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Mittwoch, 5. Juli 2023

Im Traum sprechen. Das Heimatmuseum in Kals am Großglockner

Das ist ein Text in progress. Ich werde ihn ab und zu mit weiteren Überlegungen und Bildern ergänzen. GF




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Kals am Großglockner ist eine Gemeinde mit etwa 1100 Bewohnern. Es ist ein im Sommer wie im Winter touristisch attraktiver Ort, nicht zuletzt wegen der Möglichkeit von hier zum höchsten Berg Österreichs, den Großglockner, aufzusteigen.
Das Gemeindegebiet von Kals überschneidet sich teilweise mit dem Nationalpark Hohe Tauern.
Überregional bekannt wurde Kals durch seinen Widerstand gegen ein Kraftwerk im Dorfertal und der Dabaklamm, der nach einer Abstimmung in der Gemeinde erfolgreich war.
Wie ganz Osttirol ist auch Kals ein wirtschaftlich auf Unterstützung aus der EU angewiesen. Die Abwanderung der Bevölkerung scheint im Augenblick gestoppt, aber viele Jahre schrumpfte die Bevölkerungszahl und Arbeitsplätze sind rar.
Das Ortsbild hat sich über Jahrzehnte hinweg kaum verändert, nur im Zentrum gibt es markante Neubauten, das Glocknerhaus und das Gemeindeamt.



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1974 wurde in Kals ein Heimatmuseum eröffnet. Der Anstoß dazu kam von einem Gast, der aus Hamburg anreiste und der auf eine Kopie eines Gemäldes stieß, das zwei Männer vor dem Gipfelkreuz des Großglockners zeigte. Nicht selten werden Heimatmuseen von Zugereisten, Gästen, Touristen initiiert. Der Blick "von außen" ist ein grundsätzlich anderer, als der von Menschen, die mit ihrer Umwelt, den Gebräuchen, der landwirtschaftlichen Arbeitswelt und den Gegenständen, die sie gebrauchen, alltäglich vertraut sind. 
Erst der distanzierte Blick des "Fremden" erkennt, daß es Qualitäten an Dingen gibt, die eine Beschäftigung mit ihnen rechtfertigen und ihre museale Aufbewahrung.

Ing. Gerhard Gimm, der erwähnte Gast, kam zur Identifikation eines Gemäldes nach Kals, das Männer vor einem Gipfelkreuz zeigte. Durch Recherchen in Kals und Heiligenblut gelang es, das Gemälde als ein Werk von Otto Barth zu verifizieren. "Morgengebet der Kalser Bergführer auf dem Großglockner" von 1911 - das Original befindet sich im Alpenvereinsmuseum Innsbruck. Sogar die Namen beider dargestellten Männer ließ sich feststellen, es waren Kalser Bergführer. Gimm begnügte sich damit nicht, sondern regte an "dass es für ein Dorf von großem Wert sei, wenn seine Geschichte nicht nur aufgeschrieben, sondern anschaulich gezeigt würde". (Zitat aus der Museumsbroschüre Heimatmuseum Kals. Kals o.J. S.5. Die gesamte Broschüre ist als pdf abrufbar).

1972 wurde ein Museumsausschuss gebildet und 1973 stellte die Gemeinde einige Räume des alten Schulhauses, Ködnitz 18, zur Verfügung. Am 30.Juni 1974 wurde das Museum eröffnet.

Der Raum, den man zuerst betritt im ursprünglichen Zustand. Im Vordergrund eine Wollkardatsche, eine Maschine zur Aufbereitung von Schafwolle, die erst danach gesponnen werden kann. Dahinter ein Webstuhl.


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Derzeit ist das Museum geschlossen. Vorübergehend, wie es auf einem Aushang neben dem Eingang heißt. Aber die Gemeinde hat das Geld nicht, um das Gebäude zu sanieren. Es scheint sinnlos, das Museum zu erhalten, aufzufrischen, umzugestalten, so lange das Gebäude nicht saniert ist. Man kann allerdings die Räume des Museums auf Anfrage besichtigen. 
Soll man den Besuch (den man sich organisieren muß) empfehlen? Nein. Irgendwann hat man das Museum geschlossen und eigentlich aufgegeben. Man kann in den Räumen noch ganz gut die Struktur und Ordnung erkennen, die die Gründer dem Museum gegeben haben. Aber viele Objekte wurden einfach umgestellt, gestapelt, übereinander gehäuft. Das Museum ist derzeit mehr Rumpel- als Wunderkammer.

Das Wort "urig" auf einer der Webseiten, die zum Museum existieren, verrät schon, daß man es für notwendig hielt, den Eindruck, den das Museum einmal vermittelt haben muß, glaubte kaschieren zu müssen. In anderen Texten ist die Relativierung noch weiter getrieben und selbst auf einer heutigen Infotafel neben dem Gemeindeamt, wird mit sprachlicher Umständlichkeit aus den Mängeln des Museums eine - positive - Distanz zur Museumsdidaktik. Depot und Unordnung sind erlaubt, wenn eine Sammlung dem Zweck entspricht.

Infotafel neben dem Kalser Gemeindeamt. Foto: Gottfried Fliedl


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Also nein. Man soll es nicht besuchen. Das Museum ist im jetzigen Zustand keinem Publikum zuzumuten.

Und dennoch bin ich vom Museum beeindruckt. Es sind gerade seine Mängel, die es interessant machen. Damit meine ich nicht das Unaufgeräumte, Durcheinandergewürfelte, achtlos Zusammengestellte. Sondern die Reste der ursprünglichen Ordnung in ihrer doppelten Unvollkommenheit. Die eine liegt in der inzwischen eingetretenen Lückenhaftigkeit. Teile der Sammlung sind so verstellt, daß man sie nicht mehr nutzen kann, Objekte wurden verräumt oder sind verloren gegangen, was man feststellen kann, wenn man den heutigen Zustand mit älteren Fotografien vergleicht.

Beschriftungen wurden von den zugeordneten Objekten entfernt, dagegen wurden Inventarnummern direkt auf Objekte geklemmt oder gelegt.

Was aber am meisten verblüfft, das steckt in der ursprünglichen Ordnung und Intention der Museumsgründer selbst drinnen. Ordnung der Dinge, ihre Beschriftung und damit ihre Erzählweise weichen von den gängigen Konventionen ab. Was das Museum auszeichnet ist, daß es eine aus der Alltagserfahrung der Kalser entwickelte Sicht auf die Dinge wirft und deren Bedeutung, die sie im Museum erhalten, aus dieser Alltagserfahrung heraus sichtbar macht.

Chronik, Archiv und Erlebnis (s.Foto unten) sind die Quellen, aus denen man geschöpft hat. 

Als Rückgrat des (ursprünglichen) Ordnungssystems gibt es sogar ein "Inhaltsverzeichnis". In Holz gebrannt und dauerhaft

Das Museum erzählt "aus den Berichten der Chronik, dem Landesarchiv von 1197 und aus Erlebnissen." Der zeitliche Horizont ist sichtlich verschiebbar, die Jahreszahl wurde "geflickt".

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Man erkennt in der Ordnung, entlang der das Museums einmal eingerichtet worden war, herkömmliche Kategorien: bäuerliche Arbeit, Schule, Jagd, öffentliche Einrichtungen wie Post, Gemeindeamt, E-Werk, Bergsteigen und Bergführer, Religion, Brauchtum, Tourismus, Vereine, Gewerbe u.v.a.m. Einerseits ist diese Ordnung nur noch fragmentiert erhalten, andrerseits wurde innerhalb dieser Ordnung im Einzelnen stets aus der Alltagserfahrung geschöpft. Es gibt Erzählungen, Anekdoten, den Bezug zu bestimmten Personen, Familien, Höfen... Die, die das Museum errichtet haben, hatten sicher keine Erfahrungen im Machen von Ausstellungen, aber sie haben sich an ihrer Vorstellung ausgerichtet, von dem was ein Museum ist und zugleich haben sie viele Fäden zum Alltag der Bewohner gesponnen. War es deswegen je ein Museum für die Kalser?

Für das Museum musste erst gesammelt werden. Wie z.B. in der Museumsbroschüre berichtet wird, zogen die "Museumsgründer" von Haus zu Haus und baten um Objekte. Ob es dabei Kriterien gab, was man annahm und was nicht? Vieles wurde hergeschenkt - eigentlich erstaunlich für eine traditionelle Gesellschaft, die sich in nur langsamen Umbruch befand, und in der Dinge sehr lange in Gebrauch standen -, vieles wurde verliehen. Noch jetzt findet man Dinge im Museum mit dem Vermerk "Leihgabe". Wurden die nie zurückgefordert?


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Die lebensweltliche Ausrichtung der Betextung am Kalser Alltag führt dazu, daß für den "fremden" Besucher, oft nicht klar ist, was gemeint ist. Fachbegriffe, Hofnamen, die anstatt oder mit einem Familiennamen zusammen genannt werden, bilden unüberschreitbare Barrieren. Besonders verblüffend können Beschriftungen sein, die unerwartet das Register von der fachlichen Information zum Alltag wechseln. Die große, funktionsfähige Uhr, eines der auffälligsten Objekte im Museum, hat einen Text, der zunächst einer Konvention genügt: der Datierung. Dann springt der unversehens auf eine lebensweltliche Aufgabe der Uhr. "In diesen 200 Jahren hat sie ca. zweieinhalbtausend Kalsern die Sterbestunde geschlagen".




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Haben die Kalser einmal so etwas wie ein "Wir-Gefühl" aus der Zeit des Sammelns und der Museumseröffnung bezogen? Während der Tagung zu Heimatmuseen, die in Kals stattfand und während der das lokale Museum Gegenstand intensiver Diskussionen war, und an der ich teilgenommen habe, wurde Identität, Identitätsbildung plötzlich als Forderung an einen wie immer konzipiertes neues Kalser Museum gestellt. Hatte das Museum diese Funktion schon einmal?

Sicher ist, daß das Museum zuletzt (schon immer?) kaum von "Einheimischen" besucht wurde. Es war ein Museum für die "Sommerfrischler", die Touristen. Auf die Frage, warum gehen die Kalser nicht ins Museum, kommt eine zögerliche Beschreibung. So etwas wie die Beschäftigung mit dem Ort und seinem Leben vollzieht sich in der Familie, und das auch über Generationen. Es scheint keine Aufspaltung zwischen individueller und familialer Erinnerung einerseits und dem institutionellen musealen Gedächtnis andrerseits zu geben. Das bleibt alles von den Personen, Familien, Gruppen gelebt und bedarf keiner symbolischen Entäußerung, der man sich - im Museum gewissermaßen Besucher seiner selbst geworden -, entgegen- oder aussetzt. Das ist eine vorläufige Vermutung, nicht mehr.

Andrerseits gibt es Personen, die selbst so etwas wie Musealisierung betreiben. Da gibt es die Stockmühlen, die man als technische Denkmäler sehen könnte, (sie stammen aus dem 18.Jahrhundert und haben ein auffallendes waagrechtes turbinenähnliches Schaufelrad) die für touristische Zwecke in Betrieb gesetzt werden, zu bestimmten Zeiten und als "Sehenswürdigkeit". Bezeichnend aber ist, daß die Energie, die die Betreiberinnen für die Erhaltung der Mühlen aufwenden, nicht nur dem "Museum Stockmühlen" gilt, sondern daß die Mühlen einmal in der Woche wieder ihren Zweck erfüllen. Es wird (aus zugekauftem Korn, die nötige Felderwirtschaft ist aus Kals verschwunden) Mehl gemahlen und vor Ort Brot gebacken - und verkauft. Und das in nicht gerade kleinen Mengen. Der Erlös kommt der Erhaltung der Mühlen zugute.



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"Der Kalser ist der unabhängigste Mensch, der im Notfalle keiner fremden Hilfe bedarf. Er baut selbst seine Häuser, seine Mühlen und Sägewerke, errichtet mechanische Kraftübertragungen, womit er di oft hunderte Meter entfernte Wasserkraft seinem Hofe nutzbar macht, kennt auch elektrische Licht- und Kraftanlagen, schafft selbst seine Kleiderstoffe, im Notfalle auch das Leder, ersetzt Tischler, Zimmermann, Glaser, Schlosser durch eigene Geschicklichkeit. Besonders gewandt ist er in der Handhabung der Axt und erinnert dadurch an die Berichte, die uns von den ersten Ansiedlern im freien Amerika zukamen." (Aus einer "Studie von Max Grießmayer, 1930)

Diese Beschreibung, die ich der Museumsbroschüre entnehme, ist eine Zuschreibung, eine Projektion. So kann nur jemand beschreiben, der zwischen sich und dem Beschriebenen Distanz geschaffen hat.  Aber sie ist dennoch nicht völlig verfremdend. Ich habe Kals als Kind, als "Sommerfrischler" kennengelernt, von einem Bergbauernhof aus, der auf über 1600m Höhe lag, mit so steilen Wiesen, daß man dort nur mit speziellen Steigeisen mähen könnte. Am Hof gab es Kühe, Schweine, ein Getreidefeld, eine Mühle, wo das Mehl gemahlen wurde, es wurde Brot gebacken, Speck wurde selbst geräuchert. Geräte wurden selbst hergestellt und repariert. Und als nach einem schweren Gewitterregen einmal ein Stück Hang direkt unter dem Haus wegrutschte, wurde keine Spezialfirma geholt, sondern die Bauern von den in der Nähe liegenden Höfen gingen in ihre Wälder, schlägerten Bäume und befestigten den Hang mit einer kunstvollen Fachwerk-Konstruktion.

Brauchen solche Menschen ein Museum? Waren unsere (unglaublich herzlichen) Gastgeber je in "ihrem" Museum"? Welches Museum bräuchte es denn jetzt?

Zwei Fotos aus dem Kalser Museum: Feldarbeit, wie ich sie in den 50er-Jahren noch kennengelernt habe. Alles war Handarbeit mit selbst hergestellten Geräten. Ich kann mich an keine einzige von einem Motor getriebene Maschine erinnern.


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Man hat Museen in "Typen" eingeteilt: Kunstmuseen, Naturmuseen, technische Museen, Historische Museen usw. Man könnte auch einmal eine andere Typologie entwickeln. Nämlich eine entlang der Haltung und Methode der Museen, die kaum bemerkt gewissermaßen unter den herkömmlichen und vertrauten Kategorisierungen liegt. Da gibt es Museen, die unumstößliche Wahrheiten verkünden (etwa einen Kunst- und Künstlerkanon), Museen, die sich bemühen, Geschichtserfahrung, historisches Lernen zu ermöglichen, Museen, die es auf Unterhaltung, Kurzweil, aufs Wohlfühlen anlegen oder Museen, die eine politische Botschaft, eine Ideologie vertreten. 

Und dann gibt es die poetischen Museen. Das sind Museen, die meist in einen Zustand der Vernachlässigung, des Vergessens geraten sind, die sich überlebt haben und die als Museum des Museums von der museologischen Entwicklung so weit überholt worden sind, daß man beschloßen hat, sie nicht zu modernisieren, sondern zu erhalten. Man friert die Museen auf einen bestimmten, lange zurückliegenden Zeitpunkt seiner Entwicklung ein. Solche Museen lassen sich gut in England entdecken, etwa John Soanes Museum in London, das einem eine Zeitreise in die 1830er-Jahre erlaubt und ein Sich-Versetzen in den Spleen eines berühmten Architekten. Auch das Naturhistorische Museum in Wien bemüht sich um Erhaltung einiger Säle. Architektonisches Dekor, Vitrinen und Exponate bilden wie seit der Eröffnung des Museums ein Gesamtkunstwerk.

So ein Museum des Museums ist jetzt Kals. Und solche Museen sind nicht tot, sondern sie bringen Geschichte, Bilder und Träume hervor, als würden sie erst aus einem Schlaf halb erwacht, Geheimnisse preisgeben, die sie bis dahin gehütet haben. Ein "Traumhaus des Kollektivs", wie das Walter Benjamin genannt hat? Aber welchen Kollektivs? Der Kalser? Der Handvoll von Gründern? Der BesucherInnen?

Ich fürchte, das Museum spricht nur zu dem, der die entbergende Stimme des Museums hören will und kann, der über die Versprecher der Beschriftung, den stolpernden Sinnzusammenhang der Dinge, eine andere Bedeutung ahnt, als die, die offen dazuliegen scheint.
 



Alle Kriterien, die ein Museum ausmachen, die Regeln der Auswahl, der Deutung, des Zeigens und Erzählens, des Kommentierens und Anordnens scheinen in diesen Museen außer Kraft gesetzt.
Dadurch öffnen sie sich für eigene Assoziationen und Projektionen. Das geht weit über das hinaus, was immer passieren kann, ein assoziatives Erinnern - mit so einer Waschrumpel hat noch meine Mutter Wäsche gereinigt -, und ermöglicht einem, ins Entspinnen eigener Geschichten zu gleiten wie in einen Traum.

Die Vernunft, die sich in der Ordnung der Dinge zeigen sollte, in ihrer Zergliederung in Themen und ihrer Festlegung in Texten, ist der fiebrigen Traumerzählung gewichen, wie wir sie aus Grimms Märchen kennen, wo eine Nähnadel, ein Ei, ein Mühlstein, eine Ente, ein Hühnchen usw. einen Mann töten. Herrn Korbes. Die Ungeheuerlichkeit der vollkommen rätselhaften Geschichte, in der sich Dinge und Tiere zusammentun und einen Mann ohne jede Rechtfertigung ohne jede erläuternde Kommentierung zu töten, fanden die Herausgeber, die Brüder Grimm, unerträglich. Und sie fügten, wie zur Erklärung und Rechtfertigung und auch unautorisiert durch die ihnen erzählte Geschichte, einen Satz hinzu: "Herr Korbes muß ein böser Mann gewesen sein."

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Ich erinnerte mich bei meinem letzten Besuch des Museums, dem während der Tagung zu Heimatmuseen, noch lebhaft an frühere Besuche im Museum. Ich hatte ganze Raumabschnitte, Themen, Objekte noch lebhaft in Erinnerung (interessant, daß ich absolut keinerlei Erinnerung an die Ausstellung im Glocknerhaus hatte, die ich ja auch schon früher gesehen hatte). Ein Objekt, das mich sehr beeindruckte, war die Geige von Alois Rupprechter. Selbst gebaut? Tatsächlich? War er Geigenbauer? Konnte man nur mit etwas handwerklichem Geschick selbst eine Geige bauen. Warum Südamerika? Ist er ausgewandert? War er auf Reisen? Ein Attentat? Gezielt auf ihn? Und warum? Oder war er zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort?

Ich habe versucht, nachzuschlagen, wer Alois Rupprechter war. Ich wurde nicht fündig. Es gibt eine umfangreiche Kalser Chronik, in der man vielleicht etwas über ihn finden kann. Von den beim Museumsbesuch anwesenden Kalsern konnte niemand Auskunft geben.
Aber sollte man überhaupt genau wissen wollen, was da vor sich gegangen ist? Wäre das nicht eine Art von Entzauberung? Gerade der Mangel an notwendiger Erläuterung, bringt die Phantasie in Bewegung und läßt jeden seine eigene Geschichte suchen.
Nicht die schlechteste der Museumstheorien spricht davon, daß im Verstehen einer Ausstellung immer ein unaufgelöster Rest bleibt. Und man kann sich dazu fragen, ob nicht Museumsvermittlung oder -pädagogik, ob nicht kuratoriale Erklärungen und Texte in erster Linie dazu da sind, genau diesen Rest zu beseitigen - wenn es unmerklich geschieht, um so wirkungsvoller.


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Mit Rupprechters Geige bricht die große, ferne Welt in die kleine, nahe Kalser Welt.
Kals liegt in einem abgeschiedenen Tal, das gilt heute noch, trotz Postbusverbindung und Autostraße. "Am Großglockner" heißt praktisch, daß es von hier aus nur noch zu Fuß weitergeht, über die Hohen Tauern, Hochgebirge. Die Durchzugsstraße im Tal, die Süd und Nord verbindet, Osttirol mit Salzburg und Nordtirol, ist 12 Kilometer entfernt. Wenn die einzige Straße unterbrochen war, wie in den Unwetterkatastrophen 1965 und 1966, war Kals wochenlang von der Umwelt abgeschnitten.
Die geographische Abgelegenheit schnitt das Dorf aber nie von der Welt ab. Wenn man durch Ködnitz spaziert fällt ein Marterl auf, bei dem ein Bild an den Tod dreier Kinder erinnert. US-Flugzeuge warfen hier Bomben ab, ich vermute, um Ballast vor dem Überfliegen des Gebirges loszuwerden. So ragte der große Weltkrieg in den Ort. 
Nur fünf Minuten entfernt steht ein Denkmal mit der lebensgroßen Figur Stefan Groders. Nach der Niederlage der tiroler Gegenwehr gegen die bayrisch-französische Besatzung, wurden 1809 angeblich alle (ich konnte das nicht überprüfen, es war für mich vollkommen neu) tiroler Schützenhauptleute erschossen. Stefan Groder stellte sich für seinen Bruder. Es muß auch eine Gedenktafel im Ort gegeben haben, denn die befindet sich im Museum. 
Der Volkskundler und Museologe Gottfried Korff hat gerne dieses Brecht-Zitat verwendet: "Über das Kotelett in der Pfanne wird auf den Schlachthöfen Chicagos entschieden".
So hat letztlich über das Kraftwerk im Dorfertal nicht nur die Kalser Bevölkerung entschieden, sondern auch die Banken in den Metropolen.

Die Erinnerung ist in Bruchstücken überliefert. Das entscheidende Wort "erschossen" musste behelfsmäßig ergänzt werden. Sonst verstünde man nicht, worum es geht. Der Text allein, in Stein gemeisselt, konnte nicht genügen. Überdeterminiert wird mit einem Label aus Karton über der Inschrift erklärt, warum das kleine Denkmal hier ist: als Zeuge einer "Heldentat"

Wer hat denn dafür gesorgt, daß die Geige, die Gedenktafel erhalten blieben? Hat man sich seinerzeit dazu Geschichten erzählen lassen? Wurden die nie festgehalten, aufgezeichnet? Es gibt so manches Objekt im Museum, wo der Name des Spenders oder Vorbesitzers erwähnt werden, oder bei Funden der Finder. Aber diese Namen helfen unserem Verstehen nicht weiter. Deren Geschichten können als versunken und vergessen gelten. Nicht immer bildet das Museum ein Gedächtnis. Es ist ein "technisches Aufzeichnungsmedium", das im Bewahren von Dingen besteht. Aber diese Dinge verwandeln sich im Museum, werden von Dingen des Gebrauchs, in dem immer wieder Wissen mitschwingt, zu einem Ding des Betrachtens, aber das Wissen ist in die Dinge nicht eingeschrieben, wie seine Farbe, sein Gewicht, seine Ausdehnung. Dieses Wissen muß mit überliefert, rekonstruiert, aufgezeichnet, vermittelt werden. Wo das nicht der Fall ist, verstummen die Dinge. 

Der kleine, entlegene Ort und der große, ferne Krieg

An den Dingen läßt sich weniger ablesen, als man glaubt. Nicht einmal und gerade ihr Alter nicht. Deswegen wird hier versichert, daß die Funde "alt" sind, was aber Funde, und Dinge im Museum natürlich immer sind. 15 Jahre, 30 oder 150? Kommt es darauf an?




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Ein wichtiges Motiv, Museen zu gründen und zu betreiben ist das der rettenden Bewahrung. Etwas scheint uns so wichtig, oder sogar unersetzlich, daß man es bewahrt, vor dem Verfall, der Zerstörung rettet. Die Gefahr dieser Form von Musealisierung ist, daß das Retten zum Selbstzweck wird. Alles kann zum "Letzten" werden, ohne daß wir noch daran denken, ob das Gerettete irgendeinen in sinnvollen Platz in unserer Gegenwart, im Museum findet. Das meiste landet ohnehin im Depot. Depots enthalten notorisch ein Vielfaches an Objekten im Verhältnis zu dem, was ausgestellt wird. Kals hat kein Depot. Hier ist alles im Museum gelandet.
Auch der Brautschlitten, der vor dem Verbrennen gerettet wurde. Was er einmal war, wird genau erzählt. Man kann sich vermeintlich an etwas "erinnern", was man vielleicht nie selbst erlebt hat oder an dem man nie beteiligt war. Und was ist der Schlitten jetzt, als Exponat, als Gegenstand der - möglicherweise - volkskundlichen Forschung?




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Das Museum war mit seiner Eröffnung fertig. Es scheint niemals der Wunsch aufgekommen zu sein, es zu ergänzen, die neueste Zeit mit einzubeziehen. So fehlt im Museum eines der wichtigsten Ortsereignisse, der Kampf gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes im Dorfertal mit einer 200 Meter hohen Staumauer in der Dabaklamm.
Diese Geschichte lebt in Erzählungen, Berichten weiter, die sich im Detail voneinander unterscheiden, wenn Männer oder Frauen erzählen. Denn die entscheidende Initiative, eine Abstimmung im Ort abzuhalten, kam ausschließlich von Frauen und sie waren es auch, die sie praktisch verwirklichten. Erst als der als informell negierten Abstimmung eine zweite formgerechte folgte, war das Ausmaß des Widerstands klar. Mit überwältigender Mehrheit lehnte die Kalser Bevölkerung das Kraftwerk ab.

Ob solche Widerstandsgeschichten in ein Museum gehören? Sicher. Aber ist denn nicht die lebendige Erinnerung, auch wenn sie je nach ErzählerIn variiert, jedem "technischen Gedächtnis" (das das Museum ist) weit überlegen. Aber es ist ja derzeit völlig offen, was mit dem Museum geschieht, ob es "wiederbelebt" wird und wenn ja, in welcher Form. Auch für Kals stellt sich die einfach-schwierige frage. Welches Museum braucht es? Und: braucht es überhaupt eines?

Ein, unbeabsichtigter, Einbruch von Gegenwart. Eine im Museum zurückgelassene Corona-Schutzmaske


Freitag, 28. Februar 2020

Gedenkkultur

Anlässlich des „Frauentages“ öffnet das Museum Arbeitswelt Steyr den Stollen der Erinnerung (ehedem von Zwangsarbeitern errichtet) für BesucherInnen. Im Museum der Völker Schwaz gibts Frühstück mit einem Freigetränk für Frauen.

PS.: Wer mir (abgesehen vom Frauenmuseum Hittisau) e i n österreichisches Museum nennen kann, das seiner Ausstellungs-, Sammlung- und Forschungspolitik konsequent auch die Kategorie gender zugrundelegt, dem spendiere ich zum Frauentag einen Gratiskaffee.

Montag, 8. April 2019

Pflichtbesuche in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen?


Bertrand Perz (Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien)
Pflichtbesuche in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen?
Die unlängst von Staatssekretärin Karoline Edtstadler getätigte Äußerung, für sie sei „vorstellbar, dass alle Muslime, die nach Österreich kommen, zu einem Besuch in der KZ-Gedenkstätte Mauthausen verpflichtet werden“,[1] ist zu Recht von mehreren Seiten heftig kritisiert worden, u.a. vom Mauthausen Komitee Österreich, zuletzt von der Vermittler_inneninitiative an der Gedenkstätte Mauthausen-Gusen.[2] Ähnliche Forderungen in Deutschland hat bereits Jens Christian Wagner, Leiter der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen, zurückgewiesen, nicht zuletzt stellten sie Flüchtlinge und Migranten unter Generalverdacht.[3] Weder führten verordnete Besuche von ehemaligen Konzentrationslagern automatisch zu einem besseren Verständnis der NS-Geschichte noch schützten sie vor Judenfeindlichkeit, so Wagner. Zugleich betonte er die Wichtigkeit von Gedenkstättenbesuchen – aber nicht als verpflichtende Kurzführungen für spezifisch definierte Gruppen.
Die Vorstellung verpflichtender Besuche in KZ-Gedenkstätten hat allerdings eine lange Vorgeschichte, wenn auch der Einengung auf eine ganz spezifische Gruppe eher Seltenheitswert zugesprochen werden muss.[4]
Seit KZ-Gedenkstätten ins Zentrum einer Erinnerungskultur gerückt sind, in Österreich ab den 1980er Jahren, wird ihre Funktion vonseiten der Politik oft darin gesehen, eine Art von Crashkurs in Geschichts- und Demokratiebewusstsein zu liefern. Äußerungen dazu lassen sich aus verschiedenen politischen Lagern finden. Manche Politiker bedienen sich dabei zum Teil seuchenhygienischer Metaphorik; Begriffe wie „Schutzimpfung“ und Ähnliches lassen sich finden.
In Bezug auf die Geschichte der KZ-Gedenkstätte Mauthausen ist festzuhalten, dass diese im ersten Jahrzehnt nach ihrer Einrichtung im Jahr 1949 von der österreichischen Gesellschaft mehrheitlich ignoriert wurde. Die Gedenkstätte war vor allem jenen ein Anliegen, die vom Nationalsozialismus verfolgt worden waren oder das KZ Mauthausen selbst überlebt hatten. Neben Verfolgten aus Österreich und ihren Organisationen waren es vor allem Überlebenden-Verbände aus dem Ausland wie aus Frankreich, Polen oder Italien. Erst ab den 1960er Jahren trugen die Bemühungen ehemaliger KZ-Häftlinge, die Zahl der Besuche in Mauthausen zu steigern, erste Früchte. Vermehrt konnten nun auch österreichische Jugendliche motiviert werden, die Gedenkstätte zu besuchen.
Dabei spielten die Schulen eine nicht unwesentliche Rolle. Die Vorstellung, mit Gedenkstättenbesuchen – verstanden als Teil der politischen Bildung und zeitgeschichtlichen Unterweisung –, antidemokratischen Entwicklungen entgegenzuwirken, führte in den österreichischen Schulverwaltungen zu expliziten Empfehlungen, die KZ-Gedenkstätte Mauthausen zu besuchen. Die erste derartige Empfehlung sprach der Wiener Stadtschulrat 1960 aus, bundesweite Aufforderungen benötigten allerdings mehr Zeit. Erst durch die 1973 neu geschaffene Abteilung Politische Bildung im Unterrichtsministerium ergingen Ende der 1970er Jahre entsprechende Erlässe. Es bedurfte dieser Motivierung von Schulen, sich mit dem Thema Nationalsozialismus, den Konzentrationslagern und dem Holocaust auseinanderzusetzen, um hier Veränderungen zu bewirken. Diese zähen Bemühungen zeigten vor dem Hintergrund einer grundlegenden Veränderung der Debatte über das Thema NS-Verbrechen und Judenvernichtung und eines Generationenwechsels zu einer jüngeren kritischeren Lehrer_innen-Generation, die sich hier zu engagieren begann, Wirkung. Als Katalysatoren dienten etwa die 1979 ausgestrahlte US-amerikanische Fernsehserie „Holocaust“ und – in den 1980er Jahren – die Waldheim-Debatte. Für die Gedenkstätte in Mauthausen hatte das eine massive Vermehrung der Besuche durch Heranwachsende zur Folge.
Eine wichtige Voraussetzung dafür war die Einrichtung einer zeithistorischen Ausstellung, die 1970 in Mauthausen eröffnet worden war und der Gedenkstätte neben seiner Friedhofs- und Denkmalsfunktion jene eines Museums und Lernortes hinzufügte. Die Ausstellung verdankte sich, wie schon zuvor die Gedenkstätte selbst, dem enormen Engagement von KZ-Überlebenden, die sich nun auch massiv in die Vermittlungsarbeit einbrachten, in Schulen gingen oder vor Ort persönlich Führungen hielten.
KZ-Gedenkstätten wie Mauthausen spielen so heute in der politischen Bildung insbesondere von Jugendlichen in Ländern wie Deutschland und Österreich eine enorm wichtige Rolle und werden breit angenommen. Etwa die Hälfte der rund 200.000 jährlichen Besucher_innen kommen im Rahmen von Schulbesuchen aus dem In- und Ausland nach Mauthausen.
Bei all diesen Bemühungen waren verpflichtende Besuche der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, für welche Zielgruppe auch immer, vonseiten der Überlebenden wie auch der freiwilligen und der professionellen Geschichtsvermittler_innen kein Thema. Und das aus gutem Grund.
Denn Gedenkstätten als Friedhöfe, Denkmäler und Museen können vieles anregen und anstoßen, können spezifische Diskussions- und Vermittlungsorte sein. Sie sind aber eben kein Instant-Produktionsort „richtigen“ Geschichtsbewusstseins, keine Bewusstseinsschleuse, die Menschen mit autoritärem, antisemitischem oder rassistischem Gedankengut betreten und wenige Stunde später als geläuterte Demokraten verlassen.
Genau das aber ist die Vorstellung, die in der Politik in Bezug auf die Gedenkstätten weiterhin geäußert wird, in den Worten von Staatssekretärin Edtstadler: „Denn wenn man selbst gesehen und gehört hat, welches Leid Antisemitismus erzeugt hat, wird man resistent gegen diese furchtbare Wertehaltung“.
In den KZ-Gedenkstätten werden solche Forderungen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Nicht in erster Linie deshalb, weil man weiß, dass ein Gedenkstättenbesuch ohne entsprechenden Wertehorizont ganz anderes bewirken kann, als intendiert. So gab es in deutschen Gedenkstätten auch Besuche von Rechtsextremen, die ihren Besuch provokativ mit dem Lernziel verbanden, am Ort der ehemaligen KZs etwas über effiziente Repressionstechniken erfahren zu wollen. Solche Vorfälle sind aber eher selten. Die gemischten Gefühle kommen auch vom Wissen um den äußerst langwierigen Prozess, der mit der Vermittlung von Einstellungen und Wertehaltungen verbunden ist.
Mit einer vehementen Zurückweisung des Ansinnens, Besuche von KZ-Gedenkstätten verpflichtend zu machen, tun sich Gedenkstätten auch aus einem anderen Grund oft schwer. Denn man ist sich bewusst, dass die Erwartungshaltung, solche Besuche wirkten aufklärend, für die Politik einen Teil der Legitimation der Bereitstellung großer finanzieller Mittel für Gedenkstätten darstellt.
Dennoch gibt es aber aus vielen Gedenkstätten eine sehr klare Zurückweisung der Vorstellung von Pflichtbesuchen. So verweist einer der renommiertesten Gedenkstättenleiter in Deutschland, Volkhard Knigge, darauf, dass diese von Jugendlichen als „Aufnötigung“ wahrgenommen würden, was einer Motivierung entgegenstehe. Aber auch ein Blick auf die verpflichtenden Programme, wie sie in der DDR in Bezug auf die Herstellung von Geschichtsbewusstsein üblich waren, macht Knigge mehr als skeptisch.
Generell ist aber auch in Deutschland die Auffassung zweigeteilt. Die Forderungen nach Pflichtbesuchen für diverse Zielgruppen kommen eher aus der Politik, die Zurückweisung des Glaubens an naive Geschichtsbewusstseinsproduktion eher von den Geschichtsvermittler_innen.
Der rezente Vorschlag von Staatssekretärin Edtstadler, antisemitischen Einstellungen unter zugewanderten Muslimen durch verpflichtende Mauthausen-Besuche entgegenzuwirken, weist aber auch noch auf eine weitere Problematik hin, die vielleicht mit mangelnden Kenntnissen der konkreten historischen Geschehnisse in Mauthausen korreliert. Die Fokussierung auf die Judenverfolgung befördert eine in der Öffentlichkeit oft anzutreffende Vorstellung, in den Konzentrationslagern wie Mauthausen seien vorwiegend Juden und Jüdinnen eingesperrt gewesen.
Mauthausen steht als Konzentrationslager aber nicht zentral für den Massenmord an den europäischen Juden, wie das für die deutschen Vernichtungslager in Ostpolen oder für Auschwitz gilt. Im Lagerkomplex Mauthausen wurden – vor allem ab Frühjahr 1944 – viele tausende Juden, vorwiegend aus Ungarn und Polen, ermordet. Aber in Mauthausen starben eben auch viele andere von den Nationalsozialisten als zu vernichtende Feinde definierte Gruppen wie sowjetische Kriegsgefangene, Angehörige nichtjüdischer polnischer Bildungsschichten, französische Widerstandskämpfer, republikanische Spanier oder deutsche Zuchthausinsassen. Und unter den Opfern befanden sich auch Muslime.
Und um nochmal auf die Zielgruppe von Migrant_innen zurückzukommen. Die Frage, was ein notwendiges Wissen über die NS-Verbrechen und den Holocaust im Hinblick auf die Integration von Zuwanderern in unsere Gesellschaften ist, scheint berechtigt. Das gilt aber eben nicht nur für diese. Es bleibt festzuhalten, dass die KZ-Verbrechen und der Massenmord an den europäischen Juden und Jüdinnen in erster Linie von – meist christlich sozialisierten – Deutschen und Österreichern (vorwiegend, aber nicht nur, Männern) begangen wurden, also von Menschen, die aus der Mitte unserer Gesellschaft kamen. Nicht zuletzt deshalb hat sich die „Holocaust-Education“ in den letzten Jahren intensiv mit der Frage beschäftigt, wie man Jugendlichen mit Migrationshintergrund, deren Gesellschaften mit dem Holocaust nur wenig zu tun hatten, das Thema als relevant vermitteln kann. Dazu sind viele gute Konzepte entwickelt worden. Der Pflichtbesuch, der bestimmte Menschengruppen unter ideologischen Generalverdacht stellt, gehört nicht dazu.



[1] BMI Staatsekretariat: Edtstadler: Kampf gegen Antisemitismus wichtiger denn je. Ein Maßnahmenpaket der Bundesregierung wird in den kommenden Wochen ausgearbeitet. Muslime sollten zu Besuch in KZ-Gedenkstätte Mauthausen verpflichtet werden. (https://www.bmi.gv.at/news.aspx?id=446B54332B4344637543413D, Zugriff 5.4.2019)
[2] Edtstadlers Zwangspädagogik. Kommentar der anderen. Offener Brief, 26. März 2019. https://derstandard.at/2000100268109/Edtstadlers-Zwangspaedagogik, Zugriff 30.3.2019
[4] So hat zwar Justizminister Brandstetter 2016 als Folge der äußerst fragwürdig begründeten Einstellung eines Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft Graz gegen die Zeitschrift "Aula", in der in einem Artikel KZ-Häftlinge als "Massenmörder" und "Landplage" bezeichnet worden waren, im Rahmen des Curriculums für Richteramtswärter_innen verpflichtende Besuche der KZ-Gedenkstätte Mauthausen vorgesehen. Allerdings sollten diese Besuche in ein umfangreiches Ausbildungsprogramm eingebettet werden. (https://derstandard.at/2000032745846/Causa-Aula-Brandstetter-zieht-Konsequenzen-bei-Ausbildung, Zugriff 5.4.2019)

Dienstag, 19. Februar 2019

Verewigtes Zeugnis (Texte im Museum 910)



"Lager Liebenau. Ein Ort verdichteter Geschichte". Stadtmuseum Graz. Eine Begegnung mit dem - inszenierten - Pathos der Dinge als Spur und Zeugnis, Zeugenschaft - und des Überdauerns.

Dienstag, 14. März 2017

Kleine Geschichte des Museums. Teil vier. Die Musen und ihr Museion

Was bisher geschah: Wir hatten ein Museum entdeckt, das sich bescheiden aber auch stolz, ein neuntältestes nennt, und daraus messerscharf geschlossen, es müsse demnach auch also ein ältestes geben. Indes führte die Suche danach zu entschieden zu vielen ersten Museen und es zeigte sich, daß es ein Wort gibt und dessen Geschichte einerseits und andrerseits daß es verschiedene kulturelle Praktiken gibt, die mit diesem Wort bezeichnet werden. Aber auch daß dieses Wort "Museum" Sachverhalte bezeichnet, die mit dem, was wir heute landläufig darunter verstehen, wenig oder nichts zu tun hat. Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.

Diese ziemlich verwirrende Entdeckung machten manche Museumsgründer zu Anfang des 19. Jahrhunderts, also zu der Zeit, da jene hybriden institutionellen Praktiken entstanden, die wir heute als Museum bezeichnen. Interessanter als der Fall München, wo man anläßlich der Errichtung eines Gebäudes für die Antikensammlung des Bayrischen Königs lieber ein neues Wort erfand, nämlich Glyptothek, als 'Museum' zu verwenden, ist Berlin, wo im Zuge der Errichtung und Planung des Königlichen Museum dieses Wort plötzlich verdächtig und umstritten ist. Aber dann doch gewählt wird, obwohl man in der kurz aufflammenden Kontroverse argumentiert, daß "die Alten" so etwas, was hier in Berlin gerade entstehe, nie gekannt hätten.
Das war eine Einsicht, die man auch heute nicht anders formulieren könnte. Aber dennoch hielt man in Berlin an 'Museum' fest - im Namen einer nicht näher erläuterten 'älteren' Bedeutungsschicht.

Ich  vermute, daß man die wörtliche Bedeutung meinte und diese aktualisierte: Museum ist die lateinische Form des Griechischen Museion und das ist der "Musensitz", der Ort, an dem sich die Musen aufhalten und wo sie im Medium Tanz und Gesang Götter- und Gattungsgeschichte erzählen.

Die Musen (ihre Zahl ist da noch ganz unbestimmt), Töchter der Göttin der Erinnerung, Mnemosyne und des Zeus sind also so etwas - und das ist etwas historisch Neues - wie ein kollektives Gedächtnis.

Die Musen erzählen Vergangenheit und Deuten Zukunft und versammeln das in der Gegenwart, an einem Ort der sowohl imaginär wie topografisch konkret sein kann: Das Museion. Eine Wiese, ein  Hain. Ein vage bezeichneter und ebenso vage lokalisierbarer Platz.

Dieser Ort ist meist einer in der freien Natur, wo es weder Gebäude (etwa einen Tempel) gibt noch - das schon gar nicht - eine Sammlung von Gegenständen. Die Musen singen und tanzen, sie sammeln nicht. Ihr Gedächtnis ist das lebendige der gesprochen Sprache, nicht der Buchstabe des fixierten Textes.

Wenn man in Berlin "Museum" mit "Ruheort" übersetzt, könnte man das als Historisierung der Kunst verstehen. Im Rückgriff auf den Gedächtnisort des Museion und des Gedächtnismediums Musen wäre dann im Museum Kunst ein Gedächtnismedium, erst einmal eines ihrer eigenen Geschichte, die ab nun - chronologisch-kanonisch - das Sujet, der "Gegenstand", der Inhalt des Museums wäre.

Die allmähliche Transformation des Musenmythos, den er in der Antike durchmacht, hat mehrere Aspekte. Einer ist die - konfliktreiche, als Krise des Gedächtnisses in der Philosophie der Antike thematisierte - Ablösung des lebendigen Gedächtnisses, des 'liebenden Eingedenkens' -, durch ein technisches, das sich vom Sprecher und damit von Zeit und Ort lösen kann. Also die durch die Erfindung des Alphabets mögliche und damit auch transgenerationelle 'Monumentalisierung' des Gedächtnisses im Aufzeichnungsmedium Text. Da wurde schon eine für unsere Ohren ganz zeitgenössisch klingende Debatte geführt, ob die Aufzeichnungsmedien nicht das lebendige Gedächtnis zerstörten. Und das taucht ja auch tatsächlich in der Museologie als Frage auf: zerstört Musealisierung von Dingen nicht genau jene Erinnerung (mit den Funktionen), die einmal mit Objekten verknüpft waren? Ist das Aufbewahren von Objekten im Interesse der Erinnerungsfähigkeit nicht eine Zerstörung alles dessen, was einmal mit ihnen an Wissen, Emotionen, Handhabungen usw. verknüpft war. Also im Grunde ein Vergessen?

Die zweite Transformation ist die, die ich als Enteignung der Musen bezeichnen möchte. Ihre Gabe des Erzählens und Deutens geht auf Spezialisten über, z.B. auf den Aioden, der, sich selbst auf einfachen Saiteninstrument begleitend, tausende Versstrophen umfassende, dann auch aufzeichenbare Texte (Hesiod, Homer) verfasst und vorträgt. Oder auf die Philosophen, die nun zu Produzenten und Hütern jenes Wisssens und jener Kunstfertigkeiten werden, die die Musen nur noch beschützen dürfen.

Das Wissen von den Musen verdanken wir gerade diesen Aufzeichnern und Aufschreibern, wie der Schilderung Hesiods in seiner Theogonie, wo er - etwas dreist - den Musen begegnet sein will, die ihn gleichsam beauftragt hätten, ihr Werk weiterzuführen. Da findet eine folgenreiche Übertragung der Wissens- und Erinnerungsmacht auf säkulare und irdische Instanzen statt, die auch die Funktion des "Museion" verändert.

In der Blütezeit der antiken Polis, mit der Gründung der Akademien (die erste entsteht in Athen), ist das Museion das kultische Zentrum eines urbanen, von männlicher Priesterschaft definierten und besetzten Wissensortes.

Das ist auch noch so, bei dem für die Genealogie des Museums scheinbar so wichtigen, im hellenistischen Alexandrien unter der paternalistischen und protektionistischen Politik eines Fürsten errichteten Instituts, bei der wieder das Wort Museion die Bezeichnung Akademie überlagert. Was man davon weiß ist wenig, daß es eine große, enorm wertvolle Bibliothek war, die in einem Brand unterging.

Was im Streiten über das Wort Museum in Berlin in den 20er-Jahren des 19.Jahrhunderts aktualisiert wird, ist die älteste Bedeutungsschicht von Museion: der kollektive Gedächtnisort, an dem Vergangenheit und Zukunft in der Gegenwart versammelt werden. Allerdings, wie wir sehen, kommt die antike Vorstellung Aber noch ganz ohne jene Verdinglichung und technischen Speicherbildung aus, ohne die uns das Museum undenkbar scheint, und um derentwillen man in Berlin ja auch nahe dran war, das Wort zu verwerfen, weil sie völlig "unantik" war.

Der Konflikt aber, der sich zwischen dem lebendig wirkenden Gedächtnis einerseits und seiner technischen, verdinglichenden, 'musealen' Formierung andrerseits eröffnete, ist seit Anbeginn des Museums der Moderne virulent geblieben. Bis heute. Museen vor allem als Sammlungen zu sehen und ihre Existenz in der Bewahrung von Objekten (welcher Art auch immer), löst diesen Konflikt nicht sondern entscheidet ihn zu Gunsten von Verdinglichung und Fetischsierung. Die Aufgabe der Vermittlung, des Erinnerns verblaßt in diesem Verständnis vom Museum.

Anläßlich der unter anderem aus der Beraubung europäischer Sammlung (unter Napoleon) und in der Französischen Revolution gegründeten Museen, namentlich des Louvre, entsteht sofort eine fundamentale Kritik des Museums. Und sie entzündet sich sofort auch an dem beschriebenen Dilemma.

Friedrich Schiller legte in einem kurzen Gedicht, eine Kritik am Bildersturm der Revolution,  den Finger in diese Wunde, die sich nie wieder geschlossen hat:

Friedrich Schiller: Die Antiken zu Paris

Was der Griechen Kunst erschaffen,
Mag der Franke mit den Waffen
Führen nach der Seine Strand,
Und in prangenden Museen
Zeig' er seine Siegstrophäen
Dem erstaunten Vaterland! 


Ewig werden sie ihm schweigen,
Nie von den Gestellen steigen
In des Lebens frischen Reihn.
Der allein besitzt die Musen,
Der sie trägt im warmen Busen;
Dem Vandalen sind sie Stein.



Fortsetzung folgt.

Abb.: Muse, römische Kopie nach griechischem Original, 2.Jh.n.Chr. Kapitolinische Museen / Centrale Montemartini, Rom. - Mosaik mit Darstellung der platonischen Akademie in Athen. Pompeji, um 50 v.Chr. Museo Nazionale Napoli. Antikes Wikipedia: Wahrscheinlich Platon deutet mit einem Stab auf einen drehbaren Himmelsglobus am Boden. Im Hintergrund die Stadtmauer von Athen. An der Säule eine Sonnenuhr und links vier Öllampen zur abendlichen Beleuchtung. Der Rahmen des Mosaiks ist besonders relevant zum Verständnis der Darstellung. Es handelt sich bei den Köpfen um typische antike Theatermasken mit offenem Mund zur besseren Hörbarbeit der Schauspieler. Das Mosaik ist daher nicht der Akademie selbst, sondern einem unbekannten Theaterstück über die Akademie gewidmet.- Hubert Robert: Salle des Saisons, Musée Napoleon / Louvre. Louvre, Paris

Dienstag, 9. August 2016

Vortrag zum "Haus der Geschichte" bei der Österreichischen Forschungsgemeinschaft. Ein zweites Mal "nein" zum Projekt

Wie kann man Geschichte ausstellen?

I Ein österreichisches historisches Museum? Warum nicht!

Ich stehe dem Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich sehr skeptisch gegenüber, und ich denke, diese Skepsis ist mit vielen Argumenten unterlegt. Das bedeutet aber nicht, daß ich ein österreichisches Geschichtsmuseum für sinnlos und überflüssig halte. Wäre ein solcher Ort nicht wünschenswert? Einer, an dem Prozesse gesellschaftlicher Selbstdeutung und Orientierung stattfinden könnten, an dem uns in der Erfahrung der Differenz der drei Zeithorizonte Vergangenheit - Gegenwart - Zukunft neue Orientierungsmöglichkeiten eröffnet würden und das alles mit den genuin musealen Mitteln, also im Rückgriff auf dokumentarisch wie identitätsbedeutsame Gegenstände?
Meine Vorstellungen von einem solchen Museum unterschieden sich in so gut wie allen zentralen Merkmalen vom Konzept des Hauses der Geschichte Österreich. Statt einer paternalistischen Gründung und ideologisch fragwürdigen geschichtspolitischen Intervention, würde das Museum aus der Mitte der Zivilgesellschaft entspringen und von ihr getragen werden. Statt überdiskreter Planung in Hinterzimmern der Macht, gäbe es eine klar deklarierte Autorschaft, statt demokratische Offenheit bloß deklamatorisch zu beschwören, würden Partizipation und transparente Planung von Anfang gepflegt.
Statt allein auf die gewiss unverzichtbare fachliche Kompetenz der akademischen Geschichtswissenschaften zu setzen, müsste man sich gewärtig sein, daß es um die Geschichtskultur und politische Kultur allgemein geht und dementsprechend eine ungemein breitere Fachkompetenz wünschenswert wäre, wenn es um die Arbeit an musealer Repräsentation geht. Und ist es denkbar, da heute das Wort Partizipation in aller Munde ist, wo es um Museen und Ausstellungen geht, sich allein auf Experten zu stützen und nicht auch andere Gruppen einzubeziehen?
Methodisch hieße das, von den weitgehend umhinterfragten Prämissen der Historikerausstellung Abstand zu nehmen, also von der Praxis, auf Schriftquellen gestützte Texte zu generieren, denen Objekte alibihaft und illustrativ zugeordnet werden. Im Museum wie ich es mir erträume, müßte man die hohe Kunst der visuell vorgetragenen Argumentation beherrschen - diese seltene Fähigkeit zwischen fachlicher, ästhetischer und museologischer Kompetenz, die nicht einfach deren Quersumme bildet, sondern etwas Anderes, schwer zu Fassendes.
Statt auf so etwas wie kollektive hegemoniale Identität hinzuarbeiten, auf eine - wenngleich nicht offen deklarierte - identitätspolitische Zielsetzung, müsste ein anderes Geschichtsmuseum der Republik auf ein offenes, flexibles Konzept des Projizierens und Verhandelnds von konkurrierenden Identitäten setzen. Die Betreiber eines solchen Museums wüßten, daß Identität auch im Museum, so verführerisch die Institution dafür geeignet erscheint, nicht festzustellen oder festzuhalten ist.
Statt des weitgehend bekannten und voraussehbaren, chronologisch vorgetragenen Kanons von Tatsachen und Ereignissen setzte mein Museum auf eine rabiate Zuspitzung all jener Gegenwartsfragen, die uns beschäftigen und uns beunruhigen. Diese Zuspitzung käme nicht aus dem Museum, sie ist längst in der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit derart brisant geworden, daß mir nicht einleuchten will, daß eine Art von neohistorisierender Panoramatik genügen soll, um dem etwas entgegenzusetzen. Eine historisierende Rückschau auf das was und wie es einmal gewesen ist, scheint mir angesichts der Gegenwartsprobleme vollkommen ungenügend.
Der Rückbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates, die Erosion demokratischer Institutionen und Regeln, die Entfesselung destruktiver neoliberaler Ökonomie, ja die Kassierung des Politischen überhaupt, das Anwachsen rechtsextremer Bewegungen, das alles braucht kein Museum als Unschuldskomödie, das uns die gefahrlose Besichtigung unserer politischen Elendslandschaften erlauben soll.

II Das überschätzte Museum

Eine einfachen Frage: Worin besteht der erwünschte Effekt, den das Haus der Geschichte Österreich haben soll? Was wird von ihm erwartet, was soll es leisten?
Ich meine damit nicht Absichten, sondern Effekte, die deklariert werden und deren Eintreten oder Ausbleiben auch kontrolliert werden kann.
In meiner Einladung zur Veranstaltung ist die Rede vom „für unser Land so bedeutenden Projekt“. Sicher, ein historisches Museum wäre etwas Neues in der österreichischen Museumslandschaft. Als Argument taugt das allein aber wenig. Der Hinweis, anderswo gäbe es so etwas, also müße es das endlich auch hier geben, ist weder zwingend noch sachlich richtig. Große nationale Geschichtsmuseen sind in Europa seltener als man glaubt. Ich wüßte weder in London oder Paris oder Rom, einen Ort, wo ich hingehen könnte, um über die Geschichte des Landes umfassend und aktuell informiert zu werden.
Aber worin liegt die Bedeutung der aktuellen Wiener Museumsgründung genau?
Soll das Nationalbewusstsein gestärkt werden? Immerhin war im Entwurf zur Abänderung des Bundesmuseumsgesetzes von nicht weniger die Rede als einer "Stätte der geistig-kulturellen Identität Österreichs“. Geht es allgemein um Sachwissen zur Geschichte Österreichs? Soll das Museum das Geschichtsbewusstsein der breiten Bevölkerung verbessern? Sollen aktuelle gesellschaftliche Probleme im Licht historischer Entwicklungen zur Diskussion gestellt werden? Soll es eine Visitenkarte für Wien-Touristen sein? Ein Informationspool für an Geschichte Interessierter? Ein Medium der Popularisierung der Zeitgeschichtsforschung?
Dieses Ziel ist unklar und Historiker wie Gerhard Botz haben gefordert, im Konzept für das Museum muß das identitätspolitischen Ziel offengelegt werden. Die Antwort darauf ist von den Moderatoren des Projekts nicht zu bekommen.
Stattdessen wird über Inhalte gesprochen, über Periodisierung, über die Tauglichkeit oder z.B. über die Untauglichkeit der Hofburgarchitektur, über den Zeitplan, aber nicht über den gesellschaftspolitischen Sinn des Projektes, den es jetzt, in diesen Tagen, in den kommenden Jahren hat und haben soll.
Da gibt es aber eine zweite Frage: Wieso erwartet man, daß dieses oder jenes Ziel  mit den Mitteln des Museums, mit den Mitteln einer Ausstellung tatsächlich erreicht werden kann?
Es scheint so, als wäre das Projekt eines Hauses der Geschichte Österreich Nutznießer einer diskreten Anerkennung der Institution als solcher - aber unter Aussparung aller seiner strukturellen Widersprüche. Das Museum erscheint als eine Art von black box, die man auf der einen Seite mit guten Absichten, programmatischen Deklarationen und vollmundigen Versprechungen füttert um auf der anderen Seite frisches Geschichtsbewusstsein herauszubekommen.
Ich zitiere die wesentliche Passage des sogenannte Mission Statement des vorliegenden Konzepts: „Das ‚Haus der Geschichte Österreich‘ (…) vermittelt die Geschichte Österreichs ab der Mitte des 19. Jahrhunderts (…) einem möglichst breiten Publikum in ihrem europäischen und internationalen Kontext und ermöglicht eine historische Auseinandersetzung. Das Haus der Geschichte Österreich wird ein aktives und offenes Diskussionsforum für historische Fragestellungen und Themen der Gegenwart sein.“
Als solches wird es, so der Leiter des Beirates, Oliver Rathkolb, zu „ausgeprägtem kritischen Geschichtsbewusstsein“ beitragen und zu „positivem Demokratiebewußtsein“. Wie Oliver Rathkolb ist auch Johanna Rachinger als Leiterin der Nationalbibliothek, der das Haus der Geschichte eingegliedert wird, in zentraler verantwortlicher Position. Ihr geht es um eine „kritische Erinnerungskultur“, um die „offene Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte“ und die „Vermittlung eines wissenschaftlich fundierten Geschichtsbildes“. Nicht daß man solchen Zielen nicht gerne zustimmen wollte, aber warum wird die Frage ausgeklammert, auf welchem Weg und mit welchen Mitteln alle diese und andere hehre Ziele denn erreicht werden können?
Noch nie ist ein Museum allein wegen eines schriftlichen Konzepts gelungen. Sondern immer erst in seiner organisatorischen und museografischen Realisierung. Dazu findet sich kaum etwas im Konzept und ein Mitglied des Beirates hat mir glaubhaft versichert, daß ein bereits verfasster museologischer Teil komplett aus dem Konzept wieder herausgenommen wurde. Warum? Ist er misslungen?
Das Museum ist ein höchst komplexes aus vielen Medien zusammengesetztes hybrides aber auch plastisches Medium mit nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Gestaltbarkeit auf allen Ebenen. Aber sein Status zwischen Wissenschaft, Kunst, Ästhetik und Didaktik ist unklar und auch die Autorschaft oszilliert zwischen den Rollen des Wissenschafters und Künstlers, zwischen wissenschaftlicher und sehr spezifischer ästhetischer Kompetenz. Haben die gerade die Historiker und Historikerinnen?
Interessant ist, daß zum ersten Mal, der Ruf nach Museologen erhoben wird. Aber Museologie ist weder ein Beruf noch eine Wissenschaft, eher ein Feld von Forschungen und Diskursen der unterschiedlichsten Wissenschaftsdisziplinen deren Gemeinsamkeit ist, sich mit dem "Museum als Schlüsselphänomen der Moderne" (Sharon MacDonald), zu beschäftigen.
Alle meine Fragen lassen sich in einer bündeln: Kann die wissenschaftliche und künstlerische Repräsentationen der Vergangenheit, wie sie Museen und Ausstellungen zu leisten beanspruchen, ganzen Gesellschaften oder zumindest Gruppen von ihnen Identität, Selbstwert, Erinnerungsfähigkeit oder Reflexionswissen vermitteln?

III Zwischen dem Gewissheitsanspruch der Geschichtsdidaktik und dem Generalverdacht der Undarstellbarkeit der Geschichte

Die Antwort auf die Frage der Repräsentierbarkeit von Geschichte vermeint man in einer Methodik oder Didaktik des Museums zu finden, in der besonderen Art und Weise des Zeigens und Zu-Sehen-Gebens, des Arrangieren von Objekten, des räumlichen Inszenierens, des Kommentierens durch Texte oder weitere Objekte. Wohl wegen meiner museologischen und ausstellungspraktischen Erfahrung hat man mich gebeten, über die Darstellbarkeit von Geschichte zu sprechen.
Allerdings ist das Thema derart komplex und es gibt theoretisch wie praktisch derart viele Antworten auf diese Frage. Es ist nicht möglich hier auch nur annähernd die diversen Optionen darzustellen und an Beispielen zu illustrieren. Deshalb habe ich mich entschieden, eine sehr enge Auswahl zu treffen. In ihr liegt der Schwerpunkt auf der Formierung des Publikums, auf der Herstellung von Öffentlichkeiten, und nicht auf Objekten, Medien und Inszenierung.
Der Grund für die Auswahl liegt darin, daß ich damit, statt mich allgemein zu halten, jenen Formen von Vermittlung Aufmerksamkeit schenke, die in unserem Fall, also bei einem historischen - und wie immer auch - „nationalen“ Museum mir wünschbar scheinen. Meine Beispiele illustrieren also nicht nur eine bestimmte Form der Geschichtsvermittlung, sondern ich habe sie auch als Anregung gewählt, für ein Haus der Geschichte Österreich an derartige Praktiken zu denken und sich an ihnen zu messen.
Als Kriterien der Auswahl dienten mir zwei Aspekte. Der eine Aspekt ist die Frage, wie Ausstellungen mit dem zivilisierend-rituellen, dem vergesellschaftungs- und öffentlichkeitsbildenenden Potential umgehen, das meiner Überzeugung nach den Kern des europäischen Aufklärungsprojektes Museum ausmacht. Den anderen Aspekt borge ich mir von Heidemarie Uhl. Sie hat in ihrem Beitrag in der Tagungsdokumentation zum Haus der Geschichte Österreich die Undarstellbarkeit der Geschichte als unvermeidliche Grundbedingung moderner Geschichtsdarstellung angeführt. Ausstellungen machen hieße, ich zitiere sie, die „Gemachtheit und Kontingenz der Geschichtserzählung“ anzuerkennen und erkennbar zu machen. Dem stimme ich zu und aus dieser Einsicht heraus sind ja auch viele faszinierende Projekte entstanden.

Die ehemalige Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien

Wenn ich beide Aspekte zusammenfüge, fällt mir als erstes die Dauerausstellung des Jüdischen Museums der Stadt Wien ein, die bis 2011 bestanden hat und die auf Anordnung der damals bestellten neuen Leiterin abgebrochen wurde.
Die damalige Chefkuratorin des Museums, Felicitas Heimann-Jelinek und der Architekt Martin Kohlbauer konzipierten in einem salonartigen Raum des Palais Eskeles eine aus Hologrammen bestehende Platzstruktur.


Begibt sich der Besucher in den von den Tafeln gebildeten Raum sieht er sich umgeben von Bildern. Nach Maßgabe der Position, die der Besucher einnimmt, scheinen auf jeder Tafel Objekte auf, Fragmente ehemaligen Wiener jüdischen Lebens, eine Straßenansicht der Leopoldstadt, ein Porträt von Theodor Herzl, Ritualobjekte, Industrieerzeugnisse, alltägliche Gegenstände, - und sie verschwinden wieder, wenn der Besucher weiter geht, sich bückt oder wendet.
Die Kuratorin schrieb dazu: „Das Medium der Transmissionshologramme thematisiert (das) Verschwinden, thematisiert, dass sich Geschichte uns entzieht. Darüber hinaus stellt es den absoluten Ausgangspunkt des historischen Objekts ebenso in Frage in Frage wie das Konzept einer ‚wahren’ historischen Rekonstruktion. Keine Ausstellung kann deutlich machen, was österreichisch-jüdische Geschichte in ihrem ganzen Ausmaß tatsächlich war.“


Das ‚Verschwinden’, das Ephemere der ‚Bilder’ des Hologramms verweigert auch eine phantasmatische an das Museum gerichtete Erwartung: dass es durch dauerhafte Sicherung, Fest-Stellung von Dingen dauerhaft Erinnerung sichern und aufbewahren könnte.
Selbst das memoriale Zeichen, das auf fast keinem Platz fehlen darf, bietet hier trotz seiner monumentalen Festigkeit nur neue Ambivalenzen. Der aus der  Mitte des Gevierts gerückte Block – der ganz allgemein die Form- und Gedächtnisgelegenheit des Denkmals evoziert -  trägt eine Tafel mit einem der ältesten Aufzeichnungsmedien, eine chronologische Liste. Doch aus der lakonischen Aufzählung von zwischen 903 und 1994 ausgespannten Daten lässt sich keine zusammenhängende Erzählung rekonstruieren. Die räumliche und thematische Inszenierung der Hologramme stellt ebenfalls keinen Zusammenhang her, vielmehr sagen sie etwas aus über das Fehlen solchen Zusammenhangs, über die Abwesenheit der vernichteten Wiener jüdischen Kultur vor 1938, die sich dem Besucher nicht zu schönen Erinnerungsbildern verklärt. 05_Hologramme von Synagogen
Die Hologrammbilder vermitteln zwischen dem, was das Museum zeigen und dem, was der Besucher sehen kann und bringen zur Anschauung, dass das Vergangene eine gegenwärtige Konstruktion des Museums und dass der Besucher an dieser Konstruktion beteiligt ist.

Die voids des Jüdischen Museums Berlin

Noch radikaler hat sich der Architekt Daniel Libeskind bei seiner Architektur des Jüdischen Museum Berlin jeder Repräsentation verweigert. Hier gibt es Räume, die von Spuren, Bedeutungen, von Objekten vollkommen frei sein sollen. Er entwickelte die Architektur nicht für ein Ensemble von mit Objekten bespielbarer Ausstellungsräume, was, soweit ich sehe, in der Geschichte der Museumsarchitektur insofern einzigartig ist, als damit die Last der Repräsentation von der Sammlung und Ausstellung auf die Architektur übertragen wird. Im Grunde macht sie eine Ausstellung und Objekte entbehrlich, allerdings um den Preis extremer Abstraktion. Hier gibt es keine Vermittlung zwischen Dingen und Besuchern, keine Erzählung, sondern einen evokativen Raum, in dem sich Erinnern einstellen kann - oder auch nicht.



Libeskind schuf mehrere durch die Geschosse führenden, schachtartigen Räume, sogenannte voids. Es gab aber auch mitten im Museum einen voided void, also, wenn das überhaupt denkbar ist, so etwas wie eine geleerte Leere. Dieser voided void ist nicht betretbar aber man kann in ihn hineinsehen.
Die voids wurden z.T. zur Installation von Kunstwerken genutzt aber auch, und das war die Intention des Architekten, als Räume der Kontemplation, der Erinnerung und des Eingedenkens.
Es geht auch beim Jüdischen Museum in Berlin um ein Sich-Sammeln, wie im Grunde bei jedem Museum, um eine Sammeln von Personen um Objekte zum Zweck der Selbstdeutung. Wo aber Objekte fehlen, wie hier, kann im geglückten Fall, liebendes Eingedenken freigesetzt werden, wie in unvordenklichen Zeiten, da Bild und Text das Erinnern noch nicht stützten, eine Erinnerungspraxis, deren mythologischen Agentinnen, die Musen, die sich des Gesangs und Tanzes als Medium bedienten, der modernen institutionellen Erinnerungsform des Museums ihren Namen geliehen haben.

Ein Viertel Stadt. Jüdisches Museum Hohenems

Methodisch und strategisch ungleich pragmatischer ist da das Jüdische Museum im Vorarlbergischen Hohenems gewesen, das meiner Beobachtung nach derzeit interessanteste Museum Österreichs. Es hat mit der Projektreihe Ein Viertel Stadt eine sehr inspirierende Form der Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte entwickelt. Im Teilprojekt „Belichtete Häuser“, wurden nach intensiven Recherchen zur Hausgeschichte einige Schlüsselobjekte der Gemeinde sozusagen bespielt, an mehreren sommerlichen Abenden, mit Projektionen von Texten, Bildern, Dokumenten usw. zur Haus- und Familiengeschichte.


Angesichts teils spekulativer Überlegungen zu Abriss und Bautätigkeit inmitten des ehemaligen Jüdischen Viertels, gab das Projekt gewissermaßen dem Stadtteil und seinen Bewohnern vergessene oder verdrängte Geschichte zurück. Es war eine Konfrontation mit verschütteter Erinnerung, sicherte Spuren der vernichteten jüdischen Gemeinde und stellte Fragen nach dem sinnvollen Umgang mit dem Viertel.


Greifbarstes Ergebnis war die Beendigung der Nutzung der baulich erhaltenen barocken Synagoge als Feuerwehrdepot und deren Umwidmung zum Versammlungsraum, den das Museum aber auch die Stadt nutzen. Bis heute wirkt diese Ausstellung ganz praktisch in Politik, Stadtplanung und öffentlich-kommunalen Debatten nach.
Statt auf Besucher zu warten, stellt das Museum hier von sich aus ein Stück Öffentlichkeit aktiv her, in diesem Fall auch außerhalb seiner Mauern, und bildet damit einen Raum für demokratische Debatten und auf sie aufbauende Entscheidungsgrundlagen. Dabei war und ist ein Umstand hier ganz besonders wichtig. Das Hohenemser Jüdische Museum ist aus einer noch dazu höchst kontroversen zivilgesellschaftlichen Debatte entstanden und hat bis heute diese Verankerung in einer inzwischen buchstäblich weltweit existierenden Community vertieft.

Democracy. Group Material. New York

1988-89 organisierte die New Yorker Künstlergruppe Group Material auf Einladung der Dia Art Fundation unter dem Titel Democracy eine mehrteilige Veranstaltung darunter eine multithematische Ausstellung. Hier wird das Ausstellen direkt und explizit zum sozialen und diskursiven Raum und zur Öffentlichkeit, die sich ihrer fundamental politischen Rolle bewußt ist.
Es gab vier nichtöffentliche ExpertInnen-Diskussionen, vier Ausstellungen und vier öffentliche Foren, sogenannte town meetings. Die Ausstellungen genügten sich nicht selbst, sondern bildeten für die Debatten Informationsmöglichkeiten und Kontexte zu den vier Hauptthemen Education, Politics and Election, Cultural Partizipation und AIDS and Democracy. Die town meetings fanden in den Ausstellungsräumlichkeiten statt. Das heißt, der Stoff der Ausstellung war unmittelbar auch Stoff der Debatten.


Bemerkenswert scheint mir hier einerseits die Vermischung der Formgelegenheiten, Ausstellung, künstlerische Installation, soziale Intervention, Vermittlung, politischer Intervention. Dann vor allem aber der Umstand, daß hier durchaus in der Tradition des Museums selbst und seiner Genese im Kontext von bürgerlicher Aufklärung und Revolution, ein dezidiert politischer Begriff von Öffentlichkeit ins Spiel gebracht wird. Vergessen wir nicht, daß einer der ältesten Erprobungsräume liberaler Öffentlichkeit die Kunstausstellungen der Königlichen Akademie in Paris war. Museen waren von Anfang Orte der Konstituierung von Gesellschaftlichkeit im Medium diskursiver Öffentlichkeit. Democracy von Group Material zielt direkt ins Herz der politischen Öffentlichkeit, indem Demokratie in demokratischer Form und inhaltlich zum Thema gemacht wird. Democracy zeigt uns, wie man selbstreflexiv an Demokratie arbeiten kann.

Flamme eternelle. Musée d’Art moderne de la Ville de Paris

Heute würde man das Projekt von Group Material vielleicht mit dem in der Theorie des Kuratierens modischen Begriff der contact zone bezeichnen. Damit sind gesellschaftliche Räume gemeint, keineswegs nur museale, in denen AkteurInnen mit unterschiedlichen Positionen und Anliegen aufeinandertreffen und diese miteinander und alltäglich austauschen und sich mit ihnen konfrontieren. Ans Museum richtet sich das wie ein Appell, unterschiedliche Wissensformenen zu verhandeln. Weder werden existierende Machtverhältnisse damit aus der Welt geschafft, noch jene idealtypische Gleichheit aller hergestellt, die im habermasschen Modell bürgerlicher liberaler Öffentlichkeit idealtypisch behauptet wird. Stattdessen ist eine „unebene Reziprozität“ (James Clifford) zwischen Teilnehmerinnen bzw. Gruppen zu erwarten, also auch konfliktträchtiges Aufeinanderprallen von Interessen. Der Idee der contact zone liegt ein radikal-partizipatives Verständnis zugrunde, daß ein Ort unterschiedliche Öffentlichkeiten integrieren kann. Das kann eben auch ein Museum sein, oder eine Ausstellung, an dem Menschen aus freien Stücken und in frei gewählter Form der Kooperation und des Diskurses zusammenkommen.


Als ich vor Jahren unerwartet beim Besuch des Palais de Tokyo in Paris in die Installation flamme eternelle von Thomas Hirschhorn geraten bin, war ich unversehens Teil einer Versammlung um eine Art Lagerfeuer, Hestia, Grillplatz, Ewiges Licht, denn die flamme eternelle loderte tatsächlich und es hatte sich grade ein Cellospieler und im Zuhören versunkene Menschen um sie wie in einem feierlichen Moment unbestimmter Ritualität versammelt.
Während es beim Projekt von Group Material um einen politisch-didaktischen Impuls geht, bei Belichteten Häusern um eine relativ klar umrissene Debatte um Geschichte und Gestalt einer Stadt, bleibt bei einem künstlerisch-politischen Projekt wie flamme eternelle der Inhalt offen. Denn Partizipation macht nur so weit Sinn, als Kuratoren ihre Deutungsmacht, ihre Macht der Auswahl und Ordnung zugunsten anderer aufgeben. Im Grunde ist Partizipation niemals vollständig zu erreichen, denn entweder es bleibt immer ein Rest auktorialer Macht bei einem Kurator oder bei Veranstaltern oder es geht über diesen Punkt hinaus bis zu einer Selbstermächtigung einer Gruppe, die aber dann selbst die Autorschaft übernimmt. Flamme eternelle ist so ein Ort, der sehr weit der Selbstbestimmung seiner Nutzergemeinschaft überlassen wurde. Hier war zwar der Künstler, Thomas Hirschhorn täglich anwesend und in seiner Biografie wird flamme eternelle wie ein Werk angeführt, aber das ist hier ein Rahmen, eine Gelegenheit, ein Ort, der genutzt werden kann, ohne Barriere eines Eintrittsgeldes in der Zeit von 12 Uhr Mittag bis Mitternacht, täglich und der damit auch die museale Institution transformiert, in den er implementiert ist.


Partizipation ist insofern aporetisch, als sie, ernst genommen und konsequent realisiert, sich selbst abschafft. Ich denke, das war das Dilemma, das ich instinktiv bei mehrmaligen Besuch der Ausstellung im Pariser Museum spürte. Im Alltag fühlten sich die Räume nach wenig mehr an als Freizeiträume mit sehr begrenztem Unterhaltungswert. Aber möglicherweise war ja auch das durch das Konzept gedeckt. Und was da alles stattgefunden haben mag, das konnte sich mir als Zufalls-Zuschauer nicht erschließen. Denn es gab Auftritte von über zweihundert Experten, was flamme eternelle auch zu einer Art welcome center für Intellektuelle machte und die Frage aufwirft, ob ein ausdrücklicher Wunsch Hirschhorns in Erfüllung gegangen sein kann, ein nicht exklusives Publikum anzulocken.

63 Jahre danach. Graz 2010ff.

Im Jahr 2008 beauftragte der Steirische Landtag und die Landesregierung Jochen Gerz - ich zitiere - „ ein Gedenkzeichen zum Machtmissbrauch in der NS-Zeit zu entwickeln“. Ein Teil des Projektes war eine 2008 enthüllte und erinnernde Inschrift im Grazer Burgtor. Der zweite, ab 2010 in Graz und einigen steirischen Gemeinden präsente Teil, mit dem Titel 63 Jahre danach, war das Ergebnis eines sorgfältig konzipierten und komplexen Prozesses, in den steirische Politiker und die Bevölkerung einbezogen worden waren.
Am Beginn stand die Bildung einer interdisziplinären Forschungsgruppe aus steirischen Historikern, Kunsthistorikern, Soziologen, Germanisten, die sich auf die Suche nach Fotografien machten, die den Nationalsozialismus in der Steiermark dokumentierten. 96 der ausgewählten Fotografien wurden in der Kleinen Zeitung veröffentlicht und dort kommentiert. Dann wurde die Leserschaft aufgefordert, eine weitere Auswahl zu treffen, in der die Zahl der Fotodokumente auf die Hälfte, 48, reduziert wurde.


Diese Fotos werden nun den Landtagsabgeordneten mit der Bitte um einen persönlichen Text zu jeweils einem Foto vorgelegt. Deren Texte wurden wiederum in der Zeitung publiziert. Daraus wählt wiederum die Leserschaft 24 Beiträge aus und die 24 Plätze in Graz und in steirischen Gemeinden, an denen Texte und Bilder gezeigt werden.
Was komplizierter als eine Dogenwahl klingt, ermöglichte eine einzigartige Verschränkung noch dazu normalerweise gegeneinender abgeschotteter Öffentlichkeiten. „63 Jahre danach“ verschränkt Politik, Medien und Gesellschaft in eine einzige großen Interaktion und es entstehen mehrmals innerhalb des Entstehungsprozesses Räume autonomer Autorschaft. Selbst die Zeitung zieht sich, etwa ein ganzes Jahr lang, auf sachliche Berichterstattung und Dokumentation zurück und wird, zumindest auf Zeit, selbst zum Medium für von ihr nicht kontrollierbarer oder formierbarer Teilöffentlichkeiten. Politiker treten aus ihrer repräsentativen Rolle heraus und artikulieren sich auch als Privatpersonen, die mit ihren Erinnerungen und Erfahrungen über die Zeitdifferenz von dreiundsechzig Jahren hinweg direkt und indirekt über die aktuelle Bedeutung und Brisanz der subjektiven wie kollektiven Erinnerungen räsonieren. Sie werden damit wiederum zu einem Teil jener Zivilgesellschaft, die in der Leserschaft der Zeitung repräsentiert ist.
Zu den vielen außergewöhnlichen Qualitäten gehörte zum Beispiel auch die Aufmerksamkeit für die Dialektik von Stadt und Land - auf deren brisante gesellschaftspolitische Bedeutung uns eben die Bundespräsidentenwahl noch einmal nachdrücklich hingewiesen hat. Es gab ja Projektstationen in Graz und in einer Handvoll von Gemeinden, wobei es sich zeigte, daß sich einige Gemeinden der Aufstellung verweigerten.
Eine andre Besonderheit: Die Arbeitsgruppe, die eingesetzt wurde, um mit der Auswahl der Fotografien den ersten Schritt ins Projekt hinein zu machen, war interdisziplinär. Obwohl es ein zeitgeschichtliches Projekt war, überließ man es nicht allein der akademischen Geschichtswissenschaft. Ich könnte mir vorstellen, daß man diesen Kreis noch bunter hätte machen können.
Last but not least war auch das Landesmuseum involviert, und zwar als organisatorischer Rahmen, als Instanz der Realisierung in engster Kooperation mit Jochen Gerz. Das Museum trat aber nicht als Mitautor auf, wenngleich Werner Fenz, damals Leiter des dem Joanneum eingegliederten Instituts für Kunst im Öffentlichen Raum, Initiator war, griff nirgends inhaltlich in den Prozess ein und war auch kein räumlicher Gastgeber. Es gab eben keine Museumsausstellung, sondern, wenn man dem überhaupt einen Namen geben will, Interventionen oder Installationen im öffentlichen Raum, die dann jahrelang gezeigt wurden.



IV Nein

Museen sind Orte der Selbstdarstellung und Selbstauslegung von Gesellschaften und Gemeinschaften. In Museen sammeln sich Menschen um Gesammeltes und konstituieren sich dadurch als Publikum. Es geht ums Sammeln und ums Sich-Sammeln. Über Gegenstände und ihre Ausstellung und Ordnung deuten Menschen ihre Herkunft und Zukunft vor allem aber den Grund und den Zweck ihrer Zusammengehörigkeit.
Als Versammlung um eine Sammlung bilden die Beteiligten ein zivilisierendes Ritual, in dem sich körperliche und affektive Involvierung mit kognitiver Reflexion mischt, in der der Wahrheits- und Geltungsanspruch des Verhandelten geprüft und abgewogen wird.
Insofern bildet und bietet das Museum einen Raum liberaler bürgerlicher Öffentlichkeit, mit der das Museum genealogisch verbunden ist und durch das es selbst politisch und demokratisch wird, sofern es aus dem Diskurs niemanden ausschließt und sich die Beteiligten in wechselseitiger Anerkennung begegnen können.
Öffentlich ist das Museum aber vor allem als vom Staat im Interesse der Gesellschaft  eingerichtete, in ihrem Namen treuhänderisch verwaltete und aus Steuermitteln unterhaltene Institution, die, neben vielen anderen, einem Gesellschaftsziel dient. Seit den frühen republikanischen Verfassungen wird dieses Ziel mit allgemeiner und sozialer Wohlfahrt beschrieben.
Eine dritte öffentliche Funktion von Museen besteht in der symbolischen Vergemeinschaftung. Zum ersten Mal an den Museen greifbar, die in der Französischen Revolution gegründet wurden, ist das Museum ein sozialer Ort, nicht weniger als einer der Teilhabe der Bürger am Gründungsakt einer Nation. Sie konstituieren die neue Gesellschaft und reziprok werden sie, die Bürger durch diese Teilhabe zu Staatsbürgern.
Diese Form der Teilhabe steht ab nun, auch als verbrieftes demokratisches Recht, etwa in der Form des Rechtes auf Bildung in der Französischen Verfassung von 1793, jedermann zu und verleiht dem Ritual, mit dem sich Menschen im Museum zum Publikum zusammenfinden, eine bislang nicht denkbare und im Sammelwesen der frühen Neuzeit auch nicht angelegte politische und soziale Bedeutung.
Das Museumsritual ist unter den Bedingungen einer demokratisch verfassten Gesellschaft überdeterminiert. Denn die Frage nach dem Grund der Gesellschaft, nach ihrem Zusammenhalt, zielt einerseits auf eine Antwort die definitiv gültig sein soll. Andrerseits darf der Platz der Macht nie und schon gar nicht auf Dauer besetzt werden. In der Demokratie darf und kann es kein Objekt geben, das den Platz der Macht auf Dauer besetzt. Der geregelte und kontinuierliche Wechsel der Macht ist ein essentielles Strukturmerkmal von Demokratien.
Dazu gehört aber auch die Ahnung, dass es unmöglich ist, unter demokratischen Bedingungen ein Objekt zu denken und zu konstruieren, das die Gesellschaft repräsentiert, eint und zusammenhält. Wie immer man es nennen will, Patrimoine, Erbe, Heritage, I beni culturali, dieses Objekt das wir und das Museum vermeintlich besitzen, es entzieht sich uns ständig.
Ein Museum, das dieser Problemlage standhält, muß genau jene Eigenschaften besitzen, die auch angesichts der schwierigen Frage der Darstellbarkeit bzw. Undarstellbarkeit von Geschichte nötig sind. Angesichts der Unmöglichkeit, Identität festzustellen und festzuschreiben, etwa in einer großen nationalen Erzählung, bedarf es einer Reflexivität, die sich nicht nur auf Inhalte richtet, sondern auf das Verfahren.
Anders gesagt, ein Museum, das das Eigenschaftswort demokratisch zu Recht beanspruchen kann, bedarf einer doppelten Reflexivität. Es muß einerseits der Konstruktivität und Kontingenz des Vermittelten jederzeit gewärtig sein und andrerseits der Mechanismen der visuellen Repräsentation im Feld des Politischen. So fällt die Entscheidung, ob und wie weitgehend ein Museum demokratisch ist oder nicht.
Und wenn das Museum, genealogisch und strukturell ein Ort der gesellschaftlichen Selbstauslegung und -deutung ist, dann muß es sich selbst als Ort des Konflikts und des „polarisierenden Umdenkens“ (Jürgen Habermas) ausbilden, dann fungiert es als „agonistische Arena“, wo Demokratie immer wieder neu hergestellt und immer wieder aufs Neue verteidigt werden soll.
Davon ist das vorliegende Konzept nicht nur weit entfernt, es hat im Gegenteil Züge einer paternalistischen, geschichtspolitischen und hegemonialen Intervention, durch die die abgestandene Luft großkoalitionärer Politik weht und in dem keine Funken geschichtstheoretischer, ästhetischer und museologischer Innovation zünden.
Ich habe deshalb keinen Grund, meine Meinung, die ich auf der Tagung im Oktober vorgestellt habe, zu ändern. Damals habe ich gesagt: Ein Museum kann nicht nur von Demokratie sprechen, wie es im Konzept für ein Haus der Geschichte in der Neuen Burg der Fall ist, es muss auch selbst unter demokratischen Bedingungen entstehen und arbeiten.
Deshalb auch heute noch einmal: Ein klares Nein zu diesem Projekt.

Gottfried Fliedl
im August 2016