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Dienstag, 25. Oktober 2016

Museumsunlust. Das Museum in der Schattenburg in Feldkirch

Es gibt sie noch, die "alten" Heimatmuseum. Die Museen, die ohne Idee, ohne Konzept "alte Dinge" anhäufen und - leidlich geordnet - ausstellen.
Hier wird nicht geforscht und recherchiert, es gibt keine erläuternde Beschriftung, die fehlt auch schon mal ganz. Daß es einer minimalen Bemühung der Vermittlung bedarf, hat sich bis hierher noch nicht durchgesprochen.
Die Dinge sind offensichtlich nie oder kaum restauriert oder auch nur konserviert worden, Dokumente oder Gemälde werden achtlos einem kaum zuträglichen Raumklima ausgesetzt.
Es geht irgendwie um Heimat, um Kunst, Religion, Alltag, Arbeit, hier auch um Krieg, den sogenannten "ersten", der ein Weltkrieg war. Hier genügen aber einige Gewehre und Granaten, eine Landkarte, sinnlos zusammengestellt. Vor einem Altarbild Kerzen oder Kirchengestühl, als ob hier der Ritus noch lebendig wäre.
Alte Sachen, viele davon in einer Qualität, die kein Ausstellen rechtfertigt. Was wird erzählt? Nichts.
Vorarlberg hat eine beachtliche Museumsszene. Warum leistet man sich aber ein derart vernachlässigstes, altmodisches, überholtes, sinnloses Museum wie die Schattenburg in Feldkirch? Hinter dem man kaum mehr vermuten kann als sinnleeren Sammeleifer, aus dem jeder Eifer gewichen ist, jede Leidenschaft, jede Sorgsamkeit, jede Idee eines "wozu?".





Samstag, 11. Juni 2011

Tracht und Niedertracht

Ich frage mich manchmal, warum es eine sich Wissenschaft nennende Trachtenforschung noch immer gibt, die sich weitgehend der Einsicht in das Konstruierte und Modische der Tracht entzieht, warum Tracht als Teil der Kleidungsforschung noch immer dermaßen museal populär ist als Dokumentation eines vermeintlich Authentischen, das eine ursprüngliche Ordnung der Lebenswelt zu repräsentieren vermag.
Unter dem Titel "Tracht und Niedertracht" hat der als Filmkritiker bekannte Georg Seeßlen eine rabiate Polemik gegen die - wievielte eigentlich? - Trachtenbewegung als "semiotische Blüte" des zerfallenden Mittelstandes verfasst. (TAZ vom 8.6.2011, hier).
Tracht tragen, sagt Seeßlen, ist noch immer nicht unschuldig, es war es nie, wie bei den 'Heimatvertriebenen' und ist es auch jetzt nicht: "Jede Haube, jede Tasche, jeder Knopf entsprach einst einer ständischen Gesellschaft, und bei diesem textilen Reenactement einer 'guten alten Zeit' schwingt eben immer auch die Sehnsucht nach einer vormodernen, vordemokratischen und voraufgeklärten Gesellschaft mit."
Die neueste deutsche Trachtenkonjunktur als "Outlet-Tracht" ist nicht bloß rückwärtsgewandt, "sondern (eine) verschärfte Form gerade der karrieristisch-überaffirmativen Jugend, die sich zum Motor des Neoliberalismus machte und die Spannung zwischen Aufstiegslust und Abstiegsangst kaum aushalten konnte."
Der "verjodelte und reprovinzialisierte deutsche Mittelstand" braucht Anlässe sich zeigen zu können, Volksfeste, Eröffnung von Mehrzweckhallen, das "Mega-Stadtl-Hotel" oder, den wichtigsten von allen, das Oktoberfest, wo sich das "Tragen von Trachten insbesondere bei jungen Leuten in den sogenannten nuller Jahren als Bekenntnis zur hedonistisch gemäßigten Rechten" durchsetzte - "(die ganz echten Nazis tragen dann wieder so etwas nicht, weil es dann doch nicht gesamt- und großdeutsch genug und auch zu unmilitärisch ist)".
Dabei werden zwei Facetten der Ökonomie sichtbar: "Der Verlust der Heimat durch die gnadenlose Ökonomie wird von der neuen schlafstädtisch/ländlichen Mittelklasse durch eine gnadenlose Ökonomisierung der Heimat beantwortet" und: "Das Dirndl, in mehr oder weniger frei wählbarer Abstufung, ist eine akzeptierte Art, das Obszöne mit dem Ordentlichen zu verbunden. Dirndl und Lederhose konstruieren und rekonstruieren Männlichkeit und Weiblichkeit auf sehr spezifische Weise."
Der Zerfall einer sozialen Gruppe macht das Trachtentragen zum Schauplatz einer Ambivalenz: "Die Mitglieder dieser neuen Klasse des deutschen Volkstümlichkeitskleinbürgers sind insofern ein klitzekleines soziales Problem, weil die Sphäre zwischen 'Gut drauf sein' und Amoklaufen ausgesprochen knapp bemessen ist. Denn die Spannung zwischen Aufstiegslust und Abstiegsangst ist offensichtlich nur durch besonders rasche Wechsel von Regression und Aggression abzubauen."

Leben wir alle schon im künftigen Museum...?

"Die Leute von Lech", 1995. Originale Bildunterschrift: "Otto Huber, Küfer, wohnhaft im zukünftigen Heimatmuseum Huberhaus. Heute, 2011, ist das "Huber-Hus" tatsächlich Museum

Samstag, 12. Februar 2011

Neue Leitung für das Vorarlberger Landesmuseum. Andreas Rudigier geht vom Heimatmuseum Schruns nach Bregenz.

Andreas Rudigier wird neuer Leiter des Vorarlberger Landesmuseums. Rudigier hat das Heimatmuseum in Schruns geleitet, dessen tiefgreifende Erneuerung er betrieben hat. Bei dieser Gelegenheit, wir haben in einem größeren Team an der Neukonzeption zusammengearbeitet, habe ich ihn als einen unglaublich zum 'Netzwerken' begabten Leiter kennengelernt, der Projekte in höchst unterschiedlichen Größenordnungen und mit verschiedensten Themen auf die Beine stellte, von der kleinen lokalen Initiative bis zum Forschungsnetzwerk in EU-Dimensionen. Rudigier ist leidenschaftlicher Wissenschafter, Archivar, "Ausgräber" und "Entdecker" und versteht es geschickt, Leute zusammenzubringen und Communities zu unterstützen.
Das war einer der interessantesten Qualitäten des Museums, seine Einbettung in einen großen Kreis von Personen, die sich mit vielfältigen Anliegen, Ideen, Projekten um das Museum herum organisierten. Ich habe kaum wo in Österreich ein  Museum angetroffen, das derart von einer Community getragen, benutzt und beansprucht wurde.
Andreas Rudigier an einem seiner Lieblingsorte - dem Museumsarchiv
Für das Schrunser Museum ergab sich eine bauliche Erweiterung, die mit einem geladenen Wettbewerb Gestalt angenommen hatte. Der entschieden zeitgenössische Eingriff in den Ortskern wurde nicht ganz unerwartet zum Stein des Anstosses, mit den üblichen Fronten. Die Auseinandersetzung bremste die Entwicklung erheblich und zuletzt war unklar, ob das Projekt überhaupt realisiert werden kann.
Wir hatten, die wir an dem Projekt beteiligt waren, alle den Ehrgeiz ein neuartiges Modell eines Heimatmuseums zu realisieren und das ungewöhnliche politische Umfeld mit dem regional bedeutsamen 'Montafoner Stand' schien günstig, günstig auch für die Vernetzung des Museums mit weiteren, kleineren Häusern und vielen Denkmalorten.
Es wäre sehr schade, wenn diese Entwicklung zum Stillstand käme, egal ob wegen des Widerstandes gegen die architektonische Intervention oder des Abgangs von Andreas Rudigier. Vorarlberg, das schon einige bemerkenswerte Museen hat, hätte ein weiteres bekommen, das überregional auch als Modell für andere kleine, dörfliche Museen hätte fungieren können.
Für ein Landesmuseum mit seiner typischen Mischung aus Archäologie, Kunst, Geschichte, Volkskultur  uam. ist Rudigier mit seiner Ausbildung als Historiker und Kunsthistoriker und seiner unglaublichen Denkmalkenntnis und den zahllosen Forschungsprojekten, die er mitbringt, eine ideale Besetzung.
Die Herausforderung liegt womöglich in der unvermeidlichen Positionierung des Landesmuseums in Relation zu anderen, zum Teil weit größeren, mit ihrem "Relaunch" bereits fast fertigen Landesmuseen, in einer zumindest im weiteren regionalem Umfeld 'internationalen' Profilierung, die für Vorarlberger Museen eher eine 'Westorientierung' ist, also der Wahrnehmung der 'Grenzlage' zu Deutschland und zur Schweiz, und, das hofft doch wohl jeder (politische) Auftraggeber, mit einem Mehrwert an internationaler Attraktivität. Die beiden äußersten Pole dieses Orientierungsfeldes sind die Beschränkung (und Beschränktheit) eines Landesgroßheimatmuseums einerseits und der marketinggestützte Erlebnis- und Eventhype mit Tourismusrentabilität samt Ideologiemascherl Unser Vorarlberg andrerseits.
Es gibt aber wunderbare Beispiel dafür, wie man sich zwischen lokaler Selbstgenügsamkeit und virtuellen Größenphantasien halten kann, wie es Museen mit ähnlicher Ressourcensituation (qualitativ und quantitativ ziemlich begrenzte Sammlung; relativ kleiner Museumsstab, relativ enges thematisches Spektrum, das mit der Sammlung bespielbar wäre...) gelingt, sich mit thematischer und museologischer Intelligenz eine Haltung, eine institutionelle Identität erarbeiten, die dann auch mit breiter Aufmerksamkeit und produktiver Reaktion belohnt wird.
Schön, daß jetzt ein weiteres Museum interessant werden wird.
Rendering des Naubaues des Vorarlberger Landesmuseums

Montag, 13. September 2010

Spurenlese

Das eine Beispiel stammt aus dem Museum Allerheiligen in Schaffhausen, 
das andere aus dem Rosgartenmuseum in Konstanz.
Beidemale werden die Objekte wie alle anderen Objekte gezeigt, ohne eine besondere Akzentuierung. Dabei scheinen sie mir mehrfach übercodiert. Zunächst mal als Dokumente demokratischer Bekenntnisse und Hoffnungen - dazu gibt es in einschlägigen Musenn in der Regel nicht so viel zu sehen. Dann aber durch den Umstand, daß in beiden Fällen dieses Bekenntnis, verheimlicht, versteckt wurde (übrigens zweimal 'auf dem Dach....'). 
Es sind Zeugnisse der Unterdrückung und der unterdrückten Hoffnungen.
Aber in beiden Fällen ist es auch Flaschenpost (die eine noch dazu in Blei gehüllt, unzerstörbar sollte sie sein)), eine Botschaft an die Zukunft, an künftige Generationen, die Hoffnung, die sich aktuell nicht verwirklichen läßt, dereinst einzulösen.
Museen sind Spezialisten für solche Botschaften - sie nehmen nur diese Aufgabe selten an oder übersehen sie. Das Uneingelöste individuellen Lebens und kollektiver Wünsche geistert entweder weiter unerlöst in den Museumsräumen - oder man gibt ihnen einen entschiedeneren Platz - im buchstäblichen wie metaphorischen Sinn - als das hier geschieht.
An der Dialektik von bloßem Aufbewahren einerseits und Weitergeben einer Botschaft, einer Hoffnung, eines Begehrens entscheidet sich die soziale Sinnhaftigkeit des Museums.

Anschauung / Geschichtserfahrung / Heimat

Für den Schulunterricht bestimmtes Relief Kärntens. Handwerksmuseum Baldramsdorf
In Leutkirch gibt es ein normales Heimatmuseum mit ein bißchen Stadtgeschichte, Zunftgeschichte, Handwerksgeschichte, einigen Uhren und Webstühlen, Spinnrädern und Bauernschränken, die die Räume füllen und die einem fremden Besucher aus Tübingen nicht unbedingt die Augen öffnen. Im Vorraum steht ein Landschaftsmodell, wohl aus Gips gefertigt, das so tut, als sei die naturräumliche Gliederung im Zeitalter der Raketen und des Kunstdüngers noch immer von wesentlichem Belang. Dieses Modell zeigt Leutkirch wahrend der Eiszeit. Das vom Staub schon etwas grau gewordene Packeis liegt auf der oberschwäbischen Kleinstadt wie ein meterdicker Panzer, der sichtbar jedes Leben erfriert. Die alte Dame, die das Museum betreut, nutzte jedoch dann die Möglichkeit, durch einen einfachen Mechanismus das ganze Eis auf einen Schlag - bildlich gesprochen - abzutauen, und nur noch zwei winzige Ösen erinnerten nach diesem schöpfungsähnlichen Eingriff an die einstige Kälte; das Gipseis verschwand unter dem Modell, oben grünten die Weiden und fand die Argen ihr geschwungenes Bett, so einladend, daß die Vorfahren der Leutkircher natürlich hier und an keinem anderen Ort ihre Zelte - oder was immer sie hatten - aufschlagen mußten.
Auf der Glasplatte der Vitrine liegt ein Artikel zum Geoplasten P. Oberlercher
 Seitdem ist für mich diese Handlung identisch mit longue duree, ich habe das zwar bei Fernand Braudel auch verstanden, aber daß eine historische Theorie ein Bild finden kann, das als Metapher für große historische Prozesse und insgeheim sogar für metaphysische Eingriffe steht, das verdanke ich dieser Frau .
Es ist also eine Anekdote, die mich lehrte, daß natürlich mein historisches Wissen sehr viel mehr Anekdotisches als Plötzgenaues enthält und daß es neben der historischen Theorie einen zweiten Strang gibt, der die Daten untergründig zusammenhält und der, obwohl er keinen Anspruch auf wissenschaftliche Rationalität erheben darf, für mich nicht weniger Halt gibt als der öffentlich abgesicherte, den ich in Büchern lerne und in den Seminaren lehre: es ist die Fähigkeit der Sinne und Gefühle, solche Dinge festzuhalten und miteinander zu verbinden, die nach den Regeln der Kausalität nicht immer zusammen gehören, sondern sich eher wie Fontanes Stechlin durch tiefe dunkle Röhrensysteme miteinander austauschen.

Text von Utz Jeggle: Subjektive Heimat - objektive Musealität. Zum Verhältnis von subjektiver Erlebnisfähigkeit und objektiven Ereignissen, Heimat im Museum, Koblenz 1984, S.11ff.  

Sonntag, 14. März 2010

Ein "anderes" Heimatmuseum: Landeck



Heimatmuseen sind beliebt und haben eine schlechte Presse. Was an ihnen kritisiert wird, wird selten zur Grundlage neuer Konzepte. Um so größeres Interesse verdient ein Museum, das sich programmatisch selbst als ein ‚etwas anderes Heimatmuseum’ bezeichnet – das Museum in der Burg von Landeck.
Von so vielen anderen lokalen Museen unterscheidet es sich dadurch, daß es ein einziges Thema zum Leitfaden der Ausstellung macht: die für den Raum Landeck seit Jahrhunderten prägende und meist durch Not erzwungene Emigration.
So erfahren wir hier etwas über die „Schwabenkinder“, Kinder, die von ihren Familien aus wirtschaftlicher Not getrennt wurden und hunderte Kilometer nach Norden wanderten, um als unbezahlte Arbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt zu werden. Die unter anderem durch Naturalteilung von Hof und Grund schwindende Existenzgrundlage zwang viele auf Dauer auszuwandern, z.B. in das – oft nur scheinbar – glücksverheißende Amerika, oder nach Peru, das als exotischer Exilort ausführlich thematisiert wird.
Die Erläuterungen zum ‚Schlepperunwesen’ des 19. Jahrhunderts, der organisierten Ausbeutung und Irreführung von Auswanderern, belehrt uns über bis heute andauernde Kontinuitäten im Umgang mit Exilierten.
Besonders sorgfältig werden die „Jenischen“ vorgestellt: Wer Hab und Gut verlor und nicht irgendwohin auswandern wollte oder konnte, verdingte sich als umherziehender Händler, Taglöhner oder Handwerker. Diese heterogene Gruppe depravierter Menschen bildete über eine eigene Sprache so etwas wie Gruppenidentität aus. Das Museum dokumentiert Leben und Sprache der Jenischen in Form eines umfangreichen, in die Ausstellung integrierten und daher jederzeit zugänglichen Archivs, wo man auch als Besucher selbst vertiefende Informationen abrufen kann.
Mit diesem ‚lebenden Archiv’, den Angeboten für Kinder, die viele sichtbare Anreize und Spuren im Museum vorfinden, den interaktiven Stationen, erweckt das Museum zusammen mit der Sammlung einen dem Besucher ‚entgegenkommenden’ Eindruck. Die für all diese Funktionen nötigen Objekte, Texte, Installationen, Geräte und Hilfsmittel verleihen allerdings vielen – ohnehin nicht großen - Räumen etwas Zerfransendes, Unruhiges, bunt Zusammengestelltes. Das Nebeneinander von modernem Design, beeindruckender 3D-Computeranimation, selbstgebastelter mechanischer Krippe, alten Mauern und Fresken, gekonnt programmierten Displays und last but not least, dem, was ein Heimatmuseum eben auszeichnet, Geräten, Geschirr, Werkzeugen, Möbeln, Kleidern usw. ist manchmal zu dicht.
Dazu kommt, daß um das zentrale Thema andere gruppiert werden, wie etwa Zünfte, Gerichtsbarkeit, Religiosität, frühe Industrialisierung, NS-Zeit, so daß das Hauptthema, ohnehin nur fragmentiert erzählbar, auch räumlich fragmentiert präsentiert werden muss. Diese Fragmentierung wird von der labyrinthischen Struktur des Gebäudes verstärkt, gegen die auch das ambitionierte Leitsystem kaum etwas auszurichten vermag.
Macht aber nichts!, fand ich bei meinem Besuch, ich verirre mich gerne und lasse mich überraschen: als ich alles erschöpfend zu sehen geglaubt hatte und den Ausgang suchte, entdeckte ich noch einen Raum. Und dann noch einen, nicht gerade den unwichtigsten, nämlich den mit den ‚kostbarsten’ Objekten, mittelalterlichen Spielkarten, den ältesten des Deutschen Sprachraumes.
Beinahe übersehen hätte ich auch eine kleine ‚Installation’ im Bereich der Treppe, die die wichtige Verknüpfung des zentralen Themas mit der Gegenwart von Stadt und Region leisten soll. In einem Kistchen liegen zur freien Entnahme ‚Ansichts’-Karten auf, grafisch anspruchsvoll gemacht und - die in Österreich der 20er-Jahre erfundene - Methode der Bildstatistik originell nutzend. Hier erfährt man über diverse Statistiken etwas zur Situation von Landeck, seine Bevölkerung, seine Wirtschaft und die immer noch andauernden Probleme einer 'strukturschwachen' Region.
Warum man sich entschlossen hat, ausgerechnet diese wichtige Verknüpfung von Geschichte und Gegenwart nicht in die räumlich-gestalterische Kohärenz des Museums aufzunehmen? Vielleicht wegen der unanschaulichen Abstraktheit heutiger ökonomischer und sozialer Strukturen?
Auch an anderen wichtigen Themen müssen Grafiken, Statistiken und Tabellen herhalten. Die Auswanderung der Schwabenkinder wird anhand einer Statistik veranschaulicht, die als ein Höhenweg über zackige Bergkämme gestaltet ist, der die physische Anstrengung veranschaulichen soll. Die Emigration nach Peru wird von einem Namensverzeichnis der Auswanderer einbegleitet, das so dicht wie auch kaum leserlich aber mit ihrer Botschaft, daß es 'sehr viele' waren, das Ausmaß der Auswanderung zu verdeutlicht.
Mein größter Einwand gilt diesem Scheitern der Visualisierung des Themas. Es gibt viele Informationen, aber als Text und Statistik. Auch die bewährten und sinnvollen Kurzbiografien sind vor allem: Text. Gewiss war es schwierig, ein Thema, das in der überlieferten Sammlung wahrscheinlich kaum repräsentiert war und das viele unanschauliche Aspekte enthält, mit visuellen Mitteln zu kommunizieren. An ein paar Stellen ist das gelungen. Etwas konventionell mit der Aufteilung eines ganzen Ausstellungsraumes in Felder mit Hilfe von Klebebändern, die die Naturalteilung veranschaulicht. Die ‚Grenzstreifen’ gehen mitten durch einen Tisch und durch einen – zweigeteilten – Teller.
Überzeugender der Umgang mit einem – in einschlägigen Museen so beliebten – ‚authentischen’ Interieur einer bäuerlichen Stube. Alles scheint so zu sein ‚wie es immer war’ (ein erwünschter aber täuschender Effekt solcher zumeist hochfiktionalen Environments). Wir betreten die 'gute Stube', als wäre sie von ihren Benutzern eben verlassen worden. Aber die Aussicht aus den zwei Fenstern, die hat man auf einen peruanischen Urwald. Das ist mehr als ein überraschender Gag. Das ist ein kleiner Schock, eine Irritation, über die deutlich wird, daß die Auswanderer ihre gewohnte Welt mit sich nahmen und auch in noch so ferner und exotischer Umgebung an ihr, so weit es möglich war, festhielten. In Zeiten, in denen wir Immigranten weitestgehende Integration und Anpassung abverlangen, erteilt uns der kleine visuelle Kunstgriff eine Lehre und wirft ein Blitzlicht auf ein großes gesellschaftspolitisches Gegenwartsthema.
Das weitgehende Fehlen solcher visueller Argumentationen hat zur Folge, daß das Museum in großen Teilen auf den ersten Blick nicht anders aussieht, als die meisten derartigen Museen. Auch hier findet man – manchmal buchstäblich – zuhauf die ‚üblichen Verdächtigen’ des Reliktfundus der Heimatmuseen. Meist brechen erst Texte (Zitate, Objektbeschriftungen, Computertexte oder Texttafeln) das vertraute Museumsmilieu auf. Das aber nicht immer.
Religion wird mit dichtem Objektarrangement und dichter Objektbetextung, aber ohne jede analytische Distanz vorgeführt – es sei denn, man ist bereit, die Nachbarschaft grimmiger Masken mit der in nazarenischen Unschuldsschlaf gefallenen Heiligen Rosalie von Palermo als bewusste Entscheidung der Ausstellungsmacher und als ironische Brechung zu lesen. Bei der Darstellung der ‚wehrhaften’ Seite Tirols, des Schützenwesens und des Jahres 1809, darf man schon dankbar sein, daß auf allzu pathetisch Rhetorik verzichtet wurde, wenngleich das Objektarrangement von Waffen und Gekreuzigtem den traditionellen Patriotismus wie eh und je bedient.
Der Versuch, in der Burg Landeck ein „etwas anderes Heimatmuseum“ zu errichten und ein tief in unsere Gegenwart hereinwirkendes Thema aufzugreifen verdient Respekt. Meine Kritik richtet sich nicht gegen die anerkennenswerte Ambition. Ich denke aber, dass das Museum ein Beispiel für die Schwierigkeit ist, die besonderen Möglichkeiten des Museums als hybriden Medium gerecht zu werden, das nur im durchdachten Zusammenspiel von architektonischem und sozialem Raum, Exponaten, Zeigemöbeln, Wegführung, Texten uvam. sowie dem flanierenden Besucher glücken kann. Was an manchen Stellen geglückt ist, ist ebenso ermutigend, wie die für ein derartiges Museum ungewöhnliche, sowohl aktuelle als auch sozialpolitisch wichtige Fragestellung.