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Sonntag, 15. April 2012

Wir sind nicht unserer Meinung oder Adalbert Stifter hatte auch nicht immer ganz recht (Texte im Museum 277)

Der Fall, der mir bis jetzt noch nicht untergekommen ist (und daher ein kostbares Sammlerstück): Ein relativiertes Zitat als Auftakt. Text am Eingang zur Ausstellung der Sammlungszugänge des Grazer Stadtmuseums. Aber das Zitat ist einfach wirklich zu schön, das musste genommen werden.

Samstag, 31. März 2012

Entrée (61) im 18. Jahrhundert

Eintrittskarte für das "Holophusion" oder auch "Museum" des Ashthon Lever, das in London von 1875 bis 1886 existierte

Sonntag, 6. Februar 2011

Verpflichtet Adel? Ein Restitutionsfall besonderer Art

Ein Restitutionsfall der besonderen Art: Der Familie der Wettiner, eine Regenten-Familie mit über 800jähriger Geschichte, wurden und werden Ansprüche auf Kulturgüter zugesprochen, die zum Kernbestand der Dresdner Kunstsammlungen gehören. Unbezweifelbar, wie es lange schien.
Es geht aber dabei nicht um eine überschaubare Zahl von Objekten, sondern um tausende und mit den bisherigen Vereinbarungen ist kein Abschluß erreicht, sondern, so nennt das der Spiegel-Online vom 3.2.2011, jetzt beginnt erst der „Rückgabemarathon“.
Es geht um kostbare Porzellane, Skulpturen, Kostbarkeiten des Grünen Gewölbes, um Möbel, Bücher und um Gemälde der Alten Galerie. Etwa 6000 Objekte und Immobilien mit Millionenwert wurden bereits restituiert. Dabei geht es um im Krieg versteckten Besitz der Familie, der nach dem Krieg einfach verstaatlicht wurde. Die Familie ließ vor sechs Jahren begonnene Recherchen anstellen und seither gibt es den „Restitutionsmarathon“. Erst in einigen Jahren wird er abgeschlossen sein.
Immerhin setzt der Freistaat nun auf dauerhaften Frieden mit den königlichen Hoheiten. Der jetzige Vergleichsvertrag gilt erstmals als "abschließend und endgültig". Jetzt müssen aber erst mal viereinhalb Millionen gezahlt werden, an die Familie, damit das Porzellan in den Sammlungen bleiben kann. Früher hatte man die Objekte restituiert, die von der Familie versteigert wurde.
Viele Zeitungen können sich nicht verkneifen, zum Wortspiel "Adel verpflichtet nicht" zu greifen.

Mittwoch, 2. Februar 2011

Erneuerung durch Zerstörung? Das Jüdische Museum der Stadt Wien vernichtet sein wichtigstes Medium, die Dauerausstellung

ACHTUNG! Sie lesen einen der zwar meistabgerufenen, aber ältesten Posts zur Diskussion um das Jüdische Museum der Stadt Wien. Hier finden Sie einen Link zu einer Zusammenfassung der bisherigen Diskussion am neuesten Stand mit zahllosen weiterführenden Links zu diversen Informatione, Kommentaren, Dokumenten.

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Daß das Jüdische Museum der Stadt Wien seine Dauerausstellung erneuern würde, war schon mit der Bestellung der neuen Leiterin absehbar. Daß es jetzt geschieht, ist nicht überraschend.
Aber wie es geschieht.
Die Fotos, die ich gestern erhalten habe, haben mich schockiert, nicht nur weil sie das definitive Ende der Ausstellung bezeugen. Sondern weil hier eine Destruktivität manifest wird, von der man sich schwer vorstellen kann, daß sie allein der Routine einer Abbruchfirma geschuldet ist.
Man hätte die Hologramme doch sicherlich erhalten, sehr wahrscheinlich auch noch sinnvoll in anderen Zusammenhängen verwenden können.
Auch konsevatorisch sehe ich da kein größeres Problem, die großen Glastafeln sind nicht mal besonders voluminös.
Doch sie einfach zu zertrümmern, in tausend Stücke hauen und auf den Müll kehren?
Das ist schwer verständlich. - Museen gehen heute aus vielerlei Gründen mit alten Ausstellungen pfleglicher um, schließlich bilden sie selbst eine Form des institutionellen Gedächtnisses, das man nicht ohne jedes Bedenken einfach beseitigt.
Und erst recht von einem Jüdischen Museum wäre doch eine besondere Sensibilität erwartbar. Es hütet ein Gedächtnis, das durch Zerstörung unwiderbringlich beschädigt war und von dem es selbst, einschließlich seiner Dauerausstellung und der Hologramme, selbst ein Teil ist.
Genau darin lag ja eine der Leistungen der Hologramme, dies als besonderes Veranschaulichungsmedien mit einzigartigen eigenschaften, zu thematisieren.


Eine Erinnerung an die alte Dauerausstellung hier, Kritik am politischen Umgang mit dem Museum hier und zum früh mit dem Diretionswechsel sich ankündigenden Verschwinden der Dauerausstellung hier.





Zur jüngsten Entwicklung siehe: Jüdisches Museum - CSI übernehmen sie!

Der einfachste Zugang zu allen auf diesem Blog veröffentlichten Informationen ist über den Link "Jüdisches Museum Wien" (links im 'Inhaltsverzeichnis zu finden) möglich.

Ich veröffentliche keine anonymen Kommentare, nur solche, die namentlich gekennzeichnet sind.

Samstag, 24. Juli 2010

"450 Jahre Zukunft". Dresdner Fragmente (1)

450 Jahre Zukunft. Unter diesem Motto feiern die Staatlichen Dresdner Kunstsammlungen ein Jubiläum. Gestützt auf eine einzige archivalische Angabe rechnet man sich 450 Jahre Sammlungsgeschichte an und damit eine distinktionsmächtige Institutionenkontinuität.
Gezeigt wird die Ausstellung in nicht restaurierten Räumen des Dresdner Schlosses, das nach und nach restauriert wird und in dem nach und nach Teilsammlungen rekonstruiert oder neu formiert aufgestellt werden: das berühmte Grüne Gewölbe, das so genannte Neue Grüne Gewölbe, die Türkische Kammer und andere.
Die Ausstellung spiegelt das Selbstverständnis des Dresdner Museumsverbundes als eine aus den fürstlichen Sammlungen hervorgegangene bedeutendste und älteste Kunstsammlung Europas.
Die Kuratorin der Ausstellung hat Objekte aus den Dresdner Sammlungen und Leihgaben um fünf Themen gruppiert, Schöpfung, Verlangen, Wissbegierde, Konfrontation, Ausstrahlung. In jeder dieser Gruppierungen werden Wissensbereiche, Kunstgattungen und Epochen gemischt und miteinander konfrontiert. In jedem Raum werden die Objekte auf einer 'Insel' aus Podesten mit Vitrinen und Wänden präsentiert, wobei die Synergien zwischen den Objekten von der Vereinzelung der Objekte - oft steht Einzelobjekt-Vitrine neben Vitrine - konterkariert wird.
Es gibt nur karge Objektbeschriftung, keinerlei anderen Text. Ich hatte das Vergnügen mit der Kuratorin durch die Ausstellung gehen und von Ihrem Wissen und auch von ihrer eindrucksvollen Identifizierung mit ihrer Arbeit profitieren zu können. Hier erschlossen sich mir mühelos Bezüge im Mikrogefüge der Rauminstallationen wie über Räume und Themenbereiche hinweg. Der Normalbesucher ist aber auf einen Audioguide angewiesen oder den Katalog, der aber als Ausstellungsführer nicht besonders praktikabel ist. Ich habe bislang keine Ausstellung gesehen, die so stark auf die mediale Vermittlung setzt.
Die Ausstellungsgestaltung (HG Merz) bedient sich einer konventionellen Präsentation, die die Aura des individuellen Objektes unterstreicht. Jeweils ein zentrales Podest taucht aus dem Dunkel der unrestaurierten Räume auf und hebt durch Platzierung und Lichtregie das Einzelne hervor. Staunen, ästhetischer Genuss, Bewunderung sind die angebotenen Modi der Wahrnehmung. So ist die Schau doch allererst eine Sammlungspräsentation, die ihren Reichtum und die Vielfalt grundsätzlich affirmativ zur Geltung bringt. Es ist ein kunsthistorischer Blick, der hier waltet und den man teilen soll.
Auch ohne Erläuterung entdeckt man viele Exponate, die Aufschlüsse über praktische, symbolische, politische usw. Bedeutungen vermitteln, doch ist der Preis für die ästhetisierende Präsentation aller Objekte als 'Kunstwerke' hoch. Motive, Zwecke, Wandlungen, Ansprüche des Sammelns kommen nur punktuell zum Vorschein. Selbst das suggestive leitende Motto verliert man schnell aus den Augen: was da immer auch schon an Zukunft in das Sammeln eingebaut war, wird einem für die lange Dauer der Sammlungsgeschichte nicht wirklich klar und schon gar nicht für die 'kommende Zukunft' der Sammlungen. Ein Einlassen auf sammlungspolitische und -geschichtliche Fragen hätte wohl den gewünschten Eindruck von Kontinuität und Kohärenz empfindlich gestört.
Die Ausstellung ermöglicht immer wieder den Blick nach draußen, aber sie lässt das Draußen kaum an einer Stelle herein. Die offensichtliche Fragmentiertheit, Brüchigkeit, Lückenhaftigkeit der Stadt, die sie trotz aller Aufbau- und Rekonstruktion-Bemühungen auszeichnet, hat keinen Widerhall in der Schau. Die schrundigen Räume sind ein Gefäß, nicht mehr, ohne die Bedeutung der Dinge tangieren zu dürfen. Bezeichnend ist, daß nirgendwo eine Interaktion von Bau und Schau versucht wurde. Die Rohheit der im Weltkrieg zerstörten, nur notdürftig praktikabel gemachten Räume, verweist auf doch einen von mehreren Brüchen in der Geschichte Dresdens. 
Ich möchte das Staunen, das die Ausstellung auslöst, nicht denunzieren und ich unterschätze nicht, wie sehr es Auslöser nachhallender Fragen sein kann. Aber ich habe mich hier und in anderen Sammlungen, die ich in Dresden gesehen habe, gefragt, in welchem Spannungsverhältnis die rekonstruktive und affirmative Haltung der Museen zur Wirklichkeit der Stadt steht. Anders gesagt: was es bedeutet oder was es bewirkt, wenn der fürstliche Glanz der barocken Stadt wiederhergestellt wird, wenn die tiefen Spuren des Weltkrieges, der DDR-Zeit, des bürgerlichen Historismus, des Wiederaufbaues nach der so genannten Wiedervereinigung nirgendwo gespiegelt werden.
Wie die Ausstellung rekonstruiert auch die aktuelle Museumsentwicklung die Sammlungen im Status, den sie als fürstliche, repräsentative 'Kammern' hatten. Das erscheint insofern legitim, als die Überlieferung der Objekte das zulässt. Wie wohl an keinem anderen Ort, kann hier der Glanz, der Reichtum, die handwerkliche und ästhetische Qualität der einzelnen Sammlungen, wenn auch manchmal nur fragmentiert und in neuer architektonischer Umgebung 'wiederhergestellt' werden.
Bei der Ausstellung wie bei der sukzessiven Wiedereröffnung der Sammlungen nimmt man offenbar gerne in Kauf, daß damit auch ein Stück fürstlicher, überwiegend barocker Repräsentation, im Vordergrund steht. Was sich mehr oder minder nahtlos in das Selbstbild Dresdens als glanzvoller historischer Metropole (das Bild, das auch dem Touristen nahegelegt wird) fügt. Dresden entwickelt sich, schien mir, gleichsam 'rückwärts' und wenn man durch die Stadt schlendert kann man zwischen historischen restaurierten und absolut moderne historisierenden und rekonstruierten Bauten gar nicht mehr unterscheiden. Neu wie am Tag ihrer Fertigstellung ist aber dieses Wiederhergestellte nagelneu, weil - vorläufig - ohne jede Altersspur. Die Lücken, die die Geschichte hinterließ, für viele Dresdner noch 'Wunden', werden aber durch die architektonische Mimikry nicht geheilt, sondern unsichtbar gemacht. Das schien mir auch an der Ausstellung problematisch.
Es sind paradoxe Wege, die man als Besucher durch Dresden nimmt. Das Schloss, teilweise noch beschädigt und geschwärzt von der Kriegszerstörung, fügt sich wie nahtlos in die Vedute des Altstadtkerns, wiewohl seine Architektur von bescheidener Qualität und zu ihrer Entstehungszeit ganz schön 'retro' war. Währen die Brachen mit ihren vergilbten Wiesen Leerstellen bilden, von denen man nicht sagen kann, aus welcher Zeitschicht sie eigentlich stammen: planierte Ruinenfelder, Bauerwartungsland heutiger Investoren, Überreste sozialistischer unvollendeter Stadtplanung.
In der Ausstellung werden zwar (mit höchst unterschiedlicher Gewichtung), die historischen Landmarks berücksichtigt, aber auch zu einer Kontinuität dort zusammengefügt, wo keine nachweisbar ist.
Das gilt auch für den Kern der Ausstellung: die 450 Jahre Sammlungsgeschichte als Legitimationsfigur für den heutigen Museumscluster, bilden mitnichten einen großen Entwicklungsbogen. Die Differenzierung von Sammlung und Museum (um nur eine grobe Unterscheidung zu machen) findet schon erst mal gar nicht statt, also auch nicht der Bruch zwischen fürstlich repräsentativem Sammeln und moderner Museumsidee.
Wollte man dem weder sozial- oder ideengeschichtlich nachspüren, so hätte man doch bemerken müssen, daß es sammlungsgeschichtlich auch nicht zusammenpasst. Spätestens 1832 war es definitiv vorbei mit dem enzyklopädischen Sammeln und neue Sammlungs- und Präsentationsparadigmen hatten sich auch in Dresden durchgesetzt. Wie auch anderswo verschwanden die alten Formgelegenheiten, die Kammern, Kabinette und Galerien ebenso wie die alten Typologien. Objekte und Sammlungsbereiche wurden neue aufgeteilt, neu gegliedert, neu arrangiert. Vieles wurde verkauft, verschenkt oder an andere Museen weitergegeben.
 So ist das erste Objekt, das man in der Ausstellung sieht, die Drahtziehbank Kurfürst August von Sachsens genau das nicht, wofür sie hier steht. Sie ist kein 'erstes' Objekt einer kontinuierlichen Sammlungsgeschichte, kein 'Gründungsobjekt' einer 450-jährigen Geschichte. Es ist eines der Objekte, die weggegeben wurden und nun als Leihgabe eines französischen Museums auf Zeit gezeigt wird. Es ist das Gegenteil dessen, was es in der Ausstellung ist - eben kein Objekt der Kontinuität, sondern, als Leihgabe, eines der Diskontinuität.

Mittwoch, 30. Juni 2010

Private View (Museumsphysiognomien 6)


Das ist eine Eintrittskarte für eine Sammlung. Sie wurde nicht verwendet, das Datum, das auf dem Vordruck mit der Hand hätte eingetragen werden sollen fehlt. Bis auf die Jahreszahl: 1774. Gleichzeitig ist sie eine Art Hausordnung mit einer Reihe von Regeln: Gültigkeitsdauer, Besuchszeit, und Besucheranzahl. Vier Personen, das galt für einen Tag.
Eine ebenfalls erhaltene detailliertere Anweisung ist in diesem Punkt penibler. Erschienen mehr als vier Personen, wurde die ganze Gruppe abgewiesen. Das konnte auch geschehen, wenn eine Gruppe nicht vollzählig erschien und sich die abwesende Person nicht rechtzeitig entschuldigen hatte lassen. Man mußte sich schriftlich voranmelden. Man konnte die Sammlung nur zur angegebenen Zeit und nur von Mai bis Oktober besuchen. An der restriktiven Regelung scheint sich lange Zeit nichts geändert zu haben. Ein grafisch aufwendig gestaltetes Ticket von 1842 gestattet Mr. Thomas and 5 friends einen Private View.
Horace Walpole ist der Urheber dieser Regeln, vierter Earl of Oxford, Schriftsteller, Autor eines einflussreichen Werkes über Modern Gardening und Bauherr eine gotischen Schlosses, das er aus einem Anwesen namens Strawberry Hill entwickeln ließ (zwischen 1749 und 1776) und das auch Aufbewahrungs- und Ausstellungsort einer - teils von seinem Vater geerbten Sammlung und Bibliothek - wurde. Unter den genannten Bedingungen durfte man seine Sammlung besichtigen.
Solche Regulierungen für die Besichtigung gibt es seit es private Sammlungen gibt. Ihr Eigentümer konnte nach Gutdünken Regeln aufstellen, bestimmte Gruppen ausschließen - wie Walpole zum Beispiel Kinder -, oder überhaupt niemanden zulassen. Man kann annehmen, daß allein durch das Procedere im Verein mit dem Status des Eigentümers viele Menschen gar nie auf die Idee kamen, je Besucher des Landsitzes zu werden. Sozialer Ausschluß muß nicht immer explizit geregelt werden, er wirkt subtil, versteckt hinter unscheinbaren Anweisungen wie z.B. zur erwünschten Kleidung.
Private View, wie es auf der Eintrittskarte von 1842 heißt, bedeutete daß privates Besitztum willkürlichen Regelungen unterworfen werden kann. Das gilt bis heute. Es kann kommerziell genutzt werden - Eintrittsgelder gibt es seit dem 16. Jahrhundert -, im kleinen Kreis von Kennern, Liebhabern oder Experten oder für breite öffentliche Bildung, Belehrung oder Unterhaltung. Das liegt allein am Besitzer und niemand kann ein Recht beanspruchen, gegen seinen Willen, Zutritt zu erhalten.
Der Unterschied von privat und öffentlich liegt also nicht in Zugänglichkeit im Sinne der Zahl der Besucher. In der Sammlungsgeschichtsschreibung oder Museologie generell wird mit dem Begriff 'öffentlich' häufig unglaublich unbedacht umgegangen. Wo sich Besuch nachweisen läßt, ist man schnell mit dem Wort öffentlich zur Hand. In diesem Sinn würden viele Historiker oder Museologen Horace Walpoles Haus und Sammlung als öffentlich bezeichnen - nur weil sie, wie wir gesehen haben, lange Zeit zwar nur maximal vier Personen pro Tag zugänglich war, aber eben zugänglich.
Aber das 'staatliche' British Museum der Gründungsjahrzehnte pflegte eine, immer wieder beklagte und kritisierte ähnlich restriktive Publikums-Politik. Nur Gruppen bis zu einer bestimmten Größe waren zugelassen, gegen Anmeldung und Bezahlung. Worin liegt der Unterschied? Er liegt in der Qualität und Funktion von Öffentlichkeit, die sich im Zeitalter der Aufklärung und mit den Museumsgründungen der Französischen Revolution grundlegend wandelte. (Siehe dazu den Post 'Museum und Guillotine'). Ab da war der Museumsbesuch als Anspruch auf Bildung für jedermann ein egalitäres Recht und die Ansprüche und Anmutungen des Museums als kultureller Einrichtung allgemein gültig und nicht nur für eine mehr oder minder idiosynkratisch definierte Gruppe.
Die Praxis des Private View verschwand deswegen nicht, viele Privatsammlungen sind nie zu sehen oder nur mit engen Eingrenzungen - man kann zum Beispiel an das Schaulager in Basel denken. Aber im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts entsteht etwas vollkommen Neues, die Idee des Museums als gesellschaftlicher Institution und Praxis die - dem Anspruch nach - ausnahmslos jedem nützlich (gemeinnützig nennen das die ICOM-Statuten) und dienlich sein soll.

Freitag, 12. März 2010

Die Wiederkehr der Musen (Was ist ein Museum 05)

Der Brand der Bibliothek von Alexandria ist als große kulturelle Katastrophe im kulturellen Gedächtnis bis heute fest verankert. Mit der Bibliothek gingen unübersehbar viele einzigartige antike Texte zugrunde. Die Bibliothek gehörte zum Museion, einer fürstlich protegierten Einrichtung, an der Gelehrte alle Arten des Wissens hegten und pflegten. Es war wie frühere Akademien ein Ort der Produktion und des Tradierens, Weiterentwickelns, aber keiner, an dem bloß archiviert wurde. Wie schon andere Museion genannte Stätten vor ihm, wurde auch in Alexandria nicht gesammelt und ausgestellt - es sei denn man bezeichnet eine Bibliothek als Sammlung. Wissen war überwiegend schriftlich fixiertes Wissen, es gab noch keine Gründe, Dinge zum Zweck des Studiums aufzubewahren.
Wir sind also noch immer weit weg vom Museum, wie wir es heute verstehen. Aber warum nimmt dann das Alexandrinische Museion einen derart prominenten Platz unter den 'ersten Museen' ein? Aus einem paradoxen Grund. Weil man (bis heute) so wenig Gesichertes über gerade diese Institution weiß (über ihre Baulichkeiten, Funktionen, Arbeitsweise…), war sie eine ideale Projektionsfläche für spätere Projekte und Phantasmen. Alexandria war eine Projektionsfläche für zwei verschiedene Vorstellungen: dem Museion als Musenort im Sinn einer Pflege aller Wissenschaften und Künste (was durchaus in der antiken Tradition lag), aber auch als Ort des Sammelns und Ausstellens.
Diese Idee ist neu und sie formiert sich in Italien, in der Renaissance und im Humanismus. Die Vorstellung von den Musen musste im christlichen Mittelalter nahezu verschwinden, jetzt wird sie wiederbelebt, in der genannten Doppeldeutigkeit. Das 'Museo' des Bischofs, Humanisten und Historikers Paolo Giovio am Comer See, mit dem man die erste fassbare nachantike Verwendung des Wortes Museum - 1739, das Wort wird dann auch an der Villa als Inschrift angebracht -, in Verbindung bringt, ist ein Musenort, ein Ort ihrer Anwesenheit und ihrer Funktion, Wissenschaften und Künste zu protegieren. Es ist aber auch bereits Sammlung - von Antiken - und Ausstellung, in Form eines 'Heroon' oder 'Pantheon'. Nämlich einer Versammlung gemalter Porträts illustrer Männer. Also eine oder die erste Porträtgalerie, die so prominent gewesen sein muß, daß sie bereits zeitgenössisch Nachahmer fand.
Der Begriff 'Museum' (musaeum)  strukturiert in der Renaissance soziale und intellektuelle Praktiken des Umgangs mit Wissen. Der Begriff umfaßt zwischen Privatheit und Publizität changierende Möglichkeiten des Umgangs mit (antiken) 'Texten' und 'Resten' im Kontext sozialer Bestimmungen wie 'Prestige', 'Wissen', 'Wahrnehmung', 'Klassifikation' und ist zugleich humanistisch und enzyklopädisch. (Paula Findlen)
Das musaeum des 16. Jahrhunderts rekonstruiert 'klassisches' Wissen, rekonstruiert den 'antiken Text' und sammelt dafür Material - es ist ein vorwiegend archäologisches, um die materielle Überlieferung antiker Reste besorgtes Unternehmen. Insofern es buchstäblich und metaphorisch um die Rekonstruktion von 'Text' geht, geht es auch um (den Beginn der) Geschichtsschreibung, um, Verschriftlichung (und Verbildlichung) als Voraussetzung der Konstruierbarkeit von Geschichte. Das Museum des 16. Jahrhunderts ist ein Ort des 'Studiums'.
Die Wiederentdeckung des Begriffs bezieht sich, das soll festgehalten sein, im Humanismus sowohl auf den den Musen geweihten Ort locus musis sacer,  als auch auf die das Museion im Sinne der alexandrinische Bibliothek, also auf eine Institution, die die kulturellen Ressourcen der Gesellschaft sammelt und ordnet.
Die wohl bemerkenswerteste Wiederbelebung der Idee des Museion findet sich ausgerechnet im Zentrum der Christenheit. Die Auffindung des Laokoon 1506 veranlasst Papst Innozenz VII. ihn zusammen mit anderen Antiken im päpstlichen Privatgarten, im Belvedere, aufzustellen. Die Bezeichnung Museum wird hier nicht verwendet, aber die Nutzung des Gartens und die kurz danach in Auftrag gegebene Ausmalung der Stanzen durch Raffael, lassen keinen Zweifel, daß dieser Antikengarten im Belvedere als Museion aufgefasst wurde. Denn unter den großformatigen Fresken nimmt die Darstellung der Musen und Apolls eine hervorgehobene Bedeutung ein und war durch
Wie anderswo, ist es auch hier so, daß sich auf den mythischen Ort Museion die Vorstellung des pastoralen, kontemplativen Naturraumes bezieht, der in den Grotten, Gräbern und Gärten der Renaissance fortlebt (Boboli, Bomarzo, Pratolino).
Daß die Vatikanischen Museen auf das Datum der Einrichtung des Belvedere bezogen vor einigen Jahren ihren 500. Geburtstag feierten, ist indes eine kühne Konstruktion. Die am Beginn des 16. Jahrhunderts aufgestellten Antiken muß man weniger als Sammlung verstehen, denn als Ensemble, mit dessen ikonographischen Bedeutungen die Genealogie und Legitimität der spirituellen und weltlichen Macht des Papsttums untermauert wurde. Eine derart denkmalhafte, repräsentative Funktion hatte eine, ebenfalls römische Zusammenstellung von Antiken, deren Datum ebenfalls heute als ein Ursprungsdatum des Museums gefeiert wird. 1471 stiftete Papst Sixtus IV. (1471-1484) die sogenannten Lateran-Bronzen im Jahr seiner Wahl dem Volk von Rom. Unter anderem einen Dornauszieher, den Bronzekopf des Konstantin und die Lupa Capitolina als ein "Zeugnis altehrwürdiger Tugend und Vortrefflichkeit", das nun "dem römischen Volk" wiedergegeben werde. Auf diese Datum beziehen sich die Kapitolinischen Museen, aber wie für die päpstliche Antikensammlung im Belvedere gilt auch hier, daß diese Stiftung eher den Status einer politisch motivierten Denkmalaufstellung, denn einer Sammlungsgründung hatte.
So wichtig alle die genannten Gründungen sind, die - oft gesehene - Verbindung mit dem modernen Museum sollte man nicht vorschnell herstellen. Mindestens aus drei Gründen: noch ist das Wort Museum eines unter vielen. Zwar wird schon selbstverständlich in der 1553 edierten Beschreibung der (Münz)Sammlung des Goldschmiedes Jacopo Strada (Epitome Thesauri Antiquitatum [...] ex Musaeo Jacopi da Strada [...] ) der Begriff des Museums für eine Sammlung verwendet, aber es gibt sehr viele andere Begriffe. Entweder von der Architektur hergeleitet, wie Galerie oder Kammer, oder von der Funktion und dem Inhalt, etwa wenn mit "Wunderkammer" der Modus der Wahrnehmung, Neugier und Staunen, hervorgehoben werden.
Zweitens existiert die uns vertraute Vorstellung von der Dauerhaftigkeit der Salbung als Ganzes nicht und auch nicht der einzelnen Dinge. Objekte, z.B. wie das für Objekte der Schatzkammer der Habsburger sehr früh testamentarisch verfügt wurde, als nicht veräußerbar einzustufen und die kommenden Generation zu Bewahrung zu verpflichten, das ist die rare Ausnahme. Sammlungen können veräußert, gravierend verändert, verschenkt oder aufgegeben werden, bei Einzelpersonen zerstreuen sie sich oft mit deren Ableben, transgenerationelle Weitergabe gibt es eher nur bei mächtigen und reichen Familien und Herrscherdynastien. Noch ganz ungewöhnlich ist, daß im 'Erbfall' sich die Gemeinschaft verpflichtet, eine Sammlung im allgemeinen Interesse zu übernehmen und zu bewahren. In Basel geschieht dies etwa mit der des Humanisten Amerbach, wo die Stadt sich verpflichtet, seine Sammlung zu bewahren und zu pflegen.
Also ist eine Vorstellung obsolet, die für das Museum der Moderne zentral ist: die der unabschließbar gedachten Kontinuität. Wenn Museen oder die Museumsgeschichtsschreibung häufig eine lange Dauer der Institution - etwa über die Sammlungsgeschichte - konstruieren wollen, kann man dagegenhalten, daß keine einzige Sammlung des 16. bis 18. Jahrhunderts unverändert erhalten geblieben ist. Die Ambraser Sammlung existiert heute nur noch als Idee und Erinnerung und wird, unter völlig veränderten Bedingungen (soweit sie überliefert ist) in verschiedenen Museen gezeigt. Die erwähnten Antiken des Belvedere bald wieder zu tabuisierten 'heidnischen Göttern'. Man zerstörte sie zwar nicht, ließ sie aber hinter Brettern und Mauern verschwinden, über 200 Jahre lang. Den Bruch, den Aufklärung und Revolution bewirkten, hat keine Sammlung unbeschadet überstanden. Das Museum, das damals entstand, vollzog einen tiefen Paradigmenwechsel. Aber das Wort Museum blieb - mit seiner vielschichtigen Bedeutung - und wurde wichtiger denn je.

Abbildungen: oben die Villa Paolo Giovio am Como See, unten die Vatikanischen Gärten mit dem Belvedere

Donnerstag, 21. Januar 2010

Catus Niger oder Die Entdeckung der Natur


Vielleicht ist das die älteste Darstellung einer Hauskatze, einer schwarzen, catus niger, die uns da von einem mehr als 400 Jahre alten Manuskript stumm und unverwandt anblickt...
Wer die Sammlungen der Universität Bologna aufsucht, stößt auf Reste einer der ältesten naturkundlichen Sammlungen, die der bahnbrechende Naturforscher und Arzt Ulisse Aldrovandi (* 11. September 1522 in Bologna; † 4. Mai 1605 ebenda) angelegt hat. Das erstaunlichste Vermächtnis, seine illustrierten Bände zur Naturgeschichte, bekommt man indes nicht zu sehen, jedenfalls nicht im Original. Auf einer Webseite der Universität Bologna findet man die gesamten Konvolute in exzellenten Reproduktionen – eine unglaubliche Fundgrube, die einem einen staunenden Blick in die Frühgeschichte des naturwissenschaftlichen Sammelns und Forschens erlaubt.
Bis zu Aldrovandi war die Geschichte das unentwirrbare und völlig einheitliche Gewebe dessen, was man an den Dingen und all den Zeichen sieht, die in ihnen entdeckt oder auf ihnen niedergelegt worden sind. Die Geschichte einer Pflanze oder eines Tieres zu schreiben, bedeutete, auch zu sagen, welches ihre Elemente und ihre Organe, welches die Ähnlichkeiten, die man in ihnen finden kann, welches die Kräfte, die man ihnen zuschreibt, die Legenden und Geschichten, mit denen sie vermischt werden, die Wappen, auf denen sie zu sehen sind, und die Medikamente, die man aus ihrer Substanz herstellt, die Nahrungsmittel, die sie bieten, gewesen sind. Hinzu kommt, was die antiken Autoren darüber erfahren haben. Die Geschichte eines Lebewesens war dieses Wesen selbst innerhalb des ganzen semantischen Rasters, der es mit der Welt verband. Die für uns so evidente Trennung zwischen dem, was wir sehen und dem, was die anderen beobachten und überliefert haben, was schließlich andere denken oder naiv glauben, die große Dreiteilung, die so einfach und so unmittelbar erscheint, zwischen der Beobachtung, dem Dokument und der Fabel, exisistierte nicht. (…) Die Zeichen waren Teile der Dinge, während sie im siebzehnten Jahrhundert zu Räpräsentationsweisen wurden. (…) Dieser (Aldrovandi GF) entwickelte hinsichtlich jeden untersuchen Tieres (und zwar auf gleicher Ebene) die Beschreibung seiner Anatomie und der Fangweisen; dann den allegorischen Gebrauch und seine Vermehrungsart, sein Vorkommen und die Paläste seiner Legenden, seine Nahrung und die beste Art, es zur Soße zu reichen.

Michel Foucault, Die Ordnung der Dinge, Ffm 1974, S. 169f.