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Dienstag, 6. Dezember 2011

Den Hass erzählen. Eine internationale Tagung zu Museum und Krieg


Ein Bericht von Angelika Fitz

Erinnert wird, was persönlich berührt, lehrt die Psychologie. Erinnert wird, was medial präsent ist, weiß die Kulturindustrie. Gedächtniskultur ist ein boomender Markt und der Krieg nimmt darin immer noch oder vielleicht sogar wieder eine prominente Rolle ein. Nicht nur in unzähligen fürs Fernsehen produzierten historischen Dokumentationen wird Geschichte als Abfolge von Kriegen erzählt, auch in vielen Museen ist das weiterhin der Fall. Unter den historischen Museen nehmen die spezialisierten „Kriegsmuseen“ – militärhistorische Museen, Waffenkammern, Gedenkstätten – eine argwöhnisch beäugte Sonderstellung ein. Sie galten lange als Erinnerungsorte für Veteranen und ein Blick in die Besucherstatistiken konnte das meistens bestätigen. Müssen solche Orte nicht in einer Glorifizierung des Krieges und in nationalen Rhetoriken enden? Nicht mehr zwangsläufig, wie eine Tagung zeigte, die vom Universalmuseum Joanneum in Graz gemeinsam mit dem internationalen Komitee der militärhistorischen Museen, ICOMAM, veranstaltet wurde.

Es weht ein frischer Wind durch die Zunft der Militärhistoriker. Spektakuläre Projekte wie das britische Imperial War Museum und jetzt das Militärhistorische Museum in Dresden sind nur die sichtbarsten Zeichen einer museologischen Umorientierung. Die gesellschaftliche und repräsentationskritische Reflexion des eigenen Tuns und die Suche nach neuen Zielgruppen gehen dabei Hand in Hand. Die Zeitzeugen der Weltkriege werden weniger, was sich in den letzten Jahren negativ auf die Besucherzahlen auswirkte. Ähnlich wie in anderen Museen werden Schulkinder als unerschöpflicher Markt entdeckt. Aus diesem Trend spricht nicht nur eine pädagogische Seele, sondern auch eine betriebswirtschaftliche. Mit speziellen Kinder- und Jugendprogrammen sollen die Lehrer überzeugt werden, mit ihren Klassen in Scharen für volle Häuser zu sorgen. Aber wie vermittelt ein Museum den Krieg? Darf ein Kinderprogramm unterhaltsam sein oder gar Spaß machen? Wie macht man Gewalt und Schrecken nachvollziehbar, ohne die Kinder zu verstören? Oder sind es eher die Erwachsenen, die Betroffenheit spüren, während sich die jugendliche „Generation Ego-Shooter“ an der Gewalt im Museum genauso ergötzt wie in Computerspielen? Mit ihren Waffensammlungen verfügen Militärhistorische Museen über hochgradig emotionale Objekte. Wie nimmt man mit diesen Attraktionen am Museumsboom teil, ohne sich an der Verherrlichung von Gewalt zu beteiligen? Wie erzeugt man Mitgefühl für die Opfer – mit immersiven Strategien der Überwältigung, mit hautnahem Re-Enactment oder mit reflexiver Distanz? Das sind nur einige Fragen, die auf der Tagung in Graz unter dem Titel „Gehört der Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“ diskutiert wurden.

Militärhistorische Museen haben eine Doppelfunktion als museale Bildungsinstitutionen und Gedenkstätten, so der Hauptredner Jay Winter, Historiker an der Yale Universität und ausgewiesener Experte für den Ersten Weltkrieg. Sie seien der Inbegriff des Museums als „Kathedrale des 21. Jahrhunderts“. Orientierung könnten sie dann geben, wenn sie Beziehungen zu den Familiengeschichten der Besucher herstellen. Diese Betonung von individueller Biografie und Betroffenheit mag auch mit Winters Tätigkeit als Berater von historischen Fernsehdokumentationen zu tun haben. Darüber hinaus hat er an beeindruckenden Museumskonzeptionen mitgewirkt, wie dem „Historial de la Grande Guerre“ in Peronne. Hier liegen Uniformen und Ausrüstungsgegenstände in horizontalen, bündig in den Boden eingelassenen Vitrinen und erzählen so eindringlich von der alltäglichen Gegenwart von Tod und Leid auf den Schlachtfeldern. Im Mittelpunkt stehen nicht die Generäle, sondern die gemeinen Soldaten. Das ist eine Sicht, die dem Wandel der akademischen Militärgeschichte in den letzten Jahrzehnten entspricht, so Barton CHacker, Kurator für Armeegeschichte am SmithsonianInstitut in Washington. Die ersten modernen Militärmuseen im 19. Jahrhundert standen ganz im Dienst des erstarkenden Nationalstaates und auch im 20. Jahrhundert dominierten lange die Helden der Nation. Erst ab den 1980er Jahren gewinnt mit der sogenannten „Neue Militärgeschichte“ der sozialgeschichtliche Fokus an Einfluss. Der einfache Soldat und die Kriegserfahrungen der Zivilbevölkerung rücken ins Blickfeld.  


In den letzten Jahren hat sich die Kontextualisierung des Krieges in Museen noch mehr erweitert. Von der institutionalisierten zur persönlichen Gewalterfahrung lässt sich diese Verschiebung beschreiben. Sie kündigt sich bereits in der Einladung zur Tagung an, wo die Rede ist vom „pädagogischen Impuls, Gewalt zu erklären und durch Deutung verarbeitbar bzw. vermeidbar zu machen“. Pter Armstrong vom „Royal Armouries“, der königlichen Waffenkammer, in Leeds hat sich stark dieser pädagogischen Ausrichtung verschrieben. Es scheint ihm unmöglich, seine Sammlung an glänzenden Waffen den Jugendlichen einfach zu zeigen. Stattdessen sind die Objekte nur mehr Anlassgeber für Gewalt- und Konfliktprävention. Gemeinsam mit Schulen organisiert das Museum Seminare zur Einübung in gewaltfreie Konfliktlösung. Gleichzeitig gibt Armstrong unumwunden zu, dass das Museum mit diesem Ansatz immer wieder an die Grenzen seiner Möglichkeiten und Kompetenzen stößt – Museumsvermittler sind keine Jugendarbeiter.

„Man muss staatliche Gewalt und individuelle Gewalt kurzschließen“, sagt Gorch Pieken, wissenschaftlicher Leiter des MHM in Dresden. „Wir erzählen Hass und wollen zum Nachdenken darüber anregen, dass es wenig Frieden gibt in der Welt und verdammt wenig Frieden in uns.“ Dazu passt der Doppelpack, der auf die Besucher in Dresden am Beginn der Ausstellung wartet: Auf Zitate aus Carls von Clausewitz strategischem Werk „Vom Kriege“ folgt die raumgreifende Installation „Love and Hate“ des britischen Künstlers Charles Sandison. Eine solche Hinwendung zur individuellen Gewaltbereitschaft verspreche zwar Involvierung, gefährde aber die Wahrnehmung der politischen und wirtschaftlichen Dimension der Kriege, wie Jay Winter in der Diskussion anmerkt. Und überhaupt halte er es für unerlässlich, dass nicht über das Universelle des Krieges philosophiert wird, sondern über konkrete Ausformungen. Krieg ist nicht Krieg. So seien die beiden Weltkriege, insbesondere der Vernichtungskrieg des nationalsozialistischen Deutschlands mit keinem anderen Krieg vergleichbar. Nicht um sonst widme das britische „Imperial War Museum“ in London dem Holocaust eine eigene Dauerausstellung. Gorch Pieken betont, dass in der chronologischen Erzählung im Dresdner Altbau ein ganzes Stockwerk der Kontextualisierung der beiden Weltkriege gewidmet ist. Und es gibt den Neubau von Daniel Libeskind, der die chronologische Kontinuität der Kriegsgeschichte im Altbau mit Vehemenz durchschneidet. Die Ausstellungsgestaltung auf der Ebene des „Dresden-Blicks“ verkörpert paradigmatisch die Hinwendung von einer nationalen zu einer europäischen Geschichtsschreibung. Materielle Zeugen der Zerstörung durch die NS-Luftwaffe treten neben die Aussicht auf das wiederaufgebaute Dresden.


All diese Selbstreflexivität darf nicht darüber hinweg täuschen, dass militärhistorische Museen Eigentümer und Auftraggeber haben und dass es trotz Globalisierung noch große Ungleichzeitigkeiten gibt. Das zeigten unter anderem Vorträge zu Museen in Zypern, der Türkei oder Weißrussland, wo von den Ausstellungen deutliche Beschwörungen einer nationalen Identität ausgehen. Aber auch vom MHM in Dresden erwartet die Bundeswehr als Eigentümerin Lernort für ihre Soldaten zu sein. Welche Botschaft kann ein Museum hier geben? Krieg ist schlecht oder Krieg ist unvermeidbar? Soll es in böse und gerechte Kriege unterteilen? „Wir sagen nicht, dass wir ein Pazifismus-Museum sind “, stellt Gorch Pieken klar und fügt hinzu: „Auschwitz ist von Soldaten befreit worden.“ Sein Museum soll den Soldaten Orientierung geben, indem es deutlich macht, dass im Krieg Entscheidungen zu treffen sind.

Viele existenzielle und museologische Fragen konnten auf der ungewöhnlich dichten dreitägigen Konferenz nur gestreift werden: Wie lassen sich die neuen assymetrischen Kriege verstehen, in denen sich Söldnertruppen statt nationale Armeen gegenüber stehen? Oder was, wenn man das Augenmerk nicht mehr darauf legt, wie Kriege ausbrechen, sondern wie sie beendet werden? Es blieben mehr Fragen als Antworten. Nicht anders sollte es den Besuchern eines guten Militärmuseums ergehen.


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„Gehört der Krieg ins Museum? Repräsentation von Gewalt in Ausstellungen“, eine Tagung der Museumsakademie des Universalmuseums Joanneum, in Kooperation mit  ICOMAM - International Council of Museums and Collections of Arms and Military history und dem Landeszeughaus Graz, Graz 21.-23.09.2011. Es erscheint eine Publikation bei transkript. www.museum-joanneum.at/museumsakademie


Freitag, 1. Juli 2011

Die Dauer des Museums

Die vielen bekannte, derzeit bei ICOM als gültige publizierte Definition von Museum lautet: "A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment."
In den Debatten innerhalb von ICOM (1) über eine Erneuerung und Überarbeitung der Definition ist unter anderem der Vorschlag gemacht worden, "permanent" zu streichen.
Pragmatisch ist das verständlich, viele Museen bestehen zwar schon sehr lange und es ist keine Veranlassung an einer zukünftigen langen Lebensdauer zu zweifeln, aber Museen werden selbstverständlich gelegentlich auch geschlossen.
Im Sinn einer möglichst präzisen und knappen Definition ist außerdem Dauer kein Kriterium für das Museum.
Allerdings bezieht sich das Wort Dauer in der Museumsdefinition nicht bloß auf die Institution oder den Ort und das Gebäude sondern auch auf die Sammlung. Wenn man den Sammlungsgegenständen die Eigenschaft der Dauer nimmt, also die einer unabgeschlossen gedachten Zeit, in der sie den besonderen Status von Dingen haben, die weder gebraucht noch verkauft werden dürfen und während der sie erhalten werden müssen, was dann?
Wird es dann möglich, Museen gewissermaßen einer 'Rückabwicklung' auszusetzten, nicht nur das Mobiliar zu Verkaufen, die Immobilie, sondern auch die Sammlung? Könnte dann z.B. ein in Sparnöte geratene Kommune die Auflösung eines Museums oder einer Sammlung unter wirtschaftlichen Prämissen beschließen? Könnten MUseen ihre Sammlung gleichsam verflüssigen, hier etwas ver- dort etwas ankaufen? Könnten sie so ihre Sammlungspolitik ändern und neuen Gegebenheiten anpassen?
Bedenkenswerter scheint mir eine andere Konsequenz. Mit der Eliminierung der Qualität der unbestimmten Dauer, eliminiert man auch die Vorstellung eines dauerhaften - zunächst dinglichen - Gedächtnisses. Die Idee eines jede lebensweltliche Vorstellung von Dauer (Lebenszeit, Generationen etc.) überschreitenden 'technischen Gedächtnisses' des Museums erlaubt eine tröstliche Einschreibung, enthält eine tröstliche Botschaft, die die Kränkung unserer Endlichkeit mildert. Diese Vorstellung entsteht zu Ende des 18. Jahrhunderts auch aber nicht nur im Zusammenhang mit Museen und ist seither eines seiner Strukturmerkmale.
In vielen Museen zeugen Testate - vom einzelnen Objekt bis hin zu ganzen Museumssammlungen mit eigenen namentlich gewidmeten Bauten - vom Wunsch, sich im Museumsgedächtnis einen Platz zu sichern. Aber auch in Hinblick auf kollektive Erfahrungen ist es ja offenbar tröstlich, sie in einem unverletzlichen Speicher - so imaginär diese Idee auch ist, irgendwann erreicht alles eine physische Grenze -, aufgehoben zu wissen.
Die Aufgabe der definitorischen Permanenz (noch ist sie nicht beschlossen) hätte zweifellos Konsequenzen für die gesellschaftlich-kulturelle Rolle des Museums.

(1) Ann Davis u.a. (Hg.): What is a Museum? München 2010

Mir kommt vor, sie verschwinden zusehends aus den Museen und Schlössern, die Filzpantoffel, die man über die Straßenschuhe überstreift und mit denen man durch Säle und Flure schlurft, ohne Fußböden und Teppiche abzunutzen. Mag sein, daß neue Technologien des Oberflächenschutzes diesen wunderlichen Behelf überflüssig machen, der jede Besuchergruppe, egal wie sie gekleidet war, einer Verschlunmpfung aussetzte, derer man sich gerne und erleichtert wieder entledigte. - Diese vom Verschwinden bedrohte Spezies, deren Biotop musealisierte Räume waren, soll hier noch einmal auch hinsichtlich seiner symptomatischen Qualität (im Sinn der oben ausgeführten Überlegungen zur Dauer des Museums) gewürdigt werden. Das Hintanhalten der Abnutzung ist das restauratorische Credo im Museum und der Filzpantoffel ist die Waffe gegen den unberechenbarsten aller Feinde des Ewigkeits-Phantasmas: den Besucher

Einst und Jetzt

"Geschichte ist Sinnbildung über Zeiterfahrung im Modus einer Erinnerung, die hinter die Grenzen der eigenen Lebenspraxis zurückreicht." 
Jörn Rüsen 

Gästebuch des Gemeindemuseums Schwarzenberg (Vorarlberg)

Samstag, 25. Juni 2011

Frage, noch eine

Sollen sich Museen aus der Zeitgeschichte raushalten?
Blöde Frage?
Warum tun es dann so viele, warum liegen so viele Themen unaufgegriffen auf der Straße?
Die Schriftstellerin Herta Müller hat in einem offenen Brief die Gründung eines Museum des Exils gefordert.
Begründung?
Es soll einem (von der Deutschen Regierung geplanten) künftigen Museum der Vertreibungen an die Seite gestellt werden. Denn das Exil war Vertreibung.
Müller: "Heutzutage gibt es viele unterschiedliche Zweige der Exilforschung, aber es gibt kein Zentrum, in dem sich anschaulich die heterogenen Erfahrungen des Exils als Teil der deutschen Geschichte zeigen lassen."
Und das Deutsche Historische Museum?
Oder...?
Also, soll es so etwas geben?
Und warum eigentlich ein Museum (und nicht ein Dokumentationszentrum, ein Archiv, eine Forschungsstätte usw.)?
Also noch so eine Frage...

Mittwoch, 9. Februar 2011

"Zerstörung ist selbst Thema unserer Arbeit". Eine gewichtige internationale Reaktion auf die Vorgänge im Jüdischen Museum der Stadt Wien

Nancy Speros Erinnerungsspuren. Der Lichthof des Museums.

Sehr geehrte Frau Dr. Spera, liebe Frau Kollegin,

wir wissen, dass das Wiener Museum vor der schwierigen Aufgabe steht, eine nun  mittlerweile fünfzehn Jahre bestehende Dauerausstellung für die Zukunft neu zu entwickeln. Dass dabei auch von manchen Errungenschaften der Vergangenheit Abschied genommen werden muss, versteht sich von selbst. Und offenbar sind dabei unvorhergesehen Schwierigkeiten aufgetreten.

Die Bilder von der Zerstörung der Hologramme in der alten Dauerausstellung erfüllen uns gleichwohl mit Sorge.

Als Kollegen machen wir uns Sorgen darum, ob die für uns selbstverständlichen Standards der Achtung und des Respekts gegenüber Meilensteinen der Gestaltung Jüdischer Museen hier wirklich Beachtung gefunden haben. Museen sind Hüter und Bewahrer der ihnen anvertrauten kulturellen Güter und haben sich verpflichtet, sie mit größter Sorgfalt für die Nachwelt zu erhalten. Jüdische Museen  sind gleichzeitig ein Teil jener Geschichte, die sie erzählen und sollten sich auch mit Achtung und Respekt gegenüber dieser, ihrer eigenen Geschichte, als Institution verhalten. Ähnliches gilt schließlich auch für die Achtung und den Respekt gegenüber unseren Mitarbeitern und ihren Leistungen.

Zum ersten:
Die Hologramme gehörten – nicht nur zum Zeitpunkt ihrer Installation 1996 – zu den bemerkenswertesten Präsentationen jüdischer Geschichte in der  Welt der Jüdischen Museen und weit darüber hinaus. Die Wiener Hologramme waren ein Projekt, das die Museumswelt in ihrer Arbeit inspiriert hat. Das radikal innovative und einzigartige an den Hologrammen bestand in dem Phänomen, dass sie Präsentation und Exponat zugleich waren. Sie waren – auch wenn das für die Arbeit von Kuratoren und Ausstellungsgestaltern ungewöhnlich ist – selbst ein bedeutendes künstlerisches Objekt.

Insofern stellt ihre Zerschlagung nicht die Demontage einer Ausstellungsarchitektur dar, sondern den Verlust eines unwiederbringlichen Originals. Sie waren nicht nur ein Ausstellungsmedium, eben keine Vitrine und kein technisches Präsentationsmittel, sondern das ausgestellte  Exponat selbst, und damit ein Teil der Sammlung des Hauses, die gemäß der Prinzipien von ICOM, also des Internationalen Verbands der Museen, gepflegt und bewahrt werden muss.

Nach unserem Selbstverständnis musealer Arbeit wäre es geboten gewesen, die Hologramme zu archivieren, auch wenn dies nur unter Zuhilfenahme von – möglicherweise schwierigen - restauratorischen Maßnahmen gelungen wäre. Wäre dies tatsächlich nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich gewesen, hätte dieser Entscheidungsprozess diskutiert und dokumentiert werden müssen.

Zum zweiten:
Als Verantwortliche Jüdischer Museen, als Wissenschaftler und Museologen sind wir  der Erinnerung an jüdische Geschichte und der Auseinandersetzung mit jüdischer Gegenwart gleichermaßen verpflichtet. Dazwischen liegt eine Katastrophe unvergleichlichen Ausmaßes, die in der willentlichen Auslöschung jüdischen Lebens, jüdischer Kultur und jüdischer Erinnerung bestand. 
Diese Zerstörung ist selbst Thema unserer Arbeit. Und sie war auch der Gegenstand der nun verlorenen Hologramme. Der museale Umgang mit der Massenvernichtung an den europäischen Juden stellt mannigfache Fragen an uns und sie bedeutet für uns die Aufforderung zu einem sensiblen Umgang auch mit unserer eigenen Geschichte als Museen und der Objekte, die wir ausstellen und bewahren. Der Verlust der Hologramme wirft diese Fragen in einer neuen Dramatik auf.

Wir möchten Sie deshalb fragen, wie Sie unseren eigenen Umgang mit unserer Geschichte sehen, und wie wir uns selbst gegenüber kritisch genug bleiben können, um unsere Sensibilität für unseren Gegenstand nicht zu verlieren?

Eine der großen Qualitäten der Arbeit Jüdischer Museen in Europa und den USA ist der Diskurs über unsere Arbeit, der uns alle bereichert und nicht selten sind in den letzten zwanzig Jahren die Anstöße dazu von Wien ausgegangen. Wir würden uns sehr freuen, Ihre Antworten auf unsere Fragen zu hören und mit Ihnen in ein Gespräch darüber zu treten.

Mit kollegialen Grüßen
Ihre

Fritz Backhaus, Programmdirektor, Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Monika Berthold-Hilpert, Jüdisches Museum Franken
Inka Bertz, Jüdisches Museum Berlin
Daniel Dratwa, Conservateur, Musée Juif de Belgique
Daniela Eisenstein, Direktorin, Jüdisches Museum Franken
Jutta Fleckenstein, Jüdisches Museum München
Michal Friedlander, Jüdisches Museum Berlin
Ulrike Heikaus, Jüdisches Museum München
Anne-Hélène Hoog, Musée d’art et d’histoire du Judaisme, Paris
Cilly Kugelmann, Programmdirektorin, Jüdisches Museum Berlin
Dr. Hanno Loewy, Direktor, Jüdisches Museum Hohenems
Dr. Tobias G. Natter, Direktor, Vorarlberger Landesmuseum
Bernhard Purin, Direktor, Jüdisches Museum München
Mag. Johannes Reiss, Direktor, Österreichisches Museum Eisenstadt
Dr. Benigna Schönhagen, Direktorin, Jüdisches Kulturmuseum Augsburg
Dr. Emile Schrijver, Leiter der Bibliotheca Rosenthaliana, Universiteit van
Amsterdam
Christiane Twiehaus, Jüdisches Museum Franken
Dr. Johannes Wachten, Oberkustos, Jüdisches Museum Frankfurt am Main
Dr. Mirjam Wenzel, Jüdisches Museum Berlin

Prof. Dr. Johannes Heil, Leiter der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg
Dr. Martha Keil, Direktorin, Institut für jüdische Geschichte Österreichs
Univ. Prof.  Dr. Gerhard Langer, stellvertretender Institutsvorstand
Institut für Judaistik, Universität Wien
Univ. Prof. Dr. Albert Lichtblau, Universität Salzburg, Fachbereich Geschichte
Dr. Sabine Offe, Institut für Religionswissenschaft, Universität Bremen
Dr. Dirk Rupnow, Leiter, Institut für Zeitgeschichte, Universität Innsbruck
Dr. Heidemarie Uhl, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte

Unterschriften eingegangen bis Mittwoch, 9. Februar 2011, 13 Uhr



Sonntag, 6. Februar 2011

Ungarn: Krise der Politik, Krise der Kultur, Krise der Museen

An der Situation Ungarns ist mehr interessant, als nur der Zustand der Kulturinstitutionen und der Museen. Das Land hat, so die weit verbreitete Einschätzung, spätestens mit seinem kürzlich erlassenen Mediengesetz, den demokratischen Weg verlassen und befindet sich auf dem zu einer „neuen Art der Diktatur (György Konrad).
Für Kultur und Wissenschaft bedeutet das, das massenhaft entlassen wird und die regierende Partei ihr genehme Personen platziert, daß man Intellektuelle denunziert und derart bedroht, daß erst kürzlich ein Aufruf von Jürgen Habermas und anderen zum Schutz mehrerer Philosophen publiziert wurde. Für ganze Bereiche wird jede staatliche Förderung gestrichen, z.B. für die freie Theaterszene. Begriffe wie „Gleichschaltung“ und „Säuberung“ fallen.
Michael Frank, der Österreich-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung schreibt: „Die Direktionen der Mehrzahl der Museen und Galerien wurden bereits im Sommer und Herbst ausgewechselt. Dann kam Lajos Vass dran, der Direktor der Staatsoper, dem man Misswirtschaft vorwarf. Generalmusikdirektor Adam Fischer zog sich daraufhin resigniert von selbst zurück...Die Akademie der Wissenschaften wird ausgeholzt. Die Mannschaft des Georg-Lukács-Archivs wird komplett ausgewechselt.“
Worüber Michael Frank auch berichtet, ist eine Variante, wie man Krisen erzeugt und nutzt. In dem Maß, in dem Mittel gekürzt werden, bestraft man Verluste mit Entlassung. Da aber alle Kulturinstitutionen ‚defizitär’ arbeiten, kann es jeden treffen, und jeder kann beschuldigt werden, Gelder leichtfertig oder zweckentfremdet verwendet zu haben.
Michael Frank: „Besonders hart trifft diese Säuberungswelle die Provinz...Nehmen wir wieder die Stadt Pécs als Beispiel, die mit ihren 170.000 Einwohnern 17 Museen unterhält. Hier ringt man schon ohne jede politische Einflussnahme ums Überleben. Beheizt wird längst keines der Häuser mehr.
Wer an Wunder glaubt, darf sich an ein singuläres Ereignis in der Geschichte der Museen erinnern. Von den Stufen des Ungarischen Nationalmuseums herab wurde 1848 die demokratische Revolution ausgerufen...
Seither findet im März an dieser Stelle, vor den Treppen des als nationales und demokratisches Symbol geltenden Museum, das 1848 auch Sitz des Oberhauses des Ungarischen Parlaments, eine Kundgebung zur Erinnerung an dieses Ereignis statt.

Die Märzfeier vor dem Nationalmuseum im Jahr 2004


Michael Frank: Sorge um Ungarns Kulturbetrieb Die große Säuberung, in: Süddeutsche Zeitung, 24.01.2011

Montag, 17. Januar 2011

Der Jetztmensch und das Leben der anderen (Museumsphysiognomien 11)



Mir ist eine Postkarte zufällig wieder in die Hände gefallen, die ich vor vielen Jahren im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover gekauft habe. Sie zeigt ein Diorama, das es es möglicherweise nicht mehr zu sehen gibt und das, wie die Beschriftung der Karte sagt, den "Jetztmensch" zeigt. Über die - ohnehin rasch wechselnden - Theorien über die Evolution des Menschen wenig unterrichtet, lege ich mir das Wort "Jetztmensch" so aus: Das ist die Spezies, zu der "wir" (immer noch) gehören, da bin ich gemeint, denn das sind unsere und meine Vorfahren oder wie man auch sagen könnte, Ahnen.
Die Beschriftung der Karte präzisiert: "Cromagnonmensch" und fügt in Klammer hinzu: "Jüngeres Eiszeitalter (Altsteinzeit; Aurignacien) vor 25.000 Jahren".
Die Jahreszahl hilft mir, die diversen Epochenangaben, mit denen ich ohnehin nichts anfangen kann, zusammenzufassen: lange her.

Der Suche nach der Herkunft der Menschheit (ein jederzeit aktualisierbares Thema der Medien) wie dem Schaubild aus dem Hannoveraner Museum geht eine Frage voraus: Woher kommen wir? Da eine korrekte und nüchterne, sich auf Funde und Fakten beschränkende Antwort weder besonders anschaulich noch besonders befriedigend ausfiele, wenden Museen Kniffe an, von denen das 'lebenswahre' Diorama mit seiner räumlich-illusionistischen Suggestion einer der beliebtesten ist. Inzwischen hat man den Naturalismus solcher Veranschaulichungsräume erheblich verbessert, aber was geblieben ist, ist die mit einem Blick erfassbare Szene, die uns freundlicherweise insofern entgegenkommt, als sie den Schock der Differenzerfahrung mit der Durchdringung von Gegenwart mildert. Grillparty mit Männerüberschuss könnte die Überschrift heißen (ob Frauen überhaupt dargestellt sind, kann ich auf dem Bild nicht eindeutig erkennen), allerdings behauptet die Postkarte, daß der Jetztmensch grade mit der "Bestattung eines Mammutjägers" zu Gange ist. Ich kann auch das nicht erkennen und wenn es sich nicht um eine schlicht falsche Beschriftung handelt, bleibt nur die Vermutung von Leichenschmaus, Opferkult oder - Kannibalismus?

Überhaupt: was sagt uns das Diorama. Vermutlich geht es in erster Linie um die Vermittlung großer zeitlicher Distanz, von früher und jetzt (wir im Museum…), um Erfahrung, die aus der Zeitdifferenz entsteht. Etwa: die haben ganz primitiv gelebt, im Freien, haben Fleisch verzehrt, sich in Felle gekleidet, Vorräte geschaffen (an der Felswand links hängt Fleisch offenbar zum Trocknen) usw. Da ja wir gemeint sind, läßt sich das primitiv gut zur Grundlage einer Idee des Fortschritts machen, die uns das angenehme Gefühl eines weit haben wirs gebracht vermitteln kann.

Wäre hier aber eine ethnisch-kulturell differente Gruppe dargestellt, Eingeborene des vorkolonialen Amerika oder Urwaldbewohner der Regenwälder z. B., würde das primitiv zu deren Ungunsten ausschlagen und ein Wertgefälle erzeugen, also unsere Überlegenheit bekräftigen oder gar scheinbar beweisen. Es wäre dann das Leben der Anderen, nicht unseres. Damit nur ja die Identifikation mit dem wir über den "Jetztmenschen" funktioniert, ist er ja auch so hübsch zur Grillparty gruppiert und sind die Cromagnons mit auffallend üppigen Föhnfrisuren (a la 70er-Jahre, da könnte das Diorama gebaut worden sein) ausgestattet.

Das meiste von dem, was wir sehen, ist übrigens erfunden, durch gesichertes Wissen nicht abgesichert, so wie man ja auch nicht weiß, wie Saurier 'wirklich' ausgesehen haben (sie könnten ja auch lila gewesen sein oder fedrig, nicht?) oder was "Ötzi" denn ausgerechnet auf dem Hauslabjoch zu suchen hatte. Das ist freilich gar nicht so wichtig, wie uns der Authentizitätsdiskurs des Museums weismachen will, denn hier gehts nicht so sehr um Sachwissen (anthropologisches, archäologisches Wissen), sondern um Identitätswissen, das heißt, um etwas, was jetzt, im Museum, mit uns und für uns 'erzeugt' wird, aber dem Sachwissen so gar nicht entnommen werden könnte.

So viel (nebstbei) zur Wissenschaftlichkeit des Museums (siehe Föhnfrisuren).

Das merken wir alles nicht so richtig, denn rhetorisch ist das Diorama unschlagbar. Für das Museum, das räumliche und zeitliche Distanz in räumliche und zeitliche Nähe wunderbar zu verwandeln vermag, ist das dazu besonders geeignete Diorama, ein wunderbares Medium. Statt dem pars pro toto, mit dem so viele Ausstellungen arbeiten, gibt es hier eine zum Tableau erstarrte Erzählung. Wie wirklich zeigt man uns unsere Vorfahren, zwar nicht grade anheimelnd, aber doch vertraut, verwandt (siehe Grillparty), und mag sich auch die Art viriler Fleischzubereitung seither nicht verändert haben (25.000 Jahre Grillen - ein Museumsthema?), das Gefühl, daß wir es doch ein wenig besser und komfortabler haben, bleibt. Einübung in Zivilisiertheit eben.

Geben wir das Schlußwort der Beschriftung der Postkarte: "Werdet Mitglied der 'Freunde der Naturkunde-Abteilung des Niedersächsischen Landesmuseums e. V.".

Montag, 13. September 2010

Spurenlese

Das eine Beispiel stammt aus dem Museum Allerheiligen in Schaffhausen, 
das andere aus dem Rosgartenmuseum in Konstanz.
Beidemale werden die Objekte wie alle anderen Objekte gezeigt, ohne eine besondere Akzentuierung. Dabei scheinen sie mir mehrfach übercodiert. Zunächst mal als Dokumente demokratischer Bekenntnisse und Hoffnungen - dazu gibt es in einschlägigen Musenn in der Regel nicht so viel zu sehen. Dann aber durch den Umstand, daß in beiden Fällen dieses Bekenntnis, verheimlicht, versteckt wurde (übrigens zweimal 'auf dem Dach....'). 
Es sind Zeugnisse der Unterdrückung und der unterdrückten Hoffnungen.
Aber in beiden Fällen ist es auch Flaschenpost (die eine noch dazu in Blei gehüllt, unzerstörbar sollte sie sein)), eine Botschaft an die Zukunft, an künftige Generationen, die Hoffnung, die sich aktuell nicht verwirklichen läßt, dereinst einzulösen.
Museen sind Spezialisten für solche Botschaften - sie nehmen nur diese Aufgabe selten an oder übersehen sie. Das Uneingelöste individuellen Lebens und kollektiver Wünsche geistert entweder weiter unerlöst in den Museumsräumen - oder man gibt ihnen einen entschiedeneren Platz - im buchstäblichen wie metaphorischen Sinn - als das hier geschieht.
An der Dialektik von bloßem Aufbewahren einerseits und Weitergeben einer Botschaft, einer Hoffnung, eines Begehrens entscheidet sich die soziale Sinnhaftigkeit des Museums.

Anschauung / Geschichtserfahrung / Heimat

Für den Schulunterricht bestimmtes Relief Kärntens. Handwerksmuseum Baldramsdorf
In Leutkirch gibt es ein normales Heimatmuseum mit ein bißchen Stadtgeschichte, Zunftgeschichte, Handwerksgeschichte, einigen Uhren und Webstühlen, Spinnrädern und Bauernschränken, die die Räume füllen und die einem fremden Besucher aus Tübingen nicht unbedingt die Augen öffnen. Im Vorraum steht ein Landschaftsmodell, wohl aus Gips gefertigt, das so tut, als sei die naturräumliche Gliederung im Zeitalter der Raketen und des Kunstdüngers noch immer von wesentlichem Belang. Dieses Modell zeigt Leutkirch wahrend der Eiszeit. Das vom Staub schon etwas grau gewordene Packeis liegt auf der oberschwäbischen Kleinstadt wie ein meterdicker Panzer, der sichtbar jedes Leben erfriert. Die alte Dame, die das Museum betreut, nutzte jedoch dann die Möglichkeit, durch einen einfachen Mechanismus das ganze Eis auf einen Schlag - bildlich gesprochen - abzutauen, und nur noch zwei winzige Ösen erinnerten nach diesem schöpfungsähnlichen Eingriff an die einstige Kälte; das Gipseis verschwand unter dem Modell, oben grünten die Weiden und fand die Argen ihr geschwungenes Bett, so einladend, daß die Vorfahren der Leutkircher natürlich hier und an keinem anderen Ort ihre Zelte - oder was immer sie hatten - aufschlagen mußten.
Auf der Glasplatte der Vitrine liegt ein Artikel zum Geoplasten P. Oberlercher
 Seitdem ist für mich diese Handlung identisch mit longue duree, ich habe das zwar bei Fernand Braudel auch verstanden, aber daß eine historische Theorie ein Bild finden kann, das als Metapher für große historische Prozesse und insgeheim sogar für metaphysische Eingriffe steht, das verdanke ich dieser Frau .
Es ist also eine Anekdote, die mich lehrte, daß natürlich mein historisches Wissen sehr viel mehr Anekdotisches als Plötzgenaues enthält und daß es neben der historischen Theorie einen zweiten Strang gibt, der die Daten untergründig zusammenhält und der, obwohl er keinen Anspruch auf wissenschaftliche Rationalität erheben darf, für mich nicht weniger Halt gibt als der öffentlich abgesicherte, den ich in Büchern lerne und in den Seminaren lehre: es ist die Fähigkeit der Sinne und Gefühle, solche Dinge festzuhalten und miteinander zu verbinden, die nach den Regeln der Kausalität nicht immer zusammen gehören, sondern sich eher wie Fontanes Stechlin durch tiefe dunkle Röhrensysteme miteinander austauschen.

Text von Utz Jeggle: Subjektive Heimat - objektive Musealität. Zum Verhältnis von subjektiver Erlebnisfähigkeit und objektiven Ereignissen, Heimat im Museum, Koblenz 1984, S.11ff.