Dienstag, 3. März 2020

Der junge Hitler und wie Stefan Weiss ihn sieht

In der Tageszeitung „Der Standard“ vom 3.3.2020 schreibt der Mitarbeiter der Kulturredaktion Stefan Weiss über die Ausstellung im Haus der Geschichte in St. Pölten „Der junge Hitler“. 
Die Überschrift gibt der neutralen Bezeichnung der Ausstellung eine überdeterminierte Bedeutung: „Hitlers Jugendjahre: Der Wagnerianer mit dem ‚Nicht genügend.‘“
Da werden zwei Dinge zusammengezogen, die weder sachlich noch chronologisch etwas miteinander zu tun haben - eine schlechte Schulnote im Fach Deutsch und ein späterer Opern-Besuch - und deren Beziehung ohne jede Bedeutung ist.
Der Untertitel des Ausstellungsberichtes attestiert der Ausstellung ein Aufklärungspotential, als ob dieses noch nie genutzt worden wäre und zum ersten Mal gelungen sei, es auszuschöpfen: „Die Ausstellung ‚Der junge Hitler. Prägende Jahre eines Diktators’ im Haus der Geschichte Niederösterreich legt die Wurzeln des NS-Gedankenguts offen.“ 
Dieser Titel legt ja nahe, daß einerseits die Darstellung und Analyse der Jugend Hitlers geeignet sei, das NS-Gedankengut als Ganzes zu erläutern aber zweitens, daß die Person Hitler und der Nationalsozialismus so etwas wie eine Gleichung ohne Rest gewesen seien. Etwa so: Wenn man Hitler erklärt, erklärt man den Nationalsozialismus. 
Das hat schon oft in eine triviale Personalisierung und zu einer sehr schlichten Psychologie geführt, die so gut wie nichts erhellt oder schlimmer noch, mit der Konzentration auf die Person, viele wesentlichen Fragen zum Nationalsozialismus verschleiert. 

Der Autor der Ausstellungsbesprechung stolpert denn auch gleich zu Beginn seines Textes in die Falle der trivialisierenden Personalisierung und scheitert fürchterlich an seiner Exegese einer Fotografie. Dem Text vorgeschaltet ist nämlich ein Foto einer Schulklasse, das sofort ein „gespenstisches Dokument“ sein muss. Denn es zeigt Hitler in seiner Volksschulklasse, in der letzten Reihe, und das „mit verschränkten Armen, starrem Blick und hochgerecktem Kinn in der Mitte der obersten Reihe – Zufall oder nicht: Genau so wird sich Hitler als späterer Diktator häufig inszenieren.“
Es fällt sofort auf und es ist auch vielen Postern aufgefallen, daß viele andere Schüler genau so wie der "zukünftige Diktator" posieren - was möglicherweise einer disziplinierenden Order beim Fotografieren geschuldet ist - und daß der stechende Blick und das hochgereckte Kinn eher Projektionen als objektivierbare Tatsachen sind.
Gespenstisch ist weniger das Klassenfoto als die dieser "Bildanalyse" zugrundeliegende Psychologie, derzufolge der „Diktator“ schon im Kind angelegt und sichtbar gewesen sei.

Einer der Kuratoren der Ausstellung weiß dazu, als ob er persönlich dabeigewesen wäre: "Er hat die Menschen nie auf Augenhöhe angesprochen. Er sah sich immer entweder neben oder über der Gesellschaft.“ 
Das Gegenteil war der Fall. Hitler hat seinen Blick bewusst genutzt und zu Requisiten ausgefeilter Selbstinszenierung gemacht. Albert Speer berichtet z.B.: „Seine Augen waren starr auf die Angetretenen gerichtet, er schien jeden durch seinen Blick verpflichten zu wollen. Als er zu mir kam, hatte ich den Eindruck, daß mich ein Paar weit geöffnete Augen für unermeßbare Zeit in Besitz nahmen." 

Muß ein Ausstellungsrezensent so etwas bemerken? Einen derartigen Widerspruch von historischen Fakten und kuratorialer Interpretation? Muß ein Kulturredakteur nicht vorsichtig werden, wenn - zum wievielten Mal eigentlich - Hitlers „künstlerische Ambitionen“ aufgetischt werden? Sollte man nicht grundsätzlich skeptisch sein, gegenüber einem Ausstellungskonzept, das den Nationalsozialismus aus der Biografie einer einzigen Person heraus zu deuten versucht und noch dazu aus deren Jugendjahren? 

Als „optisch gepolter Mensch“, berichtet Stefan Weiß von der Ausstellung, hätte Hitler früh ein Sensorium für die Ästhetisierung der Politik gehabt und sich (auch das ist schon lange bekannt), von sozialistischen Ritualen inspirieren lassen. Aber was bitte ist ein „optisch gepolter“ Mensch?

Die altbekannte, durch Wiederholung in ihrer Schlichtheit nur noch aufdringlichere entwicklungspsychologische These vom verhinderten oder gescheiterten Künstler, der in die Politik geht, ist sogar eine fettgedruckte Zwischenüberschrift wert: „Vom Maler zum Politiker“. Ja, ja, wie wir wissen hätte uns die Wiener Akademie der Bildenden Künste den Nationalsozialismus erspart, hätte sie Adolf Hitler die Aufnahmeprüfung bestehen lassen...

Das eigentliche Erweckungserlebnis war der Ausstellung zufolge aber nicht die Bildende Kunst, sondern die Oper, genauer gesagt Wagners Opern. Leider läßt uns der Autor der Ausstellungsbesprechung, wie meist bei Rezensionen üblich, über das Spezifische der medialen Vermittlung im Ungewissen. Und das gerade dort, wo es doch ganz interessant hätte sein können zu erfahren, nicht was, sondern w i e es mitgeteilt wird. 
„Mittels Tonaufnahmen und Originalmodellen der damaligen Bühnenbilder lässt die Ausstellung erahnen, welche Wirkung die oft völkisch motivierten Inszenierungen auf Hitler gemacht haben müssen.“
Das hätte mich doch interessiert, wie eine Ausstellung die historische affektive und ideologische Wirkung auf eine bestimmte Person uns heutigen Zusehern vermittelt haben will?
Aber die Ausstellung kann noch mehr. Sie läßt uns an „den künstlerischen Ambitionen“ Hitlers „Größenwahn bei gleichzeitiger Selbstüberschätzung“ erkennen, was, hier wird Mussolini zitiert, nur in eine Auffassung von Politik als „größte Kunst“ münden konnte weil sie mit "lebendigem Material" arbeite: „dem Menschen.“

Diese Ausstellung muß großartig sein, ich muß sie mir ansehen

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