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Donnerstag, 19. August 2010

Mission (impossible)


Wir haben Respekt vor allen Kulturen. Wir verschaffen allen Kulturen Respekt.




Wir sind ein lebendiges Museum, das mit vielfältigen Aktivitäten alle Sinne anspricht.




Wir bieten ein Forum für den partnerschaftlichen Austausch zwischen Menschen aller Kulturen.



Als Welt-Kultur-Archiv sammeln, bewahren und erschließen wir Zeugnisse aller Kulturen, um sie zugänglich zu machen.



Unsere Objekte in ihrer Qualität und Einzigartigkeit sind die unverzichtbare Grundlage unserer gesamten Arbeit.



Wie bieten wissenschaftlich fundierte, verständliche Informationen unter partnerschaftlicher Einbeziehung der Eigensicht der jeweiligen Kultur.



Mit einem qualitätvollen, attraktiven und breit gefächerten Ausstellungs- und Veranstaltungsangebot wenden wir uns an viele unterschiedliche Zielgruppen.




Bei unseren vielfältigen Aktivitäten fühlen wir uns dem Bezug zur Aktualität verpflichtet.




Der wirtschaftliche Einsatz und der Ausbau unserer Ressourcen sind wichtige Bestandteile unserer Arbeit.




Wir sorgen dafür, dass unsere Besucher sich bei uns wohl fühlen und die Nutzer unserer sonstigen Angebote mit uns zufrieden sind.


Text: Leitbild des Museums für Völkerkunde Hamburg (Webseite). Fotos von einem Besuch des Museums August 2010 (GF).

Samstag, 5. Juni 2010

Das "Humboldtforum" im Berliner Schloss als "Kolonialzoo" und "permanenter Kirchentag"

Nur zwei Tage, nachdem ich diesen Post verfasst habe, findet sich das Berliner Schloss - und damit das Humboldt-Forum - auf der "Sparliste" der Regierung, nicht gestrichen, aber aufgeschoben. Das könnte wohl, wenn es zum Beschluss kommt, das Ende des Projektes sein.

Der wohl größte museumspolitische Brocken, an dem die deutsche Politik würgt, ist die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses und die Einrichtung eines Humboldt-Forums in dem teilrekonstruierten Gebäude. Jetzt droht der Erstickungstod, nicht den beteiligten Politikern, aber dem Projekt. Der Staat will nicht die Kosten für eine Rekonstruktion der Fassaden und der Kuppel aufgebürdet haben, und die Stiftung (Link zur Webseite Stiftung Berliner Schloss - Humboldt-Forum), die die Idee des Wiederaufbaus betreibt, Bauherr und Betreiber werden soll, kann die nötigen privaten Mittel bis jetzt nicht auftreiben. Wie es aussieht, könnte auch Schloßrekonstruktion und 'Humboldt-Forum' ein 'Opfer' der Wirtschaftskrise werden.

Wer die Leserbriefe zum heute in der FAZ erschienen Artikel liest, sieht schnell, daß kaum jemand für ein so teures, zerredetes und vielfach in Frage gestelltes Projekt angesichts der wirtschaftlichen Situation - des Landes und Berlins - argumentiert. Im Gegenteil: die zu dem Projekt nie gefragten Stimmbürger sind ganz schön giftig. Und giftig ist auch der Artikel von Patrick Bahners Humboldt-Forum - Wollen wir uns das Berliner Schloss noch leisten? FAZ, 5.Juni 2010.

Die Idee, die völkerkundlichen Sammlungen von Dahlem hierher zu übersiedeln, "Buschmänner, Derwische und Schamanen nach Berlin zu laden, um sie im Angesicht der erhabenen Zeugen ihrer Vergangenheiten über die Zukunft des Planeten 'verhandeln' zu lassen…laufe auf einen intellektuellen Neokolonialismus hinaus." Die diskutable Idee, die im Begriff des 'Forums' steckt, museale Sammlungen mit wissenschaftlichen Einrichtungen zu kombinieren und zu Orten des urbanen wie globalen Diskurses zu machen, die mag Bahners aber schon gar nicht: Diskurs ist für ihn "so eine Formel des eventmagischen Denkens."

Die Vorstellung vom Museum als Ort des Diskurses kommt hier als Argument der (kultur)politischen Durchsetzung des Projekts ins Spiel, riskant voraussgesetzt wird, daß Sammlungen sowieso "tot" seinen. Das ist ein Spiel mit dem Museumsfeuer, denn das Dilemma, der performativen "Lazarisation" der Dinge nicht einfach durch Ausstellungen, sondern durch eine neue Form des Museums herstellen zu sollen, stellt sich ja nicht nur für die Sammlungen, die im "Forum" ihren Platz haben sollen. Das Argument läßt sich populistisch ausschlachten, in politisches Kleingeld wechseln oder aber in schlüssige museologische Konzepte fassen. Letzteres ist, so viel ich sehe, nicht - noch nicht - geschehen. Wenn man, wie Bahners berichtet, leitende Vertreter wissenschaftlicher Institutionen dazu befragt, wird man für diese komplexe und besondere Anforderung keine befriedigende Antwort erhalten. Wissenschaften, die vielleicht erst vor ein paar Jahren den Slogan science goes public entdeckt haben, hätten, wenn sie überhaupt Erfahrung in der öffentlichen, medialen Transformierung des Wissens Erfahrung hätten, wenig bis gar keine, die auf den wirklich besonderen Fall 'Museum' zugeschnitten ist.

Die zentrale Idee, die alle Institutionen, Funktionen und Sammlungen verklammert ist die des 'Forums', also die Vorstellung des Museums als permanenter Konferenz (Beuys). Doch scheint es bisher nicht gelungen zu sein, die Wiederbelebung der dem Museum durchaus angemessenen Idee als zivilisatorischem Ort plausibel zu konkretisieren und dafür handhabbare Formen zu finden. Es scheint mir auch kein existierendes Beispiel dafür zu geben, nicht in dieser Größenordnung und nicht mit derartigen historischen Konnotationen. Es mag da und dort so etwas wie gelungene partizipative Museen geben oder - so ist mein Eindruck - in postkolonialen Situationen tatsächlich so etwas wie eine soziale Re-Definition des Museums. Aber wie soll das in diesem Fall denn aussehen, organisiert werden, museumspolitisch umsetzbar sein?

Die weit offene Flanke wird denn auch von der Kritik aus vollen Rohren beschossen. So hat Patrick Bahners (Was soll ins Berliner Schloss? FAZ vom 29.8.2009) gegen das anvisierte Modell des diskursiven Museums leicht zu argumentieren: "Wer dazugehört und wer ausgeschlossen wird, wer bleiben darf und wer nur zu Gast ist: Das sind die harten Fragen, durch die Völker über ihre Identität entscheiden. In Berlin sollen sie unter der Prämisse erörtert werden, dass alle Grenzen künstlich und vorläufig sind. Der zentrale Raum des „Forums“ ist als „Agora“ ausgewiesen, als Raum für grenzenlose politische Debatten. Die hauptberuflichen Debattenveranstalter unter den Gründern verlangen, das ganze „Forum“ solle als „Agora“ genutzt werden. Dem können die Museumsleute kaum widersprechen. Sie können noch Latein und Griechisch und wissen, dass das eine Wort die Übersetzung des anderen ist."

Wie akademische Eliten mit dieser Idee umgehen, das zieht Bahners im aktuellen Artikel sowieso ins Lächerliche, aber auch der Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, kriegt seine Breitseite ab. Dass, wie er sagt, die "Realisierung des Humboldt-Forums…ein starkes Zeichen hinsichtlich der Gleichberechtigung der Weltkulturen in einer längst globalisierten Welt“ und das „Kunst- und Kulturzentrum gänzlich neuen Zuschnitts“ ein „völlig neues Miteinander der Kulturen erlebbar“ machen werde, als die große Chance, „um die uns die Welt heute schon beneidet“, das kontert Bahners trocken mit: "Es ist betrüblich, dass der Präsident der SPK solche Phrasen des kulturlosen Wunschdenkens verwendet."

Man könnte noch hinzufügen, daß es gerade die Museen sind, namentlich die Völkerkundemuseen des deutschsprachigen Raums, die wenig Ermutigendes und Innovatives genau in Hinblick auf den von Parzinger pathetisch beschworenen Tugendkatalog geleistet haben und die meilenweit davon entfernt sind, ein völlig neues Miteinander der Kulturen zu ermöglichen.

Schon vor längerer Zeit hat Andreas Kilb (ebenfalls in der FAZ: Auf dem Weg zum Louvre von Berlin) das Fehlen stimmiger und plausibler Pläne beklagt: "Das Forum der Weltkulturen wäre ... zur einen Hälfte ein mit Texttafeln aufgemotztes Remake der Dahlemer Völkerkundemuseen, zur anderen ein Mischmasch von Schaumagazinen, Multimedia-Sälen und Seminarräumen unter dem pompösen Etikett der 'Laboratorien des Wissens'. Diese geschichtspolitische Nullnummer kann niemand wünschen."

Grundsätzlicher formulieren die einzigen organisierten Gegenr des Projektes, die mir bekannt sind, eine studentische Gruppe unter dem Slogan "Anti-Humboldt" die Implikationen der Übersiedlung der ethnologischen Sammlungen: "Alle bisherigen Verlautbarungen der Federführenden lassen erkennen, dass es bei dem Humboldt-Forum nicht um eine Reflexion der Gewalt geht, die im Zuge des Kolonialismus von Europa aus auf den Rest der Welt ausgeübt wurde. Vielmehr wird Andersheit ontologisiert, die zur Souveränitäts- und Kosmopolitismusdemonstration der Ausstellernation dient. Die Schlossfassade steht symbolisch für die verlorene und rückgewonnene Einheit Deutschlands, sowie für das „goldene Zeitalter“ des Preußentums, das nun zum nachteilungsgeschichtlichen Lückenfüller wird. Ausgerechnet in einem solchen Zusammenhang sollen nun „Kulturschätze“ aus aller Welt zur Demonstration von Weltoffenheit der selbsternannten „Kulturnation“ dienen. Eine derartige Rekontextualisierung an diesem symbolisch aufgeladenen Ort in direkter Nachbarschaft zur Museumsinsel mit ihren Sammlungen „klassischer Hochkulturen“ nennen wir eine Instrumentalisierung nichteuropäischer Künste und Kulturen." (zitiert von der Webseite)

Institutionell ist das „Humboldt-Forum“ ein Mix aus Museums- und Forschungseinrichtungen: der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Berliner Landesbibliothek und der der Humboldt-Universität. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz übersiedelt die völkerkundlichen Sammlungen von Dahlem ins Zentrum der Stadt. Die Legitimation dieser städtebaulichen und damit auch ideologischen Neupositionierung der ethnologischen Sammlungen wird, ähnlich wie anlässlich des Musée du Quai Branly in Paris, mit der "Gleichwertigkeit aller Kulturen" formelhaft beschrieben. Dazu genügt aber nicht der ostentative Akt einer Verschiebung ihres symbolischen Ortes, dazu braucht es einen tiefgreifenden Wandel des Konzepts Völkerkundemuseum - wenn nicht dessen Aufgabe zugunsten von etwas Neuem, noch kaum Geahnten.

Gemeinsam mit den Museen der Museumsinsel, dem Deutschen Historischen Museum und der museal genutzten Friedrichwerderschen Kirche würde ein riesiger Museumskomplex entstehen und es fällt, als ob das nationalpolitische Konkurrenzdenken wie im späten 19.Jahrhundert (bei dem Museumsgründungen eine große Rolle spielten) ein Revival erlebte, als Bezugspunkt für diesen megalomanen Museumskomplex als Referenzprojekt nicht mehr und nicht weniger als der Name Louvre.

Eine 2009 gezeigte Ausstellung, "Anders zur Welt kommen", (hier zur Webseite) sollte modellhaft vorzeigen, was vom Humboldt-Forum einst geleistet werden könnte. Aber die mediale und öffentliche Resonanz auf die Ausstellung war verhalten und hat der Idee als Ganzes nicht zum Durchbruch verholfen. Die zentralen Widersprüche des Konzepts sind offensichtlich. Der politisch-symbolische Akt, das Schloss der Preussischen Könige wieder aufzubauen und seine Fassade zu rekonstruieren, ist als - immerhin auch finanziell aufwendiges - Vorhaben demokratischer (Kultur)Politik kaum zu argumentieren. Noch dazu hat der Architektenwettbewerb ein angefochtenes und umstrittenes, keineswegs neue architektonische und städtebauliche Akzente setzendes Resultat gebracht. Nicht nur die Wiedererrichtung eines - freundlich formuliert - ambivalenten Herrschaftsbaues unter dem Prätext des pfleglich-respektvollen Umgangs mit dem kulturellen Erbe, ist ein fragwürdiger symbolpolitischer Akt; auch die buchstäbliche Revision einer Epoche der jüngsten Geschichte: auf einem Teil des Geländes stand der Staatsbau der DDR, der Palast der Republik (erst 2008 definitiv abgebrochen).

Und davon solte das neue Projekt nicht kontaminiert werden? - Das ist aber nicht alles. Museumssammlungen, zum Beispiel solche der Humboldt-Universität, aber auch die völkerkundlichen Sammlungen in Dahlem, in das Schloss zu transferieren, ist schon auf einer ganz pragmatischen museologischen Ebene problematisch. Und schließlich: wie werden sich diese Sammlungen in die vorhandene museale Megastruktur der Museumsinsel eingliedern oder an sie anbinden? Und auf die Frage nach der Funktion der völkerkundlichen Sammlungen an diesem Ort, hat bisher über die genannten Gemeinplätze noch nicht im entferntesten jemand schlüssig Auskunft geben können.

Bahnerts Ingrimm ist also angesichts der langen Dauer der Debatten und ihrer Ergebnislosigkeit nicht zu Unrecht ziemlich heftig. "Wenn man festhält an der Vision, dass weiland als Wilde abgestempelte Andersdenker unter den Augen der Berlintouristen grübeln sollen, dann wäre für diesen modernen Kolonialzoo Christoph Schlingensief der perfekte Direktor. Und sonst? Ein 'Humboldt-Forum' mit Schaufenster der Akademien wäre eine Mischung aus interaktivem Schulfernsehen und permanentem Kirchentag."

Abbildungen: Berliner Schloß, historische Fotografie. Das Schloß als Kriegsruine. Abbruch des Palastes der Republik. Rekonstruiertes Schloß. 'Wunderkammer' der Ausstellung 'Anders zur Welt kommen'.

Gesang der Ozean-Familien (Texte im Museum 59)



Text verfasst aus Anlass der Abteilung Ozeanien des Völkerkundemuseums München 2005

Montag, 17. Mai 2010

James Cook, die Südsee und wir im Museum

Als Kaiser Karl V. aus der Eroberung Amerikas stammende Objekte in Brüssel ausstellen ließ, war einer der Bewunderer Albrecht Dürer, der dem, was er sah – „so viel schöner anzusehen dann Wunderding“ -, Bewunderung entgegenbrachte und ihren Schöpfern Respekt als “subtilen Ingenia der Menschen in frembden Landen“.
Der Schock, der von der Fremdartigkeit des Nie-Gesehenen ausging, schlägt sich in der Suche nach einer geeigneten Sprache zur Bezeichnung der Dinge und ihrer Erfahrung nieder und in ihrer Ästhetisierung.
Wahrscheinlich wird es vielen Besuchern, die die im Wiener Völkerkundemuseum laufende Ausstellung „James Cook und die Entdeckung der Südsee“ besuchen, noch immer ähnlich gehen. Auch sie werden mit etwas konfrontiert, was einen weiten Zeitraum und eine große zeitliche Entfernung in jener eiegntümlichen Dialektik überbrückt, die Walter Benjamin mit den Metaphern „Spur“ und „Aura“ zu fassen versuchte. Mit dieser Dialektik zu arbeiten, das ist eine der besonderen und eigentümlichen Möglichkeiten des Museums.

Was Besucher in der Ausstellung zu sehen bekommen, ist weit weniger James Cook selbst (seine Person, sein Wirken als Seefahrer und Kartograph), denn die „Wunderding aus frembden Landen“. Jedenfalls ist es mir so gegangen. Nachdem der Pflichtteil der historischen Intrada (ich komme drauf zurück) hinter mir lag, schlugen mich rasch die wunderbaren Dinge in ihren Bann, die vielen Objekte, die die Kulturen bezeugen, mit denen man damals, vor über 200 Jahren, in Berührung kam und die nun in den vielen Schausälen des Museums ausgebreitet vor uns liegen liegen.
Werkzeuge, Geräte, Kleidung, Musikinstrumente, Schmuck, Kopfbedeckungen... Das meiste aus pflanzlichem Material gemacht, aus Vogelfedern, aus Haaren oder Knochen von Tieren, aus Muscheln und Schneckenhäusern, aus Holz, weniges aus Stein. Welch ein kunstvolles Ding kann ein Fliegenwedel sein, noch dazu, wenn seine feinen Perlmuttstückchen auch noch Klang erzeugen. Paddel sind nicht einfach plumpe Holzstücke, sondern elegant geformt und am Übergang zum verbreiterten Teil kunstvoll verziert. Kämme waren in Neuseeland offenbar ein Männerschmuck, aus Walknochen, hoch ins Haar gesteckt, waren sie auch ein Zeichen einer Würde, wenn ihr Träger nicht einfach nur Federn im geknoteten Haar stecken hatte. Angelhaken für den Haifischfang waren aufwendig und geduldig erzeugte, mehrteilige, grausam aussehende Werkzeuge; mit ausgehöhlten Kokosnüssen ließ sich Fruchtbrei herstellen, aus einem Kürbis ein tragbares Gefäß. Um bei der Arbeit nicht von der Sonne geblendet zu werden, flochten sich Frauen trapezförmige Schirmchen, deren schmälere Seite von einem Ring gebildet wird, den man auf den Kopf ziehen konnte. Eine Steinschleuder aus Pflanzenfasern ist ebenso kunstvoll, wie die Umhängetasche, in der man die ‚Munition’ (die Steine) mit sich trug.
Es sind zauberhafte Dinge, einfach, zweckmäßig, kunstvoll, aus schlichten Materialien, die man in manchmal sehr aufwendigen Verfahren verarbeitete, z.B. breitgeklopfte Fasern zu großen Kleidungsstücken. So ‚schön’ und ‚naturnah’ die Dinge erscheinen, ein romantisierendes Bild der Südsee bedienen sie nicht, das tun eher manche Bilddarstellungen der Expeditionsteilnehmer, die oft vor Ort, ebenso oft aber nach Skizzen und Notizen und sehr viel später entstanden oder sich völlig vom Gesehenen und Erreigneten entfernen konnten, wie etwa Johann Zoffanys Bild, das Cooks Tod als antike Tragödie erzählt.
‚Südsee-Romantisch’ kann der Eindruck auch deshalb nicht werden, weil die Objekte unprätentiös ausggestellt und knapp kommentiert werden, kontextualisiert von der wissenschaftlichen Tätigkeit der (ersten beiden) Expeditionen und der seefahrerischen Meisterleistung dreier welterweiternden Reisen.

Der Logistik dieser Reisen ist ein Teil der Ausstellung gewidmet. Während mir aufgeklappte Bücher, Fernrohre oder komplizierte Messinstrumente in Vitrinen herzlich wenig sagen, waren die multimedialen Informatione so hilfreich, mir immerhin das Gefühl zu vermitteln, als hätte ich (endlich) verstanden, wie man sich denn (zu jener Zeit) auf einem weiten leeren Meer ziemlich exakt orientieren und verorten konnte. Daß es schon so etwas wie Maggi-Würfel gab, Trockensuppe, die im Museum nicht grade appetitlich oder gesundheitsfördernd aussieht, und manch andere erstaunliche ‚Ergänzungsnahrung’, die erfolgreich typischen Mangelerkrankungen der Seefahrt vorbeugte, beeindruckte mich. Wenig, zu wenig erfährt man über die Interessen der Auftraggeber, über die mittel- und langfristigen Effekte der kolonisierenden Landnahme. Daß ein Mitglied der Expedition die erste Kolonie Strafgefangener in Australien gründete, habe ich in einer Zeitungsrezension erfahren, vielleicht in der Ausstellung überlesen. Daß die Bewohner grade der australischen Küsten wünschten, daß die Eurpäer rasch wieder verschwinden, wie Cook selbst notierte, hat die – wie wir wissen – bis heute nachwirkende Kolonisierung Australiens und die Beinahe-Ausrottung eines ganzen Kontinents nicht verhindert.
Stattdessen beschäftigt man sich mit dem zur damaligen Zeit auch durch Cooks Expeditionen erzeugten Südsee-Bild, das - zusammen mit Reiseberichten - viele dauerhafte Klischees erzeugte. Dankenswerterweise wird bei den meisten Gemälden und Zeichnungen angegeben, unter welchen Umständen das Bild entstand, ob vor Ort oder am Schiff oder womöglich Jahre später in London... Man hat so eine gewisse Chance, die Authentizität der Darstellung selbst abzuschätzen, aber die Komplexität der Beziehung, die da entstand, kann man so nicht einmal erahnen.
Welche Wechselbeziehung zwischen europäischem Vorurteil, Erfahrungen vor Ort und Nachwirkung in Gang gesetzt wurde, das kann man staunend zur Kenntnis nehmen, wenn man das Buch zur Hand nimmt, das der Teilnehmer der zweiten Expedition, Georg Forster verfasste. (A voyage round the worlds; 1777). Sein Text vermittelt einen durch und durch ebenso offenen, neugierigen wie anerkennenden Blick auf das Neue, vor allem auf die Menschen, die er trifft und kennenlernt. Alles was von der mitgebrachten Erfahrung abwich (und oft hart und tödlich von den Seefahrern bestraft wurde), sucht er vor dem Hintergrund seiner protodemokratischen Gesellschaftstheorie und einem aufgeklärten, egalitären Menschenbild zu verstehen und zu würdigen. (Forster war einer der konsequentesten Sympathisanten der Französischen Revolution, ein führender Kopf der kurzlebigen Mainzer Republik und deren Deputierter der Nationalversammlung in Paris). Selbst den - heute bezweifelten - Kannibalismus, auf den man zu treffen glaubte, suchte er zu verstehen und nicht zu verurteilen.

Der europäische Blick, die europäischen Interessen können sich repräsentieren. In Texten, Dokumenten, Büchern, Seekarten, Bildern. Dazu gibt es kein Äquivalent bei den ‚entdeckten’ Völkern. Ohne Schriftkultur bleiben nur ihre mehr oder weniger zufällig in europäische Museen gelangten Objekte als – sehr relative,  aber ja nie auf Dokumentation angelegte – Artikulationsmöglichkeiten. Nicht mal ein Dutzend von Zeichnungen, offenbar unter dem Einfluß europäischer entstanden, mögen kostbar und selten sein, die überragende Macht der eurozentristischen Repräsentation tangieren sie natürlich nicht.
Statt Nostalgie stellt sich im Ausstellungsraum eher Melancholie (als museumstypische Verstimmung) ein, denn wir werden mit Überlebseln verschiedenster Bevölkerungsgruppen konfrontiert, deren Relikte in – überwiegend europäischen – Museen überdauert haben, während ihre Erzeuger und Nutzer samt ihren Kulturen größtenteils untergegangen sind. Manche unmittelbar auf Grund ihrer ‚Entdeckung’, manche mit Zeitverzögerung aber indirekt ebenfalls durch die Kolonisierung. Mehr als 3000 Kilometer australischer Küste kartierte Cook und „nahm sie für die britische Krone in Besitz“ (Ausstellungstext). Das war einfach. Ein einseitiger „Rechtsakt“ genügte, wo es nötig war, durchgesetzt mit Gewehren, Pistolen und Schiffskanonen. Diese Waffen stellten eine Überlegenheit her, die jede zahlenmäßige der ‚Entdeckten’ zunichte machten.

Dürers Besuch der ausgestellten „Wunderding“, den ich eingangs erwähnte, interpretiert Stephen Greenblatt als Indiz eines ästhetischen Verstehens, das sich von einer bloßen Artikulation der Beziehung zu Macht und Reichtum zu emanzipieren beginnt. Ästhetisches Verstehen beruht für ihn generell auf der Abstraktion von Macht und Gewaltförmigkeit als Bedingungen des Erwerbs und Genusses (kulturellen) Reichtums. (Stephen Greenblatt: Resonanz und Staunen, in: ders.: Schmutzige Riten. Frankfurt 1991, S.224f.). Ich denke, man kann diese Überlegung auf die Ausstellung übertragen. Indem man Greenblatts These auf den Kopf stellt. Der ästhetische Genuss bringt dessen geschichtlichen und sozialen Bedingungen zum verschwinden. Er macht durch Ästhetisierung historische Ereignisse, mögen sie noch so katastrophisch verlaufen sein, angenehm konsumierbar, in einer wunderbaren, schönen Ausstellung, in der man kaum behelligt wird von zuviel analytischem Beiwerk.

Die Schau als Biografie eines Eroberers zu erzählen, der Cook symbolisch (bis heute) und materiell war, stellvertretend für eine europäische Großmacht, heißt, den Blick der Eroberung noch einmal aufzunehmen.  (Die Engländer hatten seit dem 16. Jh. einen Komplex, weil sie nichts richtiges entdeckt hatten; sie hatten nur Piraten. Dann kam endlich James Cook, den konnte man jetzt zumgrössetn Seefahrer aller Zeiten erklären, wie ihn eine Weltmacht brauchte. Leserbrief – in Originalortografie - zu einer Ausstellungsrezension). Der erste Blick im ersten Raum muß auf das großformatige Porträt Cooks fallen – es ist in der Raumachse, der Eingangstür gegenüber angebracht  -, das ihn mit einer seiner Seekarten zeigt auf die er mit besitzergreifender Geste weist.
Cook eignet sich für eine auf ihn bezogene Erzählweise, weil er, wie die Ausstellung uns sagt, im Kontext europäischer Aufklärung und der Wissenschaft verpflichtet, um einen von Respekt getragenen Umgang mit den ‚Einheimischen’ bemüht gewesen sein soll. Im allerersten Ausstellungstext wird er uns zudem als Aufsteiger aus ärmlichsten Verhältnissen – Sohn eines Taglöhners -, vorgestellt, der es dann zum berühmten Seefahrer, Entdecker, Kartografen gebracht hat, der unser Wissen um die Welt so unendlich erweitert hat und aus dem in einer Aufsteigergeschichte „ein Held der europäischen Besitznahme der Welt“ werden durfte, dessen Auftrag hinter der Wendung „geopolitische Interessen“ (Ausstellungstext) versteckt wird.
Schließlich ist die Kultur der polynesischen Inseln im rituellen Kanon musealer Aufmerksamkeit gegenüber der griechischen und römischen Antike,  der ägyptischen Hochkultur oder denen Altamerikas eindeutig deklassiert. Cook ist also auch ein Vorwand, um eine Kultur zu zeigen, deren "...objects in international museums have never been studied or published or visited...". (Jenny Newell)
Cook ist überdies so geeignet als Zentrum der gesamten Erzählung, weil er auch ein Opfer ist. Auf seiner dritten Reise wurde er unter Umständen getötet, für die es mehrere Versionen gibt. Ob es nun eine Identifizierung als Teil einer Zeremonie war, die die Einheimischen vornahmen oder einer jener Gewaltakte der Eindringlinge, der diesmla nicht wie so oft glimpflich verlief, Cook wurde - in den Augen seiner Auftraggeber - sofort zum Opfer von 'Unzivilisertheit' und 'Wildheit', die man den entdeckten Völkern zuschrieb und mit ihr die Eroberungen und Entdeckungen legitimierte.
Die Ausstellung strengt sich nicht besonders an, diese Erzähl- und Deutungsstruktur zu relativieren.
Cooks, von einigen näher vorgestellten Wissenschaftern und Künstlern unterstützte Welterweiterung und aufklärende Wissenserweiterung bildet die zentrale Legitimation um noch einmal die Geschichte der drei legendären Reisen zu erzählen, aber damit auch noch einmal in eurozentristischer Perspektive und wieder einmal unter weitgehender Ausblendung der Gewaltförmigkeit des Unternehmens selbst aber auch der des wissenschaftlichen Zugriffs auf das Fremde und die Fremden.
Dabei hätte die Ambivalenz dieses Unternehmens, als von Annektion, Unterwerfung, Beherrschung wie von wissenschaftlicher Neugier motiviert, genügend Gelegenheit geboten, das Museum einmal nicht nur metaphorisch als „Schule des Befremdens“ zu gebrauchen, sondern als Ort, an dem Fremdheit auch erst hergestellt wird, unter einem inszenierten Blick und einem formierten Interesse.
Sind nicht damals für uns immer noch ent-scheidende Bilder des Eigenen und Fremden entstanden, Strategien der Exotisierung und Distanzierung und der ent-fremdenden Aneignung? Hätte man, wenn man schon den aus jenen Jahren stammenden Begriff „Ethnologie“ kurz problematisiert, nicht mehr zur Wissenschaftsgeschichte machen können, oder zur Sammlungsgeschichte? Ein paar Objekte gibt es dazu, einige ‚außer Katalog’, als sei da jemandem im letzten Augenblick etwas ein- oder aufgefallen. Aber die Chance auf eine selbstreflexive Thematisierung der Bedingung der Ausstellung wird nicht wirklich versucht.
Da liegt in einer großen, technisch aufwenigen Vitrine ein großes Stoffstück, das trotz seiner konservatorischen Fragilität überdauert hat. Mitten auf den Stoff wurde ein Zettel befestigt, der offenbar inventarische Angaben enthält (es gibt mehrerer solcher Objekte in der Ausstellung). Hätte man nicht über die Würdigung der handwerklichen und ästhetischen Qualitäten des Objekts nicht auch dessen symptomatisches Exponaten-Dasein thematisieren können. Seine Transformation in den verschiedenen Etappen der Aneignung -  Tausch, Gabe (die Ausstellung vermittelt den Eindruck, als wäre alles freiwillig den Europäern übermittelt worden) -, Erfassung und Systemisierung durch die Expedition schon vor Ort (Listen, Tabellen, Zeichnungen etc., wie man sie in der Ausstellung sehen kann), Existenz in einer europäischen Sammlung oder Schaustellung, Funktion als ethnographisches Objekt der Wissenschaft oder des Museums...?
Das hätte helfen können, unseren heutigen Blick etwas auf Distanz zu bringen, zu differenzieren, etwas von der Komplexität und Fragilität des musealen Blicks wenigstens zu ahnen. Aber auf solche Feingriffe kommen Museen leider nicht, zumindest nicht in diesem Fall, es scheint eher um eine grobgestrickte ‚Sehenswürdigkeit’ zu gehen, um schnelles, einfaches Sehen und Bewundern.
Den Folgen der Cook'schen Expeditionen schenkt die Ausstellung bemerkenswert wenig Beachtung. Das gilt auch für den Katalog. Die jüngere Geschichte der Region, die Bemühungen um Widergewinnung ihrer Geschichte, die Rolle eigener Sammlungen und Museen werden, so weit ich sehe, überhaupt nicht thematisisert.
Cook war sich der Konsequenzen der europäischen Intervention bewußt und hatte eine klare Vorstellung davon, daß sich die Existenz der Völker, mit denenen man in Kontakt kam, dramatisch verändern würde. Noch radikaler als er hat Georg Forster den durch die Reisen ausgelösten Kulturschock, den man auslöste beschrieben und hellsichtig die katastrophische Zukunft beschrieben: „Es ist Unglücks genug, dass alle unsre Entdeckungen so viel unschuldigen Menschen haben das Leben kosten müssen. So hart das für die kleinen ungesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von den Europäern aufgesucht worden sind, so ists doch wahrlich nur eine Kleinigkeit im Vergleich mit dem unersetzlichen Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt haben.“

Die Ausstellung James Cook und die Entdeckung der Südsee ist im Museum für Völkerkunde in Wien noch bis 13. September 2010 zu sehen, vom 7. Oktober bis 2010 bis 13. Februar 2011 im Historischen Museum Bern.

Freitag, 29. Januar 2010

Weisse Kopfjagd. Die Naga-Vitrine in der „Götterbilder“-Ausstellung im Museum für Völkerkunde in Wien

Vorbemerkung: Das Völkerkundemuseum in Wien hat seine Dauerausstellungen vor längerer Zeit abgebaut, aber wies scheint, kann aus Geldmangel die neue Dauerausstellung nicht in Angriff genommen werden. Wer das Museum derzeit besucht, findet die jeweiligen Sonderausstellungen vor und eine 2009 eröffnete Ausstellung, die als ein Art ‚Preview‘ verstanden werden kann, als Auftakt oder Probe, als erste Etappe für die geplanten Sammlungsausstellungen. „Götterbilder“ ist den Religionen Süd- und Südostasiens sowie denen der Himalayländer gewidmet.
Wann es zur Errichtung der neuen Dauerausstellung kommen wird, ist inzwischen noch unklarer geworden. Es wird an einem Konzept zur Zusammenlegung mit dem Volkskundemuseum gearbeitet, was wohl weit reichende Auswirkungen auf die Präsentation der Bestände des Museums für Völkerkunde haben dürfte.
Der folgende Text beschäftigt sich mit einer einzigen Vitrine, einer die den Naga gewidmet ist. Zur Ausstellung insgesamt habe ich an anderer Stelle einen Text veröffentlicht.

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Der Typ des Völkerkundemuseums entsteht im europäischen Kolonialismus des 19. Jahrhunderts. Kolonialmuseen, Handelsmuseen, Orientmuseen oder wie sie sonst noch anfangs heißen konnten, hatten es einerseits mit praktisch-ökonomischen andrerseits mit ideologischen Zwecken zu tun. Immer ging es dabei um die Darstellung der Überlegenheit der europäischen über andere Kulturen und um die Rechtfertigung, diese Überlegenheit wirtschaftlich und kulturell auszubeuten. Die Sammlungen einschlägiger Museen speisten sich aus Raub, Enteignung und selbst dort, wo sie durch freiwillige Gaben, Schenkung oder Kauf vermehrt wurden, war es aufgrund politischer und militärischer Überlegenheit selten ein gerechter Tausch. Völkerkundemuseen waren und sind vielfach noch immer hegemoniale Projekte, die eine europäische Sichtweise auf unterlegen und unterentwickelt geglaubt und dargestellte Ethnien durchsetzten. Dabei wurde der ‚Autor’ dieses Prozesses immer ausgeklammert. Der Autor, der über die Erzählstrategien und Repräsentationsweisen ebenso entschied, wie über die Bedeutungszuweisung und den spezifischen Blick, den man auf den ‚Anderen’ warf.

2
Dass eine Trophäe gezeigt wird, ein mit Gegenständen kombinierter Totenschädel, ist erstaunlich. Warum macht ein Museum im Jahr 2009 so etwas noch, trotz aller museologischen, ethischen und rechtlichen Debatten, die seit langem zum Umgang von Museen mit menschlichen Körpern, Skeletten, Mumien usw. geführt werden? Die Überraschung über dieses Ausstellungs’objekt‘ war der Ausgangspunkt meines Interesses.
Die Vitrine ist den Naga gewidmet, einer – sehr vereinfacht gesagt – Gruppe von Stämmen, die im Nordosten Indiens lebten und die das Interesse der Ethnologie vor allem durch die von ihnen praktizierte Kopfjagd erweckten.
Die teilweise symmetrisch bestückte Vitrine zeigt links Objekte, die sich auf die Kopfjagd und darauf bezogene Handwerkskunst und sogenannte Ritualgegenstände beziehen. (Zeremonialkorb, Zeremonialdao – ein ‚Dao’ ist, wie man nachlesen kann, eine Art ‚Universalwerkzeug’ -, Zeremonialhut, Ahnenfigur, ein Acryl-Bild eines Naga-Paares, Zeremonialspeer, Kopftrophäe). Im rechten Teil der Vitrine werden – wie in der linken - acht Objekte gezeigt: eine aufgeschlagene Kinderbibel, eine weitere Bibel, ein Kreuz, ein Priestergewand (Kasel), eine Stola, ein Foto mit Papst Benedikt XVI. und dem Naga-Bischof Jose Mukala, und, in beabsichtigter Symmetrie zu zwei Ahnenfiguren links, je eine Gips-Statue von Christus und Maria. Also ausnahmslos Gegenstände die auf die christlich-baptistische Religion verweisen, die heute von der überwiegenden Mehrzahl der Bevölkerung praktiziert wird.

Die Anordnung von links / vorher und rechts / nachher lesen wir wie selbstverständlich als Erzählung und Entwicklung. Grob zusammengefasst kann man das so sagen: die köpfjägerischen Naga sind durch Christianisierung Teil der zivilen Völkergemeinschaft geworden.
Diese Lesart wird unterstrichen vom Text in der Vitrine, der die unterschwellige Kontinuität zwischen beiden kulturellen Formationen und Zeiten in einer Art sublimierter Fortwirkung der – als Opferkult - gedeuteten – Kopfjagd in der durch ihr – unblutiges – Opfer ausgezeichneten christlichen Religion. Das legt die Deutung einer zivilisatorischen Transformation nahe, die durch eine Christianisierung glücklich bewirkt wurde. Das ganze komplexe Spiel der modernen Identifizierung der Naga, die zwischen Adaption und Widerstand, Traditionsbewusst sein und materieller Modernisierung oszilliert, sowie Kampf um politische Unabhängigkeit bleibt weitgehend ausgeklammert. Vor allem aber der zweifellos selbst kolonisierende Prozess der religiösen ‚Bekehrung‘. Der Kurator der Ausstellung, Christian Schickelgruber, schreibt unmißverständlich im Begleitbuch, daß Britische Kolonisierung und die von den USA ausgehende Missionierung, der „eigenständigen kulturellen Identität der Naga ein jähes Ende“ bereitet hätten.

Im Brennpunkt des rechten Teils der Vitrine kann man das Bild sehen, auf dem zu sehen ist, wie ein Naga-Bischof dem Papst ein traditionelles Tuch um die Schulter legt. Da wird nicht nur die harmonische religiöse Assimilation beschworen, sondern eine Art Eingemeindung in eine christliche Weltgemeinschaft, in der die einst Wilden, befriedet und zufrieden, eingekehrt sind.

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Vor der Vitrine rätselte ich, warum im Kontext der Ausstellung, neben Buddhismus und Hinduismus, also zwischen den großen Religionen, ausgerechnet die Naga auftauchen. Ich dachte, dass es sich um eine besondere Sammlung des Museums handeln müsste – und genauso ist es.
Dass das Wiener Völkerkunde-museum eine singuläre Sammlung von einst den Naga gehörenden Dingen besitzt, versteht man nur vor dem politisch-ideologischen Hintergrund der NS-Zeit und der Protegierung des Sammlers durch die Britische Kolonialmacht und den – man kann’s nicht anders sagen - kopfjägerischen Strategien und Interessen der Ethnologie dieser Zeit.

Der Sammler, dem das Museum seine besondere Naga-Kollektion verdankt, Christoph von Fürer-Haimendorf, wird in der Literatur eher als Reiseschrift-steller, denn als Ethnologe eingestuft. Als solcher ordnete er sich zunächst sowohl der NS-Politik und Ideologie als auch den Interessen des britischen Kolonialismus so unter, dass er ‚erfolgreich’ das Naga-Gebiet ‚ethnologisch’ bereisen konnte. Er war illegales NSDAP-Mitglied und ab 1936 Dozent am Institut für Völkerkunde, „wo er nach dem Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland im März 1938 eine wesentliche Stütze von Sturmbannführer Christian war und mit der Neuorganisation des Instituts unter den Rahmenbedingungen der Hitler-Diktatur betraut wurde.“ (Christian Schicklgruber: Christoph von Fürer-Haimendorf - Sammler und Chronist der Naga zwischen den Fronten, in: Michael Oppitz u.a. (g.): Naga Identitäten. Zeitenwende einer Lokalkultur im Nordosten Indiens. Gent 2008, S.356).
1936/37 hielt sich Haimendorf dreizehn Monate im Gebiet der Naga auf, wo er unter der Protektion und dem militärischen Schutz der britischen Kolonialmacht ‚sammeln’ konnte. Gut dokumentiert, auch mit Fotografien sowie mit von Haimendorf herrührenden Textquellen, ist eine Strafexpedition gegen das Dorf Panghsa, das von den britischen Truppen niedergebrannt wurde, nachdem zuvor Haimendorf, der „weisse Kopfjäger“, wie er sich selbst nannte, „manches Objekt für europäische museale Sammlungen vor dem Feuer retten“ konnte (C. Schicklgruber, wie oben, S.358). Die Dokumente lassen eigentlich keine Zweifel, daß es sich nicht um Sammeln sondern um Raub handelt.

Für die Ethnologie und die Museen jener Zeit war offensichtlich die ‚attraktivste’ Eigenheit der Naga ihre Kopfjagd. Es spricht aber viel dafür, dass es gerade die koloniale Verwaltung war, deren Verbot der Kopfjagd und das Interesse der Ethnologen, das diese erst recht anheizte und gewissermaßen ‚auflud’. „Ähnlich wie im Falle der ‚Skalps’ oder der ‚Schrumpfköpfe’ gilt auch hier: Was in Europa oft mit Schauer als Zeichen blutrünstiger Primitivität wahrgenommen wurde und damit die eigene europäische Überlegenheit und die Notwendigkeit des kolonialen „Zivilisationsprozesses“ unterstreichen konnte, das war so erst durch die europäische Kolonialpräsenz verstärkt hervorgerufen, verändert und weiter verbreitet worden.“ (Andre Gingrich: Gebrochene Kontexte einer prekären Ethnographie: Einführende Überlegungen zum Frühwerk von Christopf Fürer-Haimendorf, in: Hilde Schäffler: Begehrte Köpfe. Christoph Fürer-Haimendorfs Feldforschung im Nagaland (Nordostindien) der 30er Jahre. Wien 2006).

Die Präsentation der Naga in der Vitrine spart diese – hier aus Platzgründen verkürzt widergegebene - Wechselbeziehung von ethnologischem Interesse, kolonialer Politik und europäischem Begehren aus.

1939 veröffentlichte Haimendorf, der offenbar von beiden Herrschaftssystemen, Nationalsozialismus und Britische Kolonialmacht, geschickt profitierte, seinen ‚Reisebericht’, Die nackten Nagas, und im selben Jahr wurde seine Sammlung im Völkerkundemuseum in Wien ausgestellt. Zu all diesen politi-schen und ideologischen Bedingungen des Zustandekommens der Sammlung fällt kein Wort in der Ausstellung (und auch wenig im begleitenden Publikumskatalog), stattdessen finden wir – wie ein Motto – in der Vitrine ein komplett irreführendes wörtliches Zitat des Sammlers und Ethnologen Fürer-Haimendorf, aus dessen erwähntem Buch von 1939, das dessen Interessen und Sichtweisen als selbstkritisch unterfüttert darstellt, ganz konträr zu seiner tatsächlichen ethnologischen Praxis.

Die Versuchung ist groß, die Nagas als kühnes Kriegsvolk darzustellen und alles Licht auf Kopfjagd, Menschenopfer und andere aufregende Sitten zu werfen. Das Ungewöhnliche reizt ja stets besonders, und gerade die Völkerkunde hat noch nicht lange aufgehört, sich vor allem mit dem Absonderlichen und kuriosen in exotischen Kulturen zu beschäftigen. Doch wollten wir diesem Drang nachgeben und den Naga nur als den von den Leidenschaften nach Ruhm und menschlichen Köpfen besessenen Krieger schildern, so würde unser Bilde mit der Wirklichkeit wenig gemeinsames haben. Der Naga ist in erster Linie Ackerbauer. Neun Zehntel seiner Gedanken und seiner Arbeitskraft gelten seinen Feldern.

Aber alle Objekte in der Vitrine haben direkt oder indirekt mit der Kopfjagd zu tun, kein einziges mit dem Ackerbau. Deren Aussage steht im diametralen Gegensatz zum Zitat. Der Umgang mit dem Zitat, die Präsentation in der Vitrine mit ihrem affirmativen und ‚pädagogischen’ Narrativ, das Verschleiern der Herkunft und Ideologie der Sammlung lässt diesen Abschnitt der Dauerausstellung zur klassischen Unschuldskomödie werden.
 Fotos: Gottfried Fliedl (2009)