Donnerstag, 30. April 2020

Die Herausforderungen der Museen in der Corona-Krise. Ein Text von Helmut M. Bien

Inspiriert von einer Petition von Helmut M. Bien habe ich eine Replik auf seien Text geschrieben. Dabei ging es um die frage, ob und wie sich Museen in und nach der Coronakrise andern müssten und sollten. Auch wenn wir, Helmut Bien und ich, unterschiedlicher Meinung sind - gerade die Unterschiede interessieren mich-, wir gehen beide davon aus, dass die Situation die Museen grundlegend herausfordert.

Nun hat auf meinen Text Helmut Bien geantwortet:

Lieber Herr Fliedl,

herzlichen Dank für die freundliche Aufnahme meiner Petition an uns selbst, die Kulturschaffenden. Denn retten müssen wir uns vermutlich selbst...

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie als Museologe und Museumshistoriker mit großer Erfahrung bei meinen optimistischen Einschätzungen Fragezeichen machen. Aber so ist es, wenn man wie ich der weit verbreiteten Verliebtheit ins Scheitern etwas entgegensetzen möchte. Da steht man schnell als naiver Optimist da, während Bedenkenträger auf sich selbst erfüllende Prophezeiungen setzen und sozusagen von der kulturpessimistischen sicheren Seite aus anstrengungslos recht behalten können. Damit meine ich natürlich nicht Sie sondern eine aktuelle Stimmung in Deutschland, die von anderen alles und von sich selbst kaum etwas erwartet und sich in der Opferrolle einrichtet. Gerade deshalb bin ich Ihnen so dankbar, mich noch ein wenig klarer artikulieren zu können zumal das vordergründige Ziel des Aufschließens der Museen erreicht zu sein scheint.  

Die augenblicklich kursierenden Utopien und Dystopien über den Untergang des Abendlandes und das Ende der Menschheit verfolgen weit weniger den Zweck, dass sie Wirklichkeit werden. Es sind Warnungen an die Handelnden, dass Gefahr besteht und dass die Voraussagen möglichst nicht eintreffen mögen. Insofern ist der Irrtum der Propheten kein Unglück und spricht auch nicht gegen sie. Sie sollen das Problembewusstsein schärfen und Handlungsbedarf signalisieren, wenn wir auf eine Wegscheide zusteuern. Das ist die paradoxe Situation in unserer auf Kommunikation basierenden Gesellschaft.

Und es gehört zur Dialektik der augenblicklichen Diskussionen von Wirtschaft gegen Gesundheit, Jung gegen Alt, Fressen gegen Moral dazu, dass sich so trefflich Freund-Feindschafts-Verhältnisse herstellen lassen, es aber in Wirklichkeit darum geht, möglichst viel unter einen Hut zu bekommen. Auch da gehört es zu den systemischen Merkwürdigkeiten von Rollenverteilungen, dass ein Virologe als Virologe erläutert, das vom Standpunkt seiner Wissenschaft aus der Shutdown möglichst lange aufrechterhalten bleiben muss, derselbe aber als verantwortungsbewusster Bürger genau diese seine Haltung für komplett absurd halten müsste.

Meine Petition an uns selbst versucht nichts weiter als relativ pragmatisch das aktuelle Geschäftsmodell des Museums auf seine Haltbarkeit hin zu bedenken und nicht darüber zu klagen, dass es so wie bisher vielleicht kaum mehr weitergeht sondern zu überlegen, welche Chancen bisher nicht genutzt wurden, vielleicht auch weil der Erfolg des Museums in den letzten Jahren nicht in Frage stand.

Die Fragmentierung unserer Gesellschaft hat die Museumslandschaft mitgemacht und eine kaum überschaubare Vielfalt von Institutionen geschaffen. Viele der Neu-, Um- und Ausgründungen verdanken sich der kulturellen Identitätspolitik, die darin bestand das Einzigartige und Unverwechselbare beispielsweise einer Stadt in Gestalt von Museumsanlagen erlebbar und vorzeigbar zu machen. Museen wurden zu Ankerinstitutionen des Stadtmarketings und der touristischen Aufwertung von Innenstädten, die von Verödung bedroht sind. Diese Problemlage wird sich durch die Coronakrise noch weiter verschärfen, weil der stationäre Einzelhandel ebenso bedroht ist wie die Gastronomisierung der Stadtzentren. Kulturinstitutionen werden da neben den Stadtbild beherrschenden Kirchen eine Rolle spielen. Kirchen und Sportstadien stehen mit den  Museen in einer Reihe, als diejenigen die den Stoff für die Selbstverständigung der Gesellschaft bieten. Natürlich auch die Konzerthäuser und Theater, Bibliotheken und Universitäten. Aber durchgehend geöffnet haben vor allem die Museen. Und sie sind voraussetzungslos zu besuchen und können jetzt schnell betriebsfähig gemacht werden.

Sie beschreiben sehr schön, wie die Quotenorientierung der Museumsausstellungen das Problem schafft, als dessen Lösung sie sich anbietet. Wenn viel Geld für Transporte und Versicherungen der Block-Busterausstellungen ausgegeben werden muss, dann müssen auch viele Besucher kommen. Es ist eine Art von Finanzialisierung des Kulturellen, bei dem viel viel kostet und viel viel bringt. Nur sollte das Angebot möglichst flach sein, damit es niemanden überfordert (Highlight, Weltpremiere, geniale Werke). Letztlich vielleicht doch ein Nullsummenspiel und angesichts der Tatsache, dass wir langfristig mit reduzierten Besucherzahlen klar kommen müssen, auch ökonomisch ohne Perspektive. Anstelle der Quote müssen die Qualität und die Tiefe des Bildungserlebnisses treten. Das lässt sich mit der Einbindung der Kreativszene und neuen Angeboten erreichen. Und mit der Entdeckung des lokalen/regionalen Publikums. Der Service, den man den Touristen angedeihen lässt, der lohnt sich auch für die Bürgerinnen und Bürger vor Ort, wenn die das Gefühl bekommen, dass sich der Museumsbesuch immer und immer wieder lohnt und nicht nur etwas ist, das man in seiner Jugend ein Mal hinter sich bringt. 

Sie haben völlig recht, auch über das Selbstverständnis der Museumswissenschaftler und Mitarbeiter sollte neu nachgedacht werden. Museen sind keine Universitäten, die der freien Forschung und Lehre zugedacht sind. Manche Museen benehmen sich zwar so. Museen haben meistens einen Auftrag, so allgemein er auch formuliert sein mag. Forschen, Sammeln und Bewahren gehören ebenso dazu wie das Zeigen und Erklären. Letzteres ist eine in Deutschland eher unterentwickelte Qualität etwa im Vergleich zur angelsächsischen Welt, die viel marktkonformer um Besucher buhlen muss, um die Grundfinanzierung zu sichern. Klaus Biesenbach (Kurator, New York) ist aktuell der Meinung, dass 30 Prozent der amerikansichen Museen nach dem #Shutdown erstmal nicht wieder aufmachen werden.  Eine ‚Marktbereinigung’, die sich in unserem öffentlich-rechtlichen System so nicht stellen wird, die aber sicherlich neue Fragen nach Relevanz und effizienter Organisation aufwerfen werden, auf die man sich in seinem aktuellen Handeln schon einstellen sollte. Denn werden diese Fragen erst in den Gremien und der Öffentlichkeit gestellt, dann sind sie vielfach schon beantwortet und in der Regel negativ. Hier wäre also eine vorauseilende Relevanz-Evaluation sinnvoll und damit die Frage, welche inhaltlichen Brücken sich von den aktuellen Problemen der Gesellschaft schlagen lassen zu den Sammlungsbeständen und den Ausstellungsprojekten der Vergangenheit und Zukunft.

Sie haben recht. Dabei brauchen die Museen auch die Zusammenarbeit mit Externen, die aus anderen Wissensbereichen Erkenntnis und Erfahrung beisteuern. Hier läge das Potenzial, die transdisziplinäre Arbeit zu stärken.

Die Frage nach der Systemrelevanz wird im Augenblick gestellt, um zu begründen, dass die eigene Arbeit nicht schlechter gestellt werden dürfte als die anderer. Es ist eine die auf Gleichheit und gleiche Rechte zielt. Die Systemrelevanz ist theoretisch leicht zu begründen, praktisch muss sie sich in der Krise darin erweisen, dass die Institution sichtbar ist und bleibt und Beiträge leistet, das Gemeinwesen in Gang zu halten. Mein Vorschlag zielt darauf ab, dass die Museen Arbeit schaffen, indem sie sich neu positionieren und ihre implizite Rolle als herausragende Einrichtungen der Selbstverständigung auch explizit machen. Das können die Museen, indem sie ihre Räume nicht nur als Lager- und Schauräume sondern als Arbeitsräume neu erfinden. Das wäre das Neue gegenüber den Roosevelt-Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in der Großen Depression der 1930er Jahre.

Die Museumswissenschaftler müssten ihr Rollenverständnis erweitern. Sie sind nicht nur kompetente Fachleute und versierte Kustoden ihres Sammlungsgebietes, sie könnten auch die Rolle von Kuratoren und Moderatoren übernehmen, die Menschen miteinander verbinden und nicht nur unerbittlich auf hohem Niveau senden. Signale empfangen und Akteure vernetzen wäre ebenso wichtig. Resonanzräume schaffen, nicht nur Echokammern. Auch das ist als eine Kritik an manchem Social-Media-Enthusiasmus der Institutionen zu verstehen, die jetzt einfach nur den Taktschlag und die Intensität ihrer Zielgruppenansprache erhöhen ohne die Augenhöhe mit den Angesprochenen zu suchen und interaktivität anzustreben. 

Die Museen haben ihre Gäste in den Rollen von Konsumenten fixiert, Rundgänge ähneln den Verhaltensmustern beim Window-Shopping. Die Besucher goutieren das Gezeigte, erkennen Bekanntes wieder, repetieren Kontexte, lassen sich ein wenig überraschen und bewerten wie Kunde König: gefällt/gefällt nicht. Ein eher statisches Wahrnehmungsmodell mit narzistischen Zügen.

Aus der Rezeptions-Ästhetik etwa eines Bazon Brock wissen wir, dass vielmehr möglich ist. Kunstwerke brauchen professionalisierte Besucher, die sehen können, was sie wissen oder auch nicht. Die in der Lage sind, Exponate als Vorschläge der Problemstellung zu identifizieren und die selbst eine Haltung dazu entwickeln können.

Inzwischen gibt es noch andere Ebenen der Rezeption. Damit meine ich nicht nur Instagram-Trophäen-Schnappschüsse sondern auch Malkurse oder auch eigne Forschungsprojekte etwa in Natur- und Technikmuseen oder auch Maschinensprach-Kurse in Museums-Labs wie der Ars Electronica oder dem ZKM Karlsruhe, bei denen Besucher zu Usern und selbst produktiv werden.

Alle diese Aktivitäten zielen darauf, den Museumsbesuch zur Gewohnheit zu machen und in den Alltag zu integrieren ganz unabhängig davon, ob die jeweilige Ausstellung interessant ist oder nicht. Dazu gehören auch Vortragsangebote, Film- Performance- und Musikdarbietungen, Festivals oder Restaurant- und Cafe-Besuche.

Museen, das wäre die Anforderung, müssten Menschen um ein Thema herum versammeln und nicht nur Objekte. Und Museumswissenschaftler sind nicht nur Sender von Botschaften sondern auch Empfänger, die Anregungen in Kommunikationsangebote verwandeln können. 

Mir ist schon klar, dass diese Qualifikationen bisher eher die Ausnahme als die Regel sind, aber darin bestände gerade die Notwendigkeit und der Reiz, dass die Museen in der Krise die Mittel bekommen, diese Leute einzubinden und damit die Museen vielfältiger und auch resilienter zu machen.

Und es gibt den Faktor Zeit. Ich glaube wir sollten die kommenden Monate als eine Zeit der Improvisation sehen, in der es auf ein Learning by Doing ankommt. Die Älternen könnte das auch an die Zeit der Wiedervereinigung in Deutschland erinnern. Einer verrückten Zeit, in der das Gelingen vom Machen abhing und sich die Verliebtheit ins Scheitern niemand leisten konnte. Für eine Selbstverständigung  als Voraussetzung zum Handeln bleibt da nicht allzuviel Zeit. Beides könnte parallel und am praktischen Beispiel erfolgen  

Die Frage der Systemrelevanz ist auch eine der Konkurrenz der Begehrlichkeiten. Die entscheidet sich nicht nach Plausibilität und Prestige sondern im Wettbewerb und in der machtvollen Artikulation der Interessen. Es kann auch sein, dass systemrelevante Institutionen unter die Räder kommen. Davor schützt auch Systemrelevanz nicht. Denn die ist nur bedingt einklagbar und immer auch eine Frage der Konsensfindung: Systemrelevant ist das wofür Geld da war…

So hat Angela Merkel vor einem Zuviel an Künstlerprogrammen gewarnt, weil dann die Italiener und Spanier noch viel weniger verständen, warum Deutschland und die anderen Calvinisten ihnen die erbetenen EU-Mittel vorenthalten. So schnell kanns gehen. Und es gibt immer jemanden, dem es schlechter geht. Deshalb verbieten sich alle Klagen.

Wir werden uns also warm anziehen müssen und schnell eine Vernetzung in der Gesellschaft hinkriegen müssen, damit nicht nur die Big Player den Kassensturz glimpflich überstehen sondern auch die Museumslandschaft in ihrer Vielfalt.

Wer nicht mit der Zeit geht, der geht mit der Zeit. Davor schützen auch keine Verträge und Gesetzesklauseln. Im Ausnahmezustand ist vieles Verhandlungssache. Und auch Jens Spahn, der Gesundheitsminister, hat schon mal vorgebaut. Im Nachhinein werde man sich für vieles entschuldigen müssen. 

Das ist die unbequeme Wahrheit

Herzliche Grüße

Mittwoch, 29. April 2020

Ist das Museum ein (Über)Lebensmittel? (Sokratische Fragen 50)

Die gegenwärtige Krise stellt Vieles in Frage. Auch die Museen. Sind Sie denn „systemrelevant“?

Wenn man das unschöne Wort übersetzt, könnte es heißen: systemrelevant ist, was zum Überleben der Gattung notwendig ist. Nahrung, Wasser, Luft, Energie, Kommunikation, Verkehr. 
Die Klimakrise ist die Krise, die das deutlich macht: die Zerstörung der natürlichen Ressourcen wäre das Ende der Gattung. 

So drohend erscheint die Virenkrise nicht zu sein. Dennoch stellt sich auch hier die Frage nach dem, was Gesellschaften zu ihrem Erhalt brauchen und was nicht. Was an Kultur ist unbedingt nötig, was ist entbehrlich?


Gehört das Museum dazu? Oder nicht?

Ein Museum. Deutsches Epilepsiemuseum Kork

Das Deutsche Epilepsiemuseum ist ein Museum in Kehl-Kork in Baden-Württemberg.
Das Museum wurde 1998 von dem deutschen Neuropädiater und Epileptologen Hansjörg Schneble gegründet und gemeinsam mit seinem Sohn Hans-Martin aufgebaut. Es gilt als weltweit einzigartiges Museum zum Thema Epilepsie. Das Museum befindet sich unweit des Epilepsie-Zentrums Kork und zeigt in sechs Ausstellungsräumen über 500 Exponate rund um die Krankheit. Außerdem beherbergt es eine wissenschaftliche Bibliothek mit 300 Werken aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert.
Schwerpunkte des Museums sind neben der wissenschaftlichen Erforschung der Epilepsie auch die Diagnostik und die Entwicklung der Therapiemöglichkeiten. Des Weiteren werden von Betroffenen gefertigte Gemälde und Skulpturen im Epilepsiemuseum ausgestellt. (Wikipedia)


Im September 1998 wurde in Kehl-Kork das erste deutsche (und - nach unserem Kenntnisstand - das erste weltweite) Epilepsiemuseum eröffnet.
Die Eröffnung fand damals anlässlich des 5. Colloquiums "Epilepsie in der Belletristik" in Kehl-Kork statt.
Inzwischen hat das Museum, das zunächst in provisorischen Räumlichkeiten untergebracht war, seinen endgültigen Platz in 6 neuen Räumen des Korker Handwerksmuseums gefunden.
Warum ein Epilepsiemuseum?
Die Gründung des Korker Museums basiert im Wesentlichen auf zwei gedanklichen Vorstellungen - auf einer historischen und einer gegenwarts- bezogenen Überlegung. (Museumswebseite)


Das Deutsche Epilepsie-Museum unweit des Epilepsie-Zentrums Kehl-Kork »ist das einzige Museum dieser Art weltweit«, so sein Gründer und Leiter Hansjörg Schneble.
Kehl-Kork. Die Krankheit Epilepsie zu erklären, hat sich Hansjörg Schneble verpflichtet. Deren Medizin-, Sozial- und Kulturgeschichte erklärt er im einzigen Epilepsiemuseum Deutschlands, unterteilt in Themenbereiche: »Epilepsie, was ist das eigentlich?«, »Die Geschichte der Epilepsie und der Epileptologie« sowie »Wissenschaft und Wissensvermittlung seit frühester Zeit bis heute«. Der Rundgang durch die Räume im Obergeschoss des übrigens sehr sehenswerten Handwerksmuseums Kork lässt bisweilen erschaudern, aber auch nachdenklich werden. Vor allem klärt er auf.
Epilepsie hat mit ihren mitunter dramatischen Ausformungen zu allen Zeiten die Menschen tief beeindruckt, sagt Schneble, ehemals Chefarzt und Ärztlicher Direktor des Korker Epilepsie-Zentrums, sachlich-wissenschaftlich. »Hier treffen Beruf und Hobby aufeinander«, erklärt der Mediziner, Historiker und Buchautor zu seinen Beweggründen, das Museum aufzubauen. (Baden online Sept. 2012)




Sonntag, 26. April 2020

Demokratisch oder nicht? (Sokratische Frage 49)



Woran erkennt man, ob ein Museum demokratisch ist oder nicht?
Oder so gefragt, woran sieht man, ob ein Museum in Nordkorea oder China steht oder in Spanien oder Irland?

Samstag, 25. April 2020

Wie „systemrelevant“ sind eigentlich Museen? Eine Replik auf Helmut M. Biens Petition „Öffnet die Museen!“

Wie „systemrelevant“ sind eigentlich Museen? Eine Replik auf Helmut M. Biens Petition „Öffnet die Museen!“

Der Text von Helmut M. Bien (der vor der Ankündigung geschrieben wurde, dass Museen wieder geöffnet werden können und der hier nachzulesen ist) ist mehr als nur eine Petition, in der das Aufschliessen gefordert wird. Bien verknüpft seinen Appell mit der Einforderung gesellschaftspolitischer Verantwortung der Museen. Mit praktischen Konsequenzen, für die er Beispiele gibt. Museen sollen einen Beitrag leisten zur Bewältigung und Verarbeitung der Krise und auch an Zukunftsentwürfen mitwirken.

Der Text gehört damit in ein derzeit weiterverbreitetes Genre von Krisen-Texten, in denen die Krise mit der Hoffnung auf Lernprozesse und daraus resultierend Veränderungen verknüpft wird. Das kann die Hoffnung auf mehr solidarisches Handeln sein, auf Verbesserung des Gesundheitssystems, auf Stärkung des Sozialstaates oder gar auf eine komplette Umwälzung des Wirtschaftssystems, wenn nicht gar auf das „Ende des Kapitalismus“. Kontrastierend dazu grassieren selbstverständlich auch Dystopien. Eben lese ich in einer Zeitung vom „Tod des Kinos“, vom Hotelsterben oder dem Zugrundegehen des Buchhandels. Und in Österreich wird eine hinsichtlich der Unterstützung Kulturschaffender und einschlägiger Institutionen zaudernden Politik, eine Ende der Kultur und damit der „Kulturnation“ überhaupt vorhergesagt. Noch heftiger sind Phantasien vom Überwachungsstaat oder dem Ende der Demokratie. 

Von einem Ende des Museums redet niemand. Deren finanzielle Krise scheint vorerst zumindest bewältigbar. Von der öffentlichen Hand alimentierte Museen brauchen ohnehin kaum etwas zu befürchten, aber möglicherweise werden kleinere, etwa von Vereinen oder finanzschwachen Gemeinden getragene Museen ähnliche wirtschaftliche Probleme bekommen wie viele andere Betriebe auch. Bei alledem wird die Bedeutung der Museen nicht in Frage gestellt. Die steht schon lange ausser Frage. 

Tut das den Museen gut, gerade jetzt, wo sie länger „verschwunden“ sind? Ich habe an anderer Stelle gefragt, warum die Museen nicht selbst radikal ihre Funktion und Bedeutung angesichts der Krise überdenken, warum sie die „Auszeit“ der Krise nicht nutzen, um ihre Aufgabe und ihre Arbeit zu überdenken. (Hier kann man den Text nachlesen). Wenn sie schon mit der von ihnen selbst veranlassten hyperventilierenden Digitalisierung implizit ihre Ersetzbarkeit als materiellen Überresten verschriebene Institutionen beweisen, warum denken sie die Krise nicht mal von der extrem negativen Utopie her: was wenn eine Gesellschaft ihre Museum „verliert“? Stellen Museen mit der vielfach problematischen Übertragbarkeit ins Netz, nicht sich selbst grundlegend in Frage? Wirken Museen damit nicht gerade an der Abschaffung dessen, was sie einmal waren mit? 

Der US-Museologe Stephen Weil hat vor vielen Jahren in einigen sehr witzigen und rabiaten Parabeln, genau diese Frage aufgeworfen und das Denkunmögliche probeweise durchgespielt - was ist, wenn die Existenzberechtigung der Museen in Fragte steht. (Hier der seiner Texte, der auf verblüffende Weise zur aktuellen Krise „passt) Ich hätte nie gedacht, dass seine Texte mehr sein könnten als ein Probehandeln im Denken. Jetzt wird seine Frage plötzlich praktisch: die Frage nach der Existenzberechtigung der Museen. Wozu braucht es sie?

Das ist die Frage, auf die ein Text, den Helmut M. Bien jüngst via Facebook veröffentlicht hat, hinausläft. Bien geht, wie viele andere, wie wohl die meisten, vom selbstverständlichen Existenzrecht des Museums aus. Es ist wichtig, weil es da ist und es ist da weil es wichtig ist. Zum Unterschied dieser gängigen, diskreten und zentralen Legitimation des Museums, das die am wenigsten und eigentlich nie in Frage gestellte unter den kulturellen Institutionen ist, wirft Biens „Petition“ aber die ausgesparte Frage auf: wozu brauchen wir Museen? Und das ist der Punkt, der mich an der Petition interessiert.

Dabei gibt Bien eine Antwort vor, die mir widersprüchlich erscheint, aber gerade darum produktiv für eine Diskussion. Das Museum soll als Speicherort des Wissens, eine Art von Gedächtnis, das historisches Lernen im kollektiven Massstab ermögliche. Die wichtigste Passage dazu lautet: "Alle, die Entscheidungen für sich und andere treffen müssen, brauchen Zugang zu den Wissensspeichern der Gesellschaft. Deshalb war es eine kontraproduktive Entscheidung, die Museen zu schließen. Dieser Fehler muss umgehend korrigiert werden. Öffnet sofort die Museen! Dort findet sich all das, was wir bisher an Wissen gesammelt haben über den Umgang mit Krisen und Seuchen, ihren Folgen und zu ihrer Bewältigung. Geschichte ist die beste Zukunftswissenschaft, die wir haben. Weil wir im Rückblick auf die Vergangenheit sehen können welche Zukunftsoptionen, Szenarien und Entwicklungspfade wir wählen können, wollen oder sollen.“

Ich teile diese Idee vom Museum, aber nicht den Optimismus, den Bien in die Institution setzt und, weit allgemeiner, auch nicht das Vertrauen in die historisch fundiertere Lernfähigkeit von Gesellschaften. Wo und wann haben je Museen solche grossen gesellschaftlichen Fragen aufgeworfen und wo haben sie je die nötigen Lernprozesse moderiert? Wenn ich meine Erfahrungen mit Museen in Österreich Revue passieren lasse, komme ich auf ganz wenige Museen oder Ausstellungen, die auch nur annähernd solchen Ansprüchen gerecht geworden sind oder heute und aktuell gerecht werden.

Ein Beispiel, um das Gegenteil zu vermuten: Es gibt grade eine in dieser Dichte einzigartige Welle von Dokumentations-Projekten zur Corona-Krise von vielen österreichischen Museen in nahezu allen Bundesländern. Es wird zur Einsendung von Objekten (materiellen Dingen, Fotos, Digitalisaten usw.) aufgerufen. Nirgendwo habe ich einen Hinweis darauf gefunden, wie dieses (unkoordinierte) Sammeln in solche Lernprozesse eingebunden werden sollen, von denen Bien spricht. Es fehlt dort an nahezu allem, an Einbeziehung der „Geber“, also an durchdachter Partizipation, die ihren Namen verdient, selbst an minimalen rechtlichen Regelungen, vor allem aber an formulierten Zielen und Strategien für dieses - wie mir scheint ziemlich überhastete und kopflose - Sammeln. Und es scheint beim Repräsentieren zu bleiben, beim nachträglichen „Bebildern“. Was dieses Sammeln zum Verständnis der Krise, zu ihrer Reflexion, ihrer Verarbeitung im Individuellen wie im Kollektiven beitragen soll, bleibt unklar. Das ist wohl sehr weit entfernt von dem, was Bin vorschwebt.

Praktisch bin ich sehr skeptisch. Als Museumshistoriker und Museologie bin ich allerdings ganz auf der Seite von Helmut Bien. Das Museum der Moderene wird als Agentur gesellschaftlicher Selbstauslegung und Selbstvergewisserung etabliert. Seit dem letzten Drittel des 18.Jahrhunderts entstehen in europäischen Staaten nach und nach Museen, die sich an das Gesamt der Bürger wenden und einem emphatischen Bildungsbegriff verpflichtet sind, der die Wohlfahrt aller zum Ziel hat, auch die materielle, nämlich dort, wo es um sehr praktische Konzepte technischer, naturkundlicher oder kunstgewerblicher Museen geht. Bei Kunstmuseen drehte es sich um an das Individuum adressierte Bildung, die damit aber kollektiv so etwas wie politische Sozialisation bewirken sollte. Teilhabe der Staatsbürger an ihren Angelegenheiten, an der res publica.

Der Philosoph Hermann Lübbe hat das Schinkelsche Museum am Lustgarten in Hinblick auf die Ideale der von Wilhelm von Humboldt geleiteten Kommission eine Einrichtung genannt, die nicht weniger als die „Humanisierung der Nation“ zum Ziel gehabt hätte. Aber das war eine nie realisierte Utopie. Die aufklärerische, frühbürgerliche Phase in der in Europa die Idee des Museums entwickelt und realisiert (und schnell auch auf alle Kontinente exportiert) wurde, war rasch vorbei und was damals als produktive, am Gesellschaftlichen arbeitende Öffentlichkeit vom Museum aktiv ausging, ist so gründlich verschwunden und auch vergessen, dass heute wieder - unter kulturökomischen und verwertungslogischen Gesichtspunkten - von der „Publikumsorientierung“ gefaselt wird, so als ob man völlig vergessen oder verdrängt hätte, was bürgerliche Öffentlichkeit als sich „zum Publikum versammelnde Privatleute“ eigentlich einmal war und was sie heute wieder sein könnte. 

Ein anderer Einwand, den ich gegen eine gesellschaftspolitische Instrumentalisierung von Museen habe, betrifft die Professionalität des Museums. Ich erläutere das an einem Beispiel: Vor wenigen Jahren hatte ich Gelegenheit, auf Einladung der Herausgeber einer museologischen Publikation (Museum und Gegenwart. Verhandlungsorte und Aktionsfelder für soziale Verantwortung und gesellschaftlichen Wandel. Bielefeld 2015) mit dem Präsidenten des englischen Museumsverbandes Mark Taylor ein längeres (schriftliches) Gespräch zu führen. Auch da ging es um die Krise der Museen und um einen „turn“ hin zu gesellschaftlich praktischem und eingreifenden Handeln, den sich der Museumsverband selbst verordnet hatte. Hintergrund war das politisch verursachte Ausbluten der britischen Museen, von denen sie in einem bei uns (noch) nicht denkbarer Weise existentiell betroffen waren. Der genannte „turn“ war eine Reaktion auf diese durch neoliberale Politik ausgelöste wirtschaftliche Krise der Institution und sollte den Museen frische Legitimation verschaffen. 

Meine Skepsis bezog sich damals auf die Kompetenz der Museen. Wieso sollten die plötzlich im Sozialbereich, in kultureller Altenbetreuung, in der Sozialarbeit und was auch immer, kompetent agieren können und sollen - und das in Konkurrenz zu etablierten und professionellen Einrichtungen? Woher käme denn plötzlich die Kompetenz des kunsthistorischen Kurators, der sich mit Zuschreibungs- und Datierungsfragen italienischer Renaissancemalerei beschäftigt, plötzlich zur Kulturgeschichte der Pest zu forschen und zu vermitteln? Und das nicht bloss retrospektiv, wie das historische Wissenschaften nun mal machen, sondern so, dass daran kontroverse aktuelle Diskurse praxisnahe anschliessen könnten?

Das Verdienst der Bienschen Petition sehe ich darin, dass überhaupt die Frage aufgeworfen wird, wozu wir Museen brauchen. Wie in den erwähnten wunderbaren Texten von Stephen Weil wirft auch Bien die - verwenden wir mal einen aktuell zirkulierenden Begriff - Frage nach der Systemrelevanz auf. Das gefällt mir. Wie auch sein Festhalten und Anknüpfen an aufklärerische Konzepte (aus denen ja das Museum entsteht). Solche Fragen werden sehr selten gestellt, noch seltener debattiert. Museen haben es normalerweise nicht nötig sie zu stellen, weil sie in aller Regel durch staatliche Gelder abgesichert sind und ihre Anerkennung stabil ist und nicht durch „gute“ oder „schlechte“ Arbeit infrage gestellt wird. Ein schlechter Film wird aus dem Programm genommen, eine missglückte Theaterinszenierung abgesetzt. Eine Ausstellung läuft so lange, so lange sie eben programmiert ist. Diesen Vorteil geniesst Das Museum, weil es gerade nicht marktkonform agieren muss. (Nebenbei: diesen Vorteil verspielen gerade grosse Museen dadurch, indem sie sich immer stärker marktkonformen Regel und Konkurrenzen aussetzen, deren verheerendste und dümmste, die Dauer-Schlacht mit den sogenannten Besucherstatistiken ist. Doch das ist einen andere Frage).

Sind also Museen systemrelevant? Helmut Bien geht davon aus und er möchte, dass Museen in diesem Sinn aktiv werden, weitaus aktiver als bisher. Ich glaube, dass die Systemrelevanz bei Museen möglicherweise woanders liegt, als er vorschlägt, nämlich als Medien und Agenturen einer politisch-sozialen Intervention und als Wissensort und Gedächtnisspeicher. Wichtig sind Museen (und all das andere, was wir unter „Hochkultur“ summieren) als „ideologische Staatsapparate“, als hegemoniale Praktiken im Feld der Kultur. Das wirkt sozial integrativ und zugleich Herrschaft sichernd (demokratische Herrschaft oder welche sonst auch immer). Die Selbstauslegung und Selbstvergewisserung, die Museen als „zivilisierende Rituale“ (Sabine Offe) ermöglichen, sind immer auch hegemoniale Strategien, Strategien von Eliten, ihren Status und ihre Macht und ihre kulturellen Präferenzen und ihr Geschichtsbild zu sichern und zwar so, dass diese partikulare Interesse immer hinter dem Anspruch ein Allgemeines zu sein, verschwindet. (Pierre Bourdieu und andere haben das eindrücklich und auch empirisch abgesichert gezeigt).

Ich erläutere es an einem Beispiel: Ich beschäftige mich aktuell aus Anlass des 150-Jahr-Jubiläums mit der Gründungsgeschichte des Metropolitan Museums oft Art. Es wird in den 1860er-Jahren von einer kleinen Gruppe von New-Yorker Bürgern ins Leben gerufen, die alle einer gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Elite angehörten und die in der Krise nach dem Bürgerkrieg an der Stabilisierung der staatlichen Einheit und der Erziehung zu einschlägiger Bürgerlichkeit mitwirken wollen. Mit „Metropolitan“ in der der Namensgebung erhebt das Museum gleichzeitig einen Anspruch auf Konkurrenzfähigkeit im Feld der Kultur mit europäischen Metropolen. Auf der einen Seite steht also das sozialintegrative „nationale“ und städtische Projekt, auf der anderen ein „Erziehungsziel“, das keineswegs an der Humanisierung einer Nation oder dergleichen ausgerichtet war, sondern an der Reproduktion einer herrschaftsfähigen Elite. An die wandte sich das Bildungsideal des Museums. Die soziale und politische Integration war dabei, und das entwickelte England in seinen Museumsgründungen, etwa der der National Gallery, schon viel früher, etwa ab den 1820er-Jahren, die Grundlage der Schaffung stabiler Marktverhältnisse und das im nationalen Massstab.

Wenn ich mich mit Helmut Bien über eine wünschbare Zukunft des Museums verständigen sollte, dann müsste meiner Meinung nach erst einmal eine theoretische wie praktisch Selbstreflexion der Museen selbst einsetzen und dann eine von den Museen, der Zivilbevölkerung und deren politischen Repräsentanten gemeinsam getragene tiefgreifende Änderung einsetzen.
Da sind wir wieder bei den aus der gegenwärtigen Krise heraus generierten Hoffnungen auf ein besseres „Danach“. Warum also nicht hoffen? Es gibt ja tatsächlich zaghafte Ansätze einer Besinnung: Die paradoxe Abhängigkeit von Blockbuster produzierenden Museen von Drittmitteln, die Abhängigkeit von touristischem Publikum bei gleichzeitiger breiter Absenz der einheimischen Bevölkerung oder die ganz zart sich anbahnende Skepsis gegenüber dem Messen der Bedeutung von Museen am „Besucherumsatz“. Doch alle diese Entwicklungen wurden über Jahrzehnte von den Museen selbst vehement vorangetrieben (hier als Beispiel die Wiener Albertina) und die Politik hat nicht eingegriffen und das Publikum ist sowieso von jeglicher Teilhabe ausgeschlossen. Reden wir also von einer Revolution der Museumsverhältnisse? Und wer würde sie tragen? Und würden Museen die Repolitisierung der Institution, die das Wahrnehmen der gesellschaftspolitischen, der wohlfahrtsstaatlichen und demokratischen Aufgabe bedeuten würde, mittragen?  

Das Museum am Ende der Zeit (Die Museen und der Corona-Virus)

Der folgenden Text stammen aus dem Buch Making Museums Matter von Stephen E. Weil. Smithsonian Institution, 2002. Er ist mit zwei weiteren Texten unter dem Übertitel To Help Think about Museums More Intensely als warm-up exercises in der Zeitschrift Museums News, November – December 1996) erschienen. 

Den Text veröffentliche ich im Zusammenhang mit einer "Petition" von Helmut M. Bien, die im Grunde die zentrale Frage, die auch Weil (wenn auch in ganz andrer Form) aufwirft: Wozu braucht es Museen?
Hier der Text von Helmut M. Bien und hier meine Replik.
Ich hätte nie gedacht, dass Weils Texte, vor allem dieser, je von der Wirklichkeit eingeholt hätte eingeholt werden können. Er verpackt die Grundfrage Wer braucht Museen wozu? In eine witzige, ironische Parabel, in der so nebenbei auch die Blindheit der fachlichen Zuständigkeit und Professionalität thematisiert wird.
Ich kann Weils Texte nur empfehlen. Ich kenne keine anderen, die so radikal die Frage nach der Existenzberechtigung - oder wenn man will: nach dem gesellschaftlichen Sinn - des Museums stellt. Dabei war Weil etwas Seltenes: sowohl ein mit der Pragmatik des Museums ausserordentlich vertrauter Kurator und Museumsleiter wie auch ein brillanter musenlogischer Denker. Das macht seine Texte um so gewichtiger.

Zu Stephen Weils Biografie siehe am Ende des Textes.

Stephen E. Weil: The Museum at the End of Time


To: Members of the Staff
Metropolitan Museum of Life From: Office of the Director
Metropolitan Museum of Life

As all of you must be aware by now, it has been established beyond any pos­sible doubt that the universe will cease, abruptly and without a trace, a few seconds after 11:43 P.M. Greenwich mean time on August 16, 2125. At its most recent meeting, the museum's board of trustees asked me to be in touch with various of the museum's stakeholders (including the staff) to so­licit their views as to how this impending cessation of the universe might impact the museum's operations during the interim and also to inquire as to what changes in its programming, budget allocations, staffing, and so forth they might think appropriate in the light of this unprecedented situa­tion. Responses may be sent directly to my attention. For the sake of brevity, you may refer to the date of cessation as "C-Day".
Responses to the C-Day Memo from a history curator: Humankind will never again be the same. As the clock ticks toward its final tock, people, communities, and na­tions will behave toward one another in entirely unpredictable ways. These new relationships will be reflected in works of art, architecture, the de­ign of household objects, the content of publications of every kind, and nore. I am proposing (a) that we immediately establish apocalyptica as a major new collecting category that would cut across all previous depart-nental boundaries and (b) that we undertake a series of exhibitions to be given at regular intervals (perhaps once a decade through 2100, and at five-ear intervals after that) documenting the ways -sometimes somber, sometimes amusing - in which various communities are coping with their anticipated nullification. To provide just a touch of drama, the last of these night be timed to close on C-Day.

FROM   THE   ASSISTANT   DIRECTOR   FOR   FINANCE   AND   ADMINISTRATION: 
Now that the "Big Gnab" theory has finally been verified, I have two principal concerns: the endowment and the impact of end-time inflation. Concerning the endowment, it would clearly be absurd if any of this were left unspent on C-Day. How and when we can get the court's permission to spend the restricted part is something we'll need to consider. Given the freedom to do so, ought we treat it as an annuity and plan to have it run out just as our own time expires? Complicating this is he prospect of an inflation that will certainly rise to ever-more-hyper dimensions as C-Day approaches and the future value of money sinks toward nil. In those final days, what will induce our employees to come to work when their wages are no longer meaningful? The availability of canned food and bottled water might well be the answer. One of the things I hope we an commission somewhere down the line is a computer simulation indicating how and when we might optimally begin to shift parts of the endowment from securities to edibles.

FROM A RECENTLY HIRED AND JUNIOR MEMBER OF THE REGISTRAR´S DEPARTMENT: 
One of my museum studies classmates argues that registration work will start to slacken off as C-Day gets loser. He says that, in the end, nobody will care. I think that's wrong. If I were here, I would care. Even if the work weren't finished until the very afternoon of C-Day, I'd want to know that there's not a single object in this collection that hasn't been properly measured, photographed, and cataloged. It's a matter of duty. If something's the right thing to do, it's the right thing to do no matter what the circumstances. I hope that you and your successors will agree and maintain a fully staffed registrar's department right up to the very last minute.

From the curator of film and video: 
Being a frus­trated artist myself, I can envision exactly what I'd like to have on view in our new video gallery if I were still to be around when toodle-oo time comes along. What I see is a huge, floor-to-ceiling globe with the world's twenty-four time zones clearly marked. Inside each time zone, a television monitor would be mounted. Displayed on each of these twenty-four moni­tors would be real-time images televised in each case from the pertinent time zone. These would be selected so that adjacent monitors showed con­trasting images of tumultuous urban life and placid natural beauty. As the countdown to C-Day nears its end, and as the constraints of civilized be­havior begin first to loosen and then finally to fall away entirely, the juxta­positions and multiple ironies would be remarkable. Imagine images of Shanghai in the throes of a Saturnalian revelry, played off against images of the Pacific's steady roll as it heaves itself westward. Think of a bacchana­lian festival sweeping through the streets of Buenos Aires, while the next monitor over shows images of the Andes in all their cold, unearthly beauty; orgiastic London, and the night-shadowed fjords of Norway; San Francisco, and the imperturbable Rockies. As humankind hurtles back toward a state of nature, mute nature itself will be blindly marching down the path to its own oblivion. All right there on the screen, all right here in the museum. Oh, how I would like to live long enough to see it. I greatly envy my re­mote successor, who most likely will.

From the head of security: 
People are motivated to obey the law primarily by their fear of the consequences that may follow from breaking it. As C-Day approaches, the consequences that follow anything will become increasingly unlikely, and we can almost certainly expect to see a gradual increase in crime. This will pose a threat to our collection, our visitors, and our building. Although we would normally plan to counter this threat with a corresponding increase in the size of our guard force, the approach of C-Day may also prove to be a disincentive to work. If our col­lection, visitors, and building are to be properly protected until the end, priority must be given to the acquisition and development of a fully auto­mated security system that would not only apprehend potential perpetrators but might actually put them on trial and, if it found them to be guilty, carry out their sentences as well.

FROM   THE    DEPUTY   ASSISTANT    DIRECTOR   FOR   FINANCE AND ADMINISTRATION: 
If the museum is to make the maximum possible use of its resources, what will be required is a strategic plan pur­suant to which those resources can be gradually redeployed from future-focused activities to present-oriented ones, most particularly to public pro­gramming. By crunch-time on C-Day, every last vestige of infrastructure should have been phased out. Whatever remaining resources we've still got should (at least ideally) by then have been dedicated to active public use. In terms of space, this will mean converting our various working spaces (the conservation laboratory, the library, the registrar's area, the carpentry and other shops, and ultimately even our executive offices themselves) to gallery and/or special-events spaces. Likewise, collections storage must eventually be converted to open storage. The timing will be tricky. On the one hand, we don't want to terminate vitally important activities prematurely. On the other, it would be important to do this before terminal inflation makes the work prohibitively costly.

From the head of development: 
Tempting as it may be to concentrate on last things first - to wring our hands and complain that the glass is already half empty - the fact is that C-Day is more than a century and a quarter away. That's a half-full glass if I've ever seen one. Important now is not to brood about how we'll end our days but to exult over what we can be doing in the meanwhile to make them better. Development-wise, I think we can do well - not just well, but very well. How do we turn this oblivion thing to good use?
Well, for instance, since we won't be able to celebrate any anniversaries after the event, why not celebrate them before? I could see a benefit dinner dance to be held every August 16 with a regular recurring theme like "The Last Supper? Not Quite Yet, but Still Counting." If the curators weren't too finicky, a highlight of the evening might be an auction of some things from the collection. The idea would be to get an up-front payment for some fu­ture delivery (for example, on C-Day minus ten). In the same vein, since our costume collection no longer has to be preserved indefinitely, why couldn't we rent out some of the more famous items for people to wear to these events? Ditto the jewelry collection? Samuel Johnson once said that the knowledge that one was shortly to be hanged "concentrates [the] mind wonderfully." Well, if that's so, then the end of the universe should really get our creative juices flowing!!!

Assignment
Think about your own museum. Assume the contrary of what was imag­ined above. Assume that the "Big Gnab" theory has been discredited, and that the universe is not going to cease without a trace on August 16, 2125 or at any other time soon. To what extent has your museum articulated a distinct obligation to future generations? To what extent is that obligation explicitly reflected in its day-to-day operations? To what extent is it implicit? Are you satisfied with the extent to which future obligations are reflected in the operation of your museum? If not, what would you change?

Stephen E. Weil: A lawyer by training and a former official of the Whitney Museum of American Art, Mr. Weil became the deputy director of the Smithsonian's Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in 1974. He retired from that post in 1995 and became senior scholar emeritus at the Smithsonian Center for Education and Museum Studies.
A native New Yorker, Mr. Weil graduated from Brown University in 1949 and received an L.L.B. from Columbia University Law School in 1956. He practiced as an associate with what was then the New York firm of Rosenman, Colin, Kaye, Petschek & Freund. He was a vice president and general manager of the Marlborough Gallery from 1963 to 1967 and an administrator, secretary and trustee of the Whitney in New York from then until 1974. 
Mr. Weil was an expert in copyrights, trusteeships and the sale of artworks from museum collections. He was on the faculty of the Museum Management Institute at the University of California, Berkeley, from 1979 to 1996. 
He wrote often for art and museum periodicals, and he was a co-author of "Art Law: Rights and Liabilities of Creators and Collectors" (1986). His books now in print are "Rethinking the Museum and Other Meditations" (1990), "A Cabinet of Curiosities: Inquiries Into Museums and Their Prospects" (1995), "A Deaccession Reader" (1997) and "Making Museums Matter" (2002). (New York Times, 15. August 2005)




Dienstag, 21. April 2020

Öffnet die Museen! Eine Petition zur Situation der Museen von Helmut M. Bien

Der Text geht weit über eine aktuellen Appell an die Politik hinaus, doch endlich die Museen wieder zu öffnen. Helmut Bien spricht über gesellschaftliche Aufgaben, die Museen übernehmen sollten, also über eine wie mir scheint auch neue Aufgabenstellung. Während Museen während der Coronakrise überwiegend auf Digitalisierung setzten, auf oft nicht mehr als eine Transformation schon vorhandener Informationen ins Netz, wird hier eine weitaus umfassendere und anspruchsvolle Rolle der Museen diskutiert. Das interessiert mich und deswegen stelle ich den Text in meinen Blog. GF
Und hier meine Replik

Helmut M. Bien

Öffnet die Museen! Eine Petition

Der #Shutdown, diese Vollbremsung des Alltagslebens, war nötig. Auch die Letzten müssen begreifen, dass es in der Krise auf alle ankommt. Besonders in Gesellschaften, in denen man zuerst an sich selbst denkt, geht es nur so. Das Soziale kann sich kaum anders als durch Regeln effizient zur Geltung bringen. Das war auch schon 1973 bei den autofreien Sonntagen inmitten der Ölkrise so. Seit diesen Tagen hat uns die Energiefrage nie wieder verlassen. Dass jetzt und künftig die persönliche Gesundheit auf dem Spiel steht, haben alle kapiert. Auch diese Sorge wird nicht wieder verschwinden wie eine Grippe. Das ahnen wir. Und weiter?
Wir sehen, dass die Politik ‚auf Sicht’ durch die Krise navigiert, dass selbst die beratenden Experten vor allem wissen, dass sie zu wenig wissen oder sich sogar wechselseitig Unwissen vorwerfen. Alle, die Entscheidungen für sich und andere treffen müssen, brauchen Zugang zu den Wissensspeichern der Gesellschaft. Deshalb war es eine kontraproduktive Entscheidung, die Museen zu schließen. Dieser Fehler muss umgehend korrigiert werden. Öffnet sofort die Museen! Dort findet sich all das, was wir bisher an Wissen gesammelt haben über den Umgang mit Krisen und Seuchen, ihren Folgen und zu ihrer Bewältigung.
Geschichte ist die beste Zukunftswissenschaft, die wir haben. Weil wir im Rückblick auf die Vergangenheit sehen können welche Zukunftsoptionen, Szenarien und Entwicklungspfade wir wählen können, wollen oder sollen. Der Kulturhistoriker Egon Friedell hat seine ‚Geschichte der Neuzeit’ 1348 mit der Pest in Florenz beginnen lassen und die Seuche als einen Treiber für Literatur, Philosophie und Technologie identifiziert, aber auch als Anlass für Hexenverfolgung und Antisemitismus. Die Muster und Mechanismen haben sich viel weniger geändert als uns lieb wäre. In der Geschichte sehen wir welcher Weg wohin geführt hat. Aus dieser Erfahrung ergibt sich keine Zwangsläufigkeit für das Heute aber zumindest eine Warnung zu Risiken und Nebenwirkungen.
Das betrifft auch die Kunstgeschichte, die Beispiele zeigt, welche Strategien Künstler gewählt haben, um heil durch Krisen zu kommen. Claude Monet malte seine Seerosenbilder in Giverny, um mit der Verzweiflung über den ersten Maschinenkrieg 1914 – 1918 fertig zu werden. Das sind Geschichten der Krisenerfahrung, die nur die Museen im Angesicht ihrer Exponate erzählen können. Natürlich sind dabei auch digitale Wahrnehmungshilfen dienlich, aber immer auch ein wenig fahl und flau gegenüber den analogen Objekten. Deshalb öffnet die Museen und zeigt in den Sammlungen Objekte, die verstehen helfen. Beschäftigt Künstler nicht dafür, dass sie nichts tun sondern beispielweise Führungen machen, in denen sie ihre Sichtweisen und Strategien veranschaulichen. In der großen Depression in den USA gab es ein Künstlerprogramm, das Photographen beauftragte das Leben in der Krise zu dokumentieren. Aus diesem Programm gingen künftige Weltstars wie Walker Evans hervor, es entstand überhaupt erst etwas, das man als amerikanische Kultur bezeichnen konnte.
Öffnet auch die archäologischen Sammlungen und zeigt die Cloaca Maxima der Römer, ohne die eine Millionenstadt wie Rom niemals möglich gewesen wäre. Denn diese Cloaca schuf die Voraussetzung für die ungeheuere Verdichtung von Menschen an einem Ort. In Hamburg brauchte es erst einen Robert Koch, der 1892 zur Bekämpfung der Cholera in der Stadt engagiert wurde und den Zusammenhang von Seuche und fehlender (Abwasser)Infrastruktur aufdeckte.
Öffnet die Museum! Schöne Idee, aber wie soll das praktisch gelingen? Für den kommerziellen Raum gibt es die Regel, dass 1 Kunde auf 10 qm zulässig sein soll. Eine übliche Sonderausstellungsfläche im Museum hat 800 qm und damit Platz für 80 Besucher gleichzeitig. Für die meisten Museen in Deutschland dürfte das nicht wenig sein. Mundschutz-Benutzung und Hygienekonzept lassen sich leichter umsetzen als in jedem Geschäft. Sanitäre Anlagen werden sowieso penibel gewartet. An der Kasse lassen sich Plexiglashauben installieren wie an der Supermarktkasse. Selbst Führungen über Headphones sind machbar, weil die Zuhörer nicht dicht gedrängt um einen Guide herum stehen müssen.
Blockbuster-Ausstellungen arbeiten mit einem digitalen Ticketsystem, das online Karten verkauft und Zeitslots für den Besuch zuweist, damit nicht unnötig Warteschlangen entstehen. In kleineren Häusern ließe sich leicht eine Rezeption einrichten, die man telefonisch kontaktieren kann, um Karten und Besuchszeiten je nach Kapazität zu buchen. Jedes Restaurant macht es so mit seinen Reservierungen.
In Krisenzeiten erweist sich was Sonntagsreden wert sind. Systemrelevanz und Unverzichtbarkeit sind da wohlfeil, um dann in der Krise die Kultureinrichtungen sofort und reflexartig dichtzumachen und den hilfesuchenden Künstlern Einmal-Zahlungen anzubieten mit der impliziten Empfehlung, sich ein anderes Geschäftsmodell zu suchen.
Es wäre gut, wenn die Kulturverwaltungen eher Arbeit organisieren würden als Unterstützungsbedürftige zu betreuen. Niemals zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war die Kultur wichtiger als im Augenblick. Die Bedeutung der Kultur wird genau in dem Augenblick unterschätzt (übrigens auch von vielen Künstlern) wo die Gesellschaft dringend auf sie angewiesen wäre.
Die phantasievollen Streaming-Aktivitäten im Internet sind nur dann eine nachhaltige Lösung, wenn sie mit Bezahlmodellen verknüpft sind und nicht weitere Selbstausbeutungsinstrumente der Künstler, denen bei der nächsten Vertragsverhandlung nach der Krise vorgehalten wird, sie wären ja auch damals für umsonst aufgetreten.
Lasst die Museen vorangehen, sie sind für das #PersonalDistancing bestens geeignet im Unterschied zu den darstellenden Künste, die ihr Publikum in Raum und Zeit konzentrieren. Lasst 2020 zum Museumsjahr werden!

Helmut Maternus Bien
westermann kulturprojekte

Studium der Philosophie, Psychologie und Pädagogik in Berlin. Redakteur, Autor, Zeitschriften- und Katalogmacher. Ausstellungskurator. Seit 1976 publizistisch tätig für Tageszeitungen wie die WAZ, Fernsehsender wie SAT 1, Zeitschriften-Legenden wie Transatlantik oder das FAZ-Magazin. Schwerpunkte: Kunst und Kultur, Kulturgeschichte des Alltags (Tourismus, Werbung, Esskultur) und wirtschaftsnahe Themen wie Unternehmens- und Produktkarrieren, Design, Marketing und Messewesen. Seit 2002 Animator und Kurator der Luminale.

Inzwischen hat Helmut Bien, der den Text geschrieben hat, ehe der Öffnung der Museen angekündigt wurde (in Deutschland und in Österreich Mitte Mai bzw. Anfang Juni), auf diese Ankündigung reagiert: Die Berliner Museen gehen voran und eröffnen am 11.Mai ! DANKE an alle, die mitgeholfen haben, die Petitition 'ÖFFNET DIE MUSEEN" zu verbreiten. Die Resonanz (nicht nur auf FB) war nachhaltig. Bitte verbreitet die Petition weiter. Denn die Öffnung ist nur der erste Schritt. Die Museen können jetzt die Rolle annehmen, zu Orten der Selbstverständigung unserer Gesellschaft zu werden. Sie haben die Lage in der Stadt, die Multirfunktions-Räume, die Kontakte in die Stadtgesellschaften. Die Museen können Kerne eines öffentlich geförderten PUBLIC ART PROGRAM bilden, das Beschäftigung für Kulturschaffende aus allen Sparten schafft und vor allem dafür sorgt, dass #PersonalDIstancing nicht zu #SocialDistancing mutiert...

Montag, 30. März 2020

Klaus Albrecht Schröder spricht von der Krise der Albertina. Aber die ist hausgemacht, von ihm

Die Bundesmuseen trifft die Coronavirus-Krise auf paradoxe Weise. Gerade die „erfolgreichen“ Museen trifft es am stärksten. Wer die meisten (touristischen) Besucher hatte, also wer einen großen Teil seines Budgets selbst erwirtschaftete, hat nun auch den größten Ausfall an Einnahmen. 
Vor diesem Hintergrund hat der Direktor der Albertina Klaus Albrecht Schröder im Standard „Alarm geschlagen“. (23.3.2020) Er beziffert den Ausfall mit mehreren Millionen Euro über das gesamte Jahr berechnet, aber bereits im August könnte die Albertina nicht mehr liquide sein, also z.B. keine Gehälter mehr zahlen können. 
In der Krise sieht Schröder keinerlei Chancen, mit der Absage und der Verschiebung von Ausstellungen seien nicht genügend Einsparungen möglich und ein Ausweichen auf ein digitales Angebot kommt kaum in Frage: „Das Erlebnis vor dem Original ist nicht substituierbar.“
Doch ganz so mechanisch und kausal ist der Zusammenhang von medizinischer und Museumskrise nicht. Da spielt die unter Schröder entwickelte Konzeption der Albertina eine große Rolle. Die Entwicklung zum vollgültigen Kunstmuseum, das auf exorbitanten Ausstellungsflächen immer mehrere Ausstellungen gleichzeitig und mehrere Blockbuster pro Jahr anbieten m u ß, weil sonst die im Vergleich zur alten Graphischen Sammlung enorm aufgeblähte Institution nicht finanzierbar ist, zwingt zu einer hyperaktiven Ausstellungstätigkeit.
Schröder spricht das selber an und verteidigt diese Museumsphilosophie, die ohne Hunderttausende von Besuchern gar nicht mehr funktionieren kann. „Auch wenn jährlich etwa 350.000 Österreicher die Albertina besuchen, benötigen wir weitere 700.000 internationale Besucher, um unseren allgemeinen Museumsbetrieb finanzieren zu können...Ausstellungen wie jene zu Dürer, die 450.000 Besucher in drei Monaten hatte und mehrere Millionen Euro gekostet hat, refinanzieren sich selbst und erwirtschaften einen wichtigen Deckungsbeitrag zum allgemeinen Museumsbetrieb. Für die Modigliani-Ausstellung im Herbst brauchen wir mindestens 250.000 Besucher, um sie durchführen zu können.“ 
Schröder ist gezwungen, und das ist nicht neu und hat mit der Coronakrise nichts zu tun, Ausstellungen anzubieten, die möglichst hohe Besucherzahlen und damit hohe Einnahmen generieren. 
Auf vorsichtiges Nachfragen, ob eine solche Entwicklung denn überhaupt wünschenswert sei, antwortet Schröder unwirsch. Der Kunstgenuss werde geschmälert? Nicht in der Albertina. „In der Albertina konnten wir trotz über einer Million Besucher im Jahr die Intensität des Kunsterlebnisses sicherstellen. Ich kann dieser Rückbesinnung auf provinzielle Zustände nichts abgewinnen. Sind 200.000 Besucher glücklicher, wenn sie Matisse oder van Gogh nicht sehen können? Wenn sie nicht mit einer Monet-Ausstellung belästigt werden?“ 
Wie immer, es ist schwer über die Qualität von Museen zu sprechen. Die polemische Verkürzung, die im Vorwurf der an Quoten gemessenen „Provinzialität“ zum Ausdruck kommt, überspielt die Frage, wofür die Albertina eigentlich steht, welche Vorstellung von Kunst und Kunstvermittlung hier eigentlich regiert. Es scheint Schröder um internationale Reputation zu gehen, wobei er in einer Nebenbemerkung den Maßstab wohl höher hängt, als er je für die Albertina in Reichweite war: „Womöglich werden wir in den kommenden zwölf Monaten wieder ein wesentlich weniger internationales Programm haben als ein MoMA, ein Grand Palais oder eine Tate Modern.“ 

Wird die Krise neue Perspektiven ermöglichen, eine Revision der bisherigen Museumspolitik. Kaum. Eben ist das „größer und mehr“ fortgesetzt worden - mit der Eröffnung der „Albertina Modern

Freitag, 27. März 2020

Museen in der Coronakrise. Analog oder digital?



Bestrebungen zur Digitalisierung der Museen sind in der Coronakrise zur Hoffnung geworden, Museen digital weiter betreiben zu können.
Wenn das Museum, wie wir es bislang kannten, digital substituierbar ist, wozu soll man es denn wieder aufsperren?

Mittwoch, 25. März 2020

Museen in der Corona-Krise. Auf dem Weg zum digitalen oder zum radikalen Museum?

Auf Facebook lese ich: „Das Coronavirus hält die Welt in Atem und die teils katastrophalen Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft sind noch lange nicht in ihrem tatsächlichen Umfang absehbar. Auch und vor allem den Kulturbereich trifft es hart. Aber vielleicht ist diese Krise auch als Chance für diejenigen Kultureinrichtungen zu sehen, die nicht unmittelbar in ihrer Existenz bedroht sind und die noch Handlungsspielräume besitzen. Möglicherweise kann sogar die Digitalisierung einen erheblichen Schub dadurch erhalten, dass das Publikum und der Besucher nur noch online erreicht werden kann. Aus der Not wird vielerorts eine Tugend gemacht.“ (Quelle: zeilenabstand.net).

Täusche ich mich? Ist nicht dieser Optimismus die Digitalisierung des Museums betreffend, schon lange vor der Coronakrise stärker denn je unterwegs gewesen, hat nicht der „Schub“ schon längst eingesetzt? Bislang waren all diese Angebote, digitalisierte Objekte, Infoangebote, Lernseiten, Feedbackschleifen, Vermittlungsstrategien usw. immer unter der Voraussetzung angeboten worden, daß die Institution intakt und alles Digitale nur sozusagen Beiwerk, extra Dienstleistungen seien. 

Das ist jetzt anders. Museen sind geschlossen, nicht etwa weil sie Museen sind, sondern weil es Orte sich gefährdender Menschenansammlungen sind. Plötzlich steht die Institution nicht mehr zur Verfügung. (Ein Beitrag, der ebenfalls um die Herausforderung kreist, die die Coronakrise den Museen stellt, findet sich hier: https://museologien.blogspot.com/2020/03/die-museen-und-der-coronavirus-was.html). 

Aber anders als das Theater, die Oper, das Konzert, der Film, das Buch, wo es längst eine Tradition der digitalen Transformation gibt, ist diese für das Museum eine noch kaum erprobte, kaum entwickelte Herausforderung. Noch fehlt es hier weithin an Reflexion und experimenteller Praxis die die naive Vorstellung, das Museum einfach so wie es ist im Netz zu reproduzieren weit hinter sich ließe und in der etwas Neues entwickelt werden könnte, so wie sich ja auch längst Hybridformen von Theater, Kino, Rundfunk usw. entwickelt haben.

Worin soll denn die „Tugend“ bestehen, von der im Zitat die Rede ist? Doch nicht in den 1200 Links, die mir eine fleißige Sammlung in die Hand gibt, damit ich die National Gallery in London oder den Prado in Madrid „besuchen“ kann, und doch wohl auch nicht das Video, in dem ich mit dem Grazer Stadtrat durch die neueste Ausstellung des GrazMuseums gehen kann oder und auch nicht das Angebot des Bayrischen Nationalmuseums, die Ausstellung „Treue Freunde. Hunde und Menschen“ via Computer zu bewundern.

Von der Museumssoziologie kann man schon lange erfahren, in welch hohem Ausmaß der Museumsbesuch ein soziales Ereignis ist. Wie läßt sich denn unter den Bedingungen des erzwungenen „Social distancing“, das Digitalisierung sowieso meist nach sich zieht, da braucht es die Verbote der Coronokrise gar nicht, das Museum als Ort des Sich-Sammelns und des agonistischen Diskurses, von Bildung überhaupt, weiterdenken? Was ist mit dem „sozialen Raum“ Museum?

Und was ist mit der fundamentalen Transformation der Materialität der Dinge? Die galt doch bisher als die Essenz des Musealen, als unhintergehbare Bedingung des Museums, in dem Duplikate, Repliken etc. nur unter besonderen Bedingungen geduldet wurden. Sätze, die gegen den Trend der Digitalisierung gerichtet sind, hört man selten. Der Direktor der Albertina will einschlägige Angebote ausschließlich als zusätzliches Angebot sehen, nie als Ersatz von Ausstellungen: „Das Erlebnis vor dem Original ist nicht substituierbar.“

„Verschwindet“ da mit der (weil dem Publikum verschlossenen) Institution nicht gleich die Idee des Museums mit? Befristete Sperre für die Öffentlichkeit - warum nicht, wenn es ein effizienter Beitrag zur Krisenbewältigung ist. Aber „Abschaffung“ der Materialität der Sammlung durch Virtualisierung? Wozu hat es dann das Museum bisher eigentlich/ gebraucht?

Nun, vielleicht ist ja gerade das der Schritt in eine radikale Negation des Museums hinein, in der etwas Neues entstehen könnte, etwas was die Beschränkungen und Hypotheken der bisherigen Museumsidee auflösen könnte und an seine Stelle einen anderen Umgang mit Dingen, andere Weisen des Lernens, des Erfahrungen-Machens ermöglichen würde, eben ohne festen Ort, ohne besondere Architektur, ohne Entgelt, ohne autoritative Hierarchien. Dazu müssten die Museen die ihnen unerwartet zufallende „Pause“ als Zeit des Überdenkens und Projektierens nutzen.