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Dienstag, 9. Juni 2020

Heeresgeschichtliches Museum. Es kommt etwas in Bewegung. In Richtung wie bisher oder Erneuerung, bleibt offen.

"Mit dem HGM verfügen wir neben einem großartigen Museum auch über viel Verantwortung gegenüber unserer Geschichte, der Geschichte unseres Militärs und der dunkelsten Stunden unserer Zeit. Die kritische und differenzierte Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Dritten Reichs ist mir hierbei ein besonderes Anliegen" sagt via Austria Presseagentur die für das Heeresgeschichtliche Museum zuständige Ministerin. Das Museum werde weiter Teil des Verteidigungsminsteriums bleiben. Und die vorgesehene weitere Evaluierung des Museums werde es geben.

Offen bleibt, welche "Teile" denn nun geändert werden und vor allem von wem. Wird der bisherige Direktor wiederbestellt und bleibt das bisherige Museumsteam unverändert? Gegen das waren ja Vorwürfe rechtsetremistischer Betätigung laut geworden, die aus den diversen Evaluierungen inzwischen verschwunden sind. Und der bisherige Leiter bemühte sich eher um die Relativierung der Vorwürfe. Sich selbst als Autor künftiger Erneuerung zu empfehlen ist angesichts jahelanger Duldung des nun kritisierten Status Quo eher eine Drohung.

Ungelöst bleibt auch, warum in einem Heeresmuseum ein bestimmter Abschnitt der Zeitgeschichte überhaupt eine eigene Ausstellung bekommen soll, warm es eine ungeklärte Doppelgelisisgkeit mit dem Haus der Geschichte Österreich (und anderen zeigeschichtlichen Museen) weiter geben soll.

Diskussionswürdig sind Überlegungen, die z.B. Wolfgang Muchitsch, Leiter der Evalierungskommissiion angestellt hat, beiden Museen, dem Haus der Geschichte Österrreich und dem Heeresgeschichtlichen Museum den vollen Status eines Bundesmuseums zu geben und dadurch die überfällige Kooperation zwischen beiden Museen möglich zu machen. Der mutigere Schritt, der politisch wohl kaum durchsetzbare, wäre der, das Kozept beider Museen gründlich zu überdenken und unter Umständen ein einziges Museum der österereichisvchen Geschichte zu etablieren. Von mr aus in einem Neubau aber, warum nicht, im derzeitigen Gebäude, dem Arsenal.

Überfällig wäre auch die Herstellung voller Transparenz bei der Bestellung von ExpertInnen und Einrichtung von Kommissionen und, endlich einmal, die Einbindung jener zivilgesellschaftlichen Gruppen, die sich bei der Krtitik am Museum verdient gemacht haben und sie überhaupt erst ins Rollen brachten.

Zur jüngsten Entwicklung der Diskussion um das Museum seit der Anfrage der "Grünen" im Parlament im Februar 2020 siehe diesen Link.

Und grundsätzliche Anmerkungen zum Museum sowie weiterführende Links finden sich unter diesem Link.

Freitag, 5. Juni 2020

Das meistkritisierte Museum Österreichs: Wie es weitergeht mit dem Heeresgeschichtlichen Museum

Noch nie seit 1945 ist ein Museum derart lange und umfassend in der Kritik gestanden wie das Heeresgeschichtliche Museum in Wien. Und es steht noch immer in der Kritik, auch wenn es Anzeichen gibt, daß das zuständige Verteidigungsminsterium so weit es nur geht alles beim Alten lassen und möglicherweise die geplante weitere Evaluation nicht mehr durchführen lassen will.

Hier die jüngste Entwicklung.

Die parlamentarische Anfrage der Grünen und die Antwort der Ministerin
Die Anfrage der Grünen vom 20.2.2020 wurde mit Zitaten zur schon lange anhaltenden Kritik am Museum eingeleitet und begründet und stellte an die Ministerin Fragen wie die nach der Zusammensetzung der diversen Kommissionen, der Befangenheit des Leiters der Evaluierungskommission, der als Präsident des Museumsbundes für die Verleihung des Museumsgütesiegels verantwortlich war sowie zum Procedere und zu Fristen der diversen Untersuchungen. Eine eigene kritische Position gegenüber dem Museum wird in der Anfrage der Grünen nur indirekt - in der ausschnittsweisen Zitierung kritischer Stimmen -, sichtbar.
Hier der Anfragetext: https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/J/J_00963/imfname_783485.pdf

Die Antwort der Ministerin, exakt zwei Monate nach der Anfrage, 20.4.2020, zieht sich weitgehend auf sachliche verwaltungstechnische Aspekte zurück und läßt sich auf so Gut wie keine inhaltliche Diskussion. Die Qualifikation des Leiters des Museums wird vom Ministerium bestätigt. Über inhaltliche Konsequenzen wird nahezu nichts geäußert. Es gehört aber zum parlamentarischen Ritual der „Anfrage“, daß Antworten meist ausschließlich auf der Ebene rechtlich-administrativen Procedere abgewickelt werden.
Hier der Text der Anfragebeantwortung
https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00999/imfname_791916.pdf

Ein Interview des Direktors
In der Kleinen Zeitung äußerte sich am 13.März 2020 der Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums zu seinen Plänen und zur Kritik an ihm und seinem Haus. Er kündigte an, sich erneut um den Leitungsposten zu bewerben.
https://www.kleinezeitung.at/kultur/kunst/5784388/Herresgeschichtliches-Museum_Umstrittener-Direktor-M-Christian

Eine ausführliche Kritik 
In derselben Ausgabe, in der sich der Leiter des HGM zu Wort meldete, gab es in der Kleinen Zeitung auch eine ausführliche Kritik, getragen vor allem mit Äußerungen von Andrea Brait von der Universität Innsbruck
https://www.kleinezeitung.at/kultur/kunst/5784368/Wien_Weichenstellungen-im-kritisierten-Heeresgeschichtlichen-Museum

Medienreaktionen. Erste Kritik auf die Anfragebeantwortung durch die Minsterin
Die ersten Medienreaktionen neigen dazu, die Anfragebeantwortung des Ministeriums als Versanden zu interpretieren. Die Repliken auf die Anfrage wird als Ausweichen eingeschätzt und als Festhalten am Status Quo. Immerhin sei eine Überarbeitung des Ausstellungsteils zur Republikgeschichte denkbar geworden.
Vgl. etwa Der Standard, 24.4.2020 https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/AB/AB_00999/imfname_791916.pdf

Der Evaluierungsbericht zur Ausstellung 1918 - 1938

Ende Mai wurden dann via APA Auszüge des Evaluierungsberichts zum zeitgeschichtlichen Ausstellungsteil veröffentlicht - nicht der gesamte Bericht. Diverse Zeitungen wie die Salzburger Nachrichten, Die Kleine Zeitung und der Standard sprachen teilweise von „vernichtender“ Kritik. "Nicht mehr zeitgemäß und insgesamt unzureichend" wurde zitiert. Der Kurier hatte schon am 1.6. einen Kommentar. https://kurier.at/kultur/heeresgeschichtliches-museum-zu-viele-hakenkreuze-und-hitler-bilder/400928165 Der Standard gab zunächst die APA-Meldung wieder https://www.derstandard.at/story/2000117817143/expertenkommission-kritisiert-ausstellung-im-heeresgeschichtlichen-museum?ref=rec
Und am 4.6. kommentierte Die Presse https://www.diepresse.com/5822026/man-konnte-auch-anders-vom-krieg-erzahlen

Der Museumsleiter reagiert erneut
Am 2. Juni glaubte sich der Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums berechtigt, sich in der Rolle des Erneuerers des Museums zu präsentieren und freute sich über die Evaluierung als „konstruktive Anregung“. Vgl. Der Standard https://www.derstandard.at/story/2000117841477/hgm-direktor-ortner-freut-sich-ueber-konstruktive-anregungen

Detaillierte Kritik
Am 5.6.2020 setzte Der Standard mit einer detaillierten Kritik nach. Hier wird im Detail auf den dem Standard vollständig vorliegenden Expertenbericht eingegangen und auf die abwiegelnde Haltung des Ministeriums. Während sich viele Zeitungen zunächst mit dem Abdruck der APA-Meldung begnügt hatten, wurde hier detailliert und mit Äußerungen einzelner Kommissionsmitglieder argumentiert und Schwächen der Ausstellung 1918 bis 1945 (eine Ausstellung, die Direktor Manfrede Rauchensteiner zu verantworten hat) offengelegt.
https://www.derstandard.at/story/2000117889587/historiker-muchitsch-hgm-wirkt-wie-ein-firmenmuseum-des-heeres
Am 6.6. veröffentlichte der Standard einen weiteren Kommentar, in dessen Zentrum unter dem Stichwort "message contro" die Haltung des Minsteriums steht. https://www.derstandard.at/story/2000117912503/heeresgeschichtliches-es-braucht-reform-keine-message-control?ref=rec

Der Leiter der Kommission äußert sich
Der ausführliche und sorgfältig argumentierende Artikel wurde ergänzt durch ein ebenso ausführliches Interview mit dem Leiter der Evaluierungskommission Wolfgang Muchitsch, Leiter des Universalmuseum Joanneum in Graz und Präsident des Österreichischen Museumsbundes. Hier werden bemerkenswerte Umstände der Kommissionstätigkeit offengelegt, zum Beispiel das Desinteresse der Ministerin an direkter Kommunikation, die überdies im Unklaren läßt, ob die vorgesehene Evaluation des gesamten restlichen Museums überhaupt stattfinden wird. Nicht nur die Ausstellugskritik wird bekräftigt, auch das haus als Ganzes wird in den Blick genommen: Das Museum agiere wie ein „Firmenmuseum des Heeres“ und halte einem Vergleich mit neueren europäischen Heeres- und Kriegsmuseum nicht stand. Muchitsch Äußerungen beziehen auch die Frage der Kommunikation zwischen dem HGM und dem Haus der Geschichte Österreich ein und werfen damit die Frage auf, ob nicht sinnvollerweise eine andere Konstruktion der Institution angestrebt werden soll.
https://www.derstandard.at/story/2000117889587/historiker-muchitsch-hgm-wirkt-wie-ein-firmenmuseum-des-heeres

Doppelte Fortsetzung der Kritik
Der Standard veröffentlichte in der Ausgabe vom zwei Gastkommentare. Einen von der Grünen-Abgeordneten Eva Blimlinger, die Initiatorin der pralamentarischen Anfrage gewesen war imd eine der Initiatorin der kritischen Tagung hgmneudenken, Elena Messner .
Hier der Text "Aller Anfang ist gar nicht so schwer" von Eva Blimlinger:
https://www.derstandard.at/story/2000117982846/aller-anfang-ist-gar-nicht-so-schwer

Und hier der Kommentar von Elena Messner: Läßt sich das Heeresgeschichtliche Museum reformieren?
https://www.derstandard.at/story/2000117982846/aller-anfang-ist-gar-nicht-so-schwer

Welche Experten?
Ebenfalls im Standard fragte (17.6.) Michael Hochedlinger, in Antwort auf die Beiträge von Elena Messner und Eva Blimlinger, nach der Qualifikation der involvierten Experten, um dann doch eher wieder nur die Militärhistoriker zu favorisieren.
https://www.derstandard.at/story/2000118108625/kritik-an-hgm-es-geht-auch-ohne-experten


Die Schwäche der Kritik
Ein Problem zieht sich durch alle Berichte und Äußerungen seit der Kurier im Vorjahr in Berufung auf zwei engagierte und genau recherchierende Blogs erstmals zum Heeresgeschichtlichen Museum und seinen rechtslastigen Umtrieben und fragwürdigen Ausstellungen berichtete. Die Kritik wird meist als Kritik am Einzelnen geführt, an diesem oder jenem Objekt, an diesem oder jenem fehlenden Text, dem einen oder anderen Lapsus. Das mag ja im einzelnen Fall auch zutreffen, woran es noch immer mangelt, ist eine umfassende und integrale Museumskritik. Dafür steht auch kaum ein begriffliches und methodisches Werkzeug zur Verfügung - und das merkt man eigentlich allen Äußerungen an. Sie sind meist zu kurz gesprungen. Was dieses Museum so unerträglich macht ist sein Versagen, Geschichte analytisch, diskursiv, kritisch durchzuarbeiten - und selbstverständlich auch seine Nähe zu monarchischen, militaristischen und rechten Ideologien. Gerade hier wirkt aber nicht nur der Mangel an griffigen Werkzeugen der Kritik hemmend, sondern die Beisshemmung der Geschichtswissenschaften (und nicht nur der), wo es um konflikthaltige Ereignisse und Prozesse geht. Kein Wunder, wie immer und immer wieder sich Konflikte um die sogenannte Erste Republik entwickeln, etwa um die Einschätzung von Austrofaschismus (wo der Begriff selbst kontrovers diskutiert wird)  oder Nationalsozialismus oder einzelnen Akteueren wie etwa Engelbert Dollfuß.

Zurück zum Status Quo oder Neuanfang?
Nun gibt es als Resultat der Berichterstattung und Prüfungen eine sehr lange Liste von Beobachtungen, Einschätzungen, Kritiken. Nicht nur in Form offizieller Kommissionsberichte (ein Rechnungshofbericht steht noch aus), Äußerungen zweier involvierter Minister und Kommissionsmitglieder, Medienberichten und Wortmeldungen von HistorikerInnen und diversen Expertinnen. Und es hat eine beachtliche, zivilgesellschaftlich initiierte, Tagung stattgefunden. Das alles sollte in Summe eigentlich verhindern, daß die Kritik am Museum erstickt (wird) und es zu einer umfassenden Erneuerung kommt. Die kann in einer völligen Überarbeitung aller Ausstellungsteile liegen, aber sinnvoll ist das wohl nur dann, wenn man an Grundfragen rührt: Sollte das Museum nicht zum echten Bundesmuseum und aus dem Verteidigungsministerium ausgegliedert werden? Womit der Weg frei wäre für ein koordiniertes Planen an einem oder mehreren Geschichtsmuseen. Wobei man gleich noch größer denken könnte und etwa die Gedenkstätte Mauthausen mit ihren Ausstellungen aus dem Innenministerium herausnimmt und alles in ein Netzwerk einbindet. Damit hätte auch das Haus der Geschichte Österreich, möglicherweise in ganz neuer Form, eine Perspektive.

Weitere Information:

* Das Heeresgeschichtliche Museum hat "Braune Flecken"? Wenn es nur das wäre. Es gehört geschlossen. Hier der Link

* Zur Geschichte und Architekturgeschichte sowie zur ursprünglichen Funktion des "Arsenals" als gegenrevolutionäre Anlage siehe hier.

* Zur aktuellen Debatte um das Museum und Vorwürfe und Kritik an ihm siehe hier.

* Endlich gibt es Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum. Ein Post (hier der Link) zum Beginn der Debatte ums Museum vom September 2019 und Links zu den Quellen und Initianten, die die Debatte mit ihren Recheerchen angestoßen hatten.

* Gerhard Roth hat vor vielen Jahren einen wunderbaren Text zum Museum verfasst. Hier ein Appetithäppchen - als Anregung, den ganzen Text zu lesen: Link

Montag, 27. Januar 2020

Das Wiener Heeresgeschichtliche Museum. Eine Tagung, ein Medienbericht, ein Shitstorm

Heute morgen erschien im Standard ein Bericht zur Tagung, die sich mit dem heeresgeschichtlichen Museum auseinandersetzte. Stefan Weiss: Kritik an Heeresgeschichtlichem Museum: Initiative will Neuaufstellung lautete die Überschrift und eine Unterschrift ergänzte: Das Haus soll für Ewiggestrige keine Projektionsfläche mehr bieten, fordert eine Initiative, die aufgrund jüngster Vorwürfe eine Tagung abhielt.

Jetzt, keine 12 Stunden später, gibt es über 500 Postings zu dem Artikel, die überwiegend in einem übereinstimmen: in ihrer aggressiven Haltung gegenüber der Tagung, dem Bericht und der Kritik am Museum generell. Jargon, Wortwahl und Themen der Post lassen auf eine überwiegend ideologisch rechts angesiedelte Leserschaft schließen und bekräftigen den Eindruck vom Heeresgeschichtlichen Museum als einem Identifikationsort rechter Ideologie.

Die Heftigkeit und Massivität der Reaktionen ist erschreckend und läßt es dringlicher denn je erscheinen, daß sich das Museum ändern muß. Dabei sollte auch dessen Auflösung als Militärmuseum kein Tabu sein. Es ist fraglich wozu ein neutrales Land mit einem bescheidenen Heer, das keinerlei militärische Ambitionen hegt, ein so großes einschlägiges Museum benötigt.

Das heißt aber nicht, daß man die Sammlung aufgibt. Stattdessen könnte man ja an eine Auflösung in einem umfassenden Geschichtsmuseum denken, was mehr bedeutete, als eine bloße Zusammenlegung mit dem Haus der Geschichte Österreich. Ein solches Museum könnte einen weitaus größeren zeitlichen und geografischen Rahmen haben, als das derzeitige Geschichtsmuseum in der Hofburg und ein enorm erweitertes Themenspektrum.

Man könnte auch daran denken, das Gebäude des Heeresgeschichtlichen Museums dafür zu nutzen, etwa erweitert um einen Neubau etwa auch in Form eines intervenierenden Zubaues à la Dresdner Militärhistorisches Museum der Bundeswehr. Der Einwand, der auch bei der Ansiedlung des Haus der Geschichte Österreich in der Hofburg erhoben wurde, würde auch hier zutreffen: das Gebäude ist derart mit Geschichte kontaminiert, daß er für ein modernes Museum einer demokratischen Gesellschaft nicht geeignet sei. Das wäre aber gerade eine Chance und Aufgabe eines neuen Museums. Die antidemokratische und gegenrevolutionäre Geschichte die dem Museum als Teil des Arsenals anhaftet, zu konterkarieren. Das Arsenal wurde ja als gewaltige militärische Anlage nach der Revolution 1848 geplant um "jegliche Unfälle bei einem Volksaufstand" (so eine der Ziel-Beschreibungen in den Militärakten) künftig zu verhindern.

Um ein solches in vielerlei Hinsicht ambitionierte Projekt zu verwirklichen, müsste man viele Hindernisse überwinden. Eines davon wäre die Herauslösung der Institution aus dem Landesverteidigungsministerium, die andere, nicht mindere Schwierigkeit, die Museumsplanung aus politisch-ideologischem Lagerdenken herauszuhalten (etwas, was beim Haus der Geschichte Österreich nicht gelungen ist und dessen schwerste Hypothek darstellt). Es müßte das Planungsverfahren neuen, hiezulande nicht gebräuchlichen Prinzipien folgen. Die vorbildlich breite Zusammensetzung der Tagung wäre ein Vorbild, diese Mischung aus fachlicher Expertise und zivilgesellschaftlichem Engagement - und das alles ohne Gängelung der Politik und Administration.

Eine offene, transparente Museumsentwicklung könnte ein Modell für eine neuartige Museumspolitik, und mehr als das für eine demokratische Geschichtskultur sein und dazu beitragen, daß große Teile unserer Geschichte nicht weiter wie geisterndes Untotes und Unaufgearbeitetes mitgeschleppt wird.

Hier der Link zum Standard-Artikel

Donnerstag, 23. Januar 2020

Gerhard Roth geht ins Heeresgeschichtliche Museum

Den mit Abstand noch immer besten Text zum Verständnis des Heeresgeschichtlichen Museums verfasste Gerhard Roth 1991. In Eine Reise ins Innere von Wien (Frankfurt am Main. Fischer Verlag 1991) spürt der Autor der Repräsentation des Mythos Habsburgerreichs und Kaiserlicher Armee in einem langen Essay. Ich habe aus dem Essay eine Passage ausgesucht, in der Roth eine Führung durch das Haus beschreibt, die vor dem wahrscheinlich wichtigsten und merkwürdigsten Objekt des Museums Halt macht: der blutigen Uniform des Throfolgers Franz Ferdinad, der in Sarajewo ermordet wurde. Kein anderer Text vermittelt einem die bis heute ungebrochene Athmosphäre des Museums. GF

»Der Aufenthalt in diesem Raum«, sagt der Auskunftsoffizier im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien, Oberst Krach, »zählt zu den Höhepunkten jeder Führung. Wir stehen vor den stummen Zeugen des Mordes von Sarajewo ... stumme Zeugen nenne ich sie: die Uniform, die der Thronfolger zum Zeitpunkt seiner Ermordung getragen hat und das Auto, in dem der Doppelmord geschah ... Damit Sie gleich den Stellenwert dieses Ereignisses einschätzen können: Die Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgerpaares in Sarajewo war der unmittelbare Anlaß zum Ersten Weltkrieg.« Der Oberst, ein hagerer, großer Mann in Zivil mit der Frisur eines römischen Senators und dem Habitus eines Don Quichottes, der sich auf Abenteuersuche in das Märchenland der österreichischen Geschichte begeben hat, hat die Augenlider halb geschlossen und trägt in einer Hand eine Teleskopantenne als Zeigestab, mit der er »Tick-Tick« und »Pin-Pin« abwechselnd auf den Holzrahmen und die Glasscheibe der Vitrine klopft. Der rote Saal mit Spitzbögen an der Decke, hohen Fenstern und knackenden Parketten, riecht nach Bodenwachs. Auf der rechten Seite, an der Wand, steht das viersitzige Cabriolett der Marke Gräf & Stift, Baujahr 1910, in dem Franz Ferdinand und seine Frau erschossen wurden, in der Mitte des Saales die schwarz gerahmte Vitrine mit der Hose, dem blutigen Uniformrock und dem Stulphut des Thronfolgers, die auf schwarzem Tuch ausgebreitet liegen, wie die Reliquien eines Märtyrers. Der Thronfolger begriff die politischen Gegebenheiten der k. u. k. Monarchie zwar besser als Kaiser Franz Joseph, war aber bei aller Bigotterie ein Mann, der mit dem Giftzahn der Gewalt ausgestattet war. Als er eine Ausstellung mit Werken Oskar Kokoschkas sah, soll er das zukunftsweisende Urteil abgegeben haben: »Dem Kerl sollte man die Knochen im Leibe zerbrechen.«. Er war jähzornig und sein Ungarnhaß sprichwörtlich. Seine Zeitgenossen sahen den »guten Familienvater« und »Oberbefehlshaber der Bewaffneten Armee« als »Meisterschützen«. Während seiner Erkrankung an Lungentuberkulose im Frühjahr 1895 stutzte er von einer Liege aus einen in der Nähe stehenden Baum durch Pistolenschüsse so zurecht, »wie es ein Gärtner nicht hätte besser schaffen können«. Schon mit neun Jahren erlegte er »sein erstes Tier« und die vollständig erhaltenen Schußlisten weisen auf eine ins Gigantische verzerrte Jagdleidenschaft hin. Während seines einundfünfzigjährigen Lebens schoß er 274 88g Stück Wild aller Art. Seine »Jahresbestleistung« erzielte er 1911 mit 18 799 Stück, die höchsten »Tagesleistungen« bestanden in der Regel aus Hasen, Fasanen und Rebhühnern, sein Tagesrekord, am 17.6. 1908, waren 2763 Lachmöwen. Auf seiner Brust hatte Franz Ferdinand einen Drachenkopf tätowiert. Der Oberst dreht sich zu dem mit einer geflochtenen Schnur umzäunten Wagen und weist mit der rechten Hand und gestrecktem Zeigefinger auf den Rücksitz. »Es war Sonntag, der 28. Juni 1914, 10 Uhr, da wurde auf das Thronfolgerpaar anläßlich seines Besuches das erste Attentat verübt. Es verlief glimpflich. Das zweite jedoch, um 10.45 Uhr, das entscheidende, werde ich Ihnen kurz beschreiben. Der zwanzigjährige Student Gavrilo Princip, gab aus allernächster Entfernung, etwa so wie ich hier zum Wagen stehe, rasch hintereinander zwei Schüsse auf das Thronfolgerpaar, das auf dem Rücksitz des Wagens saß, ab. Der erste Schuß durchschlug die rechte Bordwand und tötete die Gemahlin des Thronfolgers durch einen Bauchschuß. Gleich aber krachte der zweite, traf den Thronfolger in den Hals und zerfetzte ihm die rechte Schlagader. Was der erste Schuß angerichtet hat, können Sie sich mit einiger Phantasie vorstellen.« Der Oberst macht eine Pause, schließt kurz die Augen und fährt dann, mit dem Zeigestab auf die Glasplatte der Vitrine klopfend, fort: »Wir suchen den zweiten Treffer auf der Uniform, der ihren Gemahl Franz Ferdinand von Osterreich tötete. In Verlängerung meines Zeigestabes blicken Sie bitte auf die Uniform ... Da sehen Sie unter der rechten Kragenstelle ein ganz kleines Einschußloch. Dort trat das tödliche Projektil in den Körper ein. Das Blut rann aus der Wunde in einem dünnen Strom, unter der Uniform von rechts nach links hinunter, sickerte auf der linken Brustseite, also ganz wo anders durch den Stoff und färbte die Uniform dunkelrot. Zwei rasch herbeigerufene Ärzte nahmen irrtümlicherweise an, der Treffer müsse hier sitzen« — »Pin-Pin« macht der Zeigestab — »und schnitten die Uniform mit einer Schere in dieser Richtung auf, um sich das zeitraubende Offnen der acht Knöpfe auf der rechten Seite zu ersparen, aber jede Hilfe war vergeblich ... Und nun zum Schnitt hinter dem Kragen« — wieder klopft der Oberst mit dem Zeigestab auf die Glasplatte...

Zur Geschichte und Architekturgeschichte sowie zur ursprünglichen Funktion des "Arsenals" als gegenrevolutionäre Anlage siehe hier.
Zur aktuellen Debatte um das Museum und Vorwürfe und Kritik an ihm siehe hier.

Dienstag, 21. Januar 2020

Das Heeresgeschichtliche Museum hat "Braune Flecken"? Wenn es nur das wäre. Es gehört geschlossen


1

ORF.at berichtet heute (Online seit heute, 5.00 Uhr 21.1.2020, hier der Link) unter dem Titel „Braune Flecken in HGM?“ über eine Ausweitung der, nun sagen wir mal „Prüfung“ des Heeresgeschichtichen Museums. Mehrere Zeitungsberichte hatten im September des Vorjahres über NS-affine Literatur und Shopartikel im Museumsshop sowie merkwürdig militaristische Veranstaltungen berichtet. In zwei Blogs waren diese und andere, aber erhebliche erweiterte Vorwürfe erhoben worden. Das Verteidigungsministerium kündigte eine Untersuchung an. Jetzt soll sogar das ganze Museum überprüft werden. Es wurde eine externe Kommission zur Prüfung des Museumsshops eingesetzt und dann noch eine zweite im November, die den Ausstellungsteil, der die Zeit zwischen 1918 und 1945 zeigt, überprüfen sollte. Noch im Dezember hat der Minister der sogenannten Übergangsregierung, Starlinger, dann „die Untersuchung auf das gesamte Museum samt Außenstellen ausgeweitet“.

Bei der Prüfung, berichtet der Ort, gehe es grundsätzlich nicht um die Zeit des Nationalsozialismus. Es solle, so teilt der Sprecher des Ministeriums mit, „ob man museumsdidaktisch auf dem letzten Stand ist“ und „ob man den richtigen Zugang hat.“ Zusätzlich prüft die die Disziplinarabteilung des Museums Vorwürfe, wonach die Besucherzahlen des Museums verfälscht worden sein könnten.

Andere Vorwürfe richten sich gegen den genannten Ausstellungsteil, der vom früheren Direktor des HGM, Manfrede Rauchensteiner konzipiert wurde. Demnach seinen in diesem Abschnitt Objekte nicht kontextualisiert, es werde zu wenig erklärt. Wehrmachtssoldaten würden etwa nicht als Täter der NS-Vernichtungsmaschinerie erwähnt.

In den seinerzeitigen Medienberichten war außerdem auch von der Existenz eines rechten Netzwerk im Museum die Rede und daß mehrere Mitarbeiter Burschenschaften angehörten.

2

So. Es gibt jetzt also zwei oder gar drei Kommissionen, die etwas untersuchen. Wünschen wir diesen Kommissionen das Beste. Aber fragen wir uns, ob nicht schon das ganze ministerielle Procedere dazu geeignet ist, die Probleme kleinzureden. Es ist eine Leistung von Bürokratien, durch ihre Verfahren so etwas leisten zu können. Da ist zuerst einmal die Aufteilung der Kritik in mehrere Kommissionen, die eine Konzentration auch der öffentlichen Aufmerksamkeit auf Teilbereiche lenkt und verhindert, daß das Museum als Ganzes in den Blick kommt, die Frage nach seiner Berechtigung in der jetzigen Form, die Frage nach seiner ideologischen und seiner geschichtswissenschaftlichen Ausrichtung und die Frage nach seiner Organisation als Bundesmuseum das dem Landesverteidigungsministerium unterstellt ist.
Schwerer wiegt, daß die Formulierung der Frage- und Problemstellungen, die als aufklärungswürdig gelten, ebenfalls die zentralen Fragen einengen und auf Teilaspekte so beschränken, daß die Komplexität der Institution, ihrer Dauerausstellung mit allen ihren Aspekten (Gestaltung, Texte, Objektdisposition, Narrativ etc.) gar nicht mehr sichtbar werden. „Ob man den richtigen Zugang“ habe, ist eine völlig schief gestellte Frage, denn einen richtigen Zugang git es nicht und ob man museumsdidaktisch auf dem letzten Stand ist, läßt sich auch als rein methodische Spezialfrage unter Ansehung aller Inhalte abhandeln. In der fragwürdig eingestuften „zeithistorischen“ Abteilung fehlt nicht einfach die Kontextualisierung oder ausreichende Erklärung, hier geht es um ein schiefes und fragwürdiges Geschichtsbild und seine Umsetzung als Ausstellung.
Das Museum selbst aber auch das Ministerium - und man wird sehen, ob die Kommission dieser Haltung folgt -, macht auf Unschuldskomödie. Kritik am Museum, Kritik an den genannten Vorfällen und Ausstellungsteilen - nie gehört, gibt es nicht. Es wird schlicht ignoriert, was es schon an Kritik am Museum - Revisionismus ist ja kein kleiner Vorwurf -, gibt.

3

„Braune Flecken?“ Wenn es nur das wäre! Das Museum hat eine uralte, in jeder Hinsicht dringendst veränderungswürdige Dauerausstellung. Es huldigt einem überholten patriotisch-monarchischen Bild österreichischer Geschichte, in dem der Geschichte der Armeen folkloristisch-patriotisch gehuldigt wird. Die spät(er) hinzugefügte Ausstellung - ich kenne nur kritische bis vernichtende Urteile von HistorikerInnen und MuseologInnen, niemand verteidigt die Ausstellung -, entstand mit dem Ehrgeiz, so etwas ein österreichisches Geschichtsmuseum angesichts der fruchtlosen Endlosdebatte um ein „Republikmuseum“. Der Ehrgeiz von Herrn Rauchensteiner, aus dem Heeresgeschichtlichen Museum so etwas wie ein Haus der Gesichte werden zu lassen, hat seinerzeit auch das Wohlwollen eines Standard-Chefredakteurs gehabt (vgl. Gerfried Sperl am 16. August 2015) - man darf nicht vergessen, wie viel Ahnungslosigkeit, Desinteresse und Oberflächlichkeit in solchen Debatten zirkuliert.

4

Wenn sich nicht eine gewichtige zivilgesellschaftliche Kritik herausbildet, die die fachliche Kompetenz von HistorikerInnen, MuseologInnen usw. einzubinden versteht, wird man im Schachspiel der Politik und Verwaltung - mal lese mal dazu Wolfgang Zinggls (hier der Link zum Anfragetext) parlamentarische Anfrage und den Antworttext des Ministers (hier der Text)  - wenige Züge machen können. Deshalb ist die geplante Tagung am 24.1 () so wichtig und interessant, auch wegen der Multidisziplinarität.

* Zur Geschichte und Architekturgeschichte sowie zur ursprünglichen Funktion des "Arsenals" als gegenrevolutionäre Anlage siehe hier.

* Zur aktuellen Debatte um das Museum und Vorwürfe und Kritik an ihm siehe hier.

* Endlich gibt es Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum. Ein Post (hier der Link) zum Beginn der Debatte ums Museum vom September 2019 und Links zu den Quellen und Initianten, die die Debatte mit ihren Recheerchen angestoßen hatten.

* Gerhard Roth hat vor vielen Jahren einen wunderbaren Text zum Museum verfasst. Hier ein Appetithäppchen - als Anregung, den ganzen Text zu lesen: Link


Montag, 20. Januar 2020

Tagung zum Heeresgeschichtlichen Museum

Im September vorigen Jahres habe ich über das Heeresgeschichtliche Museum berichtet (hier der Link), das zu dieser Zeit wegen rechtsradikaler Umtriebe, von denen in zwei Blogs berichtet wurde, in die überregionale Berichterstattung geriet. Nun gibt es eine Veranstaltung, die die Dringlichkeit des Zustandes dieses Museums in Erinnerung ruft und, so darf man sich wünschen, nachhaltige Wirkung hat. Ich bin nicht der einzige, der der Meinung ist, der den Zustand des Museums für unhaltbar hält. 
Als kleine "Gabe" für die TeilnehmerInnen und Veranstalterinnen der Tagung habe ich einen schönen Text des Historikers und Kurators Peter Melicher in den Blog gestellt (hier der Link). GF


#hmgneudenken

Seit Ende des Jahres 2019 wurde die Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum (HGM) so laut, dass vier vom Verteidigungsministerium eingesetzte Kommissionen die Vorwürfe prüfen. Es berichteten der Kurier, Der Standard, Falter, Die Presse oder ORF-Online. Auch vor den jüngsten Vorwürfen gab es bereits Kritik von Historiker_innen, Intellektuellen und Politiker_innen am Museum. 
Im Zentrum der Debatte stand der unkritische und affirmative Umgang mit der militärischen Vergangenheit Österreichs seitens des HGM und seiner Leitung, Vorwürfe der Offenheit für Rechtsextremismus, sowie institutionelle Schwächen des Museums.
Die Organisator_innen Elena Messner, Schriftstellerin und Kulturwissenschaftlerin, sowie Nils Olger, Filmschaffender, möchten mit  der Ausstellung und Tagung #HGMneudenken sollen die bestehenden Kritikpunkte aufgegriffen und um künstlerische und historisch-museologische Perspektiven erweitert werden. Damit wird die Diskussion um ein zeitgemäßes Museum eröffnet, in dem historische Militärobjekte kritisch gedacht und in eine demokratische Erinnerungskultur eingebettet werden.
Es wirken mit: AK Denkmalpflege, Dieter-Anton Binder, Lisa Bolyos, Andrea Brait, Ljubomir Bratić, Enar de Dios Rodriguez, Richard Ferkl, Jutta Fuchshuber, Jenny Gand, Felicitas Heimann-Jelinek, Sabrina Kern, Mathias Lichtenwagner, Ernst Logar, Wolfgang Maderthaner, Walter Manoschek, Ina Markova, Elena Messner, MUSMIG-Kollektiv, Silke Müller, Georg Oberlechner, Nils Olger, Karl Öllinger, Peter Pirker, Ljiljana Radonić, Dana Rausch, Dirk Rupnow, Sebastian Reinfeldt, Lisa Rettl, Johann Schoiswohl, Tomash Schoiswohl, Georg Spitaler, Petra Sturm, Hubertus Trauttenberg, Gerhard Vogl, Martin Weichselbaumer

Programm

24.01.2020, 11.00 – 22.00

Begrüßung durch Nils Olger und Elena Messner, 11.00

Panel 1: Kurzvorträge und anschließende Diskussion, 11.20 – 12.40
Moderation: Jutta Fuchshuber
Peter Pirker: Lob der Aufopferung. Die Wehrmacht und die Wiederkehr des Heroismus nach 1955
Ina Markova: "Republik und Diktatur" - Die Dauerausstellung im HGM.
Ljiljana Radonić: Postsozialistische Länder im Vergleich - Krieg im Museum  
Karl Öllinger: Aktuelle politische und mediale Kritik am HGM (Kurzstatement)

Führung 1: Nils Olger, 13.00 – 14.00
Präsentation der Beiträge von Peter Pirker, AK Denkmalpflege, Ljubomir Bratić, Richard Ferkl, Lichtenstein und Marionette, Tomash Schoiswohl, Lisa Bolyos, Martin Weichselbaumer, Sabrina Kern, Petra Sturm, Dana Rausch    

Panel 2: Kurzvorträge und anschließende Diskussion, 14.30 – 15.30
Moderation: Peter Pirker
Andrea Brait: Historisch denken lernen im Militärmuseum
Mathias Lichtenwagner: "[k]eine Auseinandersetzung, [k]eine Rehabilitierung, [k]ein Gedenken" - Wo steht 2020 die Debatte um die Desertion aus der Wehrmacht?
Sebastian Reinfeldt: Die Pappenheimer, die wir kennen: Das HGM in der Wikipedia 

Führung 2: Elena Messner, 15.30 – 16.30

Präsentation der Beiträge von Jenny Gand, Ernst Logar, MUSMIG-Kollektiv, Silke Müller, Johann Schoiswohl, Georg Oberlechner, Lisa Rettl, Nils Olger, Enar de Dios Rodriguez

Podiumsdiskussion 1: "Status Quo des HGM: Kritische Bestandsaufnahmen der Musealisierung österreichischer Militärgeschichte", 17.00 – 18.00
Moderation: Georg Spitaler
Es diskutieren Walter Manoschek, Wolfgang Maderthaner und Felicitas Heimann-Jelinek
Podiumsdiskussion 2: "Quo vadis HGM: Das Museum neu denken – aber wie?“, 18.00 – 19.30
Moderation: Nils Olger, Elena Messner
Es diskutieren Hubertus Trauttenberg, Dirk Rupnow, Gerhard Vogl und Anton-Dieter Binder

Vernissage, Verköstigung von The Sad Saus, 19.30 – 22.00

* Zur Geschichte und Architekturgeschichte sowie zur ursprünglichen Funktion des "Arsenals" als gegenrevolutionäre Anlage siehe hier.
* Zur aktuellen Debatte um das Museum und Vorwürfe und Kritik an ihm siehe hier.
* Endlich gibt es Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum. Ein Post (hier der Link) zum Beginn der Debatte ums Museum vom September 2019 und Links zu den Quellen und Initianten, die die Debatte mit ihren Recheerchen angestoßen hatten.

Peter Melichar: Das Heeresgeschichtliche Museum oder die große Camouflage


Daß es kaum Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum gab und gibt, hat mich immer gestört. Wo blieben die HistorikerInnen und MuseologInnen bloß bei gewrade diesem politisch-ideologisch wie museologisch derart fragwürdigen museum? Inzwischen hat sich trotz mancher verdienstvoller Texte grundsätzlich nichts geändert - eine umfassende Kritik am Museum steht noch immer aus. Nun rumort es, auch in den Medien und es wird jetzt, im Jänner 2020 (hier der Link) auch eine Tagung geben.
Einer der Historiker (und Ausstellungsmacher, derzeit Mitarbeiter des Landesmuseums in Vorarlberg), der vielen Jahren schon einen schönen Text zum Museum geschrieben hat, hat den erfreulicherweise gut aufgehoben und mir auf meine Bitte und Nachfrage zur Verfügung gestellt. GF


Peter Melicher: Das Heeresgeschichtliche Museum oder die große Camouflage



Ingeborg Bachmann schreibt über die Figur “Malina” in ihrem gleichnamigen Roman: “Aus Gründen der Tarnung Staatsbeamter der Klasse A, angestellt im Österreichischen Heeresmuseum, wo es ihm ein abgeschlossenes Studium der Geschichte (Hauptfach) und Kunstgeschichte (Nebenfach) ermöglichten, unterzukommen und einen günstigen Platz einzunehmen, auf dem er vorrückt, ohne sich zu bewegen, ohne sich je bemerkbar zu machen durch Einmischungen, Ehrgeiz, Forderungen oder unlautere Verbesserungsgedanken an den Prozeduren und schriftlichen Vorgängen zwischen dem Verteidigungsministerium am Franz-Josefs-Kai und dem Museum im Arsenal, das, ohne besonders aufzufallen, zu den merkwürdigsten Einrichtungen unserer Stadt gehört.”[1]


Tatsächlich handelt es sich beim Museum im Arsenal bis heute um einen ganzen Komplex von Merkwürdigkeiten. Zunächst scheint es, dass die Zeit stehen geblieben sei. So als ob es einem Konservator gelungen wäre, die gegenständlichen Reste einer seltsamen, längst untergegangenen Institution, der kaiserlichen Armee, in einem sehr eigentümlichen Glanz zu bewahren, vor allen Anfechtungen nachfolgender Generationen und vor allem etwas zu retten, von dem man in anderen, profanen Zusammenhängen heute gar nicht mehr sicher ist, ob es überhaupt existiert: den Geist dieser kaiserlichen Armee. Und diesem Geist ist es gerade wesentlich, mit der Geschichte der Armee nur insofern zu tun zu haben, als er ihre äußere Haut (bestehend aus dem ästhetischen Code, der sich in den Uniformen, den Fahnen, den Orden, den Schlachtengemälden, den Waffen und den Bildern und Büsten der mehr oder weniger bedeutenden Heerführer manifestiert) benützt, um von allem, was mit ihr viel mehr und viel stärker zu tun gehabt hat, abzulenken. Es geht dabei, einem militärischen Geist nicht unwürdig, um ein großes Täuschungsmanöver. Denn die gigantische Kultstätte, die sich einer Sammlung von Reliquien (einst umkämpften Feldzeichen, glänzenden Waffen und bunten Uniformen) und der Wirkung von Heldenlegenden bedient, zelebriert mit den Mitteln der Andacht und der Faszination einen vergleichsweise antiquiert anmutenden, gleichwohl noch immer funktionierenden militärischen Fetischismus. Zu vergessen ist allerdings nicht, dass im Zentrum des Kultes das Opfer steht und dass das, was geopfert wird, stets das Denken ist: Zuerst einmal das Denken der Militärhistoriker, im weiteren das der faszinierten Besucher, die sich in den Bann der glänzenden, pittoresken Fassade der Objekte und der mit ihnen verbundenen Legenden haben ziehen lassen.


Obwohl das Heeresgeschichtliche Museum zahlreiche Relikte aus dem Fundus der untergegangenen k. (u.) k. Armee präsentiert, repräsentiert die aus diesen Relikten aufgebaute Fassade nicht die Geschichte der Armee, sondern etwas anderes. Die k. (u.) k. Armee war eine äußerst komplexe soziale Institution mit zahlreichen (politischen, pädagogischen, ökonomischen, ästhetischen etc.) Funktionen. Sie befand sich in einer permanenten und vielschichtigen Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen System der Gesellschaft. Von all dem erzählt die glänzende Fassade der Relikte, die das Heeresgeschichtliche Museum in überwältigender Dichte versammelt, nichts. Und damit ist in einer gelungenen Ablenkung die Geschichte der Armee hinter ihren vermeintlichen Spuren wohl endgültig zum Verschwinden gebracht. Dadurch wird jedoch das Museum im Arsenal zu einem Erinnerungsort, der mit den Mitteln einer politischen und epistemologischen Kriegslist (“Wir haben das Original!”[2]) im tiefsten Frieden einen höheren Militarismus zelebriert.


Dass es jedoch nicht nur um ein Museum im Museum geht[3], wird besonders dort sichtbar, wo als Appendix zur gloriosen Geschichte der untergegangenen Armee eine höchst privat anmutende Militär–Version der Geschichte von 1918 bis 1945 montiert wurde. Sie wird flankiert von zahlreichen Gerätschaften, die im Grunde mit ihr nur sehr wenig oder gar nichts zu tun haben (beispielsweise absolut raumfüllend und dominant: ein bisher als Österreich-Symbol kaum eingesetzter Fieseler Storch). Diese Version des Ereignisverlaufs zeichnet sich durch zahlreiche Merkwürdigkeiten, vor allem aber durch bemerkenswerte Auslassungen aus: Obwohl der gesamte große Raum von einer technoid-überladenen Militär-Ästhetik beherrscht und das Militär damit gleichsam zum Alpha und zum Omega der Politik stilisiert erscheint, werden etwa Kriegsverbrechen als Ausgeburten militärischer Binnenlogik weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg thematisiert. Die gesamte Geschichte der Zwischenkriegszeit wird unter eine falsche militarisierte Perspektive subsummiert. Wenn schon die Militarisierung der Militärgeschichte falsch ist (selbst die Geschichte der Armee ist zu wichtig, um den Militärhistorikern überlassen zu werden), um wieviel problematischer ist dann jedoch – nicht aus ideologischen, sondern aus sachlichen Gründen – die Militarisierung der Geschichte von Staat und Gesellschaft?

[1] Ingeborg Bachmann, Malina, Frankfurt am Main 1980, S. 7 f.
[2] So lautet ein Werbeslogan des HGM, der sich auf jenes Automobil bezieht, das vom Thronfolger Franz Ferdinand 1914 in Sarajewo benutzt worden sein soll.
[3] Konnte man früher aus der Not eine Tugend machen und das HGM als großen "Speicher des Gedächtnisses" betrachten, der der Zeit entrückt in bemerkenswerter Symbiose von Bau, Deckengemälden und Sammlungen – gewissermaßen unter einem Glassturz – als Museum im Museum funktionierte, so ist das bei dem neueren Teil vollends nicht mehr möglich.

* Zur Geschichte und Architekturgeschichte sowie zur ursprünglichen Funktion des "Arsenals" als gegenrevolutionäre Anlage siehe hier.
* Zur aktuellen Debatte um das Museum und Vorwürfe und Kritik an ihm siehe hier.
* Gerhard Roth hat vor vielen Jahren einen wunderbaren Text zum Museum verfasst. Hier ein Appetithäppchen - als Anregung, den ganzen Text zu lesen: Link

Samstag, 7. September 2019

Endlich gibt es Kritik am Heeresgeschichtlichen Museum

Am 5. September haben die Tageszeitungen Kurier und Standard kritisch über das Heeresgeschichtliche Museum berichtet. Im Mittelpunkt stand dabei rechtsextreme Literatur, die im Museumsshop vertrieben wird (hier der Link), aber auch ein Mitarbeiter und FPÖ-Mitglied, der für Restitution zuständig ist und der über Kontakte im rechten Milieu verfügt). Der Kurier berichtete in Berufung auf einen Blog Semiosis ausführlich über diesen Mitarbeiter und über weitere, Burschenschaften angehörende Mitarbeiter sowie ein blaues, also FPÖ-Netzwerk, dem auch der Direktor des HGM angehören soll (hier der Link). Die Vorwürfe sind schwerwiegend und zielen auf eine ganze Reihe von Vorkommnissen. Der zuständige Minister hat eine Überprüfung angekündigt.

Was wenig ins Blickfeld rückt, vor allem in der medialen Verarbeitung der umfassenden Recherchen der beiden Blogs, ist der Zustand des Museums als Ganzem. Die Dauerausstellung wurde seit Jahrzehnten nicht erneuert und sie repräsentiert ein Geschichtsbild, das der heutigen Zeit völlig unangemessen ist. Die neu hinzugekommen Teile werden von Historikern scharf kritisiert. Das Museum ist wissenschaftlich und museologisch völlig veraltet. Und seine zentralen Botschaften sind ideologisch fragwürdig, einer demokratischen Gesellschaft unwürdig. In meinem Ranking österreichischer Museen landete das Heeresgeschichtliche unter den schlechtesten und ich war damals schon und bin jetzt noch der Meinung, daß man es besser sofort als morgen schließen sollte. Und völlig neu konzipieren, aber dann auch nicht mehr als Heeresmuseum. 

Es gab durchaus Kritik von Historikern am Museum, aber nie umfassend und nie öffentlichkeitswirksam. Der Blog „Stoppt die Rechten“ kritisiert nun das Museum aus aktuellem Anlass und umfassend in einem vierteiligen Text. Vielleicht bewegt sich nun etwas. Aber die durchaus verdienstvollen Recherchen ersetzen noch nicht die immer noch ausstehende historisch-museologische Kritik. Die wahrscheinlich vernichtend ausfallen würde.

Der meiner Meinung nach bislang beste Text zum Heeresgeschichtlichen Museum kommt übrigens nicht von einem Historiker, sondern vom Schriftsteller Gerhard Roth. In seinem Buch „Eine Reise in das Innere von Wien. Die Archive des Schweigens“ nimmt er an einer Führung durchs Museum Teil und nimmt diese zum Ausgangspunkt einer umfangreichen und subtilen Reflexion über den Geist dieses Hauses.

Das Heeresgeschichtliche Museum gehört zu den fragwürdigsten Museen Österreichs. Es wäre hoch an der Zeit, es zu evaluieren, ihm eine neue Struktur zu geben, möglichst außerhalb des Verteidigungsministeriums, und vor allem ein modernes Konzept zu geben.


Donnerstag, 5. November 2015

Blut, Opfer, Reliquie oder wie Bedeutungen in Ausstellungen erzeugt werden. Über un/reflektiertes Ausstellen

2005 fand im Schloß Belvedere in Wien eine große historische Ausstellung statt. Anlaß war die 50. Wiederkehr des Staatsvertrages, der seinerzeit im Belvedere unterschrieben wurde. Die Ausstellung feierte die jüngere Geschichte Österreichs also aus der Perspektive der glücklichen Selbständigkeit und Staatswerdung nach dem Weltkrieg, zugehörigkeit zum Dritten Reich und Zeit der Besatzung durch die Siegermächte.
Der Duktus der Ausstellung war durchgehend patriotisch und staatstragend, durch alle Räume zog sich ein rot-weiß-rotes Flaggenband und die diversen Abteilungen bauten auf der Gemeinsamkeit einer 'Erfolgsgeschichte' von Zweiter Republik und gelungener Nationwerdung auf.
Ungewöhnlich waren die Umstände, unter denen die Ausstellung zustandekam. Da sich die Regierung zögerlich zeigte, eine einschlägige Ausstellung auszurichten, bildete sich eine Gruppe Industrieller, die die Initiative erfgriffen, an ihrer Spitze der ehemalige Finanzminister Hannes Androsch. 
Die Ausstellung hätte seinerzeit eine fundierte Kritik verdient. Sowohl die Umstände ihrer Entstehung, innere organisatorische Konflikte, die Planungsgeschichte und vor allem die Ausstellung selbst hätten genug Ansatzpunkte für Kritik geboten. Doch eine solche hat es nie gegeben.
Mir ist Einiges von der Ausstellung noch sehr gut in Erinnerung, vor allem das Objekt Nummer eins, ein Objekt, das nicht nur numerisch im Katalog als erstes aufscheint, sondern das tatsächlich in der räumlichen Disposition das erste war, das man sah und an dem man vorbei musste, wenn man die Ausstellung besuchte.
Ein solches Objekt funktioniert ähnlich wie ein opening shot in einem Film. Von hier aus wird der Erzählfaden aufgenommen und der Zuseher bekommt ein Gefühl für den Stil, die Haltung und Ästhetik des Films. Nicht anders können die ersten Objekte einer Ausstellung die späteren Beobachtungen beeinflussen und färben.

Also zum 'opening object' der Ausstellung "Das neue Österreich". Es war das mit Blut durchtränkte Hemd von Erzherzog Franz Ferdinand, das er beim Attentat von Sarajewo getragen hatte. Wie andere Objekte, z.B. der Wagen, in dem er gesessen hatte, hatte man auch dieses Objekt unmittelbar nach dem Attentat gesichert und aufbewahrt, das Hemd zunächst bei der österreichischen Provinz der Gesellschaft Jesu, die es in einem Gedenkraum in Sarajewo aufbewahren wollten. Dazu kam es aber nicht und das Hemd befindet sich jetzt als Dauerleihgabe im Wiener Heeresgeschichtlichen Museum.

Solche Objekte, die ganz unmittelbar mit einem Ereignis verbunden zu sein scheinen, haben die Qualität profaner  Berührungs-Reliquien. Sie sind Zeugnisse eines Todes und Toten an dessen Tod wir Kraft der sichtbaren Spuren teilhaben. Diese Spuren, Körperflüssigkeit, haben eine überdeterminierte, an unsere Affekte und eigene Leiblichkeit und Sterblichkeit weit stärker als die meisten anderen Museumsobjekte erinnernde Bedeutung. Sie vermitteln einem, in eine direkte Zeugenschaft involviert zu sein und in eine unwiderlegbare Beweisführung, wie bei einem kriminologischen Indiz.

Religiöse Reliquien sind entweder Reste vom Körper selbst oder Dinge, die mit ihm in Berührung gestanden haben. Unter diesen sind die herausgehoben, die als "martyrologische" direkt mit dem Tod des Heiligen verbunden waren, etwa eine Dorne von der Dornenkrone Christi. Es sind gerade diese Reliquien und die Körperreste, die, meist im Altar untergebracht, an dem ja das christliche Opferritual stattfand, das gemeinschaftsstiftende Funktion hatte. Das Transgressive des Rituals, an das Opfer für die Gemeinschaft zu erinnern indem man es symbolisch wiederholt, zeichnet auch profanen Reliquien (Die Uhr, die Abraham Lincoln am Tag seiner Ermordung bei sich trug, die Stricknadeln, die Marie Antoinette im Gefängnis benutzte...) aus.

Ist das der Grund gewesen, warum gerade dieses Objekt an erster Stelle der Ausstellung stand? Kaum bewußt. Eher war es als eine Grenzmarkierung einer Epochenschwelle - 1914 - gedacht. Das Jahr 1914, das Attentat von Sarajewo und der Beginn des Ersten Weltkrieges sind zu einer einzigen Bedeutung geronnen. Das mag wohl der Hauptgrund für die Wahl und Platzierung gewesen sein. Selbstverständlich hätte die Wahl auch eine andre sein können, etwa Dokumente zur Kriegserklärung, vielleicht hätte man auch den Wagen des Attentatstages aus dem Museum hierher bringen können oder man hätte ein alltagsgeschichtliches Objekt aussuchen können oder man hätte, statt dieses makabre Stück zu präsentieren etwas aussuchen können, was dem im Ausstellungstitel angeführten "Neuen" an Österreich gerecht gewesen wäre.

Es ist klar, daß gerade das gewählte Objekt nicht 'abbildet', sondern symbolisiert und daß es Bedeutungen erzeugt, die es zu weit mehr machen als einem Indiz in einer Kette von Indizien, die uns verstehen lassen, was es mit dem Kriegsbeginn, mit Kriegsursachen und den folgenden Ereignissen auf sich hat. Wahl, Platzierung und semantische Qualitäten eines Objekts konstituieren zusammen mit seiner Beschriftung, Kommentierung, anderen, umgebenden oder kontextualisierenden Objekten und dem Raum, in dem es gezeigt wird, Bedeutungen, viele Bedeutungen, und auch dem Autor der Ausstellung möglicherweise nicht bewußte.

Ich denke, daß das hier der Fall ist. Hier war sich jemand nicht bewußt, welche Bedeutung er mit der intendierten miterzeugt. Das blutige Hemd, fein säuberlich zusammengelegt, so wie man ein Hemd in seiner Schachtel beim Kauf vorfindet, verweist pars pro toto auf die getötete Person, den Thronfolger. Gezeigt wird uns ein bei einem Attentat Ermordeter, ein Opfer einer Tat, die mit zwei Pistolen (Objekt 2.1. im Katalog), die den Tätern gehörten, 'bezeugt' wird. Das reale Ereignis wird durch das Objekt als Opfer interpretiert, das nahelegt, die dann folgende historische Ereigniskette von Ultimaten und erste Kriegsvorbereitungen wie den beginnenden Krieg als Folgen dieser Tat, die Tat also als Ursache und nicht bloß als Anlass zu sehen.

Erzherzog Franz Ferdinand als Opfer darzustellen  kehrt aber ein Machtverhältnis um. Er ist der Souverän, zumindest der Stellvertreter, also der, der über Tod oder Leben, über Krieg und Frieden verfügen konnte. Und das Attentat richtet sich nicht gegen die (private) Person, sondern genau gegen die Funktion als Souverän. Und denken wir bei 'Weltkrieg' nicht naheliegenderweise eher an das anonyme und massenhafte Sterben von Soldaten und der zivilen Bevölkerung? Überblendet die Präsentation des Hemdes auf seinem Sockelvitrine-Altar nicht diese Erinnerung an ein ganz anderes, und zweifelsfrei nicht freiwillig erbrachtes Opfer?

So wie hier visuell operiert wird, kommt noch die Doppeldeutigkeit von 'Opfer' hinzu, die sich im Deutschen nicht sprachlich unterscheiden läßt. Die von geopfert werden und sich opfern. Figuriert Erzherzog Franz Ferdinand hier als "Blutzeuge" oder als 'victim' eines Mordanschlages?

Die Frage beim Ausstellungmachen ist, ob man als AutorIn, den Prozess der Bedeutungskonstitution reflektiert oder nicht. Ob man sich also zum Beispiel in diesem Fall, im Klaren ist, welche Bedeutung an einem bestimmten Ort, in einem bestimmten Umfeld und zu einer bestimmten Zeit annehmen kann und annehmen soll. 

Es ist eine der großen Schwierigkeiten von Ausstellungsanalyse und -kritik, nicht (immer) klar zwischen intendierten und symptomatischen, gewissermaßen 'einfach passierten' Bedeutungen unterscheiden zu können. Außerdem ist ja immer auch noch der Besucher mit seinem Wissen und seinen Interessen und seinen Deutungen in Rechnung zu stellen. Aber in diesem Fall hilft uns ein Zeuge, uns über Intendiertes und Nicht-Intendiertes etwas Klarheit zu bekommen. Der Zeuge ist der Ausstellungsmacher selbst, der Historiker, der für diesen Ersten Teil der Ausstellung verantwortlich war und für die Auswahl und Platzierung des Objekts.

Es ist der von manchen seiner Kollegen als "führender österreichischer Zeithistoriker" gerühmte Militärhistoriker Manfried Rauchensteiner, langjähriger Direktor des Heeresgeschichtlichen Museums. Er hat zwei Texte verfasst, die sich auf das hier diskutierte Objekt beziehen. Im Objekttext im Katalog (Seite 43) kommt zuerst die Sachbeschreibung. "Blutiges Hemd des österreichischen Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand nach dem Attentat in Sarajevo vom 28.Juni 1914." Und dann die mit Namen gezeichnete Erläuterung: "Der Doppelmord löste zunächst einen Schock und dann eine europäische Krise aus, die in den Ersten Weltkrieg mündete." Der Sinn dieses Textes scheint mir unmi´verständlich. Es geht um einen kausalen Zusammenhang von Tat und Ereignis (Krieg).

Im ebenfalls von Rauchensteiner verfassten Katalogbeitrag, "Von Sarajevo zur Villa Giusti" (S.31) heißt es im Widerspruch dazu: "Kurz gefasste Darstellungen des Kriegsbeginns 1914 lauten häufig so: Am 28.Juni 1914 wurde in Sarajevo der österreichische Thronfolger ermordet, daraufhin brach der Erste Weltkrieg aus. Manches an dieser Formulierung ist falsch, anderes fragwürdig, der eigentliche Fehler liegt in der vermeintlichen Kausalität, die eher ein Konstrukt der Kriegsschulddebatte als das Ergebnis einer historisch sorgfältigen Reihung und Begründung ist."

Mit dem (auf seine Schlüssigkeit durchaus befragenswerten) Hinweis auf die Herkunft eines Klischees (Sarajevo hat den Krieg ausgelöst), gibt Rauchensteiner selbst einen Fingerzeig darauf, wie sehr jede Deutung auf vorgängigen wissenschaftlichen Positionen und gesellschaftlichen Selbstbildern (Österreich und die Kriegsschuld) beruht. Aber zu retten ist hier nur noch wenig, wenn er selbst, gespalten in Rauchensteiner I und Rauchensteiner II wie ein nestroyscher Zerrissener zwei Positionen darlegt, die sich komplett Widersprechen.

Das ist gewiss nicht Museumsreflexion, sondern ein Beispiel, was passieren kann, wenn diese Reflexion aussetzt und auf das Wunder eines "Objekts, das von selbst spricht," gesetzt wird. Ob er es nun beabsichtigt hat oder nicht - für die Belvedere-Ausstellung war das blutige Hemd ein ideologisch-politisch, nun sagen wir: gehörig mißverstehbares Statement.






Im Museumsshop des Heeresgeschichtlichen Museum Wien


Kriegstod (Texte im Museum 525)