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Dienstag, 14. März 2017

Kleine Geschichte des Museums. Teil vier. Die Musen und ihr Museion

Was bisher geschah: Wir hatten ein Museum entdeckt, das sich bescheiden aber auch stolz, ein neuntältestes nennt, und daraus messerscharf geschlossen, es müsse demnach auch also ein ältestes geben. Indes führte die Suche danach zu entschieden zu vielen ersten Museen und es zeigte sich, daß es ein Wort gibt und dessen Geschichte einerseits und andrerseits daß es verschiedene kulturelle Praktiken gibt, die mit diesem Wort bezeichnet werden. Aber auch daß dieses Wort "Museum" Sachverhalte bezeichnet, die mit dem, was wir heute landläufig darunter verstehen, wenig oder nichts zu tun hat. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.

Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der Errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, nämlich Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten ist. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin gerade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine Einsicht, die man auch heute nicht anders formulieren könnte. Aber dennoch hielt man in Berlin an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.

Ich  vermute, daß man die wörtliche Bedeutung meinte und diese aktualisierte: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen.

Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne und des Zeus sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis.

Die Musen erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann: Das Museion. Eine Wiese, ein  Hain. Ein vage bezeichneter und ebenso vage lokalisierbarer Platz.

Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.

Wenn man in Berlin "Museum" mit "Ruheort" übersetzt, könnte man das als Historisierung der Kunst verstehen. Im Rückgriff auf den Gedächtnisort des Museion und des Gedächtnismediums Musen wäre dann im Museum Kunst ein Gedächtnismedium, erst einmal eines ihrer eigenen Geschichte, die ab nun - chronologisch-kanonisch - das Sujet, der "Gegenstand", der Inhalt des Museums wäre.

Die allmähliche Transformation des Musenmythos, den er in der Antike durchmacht, hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierte - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text. Da wurde schon eine für unsere Ohren ganz zeitgenössisch klingende Debatte geführt, ob die Aufzeichnungsmedien nicht das lebendige Gedächtnis zerstörten. Und das taucht ja auch tatsächlich in der Museologie als Frage auf: zerstört Musealisierung von Dingen nicht genau jene Erinnerung (mit den Funktionen), die einmal mit Objekten verknüpft waren? Ist das Aufbewahren von Objekten im Interesse der Erinnerungsfähigkeit nicht eine Zerstörung alles dessen, was einmal mit ihnen an Wissen, Emotionen, Handhabungen usw. verknüpft war. Also im Grunde ein Vergessen?

Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.

Das Wissen von den Musen verdanken wir gerade diesen Aufzeichnern und Aufschreibern, wie der Schilderung Hesiods in seiner Theogonie, wo er - etwas dreist - den Musen begegnet sein will, die ihn gleichsam beauftragt hätten, ihr Werk weiterzuführen. Da findet eine folgenreiche Übertragung der Wissens- und Erinnerungsmacht auf säkulare und irdische Instanzen statt, die auch die Funktion des "Museion" verändert.

In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.

Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eines Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert. Was man davon weiß ist wenig, daß es eine große, enorm wertvolle Bibliothek war, die in einem Brand unterging.

Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Allerdings, wie wir sehen, kommt die antike Vorstellung Aber noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung aus, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen, weil sie völlig "unantik" war.

Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben. Bis heute. Museen vor allem als Sammlungen zu sehen und ihre Existenz in der Bewahrung von Objekten (welcher Art auch immer), löst diesen Konflikt nicht sondern entscheidet ihn zu Gunsten von Verdinglichung und Fetischsierung. Die Aufgabe der Vermittlung, des Erinnerns verblaßt in diesem Verständnis vom Museum.

Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums. Und sie entzündet sich sofort auch an dem beschriebenen Dilemma.

Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht, eine Kritik am Bildersturm der Revolution,  den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:

Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris

Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland! 


Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.



Fortsetzung folgt.

Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. - Mosaik mit Darstellung der platonischen Akademie in Athen. Pompeji, um 50 v.Chr. Museo Nazionale Napoli. Antikes Wikipedia: Wahrscheinlich Platon deutet mit einem Stab auf einen drehbaren Himmelsglobus am Boden. Im Hintergrund die Stadtmauer von Athen. An der Säule eine Sonnenuhr und links vier Öllampen zur abendlichen Beleuchtung. Der Rahmen des Mosaiks ist besonders relevant zum Verständnis der Darstellung. Es handelt sich bei den Köpfen um typische antike Theatermasken mit offenem Mund zur besseren Hörbarbeit der Schauspieler. Das Mosaik ist daher nicht der Akademie selbst, sondern einem unbekannten Theaterstück über die Akademie gewidmet.- Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris

Montag, 13. März 2017

Kleine Geschichte des Museums. Teil drei. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück: Museum

Die selbstbewußte Feststellung 
des Indian Museum in Kalkutta, 
das neuntälteste Museum der 
Welt zu sein, hat uns zu der 
Frage geführt, welches denn das 
erste wäre und in der Folge zu 
einer kleinen Studiensammlung 
von ‚Ersten Museen’. Was 
wiederum schnell gezeigt hat, 
daß das Wort ‚Museum’ höchst unterschiedliche Praktiken des Sammelns, Zeigens und Wissens bezeichnet.

Und das seit der Mitte des 16.Jahrhunderts, also über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Und in all der Zeit soll sich die Wortbedeutung nicht verändert haben? Ein einziges Wort soll genügen, um die vielen Phänomene zu bezeichnen - vom humanistischen Wissensraum bis hin zum nationalen Sammlungsmuseum und den dem Entertainment gewidmeten Schaumuseen der Gegenwart? 

Kompliziert wird die Angelegenheit noch dadurch, daß das Wort auch Dinge bezeichnet, die 
kaum oder jedenfalls nicht auf den ersten Blick etwas mit dem zu tun haben, was wir heute 
mit „Museum“ verbinden. Das Wort Museum kann mythologische, religiöse, wissenschaftliche 
oder zum Beispiel auch literarische Bedeutungen an sich ziehen. In der museologischen 
Forschung wird das Problem des Wortgebrauchs meist ignoriert. Da soll Museum drinnen sein, wo Museum drauf steht.

Interessanter als Selbstverständlichkeit oder Denkträgheit sind jene Momente, wo das Wort 
plötzlich problematisch wird. Das ist am Beginn des 19. Jahrhunderts der Fall, also zu dem Zeitpunkt wo sich ein neues Modell kultureller Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung entwickelt und durchsetzt. Es ist der historische Moment, wo das Wort jene Bedeutungen 
erhält, die wir mit ihm heute verbinden. (Ich komme darauf in einem weiteren Folge zurück).

Bei der Errichtung einer königlichen Antikensammlung in München am Beginn des 
19.Jahrhunderts verzichtet man auf „Museum“ und entscheidet sich stattdessen für das 
Kunstwort Glyptothek. Während der Errichtung des zeitgleich entstehenden Königlichen 
Museum in Berlin (heute: Altes Museum) fragt man sich während der Entwicklung des 
Konzeptes, ob es denn je in der Antike eine Praxis, eine Institution gegeben hat, die dem 
entspricht, was man grade dabei ist zu verwirklichen. 

Die Gruppe von Gelehrten, die unter der Leitung von Wilhelm von Humboldt an den 
Grundlagen der neuen Institution arbeitet, kann sich nicht einigen. Es kommt zu einem 
kurzen gelehrten Disput, in die schließlich die Akademie der Wissenschaft eingeschaltet wird. 
Und das Resultat der Debatte ist: nein, so etwas wie ein allgemein zugängliches Haus, das 
dazu da ist, daß überlieferte, historische Kunst zum Zweck der Bildung auf Dauer bewahrt und für jedermann zugänglich ausgestellt würde, so etwas kannten ‚die Alten’ nicht.

Museum würde "im ganzen Alterthume" nur Orte der Wissenschaft bezeichnen, solche zur "Aufbewahrung von archäologischen oder Kunstgegenständen" niemals, heißt es in einer entscheidenden Passage des Gutachtens. Aus diesem Grund hatte man ja in München das 
Wort Museum schließlich vermieden.

Hier aber entscheidet man sich - gegen gute, valide Argumente -, dennoch für ‚Museum’, 
um in der (lateinschen) Stifterinschrift an der Fassade des Baues den Zweck des Ganzen zu bezeichnen. Und zwar indem man sich auf eine sogenannte ‚ältere’ Bedeutung des 
griechischen Wortes beruft. Freilich ohne diese ‚ältere’ Bedeutung zu erläutern.

Mit der Benennung des Museums der Revolutionszeit im königlichen Schloß, dem Louvre, als ‚Museum Française’ (und nicht als Musée, und das macht einen Unterschied – davon 
vielleicht ein andermal), war der latinisierten Übertragung des griechischen ‚museion’ zur Bezeichnung staatlicher Sammlungen und nationaler Museen bereits der Weg geebnet. 

Aber in Berlin geht man noch einmal bis zur Etymologie des Wortes zurück und zu seiner griechisch-antiken Bedeutung. Ich denke, daß die Entscheidung, die man in Berlin traf, wichtig für die ab nun usuelle Bezeichnung war, für die Durchsetzung des Wortes Museum für eine eigentümliche moderne institution. Und zwar nicht allein aber auch, weil es sich um den ersten Museumsbau (Architekt: Karl Friedrich Schinkel) handelte (in einer bedeutenden Stadt und für eine bedeutende Sammlung), der den Funktionen des Museums architektonisch Ausdruck gab: praktisch, symbolisch und performativ.

Aber was verstand man in Berlin wohl unter der ‚älteren Bedeutung’ des Wortes Museum? 
Warum fiel die Wahl eines eingestandenermaßen ‚unpassenden’ Wortes? Und warum 
übersetzte man dieses Wort - entgegen der Wortbedeutung - so ins Deutsche: Ruheort 
(nämlich der Kunst)?

Die Rotunde des Alten Museums mit den Götter- und Heroenstatuen
FRIDERICVS GVILELMMVS III STVDIO ANTIQVITATIS OMNI­GENAE ET ARTIVUM LIBERALIVM MVSEVM CONSTITVIT MDCCCXXVIII In der zeitgenössischen Übersetzung: Friedrich Wilhelm III hat dem Studium jeder Art Alterthümer und der freien Künste diesen Ruheort gestiftet 1828. 

„Ruheort“ deckt sich nicht nur mit der antiken Bedeutung von „museion“ als Versammlungsort und Tanzplatz der Musen nicht, er ist auch museologisch wie geschichtsphilosophisch heikel. 

Denn wieso kommt im Museum die Kunst „zur Ruhe“? Weil sie ihren Sitz im Leben verliert und ihre Entwicklung zum Stillstand kommt? Weil sie allein noch als Gegenstand der Anschauung als dauerhaft gültiger kultureller Wert behandelt wird? Als ein Triumph der Musealisierung über ihr lebendiges Wirken in der gesellschaftlichen Gegenwart und Zukunft? 

Samstag, 18. Dezember 2010

Was ist ein Museum (Teil 10). Was bisher geschah und: Triumphzug mit Einspruch

Raffael: Kopf einer Muse. Studie zum Fresko "Parnass" in den Stanzen des Vatikan
Ich habe den "Fortsetzungsroman" mit dem Titel "Was ist ein Museum" nun schon lange unterbrochen. Um den Faden wieder aufzunehmen, scheint es mir nur fair, ein "Was bisher geschah" vorzuschalten, ehe ich ein neues Kapitel aufschlage.
Jede Frage was denn ein Museum ist, zieht eine zweite Frage mit sich, nämlich welches denn das erste gewesen sein könnte. In diesem Sinn habe ich mit einer sicheren und einer unsicheren Antwort begonnen. In "Das neuntälteste Museum der Welt" (Teil 1) behauptete ein Museum das neuntälteste zu sein, und damit zu wissen was das älteste und was überhaupt ein Museum sei.
Die Fortsetzung im Teil 2 listete verschiedene Antworten auf diese Frage auf, die durch ihre Verschiedenartigkeit das Problem eher verwirrten und verschärften. Und im dritten Teil, "Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück", wurde über die Unsicherheit, ja den Streit über die Benennung eines Hauses für die königliche Kunstsammlung in Berlin erzählt. Soll das, kann das 'Museum' heißen. Und wenn ja, warum?
Die Entscheidung war folgenreich, denn sie hat dazu beigetragen, daß 'Museum' das gebräuchliche Wort wurde, aber sie war alles andere als sicher untermauert.
Im vierten Teil bin ich einer Spur gefolgt, die die Debatte um das Berliner Museum legt: die der Herkunft des Wortes Museum. Diese Zeitreise bestätigte die Skrupel, die die Gelehrten in Berlin hatten; tatsächlich, so etwas wie ein Haus, in dem auf Dauer Gegenstände ausschließlich zum Zweck des Betrachtens bewahrt und ausgestellt werden, das gab es in der Antike nicht. Museion war der Versammlungsort der Musen, aber die Musen 'sammelten' nicht, sie sangen und tanzten.
Dennoch spinnt sich ein geistesgeschichtlicher Faden vom 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung (der ersten schriftlichen Erwähnung der Musen) bis in die Neuzeit herauf. Die Idee einer Art von kollektivem, gesellschaftlichem Gedächtnis (in der Antike: die gattungsgeschichtlichen Erzählungen des Mythos) einerseits und ein medientheoretischer und -kritischer Aspekt andrerseits. Denn in der Geschichte der Musen und ihres Aufenthaltsortes, dem Museion, spiegelt sich der zivilisatorische Bruch von lebendem und technischen Gedächtnis. Was nur mündlich überlieferbar war, wurde durch die Aufzeichnungsmedien Bild und Schrift dauerhaft, 'monumental, tendenziell unzerstörbar.
Die Dialektik von lebendem, aber kurzlebigem und schwankendem Erinnern und dinglicher, festgeschriebener Erinnerung, die das das lebende Gedächtnis bedroht, ist schon Stoff der antiken Philosophie selbst.
Das wird aber auch eine Hypothek für die Idee des Museums der Moderne werden. Die Dinge aufzubewahren und damit - nur vermeintlich - deren - Gedächtnis schon aktualisiert zu haben. An diesem Widerspruch wird sich die Kritik am Museum, namentlich die der künstlerischen Avantgarden, immer und immer wieder entzünden.
Vorerst waren aber das Museion und die Musen selbst vom Vergessen bedroht. Das christliche Mittelalter sah mit sehr raren Ausnahmen keinen Grund die 'heidnischen Götter' am Leben zu halten und erst die Rückwendung zu den antiken Überlieferungen in der mediterranen Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts ließ die Idee des Museion wieder aufleben. Und zwar als Ort der gelehrten Studien, als Ort der Sammlung, als Ort der beides beschützenden Musen, die zu diesem Zweck als Bilder oder Statuen (in Villen oder Parks) heraufgerufen wurden. Dem war der 5. Teil, "Die Wiederkehr der Musen", gewidmet.
Diese Entwicklung führt aber nicht zur privilegierten Verwendung des Wortes 'Museum'. Für die diversen Weisen des Sammelns und Ausstellens seit dem 16. Jahrhundert, gibt es viele Namen, Museum ist darunter (erstmals um 1550), aber einer unter vielen, und einer mit vielerlei Bedeutungen. Der Bedeutungsvielfalt und dem Bedeutungswandel von 'Museum' in der Neuzeit war der 6. Teil gewidmet, der bereist auf eine Entscheidung für den Gebrauch des Wortes vorbereitete. Nämlich der Schaffung mehrerer, für unterschiedliche Wissensbereiche zuständiger Museen in der Französischen Revolution und die Preisgabe einer Idee eines universalen Wissens- und Bildungsortes. Bis dahin waren beide unter dem Begriff Museum transportierten Optionen offen gewesen.
Der Louvre. Als 'Musée Napoleon' auch ein Ort der 'Trophäen', der im militärisch eroberten Ausland erbeuteten Kunstgüter.
Die Französische Revolution (Teil 7 "Museum und Guillotine") ist die für die Entstehung des Museums, wie wir es heute kennen und betreiben entscheidende geschichtliche Epoche. Denn jetzt verbinden sich viele der älteren Strukturmerkmale des Sammelns und Ausstellens mit der Idee der national verfassten Gesellschaft, die im Museum einen Ort schafft, ihre Geschichte und kollektive Identität zu repräsentieren und zu verhandeln. Damit tritt der Staat in die Rolle des treuhänderisch die gesellschaftlichen Interessen vertretenden und durchsetzenden Finanziers und Protektors, der Bildung für jedermann als museales zivilisierendes Ritual ermöglicht. Das aber zu seinem Nutzen, denn der gebildete und aufgeklärte Bürger identifiziert sich als Citoyen mit Staat und Gesellschaft und wirkt an deren Entfaltung und Vervollkommnung mit.
Zugänglichkeit für jedermann ist also kein Ziel des Museums, sondern Bedingung, daß die zivilisierende Aufgabe des Museums wahrgenommen werden kann.
Nach einem 8. Teil zur sofort einsetzenden 'Globalisierung' der Museumsidee und der Vorbildlichkeit des Französischen Modells, das im Schlepptau der französischen Armee in vielen europäischen  Städten angesiedelt wird, habe ich dann im 9. Teil diesen zentralen Punkt der modernen Idee des Museums präzisiert - den Übergang von der Nutzung von Sammlungen und Ausstellungen als Vergünstigung (bis dahin sind mit raren Ausnahmen alle diese Praktiken privater Verfügungsgewalt) zum Museum, zu dessen Nutzung ein verbrieftes Recht besteht. Das transformiert den Sinn der Institution fundamental und macht das Museum, wie seine Architektur, seine städtebauliche Situation und der mediale Diskurs, in den es einbezogen ist, zeigen, zu einem Schlüsselphänomen der Moderne.

Von hier aus könnten wir also den Triumphzug einer Idee beschreiben, so wie es George Bazin in seiner Museumsgeschichte gemacht hat, der vom 19. Jahrhundert als dem Goldenen Zeitalter des Museums spricht. Aber es lohnt sich, auf etwas einzugehen, worüber dieser Triumphzug hinweggerollt ist: die essentielle Kritik die das Museum bereits im Moment seines Entstehens begleitet.

Das ist mein nächstes Thema - demnächst....

Samstag, 13. Februar 2010

Die Musen und das Museum (Was ist ein Museum 04)

Wir hatten ein Museum entdeckt, das sich bescheiden aber auch stolz, ein neuntältestes nennt, und darus messerscharf geschlossen, es müsse demnach auch also ein ältestes gebne. Indes führte die Suche danach zu entschieden zu vielen ersten Museen und es zeigte sich, daß es ein Wort gibt und dessen Geschichte und daß es verschiedene kulturelle Praktiken, die - manchmal - mit diesem Wort bezeichnet werden, aber auch daß diese Wort Sachen bezeichnet, die mit dem, was wir heute landläufig darunter verstehen, nichts zu tun hat. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.
Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten wird. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin grade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine auch heute nicht anders formulierbare Einsicht. Aber dennoch hielt man an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.

Ich  vermute, daß damit die wörtliche Bedeutung gemeint war und aktualisiert wurde: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen. Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne (und des Zeus) sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis. Sie erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann, dem Museion.
Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.
Die allmähliche Transformation des Musenmythos hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierten - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text.
Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.
In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.
Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eiunes Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert.
Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Aber das noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen.
Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben.
Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums.
Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:

Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris

Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland! 


Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.



Fortsetzung folgt.

Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris