Kunstwerke stattfinden kann..."
Und weiter: "Das Gegenteil" (Von Anstand und Ordnung die in den Kabinetten herrsche; G.F.) "hat eine langjährige Erfahrung bei ehemals aus den besten und humansten Absichten bestehenden unbedingten freyen Einlasse in die Galerie erwiesen (…) Tagwerker und Kellnerburschen, Wäscher- und Kuchelmenscher mit ihren Galanen sowie die gemeinsten Weiber mit halbnackten Kindern gingen aus und ein. Kindergeschrei und Unreinlichkeiten beleidigten öfter die Sinne der Anwesenden."
Das läßt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Sehr signifikant ist der Satz ganz am Anfang. Hier geht es um genau jene Demarkationslinie, mit der eine Trennlinie zwischen den neuzeitlichen Sammlungspraktiken einerseits und der modernen Museumsidee andrerseits gezogen werden kann. Ist die Zugänglichkeit eine "Vergünstigung" - die gewährt werden kann oder auch eben nicht -, oder geht es um ein "Recht". De jure war es bezüglich der Gemäldegalerie in Wien kein Recht, de facto offenbar ja.
Die Qualität des Museums der Moderne läßt sich genau an diesem Recht festzumachen (erstmals allgemein als Zugang zu Bildung für jedermann in der Französischen Verfassung von 1793 garantiert). Aber nicht allein daran: erst der gemeinsame (staatliche) Besitz und die Vorstellung eines gemeinsamen kulturellen Gutes (in Frankreich: Patrimoine), eines "common object", zusammen mit dem Recht auf (Museums) Bildung machen den Kern der neuen Museumsidee aus. Und dann ist Öffentlichkeit auch keine Vergünstigung mehr für wenige, sondern eine diskursive Sphäre, in der Bildung und Kritik entstehen und zirkulieren kann, auch für die, die Füger unbedingt ausschließen wollte und die bis heute ausgeschlossen blieben, "die allergeringsten Volksclassen".
Selbst über das Fadeste läßt sich schreiben
Abb.: Dauerausstellung Archäologische Sammlung Eggenberg. Universalmuseum Joannem. BWM Architects
Donnerstag, 5. August 2010
AEIOU (Texte im - vorm - Museum 89)
Das Museum als Krankenhaus
Antony Gomley läßt einhundert gusseiserne Abgüsse seines Körpers in der alpinen Region Vorarlbergs aufstellen. Alle in gleicher Meereshöhe, etwas über der Baumgrenze. Kürzlich ist dieses Projekt horizon field gestartet worden.
In hörenswerten und sympathischen Erklärungen fügt Gomley der langen Kette von Museums-Metaphern eine neue hinzu:
Das Gespräch zum Beispiel hier. (Samt Wanderkarte für Freunde der hochalpinen Begegnung mit den eisernen Gomleys)
In hörenswerten und sympathischen Erklärungen fügt Gomley der langen Kette von Museums-Metaphern eine neue hinzu:
"Eine der traurigen Aspekte unserer kulturellen Erfahrung ist für mich, dass wir von der Kunst erwarten, dass sie in Museen lebt. Es ist eine Art Abhängigkeit, wie bei einem Körper im Krankenhaus."
Das Gespräch zum Beispiel hier. (Samt Wanderkarte für Freunde der hochalpinen Begegnung mit den eisernen Gomleys)
Samstag, 31. Juli 2010
Zeit wozu...? (Texte im Museum 87)
Ausstellung "Hofer Wanted", Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 2009. Für alle mit der Tiroler Landesmythologie Unvertraute: Die Worte Andreas Hofers "Mander, s´ischt Zeit" gilt als sein Kampfaufruf von Andreas anläßlich der Berg-Isel-Schlacht.
Chancen der Restitution
Der Wiener Rechtsanwalt Alfred Noll, der Mandanten gegen die Leopold-Stiftung vertritt und sich immer wieder in der Restitutionsdebatte mit ebenso interessanten wie grundsätzlichen und konstruktiven Beiträgen zu Wort gemeldet hat, sieht in der aktuellen Ausgabe von DIE ZEIT (der Artikel ist online) - wie andere auch -, die Chance auf eine Ende der Diskussion um das Leopold-Museum.
Der vom Sohn des kürzlich verstorbenen Sammlers angebotene Kompromiss, ein weiteres imkriminiertes Schiele bild zu versteigern und den Erlös zwischen Museum und Nachfahren der rechtmäßigen Besitzer zu teilen, bewertet Noll - anders als die Israelitische Kultusgemeinde -, als Chance.
Seiner Meinung nach würde die Konfrontation der beiden extrem entgegensetzten Positionen von Ausjudizierung einerseits und Verschleppung und Verweigerung von Ansprüchen andrerseit in der Regel zu einer Patt-Situation führen. Denn, so Noll, eine Tilgung der Verbrechen könne es letztlich nicht geben, sehr wohl aber eine Anerkennung einerseits der Interessen und Ansprüche der Geschädigten u n d der, durchaus nicht befriedigenden Rechtslage, die eher den Besitz beschützt als Ansprüche, mögen sie noch so berechtigt sein.
"So entschieden man sich also politisch und moralisch auf den Standpunkt stellen sollte, dass Gestohlenes an die Bestohlenen zurückzugeben ist, so offen sollte man dafür eintreten, dass heute jede Auseinandersetzung um Rückgabe und Entschädigung auf die tatsächliche Rechtsposition der gegenwärtigen Inhaber derartigen Diebesgutes Rücksicht zu nehmen hat. Wer diesen Grundsatz nicht achtet, hat nur die Wahl zwischen rechtsfernem, moralisierendem Protest oder historisch und politisch ignoranter Rechtsgläubigkeit. Beides ist der Sachlage nicht angemessen und führt nicht zu Versöhnung und Akzeptanz, sondern zu irrationaler Verhärtung, zu dauerhaftem Unverständnis und zu unwürdiger Herabsetzung einzelner Personen."
Deshalb ist das Aushandeln einer Regelung unter den Beteiligten eine Chance beide Positionen so weit es möglich ist, miteinender zu versöhnen und der "Entweder-Oder"-Dichotomie zu entkommen.
Noll: "Erst eine derartige, von selbstgewisser Souveränität und geschichtsbewusster Verhandlungsbereitschaft getragene Haltung lässt in den Opfern jenes Gefühl entstehen, das sie in diesem Land seit vielen Jahren vermissen müssen: das der Anerkennung."
Ich denke, daß sich die Verhandlungsbereitschaft nicht ausschließlich auf finanzielle und rechtliche Aspekte beschränken muß. Zeigt nicht gerade die einfache Entscheidung, das Bildnis Wally, ehe es nach Österreich zurückkehrt, im Museum of Jewish Heritage in New York auszustellen, zeigen nicht die Reaktionen, die das auslöst, daß auch mit den Möglichkeiten des Museums selbst Kompromisse gestaltet und die Anerkennung symbolisch vertieft werden kann?
Der vom Sohn des kürzlich verstorbenen Sammlers angebotene Kompromiss, ein weiteres imkriminiertes Schiele bild zu versteigern und den Erlös zwischen Museum und Nachfahren der rechtmäßigen Besitzer zu teilen, bewertet Noll - anders als die Israelitische Kultusgemeinde -, als Chance.
Seiner Meinung nach würde die Konfrontation der beiden extrem entgegensetzten Positionen von Ausjudizierung einerseits und Verschleppung und Verweigerung von Ansprüchen andrerseit in der Regel zu einer Patt-Situation führen. Denn, so Noll, eine Tilgung der Verbrechen könne es letztlich nicht geben, sehr wohl aber eine Anerkennung einerseits der Interessen und Ansprüche der Geschädigten u n d der, durchaus nicht befriedigenden Rechtslage, die eher den Besitz beschützt als Ansprüche, mögen sie noch so berechtigt sein.
"So entschieden man sich also politisch und moralisch auf den Standpunkt stellen sollte, dass Gestohlenes an die Bestohlenen zurückzugeben ist, so offen sollte man dafür eintreten, dass heute jede Auseinandersetzung um Rückgabe und Entschädigung auf die tatsächliche Rechtsposition der gegenwärtigen Inhaber derartigen Diebesgutes Rücksicht zu nehmen hat. Wer diesen Grundsatz nicht achtet, hat nur die Wahl zwischen rechtsfernem, moralisierendem Protest oder historisch und politisch ignoranter Rechtsgläubigkeit. Beides ist der Sachlage nicht angemessen und führt nicht zu Versöhnung und Akzeptanz, sondern zu irrationaler Verhärtung, zu dauerhaftem Unverständnis und zu unwürdiger Herabsetzung einzelner Personen."
Deshalb ist das Aushandeln einer Regelung unter den Beteiligten eine Chance beide Positionen so weit es möglich ist, miteinender zu versöhnen und der "Entweder-Oder"-Dichotomie zu entkommen.
Noll: "Erst eine derartige, von selbstgewisser Souveränität und geschichtsbewusster Verhandlungsbereitschaft getragene Haltung lässt in den Opfern jenes Gefühl entstehen, das sie in diesem Land seit vielen Jahren vermissen müssen: das der Anerkennung."
Ich denke, daß sich die Verhandlungsbereitschaft nicht ausschließlich auf finanzielle und rechtliche Aspekte beschränken muß. Zeigt nicht gerade die einfache Entscheidung, das Bildnis Wally, ehe es nach Österreich zurückkehrt, im Museum of Jewish Heritage in New York auszustellen, zeigen nicht die Reaktionen, die das auslöst, daß auch mit den Möglichkeiten des Museums selbst Kompromisse gestaltet und die Anerkennung symbolisch vertieft werden kann?
Freitag, 30. Juli 2010
Mikroausstellung "Gipfelsieg"
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