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Sonntag, 1. Januar 2017

Das Jüdische Museum Hohenems. Ein außergewöhnliches Museum feierte sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum

Der Standard hat in seiner Ausgabe vom 31.12./1.1. - also gerade noch im letzten Moment - meinen schon vor Monaten verfassten Artikel veröffentlicht (im Album), den ich aus Anlaß des 25jährigen Jubiläums des Hauses verfasst habe. Der Text, den der Standard mit "Im Zeichen der Achtung des Anderen" übertitelte", enthält hier im Blog einige kleiner Korrekturen.


Das Jüdische Museum in Hohenems


Ein kleines „Spezialmuseum“, das bald zwanzigtausend Besucher im Jahr hat, dessen Freundesverein über fünfhundert Mitglieder auf allen Kontinenten zählt, das weit über die Grenzen seines Bundeslandes und Staates hinaus bekannt ist und das eine buchstäblich weltweite Community hat – so ein Museum soll es in Österreich geben? Ja, in der kleinen Vorarlberger Stadt Hohenems - ich spreche vom Jüdischen Museum, das in diesem Jahr sein fünfundzwanzigjähriges Jubiläum feiert.
Hier geht es aber ausnahmsweise mal nicht um die Statistik der Besuche oder Events, sondern um die Einbettung eines Hauses, seiner Ausstellungen, seines Teams und deren Arbeit in einen vielstimmigen Zusammenhang, in unterschiedlichsten Öffentlichkeiten und um eine höchst lebendige und produktive Beziehung des Museums zu Besuchern, Experten, Unterstützern, Trägern, Förderern, Gästen.
Und so kann der heutige Direktor des Museums, Hanno Loewy mit Recht und Selbstbewußtsein sagen: „Ich kenne keine Institution, die von so vielen Menschen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft aus Überzeugung und mit Emotion, aus Neugier, mit Witz und politischer Wachheit getragen wird.“

Dieses Museum habe ich im Jahr seiner Gründung 1991, kennengelernt, als ein sorgfältig geführtes Haus mit einer klug gestalteten Dauerausstellung, untergebracht in der umsichtig restaurierten Villa Heimann-Rosenthal. Nun war dieses Haus ein Erinnerungsort geworden, der an die einst vom Hohenemser Fürsten protegierte und nun gänzlich verschwundene Jüdische Gemeinde erinnerte.
Der Gründung ging eine jahrelanger, zeitweise heftig geführter Konflikt voraus, in dem der Stellenwert der Geschichte des Judentums in Vorarlberg erörtert wurde, aber auch in welcher Form und mit welchen Schwerpunkten man diese Geschichte in einem Museum darstellen sollte. Dieser vielfach geschichtete Konflikt - ein Generationenkonflikt, ein ideologischer Dissens, einer zwischen „Schulen“ der Historikerzunft -, mündete in eine Museumsgründung, die sich von Anfang an als nicht bloß lebensfähig sondern konzeptuell, architektonisch und museumspolitisch als kraftvoll und innovativ erwies.

Wer das Museum besucht, wird nichts vordergründig Spektakuläres vorfinden. Es gibt keine glanzvolle Judaikasammlung, sondern eine Dauerausstellung die, zusammengesetzt aus Spuren, Überlebseln und Relikten, die von vielen Leerstellen durchsetzte Geschichte der jüdischen Gemeinde Hohenems, die Umständen ihrer gewaltsamen Vertreibung und Vernichtung und die Einzeichnung dieser Geschichte in das Stadtbild und –gedächtnis erzählt.
Was dem zufällig ein- oder zweimal vorbeikommenden Besucher verborgen bleiben wird, sind die vielen Veranstaltungen, die sich in vielen Formaten, an vielerlei Adressatenkreise wenden und in denen ebenso vielfältige Themen diskutiert werden. Das reicht von der Debatte über ein bemerkenswertes einzelnes Objekt aus der derzeit laufenden Sonderausstellung „Übrig“, in der sowohl die vom Museum betriebene genealogische Forschung als auch die dokumentarische Bedeutung von Sammlungsobjekten zur Sprache kommt bis zur großen Diskussion mit an die fünfzig Expertinnen und Experten aus Anlass des Jubiläums. Dort ging es um nicht mehr und nicht weniger als um die wünschbare Zukunft Jüdischer Museen generell und des Hohenemser Museums im besonderen.
Was unser Einmal-Besucher vielleicht spüren wird, ist, wie sehr das kleine Museum Ort der Vergesellschaftung ist, das heißt einer an dem Menschen zusammenkommen um den Grund und die Weise ihres Zusammenlebens zu ergründen, manchmal vielleicht auch zu erneuern, ihre gemeinsame Geschichte zu deuten, die Beziehung zu ihren sozialen Umwelten zu erforschen, auch zum allgemein Fremden und Anderen. Denn zu den herausragenden Möglichkeiten von Museen gehört die Möglichkeit dem „Anderen“ in einem geschützten Raum und zivilen Rahmen zu begegnen.

Deswegen sind Museen auch geeignet, eine wesentliche demokratische Aufgabe wahrzunehmen, die Sorge um Minderheiten, um die immer wieder von Konflikten bedrohte Beziehung von Mehrheit und Minderheit. Jüdische Museen bleiben auch deswegen unausweichlich an historische und aktuelle Konflikte gebunden. Denn während die ersten Jüdischen Museen von Jüdischen Gemeinden gegründet wurden, zu Ende des 19. Jahrhunderts, als Symptome der Assimilation und des Selbstbewusstseins dieser Gemeinden, sind die jüngeren Gründungen, die seit den 80er-Jahren in den deutschsprachigen Ländern entstanden sind, unausweichlich von der Dialektik von Täterschaft und Opfer, von Schuldbewusstsein und Anerkennung von Schuld geprägt. Und immer mehr auch vom Blick auf die „Anderen“ von heute, auf die komplexen Fragen von Zugehörigkeit und Anerkennung, die Gegenwart von Einwanderung, Flüchtlingsdebatten und Identitätspolitik. Letztlich also die Frage, wer eigentlich den „Demos“ der Demokratie von heute ausmacht. Wer „wir“ sind und wer zu „uns“ gehört und gehören soll.

Deswegen ist es von belang, daß das Museum aus einem Konflikt heraus gegründet wurde: es hat früh die Fähigkeit ausgebildet und sich erhalten, konflikthafte Themen zu bearbeiten, in Debatten, Projekten und Ausstellungen. Die laufende Ausstellung „Übrig“ zum Beispiel, die Objekte aus der Sammlung zeigt, zeigt sie nicht nur als glücklich überlieferte Zeugnisse, sondern auch als Dokumente vielfältiger Konflikte, solcher der Überlieferung, des Gebrauchs, der Geltung, der Deutung.
Anders gesagt, das Museum übt sich in der in der avancierten Museologie nachdrücklich geforderten Kunst der Selbstreflexion. Damit bin ich beim zentralen Punkt meiner anhaltenden Wertschätzung des Jüdischen Museums. Ein Museum das sich entwickelt, das in gewisser Weise „lernt“ – als Organisation, als Wissensraum, als besondere Form von Öffentlichkeit -, hat immer auch einen Blick auf das, was es ist und wie es etwas tut. Es geht verantwortlich damit um, wie es seine Themen wählt und welcher Vermittlung es bedarf. Und vor allem wird es sich immer und immer wieder die Frage stellen, welche Verantwortung es gegenüber seinen Communities und der Gesellschaft als Ganzes hat. Denn das ist der Sinn des Museums als öffentlicher Institution: Es verwaltet und bearbeitet gesellschaftliche Interessen treuhänderisch.

Ich erläutere das an der Projektreihe „Ein Viertel Stadt“. Der Umgang mit dem historischen Stadtkern von Hohenems, dem Jüdischen Viertel, war in den 90er-Jahren vielfach ins Gerede gekommen. Immobilienspekulationen zeichneten sich ab, die Denkmalpflege erwog eine komplette Unterschutzstellung. Es hätte aber auch ganz im Gegenteil zum Verschwinden wichtiger, auch historisch bedeutender Bauten kommen können. Tatsächlich brannte ein wichtiges Objekt unter ungeklärten Umständen ab.
In dieser Situation intervenierte das Museum in den kommunale Debatten, verließ dazu sein Haus und ging in die Stadt um an ausgewählten Fassaden über Projektionen die Geschichte der Häuser und ihrer Nutzer und Bewohner zu erzählen und zu erinnern. Daß das Museum Mitverantwortung für die künftige Entwicklung der Stadt übernahm, war schon bemerkenswert. Daß man dabei aus dem Museum herausging und, gestützt auf sorgfältig vorbereitende Forschung, im Stadtraum selbst aktiv wurde, war erst recht originell - und wirksam. Die Projektreihe Projekts „Ein Viertel Stadt“ holte verschüttete, vergessene, verdrängte Geschichte und Geschichten zurück und verankerte sie neu im Gedächtnis der Stadt und ihrer Bevölkerung.
Die Bedeutung dieses Projekts liegt auch in der aktiven Beziehung des Museums zum Publikum bzw. zu den Stadtbewohnern. Es verhielt sich nicht passiv im Warten auf Besucher, die etwa schöne alte Dinge ansehen wollen, sondern erzeugte eine Gelegenheit und einen Raum, in dem sich Menschen zusammenfinden, sich sammeln, erinnern und debattieren konnten.
Das Museum gab keine Empfehlungen ab, es favorisierte keinen bestimmten Gesichtspunkt, es tat nicht so, als hätte es die eine „richtige“ Lösung. Sondern es stellte einen sozialen Raum zur Verfügung, in dem debattiert werden konnte, um es der Bevölkerung von Hohenems zu ermöglichen „ihre eigenen Angelegenheiten“ zu regeln. Genau das meint ja „Res publica“ – die öffentlichen Angelegenheiten und genau das war und ist der Sinn liberaler Öffentlichkeit. Sie gehört zum Kostbarsten und Grundlegenden, das eine demokratische Gesellschaft besitzt und meiner Meinung nach zum Wichtigsten, was ein Museum dazu leisten kann.
Daß die Synagoge aus einem Feuerwehrhaus zurückverwandelt werden und zu einem der praktischen und symbolischen Zentren des Ortes werden konnte, daß das Zentrum der Kleinstadt mit „Judengasse“ und „Christengasse“ heute wieder Leben zurückgewinnt, dass man in Hohenems öffentlich darüber diskutieren kann, wie denn ein „ortsübliches“ Minarett aussehen könnte, all das wurde durch solches Projekt erst möglich.

Räume zu besitzen, wo ein solcher Austausch von Interessen unter Achtung und Anerkennung des Anderen stattfinden kann, wo Konflikte sichtbar gemacht und unterschiedliche Interessen miteinander konfrontiert werden, ohne daß sie vorschnell harmonisiert werden, daß ist ein Herzstück demokratischer Politik. Die Fähigkeit des Museums, solche Gelegenheiten in den unterschiedlichsten Formen immer wieder herzustellen, daraus sein Programm zu entwickeln, seine Anliegen an eine zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit zu vermitteln, das ist es, was ich am Jüdischen Museum Hohenems bewundere. Angesichts der akuten gesellschaftlich-politischen Entwicklung wird es immer wichtiger, solche Orte zu haben und zu fördern.

Aber wie das Hohenemser Museum das macht, dafür gibt es viele Wege. Das reicht von der Aufmerksamkeit für den einzigartigen Jüdischen Friedhof über das außergewöhnliche Nachkommentreffen mit hunderten von Teilnehmern, die sich ihrer Vorfahren erinnern und die das kleine Museum mit seinen diversen fernen Communities buchstäblich auf der Weltkarte verankern, bis zu zur Serie von Sonderausstellungen, die die Dauerausstellung thematisch interpunktieren, vom Betreiben einer informativen Webseite, die eben mehr ist als nur ein übliches Marketingtool bis zur Forschungstätigkeit im Haus und zur jährlichen Europäischen Sommeruniversität für Jüdische Studien.

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Dieses beständige Abarbeiten an einer Aufgabe, im Wissen um die Schwierigkeiten Geschichte vermitteln, weist für mich immer aber auch über den Museumstyp „Jüdisches Museum“ hinaus - auf Qualitäten einer Museumsarbeit, die beispielhaft für andere Museen sein kann und sollte. Diese „doppelte Qualität“ – als jüdisches Museum mit seinen spezifischen Aufgaben und Verpflichtungen einerseits und als innovatives und reflexives Museum andrerseits, das sich seiner öffentlichen Verantwortung stets bewußt ist – das macht Hohenems zum einzigartiges Museum.

Donnerstag, 22. September 2016

Mein ideales Museum

Vorbemerkung: diesen Text habe ich inzwischen in sehr unterschiedlicher Länge und Form in sehr unterschiedlichen Situationen zur Diskussion gestellt. Dort zeigte sich, daß er offenbar gut als Grundlage museologischer Diskussionen funktioniert, sowohl was Grundsatzfragen als auch einzelne Aspekte des Museums funktioniert. Darüber hinaus scheint er dazu geeignet zu sein, andere zu inspirieren, ihr „ideales Museum“ auszudenken. Für Reaktionen auf diesen Text bin ich also sehr offen. 


Mein ideales Museum

Das Museum als Institution des Wohlfahrtsstaates
Das Museum ist eine jener vielen Institutionen, wie etwa Spitäler, Universitäten, Bäder, Schulen, Verkehrsmittel, Energieversorgung usw., die Ziele des Wohlfahrtsstaates verwirklichen. Weil sie von der öffentlichen Hand rechtlich und finanziell getragen werden, nennen wir solche Institutionen öffentlich.
Die Idee des Wohlfahrtsstaates beruht auf einem demokratischem Staatsverständnis, in dem es um das Wohl ausnahmslos aller als „höchstem Gut“ geht. In einem neoliberal entstellten und verengtem Gebrauch von Wohlfahrtsstaat wird darunter bloß noch der Transferleistungen garantierende Sozialstaat verstanden.
In den ersten einschlägigen Verfassungen, denen der USA und Frankreichs des späten 18.Jahrhunderts, wird dieses Wohlergehen noch als Streben nach Glück bzw. Glück als höchstem Gesellschaftsziel definiert.
Mein ideales Museum hat eine klare gesellschaftspolitische Positionierung als eine Institution des Wohlfahrtsstaates mit denen es das allgemeine und grundlegende Ziel teilt, die Verwirklichung der Wohlfahrt aller Bürger.
Wohlfahrt erschöpft sich nicht in Wohlstand, nicht in materieller Sicherheit, sondern in der Zugehörigkeit der über soziale und politische Rechte verfügenden Bürger. Als es zusätzlich zu ökonomischer und politischer auch symbolische Inklusion herstellt, ist mein ideales Museum ein aktiver Moderator sozialer Demokratie.
Bezüglich der allgemeinen Gesellschaftsziele geht das Museum nicht von etwas vorab Festem und Festlegbaren aus, sondern gerade da von umkämpften, umstrittenen Interessen und Deutungen. Deshalb ist es nur denkbar als agonaler, das heißt konfliktfähiger sozialer Raum des Aushandelns.
Insofern ist gerade kein Ort der festgelegten Werte, einer „Leitkultur“ oder einer unumstößlichen Wir-Identität. Im Umlauf befindliche Chiffren für kollektive Identität, wie Nation, Heimat oder Religion werden immer wieder neu befragt und durchgearbeitet.

Das demokratische und politische Museum

Mein ideales Museum ist insofern demokratisch, als es sich bewusst ist, dass es mit dem zentralen Strukturmerkmal von Demokratie kontaminiert ist: In der Demokratie muss der Platz der Macht leer bleiben. Dort darf er nur befristet besetzt werden worüber in periodischen Wahlen entschieden wird.
Im Spannungsverhältnis dazu tendieren Gemeinschaften zur Beseitigung dieser Leerstelle, um die die Gesellschaft zentriert ist. Immer wieder wird versucht werden, den Mangel durch Schaffung leitender Ideen, verbindlicher Werte oder allgemein gültiger Bilder zu beseitigen. Sie sollen einer Gemeinschaft das Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln und Unterscheidungsmerkmale sein, mit denen man sich vom - wie immer konstruierten - „Anderen“ abgrenzen kann.
Demokratie lebt von der Aufrechterhaltung der Leerstelle, sie lebt damit daß das Gemeinsame immer nur vorläufig, zeitlich befristet und unvollkommen symbolisiert werden kann. Und daß das „Wir“ der Gemeinschaft immer neu ausgehandelt werden muß.
„Deutschland wird Deutschland bleiben“, sagte die Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Rede vor dem Bundestag am 7. September 2016, „mit allem was uns daran lieb und teuer ist.“
Dieser Satz illustriert das Dilemma demokratischer Politik: Einerseits soll Identität behauptet werden - Deutschland soll Deutschland bleiben - andrerseits bleibt offen, was das ist, was uns lieb und teuer ist. Jeder Versuch der Definition führt in eine konfliktreiche Debatte, deren Zeugen oder Teilnehmer wir ja alle sind. Denn wer ist dieses „uns“ und was ist mit dem und denen, die „uns“ nicht „lieb und teuer sind“?
Deshalb beharrt ein Museum, das sich demokratisch versteht, auf der Vorläufigkeit auch seiner Symbolisierungsleistung. Objekte und Sammlungen aber auch die Erzählungen in Ausstellungen werden ja oft als das Unterpfand für Gemeinschaftlichkeit verstanden. Museen scheinen - auf Dauer und durch die Konkretheit der auf Dauer bewahrten Dinge gestützt -  jenes „Ding“, jenes „common object“ zu besitzen, das den Inbegriff von Zusammengehörigkeit bildet.
Deshalb hat das Museum seit dem späten 18.Jahrhundert eine überdeterminierte Bedeutung für die entstehenden Nationalstaaten und spielt auch heute noch als Ort nationaler, regionaler und lokaler Selbstvergewisserung eine große Rolle.
Um Dinge sammeln wir uns in Museen zum Zweck der Selbstdeutung. Dinge werden dort gesammelt, aber sie sammeln auch. Auf den Zusammenhang von Ding im Sinn einerseits von Sache, Gegenstand usw. wie andrerseits von Sich-Sammeln verweist auch die Wortgeschichte und -bedeutung: Das altgermanische Thing als Wort für Versammlung ist identisch mit der englischen Bezeichnung thing für Ding.
Museen haben es in demokratisch verfassten Gesellschaften mit beidem zu tun: mit dem nicht Symbolisierbaren wie mit dem Wunsch, das Gesellschaftliche dennoch zu symbolisieren. Dabei kommen im Museum sowohl imaginäre Objekte ins Spiel, das heißt  Vorstellungsbilder, Images, als auch physisch reale, wie Musealien, Exponaten, Sammlungen.
Aber eine definitive und unwandelbare gemeinsame Sache, so eine „cosa nostra“, die ein festzustellendes „Wir“ verbürgt, so etwas gibt es auch im Museum nicht. Was Objekte im Museum bedeuten, muß immer wieder erzählt werden.
Ein ideales Museum ist sich der Schwierigkeit bewußt, zwischen der Erwartung nach einerseits Eindeutigkeit und andrerseits Offenheit und Vorläufigkeit orientieren zu sollen. Es arbeitet mit dem Wissen, daß so etwas wie „Sinn“ immer nur vorläufig, (ab)gleitend und innerhalb eines nie abschließbaren Diskurses zu haben ist.
Wir-Konstruktionen beruhen immer auf Ausschluss eines - wie auch immer definierten - Anderen. Es geht immer buchstäblich um Diskriminierung, um Unterscheidung. Etwa entlang sozialer, ethnischer, sexueller oder religiöser Kriterien.
Das gilt für das Museum selbst, das heißt für seine Verfassung als Institution und organisation. Es schließt z.B. Menschen mit einem bestimmten sozialen Status und Bildungsniveau aus. Und das in beträchtlichem Umfang.
Das ideale Museum zieht aus seiner Existenz nicht den Kurzschluss auf seine Existenzberechtigung. Sein hohes Prestige verleitet es nicht dazu anzunehmen, daß es gesellschaftlich an sich schon sinnvoll ist.
Es bezieht seine Ziele und Aufgabenstellungen aus seiner sozialen Verantwortung. Indem es seine treuhänderisch wahrgenommene Rolle im Medium bürgerlich-liberaler oder agonistischer Öffentlichkeit wahrnimmt, ist es unvermeidlich gegenwartsbezogen. Alle, die im Museum agieren, erzählen, argumentieren, zu Sehen geben und Sehen tun dies in der Gegenwart und mit gegenwärtigen Fragen, Interessen und Anmutungen.
Die Brücke zur Vergangenheit bildet die Erfahrung von Zeitdifferenz, durch die historische Erfahrung und historisches Bewusstsein erst zustande kommen können.
Das ideale Museum fungiert als nervöses Auffangorgan und nimmt seine Zeitgenossenschaft aktiv wahr. Das ideale Museum behauptet und verteidigt sich als einzigartigen Freiraum gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und Wachsamkeit.

Für ein agonistisches Museum

Museen haben es im Grunde immer mit konflikthaltigen Stoffen zu tun. Es gibt nie nur einen Standpunkt des Wissens, der Deutung, der Erzählweise. Museen tendieren mit ihrer dazu, Konflikte zu harmonisieren, zu verleugnen oder zu verdrängen. Sie sind „Unschuldskomödien“.
Sie haben es mit Gewalt, Schuld, Herrschaft oder Hegemonie zu tun, aber auf eine unterdrückte, oft unbewußte und verdrängte Weise. Das gilt aber nicht nur für seine Themen, die es aufgreift. Dies gilt wiederum auch für das Museum als Institution selbst, wo seine Existenz auf Gewalt, geforderte Opfer, militärische oder ökonomische Überlegenheit gründet - ich nenne als einziges veranschaulichende Beispiel das koloniale Erbe der Museen.
Indem sie uns etwas mit eigenen Augen zu sehen geben, was in greifbaren Dingen verbürgt erscheint, billigen wir Museen hohe Glaubwürdigkeit und Evidenz zu und kommen gar nicht auf die Idee, sie selbst und ihre Mechanismen zu hinterfragen. Das „Gemachte“ und die Autorschaft an ihnen tritt häufig hinter die Überzeugungskraft ihrer buchstäblichen „Sachlichkeit“ zurück.
Museen müssen aber fähig gemacht werden, die Verdinglichung zu durchbrechen und Konflikte anzusprechen und auszutragen, Interessen, Ideologien, Machtverhältnisse offenzulegen. Vermittlungs- und Diskursformen müssen geeignet sein, dem Rechnung zu tragen. Dazu muß das Museum in einer Art von Selbstaufklärung erst einmal die Bedingungen seiner eigenen Existenz und Arbeitsweise zu reflektieren.
Und dann kann das ideale Museum ein Ort agonaler, also konfliktfähiger, streitbarer Öffentlichkeit sein.
Liberale bürgerliche Öffentlichkeit ist idealtypisch die Versammlung von Bürgern und Bürgerinnen, die frei und ungezwungen, ohne jemanden auszuschließen und unter Achtung und Anerkennung des Anderen über ihre Angelegenheiten verhandeln und entscheiden. Diese Form von Öffentlichkeit hat die Harmonisierung und damit die Beseitigung des Konflikts zum Ziel.
Agonistische Öffentlichkeit (Chantal Mouffe) dagegen deklariert die Interessen, macht sie kenntlich und lässt sie aufeinandertreffen. Bürgerliche oder liberale Öffentlichkeit wird als einheitlich gedacht, unter Beteiligung aller, also ohne Ausschluss und in wechselseitiger Anerkennung. Agonistische Öffentlichkeit dagegen ist vielfältig und vielgestaltig, kennt viele Formen.
Im Idealfall ist das Museum bereits aus einer Bearbeitung eines gesellschaftlichen Konflikts entstanden. Ich denke etwa an den Typ „Jüdisches Museum“ wie er im deutschsprachigen Raum seit den 1980er-Jahren entstanden ist.
Insofern die Entstehung des Museums mit der Entwicklung bürgerlicher Öffentlichkeit einhergeht, hat das Museum ein Potential Öffentlichkeit herzustellen und zu moderieren. Im idealen Museum nutzen die Beteiligten dieses besondere mediale und kommunikative Potential, um Konflikte zu bearbeiten. Das geht nur im Medium des Konflikts selbst, weil nur so Differenzen, Standpunkte und Interessen sichtbar gemacht und ausgetragen werden können.
So können etwa Konflikte Thema des Museums werden, die aus der Beziehung von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten resultieren, noch dazu wenn diese Minderheiten beanspruchen in den Raum der musealen Repräsentation aufgenommen zu werden. Insofern verhält sich das Museum auch in diesem besonderen Fall ausdrücklich politisch und demokratisch.
Die Qualität demokratischer Politik liegt immer auch in der Sorge um und den Schutz von Minderheiten. Deswegen hat das ideale Museum marginalisierte und deklassierte Gruppen besonders im Auge und bedenkt, dass es selbst nie von einer neutralen, außerhalb des Gesellschaftlichen liegenden Position aus agiert, sondern Teil der Spannungsverhältnisse und Interessenskonflikte ist. Das Museum könnte z.B. den Blick auf die „Anderen“ von heute richten, auf die komplexen Fragen von Zugehörigkeit und Anerkennung, die Gegenwart von Einwanderung, Flüchtlingsdebatten und Identitätspolitik. Letztlich also auf die Frage, wer eigentlich den „Demos“ der Demokratie von heute ausmacht.

Das Museum als sozialer Ort: Distinktion und Hegemonie

Das ideale Museum versteht unter seiner Öffentlichkeit nicht bloß die formelle und statistisch erhebbare Zugänglichkeit. Es misst seine öffentliche Bedeutung nie an der Zahl seiner Besuche und lässt dies auch nicht durch andere (Medien, Politik) zu. Konsequenterweise erhebt und veröffentlicht es keine Besuchsdaten.
Das Museum ist sich bewusst, dass es ein Ort der sozialen Distinktion ist, dass es überproportional gebildete und bereits kulturaffine Personen anzieht, dass ein erheblicher Teil (etwa um die 50% einer Gesamtbevölkerung) vom Museum ausgeschlossen sind und dass ein Großteil einer Bevölkerung am Museum desinteressiert ist und von ihm auch nicht mit speziellen Maßnahmen der Werbung oder Vermittlung erreicht werden kann.
Dem Museum sind Grenzen in der Auflösung dieses Widerspruchs gesetzt. Einerseits wird es sich um Erarbeitung von Methoden bemühen, seine sozial und kulturell distinktive Funktion abzuschwächen, Programme auch für Bevölkerungsgruppen entwickeln, die in den Museumsroutinen eher vergessen und vernachlässigt werden.
Es wird sich aber auch der Frage stellen, ob es wirklich „für alle“ da ist und da sein kann und vor allem, warum es eben nicht für alle da ist.
Das ideale Museum ist sich seiner hegemonialen Funktion bewusst und seiner Rolle als „kultureller Staatsapparat“ - die in dieser Skizze aber bereits auf der organisatorischen Ebene in Form einer egalitären, vom Staat relativ unabhängigen Institution abgeschwächt ist. Der Staat kann sich mit Zwang durchsetzen (Militär, Polizei etc.), er kann dies mit Überzeugung und Überredung tun, etwa im Feld der Kultur. Daraus folgt, daß das Museum sich seiner Rolle als Staatsapparat bewußt ist. Daß es Macht aufrechterhalten hilft, daß es Herrschaft stabilisieren hilft, daß es Loyalität erzeugt. Dass es sich bewusst ist, kulturelle Werte zu etablieren, die von einer Minderheit oder Elite etabliert wurden aber als allgemein und für jedermann gültige, leitende und verbindliche ausgegeben werden.
Anders gesagt: Es setzt Werte, Traditionen oder Kanons nicht als gegeben und naturwüchsig voraus und affirmiert sie z.B. nicht als „Sehenswürdigkeiten“, „must sees“, sondern historisiert die Bedingungen unter denen überhaupt erst etwas kanonisiert, wertvoll und bedeutend wurde.

Das Museum als zivilisierendes Ritual

Das ideale Museum ist sich seines Potentials als zivilisierenden Rituals (Carol Duncan. Sabine Offe) bewusst. Museen sind zivilisierende Rituale insofern, als sich Menschen um Sammlungen zum Zweck der Selbstdeutung, Selbstauslegung sammeln. Es spielt eine Rolle für die Frage, woher wir kommen, wie wir unsere Zukunft entwerfen und wer „wir“ und die Anderen sind.
Es geht in der Auseinandersetzung mit dem Anderen um kollektive wie individuelle Identität, etwa in ethnischer, sozialer oder religiöser Hinsicht, was die Zugehörigkeit zu einem kulturellen Geschlecht betrifft oder auch die Erfahrung von Zeitdifferenz in der Spannung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es geht mit anderen Worten darum, daß Gesellschaften und Gemeinschaften sich damit beschäftigen, was sie waren, was sie sind und was sie künftig sein wollen.
Insofern Museen soziale Räume bilden und öffentliche Debatten ermöglichen und lancieren, setzen sie auch eine Dialektik von Individuum und Gemeinschaft, politischem Bürger (Citoyen) und Gesellschaft in Gang. In dem Maß, in dem der Bürger an den öffentlichen Angelegenheiten teilhat, konstituiert er sich als Teil der Gesellschaft, die zugleich zu der Sphäre wird, in der er sich als Bürger entfalten kann.
Diese politische Funktion des Museums ist keine willkürlich und nachträglich hinzugefügte, dem Museum bloß äußerliche Funktion, sie gehört museumsgeschichtlich zu den Entstehungsbedingungen als Institution der Moderne zu Ende des 18.Jahrhunderts.
Den Prozess der symbolischen und soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben im Prinzip für alle Staatsbürger, die sie ja erst durch diese Teilhabe im vollen Sinn werden, würde ich gerne Bildung nennen.

Das Wissen des Museums
Der Bezug zu Wissen und damit zu Wissenserwerb und Lernen werden sehr oft als definitorische Bedingung für Museen angeführt. Gemeint ist damit meist die Berufung auf eine (akademische) Fachlichkeit, die in der Rolle des Kurators repräsentiert ist.
Auf diese unhinterfragte, nicht deklarierte Sachlichkeit verzichtet das ideale Museum. Es öffnet das Wissen in alle Richtungen aus der Erfahrung heraus, daß Wissen immer im Fluß ist, vorläufig, relational ist. Es stellt Wissen in Frage. Es bricht mit der autoritativen Rolle des Kurators die Wissensmacht, die er im Namen einer nur scheinbaren Professionalität vertritt.
Das Museum beruft sich nicht auf die Fachlichkeit eines bestimmten Museumstyps oder einer bestimmten Wissensdisziplin. Es beruft sich auf Themen, Problemlagen, Fragestellungen.
Was dabei an Expertise am Museum selbst nicht bereitgestellt werden kann wird „importiert“, anderswo abgerufen, zugekauft.
Anders gesagt: Inhalt der Museumsarbeit ist nicht das fachliche Wissen der dem jeweiligen Museumstyp analogen Wissensdisziplin - Ethnologie beim Völkerkundemuseum, Kunstgeschichte beim Kunstmuseum usw. - sondern ein transdisziplinäres, nach vielen Seiten hin offenes und nicht abgeschlossenes Wissen.
Wissen wird damit nicht obsolet, es wird nur nicht mehr umhinterfragt hingenommen. Auch das Kuratorenwissen wird nicht obsolet, es wird aber der Platz dieses Wissens und seine Funktion ebenso hinterfragt wie der - möglicherweise falsche - Platz, an dem es im Museum sitzt.
In der Pädagogik gibt es den Begriff des „entdeckenden Lernens“, wo sich die Fragestellungen mit dem Wissenserwerb verschieben können und es wieder zu einer Rückkoppelung zum Wissen kommt. Ganz ähnlich kann man sich das ideale Museum vorstellen, das Wissen gewissermaßen nicht hinter sich hat, als etwas Abgeschlossenes mit Wahrheits- und Gültigkeitsanspruch, das es bloß noch zu vermitteln gilt, sondern immer vor sich und als Prozess, nicht als Resultat.
Daniel Tyradellis folgend sehe ich eine Aufgabe von Museen und Ausstellungen darin, „Hypothesen ins Bild zu setzen, die damit überhaupt erst eine Diskussion über sie erlauben…“.
Dabei ist das Museum immer auch eine geordnete Welt, in der sich Individuum und Gemeinschaft orientieren können. Diese eigentümliche Ganzheitlichkeit und Welthaltigkeit  finden wir in nationalen Museen ebenso wie im kleinsten Heimatmuseum.

Das Museum ist Vermittlung

Ist nicht jede kulturelle Form, Theater, Buch, Film, Tanz, bildende Kunst usw. „Vermittlung“ und daher Bühne, Kino, Galerie, Museum etc. bereits selbst ein Raum der Vermittlung? Personelle wie mediale Vermittlung hat sich unter verschiedenen Begriffen wie Museumspädagogik, Kultur- und Kunstvermittlung verselbständigt, das heißt, sie gibt sich als vom Museum und der Ausstellung unterscheidbar zu erkennen. Vermittlung ist zu einer eigenen Berufsrolle geworden. Sie ist etabliert und erlebt eine Konjunktur bei anhaltender Marginalisierung der Personen wie der Tätigkeit. Fragwürdig ist sie, wo sie z.B. als Marketing, als Mittel zur Erhöhung des „Besucherumsatzes“, als Kompensation schlechter Museumskonzeption und Ausstellungsgestaltung eingesetzt wird. Legitimiert scheint sie z.B. dort, wo sie sich für vom Bildungswesen selbst vernachlässigte Gruppen bemüht.
Allerdings sind Museen selbst Vermittlung, nämlich im Medium Ausstellung.
Weswegen ich die weit verbreitete Definition des Museums über Kernfunktionen wie Sammlen, Bewahren, Forschen, Vermitteln für sehr fragwürdig und missverständlich halte. Alle diese vier Funktionen sind keine Zwecke, sondern Mittel zur Erreichung eines Zwecks - der allerdings meist kaum noch debattiert wird. Und vor allem: sie sind nicht gleichwertig. Ohne Vermittlung sind Sammlen, Bewahren und Forschen im Museum sinnlos.
Das Verständnis von der Ausstellung als dem sich selbst genügenden Vermittlungsmedium des Museums für Beruf und Tätigkeit des Vermittelns herausfordernd. Wenn Museum Vermittlung ist - sind VermittlerInnen denn überflüssig?
Nicht unbedingt. Ob überhaupt, und wenn ja, wie, zu welchem Thema und mit welchen Mitteln zusätzlich zu einer Ausstellung vermittelt werden soll, hängt von den Entscheidungen ab, die im Konzept und mit der Gestaltung der Ausstellung getroffen werden, abhängig also vom bestimmten Thema, dem konkreten Ort und Raum, der konkreten Situation und einem bestimmten Zeitpunkt.
Auch Vermittlung ist kein Wert an sich, sowenig ein Museumsbesuch an sich kein Wert an sich ist, sondern sie ist immer verpflichtet, sich im Einzelfall als notwendig auszuweisen und in Hinblick auf ihre Zwecke zu begründen.

Die Nutzer des Museums
Das ideale Museum kennt seine Klientel weder als Gäste, wie es neuerdings oft zu lesen ist, noch als Betrachter und schon gar nicht als Kunden. Es kennt keine Opposition vom Museum auf der einen, Besuchern auf der anderen Seite. Es setzt voraus, daß Besucher immer durch ihre Rezeption an der Bedeutungsproduktion einer Ausstellung mit beteiligt sind, so wie auch der Leser immer einen Roman mitschreibt oder der Betrachter einem Wort des Kunsthistorikers Wolfgang Kemp folgend, beim Betrachten eines Gemäldes immer „im Bild ist“. Im Ausstellen überschneiden sich voneinander oft nicht unterscheidbar permanent Deutungsabsicht der Ausstellungsmacher und Deutungsvermutung der RezipientInnen.
Das ideale Museum kennt seine Nutzer nicht aus der Abstraktion von Statistiken, und auch nicht als Objekt sozialtechnologischer Instrumentalisierung a la Audiencing, und auch nicht als Umsatzzahl, von der unsinnigerweise noch dazu auf die Qualität der Museumsarbeit oder die Existenzberechtigung eines Museums geschlossen wird.
Das ideale Museum kennt seine Nutzer aus der face-to-face-Kommunikation in den diversen Spielarten der Museumsarbeit, aus partizipatorischen Projekten wie als TeilnehmerInnen jener Formen liberaler oder agonaler Öffentlichkeit, die das Museum - so weit es nur möglich ist - in Kooperation mit der Zivilgesellschaft herstellt.
Das ideale Museum arbeitet mit dem Wissen, daß es selbst ein Ort der sozialen Unterscheidung ist und einen großen Teil der Bevölkerung ausschließt. Die heute mehr denn je diskutierte Bemühung, um Inklusion, also um Einbeziehung marginalisierter Gruppen, um Minderheiten, eint das Ideal von sozialer Gerechtigkeit. Das ideale Museum weiß, daß es an diesen Verhältnissen nur bedingt etwas ändern kann, aber es vergisst auch nie, daß Vermittlung von Wissen und Bildung auch dann kein Selbstzweck ist, wenn sich die Museumsarbeit auf die genannten Gruppen konzentriert. Seinen gesellschaftlichen Auftrag formuliert das Museum nicht dadurch, daß, sondern erst immer wozu es mit bestimmten Gruppen bevorzugt arbeitet.
Dabei ist sich das Museum bewußt, daß es auch in partizipativen Projekten nicht so ohne weiteres seine Autorität loswerden kann. Entweder es behält einen Rest seiner Autorität oder es kommt zur völligen Auflösung seiner Entscheidungskompetenz in der Übertragung seiner Macht an die Teilhabenden.
Das ideale Museum erhebt kein Eintrittsgeld. Einerseits um materielle Barrieren für den Besuch zu beiseitigen und andrerseits um die letzten Spuren von Warenförmigkeit aus der Beziehung Besucher und Museum zu tilgen. Diese materielle Barrierefreiheit macht aber nur Sinn unter den Bedingungen einer nicht-hegemonialen Museumsarbeit.

Der Ort des Museums
„Museums? - Should the rain keep off“ hat der Künstler Chris Burden gesagt, in einer jener abschätzigen Gesten, mit der die künstlerische Avantgarde seit der Mitte des 19.Jahrhunderts das Museum als privilegierten Ort der Kunst in Frage stellte.
Doch wem gilt der Schutz vor Chris Burdens Regen? In erster Linie doch wohl den Objekten, bzw. der scheinbar ebenso unwiderlegbaren Kernfunktion des „Bewahrens“ von materiell wie symbolisch wertgeschätzten Artefakten nahezu jeder Art, die auf im Grunde unbestimmte Dauer aufbewahrt werden.
Die Gleichsetzung von Museum mit Gebäude, die Bürden vornimmt, bezieht sich also vorwiegend auf seine Aufgabe eine - womöglich wachsende - Sammlung zu pflegen, zu schützen und zu konservieren. Sicher, Museumsarchitektur hat eine städtebauliche, ästhetische und symbolische Funktion und gewiss auch eine sehr praktische als Rahmen für die Vermittlungsfunktion des Museums oder als Teil der Vermittlung selbst. Doch kann man sich das Museum auch anders denn als architektonischen Raum, als „Haus“ vorstellen?
Im idealen Museum stehen nicht die gebetsmühlenartig wiederholten Funktionen, Sammeln, Forschen, Zeigen, Vermitteln im Mittelpunkt, sondern die eines sozialen Raumes, in dem Menschen sich ihrer Gemeinsamkeit, Geschichte und Zusammengehörigkeit deutend versichern.
Für beides - für die besondere museale Ritualität, wie für den dabei nötigen Gegenstandsbereich - kann aber doch längst gelten, daß sie den Rahmen Museum als Architektur, Haus, Gebäude nicht mehr bzw. nicht immer und zwingend benötigen.
Dazu ein Beispiel.
Im Jahr 2008 beauftragte der Steirische Landtag und die Landesregierung Jochen Gerz - ich zitiere - „ ein Gedenkzeichen zum Machtmissbrauch in der NS-Zeit zu entwickeln“. Das war die Grundlage für ein 2010 gestartetes Projekt unter dem Titel 63 Jahre danach, an dessen Beginn die Bildung einer interdisziplinären Forschungsgruppe aus steirischen Historikern, Kunsthistorikern, Soziologen und Germanisten stand, die sich auf die Suche nach Fotografien machten, die den Nationalsozialismus in der Steiermark dokumentierten. 96 der ausgewählten Fotografien wurden in der lokal am weitesten verbreiteten Kleinen Zeitung veröffentlicht und dort kommentiert. Dann wurde die Leserschaft aufgefordert, eine weitere Auswahl zu treffen, in der die Zahl der Fotodokumente auf die Hälfte, 48, reduziert wurde.
Diese Fotos werden nun allen Landtagsabgeordneten mit der Bitte um einen persönlichen Text zu jeweils einem Foto vorgelegt. Deren Texte wurden wiederum in der Zeitung publiziert. Daraus wählt wiederum die Leserschaft 24 Beiträge aus und die 24 Plätze in Graz und in steirischen Gemeinden, an denen Texte und Bilder gezeigt werden.
Was komplizierter als eine Dogenwahl klingt, ermöglichte eine einzigartige Verschränkung noch dazu normalerweise gegeneinender abgeschotteter Öffentlichkeiten. „63 Jahre danach“ verschränkte Politik, Medien und Gesellschaft in einer einzigen großen Interaktion und es entstanden mehrmals innerhalb des Entstehungsprozesses Räume autonomer Autorschaft.
Selbst die Zeitung zieht sich, etwa ein ganzes Jahr lang, auf sachliche Berichterstattung und Dokumentation zurück und wird, zumindest auf Zeit, selbst zum Medium für von ihr nicht kontrollierbarer oder formierbarer Teilöffentlichkeiten. Politiker treten aus ihrer repräsentativen Rolle heraus und artikulieren sich auch als Privatpersonen, die mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen über die Zeitdifferenz von dreiundsechzig Jahren hinweg direkt und indirekt über die aktuelle Bedeutung und Brisanz der subjektiven wie kollektiven Erinnerungen räsonieren. Sie werden damit wiederum zu einem Teil jener Zivilgesellschaft, die in der Leserschaft der Zeitung repräsentiert ist.
Eine andre Besonderheit: Die Arbeitsgruppe, die eingesetzt wurde, um mit der Auswahl der Fotografien den ersten Schritt ins Projekt hinein zu machen, war interdisziplinär. Obwohl es ein zeitgeschichtliches Projekt war, überließ man es nicht allein der akademischen Geschichtswissenschaft. Ich könnte mir vorstellen, daß man diesen Kreis noch bunter hätte machen können.
Last but not least war auch das Landesmuseum involviert, und zwar als organisatorischer Rahmen, als Instanz der Realisierung in engster Kooperation mit Jochen Gerz. Das Museum trat aber nicht als Mitautor auf, wenngleich Werner Fenz, damals Leiter des dem Joanneum eingegliederten Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, Initiator war, griff nirgends inhaltlich in den Prozess ein und war auch räumlich kein Gastgeber. Es gab eben keine Museumsausstellung, sondern, wenn man dem überhaupt einen Namen geben will, Interventionen oder Installationen im öffentlichen Raum, die dann jahrelang gezeigt wurden.

Die Medien des Museums
Lange Zeit waren es originale Kunstwerke und historische Dinge, die die Sammlungen und Dauerausstellungen von Museen dominiert haben. Noch in den 1920er-Jahren war etwa die Fotografie als „Hilfsmedium“ höchst umstritten - heute gibt es bezüglich des Einsatzes aller nur erdenklicher Medien allenfalls noch bei Kunstmuseen Bedenken.
Die Privilegierung originaler, authentischer, dokumentarischer historischer Objekte - jede dieser Eigenschaften hat ihre besondere Qualität und Fragwürdigkeit zugleich - spielt noch eine gewisse Rolle, vor allem im Bereich der Kunst, weil unter anderem an diesen Qualitäten der Marktwert aber auch kulturelles und soziales Prestige hängt. Wer sich - kenntnisreich - mit hochkulturell codierten Artefakten beschäftigt, darf sich zu den „Eingeborenen der Bildungselite“ (Pierre Bourdieu) zählen.
Im idealen Museum ist das einzige Kriterium, ob ein Medium geeignet ist einen Sachverhalt angemessen zu vermitteln. Das macht unabhängig von - wenn auch noch so professionellen aber eingeschliffenen und umhinterfragten - Standards und von immer wieder repetierten musealen Stilen und Gewohnheiten.
So zielte die ungewöhnliche Wahl von Hologrammen in der ehemaligen Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien ins Herz der Frage der Repräsentierbarkeit von Geschichte, zumal der gewaltförmig entstellten jüdischen. Dabei erwies sich das Medium Hologramm mehrfach geeignet. Es ermöglichte den Besuchern, sowohl ihre Wahrnehmungssituation zu reflektieren als auch die Unmöglichkeit einer Rekonstruktion von Vergangenheit angesichts entstellter und lückenhafter Überlieferung, zerstörter Objekte und traumatisierte Erinnerung.
Läuft das auf ein Museum ohne Objekt hinaus? Nein, ohne seine spezifische Medialität verlöre das Museum seine Unterscheidbarkeit von anderen Institutionen und Praktiken.
Die Sonderstellung des Museums bleibt durch seinen Bezug auf Dinge im allerweitesten Sinn gewahrt. Als öffentlicher Raum im Zeitalter vielfach gefährdeter Öffentlichkeit kann das Museum im Rückgriff auf sinnhaft angeordnete Gegenstände Probleme bearbeiten, die ansonst nicht bearbeitet werden können.

Organisationsform. Arbeit im Team
Mein ideales Museum hat eine flache organisatorische Hierarchie und eine Leitung im Team. Denkbar ist eine kollektive Leitung ebenso, wie eine gewählte und befristete oder die rotierende Betrauung der Leitung aus dem Museumsteam heraus. Das Museum arbeitet in Projektform und bietet Partizipation nicht bloß seiner Klientel an, sondern praktiziert sie auch nach innen. Es fördert die permanente Weiterbildung aller und bezahlt alle MitarbeiterInnen gleich.
Dieses Modell ist offen für andere als herkömmliche (meist autoritativ-patriarchale) Formen der Leitung. Leitung wird also nicht politisch und nicht in nichtöffentlichem Kabinettsstil bestellt, sondern aus dem Museumsteam heraus. Und das unter Einbeziehung des zivilgesellschaftlichen Resonanzraumes, in dem das Museum existiert.
Mein ideales Museum ist eine lernende Organisation, es hat deswegen diverse Formate und Gefäße zur Reflexion seiner Positionierung und Arbeit aber auch zur Förderung seiner MitarbeiterInnen.
Das Team arbeitet permanent an der Auseinandersetzung mit neuen museologischen Arbeitsweisen und Theorien. Durch selbstreflexive Bezüglichkeit auf die eigene Arbeit, auf die Entwicklung von Museen in der Umwelt der Institution und durch Wahrnehmung des theoretischen Diskurses vermeidet das ideale Museum Erstarrung und Routine.
Es leistet sich ausdrücklich als Luxus Freiräume einer so vollständig wie nur möglich von Zwängen, Normen und Routinen freien Reflexion seiner Rolle und Tätigkeit zu organisieren.
Es integriert Innovation (etwa wie das Berner Museum für Kommunikation, wo es den Auftrag ans Team gibt, bei einer Ausstellung im Jahr „etwas Neues“ zu machen), aber nicht als Selbstzweck, es geht Risiken ein, es erlaubt sich, gelegentlich mit Projekten zu scheitern.
Mein ideales Museum ist sich seiner organisatorischen Verfassung als Expertenorganisation bewusst, das heißt also, der Tatsache, dass die meisten MitarbeiterInnen, vor allem jene mit akademischer Ausbildung und in kuratorialer oder leitender Rolle, doppelt unqualifiziert sind: als akademische Fachwissenschafter bringen sie einerseits keine Organisationskompetenz und Leitungskompetenz mit und sind andrerseits weitgehend unvorbereitet, was die praktischen musealen Tätigkeitsfelder betrifft. Fachwissenschaftlich ausgebildete KuratorInnen haben entweder überhaupt keine museologische Kompetenz oder eine kaum ausreichende. Sie sind auch unvertraut mit den theoretischen museologischen Diskursen.

Trägerschaft und Finanzierung
Mein ideales Museum wird von der (Zivil)Gesellschaft getragen und ist aus ihren Bedürfnissen heraus entstanden. Staatliche Eingriffsmöglichkeiten gibt es nur im Falle von Gesetzeswidrigkeiten oder wirtschaftlicher Fahrlässigkeit. Politik und Administration beschränken sich in diesem Sinn auf die Kontrolle der aus Steuereinnahmen zur Verfügung gestellten Finanzierung und die Einhaltung von Gesetzen.
Die zivilgesellschaftliche Trägerschaft, in welcher Rechtsform auch immer, ist in der Gestaltung des Museums unabhängig und allein der Öffentlichkeit verantwortlich, der sie regelmäßig Rechenschaft gibt.
Zwischen der öffentlichen Hand und dem Museum wird ein transgenerationeller bestandssichernder Vertrag geschlossen, zwischen der zivilgesellschaftlichen Trägerschaft und dem Museum eine periodisch erneuerbare Vereinbarung über die Ziele und Aufgaben.
Finanzielle Unterstützung von privater Seite, seien das Einzelpersonen, Firmen, Konzerne usw., werden selbst bei Uneigennützigkeit (Mäzenatentum), vor allem aber bei Erwartung von symbolischer oder materieller Gegenleistung (Sponsoring) nach strikten ethischen Richtlinien beurteilt.


Graz, im September 2016

Mittwoch, 20. Februar 2013

Museen als Blödmaschinen?

Ein bekennender Nudist, der, wie uns der (mit einem Anzug bekleidete) Manager des Leopold-Museums versichert, in einer auf eigenen Wunsch anwesenden Gruppe in die Fernsehkamera sein Bekenntnis aufsagt: "Die Kunst ist ja auch nackt".

Georg Seeßlen und Markus Metz haben in ihrem gleichnamigen Buch "Blödmaschinen" als "Bewusstsein, Wahrnehmung und Kommunikation" so verändernd beschrieben, "dass der Mensch, der in sie gerät (und zum Teil: der sie bedient) weder seinen eigenen sozialen Ort scharf erkennen noch ein gemeinsames Interesse mit anderen suchen kann."

Der Museumsmanager, der immer wieder beteuert, die erste "Nacktführung" in der Ausstellung "Männer" werde auf Wunsch einer Gruppe durchgeführt, außerhalb der Öffnungszeiten, rechtfertigt sich (ungefragt) mit schwurbeligen Sätzen zur Bildungserfahrung im Museum. Desgleichen der Kunstvermittler (im Anzug).

Ein Museum, das, wie das Kunsthistorische, aus Anlaß der Eröffnung einer seiner Abteilung auf Plakaten (immerhin in witziger Form) als Bildungsziel das "Mitreden-Können" anpreist, ein Museum das sich ja nicht mit der dezenten Abwicklung einer ungewöhnlichen Veranstaltung begnügt, sondern für (Medien)Rummel sorgt (die Vertreter der Medien gut gekleidet), was machen die?

Sie betreiben Marketing - das heißt ein Marktförmig-Werden des Museums, für das es aber per definitionem keine Marktfähigkeit geben kann.

Es geht um die Konkurrenz zu anderen Museen, zu anderen kulturellen Einrichtungen, es geht um Konkurrenz um Aufmerksamkeit.

"Die Schau 'Nackte Männer'", berichtet Wien ORF.at auf seiner Webseite, "wird mit Sicherheit als die Erfolgsausstellung in die Geschichte des Museums eingehen. Neben der hohen Besucherzahl wurde auch so viel wie kaum über eine andere Ausstellung berichtet - mehr dazu in „Nackte Männer“ sorgen für Besucherplus. Weit über 1.000 Medienberichte in unzähligen Sprachen wurden gezählt, die Plakate mit den nackten Fußballern bewegten die Gemüter."

Blödmaschinen, so Seeßlen und Metz, sind solche, die jene Art von Dummheit erzeugen, mit der der Weg in eine neoliberale, entpolitisierte, postdemokratische Gesellschaft gepflastert ist. Je blöder die Subjekte in dieser Gesellschaft werden, desto ungehemmter kann sich die Destruktivität des ökonomischen Imperativs gerieren.

Dienstag, 12. Februar 2013

Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 2)


Das Ende der Harmlosigkeit. Übers Vermitteln (Teil 2)

Sinclair Rosss. Museum of Despair

Das zivilisierende Ritual
Ich verstehe das Museum als ein gesellschaftliches Projekt der Moderne, das der Staat treuhänderisch im Interesse der Wohlfahrt aller seiner Bürger unterhält. Ich verstehe es als ein zivilisierendes Ritual der kollektiven wie individuell wirksamen Selbstvergewisserung und Selbstdeutung.
Von der Verkehrsinfrastruktur bis zum Bildungswesen, vom Gesundheitswesen bis zu den Gefängnissen, das alles sind öffentliche Einrichtungen, die dem Gemeinwohl dienen und die deshalb durch die ‚öffentliche Hand’ finanziert und verwaltet werden. Dem Anspruch nach wenden sich öffentliche Einrichtungen immer an die Gesamtheit einer Gesellschaft, das Gemeinwohl ist, wie das Wort schon sagt, unteilbar. Auch vom Gefängnis, wo man dieses Prinzip vielleicht nicht so gerne universal verstanden wissen will, gilt, daß grundsätzlich jedermann mit ihm einmal Bekanntschaft schließen könnte, aber ‚wohlfahrtstaatlich’ ist es erst deshalb, weil es ein Ordnungsinstrument ist, das Ausschlüsse aus der Gesellschaft auf Zeit ermöglicht oder mit dem sich auch die Idee der Verbesserung der Individuen, mithin der Gesellschaft als Ganzes (Resozialisierung etc.) verbindet.
Wenig anders verhält es sich mit dem Museum, von dem wir ja wissen, daß viele Menschen es gar nicht besuchen und nutzen, aber wohlfahrtsstaatlich ist es deshalb, weil sich sein zivilisatorischer (bildender) Anspruch auf uneingeschränkt jedermann richten muß.
Ich diskutiere jetzt noch nicht, welche Probleme im Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit liegen, sondern beziehe mich zunächst auf die Herkunft der Idee.
Am Tag, an dem, mitten in der Französischen Revolution das Museum im ehemaligen Königsschloß, dem Louvre eröffnet wurde, am 10. August 1793, wurde auch eine neue Verfassung deklariert. Mit unüberbietbarem Pathos formuliert ihr erster Satz „Das Ziel der Gesellschaft ist das Glück aller.“ Letztlich sind alle staatlichen Maßnahmen und Einrichtungen diesem Ziel zu- und untergeordnet. Ästhetische und historische Erfahrung sind von Anfang an als Aufgaben des Museums buchstäblich zentral und das neue Gewicht des Museums im, man könnte sagen „neuen“ Staat wird zum Beispiel deutlich in seiner städtebaulichen Situierung und architektonischen Ausstattung.
Ein erhellendes Beispiel dafür, was mit ‚wohlfahrtlich’ in Bezug auf das Museum gemeint ist, bietet das 1830 eröffnete Museum, das für die Sammlungen des preussischen Königs eröffnet wurde. Sein Architekt, Karl Friedrich Schinkel und deine Kommission, die aus Künstlern und Wissenschaftlern bestand und deren Leitung Wilhelm von Humboldt innehatte, konzipierten dieses Museum nicht mehr als exklusiven privaten Raum eines Herrschers und seiner Dynastie, in das man nur mit freiwillig gewährter Großzügigkeit Zutritt hatte, sondern als öffentlichen Raum und Ort, dessen Betreten ein Recht war. Und nur so kann ja eine öffentliche Einrichtung auch öffentlich wirken, nur so konnte, wie es die Kommission vorsah, ästhetische Erfahrung des Einzelnen sich im Museumsraum zur kollektiv wirksamen Humanisierung der Nation (H. Lübbe) ‚ver/sammeln’.
Das ist Grundlage auch des heutigen Museums, der Museumsarbeit aktuell, auch wenn wir weder alle herkömmlichen Begriffe noch verwenden und uns manche Implikationen und Strukturmerkmale gar nicht mehr bewußt sind. Als im Dienste aller seiner Bürger institutionalisierten wohlfahrtlichen Leistung ist also auch das Museum ,öffentlich‘, man könnte hinzufügen „ab nun“, denn die Sammlungspraktiken der frühen Neuzeit bis herauf in die Zeit der Aufklärung kennen das (in Frankreich mit der Verfassung) verankerte Recht auf Zugang der Bildungseinrichtungen nicht.
Das Museum ist zweitens auch ,öffentlich‘ als diskursiver Sphäre, also im Sinne von bürgerlicher Öffentlichkeit,‘ in der die alle betreffenden Angelegenheiten‘, die ,gemeinsame Sachen‘ ausgehandelt werden und dadurch auch jegliche Macht einer Kontrolle unterworfen wird. 

Karen Knorr. Musée de la chasse, Paris
Aber nicht allein durch das Recht auf die Zugänglichkeit läßt sich das Museum als - mit gewissen Vorbehalten -, „demokratisch“ verstehen, sondern nur insoweit es seine diskursive und öffentlichkeitsbildende Aufgabe auch aktiv wahrnimmt. Denn an und für sich ist das Museum (wie vieles andere auch) gegenüber jeglicher Form der Instrumentalisierung neutral). Die demokratische Qualität eines Museums mißt sich an seiner Vitalität und Dynamik, mit der es öffentliche Debatten und Interessen aufzunehmen imstande ist, zu initiieren, weiterzutreiben.
Öffentlich ist das Museum noch in einem weiteren Sinn, nämlich insofern als die Bedeutungen, die es generiert öffentlich zirkulieren. Museen etablieren Kanons und Werte, verfestigen sie, tradieren und selektieren Wissen, etablieren Hierarchien von Werten und Blickregime, die uns dazu anleiten oder auch verführen, bestimmte Dinge (nur) unter bestimmten Blickwinkeln zu sehen, sie tradieren Werte über Generatzionen hinweg u.a.m. Sie versuchen zumindest – ob Museen das wirklich können, bezweifle ich -, identitäre Diskurse zu regulieren und zu beeinflussen, etwa wenn nationale Geschichtsmuseen oder historische Blockbuster-Ausstellungen das Geschichtsbewußtsein ganzer Gesellschaften zu beeinflussen suchen.
Daraus leitet sich die unabweisbare gesellschaftliche Verantwortung des Museums ab. Und deshalb muß sich auch heute der öffentliche Museums-Diskurs daran messen lassen: inwieweit er selbst Teil der politischen oder ökonomischen Machtverhältnisse bleibt oder inwieweit er subversive Gegenöffentlichkeit herstellt.

 
Das Museum hat eine Verantwortung - und es ist nicht neutral und nicht unschuldig: Im Museum finden sich soziale Distinktionen, gesellschaftliche Konflikte, Machtverhältnisse reproduziert und gespiegelt. Das Museum ist nicht nur ein ,Schauplatz‘ der Distinktion, es wirkt selbst ,diskriminierend‘ und agiert hegemonial indem es partikulare Sichtweisen und Interessen als allgemein verbindlich und gültig erscheinen läßt. Zum Beispiel in einem Kanon würdigungspflichtiger kultureller Werte. Es ist ein autoritativer Ort mit eigentümlicher Wahrheitspflichtigkeit und fragwürdiger, scheinbar in den Dingen naturwüchsig begründbarer Authentizität, die nahezu jedes „Sprechen“ im Museum als wahr erscheinen läßt.
Hinter der eigentümlichen Autorität und Authentizität des Museums verbergen sich „institutionalisierte Diskurse“, mit deren Hilfe „Identitäten oder Subjektformen (natio­nale, geschlechtliche, koloniale etc.) konstruiert, reprodu­ziert und in Umlauf gehalten“ werden. (Oliver Marchart).
Das bleibt aber den Beteiligten, nicht nur dem Publikum, sondern weithin den in der Institution Tätigen selbst, verborgen. Darin unterscheidet sich das Museum wesentlich von anderen kulturellen Institutionen und Praktiken, in die diese Selbstreflexion gleichsam wie ein Bestandteil der Produktion und Reproduktion von Wissen, Macht, Bildern, Bedeutungen selbst eingeschrieben scheint. Was das Kino betrifft, so existiert ein permanenter Diskurs über die Freiheit und Unabhängigkeit der Filmemacher, der Ökonomisierung der Filmproduktion, der Geltung des Films, die er in nationalen Fragen haben kann oder auch nicht. Ein Film wie aktuell Zero Dark Thirty, der die Verfolgung und Ermordung Osama Bin Ladens zeigt, einschließlich von Folter, die zur Informationsbeschaffung eingesetzt wird, hat in den USA (und nicht nur dort) zu einer weit über das Kino hinaus sich entwickelnden Diskussion über Legalität und Legitimität des staatlichen Handelns geführt.
Fürs Museum läßt sich derlei nirgendwo beobachten (obwohl es von der Produktionslogik und Rezeption her alles andre als undenkbar wäre) und die raren Ausnahmen, an denen eine Konflikt sich entzündet (wie etwa bei einer Ausstellung des Smithsonian Institute über den ersten Atombombenabwurf durch die USA und dessen Sinnhaftigkeit – die Ausstellung kam nicht zustande), zeigt, in welchem Ausmaß das Museum machtaffin ist.
Darin liegt die Macht des Museums. „Die Öffentlichkeit der Institution Museum machte potentiell alle Bürger zu Teilhabern eines gemeinsamen kulturellen Erbes und stärkte ihre Loyalität einem Staat gegenüber, der durch die Institution des Museums Freiheit und Gleichheit der Bürger ebenso wie seine Verantwortung für das Gemeinwohl demonstrierte. Die Initiation der Bürger in diese Werte durch civilizing rituals, über Gebäude, Präsentation, Zugangsregelungen und Verhaltensanweisungen, Verbote und Gebote in Museen wirkte mit an der ‚gleichzeitigen Entfaltung und Regulierung des Subjekts’“.
Und: „Die Rituale des Museums dienten der Einführung ziviler Normen, die durch öffentliche rituelle Performanz angeeignet, als allgemein verbindliche sichtbar gemacht und eingeübt wurden. Sie dienten der Dramatisierung von „Selbstbeschreibung" und „Selbstauslegung" der bürgerlichen Gesellschaft und ihrer Mitglieder, der Darstellung einer Zivilisierung, die sie zugleich herstellen sollten.“ (S. Offe)
Aber wer stellt her, wer spricht da und in wessen Interesse? Und mit welcher Legitimation?

Yoga im San Diego Museum of Art

Die Dillemata der Vermittlung

Wir befinden uns mitten in einem dramatischen Rückbau des Wohlfahrtsstaates und demokratischer Strukturen. Das Museum ist in dieser politischen Großwetterlage keine Insel der Seligen. Rentabilitätsdruck, Deckelung und Kürzung der Finanzierung, vereinzelte Schließungen, Öffnung für angeblich selbstlose, also ‚mäzenatische’ private Interessen, Orientierung an Event, Vermarktung und Modellierung der Museumsarbeit (und Museumsarchitektur) nach Freizeitbedürfnissen (u.a.) sind Etiketten, unter denen das, was im Gang ist, beschrieben werden kann. Gegenwehr ist kaum zu erkennen. Die Museen passen sich an, so gut es geht, manche widerwillig, manche berauscht von den vermutlich sehr kurzfristigen Optionen, die ein sich Ausliefern an private Interessen bietet. Soweit ich es überblicken kann, scheint es in den deutschsprachigen Ländern weder auf der Ebene staatlicher Politik noch auf der der Museumsinteressen vertretenden Verbände einen nennenswerten analytischen Diskurs zu dieser Frage zu geben. Museumskrise? Nie gehört?
Soll das Museum wie andere öffentliche Einrichtungen einfach preisgegeben werden? Ist es ohnehin dabei, sich abzuschaffen?
Wie weit kann oder will man in der eigenen Praxis gehen? Wie kann man auf seinem Platz reagieren? Bevor man das im Detail überlegt, scheint mir eine Voraussetzung zwingend: Es gibt gar keine andere Möglichkeit, als sich in einer solchen Situation sowohl gesellschaftspolitisch als auch museumsgeschichtlich reflektiert gegenüber dem eigenen Tun zu verhalten.
Persönlich, aus meiner museumsgeschichtlichen Forschung heraus, meine ich, daß es, wie auch immer man seine aktuellen Ziele formuliert, eine Rückbezüglichkeit auf jenes „Projekt Museum“ geben muß, das vor zweihundert Jahren entstanden ist, und zwar nicht aus nostalgischen Gründen oder weil an diesem Modell festzuhalten wäre (ganz und gar nicht), sondern deshalb, weil dieses Modell im Kern noch immer unsere Vorstellung vom Museum trägt und reguliert und unser praktisches Arbeiten leitet – bewußt oder unbewußt.
Noch einmal: Das heißt nicht, daß ich auf dieses Modell zwingend verpflichten will, das wäre Unsinn. Selbstverständlich unterliegt auch das Museum ständigen Änderungen und die Option auf Transformation gilt auch für das Museum als Ganzes. Aber wenn man etwas überwinden wollte, wenn man etwas hinter sich lassen wollte, wenn man etwas verabschieden wollte, dann kann man das nur verantwortlich tun, das heißt mit Gründen und mit einer klaren und deklarierten Alternative. Nur unter dieser Bedingung kann man das Museum „erfolgreich aufgeben“.
Wie sehen die Optionen für ein solches „erfolgreiches Aufgeben“ aus, wie sollte und könnte Vermittlung unter gegeben Umständen aussehen?
Carmen Mörsch hat vier Funktionen von Vermittlung ausgemacht[1]: eine affirmative, „wenn sie“, wie sie schreibt „Institutionen der Hochkultur und das was sie produzieren, möglichst reibungslos an ein entsprechend initiiertes und bereits interessiertes Publikum vermittelt.“ Eine reproduktive, wenn es ihr und dem Museum in erster Linie um die Rekrutierung eines Publikums (der Zukunft) geht.
Liege ich falsch, wenn ich vermute, daß die Mehrzahl der Vermittlungsprojekte diese beiden Funktionen erfüllt?
Die dritte Funktion nennt sie „kritisch – dekonstruktiv“, die Vermittlung übernimmt es einerseits selbst, die strukturellen Voraussetzungen des Museums und der Vermittlung zu reflektieren und ermöglicht andrerseits auch ihre Klientel durch Offenlegung ihres Standpunktes, sich an dieser Reflexion eigenständig zu beteiligen und sie selbständig weiterzuentwickeln.
Die vierte Möglichkeit liegt darin, gesellschafts- und institutionenverändernd wirken zu wollen. Das geht aber nur dann, wenn man auf die Inhalte und die Rahmenbedingungen unter denen sie produziert und vermittelt werden selbst Einfluss nimmt. Dies nennt Carmen Mörsch transformativ.
Man trifft also eine Wahl. So oder so und ob man das will oder nicht, ob es einem bewußt ist oder nicht. Man positioniert sich. Welche der vier Strategien man verfolgt, in jedem Fall, so denke ich, man darf verlangen, daß in der Standpunkt den man einnimmt deklariert, begründet und verantwortet werden muß.
Und ich denke auch, daß man in der Wahl zwischen den gennanten Optionen nicht völlig freie Hand hat. Zwar ist jede dieser Wahlmöglichkeiten mit fachlichen und ideologischen Implikationen ausgestattet und man könnte meinen, welche Wahl getroffen werde, läge allein in der Verfügung der jeweiligen verantwortlichen Akteure. Die Wahl in der individuellen Verfügung zu belassen unterschätzt einerseits die verantwortung gegenüber dem Publikum, mit dem man etweas tut aber auch den gesellschaftlich-politischen Rahmen, in dem man agiert.

Mark Dion, William Schefferine: Rain Forest Preserves

Mein mir wichtigstes Argument kommt aber wiederum aus der Geschichte, Struktur und Logik des Museums selbst, die diese Wahl determinieren.
Vermittlung kann wohl nur dann sich weiter entwickeln, wenn man sich selbstbewußt, fachlich und museologisch fundiert und im gesellschaftlichen Kontext verantwortlich positioniert, wenn sie ihre Position und die des Museum reflektiert. 
Dabei habe ich immer die historisch-institutionelle Verfasstheit des Museums (wie eingangs kurz skizziert) als eines - möglicherweise unvollendeten - „Projekts der Moderne“ im Auge. Entweder man nutzt das dort bereitstehende Potential und arbeitet am wohlfahrtsstaatlichen Konzept weiter und verändert es oder man überschreitet es, aber dann kann man auch das nur begründet und mit einer überzeugenden Alternative tun. Alles andere hieße für mich bei der Erosion einer Idee bloß zuzusehen, tatenlos auf der Titanic stehen und abzuwarten, wie das Wasser steigt.
Aber selbst etwas zugrunde gehen zu lassen, im Sinne eines Verwerfens oder Verabschiedens, einer endgültigen Zurückweisung, braucht ein Wissen, was man zurückweist, sonst ist es blinde Destruktivität. Erst im Wissen einer Differenz blitzt das Andere und das Bessere auf.
Es gibt einen weiteren Weg. Man kann entdecken – und ich kenne manche Kollegin, manchen Kollegin der ihn, aus Resignation oder im Gegenteil, kreativ und optimistisch geht -, daß die Ziele, die man verfolgt, mit den Mitteln des Museums gar nicht (mehr) durchsetzbar, nicht zu verwirklichen sind.
Wäre es dann nicht gleich besser, mit dem Ruf ,Raus aus dem Museum‘, sich auf (in jeder Hinsicht) riskante, innovative, organisatorisch wie inhaltlich und strategisch neue Projekte, Ziele, Kooperationen einzulassen und die alte staubige Tante Museum, die selbst von ihren eigenen Vertretern so sehr vernachlässigt, mißverstanden und unterschätzt wird, hinter sich zu lassen?
Wobei die Pointe die wäre, daß man dann die im Museum angelegten Ziele und Potentiale, zwar jenseits seiner Mauern, aber unbelastet von deren verhärteter Strukturen, wieder entdecken, ernst nehmen, reflektieren und radikalisieren könnte.


[1] Carmen Mörsch: Watch this Space! Position beziehen in der Kulturvermittlung. Ungedr. Ms.