Mittwoch, 30. Dezember 2020

Das Frauenmuseum in Hittisau ist für den Europäischen Museumspreis nominiert


Das Frauenmuseum in Hittisau ist für den Europäischen Museumspreis nominiert. Allein schon diese Nominierung ist eine Auszeichnung. Das Museum besteht nun schon mehrere Jahrzehnte und es hat auch den Österreichischen Museumspreis bekommen. Aber.

Aber: seine finanzielle Basis ist noch immer unzureichend. Trotz der vielen wunderbaren Ausstellungen, trotz der Einzigartigkeit des Museums in Österreich, trotz seines Rufs über Vorarlberg und über Österreich hinaus, trotz der einzigartigen und vorbildlichen Organisationsstruktur, trotz der Arbeit mit vielen Communities, trotz der klugen Partizipation, die ihren Namen verdient - trotz allem lebt das Museum noch immer vor allem mit ehrenamtlicher und zu gering bezahlter Arbeit.

Ein Frauenproblem? Nein. Ein Problem, das Männer mit Frauen haben? Schon eher. Das Männermuseum (eins wie kaum ein zweites, boys tos) in Frastanz bekommt mehr Landesgelder als alle Zuwendungen, die das Frauenmuseum insgesamt bekommt.

Das darf man ja mal sagen und noch einmal und noch einmal. Obwohl es das Frauenmuseum nicht verdient mit einem derart fragwürdigen Museum (das eigentlich keines ist, sondern eine Sammlung ohne Erzählung, ohne Botschaft, ohne Bildungsidee) verglichen zu werden.

Was man für das Museum tun kann? Nun, sobald das wieder möglich ist, hingehen und ansehen. Die durch Corona unterbrochenen Ausstellung "Geburtskultur. Vom Gebären und Geborenwerden" ist eine der besten Ausstellungen, die ich im Frauenmuseum gesehen habe. Sie zeigt sehr viele Aspekte ihres Themas auf, sie kümmert sich um Frauen- und Männersichtweisen, sie zieht weite kulturhistorische Kreise und vor allem: sie kümmert sich, basierend auf einer sorgfältigen partizipatorischen Vorbereitung, um die Gegenwart, um Anliegen und Fragen, die heute im Land Vorarlberg virulent sind. Sie schafft Öffentlichkeit in einem Bereich, der viele Frauen beschäftigt und der öffentliche Debatte nötig hat.

Die Ausstellung soll bis Ende Oktober laufen. Also: nicht versäumen! 


Sonntag, 27. Dezember 2020

Meine Lieblingsmuseen. Die ersten elf


John Soane's Museum
London

Der "Dome" in der Darstellung desSoane-Schülers Joseph Gandy
Der heute immer noch hoachangesehene englische Architekt John Soane (1753-1837) konnte sich von seinen Einkünften aus Architekturprojekten wie der Bank of England, den Ankauf dreier nebeneinander liegender Häuser an Lincoln's Inn Fields leisten. Nach und nach erwarb er seit 1792 die Häuser und gestaltete sie im Inneren tiefgreifend um.
Hinter den schlichten Fassaden verbirgt sich ein labyrinthisches Puppenhaus, das Wohnung, Bildergalerie, Atelier, Studio und Sammlungsgebäude zugleich ist. Sonne bestimmte testamentarisch die Umwandlung in eine Museum, was 1830 auch erfolgte. Sehr zum Unwillen seines Sohnes, der, erfolglos, das Testament anfocht. Seither ist der Häuserkomplex bis auf wenige Eingriffe im Originalzustand erhalten und  - wegen der Enge der Räume jeweils in begrenztem Umfang - öffentlich zugänglich.
Einzigartig ist die Verschachtelung und visuelle Verbindung der unterschiedlichen Räume durch Schaffung raffiniert konzipierter Durchsichten, Anlegen vertikaler Räume, auch in Form von Binnenhöfen, der Verwendung von Verspiegelungen u.a. mit Vexierspiegeln, die Verwendung von mit farbigem Glas bestücktem Oberlicht in manchen Räumen und der exzessiven Ausstattung mit Kunstwerken, Fragmenten, Modellen, Spolien, Kopien.
John Sonne war nicht nur ein bedeutender Architekt und Lehrer, er muß auch den den Engländern zugeschriebenen Spleen im Übermaß besessen haben. Die diversen historisierenden und romantizistischen Räume nutzte er für uns heute verschroben wirkende Geselligkeit und die Philosophie des ganzen lief auf eine Art von Leben in einer durch Ausgrabung wieder teilweise sichtbar und nutzbar gemachte archäologische Stätte hin. So jedenfalls hat es Sonne selbst als Lesart in einer seiner Schriften erläutert.
Das hinderte ihn aber nicht daran, die Wohnräume in elegantem und behaglichem Stil einzurichten, wiewohl auch hier raffinierte Lichtsituationen, exzentrische Lösungen für gewölbte Decken, raffiniert inszenierte Durchblicke, präzise platzierte antike oder zeitgenössische Kunstwerke weit über den bloßen Wohnzweck hinausweisen.
Kernstück des komplexen Inneren ist der sogenannte "Dome", ein vertikaler, von Galerien gesäumter, durch alle Geschosse bis in den Keller reichender Raum der mit zahllosen Antiken und Fragmenten buchstäblich übersät ist. Am Grund des Schachts steht ein ägyptischen Sarkophag, den das British Museum nicht erwerben wollte. Blickfang ist eine Kopie des Apoll von Belvedere. Genau gegenüber hat der Hausherr sich selbst platziert - in Form einer antizipierenden Büste.
Für den Freimaurer Soane waren Haus und Ausstattung eine individuell identitätsverbürgende historisch-archäologische Szenerie, deren metaphorische Ruinosität eine künftige Erfahrbarkeit als archäologische Stätte und Zeugnis vergangenen Lebens evozieren sollte.
Für mich ist es ein einzigartiges Museumskuriosum mit nahezu unerschöpflicher Komplexität und mit dem Charme einer versunkenen exzentrischen englischen Lebensweise.

Musei Capitolini in der Cantrale Montemartini
Rom
























In Hinblick auf das "Heilig Jahr" 2000 wurde die Kapitolinische Antikensammlung, eine der ältesten der Welt, umfassend und beeindruckend renoviert. Im Zuge dieser Renovierung der Museen am Kapitol wurde eine Dependance in einem ehemaligen E-Werk an der Ausfallstraße nach Ostia eingerichtet. Das 1912 eröffnete erste kommunale E-Werk wurde nicht entkernt und zum white cube, sondern man beließ die energieerzeugenden riesigen Anlagen in den Hallen im Zustand eines Industriedenkmals und arrangierte an die vierhundert Antiken mit Hilfe einiger moderner Einbauten um die Anlagen herum.
Zunächst war das als Provisorium während der Renovierung des Museums am Kapitol gedacht, doch 2005 wurde die Centrale in ein dauerhaftes Museum umgewandelt. Als solches beherbergt es keineswegs Werke "zweiter Wahl", sondern ästhetisch, ikonografisch und historisch herausragende Objekte, die einen ziemlich überraschenden Dialog mit den Maschinen, Kesselanlagen und Öfen eingehen. Der historisch und ästhetisch unerwartete Rahmen schärft im Dialog mit ihrer Umgebung - klassische Archäologie trifft auf Industriearchäologie -, den Blick auf völlig ungewohnte Weise. Ich kenne kein anderes Museum, wo ein so schroffer Gegensatz erzeugt wird, allerdings auf einer ausschließlich ästhetischen Ebene.

Musée de la chasse er de la nature
Paris

Das kleine private Museum hält viele Überraschungen für den Besucher bereit. In die Rokoko-Architektur subtil eingefügte Flora und Fauna gleicht eher einer Märchenerzählung, als einem Museum. Es mangelt aber nicht an didaktischer Absicht. Mit nicht wenig Text, der aber den Zauber der Rauminstallationen nicht stört, wird eine Sichtweise auf Natur gepflegt, die ich von keinem anderen Naturmuseum kenne. 
Natur ist keine hier selbstverständliche Größe, die der menschlichen Sphäre erratisch gegenübergestellt wird. Natur ist hier ein von Menschen beeinflußte und von Menschen gesehene und interpretierte Sphäre. Natur im Museum ist immer eine vermittelte, interpretierte.
Die subtile und kluge Ästhetisieren, die das Museum kennzeichnet, ist kein Selbstzweck, sondern bricht mit einem zu naiven Blick auf das herkömmliche Naturverständnis. Das Zusammenspiel von Räumen, Möbeln und Objekten ist bezaubernd, aber es hält uns immer beim Thema - unserem Blick auf Natur die Reflexion über unser Verhältnis zu Natur hinzuzufügen. Das Museum ist ausgesprochen witzig, etwa wenn sich auf eine flüchtigen Blick als in einem Gang installierte Überwachungskamera auf den zweiten Blick als Vogelhäuschen herausstellt. Und nirgendwo wird der Besucher mit einer Serie von Animationen auf eine derart witzige und liebevolle Weise aus dem Museum verabschiedet, wie hier. "Traumhäuser der Vernunft" hat mal jemand, war es Walter Benjamin?, Museen genannt. Hier ist eins davon.

Museo civico di Castelvecchio
Verona
























Das Museum ist in einer hochmittelalterlichen Burganlage untergebracht und wurde vom Ende der 1950er-Jahre bis in die beginnenden 70er-Jahre von Carlo Scarpa in enger Zusammenarbeit mit dem damaligen Museumsleiter umgebaut und eingerichtet. Im Untergeshoß befinden sich Skulpturen, im oberen Geschoss eine Gemäldegalerie. 
Das Museum einschließlich des vorgelagerten gärtnerisch gestalten Hofes wurden von Scarpa bis in die kleinsten Details durchgestaltet. Fensterrahmungen, der Übergang vom Fußboden zur Mauer, die Türen, Leuchtkörper, die Gestaltung der Fußböden, die Material- und Farbwahl, Aus- und Durchblicke - alles wurde gründlichsten Überlegungen unterworfen. 
Scarpa konzipierte einen abwechslungsreichen Parcours durch die vielfältigen Raumsituationen. Höhepunkt des Rundgangs ist eine frei in den Hof ragende Reiterfigur (aus dem 14. Jahrhundert), die auf einer wie ein Origami gefalteter Betonplattform ruht und hoch über dem Erdboden frei in die Luft ragt. Vom Hof aus sieht man zu ihr empor, da ist der Reiter ein Denkmal, aber sie ist im Rundgang so integriert, daß man sie auch aus der Nähe betrachten kann, dann ist das Standbild ein museales Kunstwerk und Exponat.
Ausgeklügelt ist nicht nur die Platzierung der Werke im Raum, ausgeklügelt sind auch die Zeigemöbel, die die Gemälde tragen. Jedes der Gestelle ist eine individuelle Lösung, die einem bestimmten Bild die beste Präsentation verleihen soll.
Selbst das Verlassen des Museums ist inszeniert. Zwei nebeneinanderliegende, aber innen voneinander getrennte Türen dienen einmal dem Betreten, einmal dem Verlassen. Scarpa muß sich den Museumsbesuch wohl als Passageritus gedacht haben, als "Bildungsweg" durch streng inszenierte Kunstwerke und gesteuert mit einer ebenso strengen Blickregie.
Die Kehrseite dieses Konzepts liegt auf der Hand. Das durchkomponierte Gesamtkunstwerk kann man nur erhalten, wie es ist. Jeder Eingriff käme einer Zerstörung gleich.
Scarpa hat, was man vielleicht als Museumsbesucher gar nicht wahrnimmt, bedeutende italienische Museen gestaltet, etwa die Uffizien aber auch die Accademia in Venedig. Man kann in vielen italienischen Museen und historischen Gebäuden auf jene subtilen, zurückhaltenden Intervention treffen, mit denen moderne Interventionen in den Dialog mit historischer Bausubstanz treffen. Scarpas Ausstellungs- und Museumsdesign war dabei bahnbrechend.

Bundesbriefmuseum
Schwyz

Kann man einem einzigen historischen Schriftstück ein Museum errichten? Einen Denkmalbau für ein einziges Pergament? Man kann, wenn man glaubt, daß dieses Schriftstück die Nation symbolisiert. Mann kann, wenn man glaubt, daß dieses Schriftstück in politisch und sozial schwierigen Zeiten den Zusammenhalt der Gesellschaft stärkt. Dann baut man in Zeiten innerer sozialer Unruhen und heraufziehender äußeren Bedrohungen (Machtübernahme des Nationalsozialismus in der Schweiz) 1936 ein Museum. Als "geistige Landesverteidigung". In der Stadt Schwyz, also in einem der Urkantone, nicht in Bern oder Zürich.
Das Dokument galt zu diesem Zeitpunkt als ältestes Indiz für jene zwischen Kantonen ausgehandelte Bündniskultur, die dem politischen und wirtschaftlichen Frieden dienen sollte, und die in gewisser Weise die Schweiz bis heute prägt. Aber lange Zeit war diese erste "Bundesbrief" völlig unbekannt und als er am Beginn der Neuzeit Eingang in die frühe Geschichtsschreibung fand, war er kaum mehr als eine Quelle unter anderen. 
Im späten 19.Jahrhundert "entdeckte" man das Schriftstück als nationales Gründungsdokument und einige Jahrzehnte später zog es in "sein" Museum ein. Nach 1945 verlor es rasant an Bedeutung. Echtheit (zu unrecht) und Datierung (umstritten) wurden angezweifelt und die Bedeutung als einzigartige Gründungsurkunde wurde nicht mehr benötigt. Das Museum änderte mehrmals sein Konzept, aber der Bau, seine Innenausstattung, die Bespielung des Außenraums mit diversen Objekten, die Wegführung von Außen ins Gebäude hinein und durch es durch, lassen noch immer das patriotische, teilweise mehr mythische als historische Selbstverständnis des Landes in den Dreißiger Jahren erkennen. Und der Bundesbrief liegt, zwar flankiert von vielen ähnlichen Dokumenten, immer noch in der "Apsis" dieses "nationalen Tempels" unter einem - ziemlich viril geratenen - Rütlischwur (ein rein mythologisches Ereignis). So kann man das Museum heute vor allem als Palimpsest lesen, das über die Geschichte der Schweiz auf Umwegen über die Gestaltungsgeschichte des Museums Auskunft über die wechselnden identitären Phantasmen des Landes Auskunft gibt.  

Het Dolhuys
Haarlem

Wie kann man die Geschichte der sogenannten Geisteskrankheiten und den medizinischen Umgang mit ihr in einem Museum darstellen? Indem man sachliche aufklärende Information in eine ziemlich erfindungsreiche und kategorial Unsichtbares visuell transportierende Szenografie umsetzt. Und dabei die vielfältige Räume eines mittelalterlichen "Spitals", eines frühen "Dolhuys" nutzt.
Es war das erste Mal, daß ich eine Ausstellungsgestaltung von Kossma/deJong gesehen habe, einer niederländischen Firma, die inzwischen erfolgreich und europaweit agiert. Ihre Szenografie zeichnet sich durch hohe Originalität aus und das bis ins Detail. Nie wieder habe ich z.B. derart witzige Möbel für Videostationen gesehen, wie hier. Lösungen für die schwierige Integration von "Fernsehern/Screens" in Ausstellungen. Statt des öden Plastiks oder Metalls gab es hier aus Altmöbeln zusammengebastelte Gerätschaften. 
Unglaublich interessant waren die in einem zum Hof hin geöffneten Raum platzierten "Models", die die diversen Krankheitsbilder auch wirklich als Bilder und kaum über Texte veranschaulichten. Statt des Kopfs saß auf jeder Figur deren "Krankheitsbild", eine Obsession. Aber es war nicht nur die Gestaltung, die so überaus ansprechend war, es war der Grundton - ein Konzept, das Ängste und Tabus, die unseren Umgang mit psychischen Erkrankungen kontaminieren, aufgriff und sie geschickt, gleich vom Eingang konterkarierte. 

Biologiska Museet
Stockholm

"
Das Biologische Museum (schwedisch Biologiska Museet) liegt auf Djurgården in Stockholm und zeigt skandinavische Säugetiere und Vögel in ihrer natürlichen Umwelt. Alle Tiere sind ausgestopft." So stellt Wikipedia das Museum vor. Das wichtigste wird nicht erwähnt: daß diese ausgestopften Tiere in großen Dioramen gezeigt werden, die auf zwei Ebenen angeordnet sind. Und das in einem Bau, der von außen einer typischen regionalen Stabkirche ähnelt. Ende des 19.Jahrhunderts wurde dieses Museum gegründet und der Bau errichtet und hier zeigt man eben nicht nur schwedische Fauna, sondern die ganz Skandinaviens. Es ist sehr bewußt nicht als nationales Museum ausgelegt, sondern eines, das die Einheit der skandinavischen Länder naturräumlich visualisiert. Dioramen sind dazu natürlich weit besser geeignet, als einzelne Tiere oder kleine Gruppen ohne jedes Environment. Dioramen sind ein effektives und beliebtes Illusionsmittel, das geeignet ist, den Eindruck ganzer realer Landschaften zu erzeugen. Der Rundgang durch das Biologisk Museet wird so zum Rundgang durch Fauna und Flora Skandinaviens in signifikanten Ausschnitten und tut so, als könnte es einem weite Reisen durch den Norden Europas ersparen. 

Smithsonian Institution Building
Washington

Als der reiche Engländer James Smithson seine erhebliches Erbe vermachte, widmete er es den Vereinigten Staaten mit dem Auftrag "to found in Washington, under the name of the Smithsonian Institution, an establishment for the increase and diffusion of knowledge among men". Auf Umwegen über einen früh verstorbenen Erben gelangte das Vermögen schließlich an seinen Bestimmungsort. Der US-Kongreß grübelte ungefähr zehn Jahre, ehe er diesen Auftrag in ein Projekt umsetzte, das von Anfang an museale und wissenschaftliche Aufgaben in sich vereinte. 1847 konnte man das erste Gebäude an der National Mail errichten, ein von europäischer Gotik inspiriertes "Castle", wie das Gebäude auch genannt wird.
Heute ist das "Smithsonian" einer der größten Museumskomplexe der Welt und das "Castle" ist der Sitz der Verwaltung und das Informationszentrum des gesamten an der Wall gelegenen Museumskomplex.
Im Erdgeschoß befinden sich zwei museale Trakte. In einem wird ausführlich ud anschaulich die hochinteressant Geschichte der Smithsonian Institutionen erzählt, im anderen befindet sich eine Art Preview. Hier geben alle Museen die zum Smithsonian-Verbund gehören eine Visitenkarte ab. In jeweils einer raumhohen Vitrine werden signifikante und interessante Objekte gezeigt, Appetizer, die einem die Wahl schwer machen, welches der Museen man denn nun besuchen soll. Insgesamt bieten die dicht an dicht gereihten Vitrinen eine Atmosphäre einer Kunst- und Wunderkammer.
Ganz auffallend gepflegt und einladend ist übrigens das gärtnerische Umfeld des Bauwerks. Hier sitzt man entschieden besser, als in der wenig einladend und karg instrumentierten Cafeteria im Inneren.
Ach ja. Mister Smithson begegnet man hier auch. 1904 hat man ihn exhumiert und per Schiff in die USA gebracht. 1905 wurde er in einem Seitenraum des Eingangsbereichs in einem führ ihn gestalteten Grabmal beigesetzt. Es ist nicht das einzige Gebäude, das die aufschlussreiche Doppelfunktion von Museum und Mausoleum hat, zwei Begriffe, die, wie man bei Adorno lesen kann, nicht nur phonetisch leicht zu verwechseln sind.

Museo Gypsotheca Antonio Canova
Possagno


Possagno ist ein kleiner Ort mit nur etwas mehr als 2000 Bewohnern in der Provinz Treviso, gelegen in den Hügeln, mit denen die Alpen gegen Süden hin in die Ebene auslaufen. Hier wurde der berühmteste italienische Bildhauer des Klassizismus geboren, Antonio Canova.
Und hierher kehrte er zu Ende seines Lebens und seiner Karriere zurück, um im Garten seines bescheidenen Eltern- und Geburtshauses ein Museum zu errichten. Einen klassizistischen Tempel, in dem er Entwürfe seiner Werke ausstellte. Auch solche in originaler und monumentaler Größe aber auch kleine Skizzen in Ton oder Gips. 
Die Ästhetik diese vollkommen weißen Raums mit seine zahllosen weißen, z.T. riesigen Gipsen ist einzigartig, auch ästhetisch, zumal diese Modelle und Entwürfe Male ihres Entstehung- und Reproduktionsprozesses enthalten - winzige schwarze Löcher, die wie ein Grid über die Objekte gelegt erscheinen und das gesamte Ensemble zusätzlich verfremden.
Schriftlich erhält man Informationen zur Zuordnung der Objekte zu den großen ausgeführten und nie realisierten Projekten Canova.
Kleinere Objekte sind in einem kleinen Zubau des ingeniösen Ausstellungsarchitekten Carlo Scarpa untergebracht und im Wohnhaus ist ein Canova gewidmetes Museum untergebracht, wo man weitere kleinere Werke findet und die für Künstlermuseen typischen persönlichen Reliquien.
Doch Canova genügten Tempel und Museum nicht. Er ließ eine lange Achse mit aufsteigender Treppe quer durchs Dorf errichten, die von seinem Geburtshaus auf einen Hügel ansteigt,. Dort steht die im Inneren dem Römischen Pantheon nachempfundene klassizistische Kirche, die man durch eine Vorhalle betritt, die genau der Architektur des Parthenon folgt. Und hier liegt er begraben. Schön selbstbewußt, der Herr Canova. Man sollte nicht versäumen, auf die Kuppel zu steigen um die Aussicht zu genießen.

Staatsgalerie
Stuttgart 

Nirgendwo sonst kann man ein Museum sehen, das sich architektonisch derart selbstironisch geriert. Der Architekt James Sterling läßt Wasserspeier über den Köpfen der Flaneure kreisen, er entwirft Handläufe, die keine menschliche Hand je umfassen kann, er zertrümmert die Wand, sozusagen ruinenästhetisch, zur Tiefgarage und wenn wir das Museum über eine Rampe betreten, passieren wir einen bis aufs Skelett abgemagerten Tempel. Im Inneren sind die Räume überdeutlich durchnummeriert und verheißen so einen ewig gültigen Kanon, der in immer gleicher Ordnung gezeigt werden kann und die Türen sind wie aus dem Anker-Baukasten antikisch dekoriert. Auch farblich wird uns einiges zugemutet, rosarot trifft auf grasgrün, die Farbe, die meiner Erinnerung nach auch genoppte Kunststoffböden im Foyer haben. Alles ist aus schwerstem überdeutlich sichtbar gehaltenem Quadermauerwerk errichtet, als wären wir in einer Burg, einem Wehrbau.
Den Höhe- und Mittelpunkt des Bauwerks bildet der Hof. Das Schema des Grundrisses läßt hier eigentlich eine Rotunde erwarten, etwa wie bei Schinkels Berliner Museum, also einem mit künstlerisch herausragenden Statuen besiedelten überrkuppelten Raum, aber Sterling sprengt die Kuppel weg und macht aus dem Innenraum einen öffentlichen Platz, der auch tatsächlich öffentlich nutzbar ist. Er wird, ohne daß man das Museum betreten muß, mit einer Passage durchquert, der den Stadtraum durchs Museum hindurch erschließt.
Hier stehen bloß ein paar Sessel, keine maßstabsetzenden Antiken mehr, wie bei Schinkel. Der Bewuchs wird nach und nach vom Bau Besitz ergreifen und ihm die Anmutung einer antiken Ruine geben und wenn wir den Lift betreten, durch ein revolutionsklassizistisch gestaltetes Portal, das halb in der Erde versunken ist, haben wir die Wahl uns entweder nach oben oder nach unten zu begeben, in die Zukunft oder in die Vergangenheit...
Sterlings Zubau zur Staatsgalerie und Hans Holleins Museum am Abteiberg in Mönchengladbach markieren übrigens den Beginn einer sehr folgenreichen, oder wenn man will erfolgreichen Entwicklung: die der Bauaufgabe Museum, die Architekten als letzte nicht von Bauträgern völlig abhängige Architekturaufgabe ansehen, die Kunst sein darf und soll. Die unübersehbare Zahl seither weltweit entstandener Museumsbauten in allen nur erdenklichen Variationen und von berühmtesten Architekten geplant - hier hat sie ihren Ausgangspunkt. Und später mal muß ich zur Liste selbstverständlich Holleins Museumsbau hinzufügen.
  
Pitt-Rivers-Museum 
Oxford


























In Oxford findet man eine Reihe sehr alter und interessanter Museen. Das kurioseste ist das Pitt-Rivera-Museum. Sein Gründer war als Militär in Ländern des Commonwealth unterwegs und brachte Objekte nach England, vieles erwarb er auf Auktionen. Seine hunderttausende Objekte umfassende Sammlung wird als ethnologische und archäologische beschrieben, aber erst wenn man das Museum kennenlernt, ermißt man dessen Einzigartigkeit, von der diese Adjektive nicht wirklich eine Vorstellung geben. 
Die Sammlung hat weder eine topografische noch eine chronologische Ordnung, sondern immer noch (und wohlkonserviert) die von Pitt Rivera entwickelte. Er war an Vergleichen und Entwicklungen interessiert und so findet man in Vitrinen Objekte, die in der Luft Geräusche erzeugen, oder Objekte, die dazu benutzt wurden, um den Regen von sich abzuhalten oder Dinge, mit denen man das Vieh des Nachbarn verhexen konnte.
Das Museum ist in einer einzigen riesigen Halle mit Emporen untergebracht und man könnte hier Tage zubringen, um zu stöbern und die mit winziger Schrift verfassten Zettel lesen, die noch von Rivers und den ersten Mitarbeitern des Museums stammen.
Das Museum geht sorgfältig mit der historischen Substanz um - es ist ein Museum im Museum oder als Museum -, das ab und an nur sehr vorsichtig um neuere Objekte und Informationen erweitert wird. Und es ist kein totes Museum, an dem man nur aus museumsgeschichtlicher Perspektive interessiert sein kann. Seine Sammlung dienst bis heute der Forschung.










Mittwoch, 23. Dezember 2020

Gottfried Korff (1942-2020)


Ich habe Gottfried Korff Anfang der 80er-Jahre in Wien bei einer Veranstaltung der Volkshochschule kennengelernt. Es ging ums Ausstellung und ich hatte grade damit begonnen mir Theorien über den Populismus der Großausstellungen zurechtgelegt. Was Korff dort in der Diskussion vertrat widersprach meinen Überlegungen und ab da begann eine Auseinandersetzung mit seinen musenlogischen Texten und, als ich ihn dann kennenlernte, mit ihm selbst.

Seine Theoriebildung gehörte zum Anregendsten, das mir begegnet ist, etwa seine Benjamin-Rezeption oder seine Überlegungen zum Exponat. Es waren Anregungen, die auch auf Widerspruch beruhten, aber das ist allemal interessanter, als mit jemanden immer derselben Meinung zu sein. Es entstand eine wechselseitige Wertschätzung, die auch in wechselseitigen Einladungen zum Ausdruck kam und so begegneten wir uns in Wien, in Graz, in Paris und in Berlin und in Waldenbuch, wo ich die einzige von ihm verantwortete Ausstellung gesehen habe, „13 Dinge“. 

Ausgerechnet seine bedeutendste Ausstellung habe ich versäumt, ich kann mich nicht einmal erinnern, warum mir das passiert ist - „Preussen. Versuch einer Bilanz“. Die vielleicht einzige Ausstellung in Deutschland, von der man sagen kann, sie habe das nationale Geschichtsbewusstsein beeinflußt oder gar verändert. Ich erinnere mich an diese Ausstellung jetzt wieder, wo mit der Wiedererrichtung des Schlosses und der Etablierung des Humboldt-Forums politisch-symbolisch hinter das damals revidierte Preussenbild zurückgegangen wird.

Die letzte Begegnung fand in Graz in der Museumsakademie statt, in einem Seminar, in dem eine Kernkompetenz von Korff gefragt war im Umgang mit unserer kleinen Sammlung von Alltagsgegenständen, die wir für Studienzwecke angelegt hatten. Daß er die Ausstellung „Berge. Eine unverständliche Leidenschaft“ (Innsbruck), an der ich mitgearbeitet hatte, sehr gelungen fand, war, bei einem praktisch und theoretisch derart versierten Ausstellungsmacher ein hohes Lob. 

Gottfried Fliedl



Von Gottfried Korff stammt das oft zitierte Diktum vom „Vielnamenfach“. Gemeint hat er damit all jene unterschiedlichen Bezeichnungen, mit denen Institute und Museen im deutschsprachigen Raum in Folge der in den 1970er Jahren begonnenen und bis heute andauernden Namensdebatte den Begriff Volkskunde ersetzt haben. Tübingen ist dieser Fachentwicklung mit der am 19. Mai 1971 erfolgten Umbenennung des Instituts in Empirische Kulturwissenschaft entschlossen vorangegangen. Korff hat als Forscher, als Lehrender und als Ausstellungsmacher über mehrere Jahrzehnte hindurch zu deren originärer, national wie international anerkannter und inhaltlich breit aufgefächerter Programmatik maßgeblich beigetragen.

Nach dem Studium der Volkskunde, Germanistik und Kunstgeschichte in Köln, Bonn und Tübingen hat Gottfried Korff 1969 an der Eberhard Karls Universität seine Dissertation über Heiligenkulte in der Gegenwart abgeschlossen. Nach fünf Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Ludwig-Uhland-Institut arbeitete er von 1975 bis 1978 im Freilichtmuseum Kommern des Rheinischen Landesmuseums. Danach kuratierte er als Generalsekretär bis 1981 die in vielerlei Hinsicht zukunftsweisende Ausstellung „Preußen – Versuch einer Bilanz“ im Martin-Gropius-Bau in Berlin. 1982 an die Tübinger Universität berufen, wirkte er bis zu seiner Pensionierung 2007 als Professor am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft. Dessen verdienstvoller Direktor war Korff von 1994 bis 2002.

Die Tübinger Umbenennung des Ludwig-Uhland-Instituts war zuallererst von einer von Hermann Bausinger früh eingeforderten kritischen Distanznahme zur Fach-, noch mehr aber zur Institutsgeschichte begründet, die direkt in den Nationalsozialismus zurückführte. Schnell aber forderten Mitarbeiter und Studierende auch eine entschiedene Modernisierung von Fach und Untersuchungsgegenstand. Statt „Volk“ und „Kunde“ traten in Tübingen daher „Kultur“ und „Wissenschaft“. Gottfried Korff hat zur engagiert geführten Theoriedebatte 1978 den neuen Leitbegriff Kultur ausbuchstabiert, und er hat neben seiner Beschäftigung mit der historischen Arbeiterkultur schnell und vorbildgebend für andere begonnen, die Gegenwart in das Visier seiner Forschungen zu nehmen. Die so in der Empirischen Kulturwissenschaft mit dem neuen Namen freigesetzten Energien haben in kurzer Zeit das Ludwig-Uhland-Institut tatsächlich nachhaltig verändert, aber sie hatten, wie Korff 1996 im programmatischen Aufsatz „Namenswechsel als Paradigmenwechsel“ argumentiert hat, von Anfang an auch die Gefahr einer inhaltlichen Überdehnung und damit verbunden einen drohenden Verlust von Fachidentität zur Folge. Er hat für sich und sein Institut aber Schritt für Schritt einen sehr gangbaren Weg gefunden, der thematische Vielfältigkeit mit theoretischer Kohärenz verbunden hat.

Gottfried Korff hat seinen „Abschied“ von der Volkskunde nicht als scharfe Zäsur, sondern die Empirische Kulturwissenschaft als deren produktive Aufhebung verstanden. Derart konnte er deren Geschichte etwa mit Blick auf Volkskunst neu durchmustern, deren Gründungsgeneration prominent erweitern und damit viele klassische Themenfelder des Faches neu lesen und in Bezug zur Gegenwart komplexer deuten. Dies kann in der 2013 mit Korff-Aufsätzen zusammengestellten Festschrift „Simplizität und Sinnfälligkeit“ argumentativ besonders gut nachvollzogen werden.

Gottfried Korff war als oftmaliger Plenarredner und in den Jahren 1984 bis 2003 als Mitherausgeber der Zeitschrift für Volkskunde ausgesprochen präsent. Über das Fach deutlich hinauszielend, aber doch auch immer wieder direkt in die Empirische Kulturwissenschaft zurückführend sind seine wegweisenden, museumswissenschaftlichen Forschungen, noch mehr aber seine bundesweit für großes Interesse sorgenden Ausstellungen zu sehen: die Ausstellung „Berlin, Berlin“ 1987 zum Berliner Stadtjubiläum, die Eröffnungsschau des Gasometers Oberhausen „Feuer und Flamme“ (1994) oder die kleine, aber ungemein originelle Objektgalerie „13 Dinge“ im damaligen Museum für Volkskunde in Waldenbuch (1992).

Gottfried Korff war derart eine wichtige Stimme in der deutschen Kulturszene. Am Ludwig-Uhland-Institut war er wegweisend und schulbildend. An der Universität Tübingen hat er zur Gründung des MUT beigetragen. Und in der Stadt und Umgebung war er als Museumsjuror und als die Musealisierung und Festivalisierung des urbanen Raums kritisierender Bürger präsent. Gottfried Korff ist nach seiner Pensionierung in die geliebte Hauptstadt Berlin umgezogen. Dort ist er am 16. Dezember nach langer Krankheit im Alter von 78 Jahren verstorben.

Die Kolleginnen und Kollegen am Ludwig-Uhland-Institut, Schülerinnen und Schüler, Studentinnen und Studentinnen trauern um ihn. Und: Wenn am 19. Mai 2021 die Empirische Kulturwissenschaft ihren 50. Geburtstag feierlich begehen wird, dann wird in besonderer Weise auch an Gottfried Korff erinnert werden.

Reinhard Johler, Prof. Am Institut für Empirische Kulturwissenschaft Tübingen. Der Text stammt aus dem Schwäbischen Tagblatt vom 22.12.2020

Sonntag, 20. Dezember 2020

Die Debatte um das Humboldt-Forum in Berlin. Eine "Presserundschau"

Kürzlich wurde das sogenannte Humboldt-Forum im rekonstruierten Berliner Schloß eröffnet - virtuell angesichts der Corona-Krise. Hier sind eine Anzahl von Pressereaktionen verlinkt. Da das gesamte Projekt seit Beginn ehr skeptisch bis kritisch und ablehnend beurteilt wurde, überraschen die vielen erneut skeptischen und ablehnenden eiträge nicht. Neu an der Debatte sind zwei Aspekte: daß Nigeria nun bezüglich der Beninbronzen offizielle Rückgabeforderungen stellt. Das betrifft eine für das Konzept des Humboldt-Forums wichtige Objektgruppe aber stellt generell den Umgang von Politik und Wissenschaft mit der Kolonialfrage und Restitution infrage.

Die erst kürzlich voll ausgebrochene Antisemitismusdebatte, die von einem Bundestagsbeschluß gegen bestimmte Formen des Antisemitismus ausgelöst wurde, wird in mehreren Kommentaren mit der seit der Me-Too-Bewegung aufgeflammten Rassismusdiskussion und der Kolonialismusdebatte verknüpft. Zwei Texte dazu finden sich am Ende meiner Liste mit Links.


Paul Starzmann: Raubkunst-Streit überschattet Eröffnung des Humboldt-Forums. Nigeria will Benin-Bronzen zurück. In: Tagesspiegel, 11.12.2020

https://www.tagesspiegel.de/politik/nigeria-will-benin-bronzen-zurueck-raubkunst-streit-ueberschattet-eroeffnung-des-humboldt-forums/26707296.html


Bernhard Schulz: „Eine andauernde Grausamkeit, die mit jeder Museumsöffnung aufgefrischt wird“. Den Raub der Benin-Bronzen 1897 durch britische Truppen schildert Dan Hicks in seinem Buch "The Brutish Museums". Hunderte Bronzen kamen auch nach Berlin. In: Der Tagesspiegel, 11.12.2020

https://www.tagesspiegel.de/wissen/streit-um-rueckgabe-der-benin-bronzen-eine-andauernde-grausamkeit-die-mit-jeder-museumsoeffnung-aufgefrischt-wird/26708928.html


Susanne Messmer: Cremekasten mit Tiefgang. Am kommenden Dienstag eröffnet endlich das Humboldt Forum in der Berliner Schlossattrappe – wenn auch nur digital. Es wird besser, als viele denken. In: taz, 13.12.2020

https://taz.de/Humboldt-Forum-eroeffnet-bald/!5734302/


Susanne Memarnia: Blamage mit Ansage. Kurz vor der Eröffnung des Humboldt Forums fordert Nigeria ein Prunkstück der Ausstellung, die Benin-Bronzen, zurück. In: taz, 13.12.2020 

https://taz.de/Raubkunst-im-Humboldt-Forum/!5733565/


Bert Rebhandl: Leeren der Geschichte. Der ehemalige Palast der Republik musste einer Neukonstruktion des Hohenzollern-Schlosses weichen. Die Frage bleibt: Warum? In: Der Standard, 14.12.2020

https://www.derstandard.at/story/2000122460978/humbold-forum-berlin-eroeffnet-die-leeren-der-geschichte


Nikolaus Bernau: Zusammengedrängte Pracht. Frankfurter Rundschau. 16.12.2020

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/zusammengedraengte-pracht-90133486.html


Ralf Schönball: Ins Schloss hinein darf noch niemand, aber Anfassen ist ab Donnerstag erlaubt. Der Tagesspiegel, 16.12.2020

https://www.tagesspiegel.de/berlin/das-humboldt-forum-ist-eroeffnet-ins-schloss-hinein-darf-noch-niemand-aber-anfassen-ist-ab-donnerstag-erlaubt/26726164.html


Harry Nutt: Humboldt-Forum zur Wiedervorlage. Frankfurter Rundschau. 15.12.2020

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/humboldt-forum-zur-wiedervorlage-90132444.html


Bénédicte Savoy: Eine Art von Verschleppung. In: FAZ, 15.12.2020

https://zeitung.faz.net/faz/feuilleton/2020-12-15/8972870739fdc72429dec20bb3ca7a09/?GEPC=s2&fbclid=IwAR2TIYagBgelbIgpfLR8h224FcZRgCkISP6HAActUs_qkZGUGNuMRCjlIUM


Ulrike Wagener: Dauerbaustelle Raubkunst. In: Neues Deutschland, 16.12.2020

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1145904.humboldt-forum-dauerbaustelle-raubkunst.html?fbclid=IwAR1srLh7fK0erMOBRUzWG8g6qFTXiUIKSUR5fLqrkJ-EnKF3NKm051SdTH4


Kolja Reichert: Ein imperiales Museum, das keines sein will, in: DIE ZEIT, 17.12.2020

https://www.zeit.de/kultur/kunst/2020-12/humboldt-forum-virtuelle-eroeffnung-berliner-stadtschloss-museum-kulturpolitik?fbclid=IwAR0riy5WthJNoJ108rXqr3ZYKhtPEuuB5vBrlVcxtUhlQiLw0eqM2bwmcq4&utm_referrer=https%3A%2F%2Fl.facebook.com


Susanne Messmer: Kritik? Egal? Bei der digitalen Eröffnung des Humboldt Forums im Stadtschloss ging man der Kontroverse aus dem Weg. Die wieder aufgeflammte Kritik war kein Thema. In: taz, 17.12.2020

https://taz.de/Humboldt-Forum-in-Berlin-eroeffnet/!5733910/


Nikolaus Bernau: Ein Schloß ist kein Schloß ist kein Schloß. In: Cicero. Magazin für politische Kultur. 17.12.2020

https://www.cicero.de/kultur/humboldt-forum-eroeffnung-berliner-schloss?fbclid=IwAR3rLYjy4b8ihl8cO9EU32LjrKhP5dJuK34Cf3Yl6IGXRuyUcgdlLweT-Ws


Sonja Zehri: Öffnung zur Welt, in: Süddeutsche Zeitung, 18.12.2020 (Zum "Plädoyer der Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ und dem Zusammenhang mit der Kolonialismus-Debatte) https://www.sueddeutsche.de/meinung/geschichtsdebatte-oeffnung-zur-welt-1.5151521?fbclid=IwAR3TZIVDPPohkMnwT_8Fb1UnWhEOdgO-mFrQSDNXApcFfXSJW8XIY8xqKWk


Stefan Hebel: Existenzrecht Differenz, in: Frankfurter Rundschau, 18.12.2020 (Ebenfalls zum Zusammenhang von Antisemitismus- und Kolonialismus-Debatte).

https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/existenzrecht-differenz-90145703.html

Dienstag, 15. Dezember 2020

Das Humboldt-Forum in Berlin wird eröffnet - mit alten und neuen Hypotheken



In diesen Tagen wird eines der weltweit größtem Museen eröffnet, das sogenannte Humboldt-Forum in Berlin. Verzögerungen bei der Planung und der Coronavirus haben dazu geführt, daß es vorerst eine Eröffnung nur kleiner Teile und das nur im Internet wird. 

Die Hypotheken sind die alten und ungelösten geblieben: der Wiederaufbau eines Herrschaftssitzes, die späte Idee der Nutzung als Museum, das Auflaufen des Konzepts eines Museums der Kulturen auf der Kolonialismusfrage, die Problematik der teilrekonstruierten Architektur, die Auslöschung eines Stücks Zeitgeschichte mit Abbruch des Palastes der Republik, die mühsam angebahnte, möglicherweise kaum realisierbare Synergie zwischen unterschiedlichen Museen.

Und jetzt kommt noch hinzu, daß für die sogenannten Beninbronzen offizielle Rückgabeforderungen bekannt geworden sind, also für einen Sammlungsbestand, der eindeutig aus einem brutalen Raubzug stammt und der in der Ausstellung im Humboldt-Forum hätte gezeigt werden sollen.

Samstag, 12. Dezember 2020

Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden

Pomians herausfordernder Text sollte diskutiert werden. Wer immer Lust hat, sich zu dem Text und meiner Replik zu äußern - es steht eine Kommentarfunktion am Ende des Posts zu Verfügung. Wer seine Email-Adresse hinterläßt kann von mir Pomians Text zugesendet bekommen. Eine weitere Reaktion auf den Text findet sich hier: https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


Marcel Broothaers buddelt einen Museumsgrundriß in den belgischen Meeresstrand. Vielleicht spült die Flut alles schon weg, ehe die Arbeit vollbracht ist...


Man muß das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden


Meine erste Reaktion auf Krzysztof Pomians in der FAZ veröffentlichten Text hat mir den Vorwurf des "Wiener Pessimismus" (Helmut Bien) eingetragen. Damit kann ich provisorisch gut leben, mit der Einschränkung, daß ich kein Wiener bin. Was meinen angeblichen Pessimismus betrifft, da denke ich, dass es ein Missverständnis gibt, die möglicherweise durch mangelnde Genauigkeit in meinem ersten Text verursacht wurde. 


Ich habe gesagt, daß ich Pomians Pessimismus nicht viel entgegenhalten kann. Das heißt aber nicht, daß ich ihn teile. Ich stelle mir eine einfache Frage: Ist es eher erwartbar, daß ein umfassender globaler Lernprozess einsetzt, der den Klimawandel stoppt und katastrophische Folgen abwendet oder eher daß ein solcher rechtzeitiger Wandel nicht zustandekommt und die verschiedenen düsteren Prognosen sich in unbestimmbarer, aber vielleicht nicht so ferner Zukunft bewahrheiten? 


Ich weiß es nicht. Den einen Tag lese ich, daß die unbedingt notwendige Begrenzung der Erwärmung um 2 Grad sicher nicht erreicht wird, den anderen Tage erreicht mich die Nachricht, daß die EU einschneidende klimapolitische Ziele vereinbart hat.


Anders als Pomian räume ich dem Museum die Möglichkeit ein, sich auf unterschiedliche Zukünfte einzustellen und sich nicht bloß mit der Prophezeiung ihres Untergangs abzufinden. Das muß, wenn man dem Ernst der Situation gerecht werden will, nicht weniger eine Art "Neuerfindung" des Museums voraussetzt - ein unglaublich einschneidender „Turn“ auf allen Ebenen. 


Hier stelle ich eine ähnliche Frage, wie zum Klimawandel: Ist es wahrscheinlicher, daß die Museen nachhaltig und konsequent eine andere Politik, eine eine andere Geschichts- und Erinnerungskultur entwickeln, neue organisatorische, mediale, inhaltliche usw. Wege einzuschlagen oder ist es wahrscheinlicher, daß es weitgehend so bleibt wie bisher? 


Ein Beispiel: Ein grosses österreichisches Naturmuseum vernetzt sich mit verschiedenen Organisationen und ruft dazu auf, an einem bestimmten Datum, Kerzen als Warnung vor dem Klimawandel in die Fenster zu stellen. Warum nicht kann man fragen? Es wirbt mit eindrucksvollen Texten auf Facebook. Das Museum reagiert und wird aktiv, es geht buchstäblich und symbolisch über seine Grenzen. Man kann aber auch einwenden, dass eine solche schon vielfach für unterschiedlichste Zwecke gebrachte „Lichter-Mahnwache“ bereits zu abgenutzt ist, um noch weitere Besetzungen mit neuen Bedeutungen auszuhalten. (Nahezu gleichzeitig wird dieselbe „Mahnpraxis“ für Opfer der Pandemie organisiert). Und welchen Impuls gibt so eine Aktion über das Symbolische hinaus ins praktische Handeln?


Dasselbe Museum lädt, wiederum via Facebook, dazu ein, sich mit der Mineraliensammlung zu beschäftigen, im Internet, um dort einschlägiges Wissen abzuholen. Wiederum kann man sagen, warum nicht? Das Museum nutzt, was derzeit von überall her empfohlen wird, das Internet, um in Zeiten der Schliessung der Museen, Bildung zu vermitteln. Von Naturmuseen weiss man außerdem, dass es eine bestimmte Klientel von Hobbysammlern und Kennern gibt, die als Gruppe wichtig für solche Museen sind und im wechselseitigen Interesse auch untereinander vernetzt sind. Sie sind eine Zielgruppe für eine derartige Idee. Aber über diese Gruppe hinaus - was ist von der „Mineralienkunde“ gegenüber einem grossen Publikum zu erwarten. Sehr spezielles Bildungswissen zu erwerben? Und genügt die gute Absicht der Wissensvermittlung noch oder sind nicht längst Angebote nötig, die sowohl partizipativ wie reflexiv sein müssen und die über die Vermittlung von museumsspezifischem Sachwissen weit hinausgehen?


Jetzt noch mal zurück zum Pesssimismus: Ich teile den von Pomian nicht, einfach deshalb, weil ich keine sichere Prognose habe. Mich interessiert aber, wie bei Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“, die Radikalität der Provokation, die darin steckt das Museum von seinem Ende her zu denken. Man kann derlei Texte gewissermaßen therapeutisch lesen, als Anregungen, sich einer Krise zu stellen und nach neuen Wegen zu suchen.


Pomian übertrifft den Schock, den die politische und praktisch folgenreiche Einschätzung der Museen durch die Politik als zur Unterhaltungsindustrie gehörig ausgelöst hat. Ihnen „Systemrelevanz“ abzusprechen (ich übergehe mal die Frage, „welches System“ eigentlich?) stellt ja auch ihre Existenz in Frage. Pomians Text schneidet indes weitaus tiefer als jede politisch verordnete Maßnahme in das historische Selbstverständnis des Museums als gattungsgeschichtliches Archiv und Gedächtnis (ihn interessiert merkwürdigerweise eher nur das Archiv). Es droht in seiner Perspektive die Möglichkeit als solches endgültig verloren zu gehen, was uns alle, die Gattung als Ganzes einer zukünftigen vollkommen Erinnerungslosigkeit ausliefern würde.


Schon durch den Holocaust wurde, wie Alain Finkielkraut zeigte, etwas Grundlegendes zerstört - das Vertrauen in einen alle Katastrophen, Opfer und Verheerungen aufwiegenden und integrierenden humanen und unabschliessbaren Fortschritt. Jetzt ist aber nicht einfach die Idee des Fortschritts beschädigt, jetzt scheint es ein Datum für dessen unausweichliches Ende zu geben. Nur der Zeitpunkt steht noch nicht fest.


Diese Kränkung ist so ultimativ, daß es schwer fällt, sich auch nur intellektuell, abstrakt, distanziert, probehalber damit zu beschäftigen und schon gar nicht dann, wenn man sich mitten in der Praxis um die Vitalität der Institution inmitten bedrohlicher Krisen sorgen soll. 


Stephen Weils Text zum „Museum at the End of the Time“ war ein „sokratischer“ Text, der zur Reflexion anleiten sollte ohne den Hintergrund einer empirisch drohenden Katastrophe. Man konnte spielerisch mit ihm umgehen und verschiedenste Szenarien erproben, die fern jeder Wirklichkeit schienen. Aber schon die Texte waren, sooft ich ihn sie in Diskussionsrunden einbrachte, meist überfordernd. Wie erst der Pomians!


Es geht doch darum, im Bewusstsein aller dieser extremen Herausforderungen, praktisch und theoretisch am Neuentwurf der Institution zu arbeiten. Einen Aufbruch kann es geben, wenn Museen bereit sind, sich offensiv und reflektiert mit dieser „Bedrohung" auseinanderzusetzen (die noch komplexer ist als es Pomian, den es kommen ja noch andere Herausforderungen hinzu, wie etwa die Frage des Umgangs mit dem Kolonialismus) und diese Auseinandersetzung zum Ausgangspunkt ihrer "Erneuerung" machen.


Vom wem wird diese Erneuerung kommen, von den Museen (allein)? Von der Politik? Vom Publikum, von der Zivilgesellschaft? Helmut Bien ist gegenüber neuen Eliten skeptisch, deren rabiate Kritik, etwa an der Kolonial-Frage, letztlich in einen Museoklasmus mündet. Er schreibt: „Wir erleben im Augenblick einen ikonoklastischen Rigorosismus, der vieles Altes aus der Perspektive der aktuellen Moral verantwortlich macht und beseitigen möchte.“


Einspruch. Sehen wir uns die Kolonialismusdebatte an. Ist sie bloß eine Angelegenheit rigoroser elitistischer Moral? Da gab es doch schon zeitgenössisch eine moralische Haltung, die sich mit den Verhältnissen nicht abfand und eine Bürgerbewegung, die etwa den belgischen König dazu zwang, seinen entsetzlichen „Privatkolonialismus“ aufzugeben und dann auch den Belgischen Staat erfolgreich drängte, sich von der Kolonialisierung zu verabschieden. Die europäische Kolonialgeschichte wurde schon zeitgenössich als grauenhaft und unerträglich empfunden, und nicht erst im Licht des heutigen Moralismus von Eliten.


Kolonialismus, als Problem für Museen erst mit der Gründung des Humboldt-Forums aufgebrochen, ist aber nur eine unter mehreren jüngsten Entwicklungen (die Restitutionsdebatte um in der NS-Zeit als zeitlich und territorial ungleich eingegrenzteres Phänomen, geht dem voran). An ihr ist Gewaltförmigkeit und Rechtsbrüchigkeit als strukturelle Grundlage des Museums sichtbar geworden sind. Die gerade anlaufende Debatte über den kolonialen Ursprung des British Museum (wiederum nur eine Facette von mehreren in der Kontaminierung dieses Museums mit Kolonialismus), ist nur eins unter zahllosen Museen, wo man auf ähnliche gewaltförmige Bedingungen ihrer Gründung stossen kann. Da sind so illustre Museen drunter, wie das Metropolitan Museum, der Louvre oder die Tate Gallery.


Keine andere kulturelle Institution oder Praktik hat eine derart verborgene und verborgen gehaltene Tiefenstruktur und zusammen mit der Funktion von Museen als hegemoniale ideologische „Staatsapparate“ bietet allein schon diese beiden Strukturmerkmale erste und dringlich der Bearbeitung harrende  Ansatzpunkte und Angriffsflächen für einen „reflexiven Neustart“.


Allerdings frage ich mich, ob alle diese Phantasien vom Neuanfang, vom Museum 2.0, vom demokratischen Museum oder gar radikaldemokratischen Museum, nicht unvermeidlich darauf hinauslaufen, eine vielfach fragwürdige Institution bloss reformerisch am Leben zu erhalten wie einen im Koma liegenden Patienten durch Apparate. Warum nicht loslassen? Warum nicht verabschieden? Nicht um einen revoltierenden Museoklasmus herbeizuführen, sondern um die Ideen zu bewahren, die mit dem Museum einmal verknüpft waren.


Warum nicht alle jene hehren Ziele, die in bester Absicht das Museum neu zu denken formuliert wurden, anders und anderswo zu verwirklichen. Wozu der mühsame Prozess, widerstrebende Praktiken zu verändern (aus Macrons Ankündigung der umfassenden Restitution bleiben zwei Jahre danach eine Handvoll noch nicht mal zur Gänze restituierter Objekte), wozu der lange Marsch durch Institutionen, die es nicht anders haben wollen als es ohnehin ihrem unbeirrbaren Selbstbild nach immer gut ist? Wozu die Hoffnung auf dem (Um)Weg der Instrumentalisierung einer womöglich komplett ungeeigneten Institution, die nötigen Entwicklungs- und Lernprozesse anzustossen?


Der Wechsel von Eliten, geht der ohne jeglichen Wechsel der Perspektiven vor sich oder gar hin zum Schlechteren, oder kann man nicht auch Hoffnung in neue Interessenten setzen, die ihre Verantwortung entdecken?


Ein Beispiel: Es gibt seit Mitte des Vorjahres Kritik an einem der absonderlichsten Museen, die es in Österreich gibt, am Heeresgeschichtlichen in Wien. Die Kritik begann nicht mit einer an den Ausstellungen, sondern an rechtsradikalen Mitarbeitern und einschlägigen Veranstaltung und dem Angebot des Museumsshop mit einschlägigen Tendenzen. Diese Kritik kam von zwei Bloggern, wurde dann von Tageszeitungen aufgenommen und führte zur Einsetzung mehrerer Untersuchungskommissionen. Inzwischen formierte sich eine Gruppe von LiteratInnen und KünstlerInnen, die eine Tagung auf die Beine stellten, die wiederum medial aufmerksam rezipiert, dazu führte, dass das Thema auf der Tagesordnung blieb. 


Die Kritik weitete sich nun auf die Ausstellungen aus, auf deren Ideologie und auf die Sinnhaftigkeit eines nostalgisch-retrospektiven Armeemuseums. Die Kommissionen, nicht alle haben ihre Arbeit abgeschlossen, bestätigten im Kern die Kritik und ein Rechnungshofbericht listete Mängel auf, die alles bisher Bekannte bei weitem übertrafen. Eine weitere Tagung ist geplant, von derselben Gruppe, die es geschafft hat, das Thema nun über langen Zeitraum in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten. Ob das politisch erfolgreich werden wird und in welchem Umfang, das ist völlig offen.


Es ist meiner Beobachtung das erste Mal, daß es so etwas wie eine umfassende Kritik an einem Museum (in Österreich) überhaupt gibt und dass es eine zivilgesellschaftliche Initiative ist, die Museen als wesentliche Akteure der Geschichtspolitik kritisiert. Eine Elite? Prinzipiell ja, aber es ist eine Elite, die gesellschaftliche Verantwortung wahrnimmt und nicht ihre partikularen Interessen. Und das in einer Weise, wie sie dem Museum seit der Aufklärung und bürgerlichen Revolution eingeschrieben ist. Das Museum war ein Ort, in dem Staatsbürger in ihrem und im gesellschaftlichen Interesse handelten und zu Res Publica formierten und das Wohl des gesellschaftlichen Ganzen aushandelten. 


Die genannte Initiative ist jedenfalls der seltene Fall, daß sich im Macht- oder Entscheidungsdreieck Politik - Institution - Gesellschaft, die strukturell Ausgeschlossenen, das Publikum, die Bürgerschaft, zu Wort melden. Es ist wie im Gesundheitssystem. PatientInnen haben keine Stimme, keine Handlungsmacht im Verhältnis zu Politik, Industrie und organisierter Ärzteschaft.


Diese Entwicklung beobachte ich mit Interesse und Sympathie. Wer weiss, was da zustandekommt. Ob es bei einem Reförmchen des Heeresgeschichtlichen Museums bleibt, das das Versagen der Politik und das Agieren des Museums kaschiert oder ob es zu einer grundlegenden Erneuerung kommt, nach der vielleicht ein ganz anderes Museum realisiert werden wird, das wird sich zeigen. Es muß am Ende ja nicht ein (neues, weiteres) Museum sein, sondern vielleicht etwas, woran wir jetzt noch gar nicht denken. Etwas, das weitere Museen inspiriert, ganz neue Wege zu gehen.


Vielleicht muß man das Museum verabschieden können, um es völlig neu zu erfinden?


Die erwähnten Texte:


Krzysztof Pomian: Wie schlecht steht es wirklich um die Zukunft der Museen? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 24.11.2020, S.12

Stephen Weil: The Museum at the End of the Time. In: ders.: Making Museums Matter. Washington. Smithsonian Institution 2002

Gottfried Fliedl: Am Ende. Das Museum. In: Museologien (Blog). 

https://museologien.blogspot.com/2020/11/am-ende-das-museum.html


12.12.2020