Posts mit dem Label Hegemonie werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Hegemonie werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Freitag, 1. März 2024
Samstag, 12. Oktober 2019
Mittwoch, 24. Oktober 2018
Das Haus der Geschichte Österreich als politisches Instrument des Parlaments und Symptom der Dritten Republik
In zwei Beiträgen, die ich im Rahmen von Tagungen zum Haus der Geschichte Österreich zur Diskussion gestellt habe (Vortrag vor der Österreichischen Forschungsgemeinschaft und in der Akademie der Wissenschaften), war ich äußerst skeptisch gegenüber der engen Verzahnung von Politik und Projekt. Die ungewöhnliche Politisierung veranlasste mich schon seinerzeit, das Haus der Geschichte abzulehnen.
Jetzt kommts aber heftig.
Wie die APA heute berichtet, soll nun das Haus der Geschichte Österreich als Republikmuseum dem Parlament angegliedert werden. Denn "Wenn man Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht möglich", stellte Nationalratspräsident Sobotka "im Einklang mit Minister Blümel fest". Und im Einklang mit der Leiterin Monika Sommer, die sich "wirklich sehr freut" über eine derart "richtungweisende Pressekonferenz".
In welche Richtung wird da gewiesen und wer weist?
In eine sehr österreichische, was zunächst einmal die Organisation anbelangt, denn Minister Blümel verspricht Eigenständigkeit in einem Atemzug mit dem Versprechen, das Museum "ans Parlament anzubinden." Oder so: Wissenschaftlich sei das Museum unabhängig. Sehr schön. Aber warum nur wissenschaftlich? Keiner der Wissenschafter werde parteipolitisch bestellt. Na eh nicht. Das ist ja schon passiert.
"Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute so eine richtungsweisende Pressekonferenz abhalten dürfen", sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer. "Ich freue mich über dieses klare politische Commitment." - derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden
Jetzt kommts aber heftig.
Wie die APA heute berichtet, soll nun das Haus der Geschichte Österreich als Republikmuseum dem Parlament angegliedert werden. Denn "Wenn man Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht möglich", stellte Nationalratspräsident Sobotka "im Einklang mit Minister Blümel fest". Und im Einklang mit der Leiterin Monika Sommer, die sich "wirklich sehr freut" über eine derart "richtungweisende Pressekonferenz".
In welche Richtung wird da gewiesen und wer weist?
In eine sehr österreichische, was zunächst einmal die Organisation anbelangt, denn Minister Blümel verspricht Eigenständigkeit in einem Atemzug mit dem Versprechen, das Museum "ans Parlament anzubinden." Oder so: Wissenschaftlich sei das Museum unabhängig. Sehr schön. Aber warum nur wissenschaftlich? Keiner der Wissenschafter werde parteipolitisch bestellt. Na eh nicht. Das ist ja schon passiert.
Dieser organisatorischen Unabhängigkeit korrespondiert die inhaltliche, die - ganz unabhängig - vom ÖVP-Politiker Sobotka formuliert wird. Als jenes identitätspolitische Konzept, das dem Historiker Botz so abgegangen ist. Jetzt endlich gibt es eins, von Herrn Sobotka: "Sobotka" so berichtet uns die APA, "denkt in
diesem Zusammenhang auch an Wanderausstellungen
in den Bundesländern, aber auch über die Staatsgrenzen hinaus. Mit
dieser Arbeit beabsichtige man vor allem, die Identität Österreichs in
allen Teilen zu stärken. (...) Sobotka
unterstrich die Notwendigkeit der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit
der Institution und wies unter anderem auf die unabhängige Tätigkeit
etwa des Nationalfonds hin,
der ebenfalls an das Parlament angebunden ist."
"Kein Historiker und
keine Historikerin wird von einer Partei bestellt", stellte er klar." Wie das die ÖVP versteht und praktiziert, und wie man dort mit willfährigen HistorikerInnen (aller Lager) parteiideologische Ausstellungen macht, kann man beim unsäglichen Museum in St. Pölten sehen. Aber weiter im O-Ton Sobotka: "Der
Nationalratspräsident rief in diesem Zusammenhang zu einem nationalen
Schulterschluss auf und kündigte an, alle politischen
Kräfte von Nationalrat und Bundesrat einzubinden. 'Die Verantwortung,
sich der Geschichte der Republik zu stellen, hat in einem großen
nationalen Bogen zu erfolgen'".
Also eine Art von nationaler Einheitsgeschichte?
Man könnte das alles auch großartig finden: Am zentralen Ort der Demokratie, asm Ort der Austragung von Debatten, Interessen und Konflikten, am Ort der repräsentativ den Willen des Volkes vertetenden und agierenden Gremiums, gibt es einen symmetrischen kulturellen Ort, ein Museum, das genealogisch und strukturell aus den Ideen von Demokratie und Aufklärung hervorgegangen ist und ihnen verpflichtet ist.
Da könnten wir uns ein bürgerschaftliches, partiztipatives Museum vorstellen, an dem der Demos selbst die Erzählung und Deutung seiner Geschichte selbst in die Hand nimmt. Ein Ort der permanenten Selbstauslegung, der immer wieder sich erneuernden Deutung der Vergangenheit und der Entwürfe wünschbarer und lebenswerter Zukünfte.
Stattdessen bekommen wir zwergenhaftes Denken und Handeln, kübelweise Oppurtpnismus und tonnenweise politische Ideologie.Denn das Parlament ist fest in den Händen der Parteien und die Machtverhältnisse zwischen Regierung und Parlament einerseits und Parlament und Wahlvolk nicht so ganz im Sinne der Verfassung.
Und die Direktorin, zwischen den zwei Rechtskonservativen freudig beim Pressekonferenz-Verkünden eingeklemmt, insistiert darauf, wie großartig und diskussionsfreudig das alles werden wird, etwas, was man nun seit Monaten gehört hat, was aber nie eingelöst wurde. Auf der Webseite wird nicht nur nicht diskutiert, es werden dort alle Debatten, die zum Projekt geführt wurden vollkommen ignoriert. Und die Diskussionskultur ist so exzellent, daß im Beirat hat zwei Mitglieder zum Austritt bewogen.
Dort wurde etwa darüber befunden, daß man den Begriff Austrofaschismus besser nicht verwenden sollte (wiewohl er von Historikern verwendet wird und seine Verwendung begründet wird, etwa bei Emmerich Talos). Stattdessen wurde am Begriff Kanzlerdiktatur herumgebastelt, der wurde aber auch wieder verworfen, weil er sich für Schüler (?) als mißverständlich erwiesen habe. Angeblich soll die Lösung nun in der Begriffswahl Dollfuss-Schuschnigg-Dikatur bestehen. Die versprochene Diskussionsfreudigkeit besteht also darin, Schüler zu befragen, ob sie etwas im Sinne der KuratorInnen verstanden haben, und dann, wenn das nicht der Fall ist, die Diskussion im planenden Gremium zu beenden, statt die Frage im Museum zur Diskussion zu stellen. Es ist ja nicht weniger als die bis heute umstrittenste Phase der österreichischen Zeitgeschichte, an deren Deutung in aller erster Linie die ÖVP als entlastende "Eindeutigung" ein Interesse hat.
Doch das sozialdemokratisch durchwirkte Planungsteam, das das Museum in sozialdemokratischem Auftrag gebastelt hatte, ist jetzt genau dort, wo sich die Herren Ostermeyer und Drozda das Projekt nie vorstellen konnten und sie selbst auch nicht: Im Kraftfeld der politischen Hegemonie einer weit rechts stehenden Regierung. Sie wollten es nicht wahrhaben, aber so schnell kann es gehen. Jetzt haben sie die Höchststrafe und dürfen sich verbiegen bis zum Anschlag, um das Projket - als Budgetposten, nicht mehr -, zu "retten".
Allerdings:So wird es, eine symptomatische Lesart vorausgesetzt, ein wirkliches Republik-III-Museum.
"Wenn man
Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht
möglich." -
derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden "Wenn man
Republiksgeschichte vermitteln will, ist das ohne das Parlament nicht
möglich." -
derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden "Ich freue mich
wirklich sehr, dass wir heute so eine richtungsweisende Pressekonferenz
abhalten dürfen", sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer. "Ich freue mich
über dieses klare politische Commitment." -
derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden"Ich freue mich
wirklich sehr, dass wir heute so eine richtungsweisende Pressekonferenz
abhalten dürfen", sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer. "Ich freue mich
über dieses klare politische Commitment." -
derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden"Ich freue mich wirklich sehr, dass wir heute so eine richtungsweisende Pressekonferenz abhalten dürfen", sagte HDGÖ-Direktorin Monika Sommer. "Ich freue mich über dieses klare politische Commitment." - derstandard.at/2000089997798/Haus-der-Geschichte-soll-Haus-der-Republik-werden
Donnerstag, 6. September 2018
Sollen sie oder nicht? (Sokratische Frage 33)
Kinder vor Ingres Odaliske |
Soll man mit Kindern ins Museum gehen, sie für das Museum interessieren, für die Sammlungen, Dinge, Ausstellungen... (man kann ja nicht früh genug beginnen, Kinder mit Kultur zu konfrontieren, sie einzuüben, ihnen das Vergnügen des Umgangs mit Kultur vermitteln...usw.)
Soll man Kinder von Museen abhalten (Museen vermitteln Erfahrungen, die Kinder nicht mitvollziehen können, nicht alles muß allen verständlich sein, Kulturvermittlung im Museum ist Einübung in hegemoniale Kultur...usw.)
Montag, 4. Juni 2018
Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen
Zwölf Möglichkeiten, das Museum mißzuverstehen
Erweiterte Fassung des in Neues Museum erschienen Textes
01 Das Museum ist für alle da
Nein, ist es nicht.
Ausgeschlossen sind alle, die auf Grund ihrer mangelnden Bildung und Ausbildung
und ihres sozialen Status nicht nur keinen Zugang zum Museum haben sondern auch
gar keinen suchen. Weil das, was sie in Museen vorfinden könnten, mit ihrer
Lebenswelt nichts oder viel zu wenig zu tun hat. Sie verbinden mit Museen keinerlei
Vorstellung eines Wertes oder Gewinns, in welcher Hinsicht auch immer. So um
50% einer Bevölkerung eines Landes sind keine Museumsbesucher und für einzelne
Städte gibt es Statistiken die bis zu 80% ihrer Bewohner als Museumsverweigerer
ausweisen. Es sind die Museen selbst, die die soziale Diskriminierung erzeugen - gestützt auf ein Schul- und
Bildungssystem, das soziale Unterscheidung früh wie etwas Naturgegebenes
festlegt.
02 Das Museum sollte für
alle da sein
Nur wenn Museen die
Tatsache verdrängen, daß sie sozial und bildungspolitisch diskriminieren,
ausschließen, können sie den Anspruch erheben für alle da und auch für alle verbindlich
zu sein. Wissen und Interessen einer Minderheit werden als allgemein gültig
ausgegeben. Deshalb sind Museen Produzenten kultureller Hegemonie. Sie tragen dazu
beitragen, daß partikulare Interessen als gesellschaftliche Allgemeininteressen
wahrgenommen und durchzusetzbar werden. Kulturelle Hegemonie sichert politische
Herrschaft, und das ohne Zwang. Die Forderung nach dem „Museum für alle“ ist daher
eine politisch unreflektiert der Ruf nach Vertiefung und Ausweitung
hegemonialer Praktiken.
03 Das Museum ist
demokratisch
Da es normalerweise keinen
formellen Ausschluß für bestimmte Gruppen von Menschen gibt, da es also im
Prinzip für jedermann zugänglich ist (so wie z.B. Verkehrsmittel,
Gesundheitseinrichtungen, Parkanlagen oder Sportveranstultengen), gilt das
Museum auch als demokratisch. Wir würden aber wohl kaum auf die Idee kommen,
die staatliche Eisenbahn oder das öffentliche Gesundheitswesen allein deswegen als
demokratisch bezeichnen, weil jedermann daraus Nutzen ziehen kann.
Das Museum wäre nur dann
demokratisch, wenn es tatsächlich alle sozialen Schichten einer Gesellschaft
ansprechen könnte und wollte und wenn es Verfahren der Teilhabe und der
Kommunikation anbieten würde, die das Adjektiv demokratisch verdienten. Das
wäre das anspruchsvolle Vorhaben eine egalitäre Beteiligung unter Achtung und
Anerkennung der Interessen einer großen Zahl von Menschen herzustellen. Das Museum
wäre dann eine Institution unter anderen, die eine vernünftige Teilhabe an „unseren“,
das heißt den öffentlichen Angelegenheiten ermöglichte. Und insofern wäre es ein Ort
des Politischen, wenn es dazu beitragen würde, „uns“ (die Staatsbürger“) so zu
aktiven, daß wir uns als um das Gemeinwohl bemühte und besorgte Staatbürgern weiterentwickeln
würden. In Zeiten gefährdeter Demokratie könnte das Museum eine wichtige
informative und diskursive Rolle spielen. Dabei ginge es auch um entsprechende
Inhalte, vor allem aber um Entwicklung unterschiedlicher Formen von
Öffentlichkeit.
04 Das Museum ist eine
wissenschaftliche Einrichtung
Museen gelten als
wissenschaftlich, weil sie sich auf fachwissenschaftliche Forschung stützen, im
Naturmuseum auf etwa Zoologie, Botanik, im Kunstmuseum Kunstgeschichte und
Archäologie usw. Das gilt aber nur für eine kleine Minderheit von Museen, die
entsprechendes Personal und einschlägige Ressourcen haben. Und es ist die
Frage, welchen Stellenwert Forschung für das Ausstellen oder das Sammeln hat,
ob sie Wissen generiert, das Besuchern vermittelt wird oder in die alltägliche
Arbeit des Museums eingeht.
Wissenschaftlich ist das
Museum gerade dort nicht, wo es um seine essentielle Aufgabe geht - um die
Vermittlung im weitesten Sinn. Denn das Medium Ausstellung, ein Hybrid aus
vielen Medien wie Text, Objekt, Bild, Fotografie, Computer, Film usw., entzieht
sich der Verwissenschaftlichung. Es ist eine von Fall zu Fall immer neu zu
erfindende Mischform aus ästhetischer, fachwissenschaftlicher, museologischer,
museumspraktischer oder auch sozialer Kompetenz. Last but not least: Das
museologische Reflexionswissen ist sogar so gut wie gar nicht in den Museen
angekommen.
05 Das Museum ist wichtig,
ja es ist mehr als das - es ist unverzichtbar
Museen haben einen sehr guten
Ruf, sie gelten als Leuchttürme der Kultiviertheit von Nationen und
Gesellschaften, sie werden durch exquisite und aufwändige Architekturen zu
Landmarks im urbanen Raum, sie sind wichtige touristische Destinationen und sie
können in der Konkurrenz von Ländern untereinander zu symbolischen Spielmarken
werden. Also sind sie wichtig. Sind sie das? Der US-Amerikanische Museumsleiter
und Museologe Stephen Weil hat eine Reihe wunderbarer, kurzer Texte verfasst,
mit denen wir unsere Urteile und Vorurteile übers Museum befragen und testen
können. Eine seiner Parabeln fasse ich in einer einzigen Frage zusammen:
Stellen Sie sich zwei Welten vor. Auf der einen gibt es Museen, auf der anderen
nicht. Worin wird der Unterschied liegen? Oder sie stellen sich die Frage
anders - in Form eines dystopischen Hollywood-Blockbusters: uns nicht
sonderlich wohlgesonnene extraterrestrische und von der Lektüre des
Hitchhiker’s Guide to the Galaxy gründlich verdorbene Wesen lassen über Nacht
die Museen verschwinden. Was passiert dann?
06 Die Daseinsberechtigung
des Museum liegt in seinen Dingen
Museen pflegen häufig ein
verdinglichtes und fetischisierendes Verhältnis zu den Dingen und auch dem
Besucher scheint es selbstverständlich, daß er Objekten begegnet, deren „Blick“
er sucht. Aber Musealien sind als Medien interessant, als Ver/Mittler, als
Trägerinnen von Bedeutungen, als Spuren, als Indizien, als Zeugnis, als
identitätsbedeutsame also „gegenständige“ Dinge. Kurzum, sie weisen immer über
sich hinaus, auf etwas, was nie restlos eingelöst, beantwortet werden kann und
was unser Begehren nach ihnen aufrecht hält.
Museen die bloß die
Materialität der Dinge und die Sorge um sie (das Depot, die Restaurierwerkstatt,
die Konservierung) und nicht ihre Medialität interessieren, drohen ihre
Adressaten aus dem Blick zu verlieren, die Besucher, das Publikum und damit
ihre Bildungsaufgabe.
07 Das Museum benötigt
Vermittler und Vermittlung
Seit es Sammlungen gibt,
gibt es Personen, die Erläuterungen geben, Informationen anbieten, mit
Besuchern über die Dinge und ihre Bedeutung sprechen. Das war zuerst der
Sammler selbst oder eine von ihm beauftragte Person - ein Gelehrter, ein
höfischer Bedienter, der Eigentümer einer Sammlung. Einen eigenen Namen „Vermittlung“
hatte das sehr lange Zeit nicht. Denn Vermittlung war integrierter Teil der
repräsentativen oder wissenschaftlichen Funktion einer Sammlung. Die
Ausdifferenzierung von etwas, was als pädagogische, lehrhafte Vermittlung
gelten kann, scheint gegen Ende des 19.Jahrhunderts stattgefunden zu haben, um
1920 taucht dafür der Begriff Museumspädagogik auf, die (im deutschsprachigen
Raum) seit den 1970er-Jahren zu einer eigenständigen auch
institutionell-organisatorisch ausdifferenzierten Aufgabe mit einschlägigem
Personal wird.
Die Notwendigkeit, eine
Sammlung, Museumsexponate zu erklären, setzt aber früher ein, mit der
Museumspraxis der Moderne. Denn es stellt sich ein neues Problem: Dinge, die
ins Museum kommen, machen einen Bedeutungs- und Funktionswandel durch. Gegenstände
verlieren ihren funktionalen und symbolischen Gebrauch. Sie werden tendenziell
unverständlich, „fremd“ und daher interpretationsbedürftig.
Allerdings stellt das
Museum durch seine Ordnungs- und Zeigetechniken neue Bedeutungen und damit neue
Verständnisweisen her. Das Museum wendet sich, anders als die – fast
ausnahmslos privaten - Sammlungen zuvor idealerweise in Bildungsabsicht an alle Mitglieder einer Gesellschaft. Das
verschärft erst recht das Vermittlungsproblem und macht Texte, Labels,
Kataloge, mündliche Erläuterungen, Raumbeschriftungen und anderes mehr
notwendig. Anders gesagt: das Museum, genauer gesagt sein Medium, die
Ausstellung ist ab jetzt Vermittlung. Es braucht eigentlich Vermittler
und Vermittlung nicht auch noch zusätzlich, auch im Kino, vor dem Fernseher
oder im Theater hilft uns niemand zu verstehen, was wir sehen und hören.
08 Das Museum hat es mit
Vergangenheit und Erinnerung zu tun
Ein Gemeinplatz besagt,
daß Dinge, die in eine Museumssammlung aufgenommen werden, ihre ursprüngliche
Bedeutung und Funktion mehr oder weniger vollständig verlieren. Man sieht es
daher als Aufgabe des Ausstellers an, den ehemaligen Kontext so weit es möglich
ist zu rekonstruieren oder einen neuen herzustellen, der dem Objekt dann auch neue
Bedeutungen verleiht und u.U. der Tatsache gerecht wird, daß einmal ihrer alten
Bedeutungen entkleidete Dinge dann im der Museumsausstellung eine kaum noch
überschaubare Vielfalt an Bedeutungen annehmen können.
Es gibt dabei einen
praktischen und einen geschichtstheoretischen Aspekt. Praktisch stellt sich das
unlösbare Problem, ehemalige Bedeutungen und Funktionen zu rekonstruieren, erst
recht vollständig. Texte, die ein Gemälde umfassend erläutern oder ein
technisches Gerät verständlich erklären, sind in aller Regel gar nicht denkbar
und auch komplexere Anordnung unter Einbeziehung vieler Medien, reichen im
Grunde nie.
Geschichtstheoretisch
stellt die Entkontextualisierung der Dinge eine viel folgenreichere Frage: ist
eine auch nur annähernde, teilweise „Rekonstruktion“ von Dingbedeutungen überhaupt denkbar?
Der Philosoph Joachim
Ritter hat das Problem so zugespitzt, daß er Musealisierung als etwas
Irreversibles auffasste, als einen Prozess, in dem es zu einem so grundlegenden
Wandel der Dinge kommt, daß sie, wie er es formuliert, „ihr reales Nichtsein“
hinter sich lassen. Und damit gewissermaßen ihr eigenes Vergessen. In ihrer
ursprünglichen Funktion verschwinden sie. Hätte er in aller Konsequenz recht,
dann wären wir und das Museum, das diese Transformation ja mit erzeugt,
vertieft und beschleunigt, von der Erinnerung abgeschnitten, was die Dinge
einmal waren. Erinnerung wäre nur so weit möglich, als es uns gelänge, ursprüngliche Bedeutungen
zu rekonstruieren. Anders formuliert: Im und durch das Museum wird wohl ebenso
vergessen, wie erinnert wird.
09 Das Museum stiftet
Identität
Wenig hört man so oft wie daß Museen Identität
stiften. Namentlich in der Museumspädagogik oder -vermittlung ist es eines der
höchsten Ziele, dazu beizutragen, Identität zu verschaffen, herzustellen, zu
„bringen“. Identität wird dabei oft als etwas Feststellbares, als einmal vermeintlich
gelungen dann auch Unverwechselbares und Unveränderbares verstanden. Dem
scheint das Museum mit der scheinbar unveränderlichen Materialität der Dinge entgegenzukommen.
Objekte scheinen Objektivität zu verbürgen, denn sind sie in ihrer präsenten
Materialität nicht, was sie sind?
Doch Identität ist immer
etwas, was ein Gegenüber benötigt, ein Anderes, ein Spiel des Ab- und
Ausgegrenzens. Erst an dem - wie immer beschaffenen - „Gegenüber“ kann sich ein
Ich oder Wir erst bilden. Identität ist reflexiv, sie ist eine Erfahrung von
Differenz, sie ist im Fluß, sie ist gefährdet, fragwürdig, vorläufig, nie
sicher.
Museen, Dinge, stiften
nicht Identität aber sie sind identitätsbedeutsam. Sie ermöglichen z.B. eine
angstfreie, gefahrlose Konfrontation mit dem Anderen. Insofern haben sie es
tatsächlich mit Identität zu tun. Aber das nie als etwas Endgültig,
Abgeschlossenes.
Identität kann nicht gestiftet
oder beigebracht werden, denn sie vollzieht sich als Prozess, als
"fortlaufendes Aushandeln einer Selbstdefinition" (Jörn Rüsen). Das
Museum könnte die eminent politische Aufgabe wahrnehmen, Identität in Form
"narrativer Kompetenz" (Jörn Rüsen), als Inbegriff historischer
Lernfähigkeit auszubilden, die die Wechselbeziehung von Ich, Gruppe
(Gesellschaft, Nation) und Vergangenheit zum Thema hat.
10 Das
Museum ist öffentlich
Zu den beliebten Adjektiven, die man dem Wort Museum
hinzufügt, gehört „öffentlich“. Gemeint ist damit sehr oft, daß es zugänglich
ist, daß man es ohne besondere Umstände nutzen kann. Aber was heißt schon
zugänglich? Wenn zwei oder wenn hundert oder alle etwas betreten, aufsuchen,
nutzen können? Und was ist warum nicht zugänglich?
Sinnvoller ist da eine andere Unterscheidung, nämlich die von
privat und öffentlich. Das Sammeln kulturell als bedeutungsvoll eingeschätzter
Dinge, das im mediterranen Raum im 15.Jahrhundert einsetzt, ist strikt privat.
Und Sammeln und Sammlungen bleiben das auch bis gegen Ende des 18.Jahrhunderts
exklusiv. Ab dann steht das von der „öffentlichen Hand“ (Staat, Land, Region,
Gemeinde) finanziell und verwaltungstechnisch getragene und verwaltete Museum
neben den weiterhin privaten Sammlungen.
War es bei privaten Sammlungen der Besitzer, der entschied ob
er Besucher zuließ oder nicht, so sind staatliche Sammlungen und Museen in dem
Sinn öffentlich, weil sie Einrichtungen des Wohlfahrtstaates sind und niemand
vom Nutzen und Genuß einer solchen Institution ausgeschlossen werden darf. Daß
das dennoch der Fall ist, habe ich schon erwähnt. Zugänglichkeit ist also kein
Selbstzweck, sondern, noch dazu als uneingeschränkt gedachte, ein Mittel die
Ziele des Museums zu erreichen. Dazu bedarf es aber noch einer anderen
Öffentlichkeit, nämlich eines Diskurses, an dem im Prinzip alle beteiligt sein
sollten, gleichberechtigt und sich wechselseitig anerkennend, in Freiheit sich
austauschen könnend. Das wird aber nicht durch bloße Zugänglichkeit
hergestellt, sondern im Museum durch eine Arbeit, die ihre Besucher und
Benutzer als auch politische Subjekte anerkennt, die ihre Interessen unter
anderem im Medium Museum ausbilden und artikulieren. Über die Qualität dieser
Öffentlichkeit entscheidet nicht die Zahl der Besuche(r), eine Zahl, die so gut
wie nichts über die Qualität eines Museums aussagt, sondern allein die Qualität
des Diskurses.
11 Museen sind professionell
Man neigt oft dazu Museen in (große) professionelle und (kleinere)
nichtprofessienelle zu unterscheiden. Diese grobe Unterscheidung hat viel mit
der fachwissenschaftlichen Basis zu tun. Große Institutionen haben fachlich
ausgebildetes Personal zur Verfügung (Kuratoren, Restauratoren, Personen, die
bezüglich Öffentlichkeitsarbeit und Marketing ausgebildet sind u.a.m. Gestalterische
Kompetenz, können sich sehr viele Museen schlicht nicht leisten.
Eine brauchbare Unterscheidungsmöglichkeit ist das nicht,
denn den meisten Museen fehlt es an Professionalität.
Denn der Schlüsselberuf des Kurators kennt so gut wie keine berufliche
Ausbildung. Wenngleich in erster Linie für KunstkuratorInnen inzwischen viele
Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten bestehen, gilt auch für diesen Museumstyp
und noch viel mehr für (kultur)historische Museen, daß es an einer Ausbildung
als Kriterium der Anstellung (in vielen Ländern) fehlt. Meist genügt die
fachlich-akademische Ausbildung für den Schlüsselberuf des Museums: Kurator.
Ich erläutere das an einem Beispiel: Ein Hautarzt, der zum
Leiter eines großen Spitals ernannt wird, besitzt wohl kaum sofort Leitungskompetenzen
(Finanzierung, Organisation, Personalpolitik usw.). Aber er hat in seinem
Fachgebiet eine lange Ausbildung hinter sich, ohne die er nicht angestellt
worden wäre. Ein Kurator für provinzialrömische Archäologie, der Museumsleiter
wird, hat, wie der Arzt, wohl kaum einschlägige Erfahrung mit der Leitung einer
Organisation. Aber er hat normalerweise überhaupt keine Ausbildung für die
Kernkompetenzen seiner Museumsarbeit. Für das Ausstellen, Projektmanagement,
Texte verfassen, Vermittlungskonzepte erstellen, den Einsatz neuer Medien
u.v.a.m. hilft ihm seine fachwissenschaftliche Ausbildung so gut wie nichts. Es
gibt kaum einen Beruf, bei dem die spezifische Qualifikation dermaßen
vernachläßigbar zu sein scheint. Noch dazu genau in den Rollen - Leitung und
Kuratoren -, wo diese Kompetenz am wichtigsten wäre.
12 Museen sind fraglos anerkannt
Ja, das sind sie. Und das ist erstaunlich. Wir treffen doch
immer eine qualitative Unterscheidung, egal ob wir uns einen Film ansehen, ein
Buch lesen, ein Restaurant besuchen usw. Nur Museen sind alle „gut“? Das ist
schon erstaunlich und eigentlich ein Indiz einer fast unglaublichen
Erfolgsgeschichte. Wenn im nationalen Maßstab freier Eintritt gewährt wird oder,
wie in Österreich, Jugendlichen, dann hat das eine selbstverständliche und
uneingeschränkte Wertschätzung zur Voraussetzung.
Nur in der Alltagssprache bekommt diese Wertschätzung Risse.
Dass etwas museal sei ist kein schwacher Vorwurf und Adornos Wort Erbbegräbnis
für Museum ist nicht viel freundlicher. Hat je jemand versucht ein Museum zu
besetzen oder niederzubrennen? Selten. Aber in der Pariser Commune wurde es
versucht, Ziel wurden dann „nur“ die Tuilerien. Aber angedacht wurde de
Brandstiftung schon zuvor, als Attacke auf eine überholte Institution im Namen
der Avantgarde. Den museoklastischen Akt wiederholten dann die Italienischen
Futuristen – auf dem Papier. Heute scheinen alle Avantgarden erfolgreich
eingemeindet und es ist auffallend, daß selbst die rabiatesten TheoretikerInnen
des radikalen, postkolonialen usw. Museums sich nicht von Namen und Institution
verabschieden wollen.
Der intakte „gute Ruf“ des Museums hat vor allem mit dem
Mangel an Vorstellungsvermögen und Kritikfähigkeit zu tun, vielleicht auch mit
der in diesem Feld noch intakten kulturellen Hegemonie der „Eingeborenen der
Bildungselite“ (Bourdieu). Keine Frage, daß es „schlechte“ Museen gibt. Das
interessiert nur kaum jemand. Museumskritik wird jenseits der Wahrnehmung von
Museen betrieben, sie erreicht die Institution kaum. Vielleicht erleben wir ja
grade einen Wandel angesichts der Debatten um das Berliner Humboldt-Forum. Da
wird das koloniale Erbe so sehr zum Problem, daß die Gewaltförmigkeit des
Erbens und die triumphalistische eurozentristische, partiell neokoloniale und
rassistische Politik vieler Museen plötzlich zum Gegenstand breiter
öffentlicher Diskussionen. Und das weit über Deutschland hinaus und so
nachhaltig, daß der Französiche Präsident pauschal die Rückgabe allen
Unrechtsbesitzes ankündigt.
Könnte es sein, daß der oft zitierte Satz Walter Benjamins
nun auch in die Aufmerksamkeit der Museen und der Museumsbesucher rückt? „Es
ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne zugleich ein solches der Barbarei zu
sein. Und wie es selbst nicht frei ist von Barbarei, so ist es auch der Prozeß
der Überlieferung nicht, in der es von dem einen an den andern gefallen ist.“
Das muß nicht das Ende des Museums bedeuten. Vielleicht ist es der zweite
Anfang.
Mittwoch, 24. Januar 2018
Geschichtsschreibung auf Niederösterreichisch. Das "Haus der Geschichte" in St. Pölten
Vor einer Woche erschien im FALTER (Nr.3/18 vom 17.3.2018)mein Text zum "Haus der Geschichte" in St. Pölten, unter dem Titel "Gulasch ohne Saft" - ein Zitat eines niederösterreichischen Landeshauptmannes aus der Ausstellung. Ich stelle den Text nun hier, ergänzt um einige Bilder, online.
Als kürzlich Franz
Fischler in einem Zeitungsartikel für ein Ernstnehmen des Wiener Hauses der Geschichte Österreich
argumentierte und dessen Emanzipation aus
einem fragilen Provisorium forderte, erwähnte er mit keinem Wort das bereits
existierende Museum in St. Pölten.
Dabei beansprucht
dieses, die Geschichte Niederösterreichs
eingebettet in die Österreichs und Zentraleuropas darzustellen,
während man sich Wien erst einmal
mit einer Ausstellung von der Republikgründung 1918 bis zur Gegenwart begnügen muss.
In St.Pölten kokettiert man mit dem Adjektiv „erstes Geschichtsmuseum
Österreichs“.
Ein erster, sehr
ausführlicher Besuch zeigt, dass der Anspruch auf Repräsentation der Geschichte
des ganzen Landes schon auf Grund der auf Niederösterreich zugeschnittenen
Sammlung nicht eingelöst wird. Die Ausstellung bleibt am Anfang sehr
kursorisch und wird in viele Themen aufgesplittert, die als einzelne durchaus
interessant gewählt sein können, aber es dem Besucher erschweren, Strukturen
herauszulesen. Erst mit der Aufklärung setzt eine Verdichtung ein, die im
Abschnitt zum eher knapp
abgehandelten Ersten und breit dargestellten Zweiten Weltkrieg zu einer
überproportional breiten Darstellung wird.
Überaus befremdlich ist dort das Motto „Gleichschritt“, das nicht als Kennzeichnung einer militärischen Marschordnung dient, sondern als Gleichsetzung des NS-Terrorsystems mit dem der stalinistischen Sowjetunion benutzt wird. Mehrere Texte behaupten diese Identität und eine riesige Grafik an der Wand versammelt in ein- und demselben Rot markiert alle nur erdenklichen Lager. Die Botschaft ist klar: es gab nur einen Terror.
Was in den Wissenschaften verantwortungsbewusst und differenziert
diskutiert wird, tritt hier als Tatsache auf. Es bleibt überdies unklar, was
diese fragwürdige Gleichsetzung zur Erhellung der (Nieder)Österreichischen
Geschichte beiträgt? Oder geht es nur um die Relativierung des
Nationalsozialismus?
Mit dem Weltkrieg und einem kurzen Exkurs zu unmittelbaren Nachkriegszeit
bricht die Ausstellung überraschend ab, um in
einen ganz anderen Modus zu wechseln. Den der unverblümten (partei)politischen
Sicht auf die Zeit nach 1955. Auf das Trauma der Weltkriege folgt der Triumph
der Moderne, aber in exquisiter niederösterreichischer Tracht. Der in den
Landesfarben blau-gelb gehaltene Saal - unter demTitel „Niederösterreich im Wandel“ - würdigt
in Wort und Text die Heroen der Österreichischen Volkspartei, so sie aus
Niederösterreich kamen. Leopold Figl und Julius Raab gleich in einer Art von
Triumphallee doppelt, jeweils in Gemälden und Skulpturen und einander gegenüber
platziert, so dass ein Fluchtpunkt mit dem Gemälde der Unterzeichnung des
Staatsvertrags gebildet wird. Später werden wir Alois Mock begegnen, in Form profaner Reliquien (seinem Mantel und dem Hebelschneider
vom Durchtrennen des Grenzzauns zu Ungarn). Erwin Pröll überlebensgroß
und, als jüngstem Schaustück, noch einmal auf einem Foto mit der jetzigen
Landeshauptfrau bei der
Machtübergabe. Über allem schweben Politikersätze anderer Landeshauptleute in Leuchtschrift
wie: „Ein Land ohne Hauptstadt, ist wie ein Gulasch ohne Saft“ (Siegfried
Ludwig).
Die parteipolitische Penetranz, die hier regiert, ist in der Gründung des Museums verankert. Die lange Jahre dauernde Debatte über ein Republikmuseum nützte Erwin Pröll geschickt, um das Projekt nach Niederösterreich zu holen und die “Verantwortung” für Österreichs erstes Geschichtsmuseum an sich zu ziehen. Die parteipolitische Färbung findet sich nicht bloß im erwähnten Abschnitt, sie bildet eine subkutane Struktur des Museums, insofern mit der Erinnerung an die vermeintliche “Bollwerkfunktion” des “Kernlandes” Niederösterreich an ideologische Versatzstücke erinnert werden, die, und das habe ich in einer Diskussion des Ausstellungsteams an der Uni Graz erfahren, seinerzeit in der Parteileitung der ÖVP entwickelt wurden. Wie auch die nach dem Beitritt Österreichs zur EU modernisierte Selbstdefinition als “Brücke”. „Brücken bauen", so ist denn auch der letzte Ausstellungsteil benannt.
Methodisch begehen die Ausstellungsmacher ausgetretene Pfade. Träger der Informationen sind überwiegend die Texte, Objekte erscheinen illustrativ, wie Alibis, aber werden ihrem ästhetischen Eigensinn kaum genutzt. Da leiht man sich eine zeitgenössische Darstellung der Menschenrechte vom Pariser Musée Carnavalet, aber versteckt sie regelrecht unter anderen Objekten, lässt diesen Gründungstext Europas unübersetzt und macht auch sonst nirgendwo klar, welche epochale Zäsur das Zeitalter der Aufklärung bedeutet.
Ausstellungen sollten
Deutungsangebote sein, bei denen die Autorschaft und der Standpunkt der Autoren
ausgewiesen ist. Nichts davon findet man hier, eine Anonymisierung der
Sprecherposition - „was will
das Haus der Geschichte?“ (Abschnitt 01) - das fragt uns eigentlich wer? Eine verdinglichte Sprache riegelt die Informationen und
Aussagen weitgehend gegen Interpretation durch den Besucher ab. Vieles wird als
abgeschlossene Tatsache, also als Sachwissen vermittelt, wo eigentlich
Reflexionswissen gefragt wäre. Methodisch ist das folgenreich, denn diese
positivistische Informativität über eine wie abgeschlossen erzählte Vergangenheit
hindert den Besucher daran, Verknüpfungen zur Gegenwart zu finden. So stammt das jüngste Objekt zu „Überwachung“ aus
den 30er-Jahren. Der naheliegende Anschluss mit der brisanten
Gegenwartsentwicklung wird erst gar nicht versucht.
Dazu kommt, dass die Konzentration auf Niederösterreich in der
Darstellung der Zweiten Republik, ein weiteres
Hindernis ist, die vorhergehenden
zeitlichen Etappen der mit der Gegenwart zu verknüpfen. Und so über die
Erfahrung von Zeitdifferenz Orientierungs-
und Reflexionswissen zu gewinnen. Erst das machte Probleme der Gegenwart -
Sozialabbau, Gefährdung demokratischer Errungenschaften, Rechtsradikalismus und
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit u.a.m. verständlicher.
Denn wie könnte ein
österreichisches Museum, ein “Nationalmuseum” gar?, uns denn anders gelegen kommen, wenn nicht
als ein entschieden diskursiver, demokratischer, Gegenwart aufklärender Ort, an
dem wir begreifen dass und wie Vergangenheit jetzt wirkt und wie wir vernünftig
gesellschaftlich handeln können und wollen.
Sonntag, 7. Mai 2017
Montag, 27. März 2017
Samstag, 19. April 2014
Ottomanisches Revival oder: Das Museum als nationale Bundeslade
Das Panorama schien ein Medium des 19. Jahrhunderts zu sein, aber in vielen, vor allem jungen gationalstaaten, hat man es als Medium der Selbstdarstellung und Identifizierung wiederentdeckt. Ein Beispiel dafür ist das erst 2009 eröffnete "Panorama 1453 Historisches Museum" in Istanbul. Das in beachtlich illusionistischer Qualität gemalte Rundgemälde stellt die Eroberung Konstantinopels durch Sultan Mehmet II. dar, also den welthistorischen Augenblick des Falls des Byzantinischen Reiches unter dem Ansturm ottomanischer Truppen. Das Gemälde zeigt den turning point des Angriffs - den Einbruch der Angreifer durch die mit Hilfe riesiger Kanonen Sturmtief geschossene Befestigung.
Es ist das erste Rundgemälde, das ich gesehen habe, das mit martialischen Kampfegeräuschen untermalt ist, mit Militärmusik, Geschrei, Zischen, Krachen und dem Wummern der schweren Kanonen. Anders als fragmentierte Museumsszeneroen bietet ein Panorama ein buchstäblich immersives Erlebnis, eine Art "Totalerfahrung", bei der die relative Primitivität des Mediums keine Rolle zu spielen scheint, deren pädagogischer Mehrwert aber um so mehr. Der Großteil der Besucher des 1453-Panorams waren denn auch Kinder und Jugendliche, in Gruppen, vermutlich Schulklassen. Wobei ich nicht so sicher bin, ob der ideologische Zweck hier wirklich durchschlagend ist. Der Modus, in dem die Kids das historisch-gloriose Getümmel wahrnehmen, ist der Handy-Snapshot, bei dem das staatstragenden Ereignis zum Hintergrund wird für Freund oder Freundin.
Ministerpräsident Erdogan betreibt eine historisierende Retropolitik, womit er im Gezipark eine mittlere Staatskrise ausgelöst hat. Zu dieser Politik gehört wohl auch dieses sonderbare "patriotische" Museum.
Abonnieren
Posts (Atom)