Das Museum als aktiver
Moderator sozialer Demokratie
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Dieser Text basiert auf Notizen, die einem Beitrag zu
einer Veranstaltung zu Erinnerungskulturen
der sozialen Demokratie zugrunde lagen.
Die von der Hans Böckler Stiftung veranstaltete Zusammenkunft hatte den
Untertitel Soziale Demokratie im Kulturhistorischen Museum. Wege zum
partizipativen Museum. Meine für fünfzehn
Minuten Redezeit vorbereiteten Überlegungen waren eher fragmentarisch und sind
es mit ein paar Glättungen und Ergänzungen auch geblieben.
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Was wäre das - ein Museum
der sozialen Demokratie?
Welche Erwartungen knüpfen
sich an ein solches Museum?
Kann es so etwas geben,
ein Museum, in dem die sozialen Bürgerrechte repräsentiert werden?
Soziale Demokratie, so
lege ich es mir zurecht, ist eine gesellschaftliche Ordnung, in der nicht nur die
verschiedene Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte gesichert sind, sondern auch
die materiellen Bedingungen und soziale Rechte, die den Genuss dieser Grund-
und Freiheitsrechte überhaupt erst ermöglichen.
Für mich ergeben sich
daraus drei Fragen: Wie weit wird das Museum als Organisation diesem Anspruch
gerecht? Wie spiegeln die Sammlungspolitik, die Sammlung und die und die
Ausstellungen diesen Anspruch? Und schließlich: Welches Verhältnis pflegt das
Museum zu seinem Publikum und generell zur Öffentlichkeit. Wie bestimmt es
seinen Platz und seine Aufgabe innerhalb Gesellschaft.
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Ich möchte zuerst kurz
skizzieren, wie ich die drei Anforderungen in der derzeitigen Museumspraxis
realisiert bzw. nicht realisiert sehe.
Zur ersten Frage: Ist das
Museum eine Organisation, die man demokratisch nennen kann, in der soziale
Demokratie selbst verankert ist? In welchen Museumsorganisationen ist
Demokratie eine zentrale Handlungsorientierung und etwas, was die
innerbetrieblichen Machtverhältnisse, Abläufe und Entscheidungen prägt?
Ich kann dazu nur
beispielhaft und anekdotisch etwas beitragen, ich kenne keine empirischen
Untersuchungen zu musealen Organisationsformen.
Was mir sofort eingefallen
ist, ist der einzige mir bekannte Versuch, gewerkschaftliche Mitbestimmung in
Museen einzuführen. Das sogenannte Hamburger Modell vom Anfang der 70er-Jahre, das
von MItarbeiterInnen der kommunalen Hamburger Museen gefordert und von den Museumsleitern
heftig bekämpft wurde. Der von mir geschätzte Leiter der Hamburger Kunsthalle
entsetzte sich mit der Vorstellung Da könne ja nun jede Putzfrau bei den Ausstellungen
mitbestimmen.
Keine
gewerkschaftliche aber überhaupt Mitsprache forderten jüngst die Leiter der
Museen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz ein, um sich in einen
Evaluationsprozess einzuklinken, der zunächst ohne ihr Wissen und zutun von der
Kulturstaatssekretärin begonnen worden war und im dem eine Zeit lang die
Zerschlagung der Stiftung im Raum stand. Die mir völlig sinnvoll und
selbstverständliche Beteiligung der Museumsdirektoren wurde von einer großen
überregionalen Zeitung gar als basisdemokratische Revolution bezeichnet.
Ein anderes Beispiel für
Implementierung sozialer Demokratie ist der Versuch, an den österreichischen
Bundesmuseen einen Kollektivvertrag durchzusetzen. In erster Linie wird das zur
Verbesserung der Anstellungsbedingungen und Entlohnung der Vermittlerinnen
führen - die weibliche Form ist hier angebracht, es ist überwiegend ein
Frauenberuf, nicht gut bezahlt und mit prekären Bedingungen. Für die
Realisierung dieses Vorhabens, so höre ich, gibt es gute Aussichten.
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Ich komme zur zweiten
Frage: Wie spiegeln die Sammlungspolitik, die Sammlung und die Ausstellungen den
Anspruch soziale Demokratie im Museum zu repräsentieren? Das heißt, wie wird
die Geschichte der Arbeit, der der Arbeiterbewegung und ihrer Organisation, der
sozialen Kämpfe und Reformen, der Organisation der Arbeiterschaft und vieles
andere mehr durch Museen repräsentiert.
Da kann ich mich auf eine
umfangreiche Recherche von Wolfgang Jäger berufen, der sich in einer Reihe
deutscher kulturhistorischer Museen auf die Suche nach sozialer Demokratie in
Ausstellungen gemacht hat. (Wolfgang Jäger: Soziale Bürgerrechte im Museum. Die
Repräsentation sozialer Demokratie in neun kulturhistorischen Museen. Bielefeld
2000. Mir stand ein umfangreiches Manuskript von Wolfgang Jäger zu diesem Thema
zur Verfügung). Sein Befund ist ernüchternd, aber nicht überraschend. In vielen
(kultur)historischen Museen ist er kaum bis gar nicht fündig geworden. Soziale
Demokratie spielt in den Erzählungen der einschlägigen Museen, nicht jene
Rolle, die ihr in der Wirklichkeit zugekommen ist und zukommt. (*)
Ich denke, in Österreich
würde eine ähnliche Recherche ebenso ernüchternd ausfallen und die Existenz des
Museums Industrielle Arbeitswelt Steyr, auf Initiative der Gewerkschaftsjugend
gegründet, das verdienstvolle Ausstellungen macht, muß man ebenso als eine
Ausnahme aus der Regel ansehen wie das wunderbare Museum Das Rote Wien im Waschsalon
des Karl Marx-Hofes in Wien, das die Kommunalpolitik des sozialistisch
regierten Wien in der Ersten Republik zeigt aber auch den hohen Grad und die
Qualität der Selbstorganisation der Arbeiterschaft.
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Die dritte Frage ist die
nach der Beziehung des Museums zu seinem Publikum und zur Gesellschaft
insgesamt.
Wie sattsam bekannt, gibt
es eine inzwischen universale Kennzahl, die über den Wert und Wirkung von
Museen - vermeintlich - Auskunft gibt. Die Anzahl der Besuche(r).
Jüngst las ich, daß eine
englische Tageszeitung eine Bezahlung der MitarbeiterInnen nach der Zahl der Klicks ihrer Artikel einführen will.
Noch ist es am Museum nicht so weit, aber die Bindung von „Erfolg“ und „Wert“
der Institution ist schon lange eng mit der Besucherstatistik gekoppelt. Damit
einher hat sich eine Art neoliberaler Wettlauf entwickelt – in Österreich
zwischen den großen Kunstmuseen -, um mediale Aufmerksamkeit innerhalb der
Konkurrenz der vielfältigen (hoch)kulturellen Angebote.
Was aber noch nachhaltiger
zu wirken begonnen hat ist die Gleichsetzung dieser Zahlen mit der Vorstellung
allgemeiner Zugänglichkeit und Akzeptanz des Museums. Die bei einzelnen Museen
in die Hunderttausende gehenden statistischen Zahlen (der Louvre als einsamer
Spitzenreiter übertraf die 10-Millionen-Marke) legen nahe, daß Museen universal
zugängliche Bildungsinstitutionen sind – und daher demokratisch.
Diese irreführende
Gleichsetzung ist alt. 1919 formulierte der Direktor der Hamburger Kunsthalle,
Gustav Pauli, den Satz, daß das Museum zu den "demokratischesten aller Bildungsinstitute“ gehört, das "jedermann ohne Legitimationsprüfung
den Vorteil seiner stummen Belehrung gewährt.“
Das verrät nicht nur eine
paternalistische pädagogische Haltung, Pauli legt uns nahe, das Museum als im
sozialen Sinn völlig barrierefrei wahrzunehmen.
Spätestens seit den
80er-Jahren weiß man, dass das ganz und gar nicht stimmt. Etwa 50% einer
Bevölkerung sind keine Museumsbesucher. Sie haben nicht die materiellen
Voraussetzungen und verfügen nicht über die nötige Vorbildung.
Das Museum ist ein Ort der sozialen Distinktion
Und weil das Museum
dennoch allgemeine Geltung seiner Werte vertritt, ist es auch ein Ort der
kulturellen Hegemonie.
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Ich möchte nun meine drei
Fragen noch einmal durchgehen, und überlegen, wie denn das Museum zu einem Ort
der sozialen Demokratie, ein aktiver Moderator von Demokratie überhaupt werden
kann.
Es liegt auf der Hand, dass
sich die Organisation selbst verändern müsste, sowohl nach innen. als auch was
ihre Einbettung in politisch-administrative Prozesse betrifft. Es muss in der
Organisation veränderte Entscheidungsprozesse und Arbeitsabläufe geben; keinem
Museum sollte erlaubt werden, von Partizipation sprechen dürfen, wenn es nicht
Partizipation im weitesten Sinn in der Organisation selbst zulässt.
Und ohne kultur- und
museumspolitischen Rahmen kann es kaum so etwas wie eine Vermittlung zwischen
gesellschaftlichen Interessen und Bedürfnissen und institutionellem Handeln
geben.
Man wird drittens nach
Wegen suchen müssen, das Museum zur Gesellschaft hin durchlässiger zu machen,
über Partizipation hinaus Teilhabe zu ermöglichen, in der in die Regeln der
Institution eingegriffen werden darf. Denn Partizipation heißt, wenn sie mehr
sein soll als ein von der Institution veranstaltetes und kontrolliertes
Mitmachen, zuzulassen, dass sie die Institution selbst verändert.
Betriebe man das
konsequent, dann hieße das, daß Museen Macht abgeben und Kontrolle mindestens
lockern müssen. Dazu würden Museen bereit sein?
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Nun zur Frage nach der Öffentlichkeit des Museums. Diese
Frage ist eine nach den Grundlagen unseres Verständnisses von Museen. Um mich verständlich
zu machen, schiebe ich einen kurzen Exkurs zur Entstehung jenes Modells Museum
ein, das wir immer noch gebrauchen. Es wird sich zeigen, wie verarmt das heute
gebräuchliche Reden von der Öffentlichkeit des Museums geworden. Und ich möchte
eine Grundlage gewinnen dafür, wie eine öffentliches Museum neu gedacht werden
könnte.
Die Entstehung des Museums
der Moderne hat ein präzises Datum. Am 10. August 1793 findet in Paris ein
Fest, ein Umzug statt, ein Gründungsakt der Nation. Es wird am selben Tag eine
neue Verfassung deklariert, die erste republikanische Frankreichs. Und am
selben Tag wird das Museum im Louvre eröffnet.
Das Museum steht im
Zentrum der Formierung einer Nation. Das Museum ist ein Ort eines
zivilisierenden Rituals. Seine Rolle ist die, der Gemeinschaft zu ermöglichen,
sich um das kulturelle Erbe zu scharen. Um Dinge, die ihre Funktion, ihren Sitz
im Leben verloren haben, die aus der Warenzirkulation als unveräußerlich
herausgehalten werden und darum so etwas wie einen heiligen Schatz bilden.
Dieses Erbe, die musealen
Sammlungen repräsentieren die res publica,
das Ding, das etymologisch als Thing
in ein- und demselben Wort sowohl auf Sache und Sammlung als auch auf
Versammlung (das Sich-Versammeln im Museumsraum) verweist. Es ist jene, im
Grunde unidentifizierbare gemeinsame Sache, um derentwillen sich Gemeinschaften
bilden, und die im Museum repräsentierbar scheint.
Das Museum (der
Französischen Revolution) wirkt dabei auch kompensierend. Es kompensiert den
Verlust von die Gemeinschaft zentrierenden, zusammenhaltenden transzendentalen
Prinzipien und deren irdische Repräsentation, in Frankreich den des Königs und
seiner zwei Körper, des göttlichen und des irdischen. Der wird angeklagt und
wenige Monate nach der Museumseröffnung hingerichtet. Das Wegbrechen einer
transzendentalen Identifikation hat die Suche nach neuen, nun innerweltlichen
Formen der Identifikation zur Folge. Eine Antwort ist das Museum.
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Das Museum ist ab nun ein
zivilisierendes Ritual. Aber es ist ab nun auch ein Ort der Vermittlung von Sach-
und Orientierungswissen, von Geschichtserfahrung an – im Idealfall – für alle
Staatsbürger.
Als
Ort der Zivilisierung ist es einer, an der sich Bürger zu Staatsbürgern bilden,
indem sie sich um ihre gemeinsamen und insofern öffentlichen Angelegenheiten
kümmern. Die Öffentlichkeit der Institution Museum enthält also ein Versprechen
von Gleichheit und Freiheit wie von Verantwortung aller Bürger für das
Gemeinwohl.
Das Museum ist also beides
zugleich: der Ort an dem Zivilisierung dargestellt und an der sie hergestellt
wird.
Damit das geleistet werden
kann, bedarf es einer bestimmten Struktur des Museums, eine, die in aus vier
Merkmalen besteht.
Garantiertes
Recht auf Bildung und der materiellen Voraussetzungen dazu
Allgemeine
Zugänglichkeit
Gemeinschaftlicher
Besitz der Kulturgüter
Und
gemeinschaftliche Finanzierung, das heißt, aus Steuermitteln
Das
ist die Grundlage des Verständnisses vom Museum als einer Instanz, die das
gesellschaftliche Ziel, den Auftrag des Wohlfahrtstaates, das maximale Glück
einer maximalen Zahl zu erreichen, verwirklicht.
Für unsere Frage nach dem
Museum der sozialen Demokratie ist die rechtliche Regelung interessant, auf die
am Beginn der Museumsentwicklung, diese Struktur ruht. In der Verfassung von 1793
heißt es im Artikel 22: „Der Unterricht ist für alle ein Bedürfnis. Die
Gesellschaft soll mit aller Macht die Fortschritte der öffentlichen Aufklärung
fördern und den Unterricht allen Bürgern zugänglich machen.“
Im
unmittelbar vorangehenden Artikel 21 findet sich das: „Die öffentliche
Unterstützung ist eine heilige Schuld. Die Gesellschaft schuldet ihren
unglücklichen Mitbürgern den Unterhalt, indem sie ihnen entweder Arbeit
verschafft oder denen, die außerstande sind, zu arbeiten, die Mittel für ihr Dasein
sichert.“
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Dieses Museumsmodell ist ein Ort liberaler, bürgerlicher
Öffentlichkeit. Diese Öffentlichkeit hatte das Aushandeln von Konflikten unter
Gleichen und damit die Harmonisierung von Konflikten zum Ziel. Tendenz zur
Harmonisierung ist aber auch eine Eigenschaft des Museums. Seine Erzählweisen
und Darstellungsmethoden neigten lange Zeit dazu, uns Unschuldskomödien vorzuspielen,
alles in eine Geschichte der fortschreitenden Zivilisierung zu verwandeln unter
Aussparung der traumatisierenden und gewaltförmigen Aspekte.
Dieses Modell scheint erschöpft. Und das Museum hat sich auch
gewandelt, die Triumpherzählungen werden seltener, die Einbeziehung von Schuld
und Trauma selbstverständlicher. Und inzwischen fordern immer mehr Gruppen
ihren Einschluß in die musealen Erzählungen und das macht Museen diverser. Die
aktuelle Debatte um den Umgang mit kolonialem Erbe zeigt indes, wie schwer die
Umstellung fällt, welcher Widerstand sichtbar wird.
Museen müssen fähig gemacht werden, Konflikte
anzusprechen und auszutragen, Interessen, Ideologien, Machtverhältnisse
offenzulegen. Vermittlungs- und Diskursformen müssen geeignet sein, dem
Rechnung zu tragen. Eine sehr schwierige Anforderung angesichts der wachsenden
Polarisierungen und der Zerfallserscheinungen bürgerlicher Öffentlichkeit unter
dem vieldiskutierten Druck der sogenannten sozialen Medien.
Zuallererst muss sich aber das Museum selbstreflexiv
seiner Mechanismen des Erzählens und Bedeutens vergewissern – und seiner
problematischen Sublimierungsleistung. Ein grundlegender Wandel müsste sich
auch auf organisatorischer Ebene vollziehen, die Arbeitsaufgaben und
Rollenverständnisse würden sich drastisch ändern, KuratorInnen wären dann nicht
im Wortsinn „Sorgenträger“ ums Objekt, sondern Moderatoren politischer
Auseinandersetzungen.
Es
ist ja nicht so, dass die Museen bislang nicht schon Grundfragen unserer
Zivilisation repräsentiert hätten, die wachsender Naturbeherrschung und
Naturzerstörung, die Naturbeherrschung am Menschen, die Eroberung und Vernichtung
fremder und vergangener Kulturen, die Gewaltförmigkeit in der
Geschlechterbeziehung und anderes mehr.
Aber
das Museum kann angesichts der Klima- und Coronakrise, der Bedrohung der
Demokratie, der wachsenden Ungleichheiten, der grassierenden Zukunftslosigkeit
der Politik nicht an der bloßen Ästhetisierung und Sublimierung der Probleme
und Konflikte festhalten. Es kann sich auch nicht als neutraler Beobachter
verstehen, der selbst aus den Konflikten ausgenommen ist. Gerade die
Coronakrise zeigt ja, daß das Museum nicht einfach nur sammlungspolitisch
reagieren kann wie ein Sammler, der Indizien zusammenträgt. Denn es ist ja
selbst vielfach betroffen, finanziell, hinsichtlich seiner Besucher und
hinsichtlich seiner Legitimation angesichts der Zweifel an seiner
„Systemrelevanz“.
Das Museum muß sich als politischer Akteur verstehen, der sich den
genannten und von mir nur fragmentarisch aufgezählten Problemen annimmt. Sonst
verfehlt es seine Aufgabe, nervöses
Auffangsorgan (Aby Warburg) zu sein. Als solches muss das Museum Ort agonaler, also
konfliktfähiger, streitbarer Öffentlichkeit sein.
Agonistische Öffentlichkeit (Chantal Mouffe) deklariert
die Interessen, benennt die Probleme, macht sie kenntlich und lässt sie
aufeinandertreffen. Agonale Öffentlichkeit ist vielfältig und vielgestaltig.
Konflikte zu bearbeiten geht nur im Medium des Konflikts selbst, weil nur so
Differenzen, Standpunkte und Interessen sichtbar gemacht und bearbeitet werden
können. Das Museum wäre dann ein Ort der streitbaren und pluralen Gegenöffentlichkeiten,
wo herkömmliche Werte und Normen infrage gestellt und auch angegriffen werden
könnten. Das Museum müsste sich vom affirmativen hegemonialen zum Raum der
Unruhe und des Dissens wandeln. Um dieser Vorstellung etwas die Schwere der
sozialpolitischen Bürde zu nehmen, die man dem Museum auflastet, greife ich
zwei Worte auf, die kürzlich die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz gebaucht
hat: Kritikübungsräume. Solidaritätsversicherungsversuche.
Der Zweck demokratischer Institutionen“ besteht,
schreibt der australische Aktivist Simon Sheik „nicht in der Herstellung eines rationalen Konsenses in der
Öffentlichkeit, sondern in der Entschärfung des Potenzials für
Feindseligkeiten, das in menschlichen Gesellschaften existiert, indem die
Transformation von Antagonismus in 'Agonismus' ermöglicht wird."
Erst wenn Museen sich selbstreflexiv zu verhalten
lernen, wenn sie sich gegenüber der Öffentlichkeit öffnen, wenn sie sich
reorganisieren kann das Museum zu dem Ort werden, als der er von Anfang an
gedacht war: einer der Selbstauslegung, einer der Aufklärung der Gesellschaft
über sich.
(*) Im Beitrag von Sabine Kritter, Imaginationskrise der
Arbeit und die Kulturalisierung der Gegenwart im Museum, fand dieser Befund
insofern eine Ergänzung und Vertiefung als dort von einer Kulturalisierung der
Darstellung der Arbeit gesprochen wurde, die aber im gegenwärtigen Ausstellen
kaum noch vorkomme. Es gibt eine Krise des Vorstellungsvermögens von Arbeit,
viele Tätigkeiten würden entweder gar nicht als Arbeit angesehen oder es sei
zweifelhaft, ob es sich um Arbeit handle.
März 2021