Donnerstag, 14. April 2011

Glasspezialist Fritsch Stiassny stellt Fehlinformationen um Zerstörung der Hologramme im Jüdischen Museum Wien richtig

Glasspezialist Fritsch Stiassny stellt Fehlinformationen um Zerstörung der Hologramme im Jüdischen Museum Wien richtig

Die 1870 gegründete Fritsch Stiassny ist nach 20
Jahren Konzernzugehörigkeit wieder in privaten Händen. Die Wiener
Traditionsmarke im innovativen Glasbau wurde mit März 2011 von ihrem
ehemaligen Betriebsleiter Heinz Haring übernommen.
Fritsch Stiassny steht für Glaskompetenz: Das Unternehmen prägt
als verlässlicher Partner innovativer Architekten und Bauherren das
moderne Wien: Mit dem Palmenhaus, dem Museumsquartier, dem Palais
Coburg oder im von Jean Nouvel geplanten Sofitel setzte das
Unternehmen Marksteine im Glasbau. Auch die Arbeit mit Künstler/innen
im In- und Ausland spielt eine wichtige Rolle. Haring: “Die
Zusammenarbeit mit Eva Schlegel, Dan Graham, oder Monica
Bonvicini/Sam Durant sind wichtige Referenzen. Eine solche Referenz
ist auch das 1995 von uns mit dem Architekten Martin Kohlbauer
errichtete Projekt der 21 Hologramme im Jüdischen Museum Wien.”
Den guten Ruf für Fritsch Stiassny und sich sieht Haring durch die
Falschinformationen um die Zerstörung dieser Hologramme gefährdet und
stellt dafür eine umfangreiche und schlüssige Sachargumentation zur
Verfügung: “Wir haben die Hologramme auftragsgemäß 1995 so errichtet,
dass man sie reparieren oder abbauen kann. Wir haben im Dezember 2010
angeboten, sie abzubauen. Die wiederholt in Umlauf gesetzten
Argumente für die plötzliche Zerstörung im Jänner 2011 sind
nachweislich falsch. Auch das viereinhalb Wochen nach der Zerstörung
in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten beinhaltet grobe Fehler
und kann die Zerstörungsentscheidung auch im Nachhinein nicht
rechtfertigen.”
Demonstration zeigt: Demontage ohne Zerstörung möglich
Nachdem Korrekturforderungen an das Jüdische Museum genauso fruchtlos
blieben wie ein Gesprächsangebot zur fachlichen Aufklärung,
entschloss man sich, der Image- und Geschäftsschädigung öffentlich
entgegenzutreten und die Konstruktion anhand eines 1:1,5-Modells am
14. April 2011 zu präsentieren sowie deren problemlosen Abbau zu
demonstrieren.

Haring hat die Konstruktionspläne und kennt als damaliger
Projektverantwortlicher das Projekt detailliert: “Die Glasexponate
wären problemlos abzubauen oder zu reparieren gewesen. Die vom
Jüdischen Museum konsultierten Personen hatten Unrecht, wenn sie
angeblich davon sprachen, dass eine Demontage ohne Beeinträchtigung
nicht möglich gewesen sei.”
Demontage-Angebot wurde nicht angenommen
Fritsch Stiassny hatte auf Anfrage des Jüdischen Museum am
21.12.2010 ein Anbot zum Abbau der Glasexponate erstellt: “Es wurden
die Demontage und der Abtransport der 21 Hologramme angeboten. Noch
am 21.1.2011 wurde vom Jüdischen Museum eine gemeinsame Besichtigung
in Aussicht gestellt. Am 25.1.2011 wurde uns per E-Mail mitgeteilt,
dass sich der Termin mittlerweile erübrigt hätte.” Laut
Medienberichten wurden die Hologramme bereits am 21.1.2011
vernichtet.
Haring unterstreicht: “Hintergründe im künstlerischen, politischen
oder wirtschaftlichen Bereich haben wir weder zu verantworten noch zu
beurteilen. Wir verantworten die handwerkliche Seite. Dieser
Verantwortung kommen wir nach, wenn wir feststellen: Die Demontage
war in der Konstruktion vorgesehen und wäre problemlos – wie dem
Jüdischen Museum angeboten und am Modell auch demonstriert – möglich
gewesen.”

Antwort auf den Offenen Brief betreffend Vorgänge Jüdisches Museum der Stadt Wien an Dr. Andreas Mailath-Pokorny, Bürgermeister Dr. Michael Häupl, Frau Vizebürgermeisterin Mag. Maria Vassilakou, Frau Vizebürgermeisterin Mag. Renate Brauner

30.3.2011

Sehr geehrte Damen und Herren!

Zu Ihrem "Offenen Brief" kann ich Ihnen namens der anderen Adressaten der Wiener Landesregierung und im eigenen Namen mitteilen, dass Prokurist Peter Menasse zwischenzeitlich - wie Sie ja sicher wissen - zurückgetreten ist.

Darüber hinaus hat die Direktion ihrerseits zu einem Dialog eingeladen.

Aus Sicht der Stadt Wien besteht ein großes Interesse an diesem Dialog, um die inhaltliche Arbeit des Jüdischen Museums bestmöglich zu gestalten und wieder ein Klima der Kooperation und des Vertrauens herzustellen, das zu befördern ja auch Ihr Interesse signalisiert.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Andreas Mailath-Pokorny
sowie im Auftrag von Herrn Bürgermeister Dr. Michael Häupl, Frau Vizebürgermeisterin Mag. Maria Vassilakou und Frau Vizebürgermeisterin Mag. Renate Brauner

Hier der Offene Brief (Link)

PS.: Die als "zum Dialog Eingeladenen" versichern inzwischen, daß sie eine solche Einladung nicht erhalten hätten. 

Dienstag, 12. April 2011

Mikroausstellung "Antike & Technik"

Musei Capitolini/Centrale Montemartini (links) und Ruhr Museum Essen (rechts)

ohne Worte (Texte im Museum 195)

Museum Ostwall Dortmund, 2011 (Foto GF)

Der ICOM Vorstand antwortet Mitgliedern "betreffend Kontroverse um die Entfernung der Hologramm-Installation im Jüdischen Museum Wien ."

Ende Februar haben Mitglieder von ICOM Österreich an den Vorstand ein Schreiben addressiert (hier), in dem um eine Stellungnahme zu einem Brief des ICOM Österreich-Präsidenten Wilfried Seipel (hier) ersucht wurde. Nun gibt es diese Stellungnahme.

Vorstand ICOM Österreich
Geschäftsführung
Leopoldmuseum Privatstiftung | Museumsplatz 1, 1070 Wien
+43 (0)1 525 70-1565 | generalsekretaer@icom-oesterreich.at

Herrn
Mag. Bernhard Purin
Austrian National Committee Comité National Autrichien Comité Nacional Austriaco ICOM – Österreichisches Nationalkomitee p.A. Burgring 5 1010 Wien
icom@icom-oesterreich.at www.icom-oesterreich.at

Wien, 11.04.2011

Stellungnahme des Vorstandes von ICOM Österreich
betreffend Kontroverse um die Entfernung der Hologramm-Installation im Jüdischen Museum Wien

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Ihr Schreiben an die Mitglieder des ICOM Österreich Vorstandes wurde in unserer Vorstandssitzung am 28.03.2011 eingehend diskutiert. Wir möchten Ihnen Ihre Frage wie folgt beantworten.

Frage 1: Teilt der Vorstand von ICOM Österreich Inhalt und Form dieses Schreibens? (bezogen auf das Schreiben von Präsident Prof. Dr. Wilfried Seipel an Frau Direktor Danielle Spera vom 14.02.2011)
Antwort: Alle anwesenden Vorstandsmitglieder haben diese Frage mit „Ja“ beantwortet. Hologramme werden als eine Form der Gestaltung und Inhaltsvermittlung angesehen, deren Veränderung oder Entfernung im Rahmen von Um- oder Neugestaltungen möglich sein muss. Hologramme werden von den anwesenden ICOM Vorstandsmitgliedern nicht als „unersetzliche Objekte“ verstanden.

Frage 2: Hält es der Vorstand von ICOM Österreich für zweckmäßig und sinnvoll, dass der Präsident von ICOM Österreich bei einer inhaltlichen Kontroverse, in die auch Mitglieder von ICOM Österreich involviert sind, einseitig und ohne Anhörung anderer Positionen Stellung bezieht?
Antwort: Auch diese Frage wird mit „Ja“ beantwortet. Es muss einem Präsidenten von ICOM Österreich zugestanden werden, seine Meinung öffentlich zu äußern. Eine Kopie des Schreibens an Frau Direktor Spera vom 14.02.2011 wurde vom Präsidenten mit der Bitte um Kenntnisnahme allen Vorstandsmitgliedern zugesandt.

Frage 3: Hält es der Vorstand von ICOM Österreich mit den Grundsätzen von ICOM vereinbar, dass der Präsident von ICOM Österreich in einem Konflikt zwischen Direktion und Chefkuratorin (die übrigens ebenfalls langjähriges Mitglied von ICOM Österreich ist) eines Museums einseitig Partei ergreift und der Chefkuratorin in – wie wir meinen – diffamierender Weise niedere Motive unterstellt?
Antwort: Ihre Frage enthält eine Anschuldigung, die wir zurückweisen müssen. Die im Rahmen der laufenden Diskussionen zitierten Ethischen Richtlinien von ICOM stehen nicht im Gegensatz zu Umgestaltungen im Schaubereich von Museen. Unterschiedliche Standpunkte von KuratorInnen und DirektorInnen sind in der Welt der Museen nicht gerade selten. Sie werden aber meist intern ausdiskutiert, wobei es sicherlich auch der Fall sein kann, das die/der letztverantwortliche
Direktorin/Direktor sich über fachliche Argumente der Kuratorin/des Kurators hinwegsetzt. Es ist menschlich verständlich, dass dies schmerzt und frustriert. Das Schreiben unseres Präsidenten richtet sich lediglich gegen die Art, wie Frau Direktor Spera öffentlich an den Pranger gestellt wird, wobei unter anderem ICOM Richtlinien zitiert werden. Die Unterstellung „niederer Motive“ in „diffamierender Weise“ (die Worte Ihres Schreibens) können wir im Schreiben unseres Präsidenten nicht erkennen.

Der Vorstand von ICOM Österreich ist sich bewusst, dass alle ICOM Mitglieder selbstverständlich in gleichem Maße zu vertreten sind und ist daher um Sachlichkeit bemüht. Er ist aber kein Schiedsgericht. Im vorliegenden Falle hat der Präsident einer in der Öffentlichkeit schwer angegriffenen Kollegin seine persönliche Solidarität bekundet. Er hat auch seine Betroffenheit über die Art der öffentlichen Diskussion geäußert. Selbstverständlich hat er dabei Partei ergriffen. Es ist nicht zu leugnen, dass dies nicht nur „privat“ geschehen ist, sondern auch in seiner Funktion als ICOM Präsident von Österreich. Er hat diese Stellungnahme aber nicht als akkordierte Meinung des Vorstandes von ICOM Österreich deklariert, welche es zum Zeitpunkt des Verfassens des Schreibens an Frau Direktor Spera auch nicht war und sein konnte. In der Vorstandssitzung vom 28.03.2011 wurde diese Vorgangsweise des Präsidenten allerdings von den anwesenden Vorstandsmitgliedern ausdrücklich akzeptiert.
Im vorliegenden Fall wäre es wohl zielführend gewesen, sich rechtzeitig als ICOM Mitglied an den Vorstand zu wenden, wenn die Sorge bestand, dass eine geplante Aktion ICOM Richtlinien verletzen könnte. Vermutlich wäre in einem gemeinsamen Gespräch bereits im Vorfeld Vieles geklärt worden.
In der Hoffnung, dass das Jüdische Museum Wien auch in Zukunft seinen wichtigen Aufgaben gut und erfolgreich nachkommen kann verbleiben wir
mit kollegialen Grüßen
die Mitglieder des Vorstandes von ICOM Österreich

Mag. Carl Aigner
Dr. Christian Hölzl
Mag. Heimo Kaindl
Dr. Peter Keller
Dr. Hartmut Prasch
Dr. Brigitta Schmid
Prof. Dr. Gerhard Tarmann
Mag. Armine Wehdorn
Ing. Mag. Peter Weinhäupl
Mag. Udo B. Wiesinger

Unbehagen (Texte im Museum 194)

Schlossmuseum Linz, 2011, gesehen und fotografiert von Theresa Zifko

Einladung zur technischen Demonstration "Problemlose Demontage der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien"

Im Zuge der Umbauarbeiten des Jüdischen Museums der Stadt Wien sind 21 Hologramme zerschlagen worden. Die zerstörten Hologramme wurden Mitte der 1990er Jahre durch die Fritsch Stiassny Glastechnik GmbH errichtet und ermöglichten seitdem dem Betrachter abhängig von seiner Position im Raum einen jeweils anderen Blick auf die wechselvolle jüdische Geschichte der Stadt Wien - von den ersten Zeugnissen der jüdischen Bevölkerung im Mittelalter bis zum Holocaust.
Ursprünglich sollten die Hologramme demontiert und in ein Depot gebracht werden. Doch mit der Begründung der Leitung des Jüdischen Museums der Stadt Wien, die Hologramme können nicht mehr abmontiert werden, da sie zu fest verschraubt und verklebt gewesen seien, wurden sie im Jänner 2011 zerstört.

Im Rahmen einer technischen Demonstration wird die Firma Fritsch Stiassny, ein auf konstruktiven Glasbau spezialisiertes Unternehmen mit Erfahrung und Know-how im Kunst- und Museumsbereich, an Hand eines 1:1,5 Modells die Demontage präsentieren. Dadurch soll gezeigt werden, dass die Argumente für den Abbruch falsch waren und ein reibungsloser Abbau, wie auch vor der Zerstörung angeboten, möglich gewesen wäre.

Die technische Demonstration wird von Heinz Haring durchgeführt. Er war von 1986 bis 2006 Geschäftsleiter der Fritsch Stiassny und ist seit März 2010 Geschäftsführender Gesellschafter.

Technische Demonstration "Problemlose Demontage der Hologramme im Jüdischen Museum der Stadt Wien" Voranmeldung ist aus organisatorischen Gründen unbedingt erforderlich bis Dienstag, 12. April 2011. Datum: 14.4.2011, um 15:00 Uhr Ort: Fritsch Stiassny Czerninplatz 1, 1020 Wien

Rückfragehinweis:
und Anmeldung: Mag. Carina Tader
E-mail: carina.tader@gpk.at
Tel.: 01/585 69 69-0

Dienstag, 5. April 2011

Museumsdiplomatie. Aufklärungsexport nach China. Die Großausstellung "Kunst der Aufklärung" und ihr politischer Kontext. Zweite, stark erweiterte Fassung

Über zehn Jahre soll die Vorbereitung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" gedauert haben. Die drei großen Deutschen Museumsverbünde hatten sich zur Ausrichtung dieser Ausstellung zusammengeschlossen, die Museen der Stiftung Preussischer Kulturbesitz Berlin, die Bayrische Staatsgemäldesammlungen und die Dresdner Kunstsammlungen. Mit der Ausstellung bestreitet man die Neueröffnung des (von einem deutschen Architekten) umgebauten und erweiterten Nationalmuseums in Peking. Sie wurde von der Mercator-Stiftung und dem Autohersteller BMW finanziert.
Schon die Eröffnung war überschattet von der Ausladung eines der wichtigsten an der Vorbereitung der Schau beteiligten Wissenschafters, dem die chinesischen Behörden bescheinigten, er sei 'kein Freund des Chinesischen Volkes'. Der zweite und nachhaltigere Eklat ereignete sich kurz nachdem die diversen diplomatischen Zeremonien der Eröffnung beendet waren. Der in Europa bekannteste und mit Deutschland eng verbundene chinesische Künstler Ai Wewei wurde verhaftet und der Wirtschaftskriminalität beschuldigt. Sein Verbleib ist seit der Verhaftung unbekannt.
Schon vor Weiweis Verhaftung (der weder in der Ausstellung, noch im Begleitprogramm eine Rolle spielte), gab es herbe Kritik an der Ausstellung, die doch nur einem Unrechtsregime gestatte, die Aufklärungsschau für ihre politische Zwecke zu instrumentalisieren.

Nach der Verhaftung eines der prominentesten Kritikers der Chinesischen Politik attackierten und attackieren die Medien in Deutschland vor allem die drei verantwortlichen Direktoren und namentlich den Leiter der Dresdner Museen, Martin Roth. Dieser hatte sich mehrfach wenig verbindlich und mißverständlich geäußert.

Wie oft in solchen Fällen dominiert die Personalisierung und eine Kritik der Ausstellung selbst kommt kaum zustande, also eine Auseinandersetzung mit ihren Inhalten, Erzählweisen und Darstellungsformen. Man ahnt mehr als das man es den zahllosen inzwischen publizierten Artikeln entnehmen kann, daß die Ausstellung relativ konventionellen Präsentationsprinzipien folgt, von denen nicht klar wird, inwieweit sie den offenbaren Schwierigkeiten der Ausstellung gerecht wird: die kulturelle Differenz zweier Kulturen zu überbrücken, die Propagierung eines China zwar nicht fremden aber ganz anders konnotierten Begriffs "Aufklärung" zu leisten und dabei die Reserviertheit des chinesischen Publikums gegenüber derartigen Ausstellungen abzubauen.

Das alles hätte doch zu einer besonders sorgfältigen Reflexion der Gestaltung und Strukturierung der Ausstellung führen müssen. Verblüffend ist es, zu hören, wie die drei Generaldirektoren in widersprüchlichen Wortmeldungen, die Möglichkeit infrage stellen, mit Hilfe einer Kunstausstellung einen kulturgeschichtlichen und politischen Begriff wie "Aufklärung" überhaupt repräsentieren zu können. Mit dieser - nach 10 Jahren Vorbereitung überraschend unausgegoren klingenden Überlegungen möchte man irgendwie beides: die 'Unschuld' einer autonomen Kunst retten, die sich in der Ausstellung jenseits aller politischer Kontexte als attraktiv aber politisch neutral gerieren könnte, andrerseits aber doch das politisch-diplomatische Statement, mit dem ein aufgeklärtes Land einem anderen indirekt unterstellt, eine solche noch vor sich zu haben.

Es hat lange gedauert, bis heute, als erstmals in einem Zeitungskommentar die Frage nach der Legitimität aufgeworfen wurde, mit der sich ein Staat der Aufklärung als kulturdiplomatischer Verschiebemasse bedient, der selbst ein höchst gebrochenes Verhältnis zu eben dieser Aufklärung hat. Damit einher ging die Frage, ob denn die herkömmliche Form der Vitrinenausstellung - wenn schon denn schon -, die geeignete Form dafür sein könne oder nicht doch jene subversiven künstlerischen Strategien, denen sich z.B. Ali Weiwei bediente.
 Mich hat die Debatte neugierig gemacht, weil sie möglicherweise etwas über die Entwicklung und Zukunft des Museums aussagt. Der Zusammenschluss der drei großen Museumscluster erfolgte nicht erst jetzt für Peking. Er war eine Reaktion auf die 'Globalisierung' der Museumspolitik einiger Big Player, allen voran des Guggenheim-Museums und dann des Louvre. Die Expansion der Museen ohne geografische Begrenzungen und der Zusammenschluss großer Museen folgte dabei der Logik der Konzernbildung und der expansiven Markterschließung. Das kulturelle Kapital folgte der Logik des Finanzkapitals, in ungleich bescheidenerem Umfang aber auch nicht ohne erhebliche Widersprüche. Der Zusammenschluss der drei deutschen Großmuseen folgte der Entwicklung und sollte sie konkurrenzfähig machen. Die Ausstellung in Peking hätte das bisher spektakulärste Projekt der großen Museen sein sollen.

In einer der meistkritisierten Äußerungen Martin Roths, des Generaldirektors der Dresdner Museen, kommt der 'Sinn' der Ausstellung klar zum Ausdruck. Dort relativierte er die Verhaftung und das Verschwinden Ali Wieweit mit dem Hinweis, daß die Wirtschaftsweltmacht China 'uns' Brot und Arbeit verschaffe. Ohne Chinas Aufschwung, kein deutscher Phaeton.

Wie kommt Roth auf den Phaeton? Weil die 'Gläserne Manufaktur' von VW, wo man das Luxus- und Hochpreisauto (ab 66.000.-Euro) als Käufer persönlich abholen kann, in Sichtweite des Museums liegt, wo Martin Roth seine Museumskarriere begann (Hygiene-Museum)? Oder weil er uns sagen wollte, kein Luxus der Konsumgüter ohne Wohlverhalten gegenüber China?

Man geheimnisst nichts in die Tatsachen hinein, wenn man, mit vielen anderen Kommentatoren feststellt: China ist eine wirtschafts- und finanzpolitische Weltmacht, der man sich andienen will. Da braucht man nur einen Blick auf die Webseite des Generalsponsors BMW zu werfen. Eine möglichst ideologiefreie Kunstausstellung, die man mit einem Augenzwinkern jederzeit auch als 'aufklärend' hätte etikettieren können, wäre da ein wunderbares Gleitmittel gewesen.

Wenn nicht China völlig unbeeindruckt von westlichen Debatten einen dissidenten Künstler einfach hätte verschwinden lassen...



SZ: Gleichzeitig findet eine große deutsche Ausstellung im größten Museum der Welt am Platz des Himmlischen Friedens statt. Sie trägt den Namen 'Kunst der Aufklärung'. Wie denken Sie darüber?
Ai: Der Platz des Himmlischen Friedens ist der ironischste Ort der Welt für eine Ausstellung über die Aufklärung, denn wir Chinesen erleben gerade ein Zeitalter der Dunkelheit. Es gibt einen wirtschaftlichen Boom, und die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern sich allmählich. Gleichzeitig aber ist China an einem neuen Tiefpunkt angelangt, was die Redefreiheit betrifft, die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks oder die Freiheit der Erziehung. Es ist ein neuer Tiefpunkt für unsere Zivilgesellschaft. (Ai Weiwei in einem fünf Tage vor seiner Verhaftung und vor der Eröffnung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" gegebenen Interview. "Wir leben im Zeitalter der Verrücktheit". Süddeutsche Zeitung 5.4.2011)


"In China ist die Literatur der Aufklärung Pflichtlektüre und es gibt einen großen Bildungshunger. Da lag es nahe, diese Epoche mit Gemälden und Objekten zu vermitteln, damit sich zur Literatur dieser Zeit auch eine bildliche Vorstellung gesellt: zum Beispiel zum höfischem Leben, zu den Errungenschaften der Technik, zum veränderten Geschichtsbewusstsein oder zur neuen Rolle der Frau in der Gesellschaft. In insgesamt neun Kapiteln wird die Kunst der Aufklärung - auch mit ihren Schattenseiten sowie einem Ausblick in die künstlerische Gegenwart - vorgestellt. Damit bietet die Ausstellung allen Besucherinnen und Besuchern in Peking vom Schulkind bis zum Intellektuellen zahlreiche Anknüpfungspunkte." Michael Eissenhauer, Martin Roth und Klaus Schrenk: Was bedeutet Ali Weiweis Verhaftung für uns? Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.04.2011

Bei dem, was jetzt in Peking zu sehen ist, stimmen weder das Ausstellungskonzept noch das Begleitprogramm, weder Politik noch Kultur. "Die Kunst der Aufklärung" ist ein Fiasko - und sie geht keineswegs mutig mit den Gastgebern und deren politischen Vorgaben um.
Bei den geplanten Debatten im Forum "Aufklärung im Dialog", von der Mercator-Stiftung finanziert, fehlt zum Beispiel die Stimme des bedeutendsten chinesischen Gegenwartskünstlers. Ai Weiwei, das weltweit bekannte Sprachrohr der Opposition, musste leider draußen bleiben. Die Auswahl der Gäste lag bei der chinesischen Regierung, offenbar mochten die deutschen Aufklärer die andere Seite nicht allzu sehr provozieren. (
Die Kunst des Gähnens, DIE WELT, 31.3.2011)


Vor Beginn der Ausstellung «Die Kunst der Aufklärung» in Peking haben die Macher in China ein großes Interesse an der Thematik ausgemacht. «Das Thema Aufklärung ist von unseren Partnern in China gewünscht und getragen», sagte der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, der «Dresdner Morgenpost» (Dienstag). Besondere Brisanz sehe er nicht. «Wir kommen als Brückenbauer, nicht als politische Missionare.» (Generaldirektor: «Kunst der Aufklärung» soll Brücken bauen, Bild.de 14.3.2011)

Wenn alles gut geht, könnte in den nächsten Tagen ein Wunder geschehen. Dann wird sich im Pekinger Frühling schlagartig das Gedankengut der Aufklärung verbreiten: Freiheit, Menschenrechte, Demokratie. Und die Deutschen hätten dies alles nach China eingeschleust, mit einer bahnbrechenden Ausstellung: "Die Kunst der Aufklärung." (Die Kunst des Gähnens, DIE WELT, 31.3.2011)
 

Vor der Eröffnung war die politische Indienstnahme der „Kunst der Aufklärung“ intensiv diskutiert worden. Die Verpflichtung zum Gelingen ist beinahe zwangsläufig Teil eines politischen Spiels, aus dem die deutschen Museen und das Auswärtige Amt bei dem Projekt nicht herauskommen. Man war nur bedingt Herr der Regeln, auch wenn Roth beteuerte, dass den Museen bei der Konzeption nicht hereingeredet worden sei. Das verhaltene Auftreten der deutschen Vertreter markierte nicht zuletzt auch die politische Ambivalenz dieses von BMW und der Mercator-Stiftung gesponserten Mammutprojektes, das durch eine Konferenz zum Thema abgerundet wurde. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)

Die Eröffnungsfeierlichkeiten zur "Kunst der Aufklärung" waren eine mehrtägige Performance. Ihr Titel hätte lauten müssen: Wie man beständig von Dialog redet, aber trotzdem keinen zustande bekommt. Die Museumsdirektoren, die die Schau verantworten, begannen gleich mit einer Selbstverteidigung. (Peking, wie es lächelt und schweigt, Die Welt 4.4.2011)
 
Als höchstrangige Vertreterin Chinas begrüßte die Staatsrätin Liu Yandong die Schau im neu renovierten Nationalmuseum am Pekinger Platz des himmlischen Friedens als Beweis für die guten Beziehungen beider Staaten. Liu ist Mitglied des 15-köpfigen Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas und damit die mächtigste Frau des Landes. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Euphorisch feiert die Staatspresse den 270 Millionen Euro teuren Umbau und rechnet vor, dass das Museum mit einer Baufläche von 200000 Quadratmetern größer sei als jedes andere Museum der Welt. Die Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ belegt gerade einmal drei vergleichsweise kleine Räume. ... „Die Arbeiter von BUCG haben mit ihrem Herz, Blut und Schweiß einen heiligen Tempel für das chinesische Volk errichtet“, schrieb die Nachrichtenagentur Xinhua. (Pekinger Dachschaden, Frankfurter Rundschau 3.4.2011)


Bilder, Skulpturen, Möbel, Bücher und Kleider werden auf 2700 Quadratmetern gezeigt. Eine Schau der Superlative, die als deutscher Exportschlager im aufwendig von den deutschen Architekten Gerkan, Marg und Partner (gmp) umgebauten Nationalmuseum eine kulturpolitische Kraftanstrengung zum Abschluss bringen. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)

„Aber im Juli kommt die Bundeskanzlerin nach China und wird sich bestimmt auch das Museum anschauen, und dann darf hoffentlich auch ich mal was sagen.“ (Der deutsche Architekt von Gerkan, zit. n.: Pekinger Dachschaden, Frankfurter Rundschau 3.4.2011)

Das Gebäude symbolisiert die Größe und Macht des neuen Chinas. Hinter der alten Fassade wurde kräftig angebaut, aus 35.000 Quadratmetern wurden 191.900 Quadratmeter. Für rund 250 Millionen Euro entstanden 49 Ausstellungshallen, ein Kino, ein Auditorium und eine gewaltige Lobby von 260 Metern Länge, 34 Metern Breite und 27 Metern Höhe.  (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Zum Schluss spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden Ludwig van Beethovens dritte Sinfonie, die "Eroica". - Gewöhnliches Publikum darf erst ab dem Wochenende durch die Hallen dieses größten Museums der Welt strömen. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

"Die europäische Aufklärungsidee wurde zur wichtigen Referenz für das chinesische Volk während der Überwindung der feudalen Unterdrückung, im Kampf gegen ausländische Aggressionen und auf dem Weg zur Wiederbelebung des Volkes", schreibt Lü Zhangshen im Ausstellungskatalog, der Leiter des Nationalmuseums. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Nicht minder schwierig war die Zusammenarbeit mit einer chinesischen Kulturbürokratie, die den Ehrgeiz hatte, mit der Wiedereröffnung ihres Nationalmuseums am Platz des Himmlischen Friedens zugleich das größte Museum der Welt zu eröffnen. Die Kunst der Aufklärung als kulturpolitische Selbstvergewisserung in Zeiten der Globalisierung. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)

Freundlich ging es zu, als die größte jemals im Ausland gezeigte deutsche Kunstausstellung eröffnet wurde. Der eigens angereiste deutsche Außenminister Guido Westerwelle sagte, welch "große Ehre" das alles für die Deutschen sei. (Trophäen im Haus der Macht. taz, 2.4.2011)

Martin Roth, Chef der Dresdener Kunstsammlungen, annoncierte eher beiläufig die Abwesenheit des Schriftstellers und Sinologen Tilman Spengler, der das Projekt seit seiner Entstehung als Berater des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder mit auf den Weg gebracht hatte. War der Mann verhindert? Womöglich krank? Weder, noch. Spengler hatte zur Eröffnung kein Einreisevisum erhalten. (Der Schlaf der Vernunft und ihr Erwachen, Frankfurter Rundschau, 3.4.2011)

Auf die Frage einer Reporterin, wie sich denn diese Versprechen mit dem Einreiseverbot von Tilman Spengler vertrügen, antwortete der chinesische Regierungsvertreter erst gar nicht. Die Pressekonferenz war damit beendet, im Saal brach verhaltenes Gelächter aus. (Peking, wie es lächelt und schweigt, Die Welt 4.4.2011)

Ich mochte es nicht glauben: Ganz ohne Not, aus voller Überzeugung, standen die Herren von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden in der Reihe hinter mir auf und applaudierten Herrn Lü, dem Direktor des chinesischen Nationalmuseums. In Gegenwart des deutschen Außenministers Guido Westerwelle und des chinesischen Kulturminister Cai Wu erklärte Lü dem Kollegen von der Süddeutschen Zeitung, die Frage gehe ihn nichts an, schließlich sei er nicht von der Visaabteilung. Der Kollege hatte um eine Stellungnahme zum Fall Tilmann Spengler gebeten, der als Mitglied der deutsch-chinesischen Expertengruppe der Mercator-Stiftung nicht nach Peking kommen durfte, weil er nach seiner Laudatio auf den Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo nicht mehr als "Freund des chinesischen Volkes" gilt. (Die Feigheit der Aufklärer, taz 6.4.2011)

Petra Kipphofs Ausstellungsbesprechung gibt die bislang beste Vosrstellung von dem, was dort, im Nationalmuseum eigentlich zu sehen ist. "Eine ebenso heiter wie selbstbewusst den Besucher anblickende junge Frau gibt den Ton vor, lädt ein in die Ausstellung. Sie sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf einem Steinblock, trägt ein locker den Körper umspielendes Kleid in den Farben der französischen Trikolore, hat einen Arm aufgestützt. Viele junge chinesische Frauen lassen sich fotografieren vor dieser Heinrike Danneker, die, gemalt von ihrem Jugendfreund Christian Gottlieb Schick, auf eine sehr natürliche Weise sowohl die Ideale der Französischen Revolution wie auch einer aufgeklärten Emanzipation in ihrer Person vereinigt.  (Bei Licht besehen. «Die Kunst der Aufklärung» im neu eröffneten Nationalmuseum Peking, NZZ, 11.4.2011)


Polizisten treten ins Bild, stellen sich vor dem Eingang zum Atelier des weltbekannten Konzeptkünstlers Ai Weiwei auf. Mehr ist in den BBC-Nachrichten am Montagmorgen nicht zu sehen. Der Bildschirm wird plötzlich schwarz. (...) Ai Weiweis Verschwinden wirkt unmittelbar nach dem Abflug von Außenminister Guido Westerwelle von Peking so, als hätten die Behörden abgewartet, um ihre Abrechnung mit dem Systemkritiker nicht zum außenpolitischen Affront werden zu lassen. Westerwelle hatte die von deutschen Museen arrangierte Ausstellung "Die Kunst der Aufklärung" im neuen Nationalmuseum Pekings eröffnet.  (Wie man Menschen wegharmonisiert, Die Welt 5.4.2011)

SZ: Sehen Sie in China derzeit noch Möglichkeiten für Künstler, eine öffentliche Rolle zur Veränderung der Gesellschaft zu spielen, wie es ja die Aufklärung in Europa gefordert hatte?
Ai: Kaum. Für das öffentliche China existiere ich ja gar nicht mehr. Wenn Sie meinen Namen in eine Suchmaschine im Internet tippen, dann erscheint eine Fehlermeldung. Ich bin 'wegharmonisiert' worden.
(Ai Weiwei in einem fünf Tage vor seiner Verhaftung und vor der Eröffnung der Ausstellung "Kunst der Aufklärung" gegebenen Interview. "Wir leben im Zeitalter der Verrücktheit". Süddeutsche Zeitung 5.4.2011)

Bereuen Sie nach der Festnahme des chinesischen Künstlers Ai Weiwei Ihre Kooperation mit China?
--- Nein. Wenn ich mich aus dieser Art von Projekten zurückziehe, könnte ich meinen Job gleich aufgeben. Außerdem bewundere ich die Leistungen Chinas, auch wenn es Rückschläge gibt. Ich verstehe meine Arbeit immer politisch. Wenn wir die Kunst aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang lösen, haben wir verloren. Ich glaube an den Dialog, zu dem auch der Streit gehört – deshalb arbeite ich sogar mit Teheran zusammen. Wenn die Kultur schweigt, ist alles verloren. Und dennoch arbeite ich in einem Museum und nicht in der Politik. Und genau deswegen haben wir ganz andere Möglichkeiten, die auch subtiler sind als Parolen. (Martin Roth, Generaldirektor der Dresdner Museen) (Ich glaube an die Kraft des Dialogs, Frankfurter Allgemeine 5.4.2011)

Am 1. April 2011 eröffnet im Chinesischen Nationalmuseum Peking die umfassende Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“. BMW ist Erster Partner der Kooperation, die von den Staatlichen Museen zu Berlin, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen präsentiert wird. Das Projekt steht unter der Schirmherrschaft des Deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff und seines chinesischen Amtskollegen Hu Jintao. Die Kooperation ist glanzvoller Höhepunkt des 2005 von Chinas Premierminister Wen Jiabao und Bundeskanzlerin Angela Merkel vereinbarten Programms zum deutsch-chinesischen Kulturaustausch. Zusätzlich bereichert BMW die bis zum Frühling 2012 andauernde Ausstellung mit weiteren Formaten. So wird zusammen mit den Partnerinstitutionen ein Austauschprogramm für junge Kuratoren aus China und Deutschland initiiert, das die beiden Kulturen einander näherbringen soll. Desweiteren bietet ein Jugendkongress die Möglichkeit kulturellen Austauschs. Eine Konzertreihe unter dem Titel „Die Musik der Aufklärung“ rundet das Programm ab. (BMW Gropu Press Club - Webseite, abgefragt 5.4.2011)

Anderthalb Stunden stehen die Besucher an diesem Dienstagmorgen Schlange, um in Pekings Nationalmuseum zu gelangen. Beim Warten können sie über den Platz des Himmlischen Friedens schauen. Am Eingang herrschen Sicherheitsvorkehrungen wie am Flughafen. Der Eintritt ist kostenlos.
Die Ausstellung, deretwegen die Massen anstehen, ist keineswegs die „Kunst der Aufklärung“, jene 600 Werke umfassende Gemeinschaftsschau der Staatlichen Museen zu Berlin, Dresden und München, die am 1. April von Außenminister Guido Westerwelle eröffnet wurde und den deutschen Steuerzahler zehn Millionen Euro kostet. Die Besucher kommen für ein Aufklärungsprojekt der anderen Art: „Der Weg zur neuen Blüte“ heißt die vom Propagandaministerium entworfene patriotische Erziehungsmaßnahme, durch die täglich tausende Chinesen geschleust werden.
Ein Best-of volksrepublikanischer Selbstüberhöhung soll die Liebe zur Kommunistischen Partei festigen und das Misstrauen gegenüber dem Ausland schüren. „Mutterland, ich bin stolz auf dich!“, schreibt ein Besucher beseelt ins Gästebuch. Ein Sechstklässler strahlt: „China ist eine so großartige Nation.“ Von Aufklärung keine Spur, Frankfurter Rundschau 19.04.2011


Die von den deutschen Medien so kritisierten Herren der Staatlichen Museen in Berlin, Dresden und München sagen dazu beschwörend und autosuggestiv: Es geht wie einst bei der DDR oder Sowjetunion um den „Wandel durch Annäherung“, und China wandle sich trotz Rückschlägen atemberaubend schnell. Doch diese Annäherung fällt schwer, im Moment. Gerade wurde ausländischen Korrespondenten in Peking verboten, chinesischen Besuchern der „Kunst der Aufklärung“ ohne polizeiliche Genehmigung überhaupt Fragen zu stellen. (Kritik und Kotau, Der Tagesspiegel 5.4.2011)

Es ist das Paradox eines sich aufklärerisch gerierenden Kunstbetriebs, dass er zwar auf die Aura 'kritischer Hinterfragung' und allgemeiner Bewusstseinsbildung setzt, sich aber im gleichen Atemzug einem Regime andienen kann, das die legitimen Nachfolger einer aufklärerischen Kunst verschleppt und misshandelt. (Aufklärung in Marmor, Frankfurter Allgemeine Zeitung 5.4.2011)

Damit weitet sich die Repression aus, die nicht nur in Peking, sondern in vielen Teilen Chinas zu Verhaftungen geführt hat: In den vergangenen Wochen sind nach Informationen von Menschenrechtlern in China Dutzende Anwälte, Schriftsteller, Journalisten und Internetkommentatoren festgenommen oder unter Hausarrest gestellt worden. Außerdem verschwanden mehrere prominente Bürgerrechtler, darunter auch der Anwalt Teng Biao. Die Sorge ist groß, dass sie in Polizeihaft gefoltert werden. (Ausweitung der Repressionszone, taz 4.4.2011)

Als vergangene Woche bei einer Diskussionsveranstaltung zur Aufklärungs-Ausstellung in Peking kritisch nachgefragt wurde, warum Tilman Spengler die Einreise verweigert wurde, gab es, wie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung berichtet, Buhrufe von deutschen Wirtschaftsführern gegen den Fragesteller. Das kann man ebenso erschreckend wie verständlich finden: Für deutsche Autohersteller, wie sie auch diese Ausstellung fördern, stellt sich die Frage, ob man sich mit dem Regime in Peking gutstellen sollte, nicht, schließlich ist China mit 13,6 Millionen Neuzulassungen pro Jahr gerade zum wichtigsten Absatzmarkt der Welt geworden. (Aufklärung in Marmor, Frankfurter Allgemeine Zeitung 5.4.2011)

Dabei hätten doch die chinesischen Behörden allen Grund zur Zufriedenheit, denn die von dem Generaldirektoren-Trio - bestehend aus dem Berliner Michael Eissenhauer, dem Dresdner Martin Roth und dem Münchner Klaus Schrenk - konzipierte Aufklärungsschau ist so solide, bieder-historisch geraten, dass man nur schwer auf den Gedanken kommt, bei der Aufklärung handele es sich um eine noch immer aktuelle Idee, gar um ein unabgeschlossenes Projekt. (Die Freiheit im Museum gestrandet, Berliner Zeitung 5.4.2011)

Der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth (siehe Interview unten), versteht das Unbehagen nicht.
„Wir sind keine politische Institution“, erklärte er schon am vergangenen Donnerstag. Angesichts der Verhaftung Ais, mit der auch der zur Eröffnung angereiste, höflich aufs Thema Menschenrechte pochende deutsche Außenminister brüskiert wurde, ist aber sehr fraglich, ob die Idee einer diplomatischen, auf Untertöne und subtile (für viele Besucher gar nicht dekodierbare) Botschaften der Bilder setzenden Ausstellung aufgeht - in einem Moment, da das Regime in Peking deutsche Journalisten festsetzt, die über die Jasmin-Proteste berichten wollten, Liu Xiaobo wegen „Untergrabung der Staatsgewalt“ zu elf Jahren Haft verurteilt hat, den bekanntesten Gegenwartskünstler Chinas krankenhausreif schlagen und unbekanntere Künstler wie Wu Yuren ungehindert im Knast verschwinden lässt. (Aufklärung in Marmor, Frankfurter Allgemeine Zeitung 5.4.2011)

Durch das geschilderte Timing der Festnahme freilich führt man so zynisch wie selbstbewusst auch den Westen vor – und in diesem Fall besonders die Deutschen. Eben noch kriegen die ihren mit zehn Millionen Euro des Auswärtigen Amts selbst bezahlten Auftritt im wiedereröffneten Nationalmuseum; eben noch wurden die Ausstellung und ihre sie begleitende (begleiten sollende?) Diskussionsreihe „Aufklärung im Dialog“ als „Meilenstein“ der intensivierten gegenseitigen Beziehungen bezeichnet. In solchem Einklang präsentierten sich Westerwelle und die Museumsdirektoren aus Berlin, Dresden und München mit ihren chinesischen Kollegen, an erster Stelle mit der dem Kulturminister übergeordneten Politbüro-Staatsrätin Liu Yandong. (Kritik und Kotau, Der Tagesspiegel 5.4.2011)

In Dresden ist der Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen, Martin Roth, ein schwäbischer Porschefahrer. Als einer der verantwortlichen Museumstiger - wie die Direktoren in Peking gern tituliert wurden, obwohl sie doch nur wie Museums-Tigerenten daherwatschelten - hat er sich nun in der Zeit zu Kulturaustausch und zur Festnahme des Künstlers Ai Weiwei geäußert: "Der ist ja bei den Medien vor allem nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil er ständig draufhaut. Furchtbar natürlich, dass er verhaftet wurde. Aber warum sind alle so auf ihn fixiert? Es gibt hunderte Künstler wie ihn, über die spricht aber keiner, weil sie keine Popstars sind."
Nun ist es außerordentlich erfreulich, zu hören, dass Martin Roth jetzt auch für die hundert anderen Künstler die notwendige internationale Öffentlichkeit herstellen möchte, die ebenso wie Ai Weiwei von der chinesischen Obrigkeit kujoniert werden, wenn nicht ihre Ateliers gleich zerstört und ihre Mitarbeiter festgenommen werden! Etwa für die Pekinger Künstler Huang Xiang, Zhui Hun, Cheng Li und Guo Gai, die Mitte März festgenommen wurden und im Taihu-Gefängnis im Distrikt Tongzhou festgehalten werden. (Dresdener Provinzler, neue Folge, taz, 9.4.2011)

"Wie eng Roth selbst Ökonomie, Politik und Kultur verflochten sieht, zeigt sich in seiner bizarrsten Bemerkung der letzten Tage: "Ohne China müsste die Phaeton-Produktion“ – eine Luxuslimousine, die in Dresden gebaut wird – "eingestellt werden. Diese Diktatur gibt uns in unserer Demokratie Lohn und Brot.“ Ausgestreckte Hand, blutig, FAZNet 11.04.2011

"Es verwundert und betrübt mich sehr hören zu müssen, dass ein deutscher Museumsdirektor und Kollege sich offenbar nicht mit der Bewegung solidarisiert, die sich für die Freilassung Ai Weiweis einsetzt. Gerade hat sich die Solomon R. Guggenheim Foundation an die Spitze einer internationalen Bewegung des Museen gesetzt, um den Protest der Kunstwelt zum Ausdruck zu bringen."  Hans Ulrich Obrist in DIE WELT, 11.4.2011 (nicht onlinie).

"Umso schlimmer, wenn der Leiter einer durch staatliche Subventionen gesicherten Institution, wie es die Dresdner Sammlungen sind, einem Unrechts- und Gewaltsystem beipflichtet. Martin Roth hat den deutschen Kulturbetrieb desavouiert. Er hat sich zu entschuldigen. Er muss sich für Ai Weiwei einsetzen. Sonst hat er in Peking nichts verloren, kann er seine Kunstschätze zurückholen.
Museum trifft Aufklärung: Beide tot." (Chinesisches Roulette. Kultur und Moral, Der Tagesspiegel, 10.4.2011)

"Wie so üblich in erhitzten öffentlichen Debatten braucht es ein Gesicht, das die Angriffe der Empörten bündelt. Diesmal ist es Martin Roth, der Generaldirektor der Dresdner Kunstsammlungen. Schon lange nicht mehr ist das deutsche Feuilleton so einmütig über einen einzelnen Museumsmann hergefallen. Roth ist ein zupackender Macher, der Gewaltiges geleistet hat beim Ausbau der Dresdner Museumslandschaft, und auch für deren Wahrnehmung in aller Welt. Er war nie ein Leisetreter, nie einer, der sich wie die meisten seiner Kollegen hinter wohlabgewogenen Verlautbarungen verschanzt. Er sagt, was er meint. Und in diesem Fall heißt das: Er glaubt fest an die Möglichkeiten des Kulturaustauschs, auch mit diktatorischen Systemen." Nie wieder China?, Berliner Zeitung 12.04.2011

"Zu China war zu hören: Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, an dem auch deutsche Architekturbüros kräftig verdienten, würden der allgemeine Lebensstandard, die Bildungschancen und so auch automatisch die Chancen einer Demokratisierung steigen. Diese lineare Erzählung ist spätestens mit Ai Weiweis Verschleppung als Illusion enttarnt. Sichtbar wird jetzt eine andere, dunklere Wahrheit. Wie vor einer Woche in dieser Zeitung berichtet, wurde ein deutscher Journalist, der bei einer Veranstaltung zur Aufklärungsausstellung eine kritische Frage stellte, ausgebuht – von deutschen Wirtschaftsführern. Deutsche Autohersteller fördern die Schau, und es gehört zu den unangenehmen Wahrheiten, dass Autobauer wie BMW ohne den chinesischen Absatzmarkt langfristig in eine bedrohliche Situation kommen würden. Auch die internationale Politik ist gegenüber China fast machtlos. Chinesische Finanzexperten drohten offen damit, dass China seine 1,33 Billiarden Dollar an offiziellen Währungsreserven als politische Waffe einsetzen könne.Das einzige Feld, auf dem noch keine existentiellen Abhängigkeiten existieren, ist die Kultur. Und gerade deshalb hätte man sich gewünscht, dass wenigstens einer der Generaldirektoren irgendwann aufgestanden wäre und den sogenannten Wirtschaftsführern gesagt hätte, wie sehr er sich für sie schäme." Ausgestreckte Hand, blutig, FAZNet 11.04.2011

Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller "Es kommt mir vor, als würde die deutsche Kulturpolitik regelrecht winseln um Anerkennung durch China", sagte die 57-Jährige dem Nachrichtenmagazin "Focus". "Ich verstehe nicht, weshalb es die Deutschen sein müssen, die als Allererste Werke für eine Ausstellung in diesem Museumsklotz liefern, der doch nur ein Prestigeobjekt des Regimes ist." Die Bilder seien nun "Dekoration für eine Propagandashow eines autoritären Regimes". DIE WELT, 11.4.2011

"Raimund Stecker, Direktor des Wilhelm-Lehmbruck-Museums in Duisburg: 'Herr Roth steht jedenfalls offensichtlich auf der falschen Seite, nämlich der der Dekoration der Macht statt auf der der aufklärerischen, subversiven Kraft der Kunst. Wir brauchen die 'Popstars' der Kultur - Philosophen wie Kant und Künstler wie Ai Weiwei.'" (Wandel durch Anbiederung, DIE WELT 11.4.2011).

"In dem Katalog-Beitrag zweier chinesischer Wissenschafter kommt man allerdings zu dem interessanten Schluss, dass der Kommunismus die Ausweitung, um nicht zu sagen die Krönung der Aufklärung sei. «Lassen wir es sein, Aufklärung ist Unsinn», sagt der alte Schauspieler in Thomas Bernhards Stück «Einfach kompliziert». Vielleicht aber sollte man einmal vor den schmalen, schwarzen Schuhen aus dem persönlichen Besitz des Philosophen (Immanuel Kant Anm.GF) ein Schild mit dem Satz «These boots are made for walking» aufstellen". Bei Licht besehen. «Die Kunst der Aufklärung» im neu eröffneten Nationalmuseum Peking, NZZ, 11.4.2011

"'Aufklärung ist kein kunsthistorischer, sondern ein kulturgeschichtlicher Begriff', sagt Michael Eissenhauer, der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin." (…) "Man hätte ja "die Kunst der Aufklärung" auch mit einem Augenzwinkern interpretieren können, als politisches Kunststück, über die Wirklichkeit durch Kunst aufzuklären. Genau das wird dementiert. "Es handelt sich um eine Kunstausstellung, nicht mehr und nicht weniger", heißt es, natürlich wider besseres Wissen. Fragt sich nur, warum das Auswärtige Amt so viel Geld in eine Schau steckt, deren Kunstwerke irgendwie nicht politisch aktuell sein wollen und es wohl auch gar nicht können." (Die Kunst des Gähnens, DIE WELT, 31.3.2011) 

Nach der Verhaftung des regimekritischen Künstlers Ai Weiwei in China hat das Haus der Kunst in München die Zurückhaltung deutscher Museumsdirektoren scharf kritisiert. Der Hauptkurator des Hauses, Ulrich Wilmes, warf dem Direktor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden "Bagatellisierung" vor und nannte dessen Äußerungen "menschenverachtend".
Martin Roth hatte sich zuletzt mit Kritik an China zurückgehalten und in einem Interview mit der "Zeit" unter anderem gesagt: "Es gibt Hunderte Künstler wie ihn, über die spricht aber keiner, weil sie keine Popstars sind." (…) "Von solchen relativierenden Äußerungen möchten wir uns als Haus der Kunst deutlich distanzieren", betonte Wilmes. (Webseite 3sat, 8.4.2011)

"Ein Nobelpreisträger sitzt für elf Jahre im Knast, die wichtigste Figur der chinesischen Kunstszene wird verschleppt - und die Vertreter der deutschen Kultur sitzen mit eingezogenen Köpfen da und zeigen auf die Hausschuhe von Immanuel Kant, die sie in der Ausstellung geparkt haben." FAZ, 10.4.2011 (nicht online)

"Der Chef der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, eines der Museen, die in Peking die Schau zur „Kunst der Aufklärung“ organisiert haben, übt in der „Zeit“ fleißig den Kotau. Ai Weiwei, so wird Roth dort zitiert, sei bei den westlichen Medien „deshalb so beliebt, weil er ständig draufhaut.“ Im Übrigen: „Es gibt Hunderte Künstler wie ihn, über die spricht aber keiner, weil sie keine Popstars sind.“ Da klingt blanke Verachtung durch für zeitgenössische Kunst, wird ein Mensch getreten, der am Boden liegt. Museumspolitik ist Roth wichtiger als Menschenrechte.
Da schließt sich der ökonomische Kreis. Der chinesische Milliardenmarkt lockt nicht nur Autobauer und Architekten. Auch die großen Museen, von New York bis Paris und von London, zieht es an die Geldquellen – nach Peking ebenso wie in die Emirate am Persischen Golf. Internationale Museen, allen voran das Guggenheim, werden heute geführt wie Unternehmen. Sie operieren international und zunehmend profitorientiert. Marketing geht vor Moral." (Chinesisches Roulette. Kultur und Moral, Der Tagesspiegel, 10.4.2011)

"Warum? Was haben die Dresdner Kunstsammlungen von guten Beziehungen zu Peking?
Roth: Dasselbe wie von guten Beziehungen mit dem Metropolitan Museum, dem Prado, Getty und so weiter: einen wissenschaftlichen kuratorischen Austausch, den wir über viele Jahre pflegen und ausbauen wollen." (...)
"Sie haben geschrieben: 'Ohne China müsste morgen die Phaeton-Produktion eingestellt werden. Diese Diktatur gibt uns in unserer Demokratie Lohn und Brot.' Warum ist es so wichtig, dass deutsche Museen in China ausstellen? Damit sie die Produktion des VW-Luxusautos Phaeton ankurbeln?
Roth: Ganz einfach. Weil die maximal 40 Museen von gleichem Rang und ähnlicher Bedeutung weltweit natürliche Partner sind – zum Nutzen der Bildung und des besseren Verständnisses jenseits von politischen Barrieren. Was soll Volkswagen damit zu tun haben? Ich freue mich, dass Volkswagen die Tournee der Sächsischen Staatskapelle in China gesponsert hat, die auch bei der Eröffnung gespielt haben." "Diese Auftritte haben etwas sehr Absurde". Martin Roth im Interview mit "Der Freitag", 14.04.2011

"Der Fall Ai wird in Deutschland immer mehr zu einer Diskussion über unsere kulturelle Außenpolitik und den Sinn der Kooperation mit totalitären Regimen. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, forderte die Freilassung Ais; Martin Roth, Generaldirektor der Staatlichen Museen Dresden, verhöhnt ihn dafür in der "Sächsischen Zeitung“: ",Lehmann fordert die Freilassung von Ai Weiwei . . .‘ Na, da wird die chinesische Staatssicherheit aber das Zähneklappern bekommen! Bleiben wir doch bei der Realität und dem Machbaren!“ So wüst war der Ton lange nicht mehr.
Was bedeutet Ais Verhaftung für uns? Michael Eissenhauer, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, der das Projekt von seinem Vorgänger erbte, nannte Ais Verschleppung einen Widerspruch zu allem, "worum es in der Ausstellung geht“, und kaum erträglich. Martin Roth, der vor zwei Jahren in der "Welt“ von "vielen Gesprächen, viel Humor, viel Vertrauen und viel Maotai-Schnaps“ bei seinen Chinatouren schwärmte, bekundet dagegen in der "Zeit“, Ais Verhaftung sei sicher "furchtbar“ – Ai sei jedoch unter anderem "bei den Medien“ auch deshalb "so beliebt, weil er ständig draufhaut“. Soll das heißen: Selber schuld? Man braucht einen robusten Humor, um einem Künstler, der bei seiner letzten Verhaftung 2009 fast totgeprügelt wurde, zu konzedieren, er haue halt gern drauf – denn draufgehauen hatte das letzte Mal der chinesische Staat." Ausgestreckte Hand, blutig, FAZNet 11.04.2011

"Der Westen mag sich über das Vorgehen gegen den Künstler und Regimekritiker empören, doch die chinesischen Behörden halten unbeirrt an ihrem Vorgehen fest. Wie am Dienstag bekannt wurde, sind jetzt Ai Weiweis Studiopartner und sein Buchhalter festgenommen worden. Seine Frau wurde von der Steuerbehörde vorgeladen. Die chinesischen Behörden werfen dem Künstler ein "Wirtschaftsverbrechen" vor, wobei nicht genau bekannt ist, worin das Verbrechen eigentlich besteht. Unterdessen hat Chris Dercon, der Direktor der Tate Modern, mehr Solidarität von den deutschen Museen gefordert. Im Rahmen der von Deutschland organisierten Ausstellung "Kunst der Aufklärung" in Peking müssten hiesige Kunst- und Kultureinrichtungen deutlicher auf die Situation von Ai Weiwei aufmerksam machen. Menschenrechte. Neue Festnahmen im Fall Ai Weiwei, Die Welt 13.04.2011

"Der nun lauter werdende Ruf nach einem Abbruch der Ausstellung demonstriert politische Entschlossenheit und beansprucht die Überlegenheit eines moralischen Rigorismus. Wer für einen Verbleib der deutschen Kunst in Peking votiert, macht sich indes verdächtig, sich einem windelweichen Appeasement anzudienen, das vor der ökonomischen Attraktivität Chinas in die Knie geht. Hatten die Museumsdirektoren einen emphatischen Aufklärungsbegriff im Gepäck, so müssen sie sich nun die Frage gefallen lassen, ob sie als bloße Dekorateure einer willkürlich agierenden Macht zurückgekehrt sind." (...) "Die „Kunst der Aufklärung“ sollte nicht geschlossen, sondern zum Ausgangspunkt einer kulturpolitischen Debatte gemacht werden, wie künftig den Herausforderungen begegnet werden kann, die Globalisierung, Kolonialerbe, Kulturalismus und Menschenrechte immer wieder neu stellen. Nicht abhängen, sondern höher hängen, muss nun die Devise lauten."  Höher Hängen, Frankfurter Rundschau 14.04.2011
 "Die Ausstellung über die "Aufklärung" in Peking sollte abgebrochen werden, schreiben Roger M. Buergel und Ruth Noack, Leiter der Documenta 2007. Denn es ist eine "Ausstellung, die ohne Not die kostbarste Errungenschaft des Westens am Platz des himmlischen Friedens verschachert und, auch das eine Kunst, diesen Ausverkauf selbst finanziert. Das eigene deutsche - sprich: gebrochene - Verhältnis zur Aufklärung ist in dieser Ausstellung kein Thema. Und so ist auch der Dialog, den die drei Generaldirektoren bemühen, keiner. Es gibt kein Gegenüber, mit denen die drei reden (ausgenommen „die geschätzten Kolleginnen und Kollegen in Peking“) Dieses „Kulturprojekt“ gehorcht der Logik der Funktionäre und der Vitrine oder besser des Gefrierfachs – eine Logik, der sich Ai Weiwei in seiner vielgestaltigen, stets lebendigen Produktion, zumal mit seinen Blog-Aktivitäten, entzogen hat." (...) Wer China und die Strukturen des größten Museums der Welt samt seiner kuratorischen Expertise für Geschichtsklitterung kennt, kann dagegen über den kulturpolitischen Rettungsversuch nicht einmal müde lächeln. Hier ist nichts zu retten, hier tut Aufklärung not, und das heißt vor allem: Selbstaufklärung." Diese Ausstellung muß geschlossen werden, FAZ 12.14.2011

Die Forderung, die Ausstellung in Peking aufgrund der aktuellen Vorkommnisse zu schließen, macht keinen Sinn: Soll das Auswärtige Amt in allen Ländern mit totalitären Regimes seine Goethe-Institute schließen? Sollen Orchester ihre Konzertreisen einschränken? Sollen studentische, wissenschaftliche, technische Austauschprogramme eingestellt werden? Hätte die Rocklegende Bob Dylan nicht in Peking auftreten sollen? Von den Aktivitäten aus dem Bereich Wirtschaft und Technologie ganz zu schweigen. Wie wollen wir die Kultur, die Werte, das Verständnis eines Landes und seiner Bevölkerung kennen- und schätzen lernen, wenn wir uns weigern, mit ihm zu kooperieren? Nichtstun ist keine Alternative! Für Museen ist es eine Selbstverständlichkeit, Beziehungen zu den Herkunftsländern ihrer Sammlungen - auch mit totalitären politischen Systemen - zu unterhalten und zu pflegen. Kulturprojekte sind nicht nur grenz-, sondern auch systemüberschreitend. Michael Eissenhauer, Martin Roth und Klaus Schrenk: Was bedeutet Ali Weiweis Verhaftung für uns? Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.04.2011

"Die Ausstellung, die als epochales Kulturereignis "mit einer politisch-aufklärerischen Agenda" angekündigt wurde, verfehlt ihr elementarstes Ziel: Ihr fehlen die Besucher. Läuft man durch die leeren Hallen des Museums, sieht man eine Schau, die ihren Anspruch selbst demontiert. Am Mittwoch dieser Woche, vierzehn Tage nachdem Außenminister Guido Westerwelle auf der Ehrentribüne unter einem weithin sichtbaren "Die Kunst der Aufklärung"- Banner saß, wird weder außen noch innen für die Ausstellung geworben. (...) Auf alle, die dann doch noch zu "Die Kunst der Aufklärung" in einem Eckflügel im zweiten Stock finden, wartet eine weitere Überraschung. Sie müssen sich eine Eintrittskarte für 30 Yuan (3,50 Euro) kaufen. "Das ist auch ein Grund für den schwachen Besuch", sagt eine Museumsangestellte. 'An Werktagen kommen im Durchschnitt 200 Personen, am Wochenende sind es 400.'" Aufklärung unter Ausschluß der Öffentlichkeit, DIE WELT, 14.04.2011

Eine der bemerkenswertesten Stellungnahmen: Tilman Spengler, der von China noch vor der Ausstellungseröffnung ausgeladene Wissenschafter. "Wir haben es hier mit einer Ausstellung zu tun, die das betreibt, was Adorno, Horkheimer, Marcuse, wohl auch Walter Benjamin einmal als "Flaschenpost" bezeichneten. Es werden Botschaften nach Peking gesandt, die enträtselt werden müssen wie das Paar Schuhe des Aufklärers Kant. Wir dürfen unseren Kollegen vor Ort zutrauen, dass sie diese Aufgabe wahrnehmen. Abbrechen ist so doof wie verbieten - sehr weit weg von Aufklärung." Tilman Spengler: Flaschenpost nach China, Süddeutsche Zeitung, 14.04.2011 

Eine vorzeitige Schließung der Ausstellung wäre das, was man allgemein als Symbolpolitik bezeichnet. Der Stopp würde China nicht wirklich hart treffen. Das Ende der Schau wäre ebenso wenig wie der Protest eine Garantie dafür, dass Ai Weiwei freikommt. Aber es wäre ein Affront gegen die Machthaber in Peking. Sie wären vor der Weltöffentlichkeit blamiert.  Wenn es still wird in Deutschland, in: taz 18.4.2011


"Die Annahme, die der Ausstellung zu Grunde liegt, ist falsch. Die Ausstellungsmacher dachten, dass sie mit Gemälden von Caspar David Friedrich, Goya, Gainsborough, aber auch mit den Hausschuhen des Philosophen Immanuel Kant den Chinesen Demokratie nahe bringen würden. Immerhin ist die Aufklärung eine der entscheidenden Epochen jener europäischen Geschichte, die das Individuum zunehmend ins Zentrum der Politik stellt, Wissenschaft und Technik in den Vordergrund rückt und Menschenrechte sowie politische Gleichheit betont. Diese Ideen bildeten die Grund­pfeiler der US-amerikanischen Unabhängigkeit und mündeten in die Französischen Revolution. Warum nicht den Freiheitsgedanken über Ausstellungsstücke aus dieser Epoche nach China bringen? Immerhin ist auch die Idee, dass Kunst die Menschen und die Gesellschaft verändern kann, ein Gedanke der Aufklärung.
Doch schon dieser Gedanke zeigt: Die Macher haben sich nicht ausreichend mit der Situation Chinas beschäftigt. Hätten sie das getan, wäre ihnen aufgefallen, dass für Chinas Regime Diktatur und Aufklärung keineswegs im Widerspruch stehen. Im Gegenteil: Die Kommunistische Partei sieht sich ganz in der Tradition der Aufklärung. Mao selbst, aber auch die jetzige Führungsriege, beziehen sich seit jeher positiv auf die Ideen der Französischen Revolution. Und hätten die Deutschen einen genauen Blick in den Katalog geworfen, dann hätte ihnen der Beitrag zweier chinesischer Wissenschaftler auffallen müssen. Darin kommen die zu dem Ergebnis, dass der chinesische Kommunismus nichts weiter sei als 'die Krönung der Aufklärung'". Eine Frage der Aufklärung, Der Freitag, 14.04.2011

"Dass Freiheit und Aufklärung mit dem tausendfachen Massaker vom Tiananmen-Platz nicht vereinbar sind, wollen wir nicht bemerken: Anstatt diesen Widerspruch neben einigen anderen in das Ausstellungskonzept zu integrieren und damit eine – Achtung, das P-Wort – Provokation zu riskieren, stellen wir einfach aus: beflissen, kreuzbrav. Eigentlich hätten es auch die üblichen High-Tech-Exportartikel sein können, mit denen unsere Industrie in China ihr Geld verdient. Das wäre immerhin ehrlich gewesen.
An diesem inhaltlichen Desinteresse werden auch die von der Mercator-Stiftung veranstalteten „Salons“ nichts ändern – die nach eigenem Bekunden in ihrer Themenwahl freien, „offenen Diskursräume“. Dazu ist die Indifferenz der repräsentativen Ausstellungsform gegenüber dem historisch-aktuellen Ausstellungsinhalt viel zu mächtig. Und so hat der gleich nach der Ausstellungseröffnung verhaftete und seitdem verschwundene Künstler Ai Weiwei auf seine Weise die passenden Worte gefunden: Die Chinesen würden in der Ausstellung einige „bleichgesichtige Langnasen“ sehen und ansonsten nicht mehr über die deutsche Aufklärung lernen als in Disney World."
  Mutlos, dafür aber kreuzbrav, Frankfurter Rundschau 19.4.2011

Die Frankfurter Rundschau berichtet über eine Veranstaltung in der Akademie der Künste in Berlin, wo "Hermann Parzinger" die Frage stellt, was denn schiefgelaufen ist und so beantwortet: "Man habe die Ausstellung zu hoch gehängt. Es sei die größte Ausstellung, die die Bundesrepublik Deutschland jemals außer Landes geschickt habe. Das Auswärtige Amt sei mit 6,6 Millionen Euro in die Aktion eingestiegen. Die Runde war sich bald einig: Die Ausstellung ist zu gigantisch. Ihre Staatsnähe ist das Problem. Zu viele Minister könnte man sagen: zu viele Minister auf beiden Seiten."
Mutlos, dafür aber kreuzbrav, Frankfurter Rundschau 19.4.2011

"Der Minister (Kulturstaatsminister Bernd Neumann. GF) geht noch weiter: Er liest den für die Pekinger Schau verantwortlichen Museumsdirektoren aus Berlin, Dresden und München die Leviten, kommt auf die von Klaus-Dieter Lehmann beobachteten „weichgespülten Floskeln“ bei der Eröffnung zu sprechen, die sich für die Chinesen angehört hätten „wie die Sprache der eigenen Funktionäre“. Vor allem kritisiert er den federführenden Dresdner Museumschef Martin Roth für seine gegenüber China „anbiedernden“ Kommentare zum Fall Ai Weiwei: Das sei die „Verhöhnung eines mutigen und bedeutenden Künstlers“. Roths Namen nennt er nicht, aber der Adressat ist klar."
Freiheit und Feigheit, in: Der Tagesspiegel, 28.04.2011

 













"Wir leben im Zeitalter der Verrücktheit". Süddeutsche Zeitung 5.4.2011 

Die Feigheit der Aufklärer, taz 6.4.2011

Dresdener Provinzler, neue Folge, taz, 9.4.2011

Michael Eissenhauer, Martin Roth und Klaus Schrenk: Was bedeutet Ali Weiweis Verhaftung für uns? Frankfurter Allgemeine Zeitung 09.04.2011  

Bei Licht besehen. «Die Kunst der Aufklärung» im neu eröffneten Nationalmuseum Peking, NZZ, 11.4.2011

Ausgestreckte Hand, blutig, FAZNet 11.04.2011 

Nie wieder China?, Berliner Zeitung 12.04.2011

Höher Hängen, Frankfurter Rundschau 14.04.2011

Diese Ausstellung muß geschlossen werden, FAZ 12.14.2011 

Aufklärung unter Ausschluß der Öffentlichkeit, DIE WELT, 14.04.2011 

Tilman Spengler: Flaschenpost nach China, Süddeutsche Zeitung, 14.04.2011 

"Diese Auftritte haben etwas sehr Absurde". Martin Roth im Interview mit "Der Freitag", 14.04.2011 

Eine Frage der Aufklärung, Der Freitag, 14.04.2011 

Wenn es still wird in Deutschland, in: taz 18.4.2011
 


Mutlos, dafür aber kreuzbrav, Frankfurter Rundschau 19.4.2011 

Freiheit und Feigheit, in: Der Tagesspiegel, 28.04.2011 

 

Vielen Dank für Ihren Besuch! (Entrée 20)

Zehn Jahre Museumsquartier - Zehn Jahre "Neugier und Schlaf, Rausch und Aufklärung"

... was es nicht werden durfte
Auf "Neugier" wäre ich gekommen, sicher nicht auf "Schlaf", auf "Rausch" ja, aber in seltener und milder Form - und "Aufklärung?". Je nun.
Aber wir reden ja auch nicht von 'meinem Museumsquartier', sondern von dem von Vitus H. Weh, der dort als Kurator tätig ist und als 'Installateur' subtiler Interventionen.
Und wir reden (wieder mal) von 'Causeries du lundi' und seiner knappen, interessanten Würdigung eines Projektes, bei dem so gut wie alles anders gekommen ist als es je jemand beabsichtigt hatte.

Samstag, 2. April 2011

Wie man durchs Telefonieren plötzlich in eine Ausstellungskritik gerät und dabei die Mutter von Jonathan Meese kennenlernt oder: Ausstellungskritik mal etwas anders....

Eigentlich ist in der Titelzeile eh schon alles gesagt. 
Ich lese von P. wie er ein Kaffehaus verläßt und irrtümlich oder fast 
in die Blinky-Palermo-Ausstellung gerät und ehe ich noch recht dazukomme, 
mit ihm die Begeisterung für diesen "mafiösen" Namen zu teilen, 
und drüber nachzudenken, was ich von den Bildchen halten soll, 
die man hypertextig antippen kann, knipse ich schon am eingerückten Link rum 
und darf zusehen, wie die Mutter von Jonathan Meese alles zusammensammelt, 
was ihr Bub ein bisheriges Leben lang alles so zusammenklabautert hat. 
(Das ist jetzt eine Wortschöpfung von mir, die irgendwie zu dem Youtube-Video passt). 
Am besten: selber lesen. Hier!

Jüdisches Museum. Die Kritik reisst (nicht) ab?

Ob tatsächlich die Kritik nicht abreissen wird, wie Valerie Wendenburg in der gestrigen Online-Ausgabe von "tachles" schreibt, darf bezweifelt werden. Sie reagiert noch nicht auf die Aufsichtsratssitzung des Museums, hat aber ein paar Neuigkeiten, den Abbruch der Hologramme betreffend. Von denen das Museum nun nichts mehr wissen will.

Freitag, 1. April 2011

"Neuausrichtung". Die Information des Jüdischen Museums

Da die "Medieninformation vom 1. April 2011" des Jüdischen Museums ausführlicher und informativer ist, als die APA-Meldung vom gleichen Tag, gebe ich sie hier ungekürzt wieder

Jüdisches Museum Wien: Auf neuem Kurs

Danielle Spera präsentiert Pläne zur Neuausrichtung des Jüdischen Museums

Derzeit ist die Funktionssanierung des Museums, die im Jänner begonnen wurde
in vollem Gang. Direktorin Danielle Spera berichtete dem Aufsichtsrat des
Jüdischen Museums der Stadt Wien über die personellen und inhaltlichen
Planungen zur Wiedereröffnung des Standorts Dorotheergasse.

Neuaufstellung mit starkem Team

„Die Funktionssanierung des Hauses schreitet zügig voran und wird im Juni
abgeschlossen sein. Danach können wir mit der Ausgestaltung der
Ausstellungsbereiche beginnen“, sagte Spera nach der Aufsichtsratssitzung.
„Ich habe dem Aufsichtsrat ein starkes KuratorInnenteam und die
wissenschaftlichen MitarbeiterInnen präsentiert, mit denen ich die neue
ständige Ausstellung erarbeiten werde. Damit setzen wir konsequent den Weg
fort, der bereits beim Standort Judenplatz zum Erfolg führte: Eine
Neupositionierung des Hauses mit einer permanenten Schau und spannenden
Wechselausstellungen. Im Gegensatz zu anderen Häusern, die bei einem Umbau
geschlossen werden müssen, sind wir in der glücklichen Lage, dass wir mit
dem neuen Museum Judenplatz einen voll funktionsfähigen Ausstellungsort
anbieten können, der auch ausgezeichnet vom Publikum angenommen wird“, so
Spera.

„Wien. Jüdisches Museum. 21. Jahrhundert“

Für die neue Dauerausstellung gibt es im Jüdischen Museum Wien eine
innovative, seriöse und schrittweise Vorgangsweise. Werner Hanak-Lettner,
langjähriger Kurator am JMW und international renommierter
Ausstellungsmacher, hat das Konzept dazu ausgearbeitet. „Es ist eine
kreative und professionelle Antwort auf eine schwierige Situation. Das Haus
braucht eine neue Dauerausstellung. Daher schlage ich einen Weg vor, der das
Museum zur Wiedereröffnung konzeptionell belebt, zudem als selbstreflexives
Haus positioniert und das Team genügend Zeit lässt für Herbst 2012 eine
weitere außergewöhnliche Dauerausstellung zu erarbeiten.“

Daher eröffnet das Haus im Herbst 2011 mit einem Mix aus permanenten und
temporären Ausstellungen. Während das Schaudepot im 3. Stock bereits in
seiner permanenten Form „neueröffnet“, wird im Erdgeschoß eine Schau
erarbeitet, die das Medium Jüdisches Museum selbst in den Mittelpunkt rückt
und gleichzeitig auch hinterfragt. Unter dem Arbeitstitel „Wien. Jüdisches
Museum. 21. Jahrhundert“ werden mittels sieben Stationen sieben Fragen
gestellt, die auf vielfältige Art bewusst machen, wie sehr ein Jüdisches
Museum mit der Geschichte seines Entstehungsortes verbunden ist und wie
divers gleichzeitig die Erwartungshaltungen an ein solches Haus sind. Wir
stellen also den Prozess hin zur Dauerausstellung selbst aus, und suchen im
Rahmen einer Ausstellung den Dialog mit den Besuchern und Fachexperten. Eine
wichtige Rolle wird im Erdgeschoß auch wieder die Sammlung Berger im
Zusammenspiel mit der „Installation der Erinnerung“ von Nancy Spero
spielen“, so Hanak-Lettner. Die Dauerausstellung wird zum Thema des nächsten
Jahres. „Das Konzept von Herrn Hanak-Lettner hat mich sofort überzeugt, da
es sehr dynamisch ist und das Museum noch mehr zu einem Ort der Begegnung,
der Inspiration und des Dialogs macht“, sagt Spera. Das Jüdische Museum Wien
nehme das Thema neue Dauerausstellung sehr ernst. Es wird dazu ein Symposium
und auch eine Publikation geben, die die Erfahrungen mit der Ausstellung
wiederspiegelt.

„Wir werden mit einem breit aufgestellten Team der WissenschaftlerInnen des
Museums unter Leitung von Dr. Werner Hanak-Lettner das Konzept der
Dauerausstellung umsetzen“, betonte Spera nach der Aufsichtsratssitzung.
Wien Holding-Direktor Komm.-Rat Peter Hanke bekräftigte seine Unterstützung
für Dr. Spera: „Mit dem neu aufgestellten Museumsteam ist die Kontinuität
und Qualität der Arbeit des Museums gewährleistet. Wir sollten das Team nun
in Ruhe arbeiten lassen und an den Ergebnissen der Arbeit messen.“

Die erste große Wechselausstellung ist eine groß dimensionierte Schau zu
einem globalen kulturgeschichtlichen Thema mit der das
Hausöffentlichkeitswirksam eröffnet - „BIGGER THAN LIFE. 100 Jahre
Hollywood. Eine jüdische Erfahrung“. Sie wird von Dr. Werner Hanak-Lettner
kuratiert.

Dr. Werner Hanak-Lettner leitet Neukonzeption

Der Theaterwissenschaftler und Museumsfachmann präsentierte erst vor kurzem
sein neuestes Buch über Ausstellungsdramaturgie. Er ist seit 1993 im
Museumsteam, baute das Museumsarchiv auf und ist seit 2000 Leiter der
Bibliothek. Er betreute über 20 Ausstellung, darunter die erste große
Wechselausstellung nach der Eröffnung „Chagall – Bilder. Träume. Theater.
1908 – 1920“. Hanak-Lettner zeichnete in den letzten Jahren für zahlreiche
wichtige Ausstellungen des Museums verantwortlich. Er gestaltete die Harry
Weber-Ausstellung „Heute in Wien“, die als Eröffnungsausstellung des neu
gestalteten Museums 1996 präsentiert wurde, die geschichts- und
religionsphilosophische Ausstellung  „Eden. Zion. Utopia. Zur Geschichte der
Zukunft im Judentum“ (2000) sowie die große Festwochen-Koproduktion  „quasi
una fantasia – Juden und die Musikstadt Wien“ (Wien 2003, New York 2004).
Mit „Papier ist doch weiß? Eine Spurensuche im Archiv des Jüdischen Museums“
(1998) stellte Hanak-Lettner erstmals die Sammlungsbestände des Archivs des
Jüdischen Museums vor. Hanak-Lettner kuratierte zudem die permanente
„Installation der Erinnerung“ von Nancy Spero im Kuppelsaal des Jüdischen
Museums. 2006 und 2009 beauftragte ihn das Wien Museum mit der Neukonzeption
der permanenten Ausstellungen in der Mozartwohnung und im Haydnhaus.

Chefkuratorin Dr. Felicitas Heimann-Jelinek verlässt das Museum

Getrennte Wege gehen das Jüdische Museum Wien (JMW) und seine bisherige
Chefkuratorin, Dr. Felicitas Heimann-Jelinek. Der Dienstvertrag wurde im
beiderseitigen Einverständnis per 31. 3. 2011 aufgelöst. Dr. Heimann-Jelinek
verlässt das JMW auf eigenen Wunsch. Sie will sich in Zukunft verstärkt der
wissenschaftlichen Arbeit im akademischen Bereich und der
Kuratoren-Tätigkeit widmen. „Hinter mir liegt eine schöne, aber auch höchst
intensive Zeit. Ich möchte mich bei dem Team, mit dem ich so viel erleben
durfte, für seine Zuverlässigkeit und seinen Einsatz bedanken und auch der
Stadt Wien, die dieses Museum und viele seiner Erfolge ermöglicht hat, meine
Anerkennung aussprechen“, so Heimann-Jelinek.

Die neue künstlerische Leiterin des Jüdischen Museums Wien, Dr. Danielle
Spera, bedauert die Entscheidung Heimann-Jelineks. Spera betont, „dass die
hohe wissenschaftliche Qualifikation von Felicitas Heimann-Jelinek die
Positionierung des Museums lange Jahre geprägt hat.“ Als Chefkuratorin und
ausgewiesene Museologin zeichnete Heimann-Jelinek im Jüdischen Museum Wien
unter anderem für die Betreuung der Sammlungen, die Konzeption der
bisherigen Dauerausstellungen und eine Vielzahl der auch international immer
wieder Aufsehen erregenden Ausstellungen des Hauses – von der
Eröffnungsausstellung „Hier hat Teitelbaum gewohnt“ 1993 bis zur vorerst
letzten Ausstellung im Haupthaus „Die Türken in Wien. Geschichte einer
jüdischen Gemeinde“ 2010/11 - verantwortlich.

„Die von Frau Dr. Heimann-Jelinek betreuten Ausstellungen waren immer
geprägt von gesellschaftspolitisch relevanten Diskursen, exakten
wissenschaftlichen Recherchen und hohem ästhetischen Anspruch. Mit ihrer
Fachkompetenz und ihrer wissenschaftlichen und kommunikativen Arbeit hat sie
wesentlich zur international hervorragenden Position des Jüdischen Museums
Wien beigetragen“, so Wien Holding-Geschäftsführer Peter Hanke. Die
Entscheidung Dr. Heimann-Jelineks, ihre Tätigkeit im Jüdischen Museum Wien
zu beenden, wurde auch vom Aufsichtsrat des JMW mit Bedauern zur Kenntnis
genommen.

Felicitas Heimann-Jelinek verläßt das Jüdische Museum der Stadt Wien

Noch ist nur die APA-Meldung in den Medien zu lesen.  Über das Ergebnis der heutigen Aufsichtsratssitzung des Jüdischen Museum. Aus ihr geht vor allem hervor: Es gibt eine Trennung "im beiderseitigen Einverständnis", der Vorwurf, daß "Heimann-Jelinek (...)  Bilder der zerstörten Hologramme dem Vernehmen nach ohne Absprache mit der Museumsleitung im Internet veröffentlicht und die erhitzte Debatte damit losgetreten (hatte)" wird weiter erhoben, vermutlich um die "Trennung" zu legitimieren.
Felicitas Heimann-Jelinek: "Hinter mir liegt eine schöne, aber auch höchst intensive Zeit. Ich möchte mich bei dem Team, mit dem ich so viel erleben durfte, für seine Zuverlässigkeit und seinen Einsatz bedanken und auch der Stadt Wien, die dieses Museum und viele seiner Erfolge ermöglicht hat, meine Anerkennung aussprechen."
Danielle Spera stellte offenbar in der Sitzung auch die "Neuausrichtung" des Museums vor. "Vorgesehen sei", heißt es in der Aussendung, "eine permanente Schau und 'spannende Wechselausstellungen'". "Für die neue Dauerausstellung versprach sie eine 'innovative, seriöse und schrittweise Vorgangsweise'. Werner Hanak-Lettner, langjähriger Kurator des Museums, habe das Konzept dazu ausgearbeitet".
Was in der APA-Meldung etwas verwirrend formuliert ist, deutet auf eine Eröffnung von Ausstellungen im Herbst dieses Jahres hin, von denen einige als eine Art Vorstufe zu einer neuen Dauerausstellung 2012 fungieren werden. So wird für das Erdgeschoß eine Ausstellung erarbeitet, die "das Jüdisches Museum selbst in den Mittelpunkt rückt" und die "Erwartungshaltungen an eine derartige Einrichtung thematisiert".