Freitag, 29. November 2019

Dresdner Juwelenraub. Unschätzbare Werte. Geglückte Ausbeutung

Am 25.November wurden aus dem Grünen Gewölbe in Dresden Kunstwerke gestohlen. Inzwischen weiss man, welche und wie viele. Ueber den Wert liess man sich in Zahlen nur unklar aus. Denn was meinte man mit den veröffentlichten zahlen? Den Versicherungswert? Den Verkaufswert im Falle einer Veräusserung? Da ist es schon besser von "unschätzbar" zu reden.
Um so sicherer schienen in ersten Reaktionen die Journalisten zum symbolischen Wert, der da eben verloren gegangen war. Andreas Platthaus sah in der Frankfurter Allgemeinen das "Sieges- und Heimatgefühl" der Sachsen "zerstört". Das Siegesgefühl? Das Heimatgefühl? Zerstört? Ja, denn: "Es gibt anderswo auf der Welt größere Diamanten als in Dresden, aber die Besonderheit etwa der sogenannten Brillantgarnitur als bedeutendste der drei liegt darin, dass hier ein Generationenprojekt zu besichtigen war: August der Starke kaufte den Großteil der Diamanten, sein Sohn August III. ergänzte weitere höchst bedeutende Steine, darunter den legendären 'Dresdner Grünen', und sein Urenkel Friedrich August III. schließlich ließ aus Juwelen seiner beiden Vorfahren die jetzige Brillantgarnitur anfertigen - als 'Brücke zwischen den Fürstengenerationen', wie Dirk Syndram, der Direktor des Grünen Gewölbes, das Schmuckensemble charakterisiert hat." Ja dann! Wenn daran bis jetzt die sächsische Identität hing!
Aber es geht auch ins andere Extrem, und das scheint mir interessanter, weil hier Abschied von einer genuin bürgerlichen Affirmation kultureller Tradition genommen wird: "Wer von uns hat sich je dafür interessiert, welchen Manschettenknopf August der Starke, zu welchem Fingerring trug?" Fragt sich und uns Arno Widmann in der Berliner Zeitung und spottet über die Anbetung der Tradition. "Wer von uns interessiert sich für die Veränderungen in der Kunst der Diamantenschleiferei in den vergangenen dreihundert Jahren?" Und: "Ganz sicher haben die Sachsen weniger hart an diesen Gegenständen gearbeitet, als sie vielmehr geschröpft wurden, damit die Majestäten sie erwerben konnten. Das gehört auch zur Wahrheit des Grünen Gewölbes: Hier zeigte der Herrscher, was er sich alles leisten konnte. Es ist ein Dokument rundum geglückter - verwenden wir das alte Wort - Ausbeutung. Deren Opfer zu sein, gehört ganz sicher zur sächsischen Identität."
Wenn der Regierungschef des Landes sagt, "Nicht nur die Staatlichen Kunstsammlungen wurden bestohlen, sondern wir Sachsen", dann meint er das natürlich etwas anders.

Sonntag, 24. November 2019

Berührungsverbot (Sokratische Frage 47)



Ein Gemeinplatz, namentlich unter VermittlerInnen lautet: nur durch das Berühren verstünde man das, was an Gegenständen im Museum ausgestellt wird. Dieser Imperativ ist, durchaus implizit aggressiv gegen ein Strukturmerkmal des Museums gerichtet. Gegen das Berührungsverbot (das vordergründig im Namen der unbschädigten Erhaltung der Objekte errichtet wurde).

Ist es nicht gerade umgekehrt: Gibt es nicht gerade nur unter der Bedingung des Nicht-Berührens ein Verstehen? Braucht nicht jegliche Aufklärung reflexive Distanz?

Montag, 18. November 2019

Das Museum lesen

Um schlechtes Gewissen in einer unschöpferischen Zeit unschöpferisch zu beruhigen, ist Geld die gegebene Sache; man baut ein Museum. New York liebt Museen, denn Museum ist Kultur, und bereits vorhandene Kultur zu bewahren, zu kaufen und zu sammeln ist leichter und einfacher, als Kultur zu schaffen. Und da die Zeit schneller geht, altert sie schneller. Das Museum überhöht die Vergangenheit, reinigt, und wer ein Museum für den gestrigen Tag baut, lebt mit der Hoffnung, diesen Tag gleich für Jahre zu Verwaltern; wäre ich ein Mörder, ich baute meinem Opfer am nächsten Tag ein Museum, Fotografien, vergilbte Bilder seiner Eltern, sein Vaterhaus, einen Schulaufsatz in einer schönen Vitrine, zwei oder drei seiner Kleidungsstücke, auch unter Glas, alles unter Glas, sein letztes Auto, sein Portefeuille, seine Armbanduhr, seinen ausgestopften Hund, sein Hobby, seinen Rasierapparat, seinen Kamm, sein Bett (nicht zu vergessen), seine Versicherungspolice, seinen Fernsehapparat, die Schuhe, die er zuletzt trug, ein gemaltes Bild seines Lieblingsrestaurants, sein Lieblingsessen (Foto), seine Zigarettenmarke, das Messer, mit dem ich ihn umbrachte, die Nekrologe in den Zeitungen, in denen er, ha!, gewürdigt wird...
Das Museum ist der Ersatz für den einstigen Glauben, man könne sich für die Ewigkeit möblieren.
Den Broadway hinausschlendernd entdecke ich das Heimatmuseum. Der Kurator - er sitzt selber an der Kasse - streitet sich mit den Besuchern; die Quintessenz seines Museums heißt Bevölkerungsexplosion und Selbstvernichtung der Menschheit; die beiden miserablen Wachsmuseen lassen befürchten, die Figuren möchten sich leblos zu bewegen beginnen, dann: die Peinlichkeit des Versuchs, lebendig zu wirken; das Museum der City of New York stellt das alte Modell eines Staubsaugers aus, einen Toaster aus den zwanziger Jahren, die älteste New Yorker Zitronenpresse und die jüngste, einen Büchsenöffner von 1935 und einen Büchsenöffner von 1967, ein Foto Marilyn Monroes - alles wird gleichsam in die Vergangenheit zurückgepfiffen und in Ehrwürde versetzt; ein Museum für Kinder gibt es schon, denn wer war einst nicht Kind; das Polizeimuseum mit Konterfei der ersten Polizistin New Yorks, Brüste wie Euter und Schultern wie einer, der täglich ein Klavier in das neunte Stockwerk tragen muß, Daumenschrauben an der Vagina Dentata, Muse der Polizei. (Wer sich für Handschellen interessiert: Handschellen sind eine Wissenschaft. Handschellen wurden von genialen Mechanikern fast überall gleichzeitig erfunden; so in Deutschland die Clejuso-Handschellen, die Kayser-Handschellen, die Hamburg P-8-Handschellen, in England die Darby-Handschellen, in Frankreich die La Massenotte-Handschellen.) Netze für Selbstmörder, die von einem Wolkenkratzer - vermutlich auf der Flucht vor der Polizei - zu springen versuchen; Dolche, Hämmer, Messer, Feilen - ehrwürdige Mordwaffen. Ein freundlicher Mann will mir Auskunft geben, ich bin der einzige Besucher zur Zeit, und ich weise ihn ab; meine Phantasie Kasse ich mir im Museum nicht Miesmachern. Das Geldmuseum an der Sixth Avenue ist die hilflose Huldigung an eine Zeit, da man ein knopfähnliches Eisenstück für einen Schweinekopf eintauschte, nein, Geld ist das einzige in dieser Stadt, das museal nicht zu bewältigen und auch nicht Zerfall und Tod anheimgegeben ist.
Absicht des Museums besteht immer darin, zu bewältigen und vergessen zu lassen, was noch nicht bewältigt oder nicht vergessen wurde. Das Museum ist die Lahmlegung der Trauer, denn Trauer ist das Schlimmste, und das Museum hebt die peinliche Spannung zwischen Leben und Vergehen auf.


Jürg Federspiel

Montag, 11. November 2019

Kontroverse um eine neue Definition für "Museum" von ICOM

Aktuelle Version der Museumsdefinition
"A museum is a non-profit, permanent institution in the service of society and its development, open to the public, which acquires, conserves, researches, communicates and exhibits the tangible and intangible heritage of humanity and its environment for the purposes of education, study and enjoyment."

Vorschlag für eine neue Museumsdefinition
"Museums are democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures. Acknowledging and addressing the conflicts and challenges of the present, they hold artefacts and specimens in trust for society, safeguard diverse memories for future generations and guarantee equal rights and equal access to heritage for all people. Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world, aiming to contribute to human dignity and social justice, global equality and planetary wellbeing."

Wencke Maderbacher schreibt dazu auf der ICOM Österreich-Webseite zur Tagung in Kyoto, wo diese Definition vorgestellt wurde:

"In vielen Diskussionen und Paneels wurde darüber diskutiert, dass der Entwurf für die neue Museumsdefinition mehr einem Mission Statement, als nach einer Definition, einer Beschreibung, anmutet. Sollen dann Museen, die nicht polyphon arbeiten, künftig keine Museen mehr sein? Öffnet diese Formulierung der Politik Tür und Tor taktische Wirtschaftsprojekte unter dem Deckmantel der Museumsförderung zu unterstützen? Oder andersherum, werden Museen, die dieser Definition nicht entsprechen, künftig öffentliche Förderungen untersagt? Die Argumente wurden durchaus emotional hervorgebracht und Klischees bedient, um Stimmung zu machen. Wem nützt die alte Version, wem die neue? Ist man rückschrittlich, wenn man gegen die neue Definition stimmt?

Sowohl ICOM Österreich als auch CECA International sprechen sich stark gegen den Vorschlag aus, der aktuell vorliegt. Für CECA ist es unvereinbar, dass die Kulturvermittlung aus der Definition gestrichen wird. Zwar ist man in Österreich und der Schweiz längst vom Begriff der Museumspädagogik (Education) zur Vermittlung gegangen, was man gut ins Englische mit Learning bzw. Cultural Interaction übertragen kann. Education ersatzlos zu streichen ist hingegen ein Zeichen in die falsche Richtung. Denn gerade die Kulturvermittlung war eine der ersten Disziplinen innerhalb der Institution Museum, die sich besonders intensiv für Inklusion und die Mitsprache der Gemeinschaft im Museum eingesetzt hat. Sie nun zu streichen oder für selbstverständlich zu erachten wäre Hohn."

Auch ICOM Deutschland stellt sich gegen die vorgeschlagene Definition. Allerdings läuft eine Petition, die sich für die vorgeschlagene Änderung einsetzt: Hier der Link.

Stellungnahme von ICOM Deutschland zur neuen Museumsdefinition:
Bei der Generalversammlung 2019 von ICOM in Kyoto stand die Neufassung der ICOM-Definition von "Museum" auf der Tagesordnung. Alle Mitglieder von ICOM waren eingeladen, Formulierungsvorschläge online einzureichen; es wurden auch Vorschläge aus Deutschland gemacht. Das Beratungsergebnis des beauftragten ICOM Komitees hat das Executive Board von ICOM passiert und steht nun online zur Verfügung.
Der Vorstand von ICOM Deutschland hat darauf umgehend mit einem Memorandum reagiert, weil nach unserem Eindruck der Beschlussvorschlag zwar zahlreiche Formulierungen im Sinne eines Mission Statements für das 21. Jahrhundert enthält, aber grundlegende, seit Jahrzehnten unveränderte definitorische Elemente gestrichen wurden. Dazu gehört zum Beispiel, dass Museen auf Dauer angelegte Institutionen sein müssen.
Deswegen ist ICOM Deutschland auch einem von ICOM Europe initiierten Antrag beigetreten, den Beschluss über eine Änderung der Museumsdefinition um wenigstens ein Jahr aufzuschieben.


Hier begründet ICOM selbst die Ausarbeitung einer neuen Definition:

Creating a new museum definition – the backbone of ICOM The need of a new museum definition

Over recent decades museums have radically transformed, adjusted and re-invented their principles, policies and practices, to the point where the ICOM museum definition no longer seems to reflect the challenges and manifold visions and responsibilities. We invited members and other interested parties to take part in creating a new, more current definition. New proposals were published here on a continuous basis.

Following the processes of active listening, collecting and collating alternative definitions through its standing committee on Museum Definition, Prospects and Potentials (MDPP), the Executive Board of ICOM, at its 139th session in Paris on 21-22 July 2019 reached the following decision.
The Executive Board selected the below as a new alternative museum definition for a vote to be included in the ICOM Statutes instead of the current museum definition at ICOM’s next Extraordinary General Assembly (EGA), which will take place on 7 September 2019, from 9:30 to 10:30 a.m. at the Kyoto International Conference Center (ICC Kyoto) in Kyoto, Japan:
Museums are democratising, inclusive and polyphonic spaces for critical dialogue about the pasts and the futures. Acknowledging and addressing the conflicts and challenges of the present, they hold artefacts and specimens in trust for society, safeguard diverse memories for future generations and guarantee equal rights and equal access to heritage for all people.
Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world, aiming to contribute to human dignity and social justice, global equality and planetary wellbeing.

Freitag, 1. November 2019

Machtmißbrauch (Sokratische Fragen 46)

55 Prozent der MitarbeiterInnen des deutschsprachigen Theaterbetriebs geben an, an ihrem Arbeitsplatz unmittelbaren Machtmissbrauch erfahren zu haben, meldet Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung und sieht das Problem auch darin, dass sich Intendanten als "von der Politik installierte Machthaber im Namen der Kunstfreiheit auf Kosten anderer verwirklichen" dürfen.
Frage: Gibt es vergleichbare Untersuchungen und Zahlen für Museen? Verwirklichen sich nicht auch hier Direktoren, Manager, Kuratoren auf Kosten anderer?

Sonntag, 20. Oktober 2019

Abweichende Meinung. Mal etwas zum "Eklat" Peter Handkes als Symptom des Zustandes der Kulturberichterstattung

Daß sich die Printmedien unter dem Druck der Digitalisierung rasant verändern ist nicht neu und es gibt jede Menge von Analysen dazu. Wenn mir in den letzten Monaten vermehrt aufgefallen ist, wie dünn und ausgelaugt gerade die Kulturberichterstattung daherkommt, die ohnehin ein Stiefkind selbst in den „Qualitätsmedien“ ist, dann bin ich der Entwicklung also ohnehin schon hinterher.
Es gab zwei aufeinanderfolgende, ganz und gar miteinander nicht verbundene Ereignisse, die mich jetzt veranlassen etwa (nur wenig) als Unzuständiger dazu anzumerken. Das eine Ereignis ist die mißratene Regelung der Leitung des Kunsthistorischen Museums, wo es nirgendwo über sehr schlichte Personalisierung hinausging. Und das andere, die Verleihung des Nobelpreises an Peter Handke, der zahllose Artikel nach sich zog.

Aus zwei Gründen mache ich kleine Anmerkungen: die Entwicklung scheint irreversibel. Zeitungen haben nicht mehr das ökonomische Standing um Journalisten für aufwändiges Recherchieren und Schreiben einzusetzen. Aber es gibt immer noch genug Quellen, wo man sich seriös und genau informieren kann, aber das sind dann entweder spezialisierte Medien oder/und private, zivilgesellschaftliche. Und zweitens sind die LeserInnen offenbar mündiger als man denkt. Als der Standard einige Tage nach dem sogenannten Eklat anläßlich des Besuchs Handkes in Griffen jemanden entsandte, der dort im Kaffeesud auf Spurenlese ging (lesenswert am hier verlinkten Artikel sind die Leserreaktionen), war die Reaktion (abgesehen vom immer in den Leserforen geübten Blödeleien, Schimpfereien und Polemiken) massiv kritisch gegenüber dem Artikel aber auch konstruktiv im schwarmintelligenten Zusammentragen von brauchbarer Information.

Ich gebe diese Infos um einige selbst recherchierte weiter, im Sinne von: je primitiver die Medien, desto intelligenter die Leser....

Von Christoph Deupmann kann man in einem Heft der Zeithistorischen Forschung (Heft 1/2008) sehr viel über den geschichtlichen Kontext von Handkes umstrittenen Äußerungen erfahren, aber auch, wie kompliziert und unauflöslich widersprüchlich Handkes Vermischung von politischer Haltung und ästhetischer Praxis ist. (Link)

Henrik Petersen hat im SPIEGEL sehr ausführlich den Standpunkt der Schwedischen Akademie dargestellt, der der Verleihung des Nobelpreises zugrundeliegt, ohne dessen unakzeptablen politischen Positionen außer Acht zu lassen. (Link)

Der dritte lesenswerte Text stammt von Peter Struck und ist in der FURCHE erschien. (Link)

Bemerkenswert war auch der Beitrag von Sigrid Löfller im FALTER der vergangenen Woche, der ist aber nicht online verfügbar.

Sunday (Entrée 167)