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Freitag, 3. Januar 2014

Wie viel darf ich essen?

Ehedem vorbildliche Museumsdidaktik im Deutschen Museum in München... (Siehe auch den folgenden Post)

Die Sache mit dem definierten Kammervolumen. Oder: Geht es aufwärts mitder Museumsvermittlung?

Gerhard Matzig fühlt sich verhöhnt. Er, Journalist und Ingenieur, bekommt im Deutschen Museum in München Informationen, die er nicht versteht. "Zwei achteckige Drehkolben werden vom einströmenden Gas beaufschlagt und drehen sich in einem Gehäuse, mit dem zusammen sie ein definiertes Kammervolumen bilden." Allerdings ist er durch einen anderen Text vorgewarnt worden:  "Zum Verständnis der in der Übersichtstafel dargestellten Prozesse ist ein Grundwissen über die Rohölverarbeitung erforderlich."
Was er offenbar nicht weiß ist, daß das deutsche Museum schon seit langem eine eigene kleine Abteilung führt, die sich mit Texten beschäftigt. Man könnte deshalb vermuten, der erste Text sei vom Fachkurator, der zweite von den Textexpertinnen.
In der Glyptothek findet Matzig nur Spurenelemente an Information, "Saal des Fauns ist auf einem Schild zu lesen - und das hätte man sich beinahe auch selbst gedacht, angesichts eines Saals, in dem sich ein Faun befindet."
Der um Hilfe gebetene Herr Wenrich von der Bayerischen Museumsakademie nimmt ihn in die FC Bayern-Erlebniszentrum mit, die mit Medien, Lautstärke, Abwechslung und Interaktion beeindruckt.
Aber ist ein Erlebniszentrum ein Museum fragt sich Matzig bange? So wird er dann glücklich erst im - neuen - Ägyptischen Museum in München. Obwohl einem als Leser nicht ganz so klar wird, warum eigentlich. Weil es hier "keine Replik, kein Plastik, kein Disneyland" gibt?
Die Direktorin ("wir sind Dienstleister") wird als "Pionierin der Museumspädagogik" (2014 - sind das noch Pionierzeiten?) vorgestellt und Museumspädagogik ist  hier, in diesem Text der süddeutschen Zeitung vom 2.1.2014, eine Überredungskunst, mit deren Hilfe es gelingt, etwas schwer Genießbares bekömmlich zu halten: "Es ist eigentlich wie im Unterricht", sagt Herr Wenrich, von der Bayerischen Museumsakademie, "den muß man auch spannend gestalten, um als Erfolg als Lehrer zu haben." 

Freitag, 11. Oktober 2013

Pädagogisch zeigen (Texte im Museum 432)


Das Museum als Haus - Die Welt als Museum




Das Museum als Haus - Die Welt als Museum

Dieser Vortragstext ist 1991 in „Ganz aus dem Häuschen“ erschienen, der Nachlese zu den 12. Museumspädagogischen (Privat-)Gesprächen, die damals in Graz stattgefunden haben. (MuseumspädagogInnen verlassen das Museum. Graz 1991 („...das lebende museum ... STEIERMARK“  im Grazer Stadtmuseum / Kulturvermittlung Steiermark / Kunstpädagogisches Institut Graz). Seite 6-12)

Unsere Vorstellung vom Museum ist wie selbstverständlich die vom festen Haus und Ort. Es geht um Schutz und Sicherheit, um Zusammenfassung, Ordnung, um Vergleichbarkeit und Zugänglichkeit. Erst durch die Fixierung  des Ortes, die Dauerhaftigkeit der Sammlung und eine über längere Zeit unveränderte Schaustellung kann der Museumsbesuch zum wiederholbaren Ereignis mit erwartbaren Erfahrungen werden. Doch ist diese Vorstellung vom Museum nicht besonders  alt im Verhältnis zur langen Geschichte des Sammelns. Das Museum als Haus - architektonisch und metaphorisch verstanden - ist die Form, die sich erst die bürgerliche Museumsidee gibt.

Zwischen 1815 und 1830 entstand in Berlin ein 'museion' besonderer Art. Ein speziell und nur für den Zweck entworfenes und errichtetes  Haus, das bedeutendste Teile des Kunstbesitzes des preußischen Königs aufzunehmen und öffentlich zum Zweck der Bildung zu zeigen hatte. Es ist dieses  von Karl Friedrich Schinkel  entworfene Neue Museum, meinem Wissen nach der erste selbständige, zu öffentlichen Bildungszwecken  errichtete  Sammlungsbau, eine Bau zudem, der diesen Zweck mit den Mitteln der Architektur, der Monumentalmalerei und  durch die städtebauliche Disposition veranschaulichte.

Mit der offenen, über beide Geschosse reichenden ionischen Loggia, mit der offenen Treppenanlage, die zu einer ebenfalls nach Außen offenen Halle im Obergeschoß führte, bildete der Architekt eine den Binnenraum des Museums mit dem öffentlichen Raum der Stadt verknüpfende Vermittlungssphäre, in der eine Zyklus von Wandgemälden mit der Darstellung der konfliktreichen Gattungsgeschichte auf den eigentlichen Museumsbesuch vorbereiten sollte.

Diesen öffentlich-kommunikativen, bilderreichen und ,bildenden', zwischen institutioneller und  städtischer Öffentlichkeit vermittelnden Raum, die obere Halle, hat Schinkel selbst in einer ihren Zweck programmatisch visualisierenden Zeichnung festgehalten.

Doch nicht nur dies und die selbstbewußte  Entgegensetzung der bürgerlich-öffentlichen Sphäre zum gegenüberliegenden Schloß sind bemerkenswert, sondern auch die Integration der musealen, über die ausgestellten Sammlungen evozierte Bildungserfahrung in den von den Wandgemälden erzählten gattungsgeschichtlichen Zusammenhang.  Dargestellt waren in der Loggia und Treppenhalle  u.a. das Götter- und Menschenleben, Kriegs- und Naturgewalt, die Gestirne usw., also nicht mehr und nicht weniger als "die Bildungsgeschichte der Welt", wie es in einer zeitgenössischen Interpretation heißt. 

Wilhelm von Humboldt hatte als Leiter der Museumskommission das Konzept eines Museums entworfen, das die Humanisierung der Staatsbürger - also auch die Humanisierung des preußischen Staates - zum Ziel hatte. Im Freskenzyklus wird diese Instrumentalisierung des Museums als Bildungsanstalt des Staates und der Staatsbürger,  als zentrale  Einrichtung, auf die sich der preußische  Staat berufen und fundieren möchte,  eingebettet in die Bildungsgeschichte der Gattung überhaupt. Vermittelt und zugleich extrem gespannt scheint  hier das Verhältnis von Innen und Außen, von Haus und Welt, von Sammlung  und Bildung.

1827 brach ein Streit über die Benennung dieses im Bau befindlichen Hauses aus. Der erste  Vorschlag für eine lateinische Inschrift  stieß auf Mißfallen:  FRIDERICVS GVILELMVS III STVDIO  ANTIQVITATIS  OMNIGENAE ET ARTIVUM  LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII, in der deutschen  Übersetzung: Friedrich Wilhelm III.   hat  dem  Studium  jeder  Art  Alterthümer und der freien  Künste  diesen Ruheort  gestiftet  1828.

Das Wort Museum, das in der deutschen  Übersetzung merkwürdiger- und bezeich­nenderweise nicht  übersetzt und durch das eigentümliche Wort ,Ruheort' ersetzt wurde, war der Stein des Anstoßes. Die Einwände richteten sich gegen den Begriff Museum.  Mit dem  Wort Museum  würden, so der erste  Gutachter, "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnet, aber niemals  solche zur" Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen". Zwar sei der Sprachgebrauch Museum der populäre, niemals aber der klassische und daher für eine Inschrift ungeeignet. Ludwig Tieck, Alexander von Humboldt und die um ein Gutachten gebetene historisch-philologische Klasse der Preußisch-Königlichen Akademie der Wissenschaften kamen sinngemäß  zu demselben ablehnenden Ergebnis.

Zum Zeitpunkt der Errichtung des Berliner Sammlungsinstituts ist der Begriff Museum noch keineswegs für Sammlungen und Sammlungsarchitekturen ausschließlich reserviert. So wie er für Vereine, Gesellschaften, Publikationen, literarische Sammlungen  usw. auch  gebräuchlich ist, können umgekehrt museale Sammlungen noch als Kabinette, Glyptotheken, Pinakotheken, Galerien usw. benannt  werden.

Doch der kurze, scheinbar nebensächliche Streit um die Benennung des durchaus als neuartig empfundenen Baus ist mit der terminologischen Offenheit nicht ganz zu erklären.

Interessant an dem Streit ist, daß zwei Traditionen des Begriffs Museum aufeinan­dertreffen. Die eine Tradition,  die die Gutachter und Experten gegen die Verwen­dung des Wortes  Museum  für einen Ort der Sammlung ins Treffen führen, leitet sich vom klassisch-antiken Wortgebrauch ab. Das heißt, von der Bezeichnung Museum für eine Pflegestätte der Wissenschaft an der aber nicht gesammelt, vor allem aber nichts  Vergangenes, Historisches aufbewahrt wurde.

Die andere Tradition, von der es in den Gutachten heißt sie sei die populäre, ist of­fensichtlich die ältere. In dieser Tradition lebt etwas von der Bedeutung des ur­sprünglicheren museion, des Musenortes fort. Also von der antiken Tradition, die im16. Jahrhundert wiederentdeckt und wiederaufgenommen wurde- und zwar damals in der  doppelten Bedeutung von Hain, Garten  jedenfalls den Musen gewidmeten Naturraum und Ort der wissenschaftlichen Betätigung  und des Sammelns. Indem man gegen die eigene philologisch untermauerte, rationale Kritik, die die Begriffsübertragung von Museum als Bezeichnung eines Ortes der Wissenschaft auf ein Sammlungshaus - historisch übrigens  korrekt - als unantik ablehnt, am Begriff Museum dann aber doch festhält, entschied man sich für die ungleich ältere Bedeutung, also unbewußt, nämlich ohne sich Rechenschaft über den Sinn dieser älteren Tradition zu geben.

In der Erinnerung an diese sogenannte populäre und älteste Bedeutungsschicht des Wortes Museum blitzt die Erinnerung sowohl an das museion als Ort des kollektiven Gedächtnisses auf, als auch die an einen lang zurückliegenden, längst verschütteten, konfliktreichen Enteignungsprozeß.

In diesem Enteignungsprozeß wurde die schrift- und bildlose, affektive und ausschließlich von weiblichen Musen beschützte, kollektive und gattungsgeschichtliche Erinnerungsfähigkeit durch die rationale, textgebundene von den  ausschließlich männlichen Priestern wissenschaftlicher Institutionen betriebene Gedächtnisarbeit allmählich abgelöst und verdrängt.

Der griechisch antike Begriff museion meinte ursprünglich den Ort der Musen, Töchter der Mnemosyne, der Göttin des Gedächtnisses und des Zeus. Zuerst ist es eine einzelne Muse - das Wort Muse bedeutet die Sinnende oder die Erinnernde - später sind es drei oder neun, ihre Zahl schwankt. Sie sind Naturgeister, Nymphen und leben anQuellen und Flüssen, wo sie im ekstatischen, göttlich inspirierten Gesang und Tanz die Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart beschwören, weissagen, deuten.

Das museion wurde dann die den Musen geweihte Stätte der Pflege der Erinnerung und des Eingedenkens  an die konfliktreiche Geschichte  der Zivilisation. Kunst, Geschichte und Wissenschaft hatten spezielle Schutzmusen, die für das Festhalten der Erinnerung einstanden und die vor allem die Rhapsoden beschirmten, die zu Beginn ihres Gesanges die Musen anriefen, als Garanten für die Wahrheit  des von ihnen vorgetragenen  Stücks Gattungsgeschichte.  
                                                            .
Es wurden den Musen Altäre errichtet, Bilder der Musen aufgestellt und der Hain, das museion, wurde zum Versammlungs- und Festplatz vornehmlich von Künstlern, dann auch zur Sammelstelle für Weihegaben und Opfer.                               .

Als Beschützerinnen der  Künste und des Geistigen wurden die Musen später zu Schutzpatroninnen von Schulen,  Gymnasien, philosophischen Akademien, wie z. B. der platonischen  Akademie und liehen ihren Namen dem alexandrinischen Museion, einer Stätte der Gelehrsamkeit, das seither oft fälschlicherweise als ,erstes Museum der Geschichte' bezeichnet  wird. Aus dem museion als mythischem, vage lokalisierbaren Naturraum wird allmählich eine Topografie der institutionellen Wissenschaft.

"Keine bessere Gelegenheit findet man nun zu dieser fast mit himmlischer Lust ver­knüpften Betrachtung der Natur, als in Museis oder solchen Orten, welche ausdrücklich dazu an einer bequemen und einsamen Stelle angeordnet sind, wo selbst man gleichsam  alle unnütze Geschäfte und weltlichen Rumor verläst, dagegen aber seine Sinnen und Gedanken zusammen ruft, und einzig und allein zur Ehre Gottes in der Betrachtung aller seiner Wunder anwendet. Hier sitzt er [der Forscher; G. F.] also ausgeschlossen und umgeben mit herrlichen, raren, wunderbaren und fremden Sachen, über deren Anschauung seine leiblichen Augen in angenehme Ergätzung und Fröhlichkeit gerathen."

So  beschreibt Neickelius Anfang  des 16. Jahrhunderts die  Freuden  des  solipsis­tischen  Gelehrten in seinem privaten  Refugium. Es ist das 16. Jahrhundert, das, zu­ erst in Italien, das museion wiederentdeckte, und zwar als privaten, in das Haus, das Schloß, den Palast integrierten Ort des Studiums und des Sammelns.

Das musaeum des 16. Jahrhunderts rekonstruiert ,klassisches' Wissen, den ,antiken Text' und  sammelt  dafür  Material, nun aber nicht nur schriftliche Überlieferungen, also Manuskripte oder Inschriften, sondern Gegenstände, wie Kleinplastiken, Münzen, Naturobjekte, Mineralien, Pflanzen und Tiere - das Präparieren und Konservieren wird im 16. Jahrhundert zu einer Basistechnik von Musealisierung. Das Museum ist ein gleichsam  archäologisches Unternehmen, in dem  durch  Sammeln, Vergleichen und Ordnen  von Material ein ,Text' gebildet werden kann.

Der Begriff Museum strukturiert Praktiken des zwischen Privatheit und Öffentlichkeit changierenden Umgangs mit Wissen im Kontext sozialer Bestimmungen wie ,Prestige', ,Wissen',  ,Wahrnehmung', ,Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. Die Welt ist im Museumsraum exemplarisch und geordnet präsent. Das musaeum wird vor allem ein Lokalisationsprinzip, eine Definition von Orten, an denen  Lernen stattfinden kann.

Einerseits ist das Museum, wie das Zitat von Neickelius zeigt, ein kontemplativer Ort, an dem - vom lärmenden Treiben des Alltags fern -, gleichsam mönchische Arkanpraktiken des Wissenserwerbes und der Wissenspflege ihren Platz haben. Andrerseits sprengt das Enzyklopädische des Museums den Raum der Gelehrtenstube. ln der Reformation und Gegenreformation, auch durch die dadurch  ausgelösten politischen Katastrophen und durch die das Weltbild sprengenden Expeditionen und Entdeckungen gerät das  arkanhafte, private  Sammeln in eine Krise. Die Integration exotischer Fundstücke in das Sammeln sprengt die herkömmlichen Museumsordnungen. Das Sammeln spiegelt nun, ab dem 17. Jahrhundert, eine alogischere, pluralistischere Weit wieder. Die instrumentelle und pädagogische Bedeutung von Sammlungen zieht Publikum auf sich und es entwickelt  sich das Museum über das Private hinaus zum sozial und kulturell zweckgerichteten Ort.

Zum qualitativ Neuen der zu Ende des 18. Jahrhunderts etablierten Museumsidee gehört erstens die Ausdehnung der Publizität des Museums zum radikaldemokratischen  Anspruch, uneingeschränkt jedermann das Museum als Ort  der Erfahrung von Geschichte zugänglich zu halten. Und zweitens: die Historisierung der Sammlung und ihrer  Wahrnehmung.

Das Museum wird zum Gang durch die Zeit, durch die Geschichte. So wurde bei dem erwähnten Berliner Museum erstmals eine historisch-chronologische und nach Schulen gegliederte Disposition der  Sammlung vorgenommen. Die sorgfältig überlegte Hängung  sollte das Vergleichen möglich und die historische Anordnung  - auch unerstützt mit didaktischen Hilfsmitteln -, erfahrbar machen.

Die Abtrennung des Museumsortes von der ,übrigen Welt', als einem Ort, an dem die Dinge gleichzeitig sind, konstituiert Geschichte. Das Museum wird im 19. Jahrhundert in diesem Sinn ein Ort der unendlichen Akkumulation, in der "die Zeit nicht aufhört, sich auf den Gipfel ihrer selbst zu stapeln und zu drängen, während im 17. Jahrhundert und noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Museen (...) Ausdruck einer individuellen Wahl waren.“

Die Idee, im Prinzip unvereinbare Zeiten und Räume, unvereinbare Stile und Epochen, unvereinbare Objekte an einem Ort zusammenzubringen, ist von der Idee beherrscht, die Zeit selbst aufzuheben, die Dinge, die Massen des Ererbten vor der Zeit selbst in Sicherheit zu bringen.

In diesen Dienst stellt sich eine museale Archäologie, die das mit den Toten bestattete Erbe, die selbst unsere Vorfahren aus den Gräbern holen wird, in diesen Dienst stellen sich die Raub- und Beutezüge der Moderne, die die Akkumulation musealer Sammlungen erst ermöglichen.

Das Selbstbild, das Museen von ihrer Entstehung und Entwicklung als Sammlung haben, ist das eines friedlichen und stetigen, gleichsam natürlichen Wachstums. Eine lange Geschichte glücklicher Funde, der Sammlerleidenschaft, von Geschick urid List begnadeter Persönlichkeiten, die mit Instinkt und Reaktionsvermögen, das Erbe mehrten.
Bei näherem Hinsehen erweist sich dieses Wachstum als Geschichte gewaltförmiger und widerrechtlicher An- und Enteignungen: vom Bildersturm und Bilderraub  der französischen Revolution bis zur Arisierung der NS-Zeit, von der Säkularisation, aus deren profaniertem Strandgut bedeutende europäische Museumsgründungen hervorgegangen sind bis zu den jüngsten Plünderungen des Irak in Kuweit, von den Expeditionen und Jagdkampagnen der Naturhistorischen Museen bis zur mit Zwang durchgesetzten und als freiwillige Schenkungen verbrämten Ablieferung von Kunstwerken und Kulturgütern der kolonisierten Länder an die Staaten Europas und Nordamerikas reicht die lange Kette widerrechtlicher und gewalttätiger Enteignung.

Auch die friedlicheren Prozesse der Vermehrung des Museumsgutes erweisen sich bei näherem Hinsehen mit Gewalt verbunden. Die bürgerliche Museumsidee ist eng mit einer reaktiven und kompensativen Bewegung verknüpft.

Ein sich beschleunigender zivilisatorischer Wandel läßt immer mehr Gegenstände immer rascher veralten. Diese Gegenstandsmassen werden nun weder auf Müllhalden geworfen, noch dem natürlichen Verfall noch der Zerstörung überlassen, sondern ziehen - als geschichtliches Gut oder als ästhetisch faszinierende Überreste - in immer neue Museen ein.                                                      ·

In der Schweiz etwa, einem Land mit der relativ größten Museumsdichte Europas
(nach Liechtenstein) wird derzeit durchschnittlich in jedem Monat ein neues Museum gegründet.

Die Masse der toten Arbeit vermehrt sich also mit unglaublicher Rasanz und der Widerspruch zwischen dieser Masse an toter Arbeit und der lebendigen Arbeit wird im­ mer schärfer.

Mit anderen Worten: die Möglichkeit, diese in Schausammlungen, Depots, Lagern
und Kellern, Tiefspeichern und Studiensammlungen aufgehäuften Mengen an Dingen durch wissenschaftliche oder pädagogische Arbeit wieder zum Leben zu erwecken, wird immer unwahrscheinlicher und immer vergeblicher.

Für die wohl meisten Museen gilt ja, daß vor allem die wissenschaftliche Arbeit in quantitativer  Hinsicht immer weiter hinter dem Sammeln, dem schieren Anhäufen, dem Horten hinterherhinkt. ln einem Prüfbericht des Rechnungshofes zu den Wiener
Bundesmuseen z. B. finden sich eindrucksvolle Zahlen dazu. So ist am Naturhistorischen Museum in Wien nicht einmal mehr die wissenschaftliche lnventarisierung möglich, wenn allein in der anthropologischen Sammlung jährlich 4000 Skelettreste anfallen.

Wenn aus lebendiger menschlicher Arbeit tote, verdinglichte Arbeit wird, so ist das ein Enteignungsprozeß. Die, die einen Gegenstand hergestellt, bearbeitet, benutzt und genossen haben werden vom Produkt ihrer Arbeit getrennt.

Musealisierung  ist ein solcher Enteignungsprozeß. Und er findet längst nicht mehr nur im und durch das Museum statt. Die Metapher von der Weit als Museum, die in den letzten Jahren in Umlauf gebracht wurde, beschreibt das Platzen des Museums. Die Obsession,  immer größere Lebensbereiche,  ganze Naturbezirke und Stadtgelände, Ensembles von Monumenten oder sogar vom Verschwinden bedrohte Arbeits­ und Lebensweisen bewahren zu wollen, ist die scheinbar grenzen- und widerstandslose Ausdehnung der Idee des Museums als Ort des Zeitstillstandes auf die ganze Welt.

Noch einmal: die Masse der toten Arbeit wächst beständig. Die Chancen, sie wieder in lebendige zurückzuverwandeln, schwindet aber nicht nur mit ihrer Massenhaftigkeit. Tote Arbeit übt Macht aus. Gegen die immens langfristigen Bewegungen ihrer Anhäufung scheinen die kurzen Zeit- und Lebensspannen, derer, die ihr gegenüberstehen ohnmächtig.

Zudem: Die Spezialisten im Umgang mit toter Arbeit wurden und werden enteignet. Und gerade die, die Herrschaft über tote Arbeit ausüben - die Kustoden, die Museumspolitiker und -verwalter -, verstehen nicht, oder nicht immer, mit ihr umzugehen. Ein Beispiel sind etwa industriehistorische Museen, die Arbeiter einstellen, um Maschinen zu warten, in Gang zu setzen und sie Besuchern zu erläutern.

Museen, die in der Verfügung derer stehen, deren Erinnerung sie enthalten, sind die seltenste Ausnahme. Bei der Mehrzahl der Museen werden die Produzenten von ihren Produkten und Produktionsmitteln durch Musealisierung getrennt und sie werden selbst zu Museumspublikum. Zu Konsumenten ihrer eigenen Vergangenheit, die ihnen als verwissenschaftlichte, erzählte und strukturierte Vergangenheit noch einmal enteignet  wird - unter einem fremdbestimmten Zugriff auf den sie keinen Einfluß haben. Tote Arbeit kann für ihre Produzenten selbst zum Mittel der Unterdrückung werden.

Wo aber jeder lebendige Umgang mit der Hinterlassenschaft fehlt oder versagt, bildet sich eine unheimliche Gegenständlichkeit aus der noch der letzte Rest an Erinnerung an vergangene Arbeit und Geschichte gewichen ist.

Es entsteht massenhaft "Verdinglichung" und das "bedeutet, menschliche Phänomene aufzufassen, als ob sie Dinge wären", was bedeutet, "daß der Mensch fähig ist, seine eigene Urheberschaft der humanen Weit zu vergessen, und [...] daß die Dialektik zwischen dem menschlichen Produzenten und seinen Produkten für das Bewußtsein verloren ist." Wo solche unheimliche Gegenständlichkeit in die öffentlich zugänglichen Schausäle einwandert, bildet sich immerhin noch die Erfahrung von Fremdheit, Andersartigkeit, von Alterität, das Museum kann zu einer Schule des Befremdens werden, in der inoffizielle Hinsichten, Blickweisen eingeübt werden könnten. Doch diese neue Diskussion über das Museum als Schule des Befremdens (Sloterdijk)  und Ort der Alteritätserfahrung (Waldenfels) sieht im Museum nur noch den Ort der spielerischen Einübung in das Befremden und benützt die durch Musealisierung erzwungen Distanz nicht mehr zur Kritik von Musealität und ihrem Zustandekommen.


Aber das Fehlen von eigensinniger, kritischer und lebendiger Arbeit oder ihre Ohnmacht angesichts der Menge und Last der Überlieferung erzeugen Realitätsverlust. Denn nur dann ist tote Arbeit tot, wenn sie nicht mehr in Beziehung zu setzen ist zu lebendiger Arbeit, denn nur diese Beziehung konstituiert Realität. Das Glück, die Erfahrung, der Genuß liegen nicht in den Dingen, sondern in den Beziehungen zu ihnen und an die Beziehungen, an die uns die Dinge erinnern.

Vermittlungsarbeit, die sich etwa unter der Prämisse der Objektvermittlung glaubt in den Dienst ,der Sache', d. h. auch: des Museums als Agentur des Erbes als stellen zu müssen, begnügt sich damit, mit den Resultaten von Musealisierung und mit institutionellen Sachzwängen unter Würdigungs- und Anerkennungspflicht zu operieren. Vermittler sind dann bloß Erbstauhelfer und Besichtigungsministranten.

Daher: Raus aus dem Museum!



Sonntag, 2. Juni 2013

Mikroausstellung "Vatertag"


Von oben nach unten: Erzherzog Johann mit seinem Sohn (SalzburgMuseum). Eine Ausstellungseinheit (Werbung und Museums'objekt') Volkskundemuseum Graz. Werbung Landesmuseum Joanneum zum Vatertag 2013

"Täuscht euch nicht, Mitbürger, das Museum ist keine oberflächliche Ansammlung von Luxusgegenständen oder Frivolitäten, die nur der Befriedigung der Neugier dienen sollen. Es muß eine Ehrfurcht bietende Schule werden. Die Lehrer werden ihre jungen Schüler hinführen; der Vater seinen Sohn. Der Jüngling wird beim Anblick der Werke des Genies in sich das Gebiet der Kunst oder Wissenschaft lebendig werden fühlen, zudem ihn die Natur berufen hat." Jacques Louis David vor dem Nationalkonvent. 1794

Kulturelle Bildung oder: Alles kann erklärt werden + Das Museum lesen (34)


"In Mexiko besucht Herr Palomar die Ruinen von Tula, der alten Toltekenhauptstadt. Ein mexikanischer Freund begleitet ihn, ein begeisterter und beredter Kenner der präkolumbianischen Kulturen, der ihm wunderschöne Legenden von Quetzalcoatl erzählt. Bevor er ein Gott wurde, war Quetzalcoatl ein König, und hier in Tula stand sein Palast; erhalten geblieben ist davon eine Anzahl stumpf abgebrochener Säulen, die sich rings um ein Impluvium verteilen, ein bißchen wie in einer altrömischen Villa.
Der Tempel des Morgensterns ist eine abgeflachte Stufenpyramide, auf deren breiter Plattform sich vier hohe zylindrische Säulenfiguren erheben, sogenannte »Atlanten«, die den Gott Quetzalcoatl als Morgenstern darstellen (indem sie einen Schmetterling, das Symbol des Sterns, auf dem Rücken tragen), außerdem vier Reliefpfeiler, die den Gefiederten Schlangengott darstellen, also wieder densel­ben Gott, diesmal in Tiergestalt.

All das kann man einfach nur glauben. Andererseits wäre es schwierig, das Gegenteil zu beweisen. In der altmexika­nischen Archäologie stellt jede Figur, jeder Gegenstand, jedes Detail eines Flachreliefs etwas dar, alles bedeutet etwas, das etwas bedeutet, das seinerseits etwas bedeutet. Ein Tier bedeutet einen Gott, der einen Stern bedeutet, der ein Element bedeutet oder eine menschliche Eigenschaft, und so weiter. Wir befinden uns in der Welt der Bilderschrift. Wenn die Tolteken schreiben wollten, zeichneten sie Figu­ren, aber auch wenn sie einfach nur zeichneten, war es, als ob sie schrieben: Jede Figur erscheint wie ein Bilderrätsel, ein zu entziffernder Rebus. Selbst noch die abstraktesten, rein geometrischen Friese auf einer Tempelwand können als Sonnenstrahlen gedeutet werden, wenn man darin ein Mo­tiv mit unterbrochenen Linien sieht, oder man kann eine Zahlenabfolge in ihnen lesen, je nachdem, wie sich die Mäander verschlingen. Hier in Tula wiederholen die Flach­reliefs stilisierte Tiere: Jaguare, Coyoten. Der mexikani­sche Freund erklärt Herrn Palomar jeden Stein, übersetzt ihn in kosmische Mythenerzählungen, Allegorien, moralische Reflexionen.

In den Ruinen zieht eine Schülergruppe umher: schmächtige Buben mit indianischen Zügen, vielleicht Nachkommen der Erbauer dieser Tempel, gekleidet in eine schlichte weiße Uniform mit blauen Halstüchern, wie sie die Pfadfinder tragen. Ein junger Lehrer führt sie umher, nicht viel größer als die Buben und kaum viel älter, mit dem gleichen runden und ruhigen braunen Gesicht. Sie steigen die hohen Stufen zur Plattform der Pyramide hinauf und scharen sich um die Säulen, der Lehrer erklärt, zu welcher Kultur die Säulen gehören, aus welchem Jahrhundert sie stammen, aus welchem Stein sie gehauen sind, dann schließt er: »Man weiß nicht, was sie bedeuten«, und die Schülerschar folgt ihm wieder hinunter. Zu jeder Statue, zu jeder Figur in einem Flachrelief oder auf einer Säule macht der Lehrer ein paar knappe sachliche Angaben, und jedesmal fügt er dann unweigerlich hinzu: »Man weiß nicht, was es bedeuten soll.«

Hier zum Beispiel ist ein sogenannter Chac-mool, ein Statuentypus, dem man recht häufig begegnet: eine halb liegende Menschenfigur, die eine flache Schale trägt. Auf diesen Schalen, sagen übereinstimmend die Experten, wur­den die blutigen Herzen der bei den Menschenopfern Ge­töteten präsentiert. An und für sich könnte man in diesen Figuren auch gutmütige, komisch-groteske Fratzen sehen, aber jedesmal, wenn Herr Palomar eine sieht, läuft ihm unwillkürlich ein Schauder über den Rücken.

Die Schülerschar kommt vorbei. Der junge Lehrer erklärt: »Esto es un chac-mool. No se sabe lo que quiere decir«, und geht weiter.

Immer wieder begegnet Herr Palomar, obwohl er den Erläuterungen seines Freundes folgt, am Ende der Schülergruppe und hört auf die Worte des Lehrers. Er ist fasziniert von der Fülle an mythologischen Querverweisen, mit denen sein kundiger Freund zu hantieren weiß, das Spiel des Interpretierens, die allegorische Deutung sind ihm stets als eine souveräne Übung des Geistes erschienen. Doch er fühlt sich auch von der entgegengesetzten Haltung des Schullehrers angezogen. Was ihm zunächst als ein schroffer Ausdruck von Desinteresse erschienen war, enthüllt sich ihm langsam als ein wohlüberlegter pädagogischer Plan, eine bewusst gewählte Methode dieses ernsten und gewissenhaften jungen Erziehers, eine Regel, von der er nicht abgehen will: Ein Stein, eine Figur, ein Zeichen, ein Wort, die uns isoliert von ihrem Kontext erreichen, sind nichts als eben nur dieser Stein, diese Figur, dieses Zeichen oder Wort; wir können versuchen, sie als solche zu definieren und zu be­schreiben, aber mehr nicht; wenn sie hinter dem Antlitz, das sie uns zeigen, noch ein verborgenes Antlitz haben, muss es uns verborgen bleiben. Die Weigerung, mehr zu begreifen als das, was diese Steine uns zeigen, ist vielleicht die einzig mögliche Art und Weise, ihr Geheimnis zu achten. Es erraten zu wollen, ist Anmaßung, Verrat an ihrer verloren gegangenen wahren Bedeutung.

Hinter der Pyramide gelangt man in einen Gang oder Korridor zwischen zwei Mauern, eine aus gestampftem Lehm, die andere aus behauenem Stein: die Mauer der Schlangen. Sie ist vielleicht das schönste Stück in Tula: ein Fries als Flachrelief, bestehend aus lauter Schlangen, von denen jede einen menschlichen Schädel im Maul hält, als wollte sie ihn gerade verschlingen.

Die Schüler kommen vorbei. Der Lehrer erklärt: »Dies ist die Mauer der Schlangen. Jede Schlange hält einen Schädel im Maul. Man weiß nicht, was sie bedeuten.«

Herrn Palomars Freund kann nicht länger an sich halten: »Aber ja doch, das weiß man sehr wohl! Es ist die Kontinui­tät von Leben und Tod, die Schlangen bedeuten das Leben und die Schädel den Tod: das Leben, das Leben ist, weil es den Tod in sich trägt, und den Tod, der Tod ist, weil es ohne Tod kein Leben gibt ...«

Die Schüler stehen baff mit offenem Mund, die schwarzen Augen weit aufgerissen. Herr Palomar denkt: Jede Übersetzung verlangt nach einer weiteren Übersetzung

und so fort. Er fragt sich: Was bedeuteten Tod und Leben, Kontinuität und Übergang für die alten Tolteken? Und was können sie für diese Kinder bedeuten? Und für mich? — Doch er weiß: Nie könnte er das Bedürfnis in sich ersticken, zu übersetzen, überzugehen aus einer Sprache in eine an­dere, .von konkreten Figuren zu abstrakten Worten, von abstrakten Symbolen zu konkreten Erfahrungen, wieder und wieder ein Netz von Analogien zu knüpfen. Nicht zu interpretieren ist unmöglich, genauso unmöglich wie sich am Denken zu hindern.

Kaum sind die Schüler um eine Biegung verschwunden, hebt die beharrliche Stimme des kleinen Lehrers wieder an: »No es verdad, es ist nicht wahr, was dieser Senor euch gesagt hat. Man weiß nicht, was sie bedeuten.«"

Aus: Italo Calvino: Herr Palomar. München, Wien: Carl Hanser Verlag 1985

Montag, 18. Februar 2013

Fundsache - Blind im Museum

Zwei Blinde examinieren Pistolen. Ab 1913 bot das Sunbderland-Museum in England spezielle Führungen und Veranstaltungen für Blinde an.

Dienstag, 12. Februar 2013

Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 2)


Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 2)

Sinclair Rosss. Museum of Despair

Das zivilisierende Ritual
Ich verstehe das Museum als ein gesellschaftliches Projekt der Moderne, das der Staat treuhänderisch im Interesse der Wohlfahrt aller seiner Bürger unterhält. Ich verstehe es als ein zivilisierendes Ritual der kollektiven wie individuell wirksamen Selbstvergewisserung und Selbstdeutung.
Von der Verkehrsinfrastruktur bis zum Bildungswesen, vom Gesundheitswesen bis zu den Gefängnissen, das alles sind öffentliche Einrichtungen, die dem Gemeinwohl dienen und die deshalb durch die ‚öffentliche Hand’ finanziert und verwaltet werden. Dem Anspruch nach wenden sich öffentliche Einrichtungen immer an die Gesamtheit einer Gesellschaft, das Gemeinwohl ist, wie das Wort schon sagt, unteilbar. Auch vom Gefängnis, wo man dieses Prinzip vielleicht nicht so gerne universal verstanden wissen will, gilt, daß grundsätzlich jedermann mit ihm einmal Bekanntschaft schließen könnte, aber ‚wohlfahrtstaatlich’ ist es erst deshalb, weil es ein Ordnungsinstrument ist, das Ausschlüsse aus der Gesellschaft auf Zeit ermöglicht oder mit dem sich auch die Idee der Verbesserung der Individuen, mithin der Gesellschaft als Ganzes (Resozialisierung etc.) verbindet.
Wenig anders verhält es sich mit dem Museum, von dem wir ja wissen, daß viele Menschen es gar nicht besuchen und nutzen, aber wohlfahrtsstaatlich ist es deshalb, weil sich sein zivilisatorischer (bildender) Anspruch auf uneingeschränkt jedermann richten muß.
Ich diskutiere jetzt noch nicht, welche Probleme im Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit liegen, sondern beziehe mich zunächst auf die Herkunft der Idee.
Am Tag, an dem, mitten in der Französischen Revolution das Museum im ehemaligen Königsschloß, dem Louvre eröffnet wurde, am 10. August 1793, wurde auch eine neue Verfassung deklariert. Mit unüberbietbarem Pathos formuliert ihr erster Satz „Das Ziel der Gesellschaft ist das Glück aller.“ Letztlich sind alle staatlichen Maßnahmen und Einrichtungen diesem Ziel zu- und untergeordnet. Ästhetische und historische Erfahrung sind von Anfang an als Aufgaben des Museums buchstäblich zentral und das neue Gewicht des Museums im, man könnte sagen „neuen“ Staat wird zum Beispiel deutlich in seiner städtebaulichen Situierung und architektonischen Ausstattung.
Ein erhellendes Beispiel dafür, was mit ‚wohlfahrtlich’ in Bezug auf das Museum gemeint ist, bietet das 1830 eröffnete Museum, das für die Sammlungen des preussischen Königs eröffnet wurde. Sein Architekt, Karl Friedrich Schinkel und deine Kommission, die aus Künstlern und Wissenschaftlern bestand und deren Leitung Wilhelm von Humboldt innehatte, konzipierten dieses Museum nicht mehr als exklusiven privaten Raum eines Herrschers und seiner Dynastie, in das man nur mit freiwillig gewährter Großzügigkeit Zutritt hatte, sondern als öffentlichen Raum und Ort, dessen Betreten ein Recht war. Und nur so kann ja eine öffentliche Einrichtung auch öffentlich wirken, nur so konnte, wie es die Kommission vorsah, ästhetische Erfahrung des Einzelnen sich im Museumsraum zur kollektiv wirksamen Humanisierung der Nation (H. Lübbe) ‚ver/sammeln’.
Das ist Grundlage auch des heutigen Museums, der Museumsarbeit aktuell, auch wenn wir weder alle herkömmlichen Begriffe noch verwenden und uns manche Implikationen und Strukturmerkmale gar nicht mehr bewußt sind. Als im Dienste aller seiner Bürger institutionalisierten wohlfahrtlichen Leistung ist also auch das Museum ,öffentlich‘, man könnte hinzufügen „ab nun“, denn die Sammlungspraktiken der frühen Neuzeit bis herauf in die Zeit der Aufklärung kennen das (in Frankreich mit der Verfassung) verankerte Recht auf Zugang der Bildungseinrichtungen nicht.
Das Museum ist zweitens auch ,öffentlich‘ als diskursiver Sphäre, also im Sinne von bürgerlicher Öffentlichkeit,‘ in der die alle betreffenden Angelegenheiten‘, die ,gemeinsame Sachen‘ ausgehandelt werden und dadurch auch jegliche Macht einer Kontrolle unterworfen wird. 

Karen Knorr. Musée de la chasse, Paris
Aber nicht allein durch das Recht auf die Zugänglichkeit läßt sich das Museum als - mit gewissen Vorbehalten -, „demokratisch“ verstehen, sondern nur insoweit es seine diskursive und öffentlichkeitsbildende Aufgabe auch aktiv wahrnimmt. Denn an und für sich ist das Museum (wie vieles andere auch) gegenüber jeglicher Form der Instrumentalisierung neutral). Die demokratische Qualität eines Museums mißt sich an seiner Vitalität und Dynamik, mit der es öffentliche Debatten und Interessen aufzunehmen imstande ist, zu initiieren, weiterzutreiben.
Öffentlich ist das Museum noch in einem weiteren Sinn, nämlich insofern als die Bedeutungen, die es generiert öffentlich zirkulieren. Museen etablieren Kanons und Werte, verfestigen sie, tradieren und selektieren Wissen, etablieren Hierarchien von Werten und Blickregime, die uns dazu anleiten oder auch verführen, bestimmte Dinge (nur) unter bestimmten Blickwinkeln zu sehen, sie tradieren Werte über Generatzionen hinweg u.a.m. Sie versuchen zumindest – ob Museen das wirklich können, bezweifle ich -, identitäre Diskurse zu regulieren und zu beeinflussen, etwa wenn nationale Geschichtsmuseen oder historische Blockbuster-Ausstellungen das Geschichtsbewußtsein ganzer Gesellschaften zu beeinflussen suchen.
Daraus leitet sich die unabweisbare gesellschaftliche Verantwortung des Museums ab. Und deshalb muß sich auch heute der öffentliche Museums-Diskurs daran messen lassen: inwieweit er selbst Teil der politischen oder ökonomischen Machtverhältnisse bleibt oder inwieweit er subversive Gegenöffentlichkeit herstellt.

 
Das Museum hat eine Verantwortung - und es ist nicht neutral und nicht unschuldig: Im Museum finden sich soziale Distinktionen, gesellschaftliche Konflikte, Machtverhältnisse reproduziert und gespiegelt. Das Museum ist nicht nur ein ,Schauplatz‘ der Distinktion, es wirkt selbst ,diskriminierend‘ und agiert hegemonial indem es partikulare Sichtweisen und Interessen als allgemein verbindlich und gültig erscheinen läßt. Zum Beispiel in einem Kanon würdigungspflichtiger kultureller Werte. Es ist ein autoritativer Ort mit eigentümlicher Wahrheitspflichtigkeit und fragwürdiger, scheinbar in den Dingen naturwüchsig begründbarer Authentizität, die nahezu jedes „Sprechen“ im Museum als wahr erscheinen läßt.
Hinter der eigentümlichen Autorität und Authentizität des Museums verbergen sich „institutionalisierte Diskurse“, mit deren Hilfe „Identitäten oder Subjektformen (natio­nale, geschlechtliche, koloniale etc.) konstruiert, reprodu­ziert und in Umlauf gehalten“ werden. (Oliver Marchart).
Das bleibt aber den Beteiligten, nicht nur dem Publikum, sondern weithin den in der Institution Tätigen selbst, verborgen. Darin unterscheidet sich das Museum wesentlich von anderen kulturellen Institutionen und Praktiken, in die diese Selbstreflexion gleichsam wie ein Bestandteil der Produktion und Reproduktion von Wissen, Macht, Bildern, Bedeutungen selbst eingeschrieben scheint. Was das Kino betrifft, so existiert ein permanenter Diskurs über die Freiheit und Unabhängigkeit der Filmemacher, der Ökonomisierung der Filmproduktion, der Geltung des Films, die er in nationalen Fragen haben kann oder auch nicht. Ein Film wie aktuell Zero Dark Thirty, der die Verfolgung und Ermordung Osama Bin Ladens zeigt, einschließlich von Folter, die zur Informationsbeschaffung eingesetzt wird, hat in den USA (und nicht nur dort) zu einer weit über das Kino hinaus sich entwickelnden Diskussion über Legalität und Legitimität des staatlichen Handelns geführt.
Fürs Museum läßt sich derlei nirgendwo beobachten (obwohl es von der Produktionslogik und Rezeption her alles andre als undenkbar wäre) und die raren Ausnahmen, an denen eine Konflikt sich entzündet (wie etwa bei einer Ausstellung des Smithsonian Institute über den ersten Atombombenabwurf durch die USA und dessen Sinnhaftigkeit – die Ausstellung kam nicht zustande), zeigt, in welchem Ausmaß das Museum machtaffin ist.
Darin liegt die Macht des Museums. „Die Öffentlichkeit der Institution Museum machte potentiell alle Bürger zu Teilhabern eines gemeinsamen kulturellen Erbes und stärkte ihre Loyalität einem Staat gegenüber, der durch die Institution des Museums Freiheit und Gleichheit der Bürger ebenso wie seine Verantwortung für das Gemeinwohl demonstrierte. Die Initiation der Bürger in diese Werte durch civilizing rituals, über Gebäude, Präsentation, Zugangsregelungen und Verhaltensanweisungen, Verbote und Gebote in Museen wirkte mit an der ‚gleichzeitigen Entfaltung und Regulierung des Subjekts’“.
Und: „Die Rituale des Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und „Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.“ (S. Offe)
Aber wer stellt her, wer spricht da und in wessen Interesse? Und mit welcher Legitimation?

Yoga im San Diego Museum of Art

Die Dillemata der Vermittlung

Wir befinden uns mitten in einem dramatischen Rückbau des Wohlfahrtsstaates und demokratischer Strukturen. Das Museum ist in dieser politischen Großwetterlage keine Insel der Seligen. Rentabilitätsdruck, Deckelung und Kürzung der Finanzierung, vereinzelte Schließungen, Öffnung für angeblich selbstlose, also ‚mäzenatische’ private Interessen, Orientierung an Event, Vermarktung und Modellierung der Museumsarbeit (und Museumsarchitektur) nach Freizeitbedürfnissen (u.a.) sind Etiketten, unter denen das, was im Gang ist, beschrieben werden kann. Gegenwehr ist kaum zu erkennen. Die Museen passen sich an, so gut es geht, manche widerwillig, manche berauscht von den vermutlich sehr kurzfristigen Optionen, die ein sich Ausliefern an private Interessen bietet. Soweit ich es überblicken kann, scheint es in den deutschsprachigen Ländern weder auf der Ebene staatlicher Politik noch auf der der Museumsinteressen vertretenden Verbände einen nennenswerten analytischen Diskurs zu dieser Frage zu geben. Museumskrise? Nie gehört?
Soll das Museum wie andere öffentliche Einrichtungen einfach preisgegeben werden? Ist es ohnehin dabei, sich abzuschaffen?
Wie weit kann oder will man in der eigenen Praxis gehen? Wie kann man auf seinem Platz reagieren? Bevor man das im Detail überlegt, scheint mir eine Voraussetzung zwingend: Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als sich in einer solchen Situation sowohl gesellschaftspolitisch als auch museumsgeschichtlich reflektiert gegenüber dem eigenen Tun zu verhalten.
Persönlich, aus meiner museumsgeschichtlichen Forschung heraus, meine ich, daß es, wie auch immer man seine aktuellen Ziele formuliert, eine Rückbezüglichkeit auf jenes „Projekt Museum“ geben muß, das vor zweihundert Jahren entstanden ist, und zwar nicht aus nostalgischen Gründen oder weil an diesem Modell festzuhalten wäre (ganz und gar nicht), sondern deshalb, weil dieses Modell im Kern noch immer unsere Vorstellung vom Museum trägt und reguliert und unser praktisches Arbeiten leitet – bewußt oder unbewußt.
Noch einmal: Das heißt nicht, daß ich auf dieses Modell zwingend verpflichten will, das wäre Unsinn. Selbstverständlich unterliegt auch das Museum ständigen Änderungen und die Option auf Transformation gilt auch für das Museum als Ganzes. Aber wenn man etwas überwinden wollte, wenn man etwas hinter sich lassen wollte, wenn man etwas verabschieden wollte, dann kann man das nur verantwortlich tun, das heißt mit Gründen und mit einer klaren und deklarierten Alternative. Nur unter dieser Bedingung kann man das Museum „erfolgreich aufgeben“.
Wie sehen die Optionen für ein solches „erfolgreiches Aufgeben“ aus, wie sollte und könnte Vermittlung unter gegeben Umständen aussehen?
Carmen Mörsch hat vier Funktionen von Vermittlung ausgemacht[1]: eine affirmative, „wenn sie“, wie sie schreibt „Institutionen der Hochkultur und das was sie produzieren, möglichst reibungslos an ein entsprechend initiiertes und bereits interessiertes Publikum vermittelt.“ Eine reproduktive, wenn es ihr und dem Museum in erster Linie um die Rekrutierung eines Publikums (der Zukunft) geht.
Liege ich falsch, wenn ich vermute, daß die Mehrzahl der Vermittlungsprojekte diese beiden Funktionen erfüllt?
Die dritte Funktion nennt sie „kritisch – dekonstruktiv“, die Vermittlung übernimmt es einerseits selbst, die strukturellen Voraussetzungen des Museums und der Vermittlung zu reflektieren und ermöglicht andrerseits auch ihre Klientel durch Offenlegung ihres Standpunktes, sich an dieser Reflexion eigenständig zu beteiligen und sie selbständig weiterzuentwickeln.
Die vierte Möglichkeit liegt darin, gesellschafts- und institutionenverändernd wirken zu wollen. Das geht aber nur dann, wenn man auf die Inhalte und die Rahmenbedingungen unter denen sie produziert und vermittelt werden selbst Einfluss nimmt. Dies nennt Carmen Mörsch transformativ.
Man trifft also eine Wahl. So oder so und ob man das will oder nicht, ob es einem bewußt ist oder nicht. Man positioniert sich. Welche der vier Strategien man verfolgt, in jedem Fall, so denke ich, man darf verlangen, daß in der Standpunkt den man einnimmt deklariert, begründet und verantwortet werden muß.
Und ich denke auch, daß man in der Wahl zwischen den gennanten Optionen nicht völlig freie Hand hat. Zwar ist jede dieser Wahlmöglichkeiten mit fachlichen und ideologischen Implikationen ausgestattet und man könnte meinen, welche Wahl getroffen werde, läge allein in der Verfügung der jeweiligen verantwortlichen Akteure. Die Wahl in der individuellen Verfügung zu belassen unterschätzt einerseits die verantwortung gegenüber dem Publikum, mit dem man etweas tut aber auch den gesellschaftlich-politischen Rahmen, in dem man agiert.

Mark Dion, William Schefferine: Rain Forest Preserves

Mein mir wichtigstes Argument kommt aber wiederum aus der Geschichte, Struktur und Logik des Museums selbst, die diese Wahl determinieren.
Vermittlung kann wohl nur dann sich weiter entwickeln, wenn man sich selbstbewußt, fachlich und museologisch fundiert und im gesellschaftlichen Kontext verantwortlich positioniert, wenn sie ihre Position und die des Museum reflektiert. 
Dabei habe ich immer die historisch-institutionelle Verfasstheit des Museums (wie eingangs kurz skizziert) als eines - möglicherweise unvollendeten - „Projekts der Moderne“ im Auge. Entweder man nutzt das dort bereitstehende Potential und arbeitet am wohlfahrtsstaatlichen Konzept weiter und verändert es oder man überschreitet es, aber dann kann man auch das nur begründet und mit einer überzeugenden Alternative tun. Alles andere hieße für mich bei der Erosion einer Idee bloß zuzusehen, tatenlos auf der Titanic stehen und abzuwarten, wie das Wasser steigt.
Aber selbst etwas zugrunde gehen zu lassen, im Sinne eines Verwerfens oder Verabschiedens, einer endgültigen Zurückweisung, braucht ein Wissen, was man zurückweist, sonst ist es blinde Destruktivität. Erst im Wissen einer Differenz blitzt das Andere und das Bessere auf.
Es gibt einen weiteren Weg. Man kann entdecken – und ich kenne manche Kollegin, manchen Kollegin der ihn, aus Resignation oder im Gegenteil, kreativ und optimistisch geht -, daß die Ziele, die man verfolgt, mit den Mitteln des Museums gar nicht (mehr) durchsetzbar, nicht zu verwirklichen sind.
Wäre es dann nicht gleich besser, mit dem Ruf ,Raus aus dem Museum‘, sich auf (in jeder Hinsicht) riskante, innovative, organisatorisch wie inhaltlich und strategisch neue Projekte, Ziele, Kooperationen einzulassen und die alte staubige Tante Museum, die selbst von ihren eigenen Vertretern so sehr vernachlässigt, mißverstanden und unterschätzt wird, hinter sich zu lassen?
Wobei die Pointe die wäre, daß man dann die im Museum angelegten Ziele und Potentiale, zwar jenseits seiner Mauern, aber unbelastet von deren verhärteter Strukturen, wieder entdecken, ernst nehmen, reflektieren und radikalisieren könnte.


[1] Carmen Mörsch: Watch this Space! Position beziehen in der Kulturvermittlung. Ungedr. Ms.

Sonntag, 10. Februar 2013

Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 1)

 
Das Ende der Harmlosigkeit
Tagung mediamus, Lenzburg Vermittlung im Museum. Stellenwert und Handlungsspielräume.

Diese Überlegungen sind im Zusammenhang mit der Tagung Vermittlung im Museum. Stellenwert und Handlungsspielräume entstanden, die mediamus im September 2012 auf der Lenzburg (CH) stattfand. Alle Beobachtungen zur aktuellen „Vermittlungsszene“ sind sehr subjektiv und bruchstückhaft. Während ich am Beginn meiner Beschäftigung mit dem Museum viele Kontakte pflegte, ist heute die Aufmerksamkeit für Fragen der Vermittlung auf Grund anderer Arbeitsschwerpunkte in den Hintergrund gerückt. Dennoch hat es mich interessiert, aus Anlass der genannten Tagung, meine Beobachtungen einmal zusammenzufassen und jene Fragen zu stellen, die den Veranstalterinnen wichtig war: welchen Stellenwert und welche Handlungsspielräume hat „Vermittlung“?

(zum Teil 2 hier)

Ausstellung "Leidenschaften". Hygiene-Museum Dresden 2013















Museum should transform themselves
from beeing about something to being for somebody.
Stephen Weil

Das Feld der Vermittlung

Seit ich in den 80er-Jahren mit Museumspädagogik, so hieß das damals noch, wofür heute meist ‚Vermittlung’ verwendet wird, in Berührung gekommen bin, Akteure und Projekte kennengelernt habe und schließlich mit Freunden Weiterbildungsprojekte entwickelt habe, hat sich die Szene – ich kann nur von Österreich sprechen -, verändert. Es gibt mehr Museen denn je, die ihr eigenes Vermittlungspersonal und einschlägige Programme haben und seit einigen Jahren gibt es eine staatliche Kampagne in der Kombination von freiem Eintritt in Bundesmuseen für Kinder und Jugendliche und Projektgeldern für Vermittlung. Das Museum, an dem ich arbeite, beschäftigt, z.T. geringfügig, über einhundert in der Vermittlung tätige Personen.
Im Gegenzug dazu ist die ehedem bunte und innovative freie Szene geschrumpft. Entweder ist sie in Museen untergekommen oder hat angesichts der  institutionellen Konkurrenz aufgegeben.
Das Resultat ist weder in Hinblick auf die Ziele und Inhalte der Arbeit noch in Hinblick auf die Beschäftigungssituation eindeutig. Die Beschäftigungssituation hat sich vielleicht weniger verändert als man denkt, weil auch im Museum Vermittlung meist einen geringen Status hat und von prekär Beschäftigten geleistet wird - selbst dort, wo das Museum von der Attraktivität der Programme zählbar – und darum geht es Museumsleitungen oft – profitiert.
Der Organisationsgrad ist höher denn je, es gibt Verbände, Zeitschriften, Webauftritte, Tagungen und ungleich mehr an verschiedenartigsten Weiterbildungsangeboten als noch vor 20, 25 Jahren.
Was Inhalte und Methoden betrifft, so ist mein – sehr subjektiver Eindruck, daß es in Österreich -, und nur von Österreich, ich wiederhole mich, kann ich sprechen -, eine Stagnation gibt. Innovative Projekte scheint es eher in unabhängigen Gruppen zu geben oder solchen, die projektbezogen und daher zeitlich begrenzt mit Museen zusammenarbeiten.
Es scheint sehr viel Routine zu geben, viel Weiterverwenden des Bewährten und einen geringen Bedarf, Praxis und Theorie untereinander abzugleichen und an den Wandel des Museums, seines Umfeldes und seines Publikums anzupassen.
Trotz des vielfältigen Weiterbildungsangebotes sehe ich weit und breit keine echte Ausbildung, was aber nach wie vor für die Museumskernberufe generell auch weiter gilt, wo ja die fachliche, akademisch-wissenschaftliche Ausbildung nach wie vor der Königsweg zu den Schlüsselpositionen des Museums ist. Solange es kein einigermaßen klar definiertes Berufsfeld ‚Vermittlung’ gibt, kann es auch kaum so etwas wie eine Ausbildung geben: keine Professionalisierung ohne Profession.
Auch im Hinblick auf Erfahrungen und Beobachtungen aus der Institution, an der ich arbeite, schließe ich, daß sich im Kern an der Situation der Vermittlung in den letzten Jahren und Jahrzehnten nicht sehr viel geändert hat. In Status, Bezahlung und Machtpositionierung rangiert die Vermittlung meist noch immer im unteren Viertel der Machthierarchie, mit der Konsequenz, daß sie selbst kaum aus einer - freiwillig angenommenen oder aufgezwungenen -, innerinstitutionellen ,Dienstleister‘-Rolle herauskommt und diverse von ihr nicht hinterfragbare Zielsetzungen bedient. Und das mit Vermittlungsformen, die unter Harmlosigkeits- oder Verharmlosungsverdacht stehen, wie Kindergeburtstage, VIP-Führung, Ferienspiele, Nacht-im-Museum, Schatzsuchen, Malen und Basteln im Museum usw.
VermittlerInnen (MuseumspädagogInnen usw.) sehen sich im Museum in einer Rolle, die zwischen zwei Polen situiert ist: entweder als verantwortliche und aktive Akteure, die sich mit neuen technisch-medialen und sozialen Fragen konfrontiert sehen oder als passiv Ausführende von vorgegeben Aufgaben.

Marcel Broodthaers: Projet pour un musée sur un ile d´serte, Ile du Musée. 1971

Gerade die reflektierteren Tendenzen der Vermittlungsarbeit geraten dabei m.M. nach in eine mehrfach geschichtete Situation der Überforderung. Vereinfacht gesagt, weil sie einerseits den aktuell wichtiger werdenden und problematischen ,dienstleisterischen‘ und ,marktorientierten‘ Museumsstrategien zuwiderlaufende Ziele verfolgen, gleichzeitig aber selten gewahr werden, daß sie im Grunde immer auch schon ein Stück weit einer dem Museum seit je inhärentes Ziel verfolgen, nämlich eine letztlich analytische, selbstbewußte, kritische Öffentlichkeit zu generieren. Paradoxerweise tendiert gerade die reflektiertere Spielart der Vermittlung an ihrer Selbstabschaffung. An ihrer Auflösung in einer komplexen Museumspraxis, in der ja Vermittlung immer ein essentieller Bestandteil war. Avantgarde in der Vermittlerszene sein, heißt, so stellt es sich für mich dar, eher eine von institutionellen Praktiken in jeder Hinsicht abgekoppelte und sehr eigensinnige und selbstbewusste Arbeit zu betreiben, die viele Schnittstellen mit anderen kulturellen Praktiken hat, mit der Theaterarbeit, der Stadtteilarbeit, der künstlerischen Intervention und anderem mehr.
Die museologische und vermittlungstheoretische Tradition, in die sie sich einschreiben könnten, nehmen sie dabei selten als Potential wahr. Wie das Museum in seiner Alltagspraxis agiert auch die Vermittlung eigentümlich ‚geschichtslos’.
Wenn ich, was eher nur noch selten passiert, ein einschlägiges Projekt kennenlerne oder auf einer Fachtagung Gast bin, verhärtet sich das Gefühl, daß sowohl die Diskussionen - gerade in Bezug auf die grundsätzlichen Fragen - auf der Stelle treten als auch, daß sich das Methodenspektrum kaum erweitert hat.
Bei der Entwicklung einer kohärente Theorie als Grundlage der Vermittlung hat man vom Museum keine Unterstützung zu erwarten haben, weil es ja auch eher nur an kurzfristig-pragmatischen Zielen orientiert ist, an medialer Aufmerksamkeit, Besucher‘umsatz‘, politischer Akklamation usw. Und weil museologische Theoriebildung kaum an Museen stattfindet und umgekehrt auch kaum Anwendung findet. Museologie und Museum existieren in parallen Universen.
Die Herausforderung, die in dieser Situation steckt, läßt sich so zusammenfassen: spricht die Institution Museum gewissermaßen durch die Vermittlung hindurch und vollzieht Vermittlung die autoritative, hegemonialae Rolle der Institution fraglos mit? Oder ist Vermittlung in der Lage und Willens, so etwas wie eine Gegenöffentlichkeit innerhalb der Institution zu bilden? Erhebt Vermittlung eine eigne Stimme und soll und kann sie die haben, wenn man anerkennt, daß das Museum „Vermittlung ist“?
Der beschriebene prekäre Status der Vermittlung hat verschiedene Ursachen, über die ich bestenfalls Vermutungen anstellen kann. Eine Ursache ist wohl ein grundlegender struktureller Widerspruch. Der, ich wiederhole mich, daß Vermittlung ein Teil einer selbst vermittelnden Institution ist. Alles am Museum, von der Auswahl der Objekte über die wissenschaftliche Bearbeitung bis zur Ausstellung und der Erzeugung von Bedeutung durch Positionierung und Texte und anderes mehr, das ist Vermittlung. In ihr ist schon alles einbezogen, der, der über die Bedeutungen verfügt, sie „erzeugt“, in der privilegierten Position des „Sprechers“ (Autors) ist, all die Exponate, Dinge, Medien, Szenografien, Texte, mit deren Hilfe Bedeutungen kommuniziert werden und last but not least der Besucher, der wie der Leser oder Kinogänger den „Text“ mit produziert und immer schon „im Bild ist“ (W.Kemp). Wo hat hier die „Vermittlung“ als besondere Funktion oder Rolle ihren Platz?
Die relative Geringschätzung, der sich Vermittlung vielerorts noch ausgesetzt sieht, und die sich in einer diskriminierenden Situierung in der Hierarchie und der diskriminierenden Bezahlung niederschlägt, hat womöglich mit diesem strukturellen Widerspruch zu tun. Für die, die im Museum traditionellerweise die Machtpositionen besetzen, die fachlich-akademische ausgebildeten Kuratoren, mag Vermittlung als überflüssige Fleißaufgabe erscheinen, wenn nicht sogar als Konkurrenz um eine zentrale Aufgabe, die der (Re)präsentation, Visualisierung, kurzum des Ausstellens. Da nützt es noch immer wenig, wenn man darauf hinweist, daß diese sehr spezifische, zwischen Kunst und Wissenschaft oszillierende Kompetenz, in der akademische-fachlichen Ausbildung nahezu nie vermittelt wird, während andrerseits Vermittler oft sehr komplexe einschlägige Qualifikationen haben.

Technisches Museum. Wien. Semipermanente Ausstellung "In Arbeit". 2011ff


Das museologische Feld

Einige Stichworte, die in den letzten Jahren immer wieder aufgetaucht sind: Inklusion, Neue Museologie, Partizipation, Social Inclusion, Museum 2.0, Audience Development u.a.m. Allen Stichworten gemeinsam sind zwei Aspekte: alle beziehen sich auf das Verhältnis Museum - Öffentlichkeit – BesucherInnen und alle sind Chiffren für den Wunsch nach Veränderung, Reform, Entwicklung des Museums.
Derartige Schlagworte drücken den Wunsch nach Transformation des Museums aus, nach größerer Publikumsnähe, Nutzung neuer Kommunikationsformen Wobei immer wieder die New Museology als museologischer Bezugspunkt gewählt wird, (obwohl die inzwischen so ‚new’ nicht mehr ist) und alle verraten ein Missbehagen am herkömmlichen pragmatischen Selbstverständnis des Museums. Dessen Wappenschild ist die ,ICOM-Definition‘, die so viele vor sich hertragen, um sich und das Museum vor unangenehmen Fragen und Einsichten zu schützen.
Ich kann aber nicht erkennen, daß sich dieses Missbehagen, das sich in den Schlagworten ausdrückt, sich nachhaltig formiert und als in die Praxis wirkend und eingreifend etabliert hätte.
All den Beschwörungen, die ihre wiederkehrenden Formeln haben wie etwa den Kampfrufen ,Neue Museologie!‘ oder ,Partizipation!‘, haftet wegen der Ineffektivität im Feld der Praxis etwas Geisterhaftes an, so als ob diese Forderungsrituale eher nur den Zweck hätten, gelegentlich durch Berufung auf das ganz Andere die herrschende öde Realität unangetastet lassen zu können. Oder ist ein bisschen so wie in Robert Musil es (in seinen nachgelassenen Fragmenten nachzulesen) im Mann ohne Eigenschaften analysiert hat, daß die Menschen nicht gut, schön und wahrhaftig sind, sondern es lieber sein wollen?[1]
Die Dynamik des Museums wird sicher nicht von den fachlichen Debatten um Museum 2.0 oder Partizipation bestimmt, nicht von idealen Projektionen, die überdies fatal nach naiver Technik- und Mediengläubigkeit schmecken, deren praktische Einlösung aber nirgendwo stattfindet. Die Dynamik der Transformation des Museums kommt nicht aus dem Kern der Institution, nicht einmal aus den auf sie bezogenen Metadiskursen. Sondern überwiegend an das Museum von außen herangetragenen und von sehr unterschiedlichen Interessen getragenen Entwicklungen.
Positiv z. B. von der beispiellosen Entwicklung der Museumsarchitektur, der Museumsgestaltung (Szenografie usw. - nebenbei gesagt der inzwischen wohl bestorganisierte und offensivst aufgestellte museumsaffine Berufsstand), künstlerischen Interventionen und Experimenten.
Negativ vom allseits um sich greifenden Spardiktat, das heißt von der erzwungenen Erosion des wohlfahrtsstaatlichen Konzepts auch des Museums im Kontext einer umfassenden Verabschiedung der Politik von diesem Gesellschaftsmodell. Konkret von der von den Museen eilfertig vorangetriebenen Dienstleistungsorientierung, Ökonomisierung oder den Tendenzen der Reprivatisierung wenn nicht Refeudalisierung.
Den großen Herausforderungen, denen sich Museen heute gegenüber sehen, Kürzung der Mittel, verstärktes Vordringen privater Interessen, Konkurrenz anderer Medien oder Wandel des Publikumsinteresses und demografische Veränderung des Publikums (etwa Schrumpfen des Bildungsbürgertums), begegnen Museen eher defensiv oder gar willfährig. Der Kunsthistoriker und Museologe Walter Grasskamp hat unlängst festgestellt, daß Museen immer weniger imstande sind, sich zu legitimieren, ihre Existenz zu rechtfertigen, ihre Arbeit öffentlich zu deklarieren.
Die sozialtechnologischen Strategien, die sich etwa hinter dem Stichwort Web 2.0 verbergen oder dem der social inclusion, ignorieren den historisch-gesellschaftlichen Kontext, in dem Museen entstanden sind, wirken und zu entwickeln wären. Sie bieten punktuelles Basteln im Interesse eines reibungsloseren Funktionierens innerhalb der als Sachzwang hingenommenen und weitgehend affirmierten Gegenwartspraxis der Museen an.

Marco Lulic: Museum of Revolution. Wien 2010

Museum should transform themselves from beeing about something to being for somebody. Der Satz von Stephen Weil, den ich wie ein Motto über diesen Text gestellt habe, scheint ebenso trivial zu sein, wie die Forderung nach mehr oder anderer Öffentlichkeit. Denn waren Museen nicht immer öffentlich in einem essentiellen und emphatischen Sinn, das heißt, nicht bloß Dienstleistungsinstrumente, die eben auch ein Publikum hatten, sondern Gefäße der Herstellung (bürgerlicher) Öffentlichkeit, ein zivilierendes Ritual (C. Duncan. Sabine Offe), der immer auch schon ein subversives, Demokratie ermöglichendes und mit herstellendes Moment eingeschrieben war.
Wenn man heute feststellt, daß mit der Museumsöffentlichkeit etwas defizitär zu sein scheint, dann wäre es doch an der Zeit, einmal einen museumssoziologisch und museumsgeschichtlich unterfütterten Begriff vom Museum zu entwickeln, um präzise bestimmen zu können, woran genau es mangelt und wohin denn die Entwicklungsreise gehen soll. Wer will eigentlich was vom Museum?
Unglücklicherweise fehlt den Museen etwas, was andere kulturelle Institutionen selbstverständlich kennen: Kritik. So etwas wie Ausstellungskritik, die ihren Namen verdient, gibt es kaum. Museumskritik, die der Komplexität der Institution gerecht würde, kenne ich nehezu überhaupt nicht. Es gibt kaum eine Analyse der spezifischen Medialität und Disposition, mit der Inhalte transportiert und Bildungsziele und Erfahrungsmöglichkeiten anvisiert werden. Also entfällt auch eine Reflexion, die über das Mantra der Erbsenzählerei von Besuchern hinaus eine qualitative Bestimmung von Öffentlichkeit leisten könnte und damit – vor diesem Hintergrund – eine von Vermittlung. Warum soll mit welchen Zielen wem etwas vermittelt werden?

(Fortsetzung folgt) 

Ausstellung über die Occupy-Bewegung. Stadtmuseum Graz. 2012/13



[1] „Darum ist es das Lebenerhaltende schlechthin, daß es der Menschheit gelungen ist, anstatt dessen, ‚wofür es sich wirklich zu leben lohnt’, das ‚dafür’leben zu erfinden oder, mit anderen Worten, an die Stelle ihres Idealzustands den ihres Idealismus zu setzen.“ Mit dem „Dienst am Ideal“ wird „das Ideal selbst ausgeschlossen“. Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften.  Reinbek 2010. S.1458ff., Zitat S. 1460 und 1460f.