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Sonntag, 7. Oktober 2018

Der Mut der Anderen. Sorge um die Demokratie

Veröffentlicht am 3. Oktober 2018
Die deutsche Geschichtswissenschaft ist geprägt von großer Stimmenvielfalt und einer Zurückhaltung hinsichtlich politischer Statements. In den letzten Jahren äußern sich jedoch zunehmend HistorikerInnen im Rahmen gesellschaftlicher Debatten, die aus ihrer Sicht Gefahr laufen, zu ideologischen Irrläufern zu werden und damit historisches Wissen zu verfälschen, zu negieren oder für politische Meinungsmache zu nutzen.
Die Diskussionen auf der Mitgliederversammlung des Verbandes der Historiker und Historikerinnen (VHD) Deutschlands auf dem 52. Deutschen Historikertag in Münster zeigten, dass es neben der Stimmenvielfalt eine übergroße Einigkeit gab im Willen, sich zur derzeitigen gesellschaftspolitischen Lage im Land zu äußern.
Im Folgenden finden Sie den Text der Resolution, über die in der Mitgliederversammlung des VHD am 27. September abgestimmt wurde und die mit großer Mehrheit von den Anwesenden angenommen worden ist.
A. Schuhmann



Verabschiedet von der Mitgliederversammlung am 27. Sept. 2018 in Münster

In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern bedrohen derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung. Als Historikerinnen und Historiker halten wir es für unsere Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll.
Geschichtswissenschaft hat die Aufgabe, durch die Analyse historischer Entwicklungen auch zur besseren Wahrnehmung von Gegenwartsproblemen beizutragen und die Komplexität ihrer Ursachen herauszuarbeiten. Angesichts einer zunehmend von demoskopischen Stimmungsbildern und einer immer schnelllebigeren Mediendynamik getriebenen Politik möchten wir betonen, dass nur ein Denken in längeren Zeiträumen die Zukunftsfähigkeit unseres politischen Systems auf Dauer gewährleisten kann.
Die folgenden Grundhaltungen des demokratischen Miteinanders in Politik und Gesellschaft halten wir deshalb für unverzichtbar:
Für eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe
Zur politischen Diskussion in der Demokratie gehört eine prägnante Sprache, die die eigene Position auf den Punkt bringt, anderen aber den grundsätzlichen Respekt nicht versagt. Heutige Beschimpfungen von Politikern als „Volksverräter“ oder der Medien als „Lügenpresse“ nehmen die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit wieder auf. Zahlreiche historische Beispiele gibt es auch für die verhängnisvolle Wirkung abwertender Begriffe zur Ausgrenzung vermeintlich „Anderer“ aufgrund ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.
Für parlamentarische Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus
Politische Willensbildung in pluralistischen Demokratien vollzieht sich in öffentlichen Debatten, in denen die Vielfalt politischer Meinungen und sozialer Interessen zum Ausdruck kommt. Ein einheitlicher Volkswille, den dazu Berufene erfassen können, ist dagegen eine Fiktion, die vor allem dem Zweck dient, sich im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen. In der Weimarer Republik ebnete die Idee des „Volkswillens“ einer Bewegung den Weg zur Macht, deren „Führer“ sich als dessen Verkörperung verstand.
Für ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge
Angesichts der zahlreichen gewaltsam ausgetragenen innereuropäischen Konflikte der Vergangenheit ist die europäische Einigung im Zeichen von pluralistischer Demokratie und unantastbaren Menschenrechten eine der wichtigsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Auch wenn die Legitimität unterschiedlicher nationaler Interessen außer Frage steht, gefährden nationalistische Alleingänge diese historische Leistung. Ausschließlich nationale Problemlösungsstrategien können den politischen, humanitären, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen einer globalisierten Gegenwart nicht angemessen begegnen. Nicht zuletzt im Lichte der kolonialen Gewalt, die Europäer in anderen Teilen der Welt ausgeübt haben, gilt es, der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden.
Für Humanität und Recht, gegen die Diskriminierung von Migranten
Migration ist eine historische Konstante. Ungeachtet aller mit ihr verbundenen Probleme hat sie die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert – auch die deutsche. Deshalb ist auf eine aktive, von Pragmatismus getragene Migrations- und Integrationspolitik hinzuarbeiten, die sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht respektiert. Es gilt, das durch die Verfassung garantierte Recht auf politisches Asyl sowie die Pflicht zur Hilfeleistung in humanitären Krisensituationen so anzuwenden, wie es Deutschland nicht nur aufgrund seiner ökonomischen Potenz, sondern auch aus historischen Gründen zukommt.
Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte
Die Bundesrepublik Deutschland ist heute eine stabile Demokratie. Dazu beigetragen hat auch, dass die Deutschen nach anfangs erheblichen Widerständen inzwischen mehrheitlich selbstkritisch und reflektiert mit der Geschichte des Nationalsozialismus umgehen. Diesem Prozess hat sich auch unser eigenes Fach erst spät geöffnet. In jedem Fall setzt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit die Befunde einer auch zur Selbstkritik bereiten Geschichtswissenschaft voraus, die von politischer Einflussnahme prinzipiell unabhängig ist. Ihre Erkenntnisse beruhen auf quellenbasierter Forschung und stellen sich der kritischen Diskussion. Nur so ist es möglich, die historischen Bedingungen unserer Demokratie auch zukünftig im Bewusstsein zu halten und gegen „alternative Fakten“ zu verteidigen.

Montag, 27. August 2018

Otto Hochreiter: Konzept für eine Sonderausstellung des Hauses der Geschichte Österreich zum 100-jährigen Republiksjubiläum

Der Leiter des Grazer Stadtmuseums, Otto Hochreiter, hat mich gebeten, sein Konzept für eine Sonderausstellung des Hauses der Geschichte Österreich aus dem Jahr 2016 im Blog zu veröffentlichen. Otto Hochreiter schreibt dazu in Anschluß unter anderen an die Berichterstattung zum Austritt der Beiratsmitglieder des Hauses der Geschichte Österreich,  Eva Blimlinger (Akademie der Bildenden Künste) und Gerhard Baumgartner (DÖW): "Moniert wurde unter anderem das Fehlen einer schlüssigen Darstellung der zentralen Aussagen und inhaltlichen Positionen der Ausstellung ... Als möglichen Beitrag zu dieser Debatte möchte ich hiermit mein (Bewerbungs-)Konzept für eine Sonderausstellung des Hauses der Geschichte Österreich zum 100-jährigen Republiksjubiläum von Dezember 2016 für interessierte Fachkreise und Medien öffentlich machen. Es kann gerne weitergegeben, referiert, zitiert oder vollständig publiziert werden."

In diesem Sinn komme ich der Bitte nach Veröffentlichung gerne nach. Noch wäre Zeit, eine Debatte zu beginnen.
 
Gottfried Fliedl, 27.8.2018


Otto Hochreiter

Konzept für eine Sonderausstellung des
Hauses der Geschichte Österreich
zum 100-jährigen Republiksjubiläum

I   Die neue Burg
II      Die Hauptausstellung im Mezzanin
III    Decouvrierende Aneignung des Piano nobile
IV     Ideen für eine künftige Bespielung


Vorbemerkung

Das HGÖ ist kein „heroisches Museum“, das eine lineare, ruhmreiche National-Geschichte darstellt, sondern ein postheroisches, somit also ein reflexiv ausgerichtetes Museum. Weniger die Setzung von Werten sollte im Vordergrund stehen, sondern vielmehr das Nachdenken über Werte in ihren historischen Bedingtheiten. Auf Grund des „öffentlichrechtlichen“, wissenschaftlichen Charakters des HGÖ sollte es inhaltlich der Wissenschaft und Aufklärung dienen und nicht den Gesetzen der Event-Kultur folgen, die erinnert, was medial gut präsentierbar ist.

Politische Bildung
Zeitgeschichte ist wesentliche Komponente Politischer Bildung, um Lernende zu politischer Mündigkeit respektive Urteilskraft zu befähigen. Politische Bildung ist also ein aufklärerischer und demokratischer Bereich und darf sich nicht auf eine nationalstaatlich verengte Reflexion beschränken. Im Vorfeld der Entstehung des HGÖ ist vielfach die Unmöglichkeit, heute eine nationale Geschichte zu schreiben, behauptet worden. Ein solcher Vorwurf des Nationalistischen wird die hier vorgelegte Konzeption einer Republikjubiläumsausstellung nicht treffen können. Sie ist zwar patriotisch, aber nur bezogen auf die Verfassung der demokratischen Republik Österreich. Ihr Ziel ist es, einem möglichst breiten Publikum ein motivierendes Angebot zu machen sich mit den Prinzipien und Institutionen des Verfassungsstaates zu identifizieren. Man wird diese Ausstellung also verfassungspatriotisch nennen können.

Verfassungspatriotismus
Verfassungspatriotismus garantiert in einem demokratischen Sozialstaat ein unverzichtbares Maß an Solidarität, Konsens und freiwilliger Partizipation. Diese Form des Patriotismus setzt deshalb auf keinen substanziellen Wertkonsens hinsichtlich des guten oder richtigen Lebens oder fördert gar reaktionäre Formen des Patriotismus – wie z. B. „USA/Polen/Ungarn/Österreich zuerst“.

Vielmehr soll es in dieser Ausstellung um die demokratische Republik Österreich als solche gehen und zeigen: In ihrem Schutz durch den Rechtsstaat, durch Gewaltenteilung, durch die politische Partizipationsmöglichkeiten und das Inklusionsprinzip des Wohlfahrtsstaats ist unsere freie Entfaltung überhaupt möglich. Verfassungspatriotismus ist nicht national eingeschränkt, sondern richtet sich nach Dolf Sternberger an den universalen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aus und betrachtet Verfassung als Produkt einer spezifischen Geschichte des eigenen Staates.

Politische Kultur
Verfassung, politische Beteiligung mussten in der Geschichte erkämpft werden. Der liberale Verfassungsstaat in seiner immerwährenden Fragilität musste und muss verteidigt werden. Die bewegte und bewegende


Geschichte der demokratischen Verfasstheit Österreichs in dieser Ausstellung soll zeigen, wie wichtig Rechtsbindung der geteilten Gewalten, wie wichtig der Grundrechtsschutz und die Ausbalancierung dieser Gewalten sind. Die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und als Rechtsgenossen untereinander bestimmt als eines der zentralen Menschenrechte, Grundrechte, Bürgerrechte maßgeblich die
Republikanische Idee.

Der formelle Rechtsstaatsbegriff wurzelte in dem Glauben an die Unfehlbarkeit von Rousseaus volonté générale. Die Republikjubiläumsausstellung soll jedoch auch bewusst machen, dass die Bindung der Staatstätigkeit an bestimmte Formen und Verfahren noch keine hinreichende Garantie bietet für die Geltung und Durchsetzung des Rechts. Sie soll zeigen, wie entscheidend für das Gelingen von Demokratie die jeweilige politische Kultur ist. Es wäre wohl Auftrag dieser Republikausstellung, zu dieser politischen Kultur positiv beizutragen.

Wien, 8. Dezember 2016

I
DIE NEUE BURG

Die Neue Burg wird derzeit nur eingeschränkt als Museumsgebäude wahrgenommen, obgleich mehrere sehr bedeutende Schausammlungen des KHM dort zu sehen sind:

  • Ephesos Museum
  • Sammlung alter Musikinstrumente
  • Hofjagd- und Rüstkammer
  • Weltmuseum

Ein HGÖ als quasi feindliches Einliegermuseum in diesem Konglomerat von Museen anzusiedeln, wäre wenig erfolgversprechend. Es bietet sich aber im Gegenteil die Gelegenheit, mit dem Ende 2017 eröffnenden Weltmuseum gemeinsam zu den Zugpferden eines derzeit eher beschaulichen Museumsangebots zu werden.

Die Neue Burg mit ihren dann fünf Museen mit jeweils scharfem Eigenprofil soll mit der Eröffnung der ersten Sonderausstellung des HGÖ am 4. Oktober 2018 (Laufzeit bis 26. Oktober 2019) zu einer starken Museumsmarke werden. Gerade das HGÖ sollte ab Ende 2018 nicht nur in guter Nachbarschaft mit den anderen Museen des

KHM agieren, sondern aktiv durch räumliche, inhaltliche und außenkommunikative Verknüpfungen mit allen vier Museen die Attraktivität des Gesamtlabels DIE NEUE BURG erhöhen. Jedenfalls sollte davon abgesehen werden, das Weltmuseum und die Hofjagd- und Rüstkammer ausschließlich über den Eingang im Corps de Logis und umgekehrt das HGÖ, das Ephesos-Museum und die Musikinstrumente-Sammlung nur über den zentralen (ÖNB-)Eingang zugänglich zu machen.

Die unter dem Label DIE NEUE BURG zusammengefassten fünf Museen sollen nach der Eröffnung der Republiksjubiläum-Ausstellung als ebenso attraktives Museumsangebot wie Museumsquartier, KHM und NHM wahrgenommen werden. Es war einer von Sempers Grundgedanken, dass die Seitenflügel seines Kaiserforums „in ihrer architektonischen Gliederung an die Kolonnade der Ost-Fassade des Louvre gemahnen(d)1 sollten. – Ein gemeinsames Ticket für alle Museen der NEUEN BURG sollte jedenfalls angeboten werden.

1 Zit. nach Renate Wagner-Rieger: Wiens Architektur
im 19. Jahrhundert, Wien, 1970, S. 25

II
Die Hauptausstellung im Mezzanin

Am 12. November 1918 wurde die Republik Deutsch-Österreich ausgerufen. Die gesetzliche Grundlage der dann Österreich genannten Republik war letztlich das Bundes-Verfassungsgesetz vom Oktober 1920, welches normierte:

„Artikel 1. Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.

Artikel 2. (1) Österreich ist ein Bundesstaat.“

„Artikel 7. (1) Alle Bundesbürger (heute: Staatsbürger) sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“

Aus diesen Normen leiten sich bis heute die demokratischen, republikanischen, bundesstaatlichen und rechtsstaatlichen Grundprinzipien der Bundesverfassung ab. Diese sowie die oben in Verbindung mit dem Gleichheitsgrundsatz zitierten Begriffe bilden als „Wertehimmel der Demokratie“ die Grundidee, die inhaltliche Klammer und den Kern des Vermittlungsinteresses der hier skizzierten Sonderausstellung zum hundertjährigen Republiksjubiläum. Es gilt ja nicht die Dauerausstellung des HGÖ zu konzipieren, sondern eine Sonderausstellung zur 100. Wiederkehr der Gründung der demokratischen Republik Österreich.

Um das Bestehen der Institution „demokratische Republik“ und jene Kräfte, die zu ihrem Entstehen und zu ihrem Erhalt beigetragen haben, entsprechend zu würdigen, wird für den Hauptteil im Mezzanin eine Konzeption vorgeschlagen, die sich an diesen vier essentiellen Sätzen des Bundesverfassungs-Gesetzes orientiert. Neben dem Begriff „Österreich“ werden so die Grundprinzipien der Bundesverfassung sowie der Gleichheitsgrundsatz bezogen auf Geschlecht, Bekenntnis sowie Stand und Klasse zu den Themen der sechs großen Ausstellungssäle. Innerhalb dieser Themensäle kann die diesbezügliche Entwicklung jeweils so weit in die Geschichte Österreichs zurückverfolgt werden, wie es für eine schlüssige Darstellung erforderlich scheint.

Dem Publikum, aber auch den Virtual-Visitors über elektronische und Massenmedien, soll – nicht zuletzt auch durch die Negation der demokratischen Republik in ihrer Unterbrechung 1933 bis 1945 – die Bedeutung einer demokratisch-republikanischen Grundordnung deutlich gemacht werden. Gefeiert werden, im Sinne politischer Bildung, die Institution demokratische Republik und weniger die Zeitläufe seit dem Ende des Ersten Weltkriegs.


A ÖSTERREICH ist eine demokratische REPUBLIK.“
B „Ihr (der Republik) RECHT geht vom VOLK aus.“ „Alle Bundesbürger (heute: Staatsbürger) sind VOR DEM GESETZ GLEICH.“
C „Österreich ist ein BUNDESSTAAT.“
D „Vorrechte des GESCHLECHTs sind ausgeschlossen.“
E „Vorrechte der GEBURT, des STANDes und der KLASSE sind ausgeschlossen.“
F „Vorrechte des BEKENNTNISses sind ausgeschlossen.“






A  ÖSTERREICH ist eine demokratische REPUBLIK.“

Mittelraum
Ausrufung der demokratischen Republik Deutschösterreich durch Provisorische Nationalversammlung am 12. November 1918


Seitenraum links
Was heißt hier „Österreich“?

  • „Monarchia Austriaca“ im Hl. Römischen Reich
  • Österreichisches Kaiserreich ab 1804
  • „Ostmark“ 1938–1945
  • etc. etc. etc.
  •  

Seitenraum rechts
Von der Monarchie zur Republik

  • Leopolds Großherzogtum Toskana
  • Kossuth gründet 1849
  • ungarische Republik
  • Republik Österreich im europäischen Vergleich
  • etc. etc. etc.




B  „Ihr (der Republik) RECHT geht vom VOLK aus.“
„Alle Bundesbürger (heute: Staatsbürger) sind VOR DEM GESETZ GLEICH.“


Decke
Wertehimmel der Demokratie im Gemäldefeld


Mittelraum
Verfassung und Rechtsstaatlichkeit
  • Oktroyierte Verfassung 1849
  • Neoabsolutismus
  • Staatsgrundgesetz mit Grundrechtekatalog
  • Bundesverfassungsgesetz Wiedervereinigung mit Deutschem Reich 1938
  • Damit Entrechtung jüdischer BürgerInnen
  • etc. etc. etc.
  •  

Seitenraum links
Demokratie
  • Jakobinerprozesse unter Franz II.
  • Bundesverfassungsgesetz 1920
  • „Selbstausschaltung“ des Parlaments 1933
  • etc. etc. etc.
  •  

Seitenraum rechts
Gleichheit
  • „Steuerrektifikation“ gegen Adel und Klerus
  • Mai-Revolution 1848
  • Wahlreform Beck: Allgemeines, gleiches, direktes und geheimes (Männer-)Wahlrecht 1906/07
  • etc. etc. etc.





C  „Österreich ist ein BUNDESSTAAT.“


Vor 1918
  • Maria-Theresias Zentralstaat versus Erbländer
  • Föderalistisches Oktoberpatent zurück zu landständischer Verfassung 1860
  • Kuriensystem auf Länderebene
  • etc. etc. etc.

Die Geschichte der Bundesländer im 20. Jahrhundert




D  „Vorrechte des GESCHLECHTs sind ausgeschlossen.“


Vor 1918
  • Kämpferinnen bei der Revolution 1848
  • Wöchnerinnen-Schutz 1885–1888
  • Erster internationaler Frauentag 1911
  • etc. etc. etc.

1. Republik
  • Aufhebung des Vereinsverbotes 1918
  • Aktives und passives Frauenwahlrecht 1918
  • Forderung nach Straffreiheit bei Fristenlösung
  • etc. etc. etc.

Negation
  • Verlust des passiven Wahlrechts
  • Verbot der Frauenorganisationen der Parteien 1933
  • Frauenarbeit Rüstungsindustrie ab 1939
  • etc. etc. etc.

2. Republik
  • Autonome Frauenbewegungen 1970er
  • Sexualstrafrechtsreform 1989
  • Frauenvolksbegehren 1997
  • etc. etc. etc.




E  „Vorrechte der GEBURT, des STANDes und der KLASSE sind ausgeschlossen.“


Vor 1918
  • Ende Leibeigenschaft 1781
  • Kurien- und Zensuswahlrecht
  • Hainfelder Parteitag der Sozialdemokraten 1888/89
  • etc. etc. etc.

1. Republik
  • Adelsaufhebungsgesetz 1919
  • Sozialgesetze 1919/20
  • Weltwirtschaftskrise 1929
  • etc. etc. etc.

Negation
  • „Arisierung“ jüdischer Besitztümer
  • Reichsverordnung über ausländische Arbeitskräfte 1941
  • „Euthanasie“ bei kranken Kindern ab 1939
  • etc. etc. etc.

2. Republik
  • Raab-Olah-Abkommen (Gastarbeiter) 1961
  • Ausländervolksbegehren 1993
  • Debatten und Aktionen zu Bettelverboten
  • etc. etc. etc.



  
F „Vorrechte des BEKENNTNISses sind ausgeschlossen.“


Vor 1918
  • Toleranzpatent Kaiser Josephs II. 1781
  • Kampf der Liberalen gegen Kirche (Ehegerichtsbarkeit, staatliche Schulaufsicht) 1868
  • Antisemit Karl Lueger Wiener Bürgermeister 1897–1910
  • etc. etc. etc.

1. Republik
  • Islamischer Kulturbund
  • Siegfriedkopf“ in der Aula der Universität 1923
  • Gleichspach’sche Studentenordnung 1930
  • etc. etc. etc.

Negation
  • „Feierliche Erklärung“ der Kirchen zum „Anschluss“ 1938
  • Deportationen jüdischer BürgerInnen nach Osten ab 1941
  • etc. etc. etc.

2. Republik
  • Fall Borodajkewycz 1965
  • Erster islamischer Religionsunterricht 1982/83
  • Kunstrückgabegesetz 1998
  • etc. etc. etc.






III
Decouvrierende Aneignung des Piano nobile


Das Stiegenhaus zum ersten Obergeschoss, dem Piano nobile der Neuen Burg, das Stiegenplateau der Jagdgalerie vor der Portalterrasse (alias „Hitler-Balkon“) und diese Portalterrasse selbst eignen sich hervorragend für eine zeitgenössische demokratische, republikanische Aneignung einer Torso gebliebenen Machtarchitektur, deren Innenausbau erst 1920 bis 1926 (!) beendet wurde. Das grandios gescheiterte Semper-Hasenauer’sche Projekt kann ja auch metaphorisch für den Gesamtzustand der späten Habsburger-Monarchie stehen. So wenig diese nostalgisch zu verklären ist, so absurd wäre es, den besonderen Geschichtsort Hofburgareal auf „Hitler am Heldenplatz“ zu reduzieren.

Der decouvrierende Grundgestus aller Interventionen im Piano nobile sollte bewusst niederschwellig, spielerisch-interaktiv sein, quasi eine Erholung nach der staatsbürgerlichen „Belehrung“ im Mezzanin. Vor allem sollte jede dämonisierende Fokussierung auf Hitlers Heldenplatz-Auftritt tunlichst vermieden werden, weil sie bei aller kritischer Distanzierung letztlich die NS-Propaganda ins Heute verlängern könnte.

Statt des aktuell am Plateau stehenden Klavierflügelrahmens könnte es beispielsweise eine „Demokratie-Maschine“ geben, auf der „Hebel umgelegt“ werden können zum autoritären oder diktatorischen Staat.

Die zwei Stiegenhaus-Augen am Rand des Plateaus könnten mit zwei doppelbödigen „Geschichts-Paternostern“ gefüllt werden. In ihnen würden jene Figuren auf- und niederfahren, welche die Oberfläche der Ersten und Zweiten Republik abgeben. Die Leerstellen der nach Kriegsbeschädigungen freigebliebenen Gemäldefelder über den Stiegen am linken, hofburgseitigen Flügel könnten als Gegenstück zum rechtsseitigen Herrscherlob mit einer „Galerie der Demokratie“ gefüllt werden. Statt weiterhin fasziniert vom Heldenplatz aus auf den „Hitler-Balkon“ zu schauen, wird eine Blickumkehrung vorgeschlagen. Im Sinne der erwähnten demokratisch-entspannten Aneignung stehen die BesucherInnen nun auf der Terrasse (die alles nur kein Balkon ist) und nutzen sie als wunderbaren Aussichtspunkt. Der Mehrwert ihres Panoramablicks besteht in heutigen fotografischen Darstellungen der Gebäude, die in Texten auf ihre historische Essenz befragt werden. Die ominöse Terrasse selbst ist Teil dieser kritischen Betrachtung.

Bei der Brüstung könnte diese „Politische Physiognomie“ des Hofburgareals in Form von Fototafeln, welche die politische Geschichte der Gebäude(-teile) fokussieren, angebracht werden. Die Rückseiten der Tafeln „winken“ zugleich den Passanten am Heldenplatz zu als Ankündigung des HGÖ oder des Labels DIE NEUE BURG.




 
Politische Physiognomie

D    Neue Burg („Anschluss“)
I     Winterreitschule (Reichstag)
E    Hofburg/Ballhaus (Autoritärer Ständestaat)

N    Votivkirche (Attentat Franz Joseph)
E    Universität (Antisemitismus, Nationalsozialismus)
U    Parlament (Reichsrat, Februarpatent 1861)
E    Äußeres Burgtor („Heldentor“)

B    Justizpalast (Julirevolte 1927)
U    Kunsthistorisches und Naturhistorisches Museum (Kaiserforum)
R    Hofstallgebäude/Messepalast (Besatzungszeit)
G   Gefechtsturm Stiftskaserne (Zweiter Weltkrieg)



IV
Ideen für eine künftige Bespielung



Die oben skizzierte erste Sonderausstellung des HGÖ läuft vom 4. Oktober 2018 bis 26. Oktober 2019. Die zweite Sonderausstellung des HGÖ in der mit dem Weltmuseumneu positionierten NEUEN BURG könnte dann im März 2020 eröffnet werden und bis November laufen. Bis zur Eröffnungdes eigentlichen Hauses der Geschichte (am Heldenplatz) könnte der Rhythmus von Jahresausstellungen März bis November beibehalten werden.

Als mögliche Themen könnten dem Wissenschaftlichen Beirat des HGÖ vorgeschlagen werden:

LAND DER BERGE, LAND DER STÄDTE.
Das Verhältnis von urbanen und ländlichen Räumen und Menschen bis zur Gegenwart

MEINLMOHR UND SERRAILENTFÜHRUNG.
Eine Kulturgeschichte der Kontakte Österreichs mit dem „Orient“ (mit Ephesos-Museum)

WO DIE GÖTTER ZU HAUSE SIND.
Gelebte und gebaute religiöse Vielfalt in Österreich

DAS NEUTRALE ÖSTERREICH UND SEINE WAFFEN
(mit Hofjagd- und Rüstkammer)

AUGUST LOEHRS „MUSEUM ÖSTERREICHISCHER KULTUR“ REVISITED.


LIEBE LIEBER UNGEWÖHNLICH.
Eine Geschichte der subversiven Geschlechterrollen

EINEM STARKEN HERZEN GLEICH2 Oder:
DER WANGENROTE JÜNGLING3.
Eine Geschichte von Österreich und Europa (mit Musikinstrumente-Sammlung)

DIE KUNST DER ANPASSUNG.
Österreichische KünstlerInnen im Nationalsozialismus zwischen Tradition und Propaganda

JÄGER, SAMMLER, THRONFOLGER.
Franz Ferdinand, der Bauherr der Neuen Burg (mit Weltmuseum)


2 „Heiß umfehdet, wild umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten einem starken Herzen gleich. Hast seit frühen Ahnentagen hoher Sendung Last getragen, vielgeprüftes Österreich. Vielgeprüftes Österreich.“ 2. Strophe der Österr. Bundeshymne

3 Grillparzers Lob auf Österreich: „O gutes Land! O Vaterland! Inmitten dem Kind Italien und dem Manne Deutschland, liegst du, der wangenrote Jüngling, da: Erhalte Gott dir deinen Jugendsinn Und mache gut, was andere verdarben.“



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