National Museum of American History |
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Freitag, 18. Oktober 2019
Samstag, 13. Oktober 2018
Sonntag, 7. Oktober 2018
Der Mut der Anderen. Sorge um die Demokratie
Veröffentlicht am 3. Oktober 2018
Die deutsche Geschichtswissenschaft ist geprägt von großer Stimmenvielfalt und einer Zurückhaltung hinsichtlich politischer Statements. In den letzten Jahren äußern sich jedoch zunehmend HistorikerInnen im Rahmen gesellschaftlicher Debatten, die aus ihrer Sicht Gefahr laufen, zu ideologischen Irrläufern zu werden und damit historisches Wissen zu verfälschen, zu negieren oder für politische Meinungsmache zu nutzen.
Die Diskussionen auf der Mitgliederversammlung des Verbandes der Historiker und Historikerinnen (VHD) Deutschlands auf dem 52. Deutschen Historikertag in Münster zeigten, dass es neben der Stimmenvielfalt eine übergroße Einigkeit gab im Willen, sich zur derzeitigen gesellschaftspolitischen Lage im Land zu äußern.
Im Folgenden finden Sie den Text der Resolution, über die in der Mitgliederversammlung des VHD am 27. September abgestimmt wurde und die mit großer Mehrheit von den Anwesenden angenommen worden ist.
A. Schuhmann
Verabschiedet von der Mitgliederversammlung am 27. Sept. 2018 in Münster
In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern bedrohen derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung. Als Historikerinnen und Historiker halten wir es für unsere Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll.
Geschichtswissenschaft hat die Aufgabe, durch die Analyse historischer Entwicklungen auch zur besseren Wahrnehmung von Gegenwartsproblemen beizutragen und die Komplexität ihrer Ursachen herauszuarbeiten. Angesichts einer zunehmend von demoskopischen Stimmungsbildern und einer immer schnelllebigeren Mediendynamik getriebenen Politik möchten wir betonen, dass nur ein Denken in längeren Zeiträumen die Zukunftsfähigkeit unseres politischen Systems auf Dauer gewährleisten kann.
Die folgenden Grundhaltungen des demokratischen Miteinanders in Politik und Gesellschaft halten wir deshalb für unverzichtbar:
Für eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe
Zur politischen Diskussion in der Demokratie gehört eine prägnante Sprache, die die eigene Position auf den Punkt bringt, anderen aber den grundsätzlichen Respekt nicht versagt. Heutige Beschimpfungen von Politikern als „Volksverräter“ oder der Medien als „Lügenpresse“ nehmen die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit wieder auf. Zahlreiche historische Beispiele gibt es auch für die verhängnisvolle Wirkung abwertender Begriffe zur Ausgrenzung vermeintlich „Anderer“ aufgrund ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.
Für parlamentarische Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus
Politische Willensbildung in pluralistischen Demokratien vollzieht sich in öffentlichen Debatten, in denen die Vielfalt politischer Meinungen und sozialer Interessen zum Ausdruck kommt. Ein einheitlicher Volkswille, den dazu Berufene erfassen können, ist dagegen eine Fiktion, die vor allem dem Zweck dient, sich im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen. In der Weimarer Republik ebnete die Idee des „Volkswillens“ einer Bewegung den Weg zur Macht, deren „Führer“ sich als dessen Verkörperung verstand.
Für ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge
Angesichts der zahlreichen gewaltsam ausgetragenen innereuropäischen Konflikte der Vergangenheit ist die europäische Einigung im Zeichen von pluralistischer Demokratie und unantastbaren Menschenrechten eine der wichtigsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Auch wenn die Legitimität unterschiedlicher nationaler Interessen außer Frage steht, gefährden nationalistische Alleingänge diese historische Leistung. Ausschließlich nationale Problemlösungsstrategien können den politischen, humanitären, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen einer globalisierten Gegenwart nicht angemessen begegnen. Nicht zuletzt im Lichte der kolonialen Gewalt, die Europäer in anderen Teilen der Welt ausgeübt haben, gilt es, der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden.
Für Humanität und Recht, gegen die Diskriminierung von Migranten
Migration ist eine historische Konstante. Ungeachtet aller mit ihr verbundenen Probleme hat sie die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert – auch die deutsche. Deshalb ist auf eine aktive, von Pragmatismus getragene Migrations- und Integrationspolitik hinzuarbeiten, die sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht respektiert. Es gilt, das durch die Verfassung garantierte Recht auf politisches Asyl sowie die Pflicht zur Hilfeleistung in humanitären Krisensituationen so anzuwenden, wie es Deutschland nicht nur aufgrund seiner ökonomischen Potenz, sondern auch aus historischen Gründen zukommt.
Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte
Die Bundesrepublik Deutschland ist heute eine stabile Demokratie. Dazu beigetragen hat auch, dass die Deutschen nach anfangs erheblichen Widerständen inzwischen mehrheitlich selbstkritisch und reflektiert mit der Geschichte des Nationalsozialismus umgehen. Diesem Prozess hat sich auch unser eigenes Fach erst spät geöffnet. In jedem Fall setzt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit die Befunde einer auch zur Selbstkritik bereiten Geschichtswissenschaft voraus, die von politischer Einflussnahme prinzipiell unabhängig ist. Ihre Erkenntnisse beruhen auf quellenbasierter Forschung und stellen sich der kritischen Diskussion. Nur so ist es möglich, die historischen Bedingungen unserer Demokratie auch zukünftig im Bewusstsein zu halten und gegen „alternative Fakten“ zu verteidigen.
Die deutsche Geschichtswissenschaft ist geprägt von großer Stimmenvielfalt und einer Zurückhaltung hinsichtlich politischer Statements. In den letzten Jahren äußern sich jedoch zunehmend HistorikerInnen im Rahmen gesellschaftlicher Debatten, die aus ihrer Sicht Gefahr laufen, zu ideologischen Irrläufern zu werden und damit historisches Wissen zu verfälschen, zu negieren oder für politische Meinungsmache zu nutzen.
Die Diskussionen auf der Mitgliederversammlung des Verbandes der Historiker und Historikerinnen (VHD) Deutschlands auf dem 52. Deutschen Historikertag in Münster zeigten, dass es neben der Stimmenvielfalt eine übergroße Einigkeit gab im Willen, sich zur derzeitigen gesellschaftspolitischen Lage im Land zu äußern.
Im Folgenden finden Sie den Text der Resolution, über die in der Mitgliederversammlung des VHD am 27. September abgestimmt wurde und die mit großer Mehrheit von den Anwesenden angenommen worden ist.
A. Schuhmann
Verabschiedet von der Mitgliederversammlung am 27. Sept. 2018 in Münster
In Deutschland wie in zahlreichen anderen Ländern bedrohen derzeit maßlose Angriffe auf die demokratischen Institutionen die Grundlagen der politischen Ordnung. Als Historikerinnen und Historiker halten wir es für unsere Pflicht, vor diesen Gefährdungen zu warnen. Streit ist essentiell in einer pluralistischen Gesellschaft, aber er muss bestimmten Regeln folgen, wenn er nicht die Demokratie selbst untergraben soll.
Geschichtswissenschaft hat die Aufgabe, durch die Analyse historischer Entwicklungen auch zur besseren Wahrnehmung von Gegenwartsproblemen beizutragen und die Komplexität ihrer Ursachen herauszuarbeiten. Angesichts einer zunehmend von demoskopischen Stimmungsbildern und einer immer schnelllebigeren Mediendynamik getriebenen Politik möchten wir betonen, dass nur ein Denken in längeren Zeiträumen die Zukunftsfähigkeit unseres politischen Systems auf Dauer gewährleisten kann.
Die folgenden Grundhaltungen des demokratischen Miteinanders in Politik und Gesellschaft halten wir deshalb für unverzichtbar:
Für eine historisch sensible Sprache, gegen diskriminierende Begriffe
Zur politischen Diskussion in der Demokratie gehört eine prägnante Sprache, die die eigene Position auf den Punkt bringt, anderen aber den grundsätzlichen Respekt nicht versagt. Heutige Beschimpfungen von Politikern als „Volksverräter“ oder der Medien als „Lügenpresse“ nehmen die antidemokratische Sprache der Zwischenkriegszeit wieder auf. Zahlreiche historische Beispiele gibt es auch für die verhängnisvolle Wirkung abwertender Begriffe zur Ausgrenzung vermeintlich „Anderer“ aufgrund ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.
Für parlamentarische Demokratie und pluralistische Streitkultur, gegen Populismus
Politische Willensbildung in pluralistischen Demokratien vollzieht sich in öffentlichen Debatten, in denen die Vielfalt politischer Meinungen und sozialer Interessen zum Ausdruck kommt. Ein einheitlicher Volkswille, den dazu Berufene erfassen können, ist dagegen eine Fiktion, die vor allem dem Zweck dient, sich im politischen Meinungskampf unangreifbar zu machen. In der Weimarer Republik ebnete die Idee des „Volkswillens“ einer Bewegung den Weg zur Macht, deren „Führer“ sich als dessen Verkörperung verstand.
Für ein gemeinsam handelndes Europa, gegen nationalistische Alleingänge
Angesichts der zahlreichen gewaltsam ausgetragenen innereuropäischen Konflikte der Vergangenheit ist die europäische Einigung im Zeichen von pluralistischer Demokratie und unantastbaren Menschenrechten eine der wichtigsten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Auch wenn die Legitimität unterschiedlicher nationaler Interessen außer Frage steht, gefährden nationalistische Alleingänge diese historische Leistung. Ausschließlich nationale Problemlösungsstrategien können den politischen, humanitären, ökologischen und ökonomischen Herausforderungen einer globalisierten Gegenwart nicht angemessen begegnen. Nicht zuletzt im Lichte der kolonialen Gewalt, die Europäer in anderen Teilen der Welt ausgeübt haben, gilt es, der gemeinsamen Verantwortung für die Folgen unserer Politik im außereuropäischen Raum gerecht zu werden.
Für Humanität und Recht, gegen die Diskriminierung von Migranten
Migration ist eine historische Konstante. Ungeachtet aller mit ihr verbundenen Probleme hat sie die beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert – auch die deutsche. Deshalb ist auf eine aktive, von Pragmatismus getragene Migrations- und Integrationspolitik hinzuarbeiten, die sowohl die Menschenrechte als auch das Völkerrecht respektiert. Es gilt, das durch die Verfassung garantierte Recht auf politisches Asyl sowie die Pflicht zur Hilfeleistung in humanitären Krisensituationen so anzuwenden, wie es Deutschland nicht nur aufgrund seiner ökonomischen Potenz, sondern auch aus historischen Gründen zukommt.
Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gegen den politischen Missbrauch von Geschichte
Die Bundesrepublik Deutschland ist heute eine stabile Demokratie. Dazu beigetragen hat auch, dass die Deutschen nach anfangs erheblichen Widerständen inzwischen mehrheitlich selbstkritisch und reflektiert mit der Geschichte des Nationalsozialismus umgehen. Diesem Prozess hat sich auch unser eigenes Fach erst spät geöffnet. In jedem Fall setzt ein verantwortungsvoller Umgang mit der Vergangenheit die Befunde einer auch zur Selbstkritik bereiten Geschichtswissenschaft voraus, die von politischer Einflussnahme prinzipiell unabhängig ist. Ihre Erkenntnisse beruhen auf quellenbasierter Forschung und stellen sich der kritischen Diskussion. Nur so ist es möglich, die historischen Bedingungen unserer Demokratie auch zukünftig im Bewusstsein zu halten und gegen „alternative Fakten“ zu verteidigen.
Montag, 27. August 2018
Otto Hochreiter: Konzept für eine Sonderausstellung des Hauses der Geschichte Österreich zum 100-jährigen Republiksjubiläum
Der Leiter des Grazer Stadtmuseums, Otto Hochreiter, hat mich gebeten, sein Konzept für eine Sonderausstellung des Hauses der Geschichte Österreich aus dem Jahr 2016 im Blog zu veröffentlichen. Otto Hochreiter schreibt dazu in Anschluß unter anderen an die Berichterstattung zum Austritt der Beiratsmitglieder des Hauses der Geschichte Österreich, Eva Blimlinger (Akademie der Bildenden Künste) und Gerhard Baumgartner (DÖW): "Moniert wurde unter anderem das Fehlen einer schlüssigen Darstellung der zentralen Aussagen und inhaltlichen Positionen der Ausstellung ... Als möglichen Beitrag zu dieser Debatte möchte ich hiermit mein (Bewerbungs-)Konzept für eine Sonderausstellung des Hauses der Geschichte Österreich zum 100-jährigen Republiksjubiläum von Dezember 2016 für interessierte Fachkreise und Medien öffentlich machen. Es kann gerne weitergegeben, referiert, zitiert oder vollständig publiziert werden."
In diesem Sinn komme ich der Bitte nach Veröffentlichung gerne nach. Noch wäre Zeit, eine Debatte zu beginnen.
In diesem Sinn komme ich der Bitte nach Veröffentlichung gerne nach. Noch wäre Zeit, eine Debatte zu beginnen.
Gottfried Fliedl, 27.8.2018
Otto Hochreiter
Otto Hochreiter
Konzept für
eine Sonderausstellung des
Hauses der Geschichte
Österreich
zum
100-jährigen Republiksjubiläum
I Die neue
Burg
II Die Hauptausstellung im Mezzanin
III Decouvrierende Aneignung des Piano nobile
IV Ideen für eine künftige Bespielung
Vorbemerkung
Das HGÖ ist kein „heroisches Museum“, das
eine lineare, ruhmreiche National-Geschichte darstellt, sondern ein
postheroisches, somit also ein reflexiv ausgerichtetes Museum. Weniger die
Setzung von Werten sollte im Vordergrund stehen, sondern vielmehr das
Nachdenken über Werte in ihren historischen Bedingtheiten. Auf Grund des
„öffentlichrechtlichen“, wissenschaftlichen Charakters des HGÖ sollte es
inhaltlich der Wissenschaft und Aufklärung dienen und nicht den Gesetzen der
Event-Kultur folgen, die erinnert, was medial gut präsentierbar ist.
Politische
Bildung
Zeitgeschichte ist wesentliche Komponente
Politischer Bildung, um Lernende zu politischer Mündigkeit respektive
Urteilskraft zu befähigen. Politische Bildung ist also ein aufklärerischer und
demokratischer Bereich und darf sich nicht auf eine nationalstaatlich verengte
Reflexion beschränken. Im Vorfeld der Entstehung des HGÖ ist vielfach die
Unmöglichkeit, heute eine nationale Geschichte zu schreiben, behauptet worden.
Ein solcher Vorwurf des Nationalistischen wird die hier vorgelegte Konzeption
einer Republikjubiläumsausstellung nicht treffen können. Sie ist zwar
patriotisch, aber nur bezogen auf die Verfassung der demokratischen Republik
Österreich. Ihr Ziel ist es, einem möglichst breiten Publikum ein motivierendes
Angebot zu machen sich mit den Prinzipien und Institutionen des
Verfassungsstaates zu identifizieren. Man wird diese Ausstellung also
verfassungspatriotisch nennen können.
Verfassungspatriotismus
Verfassungspatriotismus garantiert in
einem demokratischen Sozialstaat ein unverzichtbares Maß an Solidarität,
Konsens und freiwilliger Partizipation. Diese Form des Patriotismus setzt
deshalb auf keinen substanziellen Wertkonsens hinsichtlich des guten oder
richtigen Lebens oder fördert gar reaktionäre Formen des Patriotismus – wie z.
B. „USA/Polen/Ungarn/Österreich zuerst“.
Vielmehr soll es in dieser Ausstellung um
die demokratische Republik Österreich als solche gehen und zeigen: In ihrem
Schutz durch den Rechtsstaat, durch Gewaltenteilung, durch die politische
Partizipationsmöglichkeiten und das Inklusionsprinzip des Wohlfahrtsstaats ist
unsere freie Entfaltung überhaupt möglich. Verfassungspatriotismus ist nicht
national eingeschränkt, sondern richtet sich nach Dolf Sternberger an den
universalen Prinzipien der Freiheit und Gleichheit aus und betrachtet
Verfassung als Produkt einer spezifischen Geschichte des eigenen Staates.
Politische
Kultur
Verfassung, politische Beteiligung mussten
in der Geschichte erkämpft werden. Der liberale Verfassungsstaat in seiner
immerwährenden Fragilität musste und muss verteidigt werden. Die bewegte und
bewegende
Geschichte der demokratischen Verfasstheit
Österreichs in dieser Ausstellung soll zeigen, wie wichtig Rechtsbindung der
geteilten Gewalten, wie wichtig der Grundrechtsschutz und die Ausbalancierung
dieser Gewalten sind. Die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz und als
Rechtsgenossen untereinander bestimmt als eines der zentralen Menschenrechte,
Grundrechte, Bürgerrechte maßgeblich die
Republikanische Idee.
Der formelle Rechtsstaatsbegriff wurzelte
in dem Glauben an die Unfehlbarkeit von Rousseaus volonté générale. Die
Republikjubiläumsausstellung soll jedoch auch bewusst machen, dass die Bindung
der Staatstätigkeit an bestimmte Formen und Verfahren noch keine hinreichende
Garantie bietet für die Geltung und Durchsetzung des Rechts. Sie soll zeigen,
wie entscheidend für das Gelingen von Demokratie die jeweilige politische
Kultur ist. Es wäre wohl Auftrag dieser Republikausstellung, zu dieser
politischen Kultur positiv beizutragen.
Wien, 8. Dezember 2016
I
DIE NEUE BURG
Die Neue Burg wird derzeit nur
eingeschränkt als Museumsgebäude wahrgenommen, obgleich mehrere sehr bedeutende
Schausammlungen des KHM dort zu sehen sind:
- Ephesos Museum
- Sammlung alter Musikinstrumente
- Hofjagd- und Rüstkammer
- Weltmuseum
Ein HGÖ als quasi feindliches
Einliegermuseum in diesem Konglomerat von Museen anzusiedeln, wäre wenig
erfolgversprechend. Es bietet sich aber im Gegenteil die Gelegenheit, mit dem Ende
2017 eröffnenden Weltmuseum gemeinsam zu den Zugpferden eines derzeit eher
beschaulichen Museumsangebots zu werden.
Die Neue Burg mit ihren dann fünf Museen
mit jeweils scharfem Eigenprofil soll mit der Eröffnung der ersten
Sonderausstellung des HGÖ am 4. Oktober 2018 (Laufzeit bis 26. Oktober 2019) zu
einer starken Museumsmarke werden. Gerade das HGÖ sollte ab Ende 2018 nicht nur
in guter Nachbarschaft mit den anderen Museen des
KHM agieren, sondern aktiv durch
räumliche, inhaltliche und außenkommunikative Verknüpfungen mit allen vier
Museen die Attraktivität des Gesamtlabels DIE NEUE BURG erhöhen. Jedenfalls
sollte davon abgesehen werden, das Weltmuseum und die Hofjagd- und Rüstkammer
ausschließlich über den Eingang im Corps de Logis und umgekehrt das HGÖ, das
Ephesos-Museum und die Musikinstrumente-Sammlung nur über den zentralen
(ÖNB-)Eingang zugänglich zu machen.
Die unter dem Label DIE NEUE BURG
zusammengefassten fünf Museen sollen nach der Eröffnung der
Republiksjubiläum-Ausstellung als ebenso attraktives Museumsangebot wie
Museumsquartier, KHM und NHM wahrgenommen werden. Es war einer von Sempers
Grundgedanken, dass die Seitenflügel seines Kaiserforums „in ihrer
architektonischen Gliederung an die Kolonnade der Ost-Fassade des Louvre
gemahnen(d)“1 sollten. – Ein gemeinsames Ticket für alle Museen
der NEUEN BURG sollte jedenfalls angeboten werden.
1 Zit.
nach Renate Wagner-Rieger: Wiens Architektur
im
19. Jahrhundert, Wien, 1970, S. 25
II
Die
Hauptausstellung im Mezzanin
Am 12. November 1918 wurde die Republik Deutsch-Österreich
ausgerufen. Die gesetzliche Grundlage der dann Österreich genannten Republik
war letztlich das Bundes-Verfassungsgesetz vom Oktober 1920, welches normierte:
„Artikel 1. Österreich ist eine
demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.
Artikel 2.
(1) Österreich ist ein Bundesstaat.“
„Artikel 7. (1) Alle Bundesbürger (heute:
Staatsbürger) sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des
Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.“
Aus diesen Normen leiten sich bis heute
die demokratischen, republikanischen, bundesstaatlichen und rechtsstaatlichen
Grundprinzipien der Bundesverfassung ab. Diese sowie die oben in Verbindung mit
dem Gleichheitsgrundsatz zitierten Begriffe bilden als „Wertehimmel der
Demokratie“ die Grundidee, die inhaltliche Klammer und den Kern des
Vermittlungsinteresses der hier skizzierten Sonderausstellung zum
hundertjährigen Republiksjubiläum. Es gilt ja nicht die Dauerausstellung des
HGÖ zu konzipieren, sondern eine Sonderausstellung zur 100. Wiederkehr der
Gründung der demokratischen Republik Österreich.
Um das Bestehen der Institution
„demokratische Republik“ und jene Kräfte, die zu ihrem Entstehen und zu ihrem
Erhalt beigetragen haben, entsprechend zu würdigen, wird für den Hauptteil im
Mezzanin eine Konzeption vorgeschlagen, die sich an diesen vier essentiellen Sätzen
des Bundesverfassungs-Gesetzes orientiert. Neben dem Begriff „Österreich“
werden so die Grundprinzipien der Bundesverfassung sowie der Gleichheitsgrundsatz
bezogen auf Geschlecht, Bekenntnis sowie Stand und Klasse zu den Themen der
sechs großen Ausstellungssäle. Innerhalb dieser Themensäle kann die
diesbezügliche Entwicklung jeweils so weit in die Geschichte Österreichs
zurückverfolgt werden, wie es für eine schlüssige Darstellung erforderlich
scheint.
Dem Publikum, aber auch den
Virtual-Visitors über elektronische und Massenmedien, soll – nicht zuletzt auch
durch die Negation der demokratischen Republik in ihrer Unterbrechung 1933 bis
1945 – die Bedeutung einer demokratisch-republikanischen Grundordnung deutlich
gemacht werden. Gefeiert werden, im Sinne politischer Bildung, die Institution demokratische
Republik und weniger die Zeitläufe seit dem Ende des Ersten Weltkriegs.
A „ÖSTERREICH ist eine demokratische REPUBLIK.“
B „Ihr (der Republik) RECHT geht vom VOLK aus.“
„Alle Bundesbürger (heute: Staatsbürger) sind VOR DEM GESETZ GLEICH.“
C „Österreich ist ein BUNDESSTAAT.“
D „Vorrechte des GESCHLECHTs sind
ausgeschlossen.“
E „Vorrechte der GEBURT, des STANDes und
der KLASSE sind ausgeschlossen.“
F „Vorrechte des BEKENNTNISses sind
ausgeschlossen.“
A „ÖSTERREICH ist eine demokratische REPUBLIK.“
Mittelraum
Ausrufung der demokratischen Republik
Deutschösterreich durch Provisorische Nationalversammlung am 12. November 1918
Seitenraum
links
Was heißt
hier „Österreich“?
- „Monarchia Austriaca“ im Hl. Römischen Reich
- Österreichisches Kaiserreich ab 1804
- „Ostmark“ 1938–1945
- etc. etc. etc.
Seitenraum
rechts
Von der
Monarchie zur Republik
- Leopolds Großherzogtum Toskana
- Kossuth gründet 1849
- ungarische Republik
- Republik Österreich im europäischen Vergleich
- etc. etc. etc.
B „Ihr (der
Republik) RECHT geht vom VOLK aus.“
„Alle
Bundesbürger (heute: Staatsbürger) sind VOR DEM GESETZ GLEICH.“
Decke
Wertehimmel
der Demokratie im Gemäldefeld
Mittelraum
Verfassung
und Rechtsstaatlichkeit
- Oktroyierte Verfassung 1849
- Neoabsolutismus
- Staatsgrundgesetz mit Grundrechtekatalog
- Bundesverfassungsgesetz Wiedervereinigung mit Deutschem Reich 1938
- Damit Entrechtung jüdischer BürgerInnen
- etc. etc. etc.
Seitenraum
links
Demokratie
- Jakobinerprozesse unter Franz II.
- Bundesverfassungsgesetz 1920
- „Selbstausschaltung“ des Parlaments 1933
- etc. etc. etc.
Seitenraum
rechts
Gleichheit
- „Steuerrektifikation“ gegen Adel und Klerus
- Mai-Revolution 1848
- Wahlreform Beck: Allgemeines, gleiches, direktes und geheimes (Männer-)Wahlrecht 1906/07
- etc. etc. etc.
C „Österreich ist ein BUNDESSTAAT.“
Vor 1918
- Maria-Theresias Zentralstaat versus Erbländer
- Föderalistisches Oktoberpatent zurück zu landständischer Verfassung 1860
- Kuriensystem auf Länderebene
- etc. etc. etc.
Die
Geschichte der Bundesländer im 20. Jahrhundert
D „Vorrechte des GESCHLECHTs sind
ausgeschlossen.“
Vor 1918
- Kämpferinnen bei der Revolution 1848
- Wöchnerinnen-Schutz 1885–1888
- Erster internationaler Frauentag 1911
- etc. etc. etc.
1. Republik
- Aufhebung des Vereinsverbotes 1918
- Aktives und passives Frauenwahlrecht 1918
- Forderung nach Straffreiheit bei Fristenlösung
- etc. etc. etc.
Negation
- Verlust des passiven Wahlrechts
- Verbot der Frauenorganisationen der Parteien 1933
- Frauenarbeit Rüstungsindustrie ab 1939
- etc. etc. etc.
2. Republik
- Autonome Frauenbewegungen 1970er
- Sexualstrafrechtsreform 1989
- Frauenvolksbegehren 1997
- etc. etc. etc.
E „Vorrechte der GEBURT, des STANDes
und der KLASSE sind ausgeschlossen.“
Vor 1918
- Ende Leibeigenschaft 1781
- Kurien- und Zensuswahlrecht
- Hainfelder Parteitag der Sozialdemokraten 1888/89
- etc. etc. etc.
1. Republik
- Adelsaufhebungsgesetz 1919
- Sozialgesetze 1919/20
- Weltwirtschaftskrise 1929
- etc. etc. etc.
Negation
- „Arisierung“ jüdischer Besitztümer
- Reichsverordnung über ausländische Arbeitskräfte 1941
- „Euthanasie“ bei kranken Kindern ab 1939
- etc. etc. etc.
2. Republik
- Raab-Olah-Abkommen (Gastarbeiter) 1961
- Ausländervolksbegehren 1993
- Debatten und Aktionen zu Bettelverboten
- etc. etc. etc.
F „Vorrechte des BEKENNTNISses sind
ausgeschlossen.“
Vor 1918
- Toleranzpatent Kaiser Josephs II. 1781
- Kampf der Liberalen gegen Kirche (Ehegerichtsbarkeit, staatliche Schulaufsicht) 1868
- Antisemit Karl Lueger Wiener Bürgermeister 1897–1910
- etc. etc. etc.
1. Republik
- Islamischer Kulturbund
- Siegfriedkopf“ in der Aula der Universität 1923
- Gleichspach’sche Studentenordnung 1930
- etc. etc. etc.
Negation
- „Feierliche Erklärung“ der Kirchen zum „Anschluss“ 1938
- Deportationen jüdischer BürgerInnen nach Osten ab 1941
- etc. etc. etc.
2. Republik
- Fall Borodajkewycz 1965
- Erster islamischer Religionsunterricht 1982/83
- Kunstrückgabegesetz 1998
- etc. etc. etc.
III
Decouvrierende Aneignung des Piano nobile
Das Stiegenhaus zum ersten Obergeschoss, dem
Piano nobile der Neuen Burg, das Stiegenplateau der Jagdgalerie vor der Portalterrasse
(alias „Hitler-Balkon“) und diese Portalterrasse selbst eignen sich
hervorragend für eine zeitgenössische demokratische, republikanische Aneignung
einer Torso gebliebenen Machtarchitektur, deren Innenausbau erst 1920 bis 1926
(!) beendet wurde. Das grandios gescheiterte Semper-Hasenauer’sche Projekt kann
ja auch metaphorisch für den Gesamtzustand der späten Habsburger-Monarchie
stehen. So wenig diese nostalgisch zu verklären ist, so absurd wäre es, den besonderen
Geschichtsort Hofburgareal auf „Hitler am Heldenplatz“ zu reduzieren.
Der decouvrierende Grundgestus aller
Interventionen im Piano nobile sollte bewusst niederschwellig,
spielerisch-interaktiv sein, quasi eine Erholung nach der staatsbürgerlichen „Belehrung“
im Mezzanin. Vor allem sollte jede dämonisierende Fokussierung auf Hitlers
Heldenplatz-Auftritt tunlichst vermieden werden, weil sie bei aller kritischer Distanzierung
letztlich die NS-Propaganda ins Heute verlängern könnte.
Statt des aktuell am Plateau stehenden Klavierflügelrahmens
könnte es beispielsweise eine „Demokratie-Maschine“ geben, auf der „Hebel
umgelegt“ werden können zum autoritären oder diktatorischen Staat.
Die zwei Stiegenhaus-Augen am Rand des Plateaus
könnten mit zwei doppelbödigen „Geschichts-Paternostern“ gefüllt werden. In ihnen
würden jene Figuren auf- und niederfahren, welche die Oberfläche der Ersten und
Zweiten Republik abgeben. Die Leerstellen der nach Kriegsbeschädigungen
freigebliebenen Gemäldefelder über den Stiegen am linken, hofburgseitigen
Flügel könnten als Gegenstück zum rechtsseitigen Herrscherlob mit einer
„Galerie der Demokratie“ gefüllt werden. Statt weiterhin fasziniert vom
Heldenplatz aus auf den „Hitler-Balkon“ zu schauen, wird eine Blickumkehrung
vorgeschlagen. Im Sinne der erwähnten demokratisch-entspannten Aneignung stehen
die BesucherInnen nun auf der Terrasse (die alles nur kein Balkon ist) und nutzen
sie als wunderbaren Aussichtspunkt. Der Mehrwert ihres Panoramablicks besteht in
heutigen fotografischen Darstellungen der Gebäude, die in Texten auf ihre
historische Essenz befragt werden. Die ominöse Terrasse selbst ist Teil dieser
kritischen Betrachtung.
Bei der Brüstung könnte diese „Politische Physiognomie“
des Hofburgareals in Form von Fototafeln, welche die politische Geschichte der
Gebäude(-teile) fokussieren, angebracht werden. Die Rückseiten der Tafeln
„winken“ zugleich den Passanten am Heldenplatz zu als Ankündigung des HGÖ oder
des Labels DIE NEUE BURG.
Politische
Physiognomie
D Neue Burg
(„Anschluss“)
I Winterreitschule
(Reichstag)
E Hofburg/Ballhaus
(Autoritärer Ständestaat)
N Votivkirche
(Attentat Franz Joseph)
E Universität
(Antisemitismus, Nationalsozialismus)
U Parlament
(Reichsrat, Februarpatent 1861)
E Äußeres
Burgtor („Heldentor“)
B Justizpalast
(Julirevolte 1927)
U Kunsthistorisches
und Naturhistorisches Museum (Kaiserforum)
R Hofstallgebäude/Messepalast
(Besatzungszeit)
G Gefechtsturm
Stiftskaserne (Zweiter Weltkrieg)
IV
Ideen für eine künftige Bespielung
Die oben skizzierte erste
Sonderausstellung des HGÖ läuft vom 4. Oktober 2018 bis 26. Oktober 2019. Die
zweite Sonderausstellung des HGÖ in der mit dem Weltmuseumneu positionierten
NEUEN BURG könnte dann im März 2020 eröffnet werden und bis November laufen.
Bis zur Eröffnungdes eigentlichen Hauses der Geschichte (am Heldenplatz) könnte
der Rhythmus von Jahresausstellungen März bis November beibehalten werden.
Als mögliche Themen könnten dem
Wissenschaftlichen Beirat des HGÖ vorgeschlagen werden:
LAND DER
BERGE, LAND DER STÄDTE.
Das Verhältnis von urbanen und ländlichen
Räumen und Menschen bis zur Gegenwart
MEINLMOHR
UND SERRAILENTFÜHRUNG.
Eine Kulturgeschichte der Kontakte
Österreichs mit dem „Orient“ (mit Ephesos-Museum)
WO DIE
GÖTTER ZU HAUSE SIND.
Gelebte und gebaute religiöse Vielfalt in
Österreich
DAS NEUTRALE ÖSTERREICH UND SEINE WAFFEN
(mit Hofjagd- und Rüstkammer)
AUGUST LOEHRS „MUSEUM ÖSTERREICHISCHER
KULTUR“ REVISITED.
LIEBE LIEBER
UNGEWÖHNLICH.
Eine Geschichte der subversiven Geschlechterrollen
EINEM
STARKEN HERZEN GLEICH2 Oder:
DER
WANGENROTE JÜNGLING3.
Eine Geschichte von Österreich und Europa
(mit Musikinstrumente-Sammlung)
DIE KUNST
DER ANPASSUNG.
Österreichische KünstlerInnen im
Nationalsozialismus zwischen Tradition und Propaganda
JÄGER,
SAMMLER, THRONFOLGER.
Franz Ferdinand, der Bauherr der Neuen
Burg (mit Weltmuseum)
2 „Heiß umfehdet, wild
umstritten, liegst dem Erdteil du inmitten einem starken Herzen gleich. Hast
seit frühen Ahnentagen hoher Sendung Last getragen, vielgeprüftes Österreich.
Vielgeprüftes Österreich.“ 2. Strophe der Österr. Bundeshymne
3 Grillparzers Lob auf
Österreich: „O gutes Land! O Vaterland! Inmitten dem Kind Italien und dem Manne
Deutschland, liegst du, der wangenrote Jüngling, da: Erhalte Gott dir deinen
Jugendsinn Und mache gut, was andere verdarben.“
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