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Mittwoch, 29. September 2010

Wer spricht? (Museumsphysiognomien 9)

Einer sitzt, einer steht. Einer ist bekleidet, einer nur halb. Einer spricht, einer nicht. Einer rudert, einer läßt sich rudern. Einer hat eine weiße Hautfarbe, der andere eine schwarze.
Der Fotograf und Sammler Gert Chesi spricht über Religiosität und Kultur der Afrikaner - in einem Video in dem von ihm gegründeten Museum "Haus der Völker" in Schwaz (Tirol).
Foto: Gottfried Fliedl, April 2004

Montag, 13. September 2010

Anschauung / Geschichtserfahrung / Heimat

Für den Schulunterricht bestimmtes Relief Kärntens. Handwerksmuseum Baldramsdorf
In Leutkirch gibt es ein normales Heimatmuseum mit ein bißchen Stadtgeschichte, Zunftgeschichte, Handwerksgeschichte, einigen Uhren und Webstühlen, Spinnrädern und Bauernschränken, die die Räume füllen und die einem fremden Besucher aus Tübingen nicht unbedingt die Augen öffnen. Im Vorraum steht ein Landschaftsmodell, wohl aus Gips gefertigt, das so tut, als sei die naturräumliche Gliederung im Zeitalter der Raketen und des Kunstdüngers noch immer von wesentlichem Belang. Dieses Modell zeigt Leutkirch wahrend der Eiszeit. Das vom Staub schon etwas grau gewordene Packeis liegt auf der oberschwäbischen Kleinstadt wie ein meterdicker Panzer, der sichtbar jedes Leben erfriert. Die alte Dame, die das Museum betreut, nutzte jedoch dann die Möglichkeit, durch einen einfachen Mechanismus das ganze Eis auf einen Schlag - bildlich gesprochen - abzutauen, und nur noch zwei winzige Ösen erinnerten nach diesem schöpfungsähnlichen Eingriff an die einstige Kälte; das Gipseis verschwand unter dem Modell, oben grünten die Weiden und fand die Argen ihr geschwungenes Bett, so einladend, daß die Vorfahren der Leutkircher natürlich hier und an keinem anderen Ort ihre Zelte - oder was immer sie hatten - aufschlagen mußten.
Auf der Glasplatte der Vitrine liegt ein Artikel zum Geoplasten P. Oberlercher
 Seitdem ist für mich diese Handlung identisch mit longue duree, ich habe das zwar bei Fernand Braudel auch verstanden, aber daß eine historische Theorie ein Bild finden kann, das als Metapher für große historische Prozesse und insgeheim sogar für metaphysische Eingriffe steht, das verdanke ich dieser Frau .
Es ist also eine Anekdote, die mich lehrte, daß natürlich mein historisches Wissen sehr viel mehr Anekdotisches als Plötzgenaues enthält und daß es neben der historischen Theorie einen zweiten Strang gibt, der die Daten untergründig zusammenhält und der, obwohl er keinen Anspruch auf wissenschaftliche Rationalität erheben darf, für mich nicht weniger Halt gibt als der öffentlich abgesicherte, den ich in Büchern lerne und in den Seminaren lehre: es ist die Fähigkeit der Sinne und Gefühle, solche Dinge festzuhalten und miteinander zu verbinden, die nach den Regeln der Kausalität nicht immer zusammen gehören, sondern sich eher wie Fontanes Stechlin durch tiefe dunkle Röhrensysteme miteinander austauschen.

Text von Utz Jeggle: Subjektive Heimat - objektive Musealität. Zum Verhältnis von subjektiver Erlebnisfähigkeit und objektiven Ereignissen, Heimat im Museum, Koblenz 1984, S.11ff.  

Donnerstag, 5. August 2010

Das Museum als Krankenhaus

Antony Gomley läßt einhundert gusseiserne Abgüsse seines Körpers in der alpinen Region Vorarlbergs aufstellen. Alle in gleicher Meereshöhe, etwas über der Baumgrenze. Kürzlich ist dieses Projekt horizon field gestartet worden.
In hörenswerten und sympathischen Erklärungen fügt Gomley der langen Kette von Museums-Metaphern eine neue hinzu:


"Eine der traurigen Aspekte unserer kulturellen Erfahrung ist für mich, dass wir von der Kunst erwarten, dass sie in Museen lebt. Es ist eine Art Abhängigkeit, wie bei einem Körper im Krankenhaus."



Das Gespräch zum Beispiel hier. (Samt Wanderkarte für Freunde der hochalpinen Begegnung mit den eisernen Gomleys)

Donnerstag, 29. Juli 2010

Lazarisation (Museumsphysiognomien 8)


Der Zug der Tiere im Pariser Muséum d' Histoire naturelle gehört zu den einprägsamsten 'Bildern', die die jüngere Museumsgestaltung zu bieten hat. Es gab zwei wesentliche Inszenierungsformen der Fauna in Naturmuseen: die Aufstellung nach Spezies und Arten, der wissenschaftlichen Klassifikation folgend. Ein Beispiel sind bestimmte weitgehend original erhaltene Säle des Naturhistorischen Museums in Wien. Und eine ambientale Aufstellung, bei der die natürliche Umgebung der jeweiligen Tierarten simuliert wurde. Das konnte im kleinen Maßstab einer angedeuteten Szene ebenso geschehen wie in enorm aufwendigen und kunstfertigen Dioramen, für die die im New Yorker Naturmuseum das berühmteste Beispiel sind.
In Paris ging man einen dritten Weg (nicht zufällig war ein Filmregisseur Autor der Installation) und gruppierte die sorgfältig präparierten Tiere als Zug, der sich im großen Bogen durch die riesige, zentrale Halle des Museums bewegt. Alles was tapsen, schleichen, trampeln, kriechen, staksen kann, bewegt sich in eine Richtung. Die großen Tiere vorne (wie immer), die Elefanten.
Das Bild ist paradox, weil sie den toten Tieren Lebendigkeit zurückgibt, Bewegung, Aufbruch. Sie stehen uns nicht gegenüber als vitrinifizierte Exempla, sondern als vergesellschaftete Individuen, die gemeinsam eine Aufgabe haben.
Eine Aufgabe? Ja - jeder (jeder?) erkennt, daß es sich um das 'Bild', die 'Metapher' der Arche Noah handelt. Also um jene Tiere, die, zusammen mit dem Menschen, das Überleben der Gattung wie der Welt sicherten. In gewisser Weise beansprucht ja auch das Museum, so etwas zu sein. Ein Hort der Dinge, deren 'Überleben' gesichert wird, auf lange, unbestimmte (?) Dauer. Mit dem Museum der Moderne kommt dann - mit dem Begriff der 'Geschichte' und dem der 'Gattung Mensch' -, tatsächlich die Denkfigur dazu, daß alles Einzelne, Individuelle im Gattungszusammenhang gleichsam aufgehoben ist und bleibt, und sei es 'nur' als Erinnerung. Es mag untergehen, verschwinden, sterben, geopfert werden - immer bleibt es in das Ganze der Gattung eingeschrieben.
Das Bild der Arche Noah wird auf das Sammeln seit dem 16. Jahrhundert und später auf das Museum angewendet. Die Tradescants verstanden ihr Haus und ihre Tätigkeit ganz im Sinn des rettenden Tradierens und des Weitergebens, ganz praktisch, wenn es um exotische Pflanzen ging, die man in England erfolgreich ansiedelte und vermehrte.
Im modernen Museum fungiert das Bild der Arche, und so ist es wohl in Paris in erster Linie gemeint, als Metapher für das Museum als Ort der dauerhaften Bewahrung bis in die Zukunft hinein. Indes besitzt diese Vorstellung eine prekäre Ambivalenz. Denn generell kommen 'die Dinge' nur ins Museum, um den Preis ihres Funktions- und meistens auch des Bedeutungsverlustes (um dort mit anderen, neuen Bedeutungen ausgestattet zu werden). In diesem Sinn ist das Museum nicht nur Arche sondern Mausoleum, eine Grabstätte der toten Dinge, bzw. der Dinge, deren Tod die Bedingung für ihre 'Museumswürdigkeit' ist.
Nur wenige Schritte vom Muséum d' Histoire naturelle kann man einen alten und authentisch erhaltenen Teil des Museums besichtigen, die Galerie de paléontologie et d’anatomie comparée (hier, in diesem Blog), deren Versammlung der Skelette einem diese Tatsache unverblümt, vielleicht auch erschreckend zu Bewußtsein bringt. Auch das ist ein Zug, aber nun unzweideutig einer der toten oder gar der ausgestorbenen Lebewesen und sie bilden einen Leichenzug. Man kann den aber auch anders lesen, nämlich so, wie man eigentlich den neuen im Haupthaus lesen soll, nämlich als Galerie d' Evolution. Denn an der Spitze des Zuges befindet sich der Mensch, als, wie man so sagt, Krone der Schöpfung, mit dem Rücken zu den Totenwesen, die ihm folgen…
Das will uns das neue Bild im Haupthaus nicht zumuten. Wie in einem Wiedererweckunsakt, einer durch Wunder bewirkten lazarisation, kommen sie hier noch mal auf die Beine, all die Tiere, auch wenn sie überwiegend aus Plastik, Gips, Draht, Stoff bestehen und kaum noch aus - einst lebendiger - organischer Materie.
Ein wenig ist das auch eine Legitimation der Institution: wir bewahren - und deswegen sind wir auch ein 'lebendes Museum'. Eine schöne museologische Notlüge (weitverbreitet).
Nur. Wohin ziehen all diese Tiere? Nun, aus dem Museum raus.
Nur dort scheint es 'Überleben', wenn nicht 'Erlsösung' zu geben…

Donnerstag, 1. Juli 2010

Sieh! (Museumsphysiognomien 7)



Ein trüber Tag am Bodensee, eine rotige Eisenplatte mit rechteckigem Ausschnitt, ein Text. Schau! Sieh! Aber was? Die Platte ist ein Wahrnehmungspaasepartout, wohin sie den Blick lenkt, ob sie überhaupt einen bestimmten Punkt anvisiert, ist unklar. Es geht wohl eher um den Bodensee. Er ist das Gemeinsame der Identität. Wessen? Der Bodenseeländer. Hm.
Sehenswürdigkeit entsteht mit dem Massentourismus. Das bahnbrechende englische Reiseunternehmen Thomas Cook erfand die Standardisierung der Reise, ihrer Ziele, der aufgesuchten Orte, der Monumente, der Wege und der Zeit. Was würdig ist, angesehen zu werden, besichtigt zu werden, unterliegt nicht mehr individueller Neigung, Zufall, Ratschlägen, sondern einer vorgängigen Festlegung, die die Notwendigeit der Würdigung und den Wert der Sache schon stillschweigend voraussetzt.
Das kann auch in ebenso standardisierten Bildern, den Drei Zinnen, dem Niagarfall, dem schiefen Turm von Pisa, reproduziert, erwartbar und wiederholbar gemacht werden.
Auch der Blick auf den Bodensee ist vorgestanzt, in Eisen. Aber da es nicht wirklich etwas Erkennbares zu sehen gibt, die Wasserfläche, ein Stück Uferlinie, geht es hier um Performanz. Der Bodensee stiftet Identität. Das sollst Du 'sehen', eine Behauptung, anonym und autoritär, aber es ist Dein Blick.
Es geht hier zu wie im Museum: was Du siehst ist a) wahr b) beständig c) wert, gesehen zu werden. Soviel steht fest. Darüber musst Du nicht mehr nachdenken. So etwas nennt man auch: Musealisierung.
Der (die) Autor(en) des Textes sind sich der Überzeugungskraft seiner Performativität nicht sicher gewesen; wie wäre anders das unsinnige "gemeinsame" vor die "Identität" geraten. Also obacht, vor allen, die das Wort Identität als Beschwörungsformel in den Mund nehmen!

Mittwoch, 30. Juni 2010

Private View (Museumsphysiognomien 6)


Das ist eine Eintrittskarte für eine Sammlung. Sie wurde nicht verwendet, das Datum, das auf dem Vordruck mit der Hand hätte eingetragen werden sollen fehlt. Bis auf die Jahreszahl: 1774. Gleichzeitig ist sie eine Art Hausordnung mit einer Reihe von Regeln: Gültigkeitsdauer, Besuchszeit, und Besucheranzahl. Vier Personen, das galt für einen Tag.
Eine ebenfalls erhaltene detailliertere Anweisung ist in diesem Punkt penibler. Erschienen mehr als vier Personen, wurde die ganze Gruppe abgewiesen. Das konnte auch geschehen, wenn eine Gruppe nicht vollzählig erschien und sich die abwesende Person nicht rechtzeitig entschuldigen hatte lassen. Man mußte sich schriftlich voranmelden. Man konnte die Sammlung nur zur angegebenen Zeit und nur von Mai bis Oktober besuchen. An der restriktiven Regelung scheint sich lange Zeit nichts geändert zu haben. Ein grafisch aufwendig gestaltetes Ticket von 1842 gestattet Mr. Thomas and 5 friends einen Private View.
Horace Walpole ist der Urheber dieser Regeln, vierter Earl of Oxford, Schriftsteller, Autor eines einflussreichen Werkes über Modern Gardening und Bauherr eine gotischen Schlosses, das er aus einem Anwesen namens Strawberry Hill entwickeln ließ (zwischen 1749 und 1776) und das auch Aufbewahrungs- und Ausstellungsort einer - teils von seinem Vater geerbten Sammlung und Bibliothek - wurde. Unter den genannten Bedingungen durfte man seine Sammlung besichtigen.
Solche Regulierungen für die Besichtigung gibt es seit es private Sammlungen gibt. Ihr Eigentümer konnte nach Gutdünken Regeln aufstellen, bestimmte Gruppen ausschließen - wie Walpole zum Beispiel Kinder -, oder überhaupt niemanden zulassen. Man kann annehmen, daß allein durch das Procedere im Verein mit dem Status des Eigentümers viele Menschen gar nie auf die Idee kamen, je Besucher des Landsitzes zu werden. Sozialer Ausschluß muß nicht immer explizit geregelt werden, er wirkt subtil, versteckt hinter unscheinbaren Anweisungen wie z.B. zur erwünschten Kleidung.
Private View, wie es auf der Eintrittskarte von 1842 heißt, bedeutete daß privates Besitztum willkürlichen Regelungen unterworfen werden kann. Das gilt bis heute. Es kann kommerziell genutzt werden - Eintrittsgelder gibt es seit dem 16. Jahrhundert -, im kleinen Kreis von Kennern, Liebhabern oder Experten oder für breite öffentliche Bildung, Belehrung oder Unterhaltung. Das liegt allein am Besitzer und niemand kann ein Recht beanspruchen, gegen seinen Willen, Zutritt zu erhalten.
Der Unterschied von privat und öffentlich liegt also nicht in Zugänglichkeit im Sinne der Zahl der Besucher. In der Sammlungsgeschichtsschreibung oder Museologie generell wird mit dem Begriff 'öffentlich' häufig unglaublich unbedacht umgegangen. Wo sich Besuch nachweisen läßt, ist man schnell mit dem Wort öffentlich zur Hand. In diesem Sinn würden viele Historiker oder Museologen Horace Walpoles Haus und Sammlung als öffentlich bezeichnen - nur weil sie, wie wir gesehen haben, lange Zeit zwar nur maximal vier Personen pro Tag zugänglich war, aber eben zugänglich.
Aber das 'staatliche' British Museum der Gründungsjahrzehnte pflegte eine, immer wieder beklagte und kritisierte ähnlich restriktive Publikums-Politik. Nur Gruppen bis zu einer bestimmten Größe waren zugelassen, gegen Anmeldung und Bezahlung. Worin liegt der Unterschied? Er liegt in der Qualität und Funktion von Öffentlichkeit, die sich im Zeitalter der Aufklärung und mit den Museumsgründungen der Französischen Revolution grundlegend wandelte. (Siehe dazu den Post 'Museum und Guillotine'). Ab da war der Museumsbesuch als Anspruch auf Bildung für jedermann ein egalitäres Recht und die Ansprüche und Anmutungen des Museums als kultureller Einrichtung allgemein gültig und nicht nur für eine mehr oder minder idiosynkratisch definierte Gruppe.
Die Praxis des Private View verschwand deswegen nicht, viele Privatsammlungen sind nie zu sehen oder nur mit engen Eingrenzungen - man kann zum Beispiel an das Schaulager in Basel denken. Aber im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entsteht etwas vollkommen Neues, die Idee des Museums als gesellschaftlicher Institution und Praxis die - dem Anspruch nach - ausnahmslos jedem nützlich (gemeinnützig nennen das die ICOM-Statuten) und dienlich sein soll.

Freitag, 18. Juni 2010

Spaziergänger (Museumsphysiognomien 5)



Dieses traute Paar spaziert durch ein Diorama des American Museum of Natural History in New York. Die beschützende Geste des Mannes kann kaum allenfalls bedrohlichen Tieren gelten, die damals natürlich 'wild' waren, denn die im Hintergrund friedlich mit Nahrungsaufnahme beschäftigten Rebhühner (?) bilden ja keine drohende Gefahr. Auch das vulkanische Geschehen im Hintergrund ist kein Grund einen kleinen Morgenspaziergang zu unternehemn, ohne Bekleidung, ohne Waffen, ohne Proviant. Aber vielleicht sind die beiden ja zum Brunch in die Nachbarwüste unterwegs oder in ihre Behausung zu längst überfälligen Höhlenmalerarbeiten.
Die 'Spur', aus der die Rekonstruktion sich legitimiert, ist die Spur, die die beiden im Sand hinterlassen. Sie hat Jahrtausende überdauert und aus der unterschiedlichen Beschaffenheit der Fußabdrücke wurde auf ein heterosexuelles (?) Paar geschlossen. Papa und Mama auch, Ureletern, Ahnen. Denn die anthropologische Suche nach dem Ursprung der Menschheit (dem ersten Wesen, das man Memsch nennen darf) ist eine Bedingung für die Beantwortung der Frage "Wer bin ich" / "Wer sind wir"?
Nun, so sagt uns das Diorama, ein Paar wie Du und ich, zweisam, monogam, liebevoll, unerschrocken, etwas mehr behaart und etwas mehr nackt als heute, aber was solls. Das ist eben der zivilisatorische Fortschritt. Aber Männer aren schon immer Gentleman.
Was man sehen könnte: daß es im Museum weniger um Wissenschaft geht (dann verböte sich so eine zu 98% spekulative 'Rekonstruktion', die als authentisch auftritt), sondern um die Verbildlichung von Phantasmen, Begehren - nach dem 'Sehen', dem Beiwohnen des 'Ursprungs', nach einer anthropologischen Versicherung unserer modernen Verhaltensweisen - 'Paarbildung'.
Ist das Bild 'falsch'? Wird 'gelogen'? 'getäuscht'? - Man könnte so sagen, wenn es wie ein Symptom und nicht wie eine authentische Spur gelesen wird: nein. Aber das ist nicht leicht, solange das Museum sich selbst nicht klar wird, wovon es 'eigentlich' spricht.
In einem Spielfilm von Alain Tanner beschließt ein Landwirt seine Kinder selbst zu unterrichten, im Glashaus, wo er ihnen auch diese Frage stellt "weiß das Wasser, daß es kocht?".
Wir fragen: "Weiß das Museum, was es zu sehen gibt?".

Donnerstag, 6. Mai 2010

Ein Museumsraum (Museumsphysiognomien 4)


Ein Raum in einem Kunstmuseum. Genauer gesagt, nur ein Ausschnitt eines Raumes. - Ein seltsames Bild. Warum wurde es aufgenommen? Zu dokumentarischen Zwecken? Die streng symmetrische, fast pedantische Komposition könnte auch auf eine künstlerische Absicht deuten.
Was zeigt das Foto? Zunächst einmal einen schon etwas angejahrten Raum, mit verfärbten oder gar schmutzigen Tapeten und einer Vorrichtung zur Befestigung von Bildern - sichtbare Leiste, sichtbare Drähte -, wie sie aus der Mode gekommen sind. Aufweniger Parkettboden mit breiten Sesselleisten. Die Bilder sorgfältig arrangiert, wie man das in einer Kunstgalerie erwartet, also Balance von groß und klein, Abwechslung, an einer gedachten Horizontalen (Augenhöhe?) ausgerichtet.
Auf diesen Raum scheint noch immer jene Beschreibung zu passen, mit der Goethe in "Dichtung und Wahrheit" die Dresdner Gemäldegalerie charakterisierte: "Dieser in sich selbst wiederkehrende Saal, in welchem Pracht und Reinlichkeit bei der größten Stille herrschten, die blendenden Rahmen, alle der Zeit noch näher, in der sie verguldet wurden...". Die Pracht ist schon etwas schäbig, aber still, geradezu leblos ist der Raum. Wir sehen ja keinen Betrachter.
Was könnte "Reinlichkeit" zu Goethes Zeit bedeutet haben? Warum erschien sie ihm so bemerkenswert, daß er noch einmal darauf zu sprechen kommt? "...der gebohnte Fußboden, die mehr von Schauenden betretenen als von Arbeitenden benutzten Räume...". Aha, darum könnte es gehen: Kunstgenuß als etwas, das jemandem möglich ist, der nicht arbeitet, oder Kunstgenuß als Nicht-Arbeit. Und Räume, die nicht an Arbeit erinnern, an Spuren dessen, was Draußen ist, des Gesellschftlichen? Räume, die "ein Gefühl von Feierlichkeit" vermitteln, "einzig in seiner Art, das um so mehr der Empfindung ähnelte, womit man ein Gotteshaus betritt, als der Schmuck so manches Tempels, der Gegenstand so mancher Anbetung hier abermals, nur zu heiligen Kunstzwecken aufgestellt erschien...". Hier kommt also auch die Genealogie des Museums als Tempel und (Tempel)schatz ins Spiel.
Auf unserem Bild vermittelt sich das wohl kaum noch. Eher Wohnzimmer, als Tempel. Das Museum, die bürgerliche Idee der musealen Kunstbeflissenheit, scheint selbst museal, schal geworden zu sein, ein wenig abgenutzt, ein wenig angestaubt, ein wenig langweilg.
Und der Stuhl? Im Zentrum des Bildes. Es ist ein stilistisch auffallender Stuhl, er könnte auch schon als Museumsobjekt durchgehen, doch kein Schild, keine Kordel hindert uns daran, Platz zu nehmen.
Würden wir das tun? Ermüdet ja. Aber sonst wohl kaum. Wir würden in eine reichlich ungünstige Position geraten, eher dem Raum und seinen - hoffentlich doch anwesenden - Besuchern zugewandt, weniger den Bildern. Die Gemälde in unserer Nachbarschaft könnten wir überhaupt nicht sehen.
Also ist das auch kein Rastplatz für Besucher.
Hier wird wohl ein Aufseher oder eine Aufseherin Platz nehmen, wenn sie ihren Rundgang unterbrechen. Denn hier ist die ideale Beobachter-, nein: Überwachungsposition. Hier hat man alle und alles im Raum im Blick. Es gibt Museumskonzepte des 19. Jahrhunderts, wo sich Kustoden ihr Büro am Ende einer Raumflucht aus dem Grund wünschten, um jederzeit den Besucher im Auge zu haben.
Es geht nicht nur um eine Ordnung der Dinge, sondern auch um ein geordnetes Ritual, (das Besucher ohnehin internalisiert haben). Trotzdem, man kann nie wissen. Keine bürgerliche Gesellschaft, auch nicht im Museum, ohne Polizei.

Freitag, 30. April 2010

Die Idee des Museums (Museumsphysiognomien 3)

Wir alle glauben zu wissen, was ein Museum ist. Wie in diesem Gemälde von Hubert Robert (1733-1808) ist es ein Raum, eine Architektur, in der Leute zusammenkommen, um etwas zu sehen, hier sind es Kunstwerke zu. Was wir sehen, ist eine Menschenmenge, Männer, Frauen, Kinder, wir sagen, ein Publikum, aus offenbar sehr unterschiedlichen Personen zusammengesetzt, in die Betrachtung von Kunstwerken, in Gespräche vertieft, aber auch - man darf annehmen es sind Künstler - kopierend vor einzelnen Gemälden.
Was das Gemälde zeigt, scheint genau das zu sein, was wir von einem Museum erwarten: eine Sphäre des sozial unbegrenzten Zuganges. Jedermann scheint hier die Erlaubnis zum Zutritt zu haben und jedermann scheint der Gebrauch von Kunst oder Kultur gestattet zu sein, in diesem Haus und Raum mit dem Namen ‘Museum’.
Was die im Gemälde dargestellte Menge vom Publikum aller früheren (und seltenen) Darstellungen von Sammlungsräumen unterscheidet, ist das Selbstbewußtsein und die Autonomie, mit der die Besucher auftreten und sich verhalten.
Die Selbstverständlichkeit, mit der sich Menschen im Museumsraum bewegen – hier ist es die Grande Galerie des Louvre -, hat mit einem signifikanten Bruch zu tun, mit dem Sammlungen in einem bestimmbaren geschichtlichen Zeitraum Allgemein-(Staats-)Besitz werden und das Recht auf kulturelle Betätigung und Bildung als Menschenrecht und von der Verfassung jedermann garantiert werden. Bis dahin befanden sich Sammlungen (mit wenigen Ausnahmen) in privatem Besitz und alle Regelungen ihrer Nutzung und Zugänglichkeit unterlagen willkürlichen Entscheidungen des Besitzers. Sie konnten ebenso großzügig wie restriktiv sein. Jetzt ist der Zugang zu den ‚Bildungsgütern’, also auch zum Museum ein Recht.
Das Gemälde ist eines von vielen, das Hubert Robert von der Grande Galerie gemalt hat. Es zeigt nicht dokumentarisch den tatsächlichen Zustand, sondern einen erwünschten und zukünftigen. Der Louvre wurde 1793 als öffentliches Museum eröffnet. In diesem Jahr wurde der Künstler adeliger Auftraggeber verhaftet und entging nur knapp der Guillotinierung. Wenig später finden wir ihn, der auch sein Atelier im Louvre hatte, in der Kommission, der die Betreuung des Museums vom Nationalkonvent anvertraut war.
Robert fordert hier die Utopie eines Museums ein, die Mitte 1793 bereits Realität geworden, aber noch unvollkommen realisiert worden war.
In Wirklichkeit war die Grande Galerie ein ziemlich düsterer 'Tunnel', noch nicht von oben beleuchtet. Aber in allen Gemälden Roberts, in denen er diesen zentralen Raum des Museums dargestellt hat - als Baustelle, als Entwurf, als Ruine, als prachtvolle und reich ausgestattete Galerie -, immer ist der Raum mit einem Publikum bevölkert, wie man es von anderen Sammlungsdarstellungen nicht kannte. Ab jetzt garantierte der Staat den Bestand des Museums und die allgemeine und freie Benutzung.
Allgemeiner Besitz des kulturellen Erbes, Grundrecht auf Bildung und Zugang als allgemeines Recht sind aber nicht der Zweck des Museums, sondern seine Bedingungen. Nur wo diese strukturellen Voraussetzungen vorhanden sind, kann das Museum seine sozialisierende und zivilisierende Rolle erfüllen. Erst dann wird das Museum zum diskursiven und sozialen Raum, in dem die Phantasmen von ‚Wir’, ‚Ganzheit’, ‚Endlichkeit’, ‚Herkunft und Zukunft’, ‚Freiheit’ oder ‚Andersheit’ und viele andere mehr zirkulieren können. So ist dieses Museum auch ein nationales u n d universales Museum.

Montag, 5. April 2010

Die Einladung (Museumsphysiognomien 02)




Eine einladende Geste. "Treten Sie ein!". Der Vorhang wird extra für uns zurückgeschlagen. Eine Geste, wie von einem Theater- , nicht Museumsdirektor, der uns auf eine Bühne bittet…
Da möchte man sich nicht lange bitten lassen. Wir sind auch nicht allein, nicht die ersten. In dem unscheinbar ausgestatteten Raum haben sich schon Menschen eingefunden. Sie bemerken uns nicht, sind schon in die Betrachtung der präparierten Tiere vertieft. Bürgerliches Publikum, sorgfältig gekleidet. Es ist doch ein besonderer Anlass. Ein Museumsbesuch.

Der freundliche Herr am Eingang, das ist der Direktor, Willson Peale. Das Gemälde hat er gemalt. Ein Selbstporträt, ein Museumsporträt. Eines der schönsten Museumsbilder überhaupt. Als er es gemalt hat, 1822, ist er über 80 Jahre alt und er hat ein bewegtes Leben hinter sich. Er gehört zu der Generation, die die Unabhängigkeit der Kolonien gegenüber Großbritannien betrieben hat und die für die Vereinigten Staaten als Soldaten gekämpft haben. Peale war schon damals Maler, ausgebildet auch in England, woher die Eltern kamen. Er ist schon auf dem amerikanischen Kontinent geboren. Als Maler-Soldat porträtierte er Heroen des Unabhängigkeitskrieges, schließlich die 'Väter der Nation', Thomas Jefferson, George Washington.

Nach dem Krieg, in einer Zeit der wirtschaftlichen Depression, kann er nicht bloß als Maler leben. Beim Anfertigen von Illustrationen von Fossilien einer privaten Sammlung entdeckt er seine Neugier für lange ausgestorbene Tiere und - das Museum. Er gräbt mit seiner Familie ein Mastodon aus und fügt die Knochen zu einem Skelett des Tieres zusammen. Das wird ein Glanzstück seines Museums. Heute gilt diese Rekonstruktion als die älteste bekannte überhaupt. Er bringt sich das Präparieren von Tieren bei, er hält naturkundliche Vorlesungen, er sammelt, er lässt sich Dinge schenken. Das alles wird Grundlage eines Museums, das pädagogisch ist, aber auch Schaustellung, die Geld zum Leben bringen soll. Vom Mastodon wird ein zweites Skelett gefertigt, das mit einem Sohn durch Europa tourt.

Die im Vordergrund des Gemäldes platzierten Attribute weisen ihn in seiner vielfältigen Begabtheit aus: die Malutensilien, der Knochen, das Werkzeug des Präparators. Der Maler, der Naturforscher, der Präparator. Er ist aber auch Botaniker, Erfinder von falschen Zähnen, eines Gerätes zum Kopieren von Dokumenten, eines tragbaren Dampfbades, einer Windmühle, verschiedener mechanischer Geräte für die Landarbeit, und einerArt von Fahr- oder Laufrad. Und er ist Mitglied der American Philosophical Society, deren Sammlung er betreut.

Peale gründet (1786) und betreibt sein Museumin Philadelphia privat. Nach und nach wächst es sich zu einem öffentlichen Museum aus. Durch seine Situierung - zweiteilig sind Teile des Museums in der Independence Hall - rückt es ins politische Zentrum, trägt zwar seinen Namen, aber ist zu dieser Zeit nahezu ein nationales Institut. Das Mastodon ist nicht nur ein überraschend entdecktes, bis dahin unbekanntes Tier. Es ist ein 'politisches Objekt'. Es erlaubt nicht nur der jungen Nation, sich in eine lange (Natur)Geschichte einzuschreiben, es ist auch ein Indiz in einem zwischen Europa und den neuen Staaten umkämpften historisch-kulturellen Feld. Buffon, der große Französische Naturforscher, hat eine Theorie zur degenerativen Fauna Amerikas, die auf eine generell biologische Unterlegenheit gegenüber Europa schließen lässt. Die steile These lässt sich jetzt bestreiten. Thomas Jefferson selbst beteiligt sich als Paläontologe (ein Teil der Sammlung kommt in Peales Museum) an der Debatte, legt eine einschlägige Sammlung an und liefert in Publikationen Argumente. Das von Peale und seinen Söhnen ausgegrabene 'montierte' Mastodon ist eine Sensation, ein must see in der damals größten Stadt der unabhängigen Staaten, Philadelphia.

Peales Museum ist aber nicht nur als 'erstes Museum der USA' interessant und attraktiv war es nicht nur als Ausstellung Peales eigener Gemälde, seiner wunderlichen Sammlung, seiner Naturpräparate, durch sein Mastodon - das wir hinter dem 'gelüfteten Vorhang' erkennen. Peale sorgte höchstpersönlich für etwas, was wir heute wohl als Szenografie bezeichnen würden. Augenzeugen berichten von auf wirklichem Wasser schwimmenden lebende Tieren. Peale baute und erfand Geräte - eine Art Orgel -, mit denen er Musik erzeugte und ein anderes Gerät, mit dem er bewegte Bilder projizieren konnte! Und, er fügt sich selbst in das Ganze als Wachsfigur ein, einer offenbar so überzeugend gelungenen Doppelgängerexistenz, daß sie Besucher, die davon erstaunt berichten, erschrecken, als sie Peale - reglos - in seinem Büro vorfinden.

Von dieser 'Multimedialität' des Museums gibt uns das Gemälde keine Vorstellung. Im Gegenteil. Der Raum wirkt sehr nüchtern, ungemein wohlgeordnet, aufgeräumt und übersichtlich. Es fehlt ihm auch jedes Dekorum, das europäische Museen - wenn auch noch so bescheiden - auszeichnet und das Museum zum profanen Heiligtum macht. Der Museumsraum (einer von mehreren, den das Museum besaß), strahlt eher jenes "rational amusement" aus, das ein Schlüsselwort von Peales Museumsverständnis war. Und dies steht im Dienste gesellschaftlicher Zwecke: „Natural History has to promote National and Individual happiness“ . Trotz des privaten Staus des Museums, begegnen wir hier - praktisch zeitgleich mit den Museen der Französischen Revolution -, der neuen Idee des öffentlichen und zivilisatorischen Museums.
Diesen zivilisierenden Effekt des Museums erläutert Peale in seiner Theorie des Sammelns, Peale’s discourse introductory to a course of lectures (1800),  an einem überraschenden Beispiel: Eines Tages hätten ihn die Häuptlinge untereinander bitter verfeindeter Indianerstämme besucht und unter dem Eindruck ihres Museumsbesuches die Beilegung ihrer Streitigkeiten beschlossen.

In einem wunderbaren Essay zu einigen Gemälden Peales wird gemutmaßt, daß das 'Museums-Selbstporträt' ihn nicht nur, wie man so sagt, 'nach dem Leben' wiedergibt, sondern wie eine 'Kippfigur' gelesen werden kann. So wie der Pfau im Bildvordergrund vom Betrachter nicht eindeutig als lebendes Tier oder Präparat identifiziert werden kann (es gab ja beides im Museum), könnte der freundliche Herr auch - als Wachsfigur verstanden werden.
Peale war für derlei Allegorik nicht nur nicht blind, er staffierte sie in vielen Bildern beredt aus: auf seinem Familienporträt sind die Verstorbenen Mitglieder wie in antiker Tradition als Büsten auf den Möbeln präsent und das große Gemälde, das, mit der Schilderung vieler technischer Einzelheiten, die Bergung des Mastodons wiedergibt, spielt unübersehbar auf die Arche Noah an. 'Arche' ist in einer bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgbaren Tradition eine Metapher für die bewahrende Funktion von Sammlungen.
Die Bergung des riesigen Tieres, das man damals für ein Mammut hielt, durch Peale und seine Familie ist aber mehr als nur ein der der Arche vergleichbarer Rettungsakt. Da es ein bis dahin unbekanntes Tier ist, kann sein Fund und seine Rekonstruktion - zu einer Zeit, in der man sich der Möglichkeit des Aussterbend von Tieren noch nicht so bewusst war -, als Wiederbelebung verstanden werden. Peales Sohn Rembrandt (sic!) schreibt: The bones exist, -  the animals do not, und bringt ein sehr ambivalentes strukturelles Element des Museums auf den Punkt. Es sind zwar 'Überlebsel' - das Wort 'survival' wird Jahrzehnte später in der frühen amerikanischen Ethnologie zum Schlüsselbegriff werden -, die das Museum bewahrt. Doch es sind und bleiben immer und unhintergehbar 'tote Dinge', die das Museum aufbewahrt - und die dennoch eine symbolisches Überdauern in dieser merkwürdigen neuen Institution 'Museum' ermöglichen.
Peales Idee, sich als Wachsfigur zu verdoppeln, hat in der antiken Tradition ihre Herkunft, den vergänglichen biologischen Leib durch einen nicht vergänglichen sozialen Leib zu ersetzen. (Der Philosoph Jeremy Bentham wird - zu etwa derselben Zeit - diese Idee radikalisieren: er bestimmte, seinen bekleideten Leib wie eine Puppe in einer Vitrine sitzend in der von ihm mitbegründeten London University auszustellen. dort sitz er noch immer. Ein bizarrer Akt der (Selbst)Musealisierung.

Peales Einschreibung in die Unsterblichkeit der Dingwelt gelang, im Porträt überlebte er. Die Institution indes, die überlebte nicht. Und das obwohl Peale eine große Familie hatte und seine Söhne seine Talente und Leidenschaften tradierten.
Vielleicht ist das Verschwinden des Museums auch seiner labilen privaten und damit finanziellen Trägerschaft geschuldet. Ohne staatliche Unterstützung war es der wachsenden Konkurrenz anderer großer Institutionen nicht gewachsen, die die Idee des Museums mit der der diversen populären Schaustellungstechniken vermischten. So wurde ein Teil der Sammlung an Barnum verkauft.

Die drei Momente, die Peales Museum ausmachten, privates Engagement im öffentlichen Interesse, pädagogisches Sendungsbewußtsein - das Museum als "School of Wisdom" (Peale) -, und Integration der der europäischen, akademischen Museologie so verdächtigen Schaustellungskünste, werden ab da das US-Amerikanische Museumswesen bis heute auszeichnen und vom europäischen - mit allen Vor- und Nachteilen - unterscheiden.

Charles Willson Peale: The Artist in His Museum, 1822. Oil on canvas 103 3/4 x 79 7/8. The Museum of American Art of the Pennsylvania Academy of the Fine Arts, Philadelphia.

Mittwoch, 17. März 2010

Die Erläuterung (Museumsphysiognomien 01)

Eine unscheinbare Zeichnung eines Magnus Pederson überliefert uns eine auf den ersten Blick bescheidene Museumsszene aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein Herr in Frack und Zylinder zeigt und erläutert einer Familie ein Museumsobjekt. Im Hintergrund beugen sich zwei Besucher über eine Vitrine.
Dieses Genre der Sammlungsdarstellung hat eine lange Tradition. Schon in allerersten Sammlungsdarstellungen des 16. Jahrhunderts, ist das Zeigen und Erläutern Bestandteil der Darstellung. Der Sammler oder ein, oft wissenschaftlich gebildeter oder sonstwie berechtigter „Stellvertreter", sind lange Zeit die einzigen Vermittler zwischen der Sammlung, den Gegenstände und den  Besuchern.
Diese Zeichnung dokumentiert einen, sich in der Darstellung nur subtil niederschlagenden, aber fundamentalen Wandel. Die Kleidung weist den Erläuterer nicht als fürstliche Person oder als einen in seinem privaten Refugium intim eingeschlossenen Sammler aus, der seine Idiosynkrasien auslebt, sondern als eine zur Vermittlung ermächtigte, gleichsam museumsoffiziöse Person in einem offenbar öffentlichen Museum.
In diesem Fall ist es Christian Jürgen Thomsen persönlich, der erste Kurator des Nationalmuseums in Kopenhagen. Und die Besucher, die z. T. unbegleitet und offenbar auch unbeaufsichtigt die Sammlung betrachten dürfen - eine Neuerung des bürgerlichen Museums, das entsprechende Sicherheits- und Betreuungsfragen nach sich zieht -, sind nicht Personen „von Stand", nicht Wissenschafter unter Wissenschaftern, sondern staunende Laien. Ungewöhnlich ist auch das Kind. Es ist die erste Darstellung, die mir bekannt ist, in der ein Kind Adressat einer Erläuterung im Museum ist - Museumspädagogik avant la lettre.
Wie hier das Publikum dargestellt ist, wie es sich ungezwungen den Dingen, teils eigenständig, teils instruiert zuwendet, das verweist auf einen tiefgreifenden Wandel. Seit dem 16. Jahrhundert war der Besuch von Sammlungen eine mehr oder minder (manchmal gar nicht gewährte) restriktiv gehandhabte freiwillige Geste ihres privaten Besitzers. Jetzt ist es ein allgemeines Recht. Das (staatliche) Museum ist öffentlich geworden.
Insofern ist die Illustration von 1845 mehr als nur Dokument einer lokalen oder zufälligen Konstellation - sie visualisiert etwas von der Funktion dessen, was man nun als Museum bezeichnet: eine Bildungsinstitution, die sich idealiter an jedermann, unabhängig von Geschlecht, Alter, Beruf oder Vermögen wendet, um ihm, auf der Grundlage wissenschaftlicher Bearbeitung und musealer Bewahrung und Schaustellung, Wissen zu vermitteln.
Wahrscheinlich wissen die neugierig zuhörenden Besucher nicht, wem sie gegenüberstehen. Christian Jürgensen Thomsen, der Herr mit dem Zylinder, ist nicht nur Leiter des Museums. Er gilt er als erster Altertumswissenschaftler, der eine wissenschaftlich begründete relative Chronologie aufgestellt hat. Er unterschied in seinem 1836 erschienenen „Leitfaden zur nordischen Alterthumskunde" zwischen steinernen, bronzenen und eisernen Artefakten und hat damit eine zwar inzwischen differenzierte, aber immer noch gültige Periodisierung der Frühgeschichte geschaffen. Somit tritt uns hier das Museum nicht nur als öffentliche, für den Umgang mit den Benutzern verantwortliche Bildungsinstitution entgegen, sondern als ein Ort der Forschung, wo das Sammeln eine Grundlage wissenschaftlicher Entdeckung und Innovation ist.

Donnerstag, 21. Januar 2010

Kunstkommentar. Texte im Museum (08)

Hans Hollein

MAGINÄRES MUSEUM (documenta 1987)
(1987/6/10)

Die Installation ist ein Kommentar zur Rezeption von Kunstwerken in unseren Museen durch ein Publikum, dem der Vollzug der Konfrontation mit einem möglichst berühmten Objekt im Vordergrund seines Interesses und Verlangens steht. Mehr Zeit wird für die befriedigende Kenntnisnahme des Identifikationstäfelchens aufgewendet als für die Betrachtung des Kunstobjektes selbst. Man hat das Erlebnis "abgehakt" und kann zum nächsten Täfelchen fortschreiten. Konsequenterweise wird daher das mühsame Herantreten und Bücken ausgeschaltet. Die Namen und Titel sind perzeptionsgerecht versammelt. Sollte penetrierendes Interesse vorhanden sein, so befindet sich links unten ein kleines Identifikationsbild, das Gebäude darstellend.