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Mittwoch, 30. Juli 2014

Wie aus Subversion Affirmation wird

Ein symptomatisches Objekt. Geworben wird nicht nur mit einer Preisermäßigung, wenn man das Museum gewissermaßen abboniert, geworben wird auch mit einem signifikanten, oft publizierten Bild, das eine Aktion des Wiener Aktionismus dokumentiert. Es hat offenbar das Sujet jede gesellschaftliche Widerständigkeit verloren und eine so große Akzeptanz entwickelt, daß es als Werbung eingesetzt werden kann, es scheint auch keinerlei Bedenken zu geben existerntielle Sujets durch ihre mediale Verdopplung (enorme Vergrößerung, Instrumentalisierung für Werbezwecke, also auch für Mehreinnahmen) selbst zu entschärfen und zusätzlich zu verharmlosen.

Donnerstag, 30. Januar 2014

Der Blick ins Freie


Im April 1867 erhielt Claude Monet vom Superintendenten des Louvre die Erlaubnis, im Museum malen zu dürfen. Das Malen, das Studium von Kunstwerken in Galerien, Sammlungen und Museen hatte zu diesem Zeitpunkt eine jahrhundertelange Tradition. Zeitweise gehörte das Kopieren von 'Meisterwerken' zum festen Bestandteil der akademischen Ausbildung und viele Museen regelten den Besuch von Kunststudierenden mit besonderen Öffnungszeiten, etwa getrennt angesetzt vom allgemeinen Besuch.
Nur vor diesem Hintergrund versteht man den Bruch, den dieses Gemälde darstellt. Monet kehrte dem Kanon der musealisierten Werke den Rücken und malte die Aussicht aus einem der Fenster, den Blick auf die Eglise St.-Germain-l'Auxerroise und die in der gleissenden Sonne flanierenden Menschen vor ihr.
Das Gemälde ist also mehr als nur ein Bild, es ist auch eine Geste. Eine Geste der Abkehr, gesetzt etwa zu der Zeit als die Kritik am Museum, am Museum als solches, nicht nur am Louvre, fundamental zu werden begann und in museoklastische Appelle mündete. Der Ruf nach dem Anzünden des Louvre (als Inbegriff einer eine überfordernde wie belastende und überholte Tradition hinter sich zu lassen) wurde wenige Jahre nach Monets "Besuch" im Louvre wahr. 1871 schickten sich die Aufständischen der Commune an, die Parole in die Tat umzusetzten, wurde aber von beherzten Menschen davon abgehalten. So blieb es bei der Brandstiftung an den Tuilerien, die so beschädigt wurden, daß man sie wenige Jahre später abbrach.
Spielen Museen bei der Ausbildung von Künstlern noch eine Rolle? Wenn, dann sicher nicht mehr im Sinn des 18. oder 19. Jahrhunderts. Und das Kopieren? Ich habe bei meinen Besuchen im Kunsthistorischen Museum noch oft Kopisten gesehen und erinnere mich an den starken und angenehmen Geruch der Farbe, der die gesamte Wahrnehmung der Säle und der Werke veränderte. Das habe ich schon lange nicht mehr gesehen, allerdings eine Frau, die in der Lucien Freud Ausstellung gezeichnet hat...
Schauen wir aus dem Fenster, in Museen? Sicher, wenn dieser Blick ohnehin inszeniert ist, wie etwa in Hans Holleins Museum am Abteiberg in Mönchengladbach, oder Heinz Tesars Essl-Museum in Klosterneuburg oder gar im Vorarlberger Landesmuseum, das einen eigenen Raum besitzt, der dem Blick nach draußen gewidmet ist und sonst nichts.
Doch am Blickbleibt die Kränkung des Museums, vor allem der Dinge haften, wie in der Fotografie Lenkkeris. Er ist eine Abwendung von den Dingen, aber, wie in diesem Fall, scheint er melancholisch das Museum und die Verfasstheit der Dinge zu reflektieren.
Die Museen wehren sich gegen unsere Abschweifung, mit dem Vorwand konservatorischer Bedenken. Schützende Jalousien, raffinierte Fensterkonstruktionen nehmen uns diese Möglichkeit, wir werden blind für das, was draußen vorgeht, so lange wir im Museum weilen und seiner geschlossenen und immersiven Welt. Bis jemand kommt und das Fenster öffnet...
Ville Lenkkeri: Looking out of a museum window. 2004

Donnerstag, 23. Januar 2014

Koch-Kunst. Privatisierung (1)

Albertina, Wien. Museumsshop. - Herbert und Rita Batliner haben mit der Stiftung von Teilen ihrer Gemäldesammlung Klaus Albrecht Schröder ermöglicht, aus einer grafischen Sammlung ein Museum mit Gemäldebesitz und -ausstellungen zu machen. Hier ein Schnappschuss aus dem Museumsshop der Albertina (Foto GF)

Montag, 6. Januar 2014

Bitte nicht! (Museumsphysiognomien)



Das klassische Museumstabu, die Dinge nicht zu berühren, durch praktische Gebrauchsaskese an ihrem ewigen Leben mitzuweben, ist nicht so selbstverständlich jedem Besucher eingebildet, als das es nicht notewendig wäre, es mit Hilfe einer entsprechenden Beschriftung zu erinnern und zu erneuern. Zumal dann, wenn ein Objekt geradezu dazu einlädt, es in Gebrauch zu nehmen.
So scheinen dieser Sessel und dieses Textblatt trivial. So etwas gibt es in vielen Museen. Aber die scheinbar unauffällige Geste, ist doch auch noch etwas anderes als nur ein bekräftigtes Gebot, sich gefälligst auf den Augensinn zu beschränken.
Diese Geste trennt das Museum vom Nicht-Museum. Denn woher soll ein Besucher wissen, daß er vor einem Sessel steht, auf den auszuruhen er eingeladen ist oder der, wie hier im Freud-Museum, zum Interieur einer Wohnung einer "historischen Person" gehört, deren Andenken wir in der Betrachtung von Resten würdigen?
Der kleine Unterschied von Museum und Nicht-Museum ist in aller Regel keinem der Dinge zu entnehmen, die im Museumsraum exponiert werden. Wir trennen beim Museumsbesuch rasch und unbewusst auf Grund von Alltagserfahrung den Feuermelder, die Sicherheitskordel, die transparente Vitrine, den Beleuchtungskörper, die Objektbeschriftung und vieles andere mehr von den "eigentlichen" Exponaten.
Sie alle werden durch eine vorgängige Entscheidung, durch ein Positionieren, ein Stellen und Zeigen und ein Rahmen zu dem, was wir "Museum" nennen. Sie selbst bleiben sich gleich, egeal ob wir sie nur symbolisch besitzen (als Eigentümer staatlichen Sammlungsgutes, wenn auch abstrakt und abgeleitet von der Idee des gemeinsamen kulturellen Erbes) oder real besetzen. Davor sei der beschriftete Zettel vor! Auf den setzt man sich, eingedenk höflicher Umgangsformen und bürgerlicher Sittsamkeit eher noch weniger, als auf den Stuhl selbst.
Bitte nicht! heißt also: hier ist Museum!


Freitag, 3. Januar 2014

Die Sache mit dem definierten Kammervolumen. Oder: Geht es aufwärts mitder Museumsvermittlung?

Gerhard Matzig fühlt sich verhöhnt. Er, Journalist und Ingenieur, bekommt im Deutschen Museum in München Informationen, die er nicht versteht. "Zwei achteckige Drehkolben werden vom einströmenden Gas beaufschlagt und drehen sich in einem Gehäuse, mit dem zusammen sie ein definiertes Kammervolumen bilden." Allerdings ist er durch einen anderen Text vorgewarnt worden:  "Zum Verständnis der in der Übersichtstafel dargestellten Prozesse ist ein Grundwissen über die Rohölverarbeitung erforderlich."
Was er offenbar nicht weiß ist, daß das deutsche Museum schon seit langem eine eigene kleine Abteilung führt, die sich mit Texten beschäftigt. Man könnte deshalb vermuten, der erste Text sei vom Fachkurator, der zweite von den Textexpertinnen.
In der Glyptothek findet Matzig nur Spurenelemente an Information, "Saal des Fauns ist auf einem Schild zu lesen - und das hätte man sich beinahe auch selbst gedacht, angesichts eines Saals, in dem sich ein Faun befindet."
Der um Hilfe gebetene Herr Wenrich von der Bayerischen Museumsakademie nimmt ihn in die FC Bayern-Erlebniszentrum mit, die mit Medien, Lautstärke, Abwechslung und Interaktion beeindruckt.
Aber ist ein Erlebniszentrum ein Museum fragt sich Matzig bange? So wird er dann glücklich erst im - neuen - Ägyptischen Museum in München. Obwohl einem als Leser nicht ganz so klar wird, warum eigentlich. Weil es hier "keine Replik, kein Plastik, kein Disneyland" gibt?
Die Direktorin ("wir sind Dienstleister") wird als "Pionierin der Museumspädagogik" (2014 - sind das noch Pionierzeiten?) vorgestellt und Museumspädagogik ist  hier, in diesem Text der süddeutschen Zeitung vom 2.1.2014, eine Überredungskunst, mit deren Hilfe es gelingt, etwas schwer Genießbares bekömmlich zu halten: "Es ist eigentlich wie im Unterricht", sagt Herr Wenrich, von der Bayerischen Museumsakademie, "den muß man auch spannend gestalten, um als Erfolg als Lehrer zu haben." 

Sonntag, 4. August 2013

Wie wir (Objet trouvée)


Unsere Herkunft. Unsere Eltern. Ein Paar. Mann und Frau. Einträchtig stehen sie nebeneinander im Museum, eine Animation läßt sie Seite an Seite durch die Besucher hindurchflanieren. Im Museum sind sie zu Hause. Naturwesen im Haus aus Marmor. Unsere Modelle von Zweisamkeit werden uns als überzeitlich vorgeführt, als Erinnerung, als Einübung, daß es immer schon so war. Ein bisschen nackt die beiden und sehr behaart, aber nicht unfreundlich. Neugierig, wie wir. Aber festgesetzt, gefangen in der Erzählung, die bilderreich über ihren Köpfen abgelesen werden soll. Ein geordneter Raum, die goldfarbige römische Ziffer "XV" über der giebelgeschmückten Tür, die das Urpaar nicht passieren wird. Von hier stammen wir ab. Von hier sind wir entkommen und haben uns entwickelt. Wie weiter? Zukunftsreich. Anders werden.

Mittwoch, 26. Juni 2013

Das Franziskanermuseum Villingen








Im Jahr 1876 gründeten ein Villinger Buchhändler und Zeitungsherausgeber sowie ein Pfarrer eine Altertümersammlung, zu deren Erstellung sie auch die Bevölkerung zur Mitarbeit aufriefen. Die Sammlung wurde im alten Rathaus untergebracht. 



Zu den bemerkenswertesten Objekten zählen die der 1929 erworbenen Sammlung des Uhrenfabrikanten und Sammlers Oskar Spiegelhalder. Dieser hatte insgesamt drei Sammlungen volkskundlicher Objekte, Uhren, Handwerksgerät, Trachten, Gläser ua. zusammengetragen. Seine Recherchen, Dokumentationen und Überlegungen zur musealen Präsentation, die er in enger Verbindung mit den ältesten einschlägigen Museen im deutschsprachigen Raum, den volkskundlichen Museen in Wien und Berlin, entwickelten, inspirierten die frühe Volkskunde. 



Ungeachtet seines Interesses, diese Sammlungen mit Gewinn zu veräußern, gilt er als ein wichtiger Moderator des Interesses an der ländlichen Kultur des Scharzwaldes und ihrer Musealisierung.
Das aufgelassene Franziskanerkloster war als Museum vorgesehen, aber Wirtschaftskrise und Weltkrieg erlaubten dies nicht. Ausstellungen gab es deshalb in einem Kaufhaus und im ehemaligen Waisenhaus. Erst eine Ausgrabung keltischer Funde löste den alten Plan ein, das Franziskanerkloster wurde Museum sowie Kulturzentrum und 1999 noch einmal modernisiert.




Montag, 24. Juni 2013

Aguntum

Die unzumutbarste aller Musealisierungsformen ist die "Ausgrabung". Man stolpert quer über Grasnarben oder Kieswege zwischen knöchelhohen Mauerfragmenten und versucht sich - nur zum Beispiel - die Römerzeit vorzustellen. Wenn man Pech hat, hat es 32 Grad im Schatten und den Dauersound eines Museumsführers im Ohr.
Wenn man Glück hat, ist noch was stehen geblieben, wie das Löwentor oder ein ordentliches Gewölbegebäude, das angeblich ein Schatzhaus gewesen ist. Oder man hat halbherzig etwas aufgebaut oder nachgebaut, womöglich auch bunt bemalt, wie in Knossos.


Aber wenn es einen in ein Dorf wie Dölsach verschlägt, das kurz vor Lienz liegt, dem Zentralort Osttirols, dann wird man solche Erwartungen nicht hegen dürfen. So spektakulär wurde hier, am Rand des Römischen Imperiums, nicht gebaut und nicht gewohnt.
Indes, der Trägerverein, der die Grabungen und das dazugehörige Museum verwaltet, scheint geschickt im Akquirieren von Mitteln zu sein. Ein hallenartiges Museumsgebäude, ein in Dimension und Verortung ein riesiges Atriumhaus "vertretender" Bau und eine hohe, originell konstruierte Aussichtsplattform (mit abschreckender Aneinanderreihung von Treppen), das macht schon was her.

Im Freien bieten Tafeln, Texte und Rekonstruktionszeichnungen - diese transparent, so daß sie sich im Blick wie ein Passepartout über den analogen Grabungsbestand legen lassen -, Orientierung und Verweise auch auf Geländeteile, wo erst kommende Grabungen etwas ans Tageslicht bringen werden.
Das eigentliche Museum umgeht die Verlegenheit, daß es wenige originale und noch weniger spektakuläre Objekte zu zeigen gibt, mit Nachbildungen unterschiedlichster Provenienz.
Fein säuberlich nach Themen gruppiert und beflissen werden einem die Römer erklärt und die - relative - Bedeutung des Ortes "Aguntum" als einzige einschlägige Siedlung "auf Tiroler Boden".


In Erinnerung bleiben wird mir aber weniger das Römerzeitliche als das Gegenwärtige: die ambitionierte Architektur einschließlich der Zurichtung der Ausgrabung, die auch deshalb notwendig wurde, weil regelmäßige Überschwemmungen und Vermurungen eine teilweise Verlegung von Ausgrabungen nötig machten.
Es darf nichts mehr verschwinden, es darf nichts verloren gehen. Auch künftige Generationen sollen über Grasnnarben stolpern und verwitterte Steine als die Grundrisse eines Handwerkerviertels, eines Stadttores, einer Herrschaftsvilla würdigen....

Sonntag, 2. Juni 2013

Kulturelle Bildung oder: Alles kann erklärt werden + Das Museum lesen (34)


"In Mexiko besucht Herr Palomar die Ruinen von Tula, der alten Toltekenhauptstadt. Ein mexikanischer Freund begleitet ihn, ein begeisterter und beredter Kenner der präkolumbianischen Kulturen, der ihm wunderschöne Legenden von Quetzalcoatl erzählt. Bevor er ein Gott wurde, war Quetzalcoatl ein König, und hier in Tula stand sein Palast; erhalten geblieben ist davon eine Anzahl stumpf abgebrochener Säulen, die sich rings um ein Impluvium verteilen, ein bißchen wie in einer altrömischen Villa.
Der Tempel des Morgensterns ist eine abgeflachte Stufenpyramide, auf deren breiter Plattform sich vier hohe zylindrische Säulenfiguren erheben, sogenannte »Atlanten«, die den Gott Quetzalcoatl als Morgenstern darstellen (indem sie einen Schmetterling, das Symbol des Sterns, auf dem Rücken tragen), außerdem vier Reliefpfeiler, die den Gefiederten Schlangengott darstellen, also wieder densel­ben Gott, diesmal in Tiergestalt.

All das kann man einfach nur glauben. Andererseits wäre es schwierig, das Gegenteil zu beweisen. In der altmexika­nischen Archäologie stellt jede Figur, jeder Gegenstand, jedes Detail eines Flachreliefs etwas dar, alles bedeutet etwas, das etwas bedeutet, das seinerseits etwas bedeutet. Ein Tier bedeutet einen Gott, der einen Stern bedeutet, der ein Element bedeutet oder eine menschliche Eigenschaft, und so weiter. Wir befinden uns in der Welt der Bilderschrift. Wenn die Tolteken schreiben wollten, zeichneten sie Figu­ren, aber auch wenn sie einfach nur zeichneten, war es, als ob sie schrieben: Jede Figur erscheint wie ein Bilderrätsel, ein zu entziffernder Rebus. Selbst noch die abstraktesten, rein geometrischen Friese auf einer Tempelwand können als Sonnenstrahlen gedeutet werden, wenn man darin ein Mo­tiv mit unterbrochenen Linien sieht, oder man kann eine Zahlenabfolge in ihnen lesen, je nachdem, wie sich die Mäander verschlingen. Hier in Tula wiederholen die Flach­reliefs stilisierte Tiere: Jaguare, Coyoten. Der mexikani­sche Freund erklärt Herrn Palomar jeden Stein, übersetzt ihn in kosmische Mythenerzählungen, Allegorien, moralische Reflexionen.

In den Ruinen zieht eine Schülergruppe umher: schmächtige Buben mit indianischen Zügen, vielleicht Nachkommen der Erbauer dieser Tempel, gekleidet in eine schlichte weiße Uniform mit blauen Halstüchern, wie sie die Pfadfinder tragen. Ein junger Lehrer führt sie umher, nicht viel größer als die Buben und kaum viel älter, mit dem gleichen runden und ruhigen braunen Gesicht. Sie steigen die hohen Stufen zur Plattform der Pyramide hinauf und scharen sich um die Säulen, der Lehrer erklärt, zu welcher Kultur die Säulen gehören, aus welchem Jahrhundert sie stammen, aus welchem Stein sie gehauen sind, dann schließt er: »Man weiß nicht, was sie bedeuten«, und die Schülerschar folgt ihm wieder hinunter. Zu jeder Statue, zu jeder Figur in einem Flachrelief oder auf einer Säule macht der Lehrer ein paar knappe sachliche Angaben, und jedesmal fügt er dann unweigerlich hinzu: »Man weiß nicht, was es bedeuten soll.«

Hier zum Beispiel ist ein sogenannter Chac-mool, ein Statuentypus, dem man recht häufig begegnet: eine halb liegende Menschenfigur, die eine flache Schale trägt. Auf diesen Schalen, sagen übereinstimmend die Experten, wur­den die blutigen Herzen der bei den Menschenopfern Ge­töteten präsentiert. An und für sich könnte man in diesen Figuren auch gutmütige, komisch-groteske Fratzen sehen, aber jedesmal, wenn Herr Palomar eine sieht, läuft ihm unwillkürlich ein Schauder über den Rücken.

Die Schülerschar kommt vorbei. Der junge Lehrer erklärt: »Esto es un chac-mool. No se sabe lo que quiere decir«, und geht weiter.

Immer wieder begegnet Herr Palomar, obwohl er den Erläuterungen seines Freundes folgt, am Ende der Schülergruppe und hört auf die Worte des Lehrers. Er ist fasziniert von der Fülle an mythologischen Querverweisen, mit denen sein kundiger Freund zu hantieren weiß, das Spiel des Interpretierens, die allegorische Deutung sind ihm stets als eine souveräne Übung des Geistes erschienen. Doch er fühlt sich auch von der entgegengesetzten Haltung des Schullehrers angezogen. Was ihm zunächst als ein schroffer Ausdruck von Desinteresse erschienen war, enthüllt sich ihm langsam als ein wohlüberlegter pädagogischer Plan, eine bewusst gewählte Methode dieses ernsten und gewissenhaften jungen Erziehers, eine Regel, von der er nicht abgehen will: Ein Stein, eine Figur, ein Zeichen, ein Wort, die uns isoliert von ihrem Kontext erreichen, sind nichts als eben nur dieser Stein, diese Figur, dieses Zeichen oder Wort; wir können versuchen, sie als solche zu definieren und zu be­schreiben, aber mehr nicht; wenn sie hinter dem Antlitz, das sie uns zeigen, noch ein verborgenes Antlitz haben, muss es uns verborgen bleiben. Die Weigerung, mehr zu begreifen als das, was diese Steine uns zeigen, ist vielleicht die einzig mögliche Art und Weise, ihr Geheimnis zu achten. Es erraten zu wollen, ist Anmaßung, Verrat an ihrer verloren gegangenen wahren Bedeutung.

Hinter der Pyramide gelangt man in einen Gang oder Korridor zwischen zwei Mauern, eine aus gestampftem Lehm, die andere aus behauenem Stein: die Mauer der Schlangen. Sie ist vielleicht das schönste Stück in Tula: ein Fries als Flachrelief, bestehend aus lauter Schlangen, von denen jede einen menschlichen Schädel im Maul hält, als wollte sie ihn gerade verschlingen.

Die Schüler kommen vorbei. Der Lehrer erklärt: »Dies ist die Mauer der Schlangen. Jede Schlange hält einen Schädel im Maul. Man weiß nicht, was sie bedeuten.«

Herrn Palomars Freund kann nicht länger an sich halten: »Aber ja doch, das weiß man sehr wohl! Es ist die Kontinui­tät von Leben und Tod, die Schlangen bedeuten das Leben und die Schädel den Tod: das Leben, das Leben ist, weil es den Tod in sich trägt, und den Tod, der Tod ist, weil es ohne Tod kein Leben gibt ...«

Die Schüler stehen baff mit offenem Mund, die schwarzen Augen weit aufgerissen. Herr Palomar denkt: Jede Übersetzung verlangt nach einer weiteren Übersetzung

und so fort. Er fragt sich: Was bedeuteten Tod und Leben, Kontinuität und Übergang für die alten Tolteken? Und was können sie für diese Kinder bedeuten? Und für mich? — Doch er weiß: Nie könnte er das Bedürfnis in sich ersticken, zu übersetzen, überzugehen aus einer Sprache in eine an­dere, .von konkreten Figuren zu abstrakten Worten, von abstrakten Symbolen zu konkreten Erfahrungen, wieder und wieder ein Netz von Analogien zu knüpfen. Nicht zu interpretieren ist unmöglich, genauso unmöglich wie sich am Denken zu hindern.

Kaum sind die Schüler um eine Biegung verschwunden, hebt die beharrliche Stimme des kleinen Lehrers wieder an: »No es verdad, es ist nicht wahr, was dieser Senor euch gesagt hat. Man weiß nicht, was sie bedeuten.«"

Aus: Italo Calvino: Herr Palomar. München, Wien: Carl Hanser Verlag 1985

Donnerstag, 31. Januar 2013

Symptomatische Environments

Nicht nur für die Dauerausstellung, auch für die Sonderausstellung mit Fotos von Klaus Pucher mit Szenen aus den Depots des Naturhistorischen Museum, soll der Besucher seine Meinung hinterlassen können.
Ein Tischchen in etwas zweifelhaftem Billigdesign schaut in Kombination mt einem vermutlich aus der Bauzeit des Museums stammenden und wunderbaren Thonetsessel noch trister aus, als es von Haus aus schon ist.
Da Besucher nicht selbstverständlich Schreibwerkzeug mitführen, hat man einen Stift ans Tischbein gebunden - zweifellos die eleganteste Lösung dieser Vorbeugemaßnahme gegen Diebstahl... Irgendjemand hat den Stift dann aber abgerissen, geklaut (wer klaut Stifte?) vielleicht fünf Minuten, bevor ich daß Foto gemacht habe, oder vor zwei Tagen? Gibt es jemanden, der sich um so etwas kümmert? Werden Ausstelölungen regelmäßig darauf hin angesehen, ob sie intakt sind, unbeschädigt, die mEdien funktionieren usw.?
Besonders einladend ist diese "Besucherecke" jedenfalls nicht. "Deine Meinung ist uns nicht unbedingt wichtig, aber wenn's sein muß, dann setz dich hält her...".
Man könnte einen Beruf draus machen: Symptomdedektiv, Aufspürer von "Fehlleistungen" an den Oberflächen der Organisation, die vielleicht tief ins Innere einer Institution führen, wie Jules Vernes Gängelabyrinth in seinem Buch "Die Reisen zum Mittelpunkt der Erde".
Ein gedankenlos gewähltes Möbel, ein abgerissener Stift, ein ausgefranster Faden könnten so besehen nicht mehr und nicht weniger bedeuten als: "Besucher, auf Dich sind wir nicht wirklich angewiesen und Deine Meinung ist uns sowas von Wurscht... ".

Samstag, 22. Dezember 2012

Über den Zustand der Museen der Republik. Der Milchzahn der Kaiserin

"Das Kind hatte bereits bei der Geburt einen Milchzahn, einen so genannten "dens connatus", wie schon früher der französische Sonnenkönig Ludwig XIV.
Der Umstand, dass das Kind am Weihnachtsabend, einem Sonntag und schon mit einem Zahn geboren wurde, veranlasste die Mutter zu der Annahme, dass die Geburt dieser Tochter unter einem ganz besonderen Glücksstern stand. Damit wollte sie vielleicht auch ihr Gewissen beruhigen, denn sie fürchtete einen Fluch, den sie selbst an ihrem Vermählungstag ausgesprochen hatte. Sie war so ungücklich am Tag ihrer Hochzeit gewesen, dass sie beim Werfen des Brautstraußes gesagt haben soll: 'Dieser Ehe und allem, was daraus hervorgeht, soll der Segen Gottes fehlen bis ans Ende'."

Das Kind, um das es hier in den herzerwärmenden Worten der Webseite der "Kaiserappartements der Hofnurg" geht, war Elisabeth, "Sissi", später Gemahlin Kaiser Franz Josefs. Weil dieses Mysterienkind nicht nur mit einem Zahn auf die Welt kam, sondern an einem 24. Dezember, sieht sich das Museum veranlasst, Taufkleid (entzückend) und Zahn - diesen im Milchzahnbehälter aus vergoldetem Messing mit gekröntem Allianzwappen der Herzogin Ludovika in Bayern  - ab diesem Datum auszustellen. Befristet, bis März des kommenden Jahres, dann kommt er wieder is Depot, aus konservatorischen Gründen. Also nicht versäumen, denn wer weiß, wann der Milchzahn wieder zu sehen sein wird, der am Freitag von niemand geringerem als Sisis Ururenkelin Magdalena Habsburg in die Vitrine gelegt wurde, wie die Tageszeitung Die Presse zu berichten weiß.


Wem der Wert dieser k.k. Zimelien etwas schleierhaft ist, den belehrt in der genannten Tageszeitung die Kuratorin des Museums Olivia Lichtscheidl: Diese Dinge haben ja auch einen unglaublichen ideellen Wert. 

Zum Stolz einer der berühmtesten Sammlungen der frühen Neuzeit, der von Tradescant Vater und Sohn in Oxford, zählte unter anderem: Ein babylonisches Gewand, Diverse Sorten Eier aus der Türkei; eines von ihnen als Drachenei deklariert, Ostereier des Patriarchen von Jerusalem, zwei Federn vom Schweif des Vogels Phönix, eine Klaue des Vogels Rock, der dem Vernehmen nach einen Elefanten zu entführen vermag, ein Dodar von der Insel Mauritius; der ob seiner Korpulenz des Fluges nicht fähig ist, ein Hasenkopf mit rauhem Gehörn, drei Zoll lang, ein Krötenfisch und einer mit Stacheln, diverse Darstellungen, in Pflaumenkerne geschnitzt, eine Messingkugel zum Wärmen der Hände für Nonnen. 
Wenig später setzte eine ätzende Polemik gegen derlei Sammlungen ein. Der Geist der rationalen Wissenschaften machte den Sammelsurien den Garaus. Spottgedichte erschienen, ironische Texte, die derlei Sammelpraktiken verulkten. Ein Milchzahn einer Kaiserin hätte vor dem Richterstuhl dieser Sammlungskritik keine Gnade gefunden.

Das verschrobene Sammeln überlebte in der Literatur, in der Schilderung kauziger Obsessionen, etwa der, der Jaromir Edler von Eynhuf in Fritz von Herzmanovskis Roman Der Gaulschreck im Rosennetz huldigt, wo er, der Sekretär des Hoftrommeldepots aus patriotischer Gesinnung beschließt, seinem Landesvater zu dessen Regierungsjubiläum seine Milchzahnsammlung zu verehren. Hat Herzmanowsky vom allerhöchsten kaiserlichen Zahn, der im Depot schlummerte, gewußt? und wurde er so zum Patron eines Rückschrittes der Musealisierung von der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung zurück zum vormodernen Kuriositätenkabinett?

Dienstag, 11. Dezember 2012

Schiffbruch mit Zuschauer

Die Vitrine ist ein Schlüsselobjekt des Museums, nicht bloß ein schützendes Behältnis, sondern eine Metapher für das, was ein Museum macht.
Sie schafft Distanz, schützt das Gut, das sie enthält, offeriert Sichtbarkeit, verhindert das Berühren und das Wegnehmen. Sie reserviert ein Ding für den Augensinn, sie rückt etwas für unseren Blick zurecht und isoliert es und sich von der Umgebung. Als Sockel und Gestell hebt sie etwas hervor aus der Umgebung, gibt zu sehen, "stellt aus".
Die Vitrine schützt aber nicht nur das Ding vor dem Verbrauchtwerden, dem Verschleiß, der Verschmutzung und so weiter. Es schützt auch uns als dem Gegenständigen des Subjekts vor dem Gegenstand der mit dem Subjekt etwas macht, etwas anrichtet, berührt, erschreckt, frägt, bedrängt, verunsichert.
Ein Bastler bietet das offenbar von ihm gefertigte Modell der Titanic an, dessen akribische ans Vorbild sich haltende Ausführung er hervorstreicht. Geliefert wird mit Vitrine, wohl eher für private Sammler gedacht, aber auch durchaus im Museum vorstellbar.
Blaues, ruhiges, dunkles Wasser, das Schiff, das mit dem Bug voran sinkt und zwei Spitzen eines Eisberges. Am Rand der Vitrine, auf dem Foto nicht gut erkennbar, möglicherweise die ersten Rettungsboote.
Wir sind auf der sicheren Seite. Wir haben festen Boden unter den Füßen und im Museum ist die Welt im Lot und in Ordnung. Das Katastrophische ist uns einen Blick wert, aus sicherer Distanz, die nicht nur durch Gestell und Glas erzeugt wird sondern auch durch die Miniaturisierung. Ein Untergang als Spielzeug, als Sammlerstück, als Exponat.
Das machen Museen - sie sind Orte der gefahrlosen Besichtigung an denen wir Zuschauer sind, vielleicht auch Zuschauer unserer selbst. Im Museum immer nach der Katastrophe.

Dienstag, 18. September 2012

Wenn es Museumscafés gibt, dann muß es eigentlich auch Cafémuseen geben. Ein Beispiel


Im Post vom 7. September 2011 (hier) habe ich von einem seltenen Fall von Entmusealisierung berichtet. Das kleine, zum Universalmuseum Joanneum gehörige "Römermuseum" sollte zur begehbaren Vitrine umgestaltet werden und das Ausgrabungsgelände des römischen Flavia Solva zugeschüttet, weil das billiger als die Erhaltung der Grabung sei.
Proteste vor allem der Gemeinde haben zur Änderung der Pläne geführt. Der größte Teil der Grabung wurde tatsächlich zugeschüttet und der Verlauf der Mauern markiert, wichtige Teile wurden erhalten, teilweise überdacht.
Und das Museum wurde tatsächlich zur Vitrine, die man auf einem Steg umrunden kann. In der diaphanen Glaswand finden sich Objekte und Informationen.
Das Museum wurde im Inneren zum Café und Eissalon. Das Museum spart sich Personal(kosten) und verdient womöglich durch die Verpachtung. Das Café-Museum ist erfunden!






Montag, 27. August 2012

Besuchen Sie Ihr Museum! (Museumsphysiognomien)


Das Universalmuseum Joanneum in Graz wirbt derzeit mit großen Plakaten. "Besuchen Sie Ihr Zeughaus!", "Besuchen Sie Ihr Schloss!", "Besuchen Sie Ihr Palais". Gemeint sind die einzelnen Sammlungsstandorte mit ihren Dauerausttellungen, das Schloss Eggenberg und eben das Museum im Palais.
"Ihr Museum" ist im rechtlichen Sinn korrekt, denn die Sammlungsobjekte sind bei einem öffentlichen Museum wie diesem Landesmuseum Gemeingut, sie gehören jedermann. Das allerdings nur abstrakt. Wer ins Depot ginge, um sich dort für einige Monate ein biedermeierliches Aquarell oder einen Römerkopf zur repräsentativen Ausstattung seiner Wohnung abzuholen, würde auf keine Herausgabebereitschaft stoßen.
Umgekehrt kann aber das Museum auch nichts veräußern, von dem, was es treuhänderisch verwahrt, es sei denn mit höchster politischer Erlaubnis in Ausnahmefällen. Ein bisschen Budgetsanierung mit dem Verkauf eines Objekts, das geht (normalerweise) gar nicht.
Es ist aber nicht anzunehmen, daß die Marketingfachleute oder das Designbüro, die das Plakat entworfen haben, mit dem "Ihr" diesen rechtlichen Besitz an Kulturgütern ansprechen wollen, (der den meisten auch gar nicht bewußt sein dürfte) sondern wohl eher performativ eine Identifikation mit dem Museum als Ganzes herzustellen beabsichtigen. Etwa im Sinn, "das Museum ist für Dich da, es ist Deines, also geh doch (wieder) mal hin".
So etwas kann man aber nicht einfach appelativ herstellen, auch nicht mit einem Rufzeichen am Ende des Satzes. Identifikation mit Museen ist etwas, was langsam aufgebaut und sorgfältig gepflegt werden muß und es natürlich alles andere als gleichgültig, wie und was gezeigt wird.
An Museen in England oder Schottland kann man das Resultat einer solch lange gewachsenen Museumskultur studieren: populäre Museen mit bunten Besuchermassen, die sich wie selbstverständlich durch das Museum bewegen als sei es - eben ihrs.
Nun gut, vielleicht ist ja die Plakatserie ein Teil oder der Beginn einessolchen'Audience Development', also ein Stück Bewirtschaftung öffentlicher Aufmerksamkeit für dieses bestimmte Museum.
Nicht unterschätzen sollte man, daß in dem Appell an die Identifikation schon immer auch der Ausschluß steckt. Denn ein großer Teil der Bevölkerung, die hier angesprochen werden soll, geht nicht etwa deswegen nicht ins Museum, weil sie die Inhalte nicht interessieren oder die Objekte oder die Programme. Sie gehen deswegen nicht hin, weil das Museum als für sie bedeutsamer kultureller Ort schlicht und einfach nicht existiert. Niemand hat das so präzise und empirisch wie theoretisch fundiert beschrieben, wie der französische Soziologe Pierre Bourdieu.
Es gibt einen fundamentalen Ausschluß, der über die Produktion und Verteilung von Wissen und Bildung (schon früh, in Familie und Schule) zustandekommt und dazu führt, daß, wie uns Museumssoziologen versichern, für bis zur Hälfte einer Bevölkerung "das Museum nicht existiert". Es ist nicht "Ihrs".

Sonntag, 22. Juli 2012

Monty Python in Tirol. Das Andreas Hofer - Museum

Andreas Hofer ist in Tirol weltberühmt. Schließlich war er der Anführer eines kleinen tapferen Bergvolkes, das den Weltmächten trotzte und nur unglücklich, also tragisch unterging. Also ist er auch ein Held eines existierenden heldenhaften Volkes, nämlich der heute in Axams, Wörgl, Wattens, Seefeld oder Brixen lebenden Tiroler, die ihm dankbar und treu sind.
Mit Helden und Heldentum nimmt das Museum, das am Ort von Andreas Hofers Wohnstatt, in Sankt Leonhard in Passeier, eingerichtet wurde, auch seinen Auftakt. Allerdings zersplittern die Texte, Sprachen und Sichtweisen das Heldische und wenn dann der kurze Einleitungsfilm zum Museum einsetzt, hat sich das Heldische schon im Säurebad der Relativierung ziemlich aufgeweicht.
Der Film, ohne dessen Konsum man nicht ins Museum kann - an seinem Ende öffnet sich das Museum wie ein Sesam -, erzählt die wichtigsten Stationen Hofers und des ,Freiheitskampfes‘, illustriert in der Zeichentricktechnik von Monthy Python (nur etwas weniger lustig und proffessionell) und fügt der ästhetischen Brechung auch eine hörbare Distanz hinzu. Am Schluß, aus dem Off vor weißer Leinwand kommt denn auch die Frage, was gewesen wäre, wenn Napoleon Hofer begnadigt hätte und er als alter Mann friedlich gestorben wäre? Und dann, als Steigerung, die, ob denn alles anders gekommen wäre, wenn die Tiroler den Aufstand erst gar nicht versucht hätte? Oder wäre heute alles genauso wie es nun mal ist?
Ein Museum, das (s)eine Sinnfrage mal schön auf den Kopf stellt.

 Was dann folgt ist eine Erzählung der Ereignisse in ihrer chronologischen Folge, aber immer durchwebt mit der Frage nach den Methoden, Motiven und Medien der Erzählung selbst. Man bekommt ein Gefühl dafür, wie aus einem Ereignis (sehr lokal, militärisch und politisch unbedeutend, ideologisch rückschrittlich, taub für überfällige Modernisierungen) ein ,nationaler Mythos‘ wird. Wie es zum Umdeutungen, Umerzählungen, Überformungen kommt, zu Monumentalisierung in Form von Museumssammlungen, Denkmälern, Gedächtnisorten.
Das Museum ist ausreichen genau, daß man das Ausmaß der Entstellung der Ereignisse erahnt und ihre Adaption für herrschende politische Großerzählungen. Dabei hält man eine angenehme Blance von Sachlichkeit und Distanz, die nie hämisch oder denunziatorisch wird und die immer mehrere Deutungen offenhält.
Nicht immer gelingt das Brechen der Bilder, die man verwendet (von denen sich manche ins Gedächtnis längst tief eingebildet haben, wie etwa Defreggers Gemälde). Gelegentlich liegt der schöne Witz im Detail, etwa wenn die verständlich erläuterte und aufschlußreiche späte Würdigung durch den Kaiser mit der Menükarte seines Gabelfrühstücks, mit dem das Ereignis begleitet wurde (oder aus dem es vielleicht auch bestand, wer weiß), dokumentiert wird. „Kraftbrühe mit Huhn, Passeyrer Forellen, Hasenbrot, gefüllter Fasan, Steyrischer Kapaun, Meraner Obst, Kleine Bäckerei“ und anderes mehr.

Es gibt nette gestalterische Details, etwa die mehrsprachigen Kurztexte, die man aus einer Box ziehen kann (und die leider nicht vandalensicher sind). Und es gibt, ziemlich bescheiden (aber das dürfte der Quellenlage und der Geschchtsschreibung geschuldet sein, die nicht mehr hergeben), eine gezielte Aufmerksamkeit für Frauenbiografien. In dieser heftigen Männergeschichte voll von geschwungenen Sensen und gegen den Feind gereckter Kruzifixe eine ganz bemerkenswerte Bemühung um ,Gegengeschichten‘.
Das Museum zwickt auch seine Objekte und fragt sie, „bist Du überhaupt echt?“ und zweifelt lautstark an ihnen. Das ist insofern dreist, weil man hier ohne museologische Skrupel ohnehin alle Medien mischt und das Museum stellenweise zum Theater, zum animierten Bilderbogen, zum Hörspiel wird.
Mein Eindruck war, daß diese Fiktionalisierung (gemessen an Museumskonventionen, die aufs ach so authentische Objekt Eide schwören...), seinen (guten) Dienst tut, weil ja die Problematisierung der Erzählweisen als Form der Dekonstruktion der patriotischen Geschichte gar nicht funktionieren könnte, wenn nicht der Besucher ständig einbezogen würde - aufgefordert, sich zwischen den Resten, Quellen und Spuren der Fragwürdigkeit des als Wahheitsgeschichte ausgegeben ständig bewußt zu bleiben.

 Der Mythenbildung, dem ,Machen eines Helden‘ wird dann sogar ein eigener umfangreicher Abschnitt gewidmet, auf den die Gegenwart der Relativierung mündet. Ähnlich der Jubiläumsausstellung im Ferdinandeum in Innsbruck glaubt man an eine Kraft der Dekonstruktion der totalen Verkitschung, Vermarktung, Medialisierung. Das geht aber in dem Fall hier wie damals im Landesmuseum nicht auf, weil ja der letzte Dreh am Hofer-Mythos (nur aus Gründen der chronologischen Abfolge, das Museum in Passeier wurde vor dem Ausbau des Bergisel eröffnet?) nicht einbezogen ist.
Mit dem Werbeslogan „Tirols neue Mitte“ wurde ja durch die von einer Langzeitpartei dominierte Landespolitik die Fundierung der Landesidentität auf das Jahr 1809, auf Andreas Hofer und den Schlacht-Ort erneuert. Rundgemälde und Kaiserjägermuseum und Bergiselmuseum das ist ja wie eine Jause mit Banane Split, Speckjause mit sauren Gurkerln, Schwarzwälder-Kirschtorte und Schlutzkrapfen in brauner Butter. In einer Aufwändigkeit und Dichte, wie sie bis dahin nicht denkbar war hat man hier alle Mythen zusammengezogen und fortgeschrieben. Übrigens verdammt humorlos. Und mit einer, nun sagen wir mal, ziemlich obszönen Erneuerung einer Grundlegung gesellschaftlicher Kohärenz in der Idee des heldenhaft-blutig-religiösen Opferganges.
Das ist also so ziemlich das einzige, was ich am Museum in Passeier bekritteln würde. Daß es sich der ,staatspolitischen‘ Permanenz des Mythos nicht stellt, den die Politik durch alle Relativierung, Begradigung, Korrektur durch Forschung und Vermarktung hindurch bis heute aufrechterhält.
Der politische Mythos ist eben nicht tot.

Ein Museum, das sich von seinem Gegenstand distanziert, auch wenn es das auf kluge, symphatische und gewitzte Art macht, läuft Gefahr, seinen Gegenstand endgültig zu historisieren und einer interesselosen Neugier auszuliefern. Sowenig aber der Mythos für die Tiroler Herrschaften erledigt ist, sowenig ist es der Konflikt, der in der ,kleinen patriotischen Erzählung steckt.
In einem Essay in der Tageszeitung Die Presse hat Richard Schuberth im ,Jubiläumsjahr‘ 2009 geschrieben: „Dabei lohnt sich in Zeiten, wo kosovo-albanischen, palästinensischen oder tschetschenischen Insurgenten entweder bedingungsloser Hass, zumeist jedoch haltlose Sympathie entgegenschlägt, die Frage, wer sich da im Tirol des Jahres 1809 warum gegen wen erhob – handelt es sich dabei doch nicht um irgendeine Epoche, sondern um eine Wendezeit, die allgemein als die Geburt der Moderne begriffen wird und bereits die ideologischen Fronten in sich trug, von denen auch heute noch aufeinander geschossen wird.“
Da wäre also etwas zu gewinnen für ein Museum. Wenn es den Mut hätte zur Verallgemeinerung, zur Verknüpfung von Lokalem und Globalen, Früherem und Aktuellem.
Als "Heldenstück" präsentiert: Hofers Hosenträger

Aber: Hut ab vor der Leichtigkeit und Entspanntheit, mit der hier, an einem eigentlich auch ,heiligen Ort‘, mit ,dem Hofer‘ und seinem Mythos und dem Tiroler Patriotismus umgegangen wird.
Nach der zeitgeschichtlichen Ausstellung im Schloß Tirol, die auch ihre Meriten hat, glaube ich langsam an einen besonderen südtiroler Museumsmut was ausgerechnet die Zeitgeschichte betrifft - und dazu zählt nun mal der Andreas Hofer noch immer. Ich bin mal gespannt auf das Museum, das im ,Siegestor‘ in Bozen geplant und offenbar baulich grade vorbereitet wird.

Donnerstag, 3. Mai 2012

Das Glasmuseum Bärnbach

Das Glasmuseum in Bärnbach (Steiermark) entstand aus der Landesausstellung "Glas und Kohle" 1988 und befindet sich in dem damals vom Architekten Klaus Kada geplanten Bau. Das Museum wird von einem Verein betrieben ist aber eng räumlich und funktionell mit der Produktionsstätte des Glasherstellers Stölzle Oberglas verbunden. Während das Museum über die Geschichte der Glaserzeugung informiert, kann man (im Rahmen der Führung) auch die Glashütte betreten, in der noch für spezielle Aufträge mundgeblasenes Glas hergestellt wird. Demnächst wird in den Rundgang - weltweit einmalig, wie das Museum szolz betont -, die aufgelassene Glaswanne einbezogen, das heißt ein Schmelzofen, in dem in großen Mengen Glas für die unmittelbar anschließende industrielle Fertigung geschmolzen wurde.
Das Museum erneuert jedes Jahr seine Ausstellung unter einem Thema, wobei Leitobjekte belassen werden und das Rückgrat der historischen Darstellung bilden. Inzwischen nutzt das Museum Kontakte zu osteuropäischen Museen, die einerseits Gelegenheit erhalten, hier erstmals außerhalb ihrer eigenen Ausstellungsräume auszustellen, während das Museum so zu seltenen und bemerkenswerten Objekten kommt.
Allerdings wird durch die Mischung eigener Sammlungsbestände, geborgter und von eher kuriosen Objekten, die durch Größe und technische Eigenschaften eher, denn durch Ästhetik überzeugen (das größte Bierkrügel der Welt, eine mannshohe "Almdudler"-Limonadeflasche uam. ein ganz schön disparater Eindruck erweckt, der auch durch keine gestalterische Stringenz zusammengehalten wird.
Das Museum hat, so sagte man mir, etwa 40.000 Besucher im Jahr, davon ein Drittel Schulklassen. Das Museum ist offenbar für Spezialisten aller Art interessant, in der Glashütte traf ich z.B. auf einen älteren Herrn, der für ein kanadisches Glasmuseum Film- und Fotoaufnahmen machte.
Der Museumsrundgang endet in einem großen Shop (Werksverkauf von Stölzle) mit einer sehr großen Palette von Glaswaren, von billigster Industrieware bis hin zu handgearbeitetem oder -geschliffenem hochpreisigen Glas.