Dienstag, 19. Mai 2015

Das "Haus der Geschichte". Wie geht es dem eigentlich?

"Das "Haus der Geschichte" kann kein Museum im traditionellen Sinn sein, es muss ein Ort des öffentlichen Diskurses, der öffentlichen Debatten werden und als wichtiger Vermittler von politischer Bildung fungieren. Dazu braucht es auch geeignete Räume - die müssten sich in der Hofburg auch finden lassen - mit der Möglichkeit von Filmvorführungen, neu produzierten Videos zu Sonderausstellungen und Installationen."
Wegen solcher Sätze ist mir schon lange die Lust vergangen, etwas zum Haus der Geschichte zu schreiben, mich damit weiter zu beschäftigen. Er stammt von Traudl Brandstaller, steht im Standard vom 17. April dieses Jahres und ist inhaltlich dreißig oder vierzig Jahre alt.
Frau Brandstaller hat 1996 mit Peter Diem, mit dem sie eine Internetseite "Pro Austria" betreibt, die wiederum ihr Projekt protegiert aber auch viele Informationen zur Geschichte der Debatte bietet, ein Konzept für ein Haus der Geschichte vorgelegt, unverlangt, wie mir scheint.

Thomas Winkelbauer, Direktor des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, macht in seinem Standard-Kommentar (13.4.2015) klar, was auf das Projekt noch alles zukommen wird, wenn erste Grundzüge des Konszepts vorgelegt werden. Winkelbauer, der davon ausgeht, daß die Studie von Claudia Haas die Grundlage dafür bilden wird, listet Frage nach Frage auf, die dort offen bzw. problematisch ist und rät ab, dieses Projekt Haus der Geschichte zu nennen und länger den Anspruch zu erheben, daß es die österreichische Geschichte (etwa im Vergleich zu deutschen Institutionen) repräsentieren werde.

Martin Fritz hat sich kürzlich (24.1.2015) in NZZ.at (der digitalen Österreich-Version der Neuen Zürcher Zeitung) vor allem gegen die kleinliche und klandestine Planung gewendet und versäumte Chancen beklagt. Er ist einer der nachdrücklichsten Befürworter eines Hauses der Geschichte in der Hofburg. Er beklagt den Kollateralschaden, den das Projekt am "Weltmuseum" angerichtet hat, aber er hält immer noch die Neue Burg für den idealen Ort für die Verwirklichung eines Hauses der Geschichte (abgesehen von einem Neubau). "Es ist also zu befürworten, daß die Geschichte und ihre republikanische Vermittlung in ein Haus zurückkehrt, in dem sie geschrieben wurde." In der Neuen Burg wurde "(die) Geschichte" geschrieben? Und ihr ein Haus (zurück)zugeben wäre "republikanische Vermittlung"? Ganz schön viel Pathos.

Wenn man ein wenig mehr Grundsätzliches und "Hintergründiges" zum Haus der Geschichte finden will, sollte man zur ZEIT vom 12.3.2015 greifen, wo Stefan Müller und Maria Sterkl das Projekt erst einmal gleich eingangs als "Luftschloß" bezeichnen. Was man so anderswo noch nicht gelesen hat, hier werden einige der Akteure des Projektes auf die Bühne geholt: Johanna Rachinger, die Leiterin der Nationalbibliothek, also eine der beiden Institutionen, in die das künftige Museum organisatorisch eingebaut werden soll, Oliver Rathkolb, der Im Kuratorium der Nationalbibliothek sitzt und nun Leiter der Projektgruppe ist, die die Realsierung des Geschichtsmuseums vorbereitet, sowie Günter Geyer, Präsident der Freunde der ÖNB und Aufsichtsratschef der Wiener Städtischen Versicherung.

Zum Weltmuseum vertreten die Autoren des Artikels die Meinung, daß seit der durch die Finanznot des Kunsthistorischen Museums erfolgten Eingliederung des ehemaligen Völkerkundemuseums (heute: Weltmuseum) dieses kaputtgespart wurde, weil Gelder aus dessen Budget in das KHM umgeleitet wurden.
Eine Pointe dazu kennen die ZEIT-Autoren nicht. Wilfried Seipel, der diese Eingliederung betrieb, war Ratgeber der ehemaligen Minsterin Gehrer und bei der stufenweisen sogenannten "Ausgliederung", in der die Bundesmuseen Spielraum in der Verwendung ihrer Budgets erhielten. Das wurde aber parktisch sofort mit einer Deckelung der staatlichen Zuwendungen gekoppelt, so daß die Museen nach und nach und bis heute unter Druck stehen. Das KHM offenbar so sehr, daß die brachiale Eingliederung des Völkerkundemuseums erfolgte, um mit dessen Budget dem KLHM auszuhelfen. Behaupten die ZEIT-Autoren. Der damalige Direktor des Völkerkundemuseums soll zum Rücktritt gezwungen worden sein, als er sich dagegen stellte. Ich glaube mich nicht falsch zu erinnern, daß Wilfried Seipel, ausgerechnet er, der erste Leiter eines Bundesmuseums war, der öffentlich die Form der "Ausgliederung" kritisierte.
Nicht nur in der ZEIT fragt man sich, wie das Haus der Geschiche finanzierbar sein wird. Die in einem Standard-Artikel (6.5.2015) "bis zu 120 Millionen" (der Standard zitiert einen "hochrangigen Museumsexperten" kommen nur unter abenteuerlichen Berechnungsbedingungen zustande, aber daß der Betrieb eines Museums - auch ohne Sammlung - etwas etwas mehr als bislang geplant kosten wird, kommt jetzt erst zur Sprache. Die wie atemlos vorgetragene "Sensation" einer (erwartbaren) Kostenexplosion wird auch deshalb zum Thema, weil offenbar in der kleinen Museumsberaterszene ein Familienkrach ausgebrochen ist.
Das Überraschendste am Beitrag der ZEIT ist die Wortspende von Oliver Rathkolb zur Finanzierung: "Nach dem Sommer muss die Regierung sagen: es gibt den Betrag X - oder der Beirat löst sich im Herbst unter internationalem Gelächter wieder auf." Galgenhumor? Kalkül?

Das ist mein Informationsstand. Und der enthält noch eine Beobachtung. Nirgendwo wird über den Zweck, den Sinn, das Ziel dieses Hauses der Geschichte gesprochen.

Samstag, 9. Mai 2015

Notruf (Volkskundemuseum Wien)


Nachdem das Volkskundemuseum Wien mit seiner großen europäischen Sammlung an Objekten und historischer Fotografie 2 Jahre lang Teil der Konzeption eines der größten Kulturmuseen Europas (Völkerkunde + Volkskunde) am Heldenplatz war, muss ich dazu etwas festhalten.

In der leider zunehmend schlechter werdenden Bausubstanz des Gartenpalais Schönborn, dem ersten Bau Lukas von Hildebrandt´s in Wien, findet unter sehr begrenzten finanziellen Bedingungen progressiver Kultur- und Museumsbetrieb statt. Weiters werden über 200.000 Objekte nicht nur verwaltet, sondern ständig in den eigenen und internationalen Ausstellungsbetrieb eingeschleift. Viele Kulturinitiativen rund um den Bereich der Kulturwissenschaften, Film und Kunst docken an diesem Haus an, das heuer unter dem Motto „Museum für Alle“ generell freien Eintritt gewährt. 

Es gibt Sponsoren, die es wichtig finden, das innovative Verständnis von Museum und Publikum, wie es hier gelebt wird, zu unterstützen und im gegebenen Fall den Eintritt nicht nur kompensieren sondern darüber hinaus zu fördern.
 

Außerdem gibt es spannende Entwicklungskonzepte für das Haus, die einerseits Kooperationen mit anderen Museen Wiens und der Universität Wien betreffen, andererseits die unmittelbare Umgebung aktiv einbeziehen. Alles zusammen ist – wie wir meinen – ein entsprechend positiver Beitrag zum Kulturstandort Wien.
 

Das kulturelle Erbe, das hier in den Sammlungen verwahrt wird, ist international nicht nur bedeutend sondern auch nachgefragt. Es fällt uns zunehmend schwer, diese Sammlungen entsprechend zu erhalten – geschweige zu erweitern – und unser breites Angebot für das Publikum umzusetzen. 

Über die Jahre kommen wir mit Budgets für den Vollbetrieb eines Museums aus, um das andere Häuser knapp eine Ausstellung verwirklichen. Wir arbeiten hart daran, sowohl in der Stadt- als auch in der Bundespolitik Bewusstsein für diese Situation zu schaffen. Wir wurden und werden zwar immer unterstützt, aber eben nur auf einem Niveau, das uns bald nicht mehr den Betrieb dieser prospektiven Kulturinstitution ermöglicht.

Matthias Beitl, Leiter des Volkskundemuseums, via orf.at, im Mai 2015

Donnerstag, 7. Mai 2015

Heftiges über das Kuratieren und den Kuratorenberuf

In seiner Rezension Hans Ulrich Obrist Buch Kuratieren! legt der Leiter der Oberhausener Kurzfilmtage Lars Henrik Dass eine kurze, fulminante Charakterisierung des (Mainstream)Kuratierens hin, dass es nur so tuscht.

Der Kurator als Medium, in Der Freitag 6.5.2015 https://www.freitag.de/autoren/lars-henrik-gass/der-kurator-als-medium

Zitat: Für eine durch Demografie und leere Kassen stark verunsicherte politische Klasse stellt der Kunstkurator eine neue Versicherung dar, dass man auf die Unterstützung meinungsbildender Leute und Medien ebenso zählen kann wie auf ein mit den richtigen Namen bestücktes Telefonbuch. Der Kunstkurator dämpft die Angst vor der Kunst, vor der „Wut eines Einzelnen, der sich ins Halbdunkle einer Höhle zurückgezogen hat“ (der scheidende Intendant - gemeint ist Chris dercon G.F. -im Gespräch). Er verkörpert die Hoffnung, dass es flutscht mit der Kreativwirtschaft. Er ist ein Versprechen auf Ordnung in einer zunehmend unverständlicheren Welt. Je verstörender zeitgenössische Kunst, desto dringlicher das Bedürfnis nach Erklärung und Orientierung durch Diskursmaschinen.

Sonntag, 3. Mai 2015

Samstag, 2. Mai 2015

Disobedient objects, disobidient museums

Über zweihundertzehn Museen soll es in London geben. Habe ich irgendwo gelesen, das ist aber schon so seine Zeit her. Also werden es wohl mehr sein. Muß man sich ja nicht kümmern drum, die Leuchttürme ragen markant aus dem Getümmel: British Museum, National Gallery, Tate Britain und Tate Modern, Museum of National History, Victoria and Albert Museum. Ein touristisches Programm für Wochen, wenn man es genau nähme - aber dafür sind Museen ab einer gewissen Größe ohnehin nicht gedacht -, für Monate.
Im British Museum hat mein Körper, oder wars die Psyche?, schnell gestreikt. Zweiter oder dritter Tag und schon Ausfallserscheinungen beim London-Erkunden. Vermutlich das Stendahl-Syndrom! Zu viel von allem. Das wäre eine Definition für das British Museum. Hunderte Götterbildnisse. Was wollen die alle von mir?

Nicht anders erging es mir im Victoria and Albert-Museum, dessen Sammlung ja noch umfangreicher ist. Allein diese zwei Monument Courts, mit ihrer historistischen Orgie Wir wollen hier alles haben, und wenn es sein muß, dann nehmen wir auch Gipsabgüsse.
Eine Sonderausstellung, die nicht mehr als zwei, drei Säle umfasst, gerne. Das sieht überschaubar aus und ein Rundgang die Gehwerkzeuge nicht überfordernd.
Diese übersichtliche Ausstellung hatte den Titel Disobedient Objects. Worum ging es?


Der Einfachheit halber zitiere ich das V & A selber: From Suffragette teapots to protest robots, this exhibition was the first to examine the powerful role of objects in movements for social change. It demonstrated how political activism drives a wealth of design ingenuity and collective creativity that defy standard definitions of art and design.
Hm. Worum gehts da. Um den Protest, oder ums Design, das der Protest hervorbringt (und dahinter verschwindet)? Es gab interessante, berührende, überraschende, sehr vertraute usw. Dinge und vor allem ein Sammelsurium von Protestformen und -bewegungen. Mitnichten also so etwas wie eine politische Geschichte des Protests. Das gibt schon beim Flanieren in der Ausstellung ein schales Gefühl, erst recht beim Verlassen.
Disobedient. Mein Wörterbuch im Internet hat keine andere Übersetzung als ungehorsam, unfolgsam. Schön schief formuliert und gedacht, ein bissl witzig, regt meine Fantasie zum Blödeln an. (In Richtung dressierte Objekte, disziplinierte, als neue Objekteigenschaft neben Spur und Aura: störend, aufmümpfig...Sind Objekte ungehorsam? Wie die Jakobinermütze in der Ausstellung?
Eine analytische Kategorie ist es ja definitiv nicht. Würde man denn die Demos und Proteste, die da aufgefädelt präsentiert werden, mit dem Ausdruck unfolgsam bedenken?
Was für ein Thema, welche Aktualität. Aber als Revue der Unfolgsamkeit der Dinge ein bissl unterbelichtet, oder?
Der Ausstellungstext, wie es sich gehört auf kargem Material appliziert, liest sich so:


Also, dieselbe Ambivalenz. Eine Kunst- und Designausstellung. Einerseits. Andrerseits global struggle. Jetzt brauchts mein Großwörterbuch. Das weiß über disobedience aber auch nix andres zu sagen als: ungehorsam.
Fangen wir von vorne an. Beim Betreten des Museums, habe ich ganz schön gestutzt. Das monumentale (monumental Hilfsausdruck, würde Wolf Haas sagen) gotische Kathedralenportal mit Säulenheiligen und Goldene-Lettern-Inschrift war beidseitig mit einer Art von Tafelbild versehen. Die Sockelzone, fast doppelt so hoch wie ein Mensch, ist sowieso leer. Also kann da ruhig mal stehen Power to the people.


So etwas hinschreiben zu lassen, kostet ja nix. aber diese beiden Tafeln waren so etwas wie Mosaike, mixed media, Collagen. Und die Einzelteile mit ihren Botschaften waren nicht von schwachen Eltern, wie der Volksmund sagt. Prügelpolizei, Attacke auf Cameron, frontal, Muslime willkommen, Nazis nicht, Homesexuelle revoltieren, und: bewahrt uns bloß vor den Künstlern. Die mischen sich mit allen Gesellschaftsklassen und sind deshalb die Gefährlichsten.
 

Die Botschaft, daß Menschen ruhig sterben können, wenn ich (Wir. Wer?) nur weniger Steuern zahlen, ist zumindest überraschend als erste Botschaft eines Museums, als Teil jener Liminalität, die hier mal nicht ganz im Dienste der kulturellen Initiation steht. Und falsch ist es ja auch nicht, was da steht, im Gegenteil, das ist ein Satz der von Tag zu Tag dramatischer wahr wird und an Bedeutungsbreite stetig zunimmt.


Hate the state! Beziehungsweise: Wie lange wirst Du noch brauchen, bis es so weit ist?
Da stand ich im Eingang und war bass erstaunt. Wie das? Was ist d a s? Später begriff ich dann den Zusammenhang zur Ausstellung, und daß dieses Diptychon im Eingang auch so etwas wie die Werbung war. Aber eben nur auch. Die Botschaften waren schon schwer mit einem braven, vom Staat alimentierten, staatstragenden (?!) Museum zu vereinbaren. (Und das alles auch noch unter einem Deutschen Direktor. Doch d e n Gedanken habe ich schnell verworfen. Nein, Martin Roth, ist in dieser politisch-ideologischen Ecke noch nie aufgefallen).

Das Victoria and Albert Museum als disobedient Museum? Ungehorsam, nicht brav?
Im ganzen übrigen Rest, den ich vom Museum gesehen habe, war es sehr brav. Und hier nicht?
Was kann ein Museum tun, mit welchen Mitteln, aus welchen Motiven heraus, mit welcher Verantwortung dissident zu sein? Und woran könnte man merken, daß es das ist?


Das Überraschende an den beiden Tafeln am Eingang zum Museum ist, daß die dort angesprochenen Them tabu sind in Museen. Aber dieses Tabu zu brechenund eine gewisse Sympathie mit ideologisch rabiateren Positionen - stellvertretend - zuzulassen, läßt keine Rückschlüsse auf das Museum zu. Ästhetisierung und Musealisierung sind kein Lercherl. Wenn man die Distanz gut durchhält, kann man sich nahe an das Tabuisierte heranwagen. Sehr viel mehr aber auch nicht.