Dienstag, 26. März 2019

Die Drogenabhängigkeit der Museen

Die National Portrait Gallery in London hat eine Zuwendung der Familie Sackler zurückgewiesen. Sie ist die erste derartige und gewichtige kulturelle Einrichtungen, die dies tut.

Die Familie Sackler wurde mit dem Verkauf von abhängig machenden Schmerzmitteln über ihre Firma Purdue Pharma zu einer der reichsten Familien der USA. Das Ausmaß des Konsums der Droge und der Folgen mit zigtausenden Toten allein in den USA jährlich - Tendenz stetig steigend -, wird inzwischen offiziell als Epidemie oder Opiodkrise bezeichnet. Inzwischen laufen mehrere Gerichtsverfahren gegen die Familien, sehr spät, ist doch das Suchtpotential von Oxycontin, einem der umsatzstärksten Medikamente der Welt, seit Jahrzehnten bekannt. Das Medikament, ursprünglich nur für Schwerstkranke gedacht, wurde mit aggressiver Werbung und gezielten Strategien als allgemeines Schmerzmittel durchgesetzt. Dabei gelang es der Firma den gesamten Prozeß - von der Erzeugung über die Erporobung und Begutachtung, den praktischen Test in Krankenanstalten, die Werbung und den Vertrieb bis hin zur manipulativen Bericterstattung - in seinem Interesse zu kontrollieren und zu beeinflussen. Mittlerweilen wurde in Gerichtsverfahren die rücksichtslose Politik der Sacklers sehr weit aufgeklärt und es kam zu ersten Verurteilungen.

Aus ihrem Vermögen schöpfend trat die Familie Sackler als Sponsor vieler großer Kulturinstitutionen auf: Metropolitan Museum New York, Smithsonian Museum Washington, Victora & Albert Museum London, Guggenheim Museum New York, Louvre Paris, Tate Gallery Lonson, Harvard University, Princeton University, University of Oxford u.v.a.m. Zahlreiche Einrichtungen tragen den Familiennamen Sackler, wie etwa die Sackler Library der Universität Oxford für wissenschaftliche Literatur auf den Gebieten der Altertumswissenschaften, Archäologie und Kunstgeschichte oder die Serpentine Sackler Gallery in London. das Arthur M. Sackler Museum of Art and Archaeology der Harvard University, der Arthur M. Sackler Wing of Galleries at the Royal Academy of Arts. In Peking eröffnete 1993 The Arthur M. Sackler Museum of Art and Archaeology. Die Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig.
Ein Mitglied der Familie, Mortimer Sackler ist übrigens Ehrensenator der Universität Salzburg, eine Ehre, die er mit einem anderen Kultur- und Museumsmäzen teilt: Herbert Batliner.


Die vielelicht berühmteste Sackler-Galerie in einem Museum, die im Metropolitan-Museum New York. Im Sackler-Wing ist unter anderem der Tempel von Dendur zu sehen, den die USA von Ägypten geschenkt bekamen, als der gewaltige Nilstaudamm, den man seit den 60er-Jahren erichtete, viele altägyptische Bauten und Kunstwerke überflutet hätte.
Carsten Probst hat im Deutschlandfunk die Motive von Konzernen gerade mit moralisch fragwürdiger Geschäftspolitik klar umrissen: "Spätestens seit der Finanzkrise von 2008 entdecken immer mehr Investoren ihre vermeintliche Liebe zur Kunst und sehen darin doch eigentlich nur einen alternativen Markt für Geldanlagen. Und wenn Großkonzerne oder von ihnen abhängige Stiftungen Museen und Universitäten in aller Welt fördern, hat auch dies in der Regel weniger mit rein philanthropischen Motiven zu tun, als mit Öffentlichkeitsarbeit. Auto- oder Zigarettenhersteller, Banken, Rüstungskonzerne oder Pharmafirmen, sie alle haben Imageprobleme, denen man am besten mit der öffentlichen Demonstration edler Gesinnungen begegnet. Volkswagen fördert mit Vorliebe Ausstellungen mit dem Thema Natur und Umwelt. Banken gerieren sich als Wohltäter am Gemeinwesen, Rüstungskonzerne wie Rheinmetall fördern die Völkerverständigung wie etwa durch Sponsoring einer Großausstellung mit europäischer Gegenwartskunst in Peking. Und die private Stiftung der Familie Sackler, die der Pharmabranche nahesteht, fördert großzügig Kunst und Wissenschaft in aller Welt, um den medizinischen Fortschritt in die Nähe anderer kultureller Errungenschaften zu rücken."

Der Entschluß der National Portrait Gallery, eine Spende der Familie Sackler anzunehmen fiel, als die Künstlerin Nan Goldin damit drohte, eine geplante Retrospektive ihres Werkes abzusagen, wenn das Museum nicht die finanzielle Zuwendung der Sacklers abweisen sollte. Nan Goldin, zeitweilig selbst opioidabhängig, hatte zuvor an mehreren Museen, Metropolitan Museum, National Gallery London und Guggenheim Museum Proteste gegen die Drogenpolitik der Sacklers organisiert. Ihre Aktivitäten scheinen mittlerweile zusammen mit den Gerichtsverfahren, Verurteilungen und der kritischen Berichterstattung in großen US-Medien, dazu zu führen, daß auch andere Museen sich gegen Sackler abgrenzen oder versprechen, ihre Sponsoring-Regeln zu überdenken. Eine Debatte, die die Tiefe der gegenwärtigen Restitutionsdebatte kolonialen Raubgutes hat, ist das noch nicht. Aber vielleicht ein Anfang dazu.

P.S.: Lange hat es gedauert, aber jetzt hat dann doch auch einen österreichische Zeitung das Thema entdeckt, und sich gefragt, wie es in dieser Frage um die Praxis österreichischer Museen steht. Michael Wurmitzer:  Glock, Novomatic, OMV: Von wem sollen Museen Sponsoringgeld nehmen?, in: Der Standard, 6.Juni 2019. https://derstandard.at/2000104411620/Glock-Novomatic-oder-OMV-Von-wem-sollen-Museen-Sponsoringgeld-nehmen


Montag, 11. März 2019

Nur einen Mausklick vom Museum der Zukunft entfernt

Es ist ja nicht das erste Mal, daß uns versprochen wird, wir könnten uns den Museumsbesuch eigentlich auch sparen. Denn im digitalen Universum stünden uns ja Sammlungen und Museum ohnehin schon in unübersehbarer Zahl und Form zur Verfügung.
Jetzt lese ich etwas, das mir neu vorkommt, was eine weitere, interessante Entwicklung zu sein scheint. Eine Art von "Streamingdienst" als "Digitale Kunsthalle". Unter dem Titel wird ein virtueller Rundgang angeboten, bei dem Gemälde oder Skulpturen angeschaut und Informationen dazu abgerufen werden können. "Es sind weit verstreut ausgestellte Werke in Zukunft nur noch wenige Klicks voneinander entfernt", hieß es vom ZDF. "Kunst aus Museen und privaten Sammlungen wird so für alle zugänglich." Für das Angebot wird mit 35 kulturellen Institutionen in Deutschland zusammengearbeitet, darunter das Deutsche Literaturarchiv Marbach, das Städel Museum Frankfurt und die Berliner Staatsoper Unter den Linden. In der APA-Meldung heißt es weiter: Zum Auftakt des neuen Kulturangebots am Mittwoch wurden unter anderem Werke der Maler Lucas Cranach der Ältere und Lucas Cranach der Jüngere gezeigt, die nach Angaben des ZDF derzeit in den Depots der Klassik Stiftung Weimar lagern. Auch Interviews mit Schauspielern und Hintergründiges zu berühmten Kunstwerken sind über die neue Rubrikenseite ZDFkultur in der Mediathek abrufbar. So gibt es etwa eine Interviewreihe, in der unter anderem Katja Riemann, Marie Bäumer oder Nora Tschirner über ihre Erfahrungen am Filmset sprechen. Vielleicht ist den Verfassern des Textes da etwas durcheiandergekommen - Literaturarchiv, Katja Riemann, Oper, alles eins?
Daß es sich weniger um eine menschenfreundliche kulturelle Offensive einer staatlichen Rundfunkanstalt handelt, sondern um eine Diversifizierung des Angebots, das die Rentabilität des Unternehmens und seine Konkurrenzfähigkeit auf dem Kulturmarkt stärken soll, muß man sich selber dazudenken. Stattdessen wird uns ein Topos der 80er-Jahre neu schmackhaft gemacht, die "Kunst für alle". Deren Zugänglichkeit nun nicht mehr nur von den Museen und Ausstellungshäusern reguliert wird, sondern von neuartigen Anbietern.
Täusche ich mich? In letzter Zeit häufen sich, mehr oder minder euphorische Berichte über Projekte der Digitalisierung des Musealen (von Objekten, Sammlungen, ganzen Museen, Museumsarchiven, Bildarchiven im Museumsbesitz...). Was mir auffällt ist, daß es keinerlei Relativierung oder Kritik gibt, keinen Hinweis auf die Grenzen der Digitalisierbarkeit des Musealen, keine Verteidiger der - so hieß es noch vor fünfzehn oder zwanzig Jahren -, der "Konträrfaszination" des  absolut unverzichtbaren Originals. Die überdies das Museum gegen die digitale Konkurrenz immunisiere und die Leute in die Museen treibe.
Als die technische Möglichkeit der digitalen Speicherung entwickelt wurden, waren die Diskussionen noch Kontrovers. Ich erinnere mich an eine Tagung, wo Apologeten von Sammlung- und Vernetzungsideen im virtuellen Raum auf kritische Kuratoren, Didaktiker, Kulturtheoretiker trafen. Und jetzt? Weder IT Experten noch Kulturpolitiker noch Kuratoren noch Kunstkritiker nehmen Anstoß an der Digitalisierung. Selbst dann nicht, wenn z.B. für den Fall der Restituierung ganzer kolonialer Sammlungen vorgeschlagen wird, die so ihrer Schätze erleichterten Museen könnten ja digitale Kopien zeigen. 

Digitale Techniken, das zeigen die Versuche, sie in Schulen durchzusetzen, etwa sie flächendeckend mit Computern auszustatten, gejören zu den "matktkonformen" und neoliberaen Strategien. Dessen Ziel ist es aber immer, "Daten in Geld zu verwandeln" (Björn Schulz) und nicht ein pädagogisches Sendungsbewußtsein. Das gilt natürlich auch für Museen. Wird die Digitalisierung etwa dort im Dienst kritischer Diskurse eingesetzt?
Unlängst lese ich einen Artikel über die mühsame Erforschung, man muß sagen Fahndung, nach Kunst von Frauen, die in psychiatrischen Kliniken, Irrenanstalten usw. kreativ waren, und deren Werke mühsam wiederentdeckt und veröffentlicht werden - durch Ausstellungen in Museen. Die Expertin und Kuratorin dazu: diese Werke müssen ins Museum, im Internet verschwinden sie aus der Öffentlichkeit. Da hätten wir schon mal ein Argument, wo man doch eine Diskussion beginnen könnte, kein schlechtes, eins mit dem behauptet wird Veröffentlichung zieht Verschwinden nach sich.
Ein anderes Argument wäre: das staatlich-öffentliche Museum sperrt sich seiner institutionellen Logik nach gegen Ökonomisierung, es "rechnet sich nicht". Digitalisierung ist aber sehr wohl ein Geschäftsfeld. Und eins, das offenbar schon drauf und dran ist, den Museen aus der Hand genommen zu werden. Aber man könnte ja auch - ganz altmodisch? - fragen, was ist denn nun mit den schönen Begriffen Original, Aura, Zeugenschaft, Echtheit geworden?

Jetzt zündet doch mal die Heimatmuseen an...! (Sokratische Fragen 38)

Beim Lesen eines Essays zur Konjunktur des Heimatbegriffs in allen politischen Lagern ist mir die Forderung des Wiener Volkskundlers Helmut Fielhauer aus dem jahr 1980 in Erinnerung getreten, die Heimatmuseen anzuzünden?

Wenn man liest, was Nina Moneke in ze.tt schreibt, möchte man fragen: Hatte er nicht recht?

Heimatgefühle haben mit der Realität so ziemlich gar nichts zu tun. Während reales Leben sich ständig durch neue Erlebnisse und Erfahrungen wandelt, fußt Heimat auf Identitätsbildung, auf Abgrenzung und damit Ausgrenzung. Der Sozialwissenschafter Salzborn dazu: „Heimat ist ein Fantasie- und Wertkonstrukt, mehr Erinnerung, Imagination und Magie als wahrgenommene Gegenwart. Mehr Sehnsucht, Hoffnung und Utopie als erfahrene Wirklichkeit und berechenbare Zukunft.“
Real ist hingegen das, was die Menschen, die sich nach Heimat sehnen, dazu treibt: der Verlust von Kontrolle in einer sich rasant wandelnden Welt, die soziale Kluft in der Gesellschaft. Nur ist es eben falsch, auf diese Probleme mit Heimat zu antworten, statt beispielsweise mit sozialpolitischen Forderungen. Denn wer Heimat will, will nichts verändern, sondern allenfalls Bestehendes versöhnen. In dieser fälschlich imaginierten Idylle ist es nur logisch, dass es die vermeintlich Fremden sind, die diese Idylle stören und für Probleme zu Unrecht verantwortlich gemacht werden.

Irgendwann dann doch mal... (Sokratische Fragen 37)

Neulich, ein Gespräch mit dem Historiker Wolfgang Benz...

Interviewer: "Ich habe oft das Gefühl, diese ganze Debatte erreicht viele Menschen nicht. Sondern nur die, die eh gerne ins Museum gehen und politisch aktiv sind. Wie könnten wir das ändern?"

Wolfgang Benz: "Ich habe immer dafür plädiert, die Geschichte aus den Gedenkstätten herauszuholen. Historisches Lernen nicht nur auf den 9. November und den 27. Januar zu beschränken. Sondern stattdessen den öffentlichen Raum zu nutzen. Was ist zum Beispiel mit Bushaltestellen? Da stehen die Menschen täglich zehn Minuten herum. Da kann man ihnen doch etwas zum Lesen geben. Auch Tafeln an Gebäuden und Stadtmarkierungen finde ich gut. Man muss den Leuten im Alltag klarmachen, was geschehen ist. Vielleicht funktioniert das auch als Trailer, dass die Leute dann irgendwann doch mal ins Museum gehen."

Und jetzt die Sokratische Frage:

Ist die Hoffnung Wolfgang Benz' berechtigt a) daß die Leute irgendwann doch mal ins Museum gehen und b) daß dort historisches Lernen stattfindet?

Das Beethoven-Museum in Wien-Heiligenstadt


„Im Alter, in dem ehedem Kinder die Masern hatten, haben sie jetzt die Symphonien.“ sagte mal Karl Kraus und fügte hinzu: „Ich glaube nicht, daß sie davonkommen werden.“
Ich hatte im Alter, in dem ich eigentlich Masern haben sollte, tatsächlich Symphonien gehabt und dann auch noch gleich welche von Beethoven. Das halte ich für eine absolut ausreichende Grundlage, über das Wiener Beethoven-Museum zu schreiben. (Ob ich - als masernloser kindlicher Sinfonienhörer - davongekommen bin, mögen andere beurteilen).

Erst mal geht das, kaum hat man seinen Obulus an der Kassa entrichtet, schon so los: Wo denn der Tonsetzer in dem weitläufigen, um einen Hof gruppierten Vorstadthaus, denn nun gelebt habe, das wisse man, leider leider! nicht so genau. Und dann haut einem die Kuratorin (Lisa Noggler-Gürtler) einem noch Fundamentalzweifel museologischer Natur und die Ohren: „Wie wichtig ist aber die Authentizität des Ortes und des Erzählten, um Beethovens Musik und deren Nachwirkungen zu verstehen?“ Also bitte! Wozu sind wir denn hier am Ort an dem Beethoven, wo genau auch immer, gelebt und tongesetzt hat. Wenigstens eine Zeit lang. Einige Monate. 1802.

Und wozu hat die Stadt Wien an zahlreichen Häusern Gedenktafeln anbringen lassen und betreibt gleich drei Beethoven-Museen? Das hier, wo wir grade sind, liegt in Heiligenstadt, in der Pobusgasse. Aber es gibt noch das sogenannte Pasqualatihaus und dann noch das Eroica-Haus. Beethoven gilt ja als jemand, der ständig umgezogen ist. Die Vielzahl der Gedenktafeln und-orte, ich habe mal von insgesamt 42 Umzügen gelesen, scheint das zu bestätigen. Hier erweist sich der postmodern-dekonstruktivistische Furor des Ausstellungsteams dankenswerterweise als entmythologisierend: Umziehen war in Wien, namentlich in den Sommermonaten, ein Volkssport. Ein von Pferden gezogener Wagen und kräftige Männer genügten, um für einige Monate mit Sack und Pack „aufs Land“ zu ziehen - und das war Heiligenstadt damals. Dann gings wieder zurück „in die Stadt“. Selige Immobilienzeiten müssen das gewesen sein!




Wir wissen also nicht so ganz genau wo Beethoven im Hause Probusgasse wohnte, aber wie, das wissen wir. Schlampert. Eine dramatisch eine ganz Wandel lang entrollte Rekonstruktion seines Arbeitsraumes zeigt: er war ein Chaot, knapp an der Grenze zum Messie. Aufräumen war nicht. Dafür war war ein großer Esser, einer der die Zubereitung seiner Speisen scharf kontrollierte und mit seinen kulinarischen Obsessionen die Bedienten sekkierte. Da erfahren wir von einer Brotsuppe, die er sich mit zehn Eiern, die er einzeln inspizierte, zubereiten ließ. Was die Frage aufwirft: hatte der Mann keinen Cholesterinspiegel? Möglicherweise hielten ihn die heilenden Wässer am Leben, die es vor Ort gab und noch ein Grund waren, in den Vorort zu ziehen, wo es auch Gelegenheit für weite und erholsame Spaziergänge gab.



Die inspirierenden Umgebung, die heute idyllisch anmutenden Biedermeiergegend führt uns die ohnehin zur vielfältiger Bildhaftigkeit neigende Gestaltung (Peter Karlhuber) verführerisch vor. Da gibt es Veduten auf Mineralwasserflaschen (das Heilwasser…), ein Handtuch, in das eine etwas ambivalente Äußerung Beethovens zu seinen Kuren eingestickt ist, Veduten, Gemälde und eine kleine Bühne mit Landschafts-Kulissen und manch anderes mehr.

Außerdem sehen wir abtransportreif verpackte Bildnisse des Meisters, eine zerbrochene Statuette, eines Adeligen, auf den Beethoven einen Mordszorn hatte (keine Angst, es ist eine Nachbildung, kunstvoll zerschmettert) oder auch das Lieblingskompott im Einweckglas, unmittelbar neben der Totenmaske, als ob es als Grabbeigabe führ die lange Überfahrt gedacht sei, eine Beethoven-Spielzeugfigur, die als Relativierung der grassierenden Verdenkmalung Beethovens herhält. Mithin so manches, was die gewohnten Usancen von Museen unterläuft und gelegentlich zum Nachdenken über die Musealisierung eines „Genies“ anregt.




Dazu passen das ostentative Stehenlassen von Spuren der Vorgängermuseen, das Zeigen von Plänen und Dokumenten oder eines Gemäldes mit dem Interieur der historischen Räume. Kurzum etwas, das etwas zur Geschichte der Beethoven-Verehrung beiträgt aber auch ein Gefühl für den Wandel des Beethoven-Bildes vermittelt. Ja, sowas gefällt mir, mit meinem Faible für Museumsgeschichte, diese Historisierung im Dienste der (Selbst)reflixion.

Die Lust am Kratzen - nicht Demontieren, der Respekt beleibt gewahrt, da sei der hohe Magistrat der Stadt Wien davor! -, des Geniekultes ist spürbar. Das Beethovenbild wird fröhlich über seinen goldenen Rahmen hinausgezerrt. Und das ist nicht mal so modern oder zeitgeistig wie man glauben könnte. Schon Robert Schumann spottete über die Gedenk-Konkurrenz zwischen Wien und Bonn.

Da allerdings droht der Ausstellung das Schicksal so vieler Musikerausstellungen: Das Ersticken im Biografischen und Anekdotischen. Musik entzieht sich nun mal sprachlicher Vermittlung besonders hartnäckig und aus den Kompositionen selbst entwickeltes Wissen und Deuten mag, wie Leonard Bernsteins eindrucksvolle pädagogische Versuche zeigen, unter besonderen Bedingungen möglich sein. Aber eher nur in den des Konzerts selbst, kaum denen des Museums.

Gegengesteuert gegen die bloß biografische Deutung wird zum Beispiel mit Noten, mit denen man akustisch einen Kompositionsvorgang mitvollziehen kann, mit einer Hörinstallation, die einen nachvollziehen läßt, was Taubheit bedeutet und wie sie sich das Ertauben entwickelt haben mag. Unweit davon steht das Klavier, das eine seinen Klang steuernde und verstärkende Vorrichtung erhielt, um das Komponieren trotz der Erkrankung zu ermöglichen.

Ein ganzer Raum ist dem sogenannten Heiligenstädter Testament gewidmet, dessen Abfassung ja durch die Erkrankung ausgelöst wurde. Als Schüler habe ich das aus dem Mittelschullesebuch kennengelernt. Wohl als Dokument der bürgerlichen Vorstellung, daß große Kunst immer mit dem Leiden einer Person erkauft wird. Hier wieder gelesen, machte es auf mich den Eindruck eines einen Suizid ankündigenden Schreibens.

Im letzten Raum ist eine Guckkastenbühne aufgebaut, ein Modell des Uraufführungsortes der Eroica. In das Modell ist ein Bildschirm eingelassen, der einen in England produzierte „Dokumentation" in Spielfilmlänge zeigt: die Uraufführung der Sinfonie im privaten, also Adelskreis. Das auf period instruments spielende Orchester spiegelt spieltechnische und und die Aufführenden irritierende kompositorische Momente, das Publikum spiegelt Befremden, Überraschung, Ablehnung und Faszination. (Den ganzen Film - Simon Clellan: Beethoven’s Eroica. BBC 2003 gibt es auf Youtube hier: https://www.youtube.com/watch?v=UtA7m3viB70).




Ich fand das einen unterhaltsamen Versuch, etwas Unmögliches zu versuchen, nämlich etwas vom Unerhörten des ersten Hörerlebnisses, vom Bruch mit der Tradition zu rekonstruieren. Das läßt sich selbstverständlich nicht mehr machen, wir haben schon viel zu viel gehört, Neues und wiederum Revolutionäres, um den Schock von Beethovens Kompositionen nachvollziehen zu können. Als ich zu Zeiten, da ich eigentlich die Masern hätte haben sollen, aber Beethoven hörte, hatte ich ja auch andere Sinfonien anderer Komponisten, aber auch Gus Backus, Conny Froboess oder Peter Kraus…

In bequemen Sesseln, mit Kopfhörern und vor Monitoren, bin ich zu guter Letzt bei einem der Rasumowski-Streichquartette fasziniert hängengeblieben. Die kannte ich nicht. Zu Hause habe ich das Hörerlebnis dieser Quartette gleich nachgeholt.
In einer Besprechung anläßlich der Eröffnung wurde das Beethoven-Museum als „Erlebnisparcours“ bezeichnet. Das finde ich irreführend. Kuratorin und Gestalter geht es nicht um Kurzweiligkeit, sondern um möglichst sinnliche Anreize, sich mit Inhalten zu beschäftigen. So nebenbei, ohne daß ich das gleich gemerkt habe, nutzten sie ein sehr breites Spektrum von Objekten, eben keineswegs nur originale und „auratische“ Dinge - noch ein Grund, durch die Ausstellung mit Vergnügen zu flanieren.
Daß bei mir das Anregen übers Museum hinaus funktioniert hat, ist ja nun nicht das Schlechteste, was einem im Museum passieren darf und was man von einem Museum sagen kann.



P.S.: Mitten im Suchen und Stöbern überraschte mich das Museum mit einer Mittagspause. Ah was! So etwas gibt es?! Ich war noch nie in meinem Leben in einem Museum, wo es eine Mittagspause gibt. Worin liegt der Sinn dieser Pause? Soll er den Besuchern den Gang zu den berühmten Buschenschanken und Weinproduzenten Heiligenstadts ermöglichen? Oder gar dem Personal? Ist das überhaupt praktisch für die Angestellten? Nur der hohe Magistrat der Stadt Wien wird wissen, welchen Sinn diese Regelung hat.


Montag, 4. März 2019

Tiefer geht es wohl nicht mehr. Das Kaiserjägermuseum in Innsbruck übertrifft sich selbst.

Mit der Sonderausstellung "Nächstenliebe im Krieg" unterbietet das Kaiserjägermuseum seine ohnehin schon inferiore Qualität noch einmal. Die extrem textlastige Ausstellung mit ihrer bieder-unbedarften Ausstellungsgrafik ist noch das Harmloseste. Der eingeschmuggelte Monarchismus, das Schwarz-Rot-Gold der die Texte rahmenden Bordüren, erinnert daran, wo wir hier sein sollen und hier auch schon immer waren. Daß das Thema es schafft, ausschließlich aus der Perspektive des männlichen Soldaten-Opfers betrachtet zu werden, ist wohl der männlichen Autorschaft geschuldet. Daß die Rolle von Frauen bei der ärztlichen Versorgung weitestgehend ausgeklammert wird, was ein Kuntstück der Extraklasse ist, hat aber die Ausstellungamacher nicht daran gehindert, die Ausstellung mit einem sexistischen Herrenwitz zu beginnen. Das Kaiserjägermuseum ist Teil des Tiroler Landesmuseums und als solches wiederum Teil eines identitätspolitischen Angebots des Landes Tirol, das seit der Übersiedlung des 1809-Panoramas als "Neue Mitte" des landes propagiert wurde. Daß so etwas Aberwitziges möglich ist, macht einen nur noch fassungslos.

Was zu sehen begehrt wird...


Samstag, 2. März 2019

Woher die Dinge kommen

"Die ganze Idee des Museums ist eine kolonialistische, imperialistische Fantasie, die aus dem Irrtum geboren wurde, dass die ganze Welt irgendwie ordentlich katalogisiert und in ein einzelnes Gebäude gesteckt werden kann, in dem sich das alles dann leicht verdauen lässt. Es gibt keine Objekte, die aus dem Nichts kommen, jedes Stück in einem Museum wurde aus seinem ursprünglichen Kontext entfernt. Es mag als unangenehm und grob gelten, sich genauer anzusehen, was damit verbunden war."

Alice Procter

Montag, 18. Februar 2019

Empfehlung für einen Ausstellungsbesuch: "Lager Liebenau. Ein Ort verdichteter Geschichte". Stadtmuseum Graz

1940 wurde in Graz, im Stadtteil Liebenau, am linken Murufer, ein Lager für umgesiedelte Volksdeutsche errichtet. Danach wurden dort ausländische Arbeitskräfte und später auch Kriegsgefangene untergebracht, die zumeist in der Rüstungsindustrie tätig waren. Mit bis zu 5000  Personen war das Lager das größte Zwangsarbeiterlager in Graz.
Im April 1945 waren hier kurze Zeit ungarische Juden untergebracht, die zuvor zum Bau des Südostwalls herangezogen wurden und sich auf einem Todesmarsch ins KZ Mauthausen befanden. 3Viele von ihnen wurdem Lager ermordet. 53 Leichen, von denen 34 Leichen Schußwunden aufwiesen, wurden nach dem Krieg exhumiert und 46 davon am Jüdischen Friedhof Graz beigesetzt. Bereits damals war klar, dass es sich hierbei nur um eine Teil der insgesamt 150 vermuteten Leichen handelt.
In den Liebenauer Prozessen im September 1947 vor einem britischen Militärgericht wurden gegen vier Lageraufseher zwei Todesurteile, eine Haftstrafe und ein Freispruch ausgesprochen. Die beiden Todesurteile gegen Frühwirt und Pichler wurden am 15. Oktober 1947 vollstreckt.
Unmittelbar nach dem Krieg befand sich auf dem Gelände das Flüchtlingslager Am Grünanger. Mit der Zeit wurde das Areal weitgehend verbaut, nur kleine Teile blieben ungenutzt oder wurden neben der Mur zum Augebiet. Im Zuge der Bauarbeiten zum Kraftwerk Graz-Puntigam stieß man immer wieder auf Reste des Lagers, die archäologisch beforscht werden.
Eine Gedenkinitiative Graz-Liebenau bemüht sich seither darum, daß am Ort des Lagers eine Gedenkstätte mit einem Museum errichtet wird, welches auch die Dimension des „Lagerarchipels Liebenau“ für rund zehntausende ZwangsarbeiterInnen veranschaulicht. (https://gedenken-liebenau.at/gedenkinitiative-graz-liebenau.phtml).
Die Stadt Graz hält ein so umfassendes Gedenken für nicht nötig und plant die Aufstellung von Informationstafeln, eines Kunstwerkes und eine Dauerausstellung auf dem Areal.
Nun hat das Graz-Museum eine Ausstellung eröffnet, die die Geschichte des Lagers umfassend dokumentiert. "Lager Liebenau. Ein Ort verdichteter Geschichte". Die Ausstellung wird bis zum 8.4.2019 zu sehen sein. (https://www.grazmuseum.at/ausstellung/lager-liebenau/)


Fotos GF, 2019