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Dienstag, 1. Juni 2021

Verwildertes Denken (Texte im Museum 989)

 

Und noch einmal die Steiermark-Schau, und noch einmal jemer Teil, der "was war" heißt und im Geschichtsmuseum gezeigt wird. Wenn "Natur" oder "Wildnis" begrifflich-sprachliche Werkzeuge sind, die nur dem Menschen zur Verfügung stehen, dann wie etwas ohne Menschen Natur genannt werden kann, die Wildnis "ist". Könnte von Karl Valentin sein. (Foto GF)

Identitätshumor. Steinzeitsteiermark (Texte im Museum 988)

 


Demnächst wird meine Sammlung von Museumstexten eintausend Beispiele umfassen. Und noch immer gibt es, zur Freude des Sammlers, überraschende, aufschlussreiche, komische oder merkwürdige Funde. 

Hier ein besonderes Exemplar projektiver Zeitvorstellung: Es soll etwas lange gedauert haben, was es aber zur Zeit dieser Dauer gar nicht gab. Es soll Identität im Rückgriff durch etwas hergestellt werden, was in keiner Weise mit dem zu tun hat, womit es identisch sein soll. Die Steiermark gab es zur Steinzeit nun mal nicht. Unfreiwillig komisch wird der Text, weil er das Projektive dadurch überbietet, daß eine Vergangenheit, die nicht Teil der Landesgeschichte ist, als ihren Teil ausgibt und noch dazu ihren "längsten", 60.000 Jahre. So besehen wären die Steirer "immer schon" Steinzeitmenschen, oder?

In der derzeit an vier Orten laufenden "Steiermark-Schau" geht es um Identität. Für Identität ist ihre zeitliche Tiefe wichtig, aber auch die Vorstellung eines Ursprungs, einer Herkunft. In der unmöglichen Operation "Steinzeitsteiermark" wird so ein Ursprung hergestellt. Aber nicht nur durch das Ineinanderblenden von Zeiten, die inkompatibel sind. Sondern noch durch eine zweite Information: die zur Sesshaftigkeit". Das ist nun eine Art Trigger für die Gegenwart. Sesshaftigkeit steht im Gegensatz zu nomadischer Lebensweise und erscheint hier als die spätere Stufe der Evolution. Also als Überwindung des Nomadischen. Die Steirer mögen in Höhlen gelebt haben, aber sie waren sesshaft. Und: sie waren schon da (in ihren Höhlen), während andere noch durch die Gegend zogen.

Vor Jahren habe ich in einem anderen Museum einen ähnlichen Text gefunden. Da hieß es, im Krahuletz-Museum im Niederösterreichischen Eggenburg: "Vor 5000 Jahren wurde der Nomade bei uns sesshaft".

Sesshaft, das sind "wir". Nomadisch, das sind die Anderen. Die Flüchtlinge, die Asylsuchenden, die Migranten. Dieser Topos ist heute ungleich brisanter als zu der Zeit, als der (inzwischen verschwundene) Text in Eggenberg geschrieben wurde. Es ist ein aktuelles Identitätsangebot, das eine Unterscheidung trifft, die eine Wertung ist. Wir/Andere. Mit "uns", mit unserer Sesshaftigkeit setzen wir einen Anfang: von Kultur, Gesellschaftlichkeit, Staatlichkeit.

Möglich, daß diese doppelte Fehlleistung den Kuratorinnen der Grazer Ausstellung nur "passiert" ist, also sich unbewußt eingeschlichen hat, wie eine Fehlleistung. (Seltsam, daß da niemand Einhalt geboten hat - mindestens einem Lektor muß aufgefallen sein, daß das ein buchstäblich unmöglicher Satz ist). Symptomatisch ist der Text allemal. 

 

Sonntag, 15. März 2020

Die Hinrichtung des Peter Rosegger in einem Nebenzimmer des Grazmuseums am 31. Juli des Jahres Zweitausendundreizehn

Die Pause im Schreiben über Museen, die einzuhalten sinnvoll erscheint angesichts der umfassenden Krise in der die der Museen eingebettet ist (als Kollateralschaden ungewisser Bedeutung), hat mich alte, liegengeiassene Texte wiederentdeckten lassen. Einer ist ein Kommentar zu einer Ausstellungseröffnung im Graz Museum zu einer Peter-Rosegger-Ausstellung die 2013 (sic!) stattgefunden hat. "Im Krug zum grünen Kranz" hiess die. Und im Untertitel "Peter Rosegger in Graz". Warum ich den Text seinerzeit liegen liess, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Ich habe mich beim Lesen (und geringfügigen Korrigieren) ganz gut unterhalten. Möge es den LeserInnen ebenso ergehen!

Ich hatte schon so eine Vorahnung, und war aus Erfahrung so klug zu wissen, daß das Grazmuseum bei Ausstellungseröffnungen zu Exzessen neigt. Ich eroberte eine noch freie Stufe des zu den oberen Stockwerken führenden Treppenhauses, eingeklemmt zwischen erwartungsfrohen Gästen. Und es kam, wie es kommen musste, etwa eine dreiviertel Stunde wurde verbraucht bis die Tür zur Einzimmer-Ausstellung endlich geöffnet wurde wie zu einem festlich weihnachtlichen Geheimnis.
Zuvor hatte der Direktor des Hauses hierarchisch die sogenannten Honoratioren begrüßt, auch solche, die nur stellvertrtetend für abwesende und entschuldigte gekommen waren und wenn ich mich nicht irre, gab es auch zwar abwesende, aber im Kommen begriffene Gäste und sogar eine im Kommen begriffene Stellvertreterin einer abwesenden Stellvertreterin eines eigentlich und ursprünglich geladenen Gastes.

Marcel Broodthaers wusste, als er in seiner Wohnung (s)ein "Museum" eröffnete, was die unverzichtbaren Ingredienzen eines Museums sind: eine gedruckte Einladung, ein Direktor, eine Vernissage und ein Schriftzug MUSEUM. Eine Vernissage - hier wird der fraglosen gesellschaftlichen Übereinkunft Tribut gezollt, auf der hegemoniale Politik und Kultur beruhen. Alle können und müssen das Gefühl haben, einbezogen und gewürdigt zu werden im Dienste einer übergeordneten Pflicht: Kultur zu haben. Es geht vermutlich in Graz um jenes Restbürgertum, das schon so viel angerichtet hat und das Wilfried Nagl zum Bürgermeister gemacht hat.
Auch fürs Museum Direkt ist unter einem pragmatischen Gesichtspunkt das Ritual der Vernissage unersetzbar. Die politischen Funktionäre sind Geldgeber und Zustimmer - oder auch nicht.

Ob die angekündigte Stellvertreterin der Stellvertreterin je angekommen ist, entging mir, da ich während der Reden eine Weile durch ein verschiedenfarbiges Schuhwerk einer Dame abgelenkt war, die genau in meinem Blickfeld stand und dann erst recht durch den inhaltlichen Teil der Rede des Herrn Direktors. Der redete Klartext über den Herrn Rosegger und warf Worte wie scharfe Dartpfeile: Antisemit, Deutschnationaler, Antiaufklärer, Rassist, Männerbündler. 

Nun muß man ja sagen, daß das Grazmuseum immer wieder mal Themen aufgreift, die sich zwischen dem soften Grazalltag wie Schmirgelpapier anfühlen. Das ist zwar auch soft und kratzt an niemandem wirklich, aber es ist ohne wenn und aber verdienstvoll, oft ganz zeitnah an Vorgängen in der Stadt und auch nahe an Gruppen und Bewegungen, die einen Ort haben, sich so zu artikulieren. So etwas machen ganz wenige Museen. Und auch eine solche klare Sprache hört man selten, wie die Ausführungen zu Rosegger.

Indes, Rosegger?! - Wer kennt den noch, wer liest den noch, selbst in der Steiermark? Ist der nicht so tot, wie nur jemand tot sein kann? Auch wenn er vielleicht noch in Volksschulen auf dem Lande zwangsgelesen wird und eine kulturbeflissene Redaktion der - na sagen wir - einzigen in der Steiermark relevanten Tageszeitung glaubt, uns noch etwas Heldenweihrauch unter die Nase fächeln zu sollen.

Und wann hat man je ein Jubiläum an einem 170. Geburtstag begangen? Schon richtig, die numerische Zufälligkeit gilt auch für 75 oder 200, aber woher diese Not, ihn jetzt, grade jetzt, auszugraben, um ihn gleich wieder zu bestatten? Und dann kapriziert man sich auch noch drauf, die Ausstellungseröffnung exakt auf den Tag des Geburtstages zu legen, einen 31. Juli, beim vollem Risiko, von einem ferial oder badesaisonal abwesenden Publikum bestraft zu werden.

Off records konnte man Zustimmung zur Vermutung hören, daß Peter Rosegger tatsächlich nur noch eine bessere wächserne Mumie in der Asservatenkammer einiger Politiker und Funktionäre mit Treue zum Ewiggestrigen ist (davon gibts bekanntlich in Graz eine stattliche Fraktion).

Kann ein Museum mit offenem Visier tatsächlich gegen eine kleine, aber einflußreiche Fraktion der Stadtpolitik und des Stadtbürgertums antreten und dann mit den Mitteln einer Ausstellung, die sowohl ihren Gegenstand als die Auseinandersetzung um eine Person historisiert? Denn das findet dann ja dann doch nicht statt, das Analysieren jener über Generationen angestrengte Arbeit am 'Erbe', an seinem 'Lebendighalten', eine Kritik an einer Politik der Restauration all der Werte und Unwerte, die Rosegger (im Verein mit einer veritablen Männerrunde) hegte und pflegte. 

Auch kritische Musealisierung kann zweischneidig oder vielleicht vollend stumpf sein, oder?
Darüber entscheidet dann nicht nur die beachtliche ideologische Klarheit, die überzeugend vertetene eigene Position, sondern die Methodik, in diesem Fall, das Wie und Was der Ausstellung.
Die ist aber einigermaßen überraschend - jedenfalls für mich war sie daß. Als eine Art Intervention, als ein Raum inmitten der jungen Dauerausstellung, ist hier buchstäblich wenig Platz, und in Ermangelung herkömmlicher Objekte gibt es vor allem Text(e), originalen Rosegger zum Lesen, Sehen und Hören. Der Text ist aber wissenschaftlichen Text im Jargon einer Universitätssprache die jene "Politik des Widerspruchs" mit der sie den Humbug, den Rosegger verzapfte, als immanent widersprüchliches Nebeneinander von Haltungen verharmlost und als "Politik der Entschuldung" akademisch relativiert - im Geist jenes tief österreichischen Sowohl-als-auch-oder-und-nicht, das vor Jahrzehnten Robert Menasse so brillant analysiert hat. Und welcher Teufel reitet eine Kuratorin, anzunehmen, daß Museumsbesucher an Oberseminartexten interessiert sind, bzw. deren Hermetik locker aus der Hüfte heraus knacken können?

Schon bei ihrem Vortrag (wie gesagt, es mussten ja 45 Minuten zustandekommen für die Eröffnung) bediente sich die maßgebliche Rosegger-Professorin uns von ihrer steilen Fachlichkeit zu überzeugen. Ein älterer Herr neben mir, der dieselbe Treppenstufe teilte, stöhne und murmelte und ächzte besorgniserregend und hielt trotz alledem mit letzter Kraft ein Tonaufzeichnungsgerät in Richtung der akademischen Schallwelle. Mein Mangel an Kenntnis der steirischen Dialekte hinderte mich daran zu verstehen, ob der Sitznachbar nun eine gekränkter Roseggerianer, ein eben zum Intellektuellenhasser mutierender Landbewohner oder beides war. Fan der Vortragenden war er keiner.

Also liebes Grazmuseum! Alles geht, aber das eigentlich nicht mehr. Akademischen Text im Umfang von 8, 10 oder 12 DIN-A-4-Seiten an die Wand affichieren, auch wenn die Hintergrundfarbe noch so akkurat ausgesucht wurde und die die passende Schriftgröße traumwandlerisch getroffen wurde, das ist zu viel des Schlechten.

Und dann, allerspätestens dann, wenn jemand eine zweispaltige Literaturangabe an die Wand pinnt, eine Novität für mich, dann wäre eigentlich die Alarmstufe dunkelrot erreicht. Oder soll ich an dieser Stelle angekommen, meinen Tintenbleistift mit den Lippen benetzen und in mein aufgeklapptes Moleskinebüchlein fein säuberlich alles abschreiben, um am folgenden Tag gehorsam in die Landesbibliothek eilen, um mich dort in die einschlägige Sekundärliteratur zu vertiefen? Wer denkt sich so etwas aus?

P.S.: Es war nicht die erste und es war nicht die letzte Roseggerausstellung in Graz und wir werden uns in vermutlich rascher Folge weiterer Roseggerausstellungen erfreuen können.






Dienstag, 5. November 2019

Jö wie lieb!

Ein Maulwurf im Foyer des Joanneum? Nur per Nachfrage, konnte man in Erfahrung bringen, daß der für eine Ausstellung wirbt. Jö wie lieb!