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Montag, 18. Februar 2019

Empfehlung für einen Ausstellungsbesuch: "Lager Liebenau. Ein Ort verdichteter Geschichte". Stadtmuseum Graz

1940 wurde in Graz, im Stadtteil Liebenau, am linken Murufer, ein Lager für umgesiedelte Volksdeutsche errichtet. Danach wurden dort ausländische Arbeitskräfte und später auch Kriegsgefangene untergebracht, die zumeist in der Rüstungsindustrie tätig waren. Mit bis zu 5000  Personen war das Lager das größte Zwangsarbeiterlager in Graz.
Im April 1945 waren hier kurze Zeit ungarische Juden untergebracht, die zuvor zum Bau des Südostwalls herangezogen wurden und sich auf einem Todesmarsch ins KZ Mauthausen befanden. 3Viele von ihnen wurdem Lager ermordet. 53 Leichen, von denen 34 Leichen Schußwunden aufwiesen, wurden nach dem Krieg exhumiert und 46 davon am Jüdischen Friedhof Graz beigesetzt. Bereits damals war klar, dass es sich hierbei nur um eine Teil der insgesamt 150 vermuteten Leichen handelt.
In den Liebenauer Prozessen im September 1947 vor einem britischen Militärgericht wurden gegen vier Lageraufseher zwei Todesurteile, eine Haftstrafe und ein Freispruch ausgesprochen. Die beiden Todesurteile gegen Frühwirt und Pichler wurden am 15. Oktober 1947 vollstreckt.
Unmittelbar nach dem Krieg befand sich auf dem Gelände das Flüchtlingslager Am Grünanger. Mit der Zeit wurde das Areal weitgehend verbaut, nur kleine Teile blieben ungenutzt oder wurden neben der Mur zum Augebiet. Im Zuge der Bauarbeiten zum Kraftwerk Graz-Puntigam stieß man immer wieder auf Reste des Lagers, die archäologisch beforscht werden.
Eine Gedenkinitiative Graz-Liebenau bemüht sich seither darum, daß am Ort des Lagers eine Gedenkstätte mit einem Museum errichtet wird, welches auch die Dimension des „Lagerarchipels Liebenau“ für rund zehntausende ZwangsarbeiterInnen veranschaulicht. (https://gedenken-liebenau.at/gedenkinitiative-graz-liebenau.phtml).
Die Stadt Graz hält ein so umfassendes Gedenken für nicht nötig und plant die Aufstellung von Informationstafeln, eines Kunstwerkes und eine Dauerausstellung auf dem Areal.
Nun hat das Graz-Museum eine Ausstellung eröffnet, die die Geschichte des Lagers umfassend dokumentiert. "Lager Liebenau. Ein Ort verdichteter Geschichte". Die Ausstellung wird bis zum 8.4.2019 zu sehen sein. (https://www.grazmuseum.at/ausstellung/lager-liebenau/)


Fotos GF, 2019

Dienstag, 3. Mai 2016

Eine schnelle Ausstellung. "Schloßbergphanatsien" im GrazMuseum


Sieben Minuten veranschlagte der um ein Mehrfaches länger eröffnungsredende Direktor für den Besuch der Einraum-Aussetllung. Im Zentrum: ein Schloßbergmodell des frühen 19.Jahrhunderts. Drumherum eineige sogenannte Utopien für die Bebaung und Nutzung des Grazer Wahrzeichnes. Da darf dann auch schon die komerzielle Nutzung der Eingeweide des Berges für eine Vinothek als Utopie gelten. Für eine historische Erläuterung des Schloßberges ist auch nicht so viel Platz und schon hat man alles gesehen. Von welcher Ausstellung kann man das schon sagen? Und eine Rezension zu Lesen braucht kaum länger als der Ausstellungsbesuch.
Der Tourismus hat die Restaurierung des Modells gesponsert und hofft auf strömende Touristen, die listigerweise auch bei geschlossenem Museum von der Straße aus einen Blick werfen können. Dafür hat das Museum jenen der Kassa vorgelagerten kleinen Raumkomplex geopfert, der bislang für auch kurzfristige und zugespitzte Statements verwendet wurde. Jetzt aber auf kommt hier das wichtigste Objekt der Sammlung sozusagen zur Ruhe. Auf Dauer und für sieben Minuten.

Samstag, 7. September 2013

Wien Museum. Das Protokoll der Standortenquete ist online

Als der Wiener Kulturstadtrat Mailath-Pokorny die Enquete zum Wien Museum schloß, würdigte er die Transparenz, mit die Diskussion geführt werde. Das Ergebnis der Enquete, geschweige denn ihr Protokoll wurden nie veröffentlicht.
Martin Fritz hat einen Fund gemacht und nun kann man die 58seitige Dokumentation nachlese: http://publik.tuwien.ac.at/files/PubDat_213991.pdf

Was mir beim Querlesen besonders aufgefallen ist, ist der Mangel an sachlich fundierten Argumenten. Stattdessen gibt es viel Meinung. Das zweite ist die Dominanz der städtebaulichen und architektonischen Fragen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Konzept und Programm des Museums fand kaum statt.

Sonntag, 20. März 2011

Dienstag, 15. März 2011

Husten (Texte im Museum 190)

Ausstellung "Grazgeflüster" 2011(Seit 15.3.) Oben: Dokumente aus der Klage von C. Wabl, rechts: Originalhusten. Unten: Text

Sonntag, 9. Januar 2011

Altonaer Museum. "Wir sind Museum".

Eine bemerkenswerte Entwicklung bahnt sich bezüglich des Altonaer Museums in Hamburg an. Die Bürgerinitiative “Altonaer Museum bleibt!” hat gestern, am 8.1., damit begonnen, die Bürger - also sich selbst - in die Beratungen und Entwicklungen einzubeziehen: Wir wollen die Wünsche und Ideen der Bürgerinnen und Bürger, der Nutzer, der Öffentlichkeit einbringen in das vielfältige Konzert der ExpertInnen und “Museumologen” (sic!), der ParteipolitikerInnen und diversen “Entscheider”. Die Sache ist zu wichtig, als dass wir sie ihnen überlassen können. Es ist unsere Sache!

Wunderbar, sage ich mir, das ist etwas anderes als Partizipation, der ja immer auch etwas patrimoniales anhaftet, die immer das Einverständnis derjenigen voraussetzt, die Partizipation zulassen und deren Grenzen festlegen. Hier gehts um Selbstermächtigung einer zivilgesellschaftlichen Öffentlichkeit, die völlig zu recht sagt: das ist unsere Sache, sie geht uns an, wir reden und entscheiden mit.

"Unsere Sache", das ist das "Ding der Gemeinschaft", die öffentlichen Angelegenheiten, res publica, etwas was konkret und imaginär zugleich ist, die Summe alles dessen was uns betrifft; was die Altonaer da beginnen (oder schon längst begonnen haben) ist also 'republikanisch', führt zu den Wurzeln eines Verständnisses von Gesellschaft und Staat, das sich um das alle verpflichtende gemeinsame Wohlergehen zentriert. In diesem Fall um das Weiterbestehen aber vor allem auch die Aufgaben eines - ihres - Museums.

Die kulturellen Güter, die beni culturali, das patrimoine, Heritage, Erbe, sind ebenfalls Dinge der Gemeinschaft, Dinge, die um die diese Gemeinschaft sich sammelt (im Thing, der altgermanischen Volks- und Gerichtsversammlung, ist der Zusammenhang evident), Dinge, die sie aber auch repräsentiert und die sie nutzt, um sich über sich selbst zu verständigen.

Die Altonaer haben sich im Museum getroffen. Wie die Balance zwischen dem Museum, seiner Leitung und den Kuratoren einerseits und der Bürgerversammlung andrerseits aussieht, weiß ich nicht. Jedenfalls ist damit die Machtbeziehung Publikum / Bevölkerung - Politik - Museum neu definiert. Denn im Grunde ist die 'staatliche Gewalt' (ein Kultursenator usw.) immer nur ein Treuhänder gesellschaftlicher Willensbildung. Aber wo diese nicht stattfindet - und wann und wo findet die im Feld der Kultur, beim Museum denn statt? - bekommen die Politiker die Entscheidungsmacht. Das sieht jetzt anders aus. Die Suche und das Verhandeln darüber, was 'unsere Sache' ist, wird die Politik in ganz andrer Weise verpflichten, als das bisher denkbar war. Und es wird auch die Frage auftauchen, wie sich das Verhältnis zwischen 'Bewegung' und 'Institution' gestaltet und ob nicht auch ein Museumsdirektor ein Treuhänder ist...

Ich bin gespannt.

Montag, 27. Dezember 2010

Über Stadtmuseen oder Wie (nicht nur anlässlich des Wien Museums) über einen sonderbar kriselnden Typ von Museum diskutiert werden könnte.

 1
Stadtmuseen leisten sich kleine Identitätskrisen. Das zeigten zwei Tagungen, die in jüngerer Zeit in Berlin und in Graz stattgefunden haben. Das Selbstwertgefühl dieser Museen schrumpft, wenn sie sich mit anderen, von Medien und Publikum verwöhnteren Museumstypen vergleichen und auch angesichts der schwindenden finanziellen Mittel der öffentlichen Hand. Davon sind nun gewiss nicht nur Stadtmuseen betroffen, aber es ist vielleicht kein Zufall, daß das erste bedeutendere Museum, das in Deutschland geschlossen werden sollte, ein Stadtmuseum war. Das Altonaer Museum in Hamburg war eins jener typischen lokalhistorischen Museen, die sehr heterogene Sammlungen haben und die sich chancenlos glauben im Wettbewerb gegen neue Gründungen und Konzepte.
Hamburg etwa forciert das Stadtmarketing, und das mit beträchtlicher Auswirkung auf traditionelle Institutionen (Museen, Theater, Bibliotheken, Kinderkultur), denen Einsparungen bis an den Rand des Verkraftbaren zugemutet werden, während spektakuläre, zum Teil private Initiativen, sehr hohe Summen von der Stadt bekamen. Das betraf und betrifft auch weit über Hamburg hinaus bekannte und wirkende Einrichtungen, wie das Deutsche Schauspielhaus oder die Kunsthalle.  Am Beispiel Hamburg wird auch klar, daß es nicht ums Sparen geht, sondern um ein anderes Verteilen der Mittel als bisher. Die prestigeträchtige „Elphilahrmonie“, die eine neue kulturelle Identität Hamburgs als ‚Musikstadt’ beschaffen soll, wird Unsummen bis zur Fertigstellung verschlingen. Die privaten Museen, Schiffahrtsmuseum und Ballin-Stadt, haben sehr hohe Anschubfinanzierungen bekommen und jetzt dürfte die Stadt große Mittel zum Ankauf einer privaten Sammlung zeitgenössischer Kunst locker machen. An traditionellen Institutionen wird der Rotstift angesetzt.
Hamburg ist sicherlich ein besonderer Fall – noch. Man kann an ihm lernen, wie gleichgültig und rücksichtslos eine komplett von wirtschaftlichen Imperativen beherrschte Politik werden kann. Und wie sich Hand in Hand damit ein ideologischer Wandel vollzieht, weniger aufmerksam beobachtet, weniger scharf analysiert als medienträchtige ‚skandalisierbare’ Einsparungsbeschlüsse. Lange aufgebaute kulturelle Vereinbarungen brechen weg oder werden mit einem Handstrich weggewischt und neue etabliert: der ideologisch fragwürdigen Schifffahrtssammlung einen prominenten Platz in der boomenden Speicherstadt einzuräumen und gleichzeitig die traditionellen historischen Museen auf Hungerration zu setzen, ist mehr als nur als ‚Sparsamkeit’, sondern eine zur ökonomischen parallel laufende ideologische Umverteilung.
In einer solchen Situation sind die Institutionen gezwungen, ihre Daseinsberechtigung zu überprüfen, unter Umständen neu zu formulieren und ihre Bedeutung für ihr Publikum praktisch zu beweisen. In Hamburg ist immerhin eine anhaltende Mobilisierung gelungen, die zu einer Lockerung der Sparauflagen – nicht zu deren Aufhebung – geführt hat. Noch interessanter war, daß sich jener ‚Bürgersinn’ formiert hat, dem ja die meisten der erwähnten Einrichtungen ihre Gründung verdanken. Mehr noch und weitaus freier als die der Administration unterstellten Einrichtungen selbst, können Bürgerforen zu herausfordernden Kontrahenten der Politik werden. Das zeigte sich grade an der Entwicklung der Stiftung historischer Museen (zu der das Altonaer Museum gehört und auf das der Sparimperativ ‚verteilt’ wurde, um das Altonaer Museum – vorerst – zu ‚retten’), wo sich ein offenbar nachhaltiger ziviler Ungehorsam etabliert hat. Daß nun die Koalition aus CDU und Grünen in der Stadtregierung gescheitert ist, hat mehrere Gründe, aber das Desaster der Kulturpolitik dieser Koalition hat eine Rolle gespielt. Grund zur Hoffnung?

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Aus der Hamburger Entwicklung lassen sich eine Reihe von Lehren ziehen, keine aber, wie mir scheint, die eine Antwort auf die eingangs benannte ‚Krise’ der Stadtmuseen bietet. Das Altonaer Museum war um 1900 eine inhaltlich, medial und methodisch hochinnovative (ideologisch dagegen problematisch durchwachsene) Gründung, die weit über die Region und Deutschland hinaus Modellcharakter hatte. Von der Resonanz, die das Museum damals hatte, kann man sich kaum eine Vorstellung machen, der enorme Anfangserfolg ermöglichte sogar eine erhebliche, der Gründung rasch folgende bauliche und sammlungspolitische Erweiterung. Das Museum der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts muß ein vitaler sozialer und kultureller Umschlagplatz gewesen sein. Auf Kongressen wurde es als nachahmenswertes Beispiel herumgereicht und sein Leiter und ‚Erfinder’ wurde von weit her eingeladen, um das Museumskonzept zu erläutern.
Was es heute im Altonaer Museum zu sehen gibt (ich war erst vor wenigen Monaten und zufällig wenige Wochen vor dem politischen Entscheid, es mit Jahresende zu schließen, dort), erinnerte an diese Vitalität nicht mehr. Das war ein spärlich besuchtes Haus, durch dessen vielfältige Sammlungen kein rechter Zusammenhang, keine rechte Haltung mehr erkennbar war. Manche der Sammlungen der Museums-Gründungszeit hatten sich wie Denkmäler ihrer selbst erhalten, interessant anzuschauen für jemanden wie mich, der an der Geschichte von Museen interessiert ist. Sperrige, unklare Übergänge, offensichtlich fragmentierte Ausstellungsteile vermittelten den Eindruck, daß das Museum ein Notprogramm fuhr, was dann auch durch eine kleine Ausstellung bestätigt wurde, in der der politische Umgang mit dem Museum direkt thematisiert wurde.
Einerseits war das eine schon recht verzweifelte Aktion, in die die Ohnmacht des Museums eingeschrieben war, direkt aus dem Museum heraus gegen die Förderpolitik zu polemisieren. Andrerseits warf der in Form einer Ausstellung erhobene Notschrei der Kuratoren die Frage auf, warum das Museum offenbar alleine war oder sich alleingelassen fühlte und (bis dahin) keine öffentliche Mobilisierung angestoßen hatte.
Diese setzte ein, als es ernst wurde und der alle überraschende Schließungsauftrag erteilt wurde - jetzt mobilisierten das Museum u n d die Bevölkerung. Und mit Erfolg. Jetzt entstand jene zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit, die auf die Bedeutung des Museums hinwies, zum Beispiel auf die Funktion des Museums als lokal bedeutsamer kultureller und sozialer Raum, wo die Erinnerung an Altonas kommunale Selbständigkeit (zur Zeit der Museumsgründung) in Form eines wiedererwachenden lokalen Geschichtsbewußtseins erneuert wurde. Mit welcher Nachhaltigkeit das alles ausgestattet ist, das wird man sehen.

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Wenn ich über Stadtmuseen nachdenke und über Ihre Besonderheit, also auch darüber, worin ihre ‚besondere’ Krise denn liegen könnte, dann denke ich am ehesten genau an diese Wechselbeziehung von Museum und gesellschaftlichem Umfeld. Jedes Museum hat sein Publikum, hat es vielleicht organisiert, in Museumsvereinen, hat möglicherweise Veranstaltungen, Events usw., um es an sich zu binden, seine Loyalität zu pflegen. Aber bei keinem Museumstyp ist diese Wechselbeziehung so zwingend, wie bei den Stadtmuseen.
Einer meiner kunsthistorischen Lehrer hat das Wiener Kunsthistorische Museum (und er meinte es sicher nicht herablassend), ein „gutes zweitklassiges“ genannt. Gemeint war damit die Sammlung, ihre Bedeutung im Kanon der kulturellen Werte. Da hat dieses Museum nun mal nicht jene Dichte an erstrangigen Gemälden und nicht jene Repräsentativität der diversen Epochen und Schulen wie etwa die National Gallery in London oder der Madrider Prado.
Was ich damit sagen will, dieser Museumstyp hat ein Bezugssystem, das außerhalb jeder politischen Topografie liegt und das allein seine Situierung im Feld der kulturellen Werte bestimmt. Selbstverständlich ist es (auf eine widersprüchliche Weise) das ‚österreichische’ (und damit eine Art ‚nationales’) Museum, aber es könnte seinen ‚Platz’ wechseln, ohne daß dessen Bedeutung Schaden nimmt. So wie es ja auch neuerdings geschieht und der Louvre (Teile davon) nach Dubai geht oder die Eremitage nach Amsterdam. Das ist denkbar. (Das wäre auch bei einem technischen Museum denkbar, bei einem naturhistorischen usw.).
Sich das Musée Carnavalet nach Stockholm oder das Amsterdams Historisch Museum nach Dresden versetzt zu denken, wäre blanker Unsinn. Diese Museen sind mit dem ‚Ort’, an dem sie sich befinden in einer so vielfältigen Weise verbunden, daß sie auch nur an diesem Ort Sinn machen.
Umgekehrt kann man sich fragen, ob man es dem ‚Ort anmerken würde’, wenn diese Museen einfach verschwinden würde – würde man es Paris oder Amsterdam anmerken, oder Altona? Oder Wien? Andersrum gefragt: spiegeln diese Museen etwas von den für ihre Existenz notwenigen sozialen, topografischen, historischen, politischen usw. Kontexten dem Ort zurück, der Bevölkerung, ihrem Publikum?

Wenn ich in Paris bin, versäume ich es möglichst nie, ins Musée Carnavalet zu gehen. Das hat sehr viel mit einer besonderen Art von Nostalgie zu tun, mit der einem Geschichte hier entgegentritt. Das von einem Massenpublikum verschonte, ein wenig verträumte, ausstellungstechnisch altmodische Museum, habe ich als ein Puppenhaus der Vergangenheit in Erinnerung. Es ist ein Gang durch die bekannte Enfilade der kulturgeschichtlichen Epochen, die mit der für viele Stadtmuseen typischen Exponatklasse instrumentiert wird, die aber auch eine ihrer Hypotheken ist. Möbel und Kleider, Kandelaber und Degen, Tafelsilber und Memorabilia, Gemälde und Stiche, Rüstungen und Porzellan, Ansichtskarten und Schreibtische, Geräte und Uhren...
Der leise Ton der vergangenen und beruhigten Zeiten liegt auch über jener Epoche, die so ganz und gar das Gegenteil von ruhig und beherrschbar war. Die wenigen Räume, die der Großen Revolution gewidmet sind, erzählen sie aus der Perspektive der kleinen Dinge. Die Aktentasche Bareres, die Bastille als Nippes, der Abbruch einer Kirche als Kabinettstück. Die Revolution – ein kunstgewerbliches Arrangement mit nostalgischem Charme.

Nicht viel anders ging es mir kürzlich in Amsterdam. Auch dieses Stadtmuseum besuche ich immer und immer wieder. Und jedesmal bin ich von der komplizierten Wegführung veblüfft und eingeschüchtert, die einen durch vier (oder mehr?) Geschosse führt, auf und ab, bis man jede Orientierung verwirrt hat und sich mit eiserner Entschlossenheit dem Leitsystem ausliefern muss, will man nicht verloren gehen zwischen den Gruppenporträts des ‚Goldenen Zeitalters’, der Darstellung der langsamen ‚Landnahme’ der Stadt an der Amstel oder der bemerkenswert ausführlichen Dokumentation der sozialfürsorglichen Institutionen der historischen Zeit.
Für hartnäckige Museumskunden läßt sich, wenn man zwischen den Zeilen liest und die fordernde Qualität der Gemälde gegen den Strich liest, manches erfahren über die sozialen und politischen Grundlagen des Goldenen Zeitalters, darüber, daß etwa fünf Familien die Niederlande ‚regierten’, oder daß in Amsterdam die größte Schiffswerft der Welt stand, die potenter war als das Arsenal in Venedig wo man immerhin zeitweilig ein Schiff pro Tag fertigstellen konnte. Da kann man, wenn man scharf aufpasst, weit auseinanderliegende Informationen zusammenfügen, etwa, daß die mindersten, gesundheitsschädlichen Arbeiten in der Werft von Waisen verrichtet wurden, die gegen Geld vermietet wurden. Das relativiert dann ein wenig den Glanz der Münzen, die den Altruismus des Bürgertums auf großformatigen Gemälden feiern.
Nur – was hat das mit Amsterdam zu tun?

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Ist das die Stadt, die ich besuche? Ist das die Stadt, in der die Amsterdamer leben. Schön, ganz am Schluß des Rundganges (wenn man sich bis dahin nicht im Labyrinth der Räume verheddert hat), da kommen die vor, die Amsterdamer, in ihrer ethnischen, dem Kolonialismus geschuldeten Buntheit, mit ihren Geschichten, ihren Ansichten, ihren Sorgen. Gleich daneben geht’s dann auch (ein ganz klein wenig) um Drogen, um den Verkehr, die Stadtplanung und – Ajax Amsterdam. Ich lerne (in einem Kurzfilm, der zugleich ein schönes Stück Kulturgeschichte des Fußballs darstellt), daß das ‚niederländische System’ den Spitzen-Weltfußball prägt. As you may know: Bayern München, FC Barcelona...
Das wahre Stadtmuseum finde ich (diesmal) in einem ganz anderen Museum, das allerdings auch ‚Stadt’museum heißt, aber eigentlich ein (eins der bedeutendsten) Museum Moderner Kunst ist. Die nagelneue Direktorin hat sich entschlossen, die wegen Umbau und neuem Zubau jahrelange Schließzeit des Stedelijk Museum kurzfristig zu unterbrechen. Es gibt im Haus eine Reihe von Installationen, den großen Saal im Stockwerk hat Barbara Kruger mit einer ihrer monumentalen Textinterventionen erobert. In ihrer Nachbarschaft gibt es einige interessante, witzige, bemühte Reflexionen des Museums als solches. Roman Ondrak läßt die Besucher vermessen, Luise Lawler hat aus den Namen ihrer männlichen Künstlerkollegen ein irrwitziges Vogelgezwitscher collagiert und Willem de Rooij hat, nachdem er das 1993 schon mal gemacht hat, 2010 noch einmal die leeren Ecken der Ausstellungssäle fotografiert...
Im Erdgeschoß aber sind unter dem Titel Monumetalism Arbeiten von in Amsterdam lebenden, jungen Künstlerinnen und Künstlern zu sehen. Was für eine Ausstellung! Keines der großen und brennenden Zeitthemen wird ausgespart, Nationalismus, die Ökonomie des Kleptokapitalismus, Alterität und Identität, die Traumata der Kolonialzeit, postkommunistische Erinnerung. Und all das in ästhetisch wie intellektuell fordernden, vielschichtigen Arbeiten. Eine Ausstellung, die derart dicht an der Zeit, so ermutigend reflexiv agiert, habe ich noch nie gesehen.
Sicher, die Ausstellung könnte auch in München oder in Mailand gezeigt werden, aber es ist, jedenfalls war es das für mich, auch eine Ausstellung, die etwas über die Stadt Amsterdam (vielleicht über Stadt überhaupt) aussagte: über die Kraft und das (künstlerische) Potential, Gegenwart analytisch zu erfassen und zur Diskussion zu stellen.
Das hier war das Amsterdamer Stadtmuseum. So stelle ich mir ein Stadtmuseum (auch) vor.
Und noch in einer anderen Hinsicht war die Ausstellung bemerkenswert. Monumentalism verhandelte, wie ihr Untertitel bedeutete, Geschichte und nationale Identität in der zeitgenössichen Kunst und – sie bestand (als ein jährlich wiederkehrendes Ausstellungsritual) aus den „Proposals for Municipial Art Acquisitions 2010“, war also die Ausstellung, die, von der Stadt Amsterdam gefördert, die – öffentlich sichtbare und zur Diskussion gestellte – Grundlage der Erwerbungen des Stedelijk Museum 2010 bildete.
Die Ausstellung realisierte also ein Stück weit jene einzigartige Beziehung von Museum, Ort und Öffentlichkeit, die Stadtmuseen womöglich ausmacht – und das aktiv und von sich aus und auf den Ebenen Werk, Zeitbezug und Kommunikation zugleich.
So einfach / schwierig kann’s sein...

Mittwoch, 28. April 2010

Partizipation. Call for Papers des Historischen Museum Frankfurt

Ich bin von Mitarbeiterinnen des Historischen Museums Frankfurt gebeten worden, diesen Call for Papers zu verbreiten - was ich hiemit gerne tue. GF

// Call for Papers //
Arbeitstagung vom 18.-19.11.2010 

Gegenwartsthemen ausstellen
Zwischen Partizipation und user generated content – eine Herausforderung für das
Stadtmuseum des 21. Jahrhunderts


Das historische museum frankfurt plant im Rahmen seiner Neukonzeption neben einer stadtgeschichtlichen Dauerausstellung einen Ausstellungsbereich zu Gegenwart und Zukunft der Stadt Frankfurt. Das Stadtlaboratorium wird in Zusammenarbeit mit seinen Besuchern bzw. Benutzern erarbeitet.
Die Arbeitstagung richtet sich an Experten und Kollegen, die Gegenwarts-und Zukunftsthemen in Kooperation mit Communities erarbeiten und ausstellen bzw. an Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungsarbeiten das im Titel umrissene Themenspektrum beinhalten.

Partizipativ ausstellen
Während der Arbeitstagung wird das „partizipative Museum“ sowohl in theoretischer Perspektive als auch an Hand von vielfältigen Praxisbeispielen erörtert werden.
Ihre Wurzeln findet die Idee der „Bevölkerungsbeteiligung“ bereits im 19. Jahrhundert und setzt sich schließlich in den 1970er Jahren unter Einbezug des lebensweltlichen Kontextes durch
(z.B. im Écomusée, Georges Henri Rivière).
Für ein Stadtmuseum einer kleinen Metropolregion zu Beginn des 21. Jahrhunderts stellen sich jedoch manche Fragen anders, denen wir in einer ersten Themeneinheit nachgehen wollen: Wie gelingt der Anspruch, eine reale und nachhaltige Teilhabe und Mitbestimmung im Ausstellungsprozess umzusetzen? Welche Haltung kann, soll oder muss das Museum (auch als städtische Institution) einnehmen, wenn es mit gesellschaftlichen und politischen Konfliktthemen umzugehen hat, die von seinen Kooperationspartnern eingebracht werden? Wie gelingt die Balance zwischen einer kooperativen Ausstellungskonzeption und dem gleichzeitigen Qualitätsanspruch der Bildungsinstitution? Versprechen solche Co-Creation-Prozesse weitere Mehrwerte, als jene, Reflexionen über eigene soziokulturelle Praxen anzustellen und Identitätsangebote in der unsicheren Moderne zu schaffen? Ist es ein Marketinginstrument? Wie können Museumsbesucher aktiv Ausstellungsinhalte mitbestimmen und erarbeiten, ohne dass die Museumskuratoren zu reinen Facility Managern werden? Laufen wir Gefahr, wie Udo Gösswald, Leiter des Berliner Bezirksmuseums Neukölln, auf der Tagung der Berliner Stadtmuseen im April 2009 warnte, durch eine unnötige „Amateurisierung“ die Museumsarbeit zu entwerten? Oder verändern sich die Rollen dahingegen, dass der Kurator zu einem „Vermittler, Moderator und Übersetzer“ und der Besucher zum „Lernenden, Lehrenden, Betrachter und Betrachteten“ wird (Beat Hächler, Co-Leitung Stapferhaus Lenzburg)? Schließlich sind in diesem partizipativen Anspruch die Forderungen nach der interkulturellen Öffnung einer deutschen Bildungsinstitution sowie nach einem niedrig schwelligen Zugang für bildungsferne Milieus verwoben.
Praktisch möchten wir den Austausch anregen: Welche Erfahrungen wurden bereits mit partizipativen Ausstellungsprojekten gemacht und welche Resümees können daraus für die konkrete Umsetzung gezogen werden? Welche Partizipationsformen und -methoden wie z. B. „open space“ und „world café“ haben sich bewährt, welche sind als problematisch zu bewerten?
Gegenwart ausstellen

In einer zweiten Themeneinheit wird der Blick auf das Ausstellen von Gegenwartsthemen in einem Stadtgeschichtlichen Museum gerichtet. Das Stadtlabor, in dem über die Gegenwart und Zukunft des alltäglichen Lebens in der Stadt reflektiert und verhandelt werden soll, fordert ähnliche aber auch andere Ausstellungsweisen sowie Kommunikations-und Interaktionformen heraus, als es kultur-und sozialgeschichtliche Ausstellungen tun. Der Begriff der „sozialen Szenografie“ will den offenen Interaktionsprozess zwischen Besucher, Ausstellungsmacher, Personal, Objekt und Raum auf neue Weise fassen und die Handlungen der Besucher selbst als Ausstellungsinhalt und -bestandteil nutzbar machen. Innerhalb des diskursiven Stadtlabors gilt es, sich mit soziokulturellen und politischen Gegenwartsthemen der Stadtgesellschaft auseinanderzusetzen, um die Gegenwart zu gestalten und die Zukunft anzudenken. Es geht also um Alltagsthemen der Gegenwart, die in die individuelle oder kollektive Vergangenheit in Form von Erinnerung und Geschichte als auch in das Zukünftige eingebettet sind, in dem sich persönliche als auch gesellschaftlich geteilte Visionen und Entwicklungsoptionen zeigen. Es sind Themen, die sich in einem aktuellen Diskurs befinden, möglicherweise aber in ihrem gesellschaftlichen Aushandlungsprozess begrifflich noch nicht gefasst sind.
Welche Themen als relevant zu betrachten sind, gilt es zu klären. Sie sind nach Entscheidungskriterien zu bestimmen, die zu entwickeln Gottfried Fliedl als „nicht auflösbares Dilemma“ bezeichnete. Möglicherweise ist auch dies nur in Form eines partizipativen Aushandlungsprozesses und einer sensiblen Aufmerksamkeit für aktuelle Themen denkbar – vergleichbar mit Arbeitsweisen der Szene-Scouts.
Fragen, die Anlass geben über Gegenwartsausstellungen nachzudenken, sind außerdem: Was leisten Ausstellungen über Gegenwartsthemen im Vergleich zu der alltäglichen medialen Berichterstattung? Wie kann die Gegenwart diskursiv verhandelt werden? Welche theoretischen Positionen greifen hierfür? Wie lassen sich kulturgeschichtliche Ausstellungen mit gegenwartsbezogenen Ausstellungsräumen verschränken? Welche Folgen für die Museen hat das Konzept der partizipativen Gegenwartsausstellung für die klassischen Funktionen sammeln, bewahren, ausstellen, vermitteln?
Für 2011 ist eine Folgeveranstaltung in der Schweiz angedacht. Beide Tagungen sollen in einem Tagungsband dokumentiert werden.

Call for Papers: Einsendeschluss 15. August 2010
Detailprogramm ab Mitte September 2010
Für Fragen und Anregungen
Susanne Gesser (susanne.gesser@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 35633) und Katja Weber (katja.weber@stadt-frankfurt.de, Tel: 069 212 33814)
historisches museum frankfurt
Saalgasse 19 (Römerberg) 60311 Frankfurt am Main Tagungsseite: http://www.historisches-museum-frankfurt.de/index.php?article_id=190&clang=0
Bitte schicken Sie Ihre Exposés (1-3 Seiten) an:
katja.weber@stadt-frankfurt.de

Dienstag, 30. März 2010

Stadtmuseen im Umbau? Zu einer Tagung in Graz

Die folgenden Überlegungen sind nicht als Protokoll oder als Bericht gedacht; als Moderator der Veranstaltung war ich viel zu sehr involviert, als daß ich objektivierende Distanz im Nachhinein wahren könnte. ich möchte das auch gar nicht. Meine eigene Neugier wird von einer dichten Diskussion, wie sie diesmal zustandekam, abgelenkt und inspiriert, zerstreut und gesammelt. 
Ich spreche hier von dem, was mich interessiert hat, was mir aufgefallen ist und woran ich Lust hatte und habe, weiterzudenken. Ein Protokol müsste allen Wortmeldungen gerecht werden, eine Bericht eine gewisse Vollständigkeit haben. Beides versuche ich erst gar nicht. Ich wünsche mir, daß die Diskussion weitergeht.

Der Untertitel der Berliner Tagung „Die Stadt und ihr Gedächtnis“, "Zur Zukunft der Stadtmuseen“ (23./24.April 2009) signalisierte weniger Aufbruch, denn Sorge, wie diese Zukunft aussehen könnte und sollte. Von Krise und Scheideweg war in einem Tagungsbericht zu lesen, wobei die Krisensymptome nicht unbedingt nur für Stadtmuseen zutreffen: Wegbrechen eines bürgerlichen Bildungspublikums, Probleme der Finanzierung aus immer leerer werdenden kommunalen Kassen, Verschärfung der Konkurrenz zu medial gehätschelten Großmuseen.
Was an Krise genau nur der Stadtmuseen auszumachen ist, scheint ein schrumpfendes Selbstbewusstsein zu sein. ‚Klein‘, ‚provinziell‘, unbeachtet', und ‚Endlager schwach strahlende Dinge‘ (Peter Sloterdijk), das kränkt nicht als Außensicht, sondern verstört als Selbsteinschätzung.

Eine Folgeveranstaltung in Graz nahm den Krisendiskurs mit etwas verschärfter Rhetorik noch einmal an. „Im Umbau ratlos?“ war das Kernstück des Titels, unter dem vor allem Leiter und Mitarbeiter von Stadtmuseen vertreten sein sollten, die sich in Neugründung oder Umplanung befinden und Vertreter diverser Wissenschaftsdisziplinen, deren Forschungen die Diskussion verbreitern und unterstützen sollte.
Gastgeber war das Stadtmuseum in Graz in Kooperation mit der Museumsakademie des Universalmuseum Joanneum. Das Grazer Museum ist ein Anschauungsbeispiel für die genannten Symptome. In bescheidenen Räumen und mit bescheidener Sammlung soll hier eine neue Dauerausstellung auf Wunsch der Politik realisiert werden, die aber viel zu knappe Mittel bereitstellt. Und die Konkurrenzsituation ist ohnehin singulär. Das Landesmuseum – seit kurzem ein ‚Universalmuseum‘ -, ein Museumskonzern, neben dem in der Steiermark und erst recht in der Hauptstadt jedes andere Museum buchstäblich klein aussieht, konkurriert thematisch und um ein- und dieselben Besucher, und das mit ungleich mehr Ressourcen. Das Frankfurter Museum hat nicht ein Museum, sondern gleich deren 60 in der Stadt als 'Rivalen'.

Konkurrenz erwächst den Stadtmuseen aber nicht nur aus anderen Museen. Das kulturelle Angebot in den Städten wächst und differenziert sich noch immer und droht historische Museen zu marginalisieren. Das Historische Museum der Stadt Wien hat unter neuer Leitung zuerst mal Name und Image geändert, aber als WienMuseum läuft es, trotz großer Sammlung, attraktiver Bestände und einem beachtlichen Mitarbeiterstab vor allem hinter Kunstmuseen, Kunsthallen und Museen Moderner Kunst hinterher. In den Medien gilt ihm noch immer nicht eine vergleichbare Aufmerksamkeit. Mit dem Auftreten von Konzernen und Privaten, die eigene Ausstellungshäuser betreiben, wurde gerade in Wien die klassische Moderne und die kanonisierte Avantgarde zum Nabel der Aufmerksamkeit.

Daß das auf der Tagung geäußerte Aperçu, daß das Alleinstellungsmerkmal der Mittelstädte ihre Mittelmäßigkeit sei, auf die diese Städte repräsentierenden Museen übergreifen könnte, ängstigt also nicht nur in Graz und Wien.
Die Krise des Stadtmuseums geht aber tiefer und wäre, präzise diagnostiziert, wohl auch ein Hinweis auf eine Lösungsstrategie: was an Wandel bedrohlich erscheint, ist nicht so sehr das, was das Museum ist, sondern was es repräsentiert beziehungsweise zusehends nicht mehr zu repräsentieren imstande ist. Der Wandel der Stadt läuft den Museen gewissermaßen thematisch davon und die Modi der musealen Repräsentation von Stadt und Stadthistorie reichen hinten und vorne nicht mehr. Die Imagepflege der Städte, ihr Branding, ihre komplexe mediale Vermarktung lassen die Bürgerstuben, die Handwerksnostalgie oder die lokalen Alltagsgeschichten der Dauerausstellungen von anno dazumal ziemlich alt aussehen.
Wie aber Stadtmuseen zu neuen Themen kommen, das war eher nicht so klar. "Dass eigentlich alles interessant ist", diese symphatische Position einer Kuratorin, hat auch die bedrohliche Kehrseite, dass dieser Wunsch nach 'totaler Repräsentation' in Erfüllung gehen könnte. Barbara Krugers Motto "Bewahre mich vor dem, was ich wünsche", möchte man der Sehnsucht nach totalisierender Wunscherfüllung entgegenhalten. Museen sind so schon bedroht von einem Erstickungstod an ihren immer weiter wachsenden Sammlungen. Wer aber, auch pro futuro, daran denkt, Kriterien der Entscheidung zu entwickeln, was gesammelt und gezeigt werden soll, kommt in ein, so weit ich sehe, nicht wirklich auflösbares Dilemma. Was künftige Generationen für bedeutsam, sehenswert oder überlieferungswürdig halten werden, wissen wir nicht. Das festlegen zu wollen, hieße auch, die Zukunft so zu präformieren wie eine künftige Generation bindende und belastende Wirtschaftspolitik. Auch das wäre ein "Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit" (Alexander Kluge).
Und ob es denn eine spezifische Themenkompetenz der Stadtmuseen gäbe, das blieb offen. Die wie selbstverständliche Aneignung des Themas "(Im)Migration" zum Beispiel - mit welcher Kompetenz und Legitimität beanspruchen Museen dieses Thema? Sind Museen zu allem geeignet oder immer das geignetste Mittel, um ein Thema zu bearbeiten und zu kommunizieren? Urbanität wurde genannt, naheliegenderweise, aber es wurde bloß Stadtplanung darunter verstanden. Was aber ist "Stadt", was war das einmal, was ist es heute, was wird es künftig sein? Wäre das nicht die 'Urfrage' für Stadtmuseen? In der möglichsten präzisen Beschreibung des Stadtwandels und seiner veränderten (Selbst)Darstellung könnte das Museum Sach- und Darstellungskompetenz zurückgewinnen.

Museen sind visuelle Medien und sie müssen sich daher so oder so im Feld des (öffentlich) Visuellen positionieren. Die Stärken des Museums liegen darin, daß es ein analoges und performatives Medium ist, darin unterscheidet es sich von anderen visuellen Medien. (Roswitha Muttenthaler). Die Kunst des Museums läge darin, Medienkompetenz bereitzustellen und zu vermitteln, sich also aktiv und produktiv auf die Rolle und Funktion von Medien einzulassen, ohne seine spezifischen Möglichkeiten zu vergessen. Können Museen Orte der kritischen Verarbeitung des (immer vielfältiger) werdenden Medienangebotes sein, könnten sie dazu beitragen, die Lesbarkeit und Deutbarkeit der visuellen Umwelt wieder herzustellen?
Dem vielberedeten Wunsch des Publikums, vorgeblich Authentizität erleben zu wollen, müsste ohne den verführerischen Rückfall in den spezifisch musealen Objektfetischismus, Ausstellen als selbstreflexiv auf seine eigene Medialität bezogen und reflektierend entgegengehalten werden.

Dieses Ziel dürfte aber nicht ohne eine zweite Perspektive angestrebt werden. Nämlich neue Formen der Kommunikation und auch der Beteiligung des Publikums zu erproben. Diese Frage wurde auf der Tagung breit diskutiert.
Stadtmuseen haben möglicherweise bessere Chancen auf Kooperationen und Einbeziehungen von bestimmten Gruppen als andere Museen. Die Tagungsdiskussion spannte die Möglichkeiten zwischen punktueller und eher an der Oberfläche ansetzender Partizipation einerseits und autonomer Museumsarbeit durch ‚Externe‘ andrerseits. Es liegt auf der Hand, daß diese Frage polarisiert – zwischen den Befürwortern einer gesellschaftlichen Öffnung einerseits und den auf ihrer Kompetenz beharrenden Kuratoren andrerseits. Schon auf der Berliner Tagung hatte Udo Gößwald davor gewarnt, daß Laien Kuratoren werden könnten. Das führe bloß zu Amateurisierung und damit Entwertung der Museumsarbeit.
Freilich, das Bild, das Museen von ihren Besuchern entwerfen, ist nicht immer ermutigend. Die abstrakte und technizistische Sprachregelung signalisiert Distanz, wenn nicht, wie in der Runde mal bemerkt wurde, Geringschätzung. Wer von 'Nutzerbedürfnissen' spricht, oder von 'bildungsfernen Schichten', sollte umgehend mit der reziproken Frage behelligt werden, wie 'besucherfern' denn das Museum selbst agiert.
Besorgeniserregend ist auch, wie sehr gelegentlich auf dieses Dilemma, ohne groß darüber nachzudenken, mit der scheinbar Besuchern entgegenkommenden Ermäßung jeglicher Bildungsanstrengung reagiert wird. Man möchte verständlicher, unterhaltender, populärer, erlebnisorientierter werden. Dieser Strategie kommen auch jüngere Entwicklungen in der Gestaltung von Museen entgegen: inszenierte, immersive Räume, wo das Erleben wichtiger ist, als die Information und Reflexion. Hier schlägt die Stunde so mancher spezialisierter Büros und einer Spielart der Szenografie, die Museumsverantwortliche mit schickem Design fürs Wohlfühlmuseum bedient. Wie diese Gestaltungen wirklch etwas zur Vermittlung von Inhalten beitragen, das will man gar nicht so genau wissen und die Verantwortung dafür, die genau an der wichtigen Schnittstelle von Museum / Publikum / Öffentlichkeit liegt, wird aus dem Museum "ausgelagert".

In der ambitioniert geführten Diskussion wurde der kleinen Utopie einer gleichsam mundgerechten, kulinarischen Verpackung anspruchsvoller Inhalte entgegengeträumt. Konkret wurde niemand, ermutigende Beispiele blieben aus. Es war aber auch von einer Unterforderung und Unterschätzung des Publikums die Rede und Felicitas Heimann-Jelinek fügte einen - für mich überraschenden aber höchst bedenkenswerten Einwand hinzu: ihr Credo sei, mit einem Publikum zu arbeiten, das von sich aus bereit sei, sich eigenverantwortlich mit Geschichte beschäftigen zu wollen. Das scheint mir eine starke Gegenposition zur Tendenz zu sein, das Publikum nur noch als Konsument von Dienstleistungen zu sehen und bedutet, dem Publikum eine Mitverantwortung am Arbeiten an der Geschichte abzuverlangen.

Das Reagieren auf Interessen und Bedürfnisse von Besuchern ist schon praktisch schwierig genug. Das Frankfurter Stadtmuseum, kann nicht der Tatsache ausweichen, daß der Römerberg, das Quartier in dem das Museum liegt, eine der touristischesten Regionen Europas ist. Und die Gründung eines Stadtmuseum Stuttgart - ohne einschlägige Tradition und von der Politik lanciert, nicht von der Bürgerschaft -, trifft, so zitierte Anja Dauschek zum Amusement der Runde, auf eine geschichtsferne Mentalität von "...konvertierten Kannibalen, die ihre Abstammung verleugnen...". Museumskuratoren in der Rolle von Missionaren, Kolonisatoren oder Ethnologen?

Mein Eindruck ist, daß in der Museumspraxis überall dort Neues entsteht, wo neue Kommunikationsformen gesucht werden. Für das neue Historische Museum in Frankfurt sind Environments und Anreize neuer Beteiligungsformen von Besuchern vorgesehen und lanciert wird dafür das Wort ‚Labor‘ (Jan Gerchow und Susanne Gesser). Das Stapferhaus Lenzburg, auf der Grazer Tagung von Beat Hächler vertreten, macht zum Beispiel Ausstellungen ohne Sammlungen. Das ist möglich mit Leihgaben, aber nicht in erster Linie mit von Institutionen erborgten, sondern von Bewohnern auf Zeit erbetenen. Mit dem ‚Tausch‘ solcher ‚Gaben‘ entsteht ein von herkömmlicher Museumsarbeit grundsätzlich unterschiedener Beziehungsmodus zwischen Institution und Publikum, und Publikum und Exponat, über den weiter nachzudenken sich unbedingt lohnt. Im Publikum wurde auch ein Museum genannt, das auf Dauer nach diesem Prinzip funktioniert, das Stadtmuseum Melbourne.

Trotz vieler einschlägiger empirischer Erhebungen, scheint es noch immer für Museen schwierig zu sein, abzuschätzen, wer das Publikum eigentlich ist und vor allem, was es will. Oder anders gesagt: wie man ein Gespür dafür entwickelt, "was gerade verhandelt wird" - und wer an diesem Verhandeln beteiligt ist.
Möchte man über bloß manipulative Sozialtechnologien hinausgehen (Kundenbindung, Attraktivitätssteigerung, Marketing als Instrument der ‚Optimierung‘ der Besuchszahlen usw.), muß man neue, anerkennende, einladende Strategien entwickeln. Die lebhafte Diskussion zu diesem Punkt und die Beispiele dazu, z.B. von Anja Dauschek vom im Aufbau befindlichen Stadtmuseum Stuttgart, schienen mir noch zaghaft. Vor allem geht mir eine entschiedene Analyse und Anerkennung der Tatsache ab, daß Museen Orte der massiven, sehr diskreten aber darum auch wirkungsvollen sozialen Distinktion bereits sind. Bevor man selbstermutigend Phantasmen des universalen Zugangs pflegt und vollmundig ankündigt, und von Partizipation heilserwartend schwärmt, sollte man erst einmal anerkennen, daß der weitaus größere Teil einer Bevölkerung vom Museum kategorisch ausgeschlossen ist und darüber sprechen, wie man mit der hegemonialen Produktion von kulturellem ‚Wert‘ und ‚Sinn‘ aktuell umgeht. Wer an Strategien und Techniken der Populariserung bastelt, bastelt meist ohne jede Reflexion nur an einer Vertiefung hegemonialer kultureller Konzepte. Die Gedankenlosigkeit, die im Umgang mit diesem besonderen Thema an den Tag gelegt wird, ist erstaunlich.

Daß ein wohlhabendes, zukunftsoptimistisches und selbstbewußtes Bürgertum, das mit Stolz seine Vergangenheit erzählte und sich so in ihrem Status und Erfolg spiegeln konnte, als Träger der Museumsidee zunehmend abhandenkommt, trifft Stadtmuseen besonders, weil ihnen genau diese ihre genuine Trägerschaft - im ideologischen wie materiellen Sinn -, abhanden kommt. Daß sich diese Museen neuen Gruppen öffnen wollen und müssen, wurde auch auf dieser Tagung deutlich und es geht in die Richtung, in die schon in Berlin Wolfgang Kaschuba ermutigt hatte: man muß sich vom Stadtbürgermythos verabschieden und die Stadt als so thematisieren, wie sie nun mal geworden ist: „offen, migrantisch, szenisch, authentisch“. Museen sollen an der „imaginativen Stadtbildung und Identitätsbildung arbeiten“.

Wenige Problem schienen die Tagungsteilnehmer damit zu haben, daß zur Erreichung dieser Ziele neue Strategien der Vermittlung oder der Teilhabe, der Arbeit mit Minderheiten oder – als relativ jungem Thema – mit Migranten den Rahmen des konventionellen Museumsverständnisses sprengen.
Eine gewisse Entgrenzung des Museums ist ohnehin im Gang, in methodischer Hinsicht, institutionell, hinsichtlich des Objektbegriffs, der Arbeitsformen, oder was die Definition seines – architektonischen und sozialen – ‚Ortes‘ betrifft. Der Leiter des Grazer Stadtmuseums, Otto Hochreiter, hat das so formuliert: „An Stadtmuseen können Erfahrungen des Örtlichen als Ressource für zivilgesellschaftliche Prozesse organisiert werden.“
Mir scheint auch die zivilisatorische, vergesellschaftende Funktion des Museums (das es strukturell auszeichnet) denjenigen Aufgaben übergeordnet zu sein, die man normalerweise als ‚essentiell‘ ansieht (Objekte zu sammeln, zu bewahren und zu zeigen). Es geht im Museum nicht – auch wenn das das Museumsbild so vieler verstören mag -, nicht ‚ums Objekt‘, sondern um Beziehungen und Bedeutungen (Angela Janelli). Die Arbeit daran, das Spiel der identitären Beziehungen im individuellen wie im kollektiven Maßstab zuzulassen und zu organisieren, das öffnet der Museumsarbeit ungeahnte und reiche Möglichkeiten. Museen müssten etwas von ihrer institutionellen Körperpanzerung ablegen und anerkennen lernen, daß sich im Ausstellen „Deutungsabsichten von Ausstellenden, Bedeutungen des Ausgestellten und Bedeutungsvermutungen von Besuchern“ kreuzen (Sabine Offe). Hier erst entsteht Reflexionskompetenz und Orientierungswissen, das auch handlungsanleitend und –ermöglichend sein kann.

Ich hätte da wenig Angst vor einer Verschiebung der Bedeutung des Museums. Denn als definitorischer Kern bliebe dem Museum möglicherweise nicht so sehr die Vorstellung vom ‚festen Haus‘ und der Sammlung authentischer Objekte, sondern als einer eines einzigartigen zivilisierenden Rituals, als das das Museum seit etwa 1780 als Projekt der (europäischen) Moderne entstanden ist.
Möglich war dieses Modell des Museums der Moderne im Kontext von Aufklärung und Revolution nur im Medium diskursiver, bürgerlicher Öffentlichkeit. Besitz aller an den kulturellen Gütern und deren Genuss als verbrieftes Recht sind komplementäre Erbschaften dieser Idee des wohlfahrtsstaatlichen Museums.

Mit der Zersetzung bürgerlicher, diskursiver Öffentlichkeit ist nicht nur das Museum gefährdet, es ist auch das Medium gefährdet, in dem allein wir über solche und andere Entwürfe des Museums überhaupt weiter reden können. In dieser Hinsicht scheint es mir besorgniserregend, wie wenig Widerstand, gerade aus den Museen selbst, der Entwertung und Zerstörung diskursiver Öffentlichkeit entgegengesetzt wird. Ökonomisierung, Privatisierung, Gleichgültigkeit der Politik, das Fehlen eines formierten zivilgesellschaftlichen Interesses an Museen und die Unentschlossenheit so vieler Museumsmitarbeiter gegenüber den Herausforderungen, das alles lässt nicht nur um die Voraussetzungen so vieler neuer Ideen fürchten, die in der Tagung geäußert wurden. Um so erfreulicher, daß manches Statement, mancher Bericht aus der Praxis, Optionen auf ein Museum als analytischem und diskursiven gesellschaftlichen Ort erschloß.


Stadtmuseen: Im Umbau ratlos oder wie erzählt man eine Stadt? 25./26.3.2010, Stadtmuseum Graz in Zusammenarbeit mit der Museumsakdemie Joanneum

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