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Samstag, 21. November 2020

Mit James Bond im Museum

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bietet ihren Kulturfabriken Lesern Überbrückungshilfe in Zeiten der Coronakrise an - eine Serie unter dem Titel „Meine liebste Ausstellung“. Der redaktionelle Begleittext zur lesenswerten Serie ist ein einziges Playdoyer für die Erfahrung des originalen Kunstwerkes im Museum. Mit James Bind als Kronzeugen.


Wer Bond sagt, denkt zu allererst an Verfolgungsjagden und Gekuschel in Hotelbetten, an raffiniertes Waffenzubehör und Martinis in den berühmtesten Bars der Welt. Eine der schönsten Szenen aller James-Bond-Filme allerdings spielt im Museum, in „Skyfall“ – vor einem Original in Londons National Gallery: dem Gemälde „The Fighting Temeraire“ von William Turner, auf dem das alte Holzschiff von einem modernen Dampfschlepper zum Abwracken bugsiert wird. Q und Bond sitzen davor, und Q sagt zu dem noch etwas derangierten und eben erst wieder in Dienst gestellten Agenten: „Welche Melancholie! Ein großes altes Schlachtschiff, auf dem Weg zur Verschrottung. Die Unvermeidbarkeit der Zeit, finden Sie nicht? Was sehen Sie, Bond?“ Er: „Ein Schiff. Und noch ein Schiff.“ Obwohl der nach Bonds Meinung zu junge Quartiermeister computeraffin ist, hätte die Szene vor einem digital eingespielten Bild nicht die Hälfte ihrer Wirkung entfaltet. Trotz großem Einsatz hat bislang keine digitale Präsentation von Museumsbeständen verfangen. Kunstwerke müssen in ihrer körperlichen Präsenz gefühlt werden, denn ja: Gemälde etwa bilden mit ihrer organischen Leinwand und dem Holzrahmen einen physischen Gegen- und Widerstand aus. Wir müssen vor ihnen stehen, ihre Abmessungen wahrnehmen und vor allem mit den Augen über ihre Oberflächen wandern und auf den Farbreliefs eine Berg- und Talfahrt vollführen. All diese unmittelbaren Reize können uns nur Originale verschaffen, und so ersehnen wir die Wiedereröffnung der Museen herbei.

Mittwoch, 17. Mai 2017

Orhan Pamuks Museum der Unschuld in Istanbul

Das rostrot gefärbelte Haus links fand Orhan Pamuk auf seinem täglichen Weg, den er mit seiner Tochter zur Schule zurücklegte. Es ist so klein, daß man die Eintrittskarte auf der Straße kauft, die einem durch ein vergittertes Fenster (dort wo die Tafel steht) gereicht wird. Für die Einheimischen ist es inzwischen "Füsüns Haus"...

Gottfried Fliedl Das Museum der Unschuld

1
Die Bekanntheit des Istanbuler Museum der Unschuld verdankt sich sicher der Prominenz seines Schöpfers, des Schriftstellers und Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk. Aber sein Museum ist weit mehr als ein weiteres Autorenmuseum, das seine Besonderheit der Kreativität und Phantasie einer einzelnen Person verdankt. Das Museum der Unschuld hat als Experiment begonnen, die herkömmlichen Strukturen der Institution durcheinander wirft. Es ist ein work in progress, Pamuk arbeitet an ihm ständig weiter, läßt dokumentarische Filme drehen, betreibt eine Facebook-Seite, hat ein kommentierendes Buch geschrieben, gibt zahllose Interviews und veröffentlicht und bastelt ständig an einer theoretischen Kommentierung weiter.
Grundlage des Projektes ist der dem Museum gleichnamige Roman, eine Liebesgeschichte. Der aus gutbürgerlichem Haus stammende Kemal lernt bei der Suche nach einem Geschenk für seine anstehende Verlobung mit Sibil eine Studentin kennen, die als Verkäuferin arbeitet. Die entstehende leidenschaftliche Beziehung kann Kemal nicht davon abhalten, die Verlobung mit Sibil zu feiern. Füsün verschwindet und Kemals leidenschaftliche Sehnsucht treibt ihn durch Istanbul auf der Suche nach ihr, die etwa ein Jahr dauert. Er trifft sie, die inzwischen verheiratet ist, von nun an in ihrer Wohnung, um der Wahrung gesellschaftlicher Konvention willen aber immer nur in Begleitung. Fast acht Jahre lang und bis zu viermal in der Woche teilt er mit ihr und Verwandten den Alltag.
Ausschnitt aus dem Stadtplan von Istanbul mit all jenen Orten, an denen Kemal auf seiner Suche nach Füsün sie zu sehen glaubte

Gleich nahe dem Eingang des Museums: Das Tableau mit den aberhunderten Zigarettenstummeln Füsüns
In dieser Zeit beginnt Kemal die Unerreichbarkeit seiner Geliebten fetischistisch zu kompensieren. Er sammelt und stiehlt gelegentlich sogar alles, was mit ihr in Berührung gekommen ist, und wenn es die – schließlich über viertausend - Stummeln der von ihr gerauchten Zigaretten sind. Als Besucher des Museums werden wir sie im Eingangsbereich als Tableau finden - fein säuberlich mit Hand beschriftet.
Die Ehe von Füsun löst sich langsam auf und die formelle Scheidung ermöglicht Kemal und Füsun an eine Wiederaufnahme ihrer Beziehung und an Heirat zu denken. Gleich am Beginn ihrer Hochzeitsreise kommt es zu einem Autounfall, bei dem Füsun stirbt und Kemal schwer verletzt wird.
Um zu genesen und um zu verarbeiten reist er und lernt Museen kennen, kleine Museen, das heißt für ihn, Museen kleiner Leute, die nicht in die große Geschichte und Politik involviert sind und insofern „unschuldig“. Er entdeckt, daß seine Sammlung das Potential hat, ein solches „unschuldiges Museum“ zu werden. „Ich begriff nun, dass das wahre Haus eines echten Sammlers sein eigenes Museum sein musste.“ 


"...das wahre Haus eines echten Sammlers..."
Und, inzwischen zwanzig Jahre nach seiner Genesung, beauftragt er einen ihm bekannten Schriftsteller, Orhan Pamuk, der seinerzeit schon Gast bei der Hochzeit Kemals mit Sibil gewesen war, die Geschichte der Liebesbeziehung zu Füsun aufzuzeichnen.
In den letzten Abschnitten des Romans wird also einerseits rückblickend erläutert, wie es zu dem Buch gekommen ist und vorausblickend, daß es als Erzählung Grundlage eines Museums werden wird, ja sogar wörtlich ein „Katalog“, in dem sogar schon eine Eintrittskarte abgedruckt ist.
Ursprünglich wollte Pamuk das Erscheinen des Buchs mit der Eröffnung des Museums zeitlich zusammenfallen lassen, es war von Anfang an ein Projekt, das durch verschiedene Lebensumstände zeitlich auseinandergerissen wurde.

2
Die Spiegelung im Buch - ein Roman entpuppt sich als museale Erzählung, die in der Realisierung des Museums fortgeführt und vertieft wird – wird durch das Museum noch komplizierter. Was als Roman Fiktion ist, aber wie eine dokumentarische Aufzeichnung eines tatsächlich gelebten Lebens zur Grundlage der Ausstellung wird, wird im Museum durch die Objektesembles definitiv beglaubigt. Das Museum legt uns mit den ausgestellten konkreten Dingen nahe, daß hier eine Wahrheitsgeschichte erzählt wird. Im obersten Stockwerk wird diese „Authentifizierung“ auf die Spitze getrieben, wenn wir das Bett sehen dürfen, auf dem Kemal lag und dem auf dem neben dem Bett stehenden Stuhl sitzenden Orhan Pamuk seine Geschichte erzählte.


Das Bett Kemals, der Ort, wo er Pamuk seine Geschichte erzählte
Authentik nennt man schriftliche Zeugnisse, die Reliquien beigefügt werden, um deren Echtheit zu bezeugen. Man könnte die Beschilderung im Dachboden des Museums der Unschuld als Authentik bezeichnen. Allerdings sind Authentiken nur dort nötig, wo der unmittelbare Glaube geschwunden ist und durch 'Beweise' und Beteuerungen gesichert werden muß.
Pamuk bemerkt, daß sie, wenn er müde war, die Plätze getauscht haben, ein Fingerzeig für die Ironie, die im Umgang des Autors mit den Realitätsebenen liegt und in der Vertauschbarkeit von Kemal und Pamuk, die offenbar viel gemeinsam haben. Man läßt uns wissen, in der Umgebung würde das Museum „Füsüns Haus“ genannt. Also, wo sind wir denn hier? Im Roman? Im Museum? Oder in einer dritten Geschichte irgendwo dazwischen?
Vor allem in einer Art von Kunst- und Wunderkammer, in einem sorgfältig – von Pamuk selbst - in Vitrinenschränken inszenierten Ensembles von Objekten, die kleine Geschichten erzählen oder die Phantasie des Betrachters anregen, selbst welche zu erfinden, die etwas von der Stadt Istanbul, ihren Bewohnern, ihrem Alltag erzählen. Auch für jemanden der nur das Museum besucht, ohne den Roman zu kennen, „funktioniert“ das Museum als komplexe und verschachtelte Erzählapparatur. Bespielt werden die Schaukästen mit Objekten, die Pamuk im Laufe seines Lebens auf Flohmärkten gefunden, in Trödelläden gekauft hat.


Jedem Romankapitel ist eine Vitrine gewidmet
Die Vitrinen sind numeriert und folgen genau der Reihenfolge der Kapitel des Romans. Also zeigt uns die erste Vitrine „Füsüns Ohrring“. Den, den sie beim Liebesspiel verliert, vergeblich sucht, den Kemal später finden und einstecken wird, ihn ihr aber nicht zurückgeben kann, da er beim folgenden Treffen seine Jacke gewechselt hat. Bei der Autofahrt, die in den Tod führt, trägt Füsün wieder einen, aber einen anderen anderen Ohrring.
Die Vitrine, in der Füsüns Ohrring gezeigt wird
Als überdeterminiertes Objekt – es steht als Souvenir am Anfang und am Ende der Beziehung - hat das Objekt in der Museumsvitrine eine Beglaubigungsfunktion wie kaum ein anderes im Museum der Unschuld. Aber wenn man das Kleingedruckte ganz am Ende des Buches liest, das Pamuk als Erläuterung und Begleitung veröffentlicht hat, findet man dort eine umfangreiche Liste von „Danksagungen“, darunter den Hinweis, daß ein gewisser Fait Tina Füsüns Ohrring hergestellt hat. Das heißt, daß ein fiktiver Gegenstand eine fiktive Geschichte beglaubigt. In einem herkömmlichen Museum wäre das undenkbar, der Ring wäre eine Fälschung, der die Geschichte – und damit das Museum als Ganzes -, unglaubwürdig machte. Vom Museum erwarten wir, daß echte Dinge wirkliche Geschichten erzählen. Das ist, auch wenn es leicht zu erschüttern ist, immer noch ein Glaubenssatz, den ich eben zufällig in einer Ausstellungsrezension unübertrefflich selbstsicher so formuliert finde: “Ein Museum (…) ist eine Autorität, deren Geltung auf Echtheit und wissenschaftlichen Urteilen gründet.” Das wird im Museum der Unschuld auf den Kopf gestellt.

3
Museen, die sich wie das Museum der Unschuld im Grenzbereich von Realität und Fiktion bewegen, gibt es auch anderswo. Das ganz anders konzipierte Museum of Jurassic Technology in Los Angeles von David Wilson ist zugleich Hommage an das Museum wie dessen Kritik. So etwas hat Pamuk nicht im Sinn. Ihm geht es um das Ausloten der musealen Erinnerungsfähigkeit. Das Konzept ist doppelt paradox: Es geht um eine einzigartige Erinnerung, um die Geschichte eines individuellen Paares, die aber über das Museum öffentlich geteilt wird. Kemal möchte, daß seine persönliche und lebendige Erinnerung im technischen Gedächtnis einer Sammlung bewahrt wird – was allenfalls nur für ihn gelten kann, während Pamuk vom öffentlichen Museum und von uns Besuchern verlangt, sich in diese Geschichte einzufühlen, sie zu teilen.

Surrealistisch anmutende Tableaus, Reliquienschrein und Asservatenkammer von Beweisstücken in einem - die Vitrinen des Museums der Unschuld
In einer frühen Version seiner museologischen Thesen (es gibt sie in mehreren Varianten) schreibt er: „1. Museen sind nicht zum Besichtigen da, sondern zum Erfühlen und Erleben; 2. Die Seele des zu Erfühlenden wird von der Sammlung gebildet.“ Wir Leser und Museumsbesucher können, beim Buch wie im Museum, emphatisch die Geschichte mitvollziehen, aber wir können Kemal nicht auf dem weg seines liebenden Eingedenkens an Füsün folgen. Das was die Dinge im Museum der Unschuld leisten sollen, Kemal mit jeder Faser an seine vergangene Liebe zu erinnern und, wie er an einer Stelle des Romans sagt, auch „an sein verpfuschtes Leben“, gerade das können sie für uns nicht leisten.
Kemals „Museologie“ offenbart in ihrer obsessiven Eigentümlichkeit ein Strukturmerkmal des Sammelns, nicht des Musealen. Denn er widmet sich ausschließlich dem biografische und sentimentale Sammeln, „das jeden Gegenstand mit einer Erinnerung verbindet.“ Jeder Gegenstand soll das liebende Eingedenken, das jemand mit einem anderen verbindet, ermöglichen. Das gilt hier aber nur für Kemal und Füsün. Dieses ist als strikt individuell-einzigartiges aber nicht sozialisierbar weil es nicht teilbar und übertragbar ist. Es ist nicht „museumsfähig“. Aber Kemals strikt private Dinge machen auch etwas mit uns insofern sie an unsere Liebe, unseren Schmerz, unsere Trauer erinnern.

Kemals Vermächtnis
Den Bruch und Widerspruch zwischen strikt privater und allgemeiner, öffentlicher Erinnerung scheint Kemal – und vergessen wir nicht, Pamuk ist hier ganz sein alter ego -, nicht wahrhaben zu wollen: Das Glück, das er mit Füsun geteilt habe soll sich allen vermitteln. Er behauptet strikt, daß das Museum ein Ort des Lebens ist, denn nur so kann es die von ihm gewünschte Aufgabe erfüllen. Dem Mechaniker, der das Unfallauto restaurieren soll und der ihm zweifelnd sagt, das Leben müsse doch weitergehen, entgegnet Kemal: „Ist nicht eigentliches Ziel von Roman und Museum, unsere Erinnerung so aufrichtig wie möglich zu erzählen und durch unser Glück in das Glück anderer zu verwandeln?“ Doch wie lebendig sind Museen und wie lebendig kann das Museum der Unschuld sein, wenn an derselben Stelle Kemal seinen „Museumshelden, den Maler Moreau rühmt, weil der in seinen „letzten Lebensjahre(n) mit (der) Sammlung in einem Haus verbrachte, das nach (seinem) Tod zum Museum werden sollte.“ So wolle er, erklärt er dem verblüfften Mechaniker, „bis zu meinem Lebensende mit diesem Auto unter einem Dach wohnen“.
Pamuk beschreibt die fundamentale Lebensfeindlichkeit des Museums präzise und bei der Wahl für den Standort des Museums entscheidet er sich sogar, ein lebendige Dasein zu beenden, um das Museum einzurichten zu können. Er redet nämlich seiner Tante ein, daß sie ihm ihr Haus verkaufen also auch nicht weniger als verlassen soll. Es ist das Haus, in dem Kemal seine jahrelangen Besuche abstattete. Seine Tante wehrt sich: „Kemal, ich bring es nicht übers Herz! All die Erinnerungen!“. Und Kemal erwidert: „Aber wir machen doch das Haus gerade zu einem Ort, an dem wir unsere Erinnerungen ausstellen, Tante Nesibe.“
Füsüns Spuren
Pamuk kennt das Paradox, daß Musealisierung, wie im Fall des Hauses, gerade das, was sie bewahren soll, auslöscht, gerade das Kostbarste, dem ja das Museum der Unschuld gilt: den glücklichen Augenblick. Denn dieses Glück ist immer ein nachträgliches, selbst Fiktion. Über den Moment der Liebe, den er im ersten Kapitel schildert, es ist der, in der Füsün ihren Ohrring verliert, sagt er: „Es war der glücklichste Moment, aber ich wusste es nicht.“ Ist also erst das Museum der Ort des wirklichen Glücks?
Pamuk verleugnet die Widersprüche, damit „...dieser Traum, aus dem man sich nicht befreien kann“ nicht zu Ende geht. Doch weil auch die Trauerarbeitet nie beendet, das über Objekte vermittelte fetischistische Begehren nie stillgestellt werden wird, kann weder Kemal noch Pamuk sich daraus befreien. 
Für Orhan Pamuk gehören Istanbul und "Hüzün" zusammen - der Trübsinn, die Traurigkeit, ja tiefe Melancholie seiner Bewohner. In seinem Buch über Istanbil, das zugleich eine Art Autobiografie ist, kommt Pamuk immer wieder auf "Hüzün" zu sprechen und widmet diesem typischen Istanbuler Gefühl ein eigenes Kapitel.
Pamuk hat das Museum der Unschuld ein „Medium der Feier des individuellen Lebens“ genannt aber im selben Atemzug auch einbekannt, daß es ein „Mausoleum und Monument der individuellen Liebe“ ist.
Ich möchte diese Überlegungen nicht als Kritik gegen das Museum gewendet wissen. Pamuk öffnet mit dem Museum eine poetische Wunderkammer, einen Reflexionsraum, in dem wir uns über unsere Erinnerung und unser Begehren sowie die Weisen, wie wir damit umgehen und das Vergangene festhalten, klar besinnen können.
An prominenter Stelle finden wir im Museum der Unschuld einen Text von Samuel Taylor Coleridge, der auch dem Roman als Motto vorangestellt ist: "Wenn ein Mensch im Traum das Paradies durchwandert, und man gäbe ihm eine Blume als Beweis, dass er dort war, und er fände beim Aufwachen diese Blume in seiner Hand - was dann?"
Ich wüßte keine bessere Empfehlung an die Besucher, als sich mit diesem Satz in dieses zauberhafte Museum zu begeben.


Ein Foto Füsüns? Ist das Füsün? Und was sind das dann für Ohrringe?




Montag, 20. Juni 2016

Miserabel as a hell-Authenticity (Figurinen 31)

Die Bildunterschrift lautete: "These dummies look miserable as all hell, but then again that gives a sense of authenticity to the scene."

Dienstag, 8. Oktober 2013

Holocaust-Panopticum. Familienbild mit Obszönität


Lächelnd sitzt sie im adretten Kleid an einem Tisch, das brave Kind, als machte es seine Schulaufgaben macht. "Die Figur zeigt Anne Frank 14-jährig; da sie auf dem letzten erhaltenen Foto elf Jahre alt ist, wurde das Aussehen des Mädchens mithilfe eines Morphing-Programmes rekonstruiert."

Wachsfigurenkabinette - hier dreht es sich um Madame Tussaud in Wien -, machen keine besonders feinfühlige Unterschiede - Zinedine Zidane steht im Musée Grevin Paris nicht weit entfernt von - einem ziemlich verkorkst geformten - Hitler und der wiederum nicht weit von Marat oder Fanny Ardant. In solchen Kabinetten geht es nicht um historische Belehrung, sondern um den ungebrochenen und unheimlichen Effekt, den die Wachsbildnerei auf den Besucher ausübt, so wie ihn Joseph Roth in "Panoptikum am Sonntag" essayistisch oder Julius von Schlosser in "Tote Blicke: Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs" kunstwissenschaftlich untersucht haben.

Einzigartig an der Wachsbildnerei ist ihre Verdichtung von Lebendigkeit und tot Erstarrtem. Das Wachsporträt verblüfft bis heute durch seine Lebensnähe, die zugleich kontaminiert ist mit der Totenstarre. Das machte sie seit je her zu einem Medium des Totenkults, mit dem der biologische Tod im sozialen Überdauern als Bildnis überwindbar schien.

In der Französischen Revolution entdeckte eine noch im Ancien Regime ausgebildete Wachsmodelliererin, Marie Gresholtz, daß sich diese spezielle Kunst mit ihrem unheimlichen Kippeffekt für aktuelle politische Zwecke ausnutzen ließ. Sie bildete die Köpfe Guillotinierter nach, die als schauerliche Trophäen wie auch als Medien, die mit ihrer Lebensnähe als Einspruch gegen den Tod gelten konnten, Absatz und Popularität erwirkten.
Nach der Revolution zur Flucht nach England gezwungen änderte sie dort ihren Namen unter dem das weltberühmte "Kabinett" in London entstand - Madame Tussaud.

Hier aber, in der Wiener Filiale des Wachsfigurenkabinetts, kehrt sich der Effekt der Wachskunst gegen die Idee der Erinnerung. So lebendig das freundliche Mädchen uns anblickt, diese Illusionierung hat den versöhnlerischen Effekt des Am-Leben-Geblieben-Seins. Am Pressfoto posieren dann auch noch familial die "Erfinder" dieser Puppenstube - Anne Franks Versteck im Amsterdamer Wohnhaus -, als wären sie die Hüter des kleinen Mädchens, das nicht behütet werden konnte und ermordet wurde.
Die Illusion löscht das was sie zu erinnern vorgibt, Anne Frank ist am ewigen Leben, die Erinnerung an den gewaltsamen Tod überlagert, gelöscht. Im alten Vergnügungsviertel Wiens, dem Prater, sitzt nun Anne Frank, um lächelnd den "Bildungsauftrag" von Madame Tussaud (so die Leiterin des Kabinetts) zu erfüllen, den die Direktorin des Jüdischen Museums als "neue Wege in der Erinnerungskultur" beschreibt, um Kinder und Jugendliche zu erreichen.
Jene Direktorin, die die Dauerausstellung ihres Museums abbrechen ließ, die die komplexe Problematik der Nicht/Erinnerbarkeit des Holocaust selbst thematisierte, und die nun - ausgerechnet - im panoptikalen Schaustellergewerbe als "neuen Weg" (wie alt ist die Wachsbildnerei!) feiert.

"Bei Madame Tussauds Wien steht die Wachsfigur des Mädchens im historischen Bereich in unmittelbarer Nachbarschaft von Sisi, Karl Renner und Oskar Schindler; Publikumsmagneten aus Popwelt und Hollywood wie Madonna oder Robert Pattinson können im Stock darüber besichtigt werden."

Alle Zitate nach: Der Standard (online), 2.9.2013

Montag, 21. Januar 2013

Lincoln's Watch (Objet trouvée)

Taschenuhr Abraham Lincolns. Chicago History Museum. On February 11, 1861, one day before his fifty-second birthday, Abraham Lincoln boarded a train bound from Springfield, Illinois to Washington, D.C., where he would be inaugurated president on March 4. Before his departure, Lincoln received this beautiful gold watch from the Illinois State Journal, a staunch Republican newspaper that had backed his candidacy. Although they are not visible in this photograph, Lincoln’s initials are engraved on the watch’s front cover.

A gold watch owned by Abraham Lincoln bears a message marking the start of the U.S. Civil War, but the president never knew of the "secret" inscription. The engraving, by watchmaker Jonathan Dillon, is dated April 13, 1861, and reads in part: "Fort Sumpter was attacked by the rebels" and "thank God we have a government."
The American Civil War began when Confederate troops opened fire on Fort Sumter in Charleston, South Carolina, on April 12, 1861. Forty-five years later, Dillon the watchmaker told The New York Times that he was repairing Lincoln's watch when he heard that the first shots of the Civil War had been fired. Dillon said he unscrewed the dial of the watch and used a sharp instrument to mark the historic day on the president's watch. He told the newspaper that, as far as he knew, no one had ever seen the inscription.
Lincoln was elected the 16th president of the United States in November 1860. In the leadup to the Civil War, South Carolina and six other states seceded from the Union before Lincoln's inauguration in March 1861.
"Lincoln never knew of the message he carried in his pocket," Brent Glass, director of the National Museum of American History said in a statement. "It's a personal side of history about an ordinary watchman being inspired to record something for posterity."
Stephen Spielberg in seinem Interview zu seinem Film "Lincoln": Als George Stephens den Film „Das Tagebuch der Anne Frank“ drehte, reiste er nach Amsterdam und nahm auf Tonband das Läuten der Kirchenglocken auf, die man in Annes Dachbodenversteck durch das Fenster hören kann. Im Film hören wir dieselben Glocken, die Anne während des Holocaust gehört hat. Das hat mich sehr beeindruckt, als ich davon erfuhr. So habe ich eine einfache Frage gestellt: Wo ist Lincolns Taschenuhr, von der er sich niemals trennte? Im Museum in Chicago. Wir erhielten eine Sondererlaubnis, die Uhr aufzuziehen. Sie war fünfzehn Jahre lang nicht aufgezogen worden. Wenn die Uhr tickt, sollten die Zuschauer wissen, dass sie dasselbe Geräusch hören, das Lincoln vor hundertfünfzig Jahren gehört hat.

Montag, 19. September 2011

Echt nicht

Aus einem Grund, den ich nicht angeben kann, dachte ich, das mit dem Kunstfälschen ist vorbei (fortschreitende Techniken der Untersuchung, Vernetzung von Informationen, Voranschreiten der Dokumentation und so...). Dabei geistern derzeit diverse, z.T. sehr ausgedehnte und kompliziert verschleierte Kunstfälschereinen auf, wo man denkt: gibts nicht.
Ein Campendonk erweist sich als Fälschung, peinlich für das Sprengel-Museum, doch das Bild gehört zu einem Puzzle einer offenbar lange zurückreichenden, sehr durchdachten Fälschungsserie, das derzeit Kunstmuseen und Medien in Deutschland beschäftigt.
In China enttarnen Studenten einer Kunstuni ein Werk, das um über acht Millionen Euro auktioniert wurde, als Seminararbeit ihrer Universität. (Muß ja nicht schlecht sein, die Ausbildung, wenn schon Seminararbeiten mit Spitzenwerken chinesischer Gegenwartskunst 'verwechselbar' sind).
Erst durch chemische Amalyse konnte der Campendonk als "bis zum Holzwurmloch" (eine Zeitung) gefälscht entlarvt werden.
Was so kränkend an diesen Fällen ist, ist die Aufweichung eines Gründungsmythos des (Kunst)museums. Echtheit und Authentizität des 'Werks'. Gerade in Zeiten schleichender Virtualisierung (Museum 2.0) muß das Distiktionsmerkmal der Museen verteidigt werden: "Wir haben das Original". Das behauptete der ehemalige Direktor in einer Plakatkampagne des Heeresgeschichtlichen Museums. Nur. Die Direktoren lassen nicht nur den Kauf eines frischen Campendonk zu, sie sind auch sonst nicht immer drauf erpicht, es genau wissen zu wollen.
Gekränkt wird auch der Sachverstand und die Methodik der Kunsthistoriker, die über die "Autopsie des Originals" (wie es zu Zeiten meines Studiums hieß), also sozusagen über einen durch Gelehrsamkeit, Einübung und Talent vermittelten Augenschein, über echt und unecht entscheiden woll(t)en.
Wenn überhaupt, scheinen nur naturwissenschaftliche Untersuchungen und Indizien im kriminoplogischen Sinn Gewissheit zu vermitteln. Wenn man es denn überhaupt genau wissen will.
Ich erinnere mich an die kuriose 'Enttarnung' einer Ausstellung des Hamburger Museums für Völkerkunde, bei der sich die Figuren der berühmten Reiterarmee aus dem chinesischen Kaisergrab als Nachbildungen. Der Direktor verteidigte sich damals mit den schönen Worten, er habe erst im Lexikon nachsehen müssen, was das Wort 'authentisch' bedeutet. Das auch als Fußnote zum Stand der Museologie in Deutschland.

Mittwoch, 14. September 2011

Fundsache: Napoleons Kamel


"The Musée africain de l'île d'Aix was started in 1933 by the Baron Napoléon Gourgaud, the grandson of general Gaspard Gourgaud, a companion of Napoleon on Sainte-Hélène. The museum is in two former fisherman’s houses, and mostly contains Gourgaud’s hunting trophies from his two expeditions to Africa, as well as African artifacts and a fake taxidermy of a dodo bird largely composed of chicken feathers.
The camel is said to have been brought back to France in 1801 at the end of the Egyptian campaign and then lived at the Jardin des Plantes in Paris before its death. It was displayed at the Muséum National d’Histoire Naturelle and brought to the Île d'Aix in 1932. However, many believe that its Napoleon connection was invented by Gourgaud to bring more visitors to his museum."

Fundort: Atlas Obscura, ein Blog, der unterc anderem eine bizzarre Sammlung bizzarer Museen und Sammlungen enthält.- Meine Favoriten in dieser umfangreichen Sammlung sind das Presidential Pets Museum in Williamsburg, das Oktober-Krieg-Museum in Damaskus oder die - mobile - "World's Largest Collection of The World's Smallest Versions of The World's Largest Things", das Killerwal-Museum im australischen Eden.

Freitag, 11. Februar 2011

"Museen als Tankstellen der Realpräsenz". Google 'erobert' jetzt auch die Museen

Ein Weizenfeld von van Gogh, etwas nahsichtig dank GOOGLE
"Museen - Tankstellen der Realpräsenz". Für so eine Wortspende und neue Metapher unter vielen verschlissenen Metaphern mit denen das Museum (un)begriffen bleibt, gehört der Autor mit Aufmerksamkeit belohnt. Auch weil er sich vergnügt einem "Realexperiment" stellt. Er googelt Museen. Genauer gesagt, das Google Art Project. Mit seiner Hilfe kann man durch Museen flanieren und einzelne Kunstwerke ansehen und ihnen so nahe kommen, wie das keine Sicherheitsanlage oder Aufseher je dulden würde. Erst einige Museen, sehr namhafte darunter, sind erfasst, allesamt Kunstmuseen.
Der Autor, Beat Wyss (hier der Link zu seinem Essay in DIE WELT) ist zunächst mal recht angetan.
Aber dann!
"Wo ist das Publikum, das meine Beobachtungen durch Gedränge und Lärm mitbestimmt? Man vermisst jetzt alles, von dem man glaubte, es störe den Kunstgenuss. Meine reale Anwesenheit im Museum liefert das, was kein noch so scharfer Zoom am Bildschirm bietet: jene kribbelnde Furcht, meine Aufmerksamkeit könnte durch eine vorlaute Reisegruppe gestört werden." 
Was Wyss abgeht ist die Performativität des Ausstellungsraumes und -ensembles zu der immer auch der Besucher / Betrachter mit seiner Bewegung im Raum und unter seinesgleichen gehört.
Die Bilder mögen, großformatig und enorm hochauflöslich reproduziert dargestellt sein, aber der Betrachter wird sich immer in der Rolle des Tantalos wiederfinden: "Alles um ihn wich zurück, wenn immer er danach greifen wollte. Tantalos war verdammt, auf ewig nur ansehen zu können, was er begehrte."
Das gilt freilich nicht bloß für gegoogelte Bilder in gegoogelten Museen, das ist in Museen genauso, die uns mit Ihren Ritualen, von denen das Berührungstabu eins der wichtigsten ist,  das Verfügenwollen schon im Ansatz gründlich austreiben.
Diese 'Schranke' ist aber nötig als Spielraum der Reflexion und der Möglichkeit die Unverfügbarkeit als untrennbar mit dem stets scheiternden Versuch der 'Abneignung', des 'Verstehens' verknüpft anerkennen und aushalten zu können.
Hier hätte Wyss tiefer graben müssen, um trennschärfer zwischen der Realpräsenz des Bildes im Museum einerseits und dem virtuellen Bild am Schirm unterscheiden zu können. Er hat schon recht, die technische Möglichkeit, dem Bild 'nahezukommen' ist irreführend. Das gilt auch für eine andere Spielart desselben Begehrens: der Röntgenfotografie, von der manche Kuratoren (die Wiener Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums hat dafür ein besonders Faible) offenbar meinen, daß das Eindringen gewissermaßen in den Körper der Kunst, das Begehren das Wahre, das Wesentliche - endlich - zu sehen, gestillt werden kann.
"Vor unseren Augen" schreibt Wyss, "vergrößert sich die Textur der Gemälde vom einzelnen Pinselstrich, über das Craquelée, zum Malgrund der Leinwand. Ihre Geheimnisse geben die Werke dabei nicht preis." Ja, das ist aber beibeiden 'Bildern', dem musealen wie dem digitalen so. Und es ist notwendig.

Donnerstag, 13. Januar 2011

Fundsache "Ein Bild das Kippenberger nicht gemalt hat"

Bildausschnitt aus "Paris Bar"
Es ist zwar schon länger her, daß der Text, auf den ich verweise, geschrieben wurde. Ich habe ihn kürzlich entdeckt und er ist als sehr gut geschriebenes Feuilleton lesenswert aber auch als Analyse des Kunstmarktes und seiner ziemlich interessanten Praktiken.
Worum es geht? Um ein Bild, das Martin Kippenberger nicht gemalt hat, das aber um sehr viel Geld bei Sotheby's als Kippenberger versteigert wurde, obwohl bekannt ist, wer der Autor des Bildes ist und was der seinerzeit (von Kippenberger) für das Bild bezahlt bekommen hat.
Hier der Link zum im SPIEGEL erschienen Text von Nora Reinhardt.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Fundsache "Eventualexponat"

Ausstellung des rekonstrierten und sogenannten Mozart-Geburtshauses. Da alles erfunden ist, kommts auf Kleinigkeiten schon gar nicht an.