Freitag, 28. Februar 2020

Fair oder prekär? Beschäftigungsverhältnisse von Kulturvermittlerinnen

Gastkommentar von Monika Holzer-Kernbichler

Fair oder Prekär lautete der Titel einer breit angelegten Veranstaltung zum Thema „Das Museum und seine Mitarbeiterinnen“, zu der der Österreichische Verband der KulturvermittlerInnen ins Deopt in Wien eingeladen hatte. 160 großteils betroffene - vor allem – Kulturvermittler*innen aus Wiener Museen waren gekommen, um über die zum Teil sehr schlechten Arbeitsbedingungen für Kulturvermittler*innen zu diskutieren, aber vor allem um diese sichtbar zu machen.
Gekommen waren auch Betriebsrät*innen und Vertreter*innen der Gewerkschaft.

Zur Vorgeschichte: Mit dem österreichweiten Konsens zu einem gemeinsamen Berufsbild der Kulturvermittlung, das in Steyr beim Museumstag 2017 von einer großen Mehrheit angenommen und von den Vorsitzen des Verbandes der Österreichischen KulturvermittlerInnen und von ICOM CECA unterschrieben wurde, war ein erster großer Schritt getan. Sämtliche Vermittler*innen in Leitungspositionen sowie Verantwortliche der Bildungsabteilungen der österreichischen Bundes- und Landesmuseen vertreten seitdem geeint diese Definition. Gleichzeitig war klar, dass dies erst ein Zwischenschritt in einem größeren Prozess gewesen war, zumal die Frage der Sicherstellung, dass dieses Berufsbild überall lebbar und umsetzbar bleibt bzw. sein wird, eine bleibende ist. In einer Arbeitsgruppe wurden Erfolgskriterien und Rahmenbedingungen für eine professionelle Kulturvermittlung definiert, zur weiteren Diskussion vorgelegt und in weitere Folge auch beschlossen. Unaufhaltsam drängte sich in diesem ganzen Prozess die fast absurde Frage auf, wie es sein kann, dass sich jene Berufsgruppe, die sich dem für die Politik wichtigsten musealen Kennfaktor – nämlich dem Publikum bzw. der Besucher*innenzahl widmet, die unsichersten und schlechtesten Arbeitsbedingungen am Museum überhaupt hat. Der Ruf nach einem (neuen) Kollektivvertrag für Museen wurde laut, der Österreichische Museumsbund fand sich als weiterer starker Partner. 

Zur Situation der Vermittlungs- und Bildungsarbeit an den österreichischen Museen hat sich seit einem Artikel von Michalea Steinberger am 4.11. 2014 im Standard, besonders in Wien kaum etwas verändert. Während an den Landesmuseen die Vermittler*innen inzwischen weitgehend angestellte und vollwertige Mitarbeiter*innen der Museen geworden sind, klafft an den Bundesmuseen noch immer eine große Lücke. Tagesabhängige Bezahlung, Bezahlung nach Stundensätzen, freie Dienstverträge (die in den Bundesländern allesamt wegen Rechtswidrigkeit in echte Dienstverträge umgewandelt werden mussten), befristete Verträge oder gar fallweise Beschäftigungen sind Realität für ein akademisch hoch ausgebildetes Personal. Viele Arbeitssituationen finden ohne jede arbeitsrechtliche Absicherung statt und führen dazu, dass langjährige Vermittler*innen in ihrer Existenz durch diese Berufswahl extrem benachteiligt sind, selbst wenn sie, wie vielen von ihnen auch an mehreren Museen tätig sind. Sie sind nicht durch Krankengeld oder Karenz abgesichert, haben keinen Urlaubsanspruch, bekommen aufgrund fehlender Beständigkeit schwerer Mietverträge und sind auch nicht kreditwürdig. Als freie Dienstnehmer*innen oder Tagelöhner*innen sind sie auch nicht berechtigt an Betriebsratswahlen teilzunehmen bzw. haben deshalb auch keine gewerkschaftliche Vertretung, zumal sie in einer Scheinselbständigkeit gefangen sind, die sie in ihrer Existenz maximal flexibel herausfordert. Diese zwingt viele auch nach wie vor dazu, sich in der Freizeit auf die Inhalte vorzubereiten oder über die Arbeit auszutauschen, Dinge, die für jede andere Museumsmitarbeiter*in selbstverständlich und unhinterfragt Arbeitszeit sind. Für die Arbeitgeber sind die Vermittler*innen so gut unter den permanenten Druck der Ersetzbarkeit zu setzen, werden dadurch aber auch auf Distanzgehalten - insgesamt eine äußerst fragwürdige Position für einen maßgeblichen „Erfolgsfaktor“ des Museums, der an der Schnittstelle zum Publikum maßgeblich ist.

Als Studentin der Kunstgeschichte nimmt man schlechte Arbeitsbedingungen in Kauf, sieht so manche schlecht bezahlte Stelle (die vielerorts als Volontariat bereits überhaupt zur unbezahlten Stelle mutiert ist) als Sprungbrett und hofft auf bessere Zeiten. Tatsache ist allerdings, dass die Kunstvermittlung tatsächlich zu einem Beruf geworden ist, den viele schon lange – trotz schlechter Bedingungen - als solchen leben. Seit in den späten 80er Jahren und frühen 90er Jahren die engagierte Kunstvermittlung sich in Form von Vereinen von außen an die Institutionen angenähert und erobert hat, wurden es immer mehr, die dieses Feld der Bildung, der aktiven Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur nicht mehr verließen. Die Institutionen erkannten den Mehrwert einer verlässlichen Vermittlungsarbeit, erkannten, dass etwa qualitätsvolle Arbeit mit Schulklassen die Besucher*innenzahlen in von der Politik erfolgsversprechende Höhen treiben kann. Unabhängig von Ausstellungen entstehen seit vielen Jahren vielerorts auch Formate, Veranstaltungen und Programm, das ein breites Publikum in die Häuser führt. Nicht immer sind es die vielzitierten Blockbuster Ausstellungen, die die Häuser füllen. Immer öfter auch Angebote, die ein lokales Publikum ansprechen und an die Häuser bindet, die abseits von Massentourismus auch auf Beständigkeit für die Zukunft bauen. 
Es sind die Abteilungen für Bildung, Publikum und Vermittlung, die diese initiieren, definitiv aber jene vermehrt, denen ein eigenständiges professionelles Arbeiten ermöglicht wird. 
In Zeiten in denen die Kulturvermittlung immer dann ein „Mascherl“ ist, wenn es um die Legitimation der Museen in politischen Diskussionen per se geht, ist es an der höchsten Zeit, dieser auch die notwendigen Rahmenbedingungen zu geben. 
Vieles davon wurde Ende Jänner im Depot diskutiert und verlangt nach weiterer Verfolgung. Das neue Regierungsprogramm das inzwischen publiziert wurde, stimmt viele hoffnungsvoll, zumal dort auf Seite 50 erklärt wird, dass die „Position der Kunstvermittlerinnen und –vermittler in den Kulturbetrieben“ gestärkt werden soll. Erste Gespräche mit Regierungsverantwortlichen sind anberaumt und nächste Schritte sind in Ausarbeitung. Informieren kann man sich darüber auf der Facebookseite des Verbandes der Österreichischen KulturvermittlerInnen.

Webseite des Verbandes der Österreichischen KulturvermittlerInnen.

Der Verband auf Facebook

Gedenkkultur

Anlässlich des „Frauentages“ öffnet das Museum Arbeitswelt Steyr den Stollen der Erinnerung (ehedem von Zwangsarbeitern errichtet) für BesucherInnen. Im Museum der Völker Schwaz gibts Frühstück mit einem Freigetränk für Frauen.

PS.: Wer mir (abgesehen vom Frauenmuseum Hittisau) e i n österreichisches Museum nennen kann, das seiner Ausstellungs-, Sammlung- und Forschungspolitik konsequent auch die Kategorie gender zugrundelegt, dem spendiere ich zum Frauentag einen Gratiskaffee.

Dienstag, 25. Februar 2020

Koloniales Raubgut in Bundesmuseen

Es ist den Neos zu verdanken, daß man nun ziemlich genau Bescheid weiß, was an sogenannter kolonialer Beute in Bundesmuseen vorhanden ist. Der Standard berichtet verdienstvoller Weise ausführlich dazu. (hier der Link). Nun ist die Frage, ob der Rückgabe von NS-Raubgut analoge Verfahren eingerichtet werden.
Nicht ganz unerheblich Scheiben mir die derzeit über 150 Posts zum Standard-Artikel von Olga Kronsteiner. Sie sind mehrheitlich aggressiv und gegen jegliche Rückgabe formuliert und reproduzieren uralte Klischees, wie das von der konservatorischen Leistung europäischer Museen, die damals wie heute allein das sachgerechte Überdauern der Sammlungen garantieren könnten.

Dienstag, 11. Februar 2020

Ein Museum der Migration


Gastkommentar

Regina Wonisch, MUSMIG Kollektiv

Das Kollektiv MUSMIG fordert ein Museum der Migration
Die Themen Migration, Flucht, Vertreibung und globale Mobilität prägten die Geschichte des 20. und 21. Jahrhunderts nachhaltig. Sie bestimmen derzeit die Politik und den medialen Diskurs und europaweit. Dennoch sind diese Fragestellungen kaum in den (kultur)historischen Museen präsent. Marginalisierte Narrative wie jene zum Thema Migration finden zwar relativ rasch Eingang in temporäre Ausstellung, doch selten in die musealen Repräsentationen. Hat ein Museum jedoch einmal eine „Migrationsausstellung“ gemacht, ist das Thema gleichsam abgehakt. So betrachtet, schließen „Migrationsausstellungen“ vielfach den Diskurs, anstatt ihn zu öffnen. Ein Ausweg aus diesem Dilemma wird vielerorts in der Gründung von Migrationsmuseen gesehen. Das Kollektiv MUSMIG – Museum der Migration hat sich demselben Ziel verschrieben. Doch im Unterschied zu anderen Initiativen versteht es sich vor allem als Ideenwerkstatt. Es braucht die Forderung nach einem Museum der Migration, um einen breiten gesellschaftlichen Diskurs um Nationalismus, Rassismus und Migration immer wieder aufs Neue in Gang zu setzen. Die Auseinandersetzung um ein Museum der Migration kommt aber nicht umhin, die Institution selbst, also die Bedingungen der Herstellung musealer Repräsentationen mitzureflektieren, hat doch das moderne Museum zum Denken in Differenzen und zur Etablierung des Nationalismus maßgeblich beigetragen. Ist der Weg zu einem Museum der Migration von einer lebendigen Auseinandersetzung begleitet, ist er genauso wichtig, wie die Etablierung des Raumes selbst. Dann ist es vielleicht letztlich egal, ob das Museum realisiert wird oder Utopie bleibt. Folgerichtig nimmt das Kollektiv MUSMIG gemeinsam mit dem Archiv der Migration, dem Textfeld Südost und dem Kulturraum 10  eine wirkmächtige Setzung vor und feiert am 21. Februar 2020 in der Galerie die Schöne die Geburt des Museums für Migration, indem es die Debatte um die Historisierung der Migration zum Thema der Ausstellung macht.  

 
Veranstaltungsankündigung
 
Die Geburt des Museums der Migration Temporäre Installation, Lectures, Performance
 Galerie "Die Schöne", Kuffnergasse 7, 1160 Wien, Eintritt frei

Pressegespräch: Freitag, 21. Februar 2020 | 11:00 Uhr 
Ausstellungseröffnung: Freitag, 21. Februar 2020 | 19:00 Uhr
Dauer: Freitag, 21. 02. – Sonntag, 23.02.2020
VeranstalterInnen: Kollektiv MUSMIG
 
Das Kollektiv MUSMIG organisiert eine Ausstellung zu einem grandiosen Exponat: dem Museum der Migration, das sich in Reaktion auf die politische Realität, in der es keinen Platz fand, selbst verwirklichen wird. Die Ausstellungsaktion versteht sich als Geburtskanal, durch den Menschen zusammengeführt werden, um sich ihr eigenes Museum zu bauen. Denn eines steht fest: dieses Museum muss zur Welt kommen. Die Ausstellung greift nicht nur die Frage nach der Funktion und dem Fehlen dieses Museums auf, sie gibt auch einen Rückblick auf die Debatten und Widerstände, die die Idee eines solchen Museums in Österreich begleiteten. Zudem stellt die Aktion die Forderung nach einem Museum der Migration in den Mittelpunkt. Sie ist somit ein Ort des Austausches, an dem Forschung, Vernetzung und Vermittlung stattfinden. Sie ist wissenschaftlicher Aktionismus, interventionistische Kunst, Kampagne und Fest zugleich.

Weitere Informationen hier

Donnerstag, 6. Februar 2020

Das Ende der Zeitzeugenschaft. Ausstellung und Symposion am Jüdischen Museum Hohenems

Im Zuge des Holcaust-Gedenkens während der letzten Wochen hatte eine Frage besondere Prominenz: Das Ende der Zeitzeugenschaft. Das Jüdische Museum Hohenems zeigt derzeit eine hervorragend konzipierte Ausstellung zur Zukunft der Zeitzeugenschaft und veranstaltet vom 16. Bis 28.Marz ein Symposion dazu.

Anmeldung bis 6. März 2020:
Programm und Anmeldeformular (pdf) 


Zwei Veranstaltungen im Rahmen des Symposiums sind einzeln und öffentlich zugänglich:

Do 26. März 2020, 19.30 Uhr, LöwenSaal Hohenems
Eröffnungsabend "es ist alles noch sehr frisch"
Lesung und Reflexion von Doron Rabinovici (Wien)
Eintritt: Euro 8,-/5,-  mehr

Fr 27. März 2020, 19.30 Uhr, LöwenSaal Hohenems
"Redemption Blues"
Filmvorführung und Gespräch mit Regisseur Peter Stastny (Wien/New York)
Eintritt: Euro 8,-/5,-  mehr

Montag, 27. Januar 2020

Das Wiener Heeresgeschichtliche Museum. Eine Tagung, ein Medienbericht, ein Shitstorm

Heute morgen erschien im Standard ein Bericht zur Tagung, die sich mit dem heeresgeschichtlichen Museum auseinandersetzte. Stefan Weiss: Kritik an Heeresgeschichtlichem Museum: Initiative will Neuaufstellung lautete die Überschrift und eine Unterschrift ergänzte: Das Haus soll für Ewiggestrige keine Projektionsfläche mehr bieten, fordert eine Initiative, die aufgrund jüngster Vorwürfe eine Tagung abhielt.

Jetzt, keine 12 Stunden später, gibt es über 500 Postings zu dem Artikel, die überwiegend in einem übereinstimmen: in ihrer aggressiven Haltung gegenüber der Tagung, dem Bericht und der Kritik am Museum generell. Jargon, Wortwahl und Themen der Post lassen auf eine überwiegend ideologisch rechts angesiedelte Leserschaft schließen und bekräftigen den Eindruck vom Heeresgeschichtlichen Museum als einem Identifikationsort rechter Ideologie.

Die Heftigkeit und Massivität der Reaktionen ist erschreckend und läßt es dringlicher denn je erscheinen, daß sich das Museum ändern muß. Dabei sollte auch dessen Auflösung als Militärmuseum kein Tabu sein. Es ist fraglich wozu ein neutrales Land mit einem bescheidenen Heer, das keinerlei militärische Ambitionen hegt, ein so großes einschlägiges Museum benötigt.

Das heißt aber nicht, daß man die Sammlung aufgibt. Stattdessen könnte man ja an eine Auflösung in einem umfassenden Geschichtsmuseum denken, was mehr bedeutete, als eine bloße Zusammenlegung mit dem Haus der Geschichte Österreich. Ein solches Museum könnte einen weitaus größeren zeitlichen und geografischen Rahmen haben, als das derzeitige Geschichtsmuseum in der Hofburg und ein enorm erweitertes Themenspektrum.

Man könnte auch daran denken, das Gebäude des Heeresgeschichtlichen Museums dafür zu nutzen, etwa erweitert um einen Neubau etwa auch in Form eines intervenierenden Zubaues à la Dresdner Militärhistorisches Museum der Bundeswehr. Der Einwand, der auch bei der Ansiedlung des Haus der Geschichte Österreich in der Hofburg erhoben wurde, würde auch hier zutreffen: das Gebäude ist derart mit Geschichte kontaminiert, daß er für ein modernes Museum einer demokratischen Gesellschaft nicht geeignet sei. Das wäre aber gerade eine Chance und Aufgabe eines neuen Museums. Die antidemokratische und gegenrevolutionäre Geschichte die dem Museum als Teil des Arsenals anhaftet, zu konterkarieren. Das Arsenal wurde ja als gewaltige militärische Anlage nach der Revolution 1848 geplant um "jegliche Unfälle bei einem Volksaufstand" (so eine der Ziel-Beschreibungen in den Militärakten) künftig zu verhindern.

Um ein solches in vielerlei Hinsicht ambitionierte Projekt zu verwirklichen, müsste man viele Hindernisse überwinden. Eines davon wäre die Herauslösung der Institution aus dem Landesverteidigungsministerium, die andere, nicht mindere Schwierigkeit, die Museumsplanung aus politisch-ideologischem Lagerdenken herauszuhalten (etwas, was beim Haus der Geschichte Österreich nicht gelungen ist und dessen schwerste Hypothek darstellt). Es müßte das Planungsverfahren neuen, hiezulande nicht gebräuchlichen Prinzipien folgen. Die vorbildlich breite Zusammensetzung der Tagung wäre ein Vorbild, diese Mischung aus fachlicher Expertise und zivilgesellschaftlichem Engagement - und das alles ohne Gängelung der Politik und Administration.

Eine offene, transparente Museumsentwicklung könnte ein Modell für eine neuartige Museumspolitik, und mehr als das für eine demokratische Geschichtskultur sein und dazu beitragen, daß große Teile unserer Geschichte nicht weiter wie geisterndes Untotes und Unaufgearbeitetes mitgeschleppt wird.

Hier der Link zum Standard-Artikel

Donnerstag, 23. Januar 2020

Gerhard Roth geht ins Heeresgeschichtliche Museum

Den mit Abstand noch immer besten Text zum Verständnis des Heeresgeschichtlichen Museums verfasste Gerhard Roth 1991. In Eine Reise ins Innere von Wien (Frankfurt am Main. Fischer Verlag 1991) spürt der Autor der Repräsentation des Mythos Habsburgerreichs und Kaiserlicher Armee in einem langen Essay. Ich habe aus dem Essay eine Passage ausgesucht, in der Roth eine Führung durch das Haus beschreibt, die vor dem wahrscheinlich wichtigsten und merkwürdigsten Objekt des Museums Halt macht: der blutigen Uniform des Throfolgers Franz Ferdinad, der in Sarajewo ermordet wurde. Kein anderer Text vermittelt einem die bis heute ungebrochene Athmosphäre des Museums. GF

»Der Aufenthalt in diesem Raum«, sagt der Auskunftsoffizier im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien, Oberst Krach, »zählt zu den Höhepunkten jeder Führung. Wir stehen vor den stummen Zeugen des Mordes von Sarajewo ... stumme Zeugen nenne ich sie: die Uniform, die der Thronfolger zum Zeitpunkt seiner Ermordung getragen hat und das Auto, in dem der Doppelmord geschah ... Damit Sie gleich den Stellenwert dieses Ereignisses einschätzen können: Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares in Sarajewo war der unmittelbare Anlaß zum Ersten Weltkrieg.« Der Oberst, ein hagerer, großer Mann in Zivil mit der Frisur eines römischen Senators und dem Habitus eines Don Quichottes, der sich auf Abenteuersuche in das Märchenland der österreichischen Geschichte begeben hat, hat die Augenlider halb geschlossen und trägt in einer Hand eine Teleskopantenne als Zeigestab, mit der er »Tick-Tick« und »Pin-Pin« abwechselnd auf den Holzrahmen und die Glasscheibe der Vitrine klopft. Der rote Saal mit Spitzbögen an der Decke, hohen Fenstern und knackenden Parketten, riecht nach Bodenwachs. Auf der rechten Seite, an der Wand, steht das viersitzige Cabriolett der Marke Gräf & Stift, Baujahr 1910, in dem Franz Ferdinand und seine Frau erschossen wurden, in der Mitte des Saales die schwarz gerahmte Vitrine mit der Hose, dem blutigen Uniformrock und dem Stulphut des Thronfolgers, die auf schwarzem Tuch ausgebreitet liegen, wie die Reliquien eines Märtyrers. Der Thronfolger begriff die politischen Gegebenheiten der k. u. k. Monarchie zwar besser als Kaiser Franz Joseph, war aber bei aller Bigotterie ein Mann, der mit dem Giftzahn der Gewalt ausgestattet war. Als er eine Ausstellung mit Werken Oskar Kokoschkas sah, soll er das zukunftsweisende Urteil abgegeben haben: »Dem Kerl sollte man die Knochen im Leibe zerbrechen.«. Er war jähzornig und sein Ungarnhaß sprichwörtlich. Seine Zeitgenossen sahen den »guten Familienvater« und »Oberbefehlshaber der Bewaffneten Armee« als »Meisterschützen«. Während seiner Erkrankung an Lungentuberkulose im Frühjahr 1895 stutzte er von einer Liege aus einen in der Nähe stehenden Baum durch Pistolenschüsse so zurecht, »wie es ein Gärtner nicht hätte besser schaffen können«. Schon mit neun Jahren erlegte er »sein erstes Tier« und die vollständig erhaltenen Schußlisten weisen auf eine ins Gigantische verzerrte Jagdleidenschaft hin. Während seines einundfünfzigjährigen Lebens schoß er 274 88g Stück Wild aller Art. Seine »Jahresbestleistung« erzielte er 1911 mit 18 799 Stück, die höchsten »Tagesleistungen« bestanden in der Regel aus Hasen, Fasanen und Rebhühnern, sein Tagesrekord, am 17.6. 1908, waren 2763 Lachmöwen. Auf seiner Brust hatte Franz Ferdinand einen Drachenkopf tätowiert. Der Oberst dreht sich zu dem mit einer geflochtenen Schnur umzäunten Wagen und weist mit der rechten Hand und gestrecktem Zeigefinger auf den Rücksitz. »Es war Sonntag, der 28. Juni 1914, 10 Uhr, da wurde auf das Thronfolgerpaar anläßlich seines Besuches das erste Attentat verübt. Es verlief glimpflich. Das zweite jedoch, um 10.45 Uhr, das entscheidende, werde ich Ihnen kurz beschreiben. Der zwanzigjährige Student Gavrilo Princip, gab aus allernächster Entfernung, etwa so wie ich hier zum Wagen stehe, rasch hintereinander zwei Schüsse auf das Thronfolgerpaar, das auf dem Rücksitz des Wagens saß, ab. Der erste Schuß durchschlug die rechte Bordwand und tötete die Gemahlin des Thronfolgers durch einen Bauchschuß. Gleich aber krachte der zweite, traf den Thronfolger in den Hals und zerfetzte ihm die rechte Schlagader. Was der erste Schuß angerichtet hat, können Sie sich mit einiger Phantasie vorstellen.« Der Oberst macht eine Pause, schließt kurz die Augen und fährt dann, mit dem Zeigestab auf die Glasplatte der Vitrine klopfend, fort: »Wir suchen den zweiten Treffer auf der Uniform, der ihren Gemahl Franz Ferdinand von Osterreich tötete. In Verlängerung meines Zeigestabes blicken Sie bitte auf die Uniform ... Da sehen Sie unter der rechten Kragenstelle ein ganz kleines Einschußloch. Dort trat das tödliche Projektil in den Körper ein. Das Blut rann aus der Wunde in einem dünnen Strom, unter der Uniform von rechts nach links hinunter, sickerte auf der linken Brustseite, also ganz wo anders durch den Stoff und färbte die Uniform dunkelrot. Zwei rasch herbeigerufene Ärzte nahmen irrtümlicherweise an, der Treffer müsse hier sitzen« — »Pin-Pin« macht der Zeigestab — »und schnitten die Uniform mit einer Schere in dieser Richtung auf, um sich das zeitraubende Offnen der acht Knöpfe auf der rechten Seite zu ersparen, aber jede Hilfe war vergeblich ... Und nun zum Schnitt hinter dem Kragen« — wieder klopft der Oberst mit dem Zeigestab auf die Glasplatte...

Zur Geschichte und Architekturgeschichte sowie zur ursprünglichen Funktion des "Arsenals" als gegenrevolutionäre Anlage siehe hier.
Zur aktuellen Debatte um das Museum und Vorwürfe und Kritik an ihm siehe hier.

Dienstag, 21. Januar 2020

Das Arsenal, das Heeresgeschichtliche Museum. Zu ihrer Geschichte

In der aktuellen Debatte um das Heeresgeschichtliche Museum erinnerte ich mich an einen Beitrag, den ich zum Arsenal und zum Museum für einen alternativen Stadtführer verfasst habe. Ich stelle ihn in den Blog, weil die Entstehung und Geschichte dieser gewaltigen militärischen Anlage (die durch teilweise Zerstörung sich heute nicht mehr ohne weiteres in ihrer ursprünglichen Funktion zu erkennen gibt) meiner Meinung zum Verständnis der heutigen Situation des Museums gehört und Teil der aktuellen Debatte sein sollte.
In Zeiten entstanden, in denen es noch keinen Personalcomputer gab, kann ich nur eine fotografische Reproduktion anbieten.
Renate Banik-Schweitzer u.a. (Hg.): Wien wirklich. Wien 1992, S.218-222







Gerhard Roth hat vor vielen Jahren einen wunderbaren Text zum Museum verfasst. Hier ein Appetithäppchen - als Anregung, den ganzen Text zu lesen: Link

Zur aktuellen Debatte:

Das Heeresgeschichtliche Museum hat "Braune Flecken"? Wenn es nur das wäre. Es gehört geschlossen

Das Heeresgeschichtliche Museum hat "Braune Flecken"? Wenn es nur das wäre. Es gehört geschlossen


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ORF.at berichtet heute (Online seit heute, 5.00 Uhr 21.1.2020, hier der Link) unter dem Titel „Braune Flecken in HGM?“ über eine Ausweitung der, nun sagen wir mal „Prüfung“ des Heeresgeschichtichen Museums. Mehrere Zeitungsberichte hatten im September des Vorjahres über NS-affine Literatur und Shopartikel im Museumsshop sowie merkwürdig militaristische Veranstaltungen berichtet. In zwei Blogs waren diese und andere, aber erhebliche erweiterte Vorwürfe erhoben worden. Das Verteidigungsministerium kündigte eine Untersuchung an. Jetzt soll sogar das ganze Museum überprüft werden. Es wurde eine externe Kommission zur Prüfung des Museumsshops eingesetzt und dann noch eine zweite im November, die den Ausstellungsteil, der die Zeit zwischen 1918 und 1945 zeigt, überprüfen sollte. Noch im Dezember hat der Minister der sogenannten Übergangsregierung, Starlinger, dann „die Untersuchung auf das gesamte Museum samt Außenstellen ausgeweitet“.

Bei der Prüfung, berichtet der Ort, gehe es grundsätzlich nicht um die Zeit des Nationalsozialismus. Es solle, so teilt der Sprecher des Ministeriums mit, „ob man museumsdidaktisch auf dem letzten Stand ist“ und „ob man den richtigen Zugang hat.“ Zusätzlich prüft die die Disziplinarabteilung des Museums Vorwürfe, wonach die Besucherzahlen des Museums verfälscht worden sein könnten.

Andere Vorwürfe richten sich gegen den genannten Ausstellungsteil, der vom früheren Direktor des HGM, Manfrede Rauchensteiner konzipiert wurde. Demnach seinen in diesem Abschnitt Objekte nicht kontextualisiert, es werde zu wenig erklärt. Wehrmachtssoldaten würden etwa nicht als Täter der NS-Vernichtungsmaschinerie erwähnt.

In den seinerzeitigen Medienberichten war außerdem auch von der Existenz eines rechten Netzwerk im Museum die Rede und daß mehrere Mitarbeiter Burschenschaften angehörten.

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So. Es gibt jetzt also zwei oder gar drei Kommissionen, die etwas untersuchen. Wünschen wir diesen Kommissionen das Beste. Aber fragen wir uns, ob nicht schon das ganze ministerielle Procedere dazu geeignet ist, die Probleme kleinzureden. Es ist eine Leistung von Bürokratien, durch ihre Verfahren so etwas leisten zu können. Da ist zuerst einmal die Aufteilung der Kritik in mehrere Kommissionen, die eine Konzentration auch der öffentlichen Aufmerksamkeit auf Teilbereiche lenkt und verhindert, daß das Museum als Ganzes in den Blick kommt, die Frage nach seiner Berechtigung in der jetzigen Form, die Frage nach seiner ideologischen und seiner geschichtswissenschaftlichen Ausrichtung und die Frage nach seiner Organisation als Bundesmuseum das dem Landesverteidigungsministerium unterstellt ist.
Schwerer wiegt, daß die Formulierung der Frage- und Problemstellungen, die als aufklärungswürdig gelten, ebenfalls die zentralen Fragen einengen und auf Teilaspekte so beschränken, daß die Komplexität der Institution, ihrer Dauerausstellung mit allen ihren Aspekten (Gestaltung, Texte, Objektdisposition, Narrativ etc.) gar nicht mehr sichtbar werden. „Ob man den richtigen Zugang“ habe, ist eine völlig schief gestellte Frage, denn einen richtigen Zugang git es nicht und ob man museumsdidaktisch auf dem letzten Stand ist, läßt sich auch als rein methodische Spezialfrage unter Ansehung aller Inhalte abhandeln. In der fragwürdig eingestuften „zeithistorischen“ Abteilung fehlt nicht einfach die Kontextualisierung oder ausreichende Erklärung, hier geht es um ein schiefes und fragwürdiges Geschichtsbild und seine Umsetzung als Ausstellung.
Das Museum selbst aber auch das Ministerium - und man wird sehen, ob die Kommission dieser Haltung folgt -, macht auf Unschuldskomödie. Kritik am Museum, Kritik an den genannten Vorfällen und Ausstellungsteilen - nie gehört, gibt es nicht. Es wird schlicht ignoriert, was es schon an Kritik am Museum - Revisionismus ist ja kein kleiner Vorwurf -, gibt.

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„Braune Flecken?“ Wenn es nur das wäre! Das Museum hat eine uralte, in jeder Hinsicht dringendst veränderungswürdige Dauerausstellung. Es huldigt einem überholten patriotisch-monarchischen Bild österreichischer Geschichte, in dem der Geschichte der Armeen folkloristisch-patriotisch gehuldigt wird. Die spät(er) hinzugefügte Ausstellung - ich kenne nur kritische bis vernichtende Urteile von HistorikerInnen und MuseologInnen, niemand verteidigt die Ausstellung -, entstand mit dem Ehrgeiz, so etwas ein österreichisches Geschichtsmuseum angesichts der fruchtlosen Endlosdebatte um ein „Republikmuseum“. Der Ehrgeiz von Herrn Rauchensteiner, aus dem Heeresgeschichtlichen Museum so etwas wie ein Haus der Gesichte werden zu lassen, hat seinerzeit auch das Wohlwollen eines Standard-Chefredakteurs gehabt (vgl. Gerfried Sperl am 16. August 2015) - man darf nicht vergessen, wie viel Ahnungslosigkeit, Desinteresse und Oberflächlichkeit in solchen Debatten zirkuliert.

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Wenn sich nicht eine gewichtige zivilgesellschaftliche Kritik herausbildet, die die fachliche Kompetenz von HistorikerInnen, MuseologInnen usw. einzubinden versteht, wird man im Schachspiel der Politik und Verwaltung - mal lese mal dazu Wolfgang Zinggls (hier der Link zum Anfragetext) parlamentarische Anfrage und den Antworttext des Ministers (hier der Text)  - wenige Züge machen können. Deshalb ist die geplante Tagung am 24.1 () so wichtig und interessant, auch wegen der Multidisziplinarität.

* Zur Geschichte und Architekturgeschichte sowie zur ursprünglichen Funktion des "Arsenals" als gegenrevolutionäre Anlage siehe hier.

* Zur aktuellen Debatte um das Museum und Vorwürfe und Kritik an ihm siehe hier.

* Endlich gibt es Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum. Ein Post (hier der Link) zum Beginn der Debatte ums Museum vom September 2019 und Links zu den Quellen und Initianten, die die Debatte mit ihren Recheerchen angestoßen hatten.

* Gerhard Roth hat vor vielen Jahren einen wunderbaren Text zum Museum verfasst. Hier ein Appetithäppchen - als Anregung, den ganzen Text zu lesen: Link